Kitabı oku: «Ab 40 wird's einfach nicht schwer», sayfa 8

Yazı tipi:

»Hey, Aufreißerin, sehen wir uns morgen? Es gibt doch sicher Gesprächsstoff …«

Es dauerte, wie gewohnt, keine zwei Minuten, bis Sandra antwortete. Sie saß quasi auf ihrem Smartphone.

»Es ist furchtbar, wenn ich dir eine Nachricht schreibe und du stundenlang nicht reagierst!«, hatte sie Silke mal angemeckert.

»Mensch, ich habe das Ding doch nicht an der Backe kleben!«, hatte sie sich gewehrt. Sandra schon.

»Klar, Mausebär, wann?«, antwortete Sandra jetzt.

Mausebär. Wie sah solch ein Viech eigentlich aus? Eine Maus und ein Bär in einem?

»Wann kannst du denn?«, fragte Silke zurück, ohne »Mausebär«.

»Für dich immer«, rotes Herz-Smiley.

»Okay, lass uns Mittag zusammen essen. Nudeln?«

Prompt die Antwort:

»Was ist denn mit dir los? Du bist ja gar keine gute Hausfrau mehr. Nudeln zum Sonntag? Wo bleibt deine gute Erziehung?«

Grrrr! Silke schüttelte den Kopf.

»Dann iss doch woanders, du verwöhnte Schnepfe!«

Sie sah Sandra vor sich, wie sie sich ausschüttete vor Lachen.

»Ey, nicht so böse. Was war heute los? So bist du nur, wenn du fünf Messer unter dem Kleid trägst!«

Sie kannte Silke.

»Mir doch egal, du weißt, dass Essen mir egal ist«, schrieb Silke und schickte ein Zwinker-Smiley hinterher.

»Mir aber nicht mehr. Nudeln sind gut, Selberschnepfe. Morgen zwölf Uhr und – ohne Messer«, antwortete Sandra und Silke fühlte sich schon wieder viel besser gelaunt.

Am Sonntag schlief sie lange, kroch gegen neun Uhr behäbig aus dem Bett und sah nach dem Kaffeekochen zum Terrassenfenster hinaus. Langsam wollte der Sommer sich endgültig verabschieden und bald schon würde er mit dem Herbst Hand in Hand gehen. Schade, und doch; bestimmt zeigten sich bald schon erste Herbstzeitlose am Waldrand und die Fette Henne in ihrem Garten schmückte sich mit rötlicher Farbe. Sie mochte es, wenn sich die grünen Blätter der Bäume langsam rot, gelb und braun einfärbten und sie das Gefühl bekam, alles leiser zu erleben. Außer Reini. Der Gedanke katapultierte sie aus ihrer Träumerei in die laute Wirklichkeit. Es war Sonntag und Sandra kam wie immer fünfzehn Minuten zu spät. Sie flog in einem lilafarbenen, knielangen Kleid ein und sah zwar immer noch sehr schmal, aber gesünder aus als noch vor Monaten. Ihre weiße Strickjacke warf sie auf den Sessel im Wohnzimmer.

»Mensch, bei dir sieht es wieder aus wie im Museum. Wohnst du hier auch?«, neckte sie.

»Bla, bla, bla. Nur weil du schlampig bist, muss ich es doch nicht sein.«

Das saß. Kaum waren sie zusammen, mussten sie sich hochnehmen.

»Ich bin lediglich geistig abwesend beim Niederlegen von Gegenständen«, konterte Sandra.

»Na klar, du und das Motto: ›Ordnung ist das halbe Leben und ich lebe in der anderen Hälfte.‹«

Sandra stieß Silke spielerisch in die Magengegend und diese schrie gekünstelt »Aua!« Mädchenspiele alternder Diven. Silke stellte den Topf mit dem Nudelwasser auf den Herd und das italienische Pesto auf den Tisch.

»Hast du gestern wieder AC/DC gehört?«

Sandra lachte neckisch.

»Logisch. Du musst darüber nicht lachen. Ich sag dir was: Leute, die Hard-Rock hören, sind in ihrem realen Leben weniger aggressiv!«

Ihre Freundin zog die Stirn in Falten und machte einen Schmollmund.

»Ja, da brauchst du nicht so gucken! Rate mal, warum es nach Hard-Rock-Konzerten weniger Schlägereien und Ausschreitungen gibt als nach den Wildecker Herzbuben oder anderen Schmalzheinis? Weil die ihre Aggressionen – im Übrigen hat die jeder Mensch, nur dass es wenige zugeben – bei der Musik lassen und nicht hinterher an anderen Leuten abbauen!«

Sandra schien zu überlegen.

»Sagtest du: ›Wildecker Herzbuben‹? Sind das nicht die Süßholzraspler – mit Wangen, die so rund sind wie meine Arschbacken?«

Silke prustete los.

»Du erst!«

Jetzt war Sandra in ihrem Element.

»Na, ehrlich mal, ist doch kein Wunder, wenn sich die Leute nach den Konzerten prügeln. So viel Gefühlsduselei verträgt kein Mensch und wenn ich mir zwei Stunden diese Kitschbacken ansehen müsste, würde ich danach auch einen verkloppen wollen!«

Tratsch und Klatsch, das war jetzt gut.

»Die Leute brauchen eben auch diesen larmoyanten Mist, um sich von ihren Sorgen abzulenken, denke ich«, begann Silke zu philosophieren.

»Larmo… was?« Sandra zog die Augenbrauen hoch.

»Rede bitte Deutsch mit mir, und zwar so, dass ich es verstehe, mein Schatz!«

»Ist so was wie gefühlsduselig eben. Mal was anderes: Immerhin ist der eine Schunkelheini mit Bruce Willis verwandt. So etwas kann nicht jeder vorweisen!«, konterte Silke, um den Dialog voranzutreiben, der ihre Energie wieder auflud.

»Gliems Schwiegermutter ist die Cousine von Willis’ Mutter Marlene und die haben das Herzilein und seine Familie sogar mal besucht«, erinnerte sich Silke. Klatschzeitungen las sie in Wartezimmern bei Ärzten.

»Oh, na dann, Bruce, der Hübsche, der Schönste aller Schönen«, schwärmte sie, besann sich, zuckte dabei und rief plötzlich kreischend:

»Bruce ist verwandt – mit Herzilein? Da liegt ein Defekt in der genetischen Übertragung vor! Und überhaupt: wieso verwandt? Die Schwiegermutter von dem Klops, nicht seine Mutter, ist die Cousine. Ach egal. Lass uns von der Liebe reden!«, flötete Sandra in versuchter Alt-Tonlage einer Opernsängerin.

»Erzähl mal!«, forderte Sandra sie auf.

»Wovon?«, stellte sich Silke dumm.

»Wovon schon?«, verdrehte die Freundin ihre Augen. »Von dem attraktiven Mann, den du bei der Party aufgegabelt hast.«

Aufgegabelt! Was für ein Ausdruck.

»Na hör mal, er hat eher mich aufgegabelt, besser gesagt ›aufgelabert‹«, wehrte sich Silke.

»Egal, wie ist er so?«

Silke erzählte von den ersten zwei Begegnungen. Zum Schluss kam sie zu der Spucke an den Mundwinkeln und dass diese schnell eintrocknete, wenn er mal paar Minuten nicht sprach. Sandra schüttelte sich und meinte:

»Vielleicht hat er Tollwut?«

Das fand sie so lustig, dass sie sich beim Lachen auf die Schenkel klopfte. Hoffentlich brach sie sich nicht die Knochen.

»Tupf doch vor dem Küssen seine Mundwinkelchen ab, so wie eine Mama ihrem Kleinkind den Mund nach dem Essen säubert«, schlug sie vor. Grundgütiger! Ein Mann, der sich von einer Frau im Gesicht herumwischen ließ, hatte definitiv die Kontrolle über sein Leben verloren. Das wusste doch jeder, der sich mit Beziehungen beschäftigte. Genauso, wie kein Mann seiner Frau zum Geburtstag oder zu Weihnachten Haushaltsgeschirr schenken sollte, denn damit war eins klar: Die Frau war nicht mehr seine Geliebte, sondern die Haushälterin.

»Aber du, wenn er weiter so viel und schnell spricht, hält das ja kein Mensch aus!«

Silke nickte und schien nachzudenken.

»Gut sieht er doch aus, oder? Vielleicht ist er auch gut im Bett? Dann gibt es nur die eine Möglichkeit, und zwar dem Mann den Mund zuzukleben. Fertig«, meinte Sandra trocken, breitete ihre Arme aus, als sei die Sache damit erledigt und zeigte ihr böses Grinsen.

»Probiere ihn aus und du weißt es.«

»Du bist echt blöd!«, schimpfte Silke und musste nun doch lachen.

»I-c-h h-a-b-e K-o-p-f-k-i-n-o!«, rief Silke und drehte sich im Kreis.

Doch das Mittag bereitete sich nicht von selbst zu; sie unterbrachen ihre Flunkereien. Während Silke die gekochten Nudeln in das Sieb goss, naschte Sandra per Dreifingertechnik aus dem Schälchen mit geriebenem Parmesan. Silke klopfte ihrer Freundin auf die Hand.

»Du bist wie Julian, der hat das auch immer gemacht und wie bei dir landeten haufenweise Krümel auf dem Tisch. Vom Schälchen bis zum Mund ist es schließlich eine ordentliche Strecke. Ich hasse das!«, schimpfte sie und wischte mit dem Lappen gleich die verlorenen Krümel weg. Mit vollem Mund gackerte Sandra:

»Na ja, du hasst alles, was nicht klinisch rein ist. Ich wette, heute wurde schon dein Glastisch geputzt und die Spiegel im Bad und was weiß ich noch alles.«

Das stimmte. Und zwar alles. Sie wollte Harry und Martina schließlich nicht mit Staubwolken und Schlieren begrüßen. Aber das wollte sie Sandra nicht erzählen.

»Trotzdem, hör auf. Und außerdem: Mit vollem Mund spricht man nicht!«

Sandra rieb sich gehorsam die Hände über dem Waschbecken sauber und schluckte den Käse runter.

»Ja, Mama«, sagte sie, deutete eine leichte Verbeugung an und deckte den Tisch. Beim Essen schwiegen sie eine Weile.

»Ich könnte jeden Tag Nudeln essen«, meinte Sandra begeistert.

»Na, das wäre auch vorteilhaft für dich.«

Silke sah ihr Gegenüber an und biss sich auf die Unterlippe. Musste das sein? Sie wusste von ihren Essstörungen, das war kein Spaß. Es gab immer noch zu viele, die daran starben. Aber die Freundin nahm es gelassen.

»Vielleicht mache ich das bald, paar Kilos könnte ich schon noch vertragen. Das meinte auch mein Schmetterling.«

Schmetterling? Silke rollte die Augen. Jetzt ging es los. Hoffentlich war der blaue Elefant noch zu haben. Sie wusste, Sandra erwartete Fragen. Beim Abräumen also tat sie genau das.

»Schmetterling, hm? Feiner Kosename. Ist sie schon geflogen?«

Schönes Wortspiel, fand sie.

»Witzig. Aber ja, könnte man so sagen. Sie flog mit mir ins Universum der Liebe«, rief Sandra im Überschwang.

»Rege du dich noch einmal über die Herzbuben auf, echt mal«, lachte Silke.

»Bist du neidisch? Meine Prinzessin sabbert wenigstens nicht«, foppte Sandra zurück und erntete eine weit herausgestreckte Zunge.

»Ich habe noch nie so einen zarten und doch leidenschaftlichen Sex erlebt wie mit ihr. Mit einer Frau ist das ganz anders als mit einem Mann, das kannst du mir glauben! Eine Frau weiß ganz genau, wo und wie sie die andere berühren muss; sie ist zärtlicher, sensibler, aber nicht weniger …«, scheinbar musste sie nach Worten suchen.

Silke schüttelte sich unübersehbar.

»Na, sag mal, seit wann bitte bist du so prüde? Es geht doch um eine Frau, keinen Mann. Ich erzähle dir schließlich nichts von Schwanzlängen und dergleichen.«

Silke rief: »Aus!«

Sandra grinste schief. »Bin ich ein Hund?«

»Nö, aber bald tot, wenn du nicht aufhörst.«

Sie verstanden sich. Trotzdem wollte Silke nichts mehr hören.

»Bitte, erspare mir die Details«, bat sie.

»Warum denn? Du erzählst mir doch auch von deinen Männergeschichten und wie einer im Bett war und so weiter. Warum darf ich das nicht?«

»Na hör mal, das ist erstens selten genug – ich kann mich an das letzte Mal gar nicht mehr erinnern – und außerdem etwas anderes!«, wehrte sich Silke. Sandra schwieg, sah sie nachdenklich an und sagte nur ein Wort:

»Warum?«

Ein Wort nur, eine Frage. Sandra schwieg noch immer und sah Silke ohne jegliche Regung an. Sie wartete auf ihre Antwort. Es half nichts.

»Na ja, weil es vielleicht ungewöhnlich ist. Ich kenne dich so lange und immerhin warst du einige Jahre verheiratet, hast Kinder mit deinem Ex und bist seit deiner Scheidung nur mit Männern zusammen gewesen, viele One-Night-Stands und …«

Weiter kam sie nicht.

»Und? Vielleicht ist es dir entgangen, aber ich bin nicht die Einzige, der das passiert. Sogar Männer sind oftmals viele Jahre verheiratet, haben Kinder mit ihrer Frau gezeugt und fühlen sich dann, gerade im mittleren Alter, zu Männern hingezogen. Meistens war diese Neigung schon immer vorhanden. Männer drücken das nur häufiger weg als Frauen. Sie schämen sich.«

Sandra hatte sich mit dem Thema offenbar auseinandergesetzt.

»In mir sind diese Neigungen seit einigen Jahren vorhanden und auch ich habe sie mir zunächst nicht eingestanden. Mit Männern komme ich weder auf mentalem noch sexuellem Gebiet klar. One-Night-Stands, was glaubst du, warum es nur noch solche waren? Ich hätte jederzeit mit Männern nach einer Nacht weiter Kontakt haben können, vielleicht sogar Beziehungen; viele wollten das. Aber ich wollte es nicht. Ich kam mit ihnen nicht mehr klar. Doch sobald ich Diana traf, hat es Klick bei mir gemacht. Ich kann mich mit keinem Mann, mit nicht einem einzigen, so gut unterhalten wie mit ihr und ich rede dabei nicht von Sex, Silke. Was ist daran falsch? Bin ich jetzt unnormal für dich?«

Sandra blieb völlig ruhig und sachlich.

»Du hast recht«, gestand ihr Silke ein. »Ich muss mich nur erst daran gewöhnen, dass du jetzt …«, sie schluckte.

»Dass ich lesbisch bin?«, vollendete ihre Freundin den Satz. Silke nickte beschämt. »Ja, solltest du, denn durch die Begegnung mit Diana ist mir klar geworden, was ich will. Und weißt du, was irre ist? Ich finde immer mehr zu mir, zu meiner alten Energie. Ich esse sogar mehr, ich schlafe besser. Als hätte sich in mir etwas gelöst; als hätte ich mich aus den eigenen Ketten befreit. Ey, deine Freundin Birgit hätte jetzt ihre Freude an mir und könnte an mir ein Exempel statuieren.«

Sandra grinste schelmisch. Das Eis war gebrochen. Die Nase kraus gezogen und mit fröhlichen Augen saß sie auf dem Sessel im Wohnzimmer, die Beine elegant übereinandergeschlagen und der Rücken kerzengerade. War das »ihre« Sandra?

»Ich freue mich für dich, wirklich!«

Silke stand auf, umarmte die Freundin und küsste sie auf die Wange.

»Vorsicht! Nicht, dass ich dich jetzt anbaggere!«

Diesen kleinen, aber freundschaftlichen Seitenhieb genoss Sandra. Silke gab ihr einen leichten Klaps auf den Hinterkopf.

»Erhöht das Denkvermögen!« konterte sie lachend.

»Lass uns doch mal zu viert was unternehmen; du und die Quasselstrippe, Diana und ich. Was meinst du? Das könnte lustig werden.«

»Okay, mal sehen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie lange ich es mit dem Kerl noch aushalte!«

Vom Sessel hochgeschnellt rief Sandra:

»Schlaf doch erst mal mit ihm. Wenn er nicht gut ist, dann schieß ihn ab.«

»Ist ja gut! Ich habe das vorhin schon verstanden«, lachte Silke. Bald verabschiedete sich Sandra. Ihr »Schmetterling« wartete auf sie. Als Silke wieder allein war, machte sie es sich gemütlich, zog eine Schlabberhose an, setzte Kaffee auf und kuschelte sich mit Whiskey auf dem Sofa zusammen.

»Keiner kann so gut schnurren wie du«, flüsterte sie ihm zu. Als hätte der Kater sie verstanden, schnurrte er noch lauter und sie schlief ein.

Das Klingeln ihres Telefons weckte sie. Sie zuckte zusammen, sprang von der Couch und der Kater in einem Satz erschrocken von dannen.

»Sorry«, rief sie ihm zu und er verkroch sich hinter dem Sessel. Nach dem Telefon in der Station angelnd, stürzte sie fast über ihn. Auch das noch!

»Ja, hallo?«, hauchte sie atemlos in den Hörer.

»Hey, Mama, ich bin es, Julian.«

Schon strahlte sie.

»Na hallo, deinen Namen brauchst du aber nicht dazu sagen, ich erkenne dich immer noch an der Stimme«, flunkerte sie. Julian war schrecklich förmlich geworden.

»Ja, ich weiß. Ich wollte mal hören, wie es dir geht.«

Wollte er zum Apfelkuchen essen kommen? Die Zeit kam ihr in den Sinn, als er gerade erst ausgezogen war, um in Berlin zunächst Journalistik zu studieren. Sie hatte ihn so vermisst, dass sie sich oft in ihrem Haus verkroch und weinte. Nix da, das war vorüber. Jetzt war sie eine unabhängige Frau, ja, sie war erwachsen geworden, außer …

»Ja, mein Schatz, mir geht es gut. Sandra war heute da und wir haben zusammen Nudeln mit Pesto gegessen.«

»Ah, Sandra, sie isst? Wirklich?« Silke schluckte.

»Ja, sie isst wieder«, meinte sie kurz angebunden und klang störrisch.

»Das ist gut. Auf ihren Rippen konnte man Klavier spielen«, merkte Julian an. Blödes Bodyshaming. Aber sie selbst war ja darin inzwischen geübt.

»Deshalb rufst du aber nicht an, mein Sohn, habe ich recht? Wie läuft es mit deinem neuen Chef und was gibt es sonst Neues?«, lenkte sie das Gespräch in eine andere Richtung. Ob er ihr das mit dem Professor erzählte?

»Mein neuer Chef ist ein Stinkstiefel. Aber eins muss man ihm lassen: Er ist kompetent, er weiß, was er tut. Und Neues, nun ja, ich gebe jetzt Vorlesungen.«

Sehr gut, er erzählte ihr noch etwas.

»Ja, ich weiß. Ich hatte mal bei dir angerufen und dein Freund sagte mir das.«

»Die alte Quasselstrippe«, lachte Julian. Da kannte er Reini nicht …

»Ich freue mich jedenfalls für dich. Du hast viel erreicht. Wie laufen die Vorlesungen?«

»Ganz gut. Am Anfang bin ich mit Lampenfieber rein und mein Kopf hat geglüht. Aber das wird mit der Zeit immer weniger. Die Studenten ziehen auch gut mit. Ich denke, das ist was für mich. Deshalb …«

Oh, was noch? »Deshalb?«, hakte Silke nach.

»Ja, deshalb habe ich vor zu promovieren.«

Wow! Ihr Sohn ein »Herr Doktor«? Sie setzte sich geplättet hin.

»Mama?«

»Ja, ich bin da. Ich bin nur gerade – begeistert; und ich bin so, so stolz auf dich!«

»Mama, vielleicht wird es Zeit, mal auf dich selbst stolz zu sein? Ohne dich und deine Unterstützung hätte ich es niemals so weit gebracht.«

Tränen. Die kamen einfach so.

»Mama? Bist du noch da?«

Sie schluchzte.

»Ja«, schniefte sie in den Hörer: »Jetzt werde ich im Alter noch sentimental.« Julian lachte auf.

»Im Alter? A-l-t-e-r? Das meinst du nicht ernst, oder? Du glaubst nicht, was beim Mann in dieser Zeit alles passiert!«

Oha! Auch das noch. Der arme Kerl, womit der sich so beschäftigen musste! Aber er wollte es ja so, als er sich während des Journalistikstudiums entschieden hatte, zur Psychologie zu wechseln.

»Wahrscheinlich müsste ich mal eine deiner Vorlesungen besuchen, mein Schatz.«

»Das kannst du gern tun. Komm doch nach Berlin. Hast du nicht bald mal wieder Urlaub?«

Eine gute Idee! Warum war sie nicht von alleine darauf gekommen? Anstatt etwas Vernünftiges zu machen, schloss sie Mondgesichter und Russinnen-Duplikate in Toiletten ein, schaute einem Endfünfziger beim Sabbern zu und überlegte, ob sie ihm vor dem ersten Kuss wie einem Baby den Mund säubern sollte.

»Das ist eine hervorragende Idee, Schatz. Ich rede nächste Woche gleich mal mit meinem Chef. Hoffentlich lässt er seine Arme unten.«

Eigentlich hatte sie den letzten Satz nur denken wollen.

»Wie meinst du das?«

»Sorry, Schatz, aber der Kerl stinkt wie mein Mülleimer, wenn ich den vier Tage stehen lasse!«, beschwerte sie sich.

»Mama, schlimm genug, wenn du deinen Mülleimer vier Tage stehen lässt!«

Eigentor. Gut, dass Julian jetzt in seinem Thema war.

»Es sind zerfallende Proteine, die jedem Menschen eine individuelle Duftnote verleihen, Mama. Wenn er allerdings so schlecht riecht, könnte es an den Bakterien liegen«, klugscheißerte ihr Sohn.

»Das hast du aber sehr vornehm ausgedrückt. Wenn du unter ihm sitzt und er … egal.«

»Er ist gegebenenfalls auch in den Wechseljahren, oder hat er früher schon so unangenehm gerochen?«

Wie nobel: »unangenehm gerochen« sagte ihr Sohn.

»Nein, vor zehn Jahren war er zwar nicht gerade eine Schönheit, aber gepflegt«, räumte sie ein.

»Siehst du, da haben wir es. Aber ich glaube, wenn wir das jetzt weiter besprechen, bin ich wieder im Arbeitsmodus und ich habe heute frei«, bemerkte Julian.

»Ich sage dir auf jeden Fall Bescheid, wann ich Urlaub bekommen kann. An welchen Tagen hältst du denn Vorlesungen?«

»Das ist unterschiedlich. Ruf mich einfach an, wenn du Näheres weißt, und ich schaue nach, okay?«

Das klang plausibel.

»Sag mal, Mama«, begann er und räusperte sich. Bei ihrem Sohn bedeutete dieser Laut, dass ihm etwas unangenehm war.

»Ja?«

Jetzt wurde es interessanter, als über den Achselschweiß ihres Chefs zu reden; das konnte sie ahnen.

»Hast du denn mal jemanden kennengelernt?«

»Du meinst, einen Mann?«

»Ja, was sonst?«

»Na, du hast nur nach ›jemandem‹ gefragt.«

Ein bisschen spitzfindig durfte sie schon bei einem angehenden Doktor der Psychologie werden. Aber sie wollte ihn nicht auf die Folter spannen.

»Ja, habe ich, bei dieser Oldtimer-Ausstellung.«

Sie hörte Julian tief ein- und ausatmen und erzählte ihm, natürlich nur in stark verkürzter Version, von ihrem Abend und Reini.

»Ach, ich dachte schon, du hättest jetzt wirklich eine Vorliebe für alte Autos«, meinte Julian.

»Nein, ich wollte diese Party nur umschreiben. Aber vom Geruch her – Oldtimer riechen ja immer so seltsam nach altem Benzin.«

Sie wusste es, sie konnte ihren Sohn hin und wieder von seinem Ernsthaftigkeitstrip holen. Er lachte. Von ihrer »Toilettenaktion« hätte sie ihm allerdings niemals erzählt, denn er hätte ihr Verhalten umgehend tiefenpsychologisch analysiert und das, das wollte sie nicht wirklich wissen.

»Er spricht schnell? Das kann daran liegen, dass …«

Hätte sie nur nichts gesagt!

»Stopp! Julian, bitte nicht. Du wolltest heute freihaben«, würgte sie seine weiteren Ausführungen ab.

»Stimmt, Mama.« Er lachte.

»Du bist wirklich ein Vollblutindianer!«, witzelte sie.

»Von wem ich das wohl habe?«

Am Ende des Gesprächs war alles gesagt. Bald würde sie zu Julian fahren, der für Besuche bei ihr kaum noch Zeit hatte. Berlin! Sie setzte sich auf ihre Couch und versank in Erinnerungen. Martina. Dort hatte sie gelebt. Dort war sie gestorben. Ralf, der Witwer, hat sich seit dem Tod Martinas nicht mehr hören oder sehen lassen; er schien sich in Luft aufgelöst zu haben.

Türler ve etiketler

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9783956691492
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