Kitabı oku: «Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht», sayfa 2
1.2 Fremdsprachenlehrkräfte und die multilinguale Herausforderung
Die Fremdsprachenlehrkräfte haben hier eine Schlüsselrolle, so Ingeborg Christ (2006: 265). Und zwar soll(te) ihre Aufgabe darin bestehen, die in den jeweiligen Klassen vorhandenen Sprachen (Mutter-, Herkunfts- und Fremdsprachen) beim Erlernen weiterer Sprachen zu berücksichtigen und sie einzubeziehen. Selbst wenn die Lehrkräfte nicht in allen Sprachen Experten sind und sein können, sollten sie sich dennoch für Phänomene anderer Sprachen und Kulturen interessieren und dies in ihren Unterricht einbeziehen, um dadurch die Lernenden an mehrsprachige Kompetenzen heranzuführen und zu unterstützen. Auf diese Weise können vorhandene Fremdsprachenkenntnisse und individuelle Mehrsprachigkeit Anerkennung, Zuspruch und Förderung finden und das Sprachenlernen kann als ganzheitlicher Prozess erfahren werden (vgl. Méron-Minuth 2015 und 2016).
Mit dem Erziehungsziel zu Mehrsprachigkeit sollen junge europäische Bürgerinnen und Bürger additional zu ihrer Muttersprache mindestens zwei (Fremd-)sprachen so weit (er-)lernen, dass die Sprachkompetenzen funktional-pragmatisch und für die Anforderungen ihres späteren Lebensweges ausreichend sind.
Dieses Ziel gilt ebenfalls für die Kinder und Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund: ihre mitgebrachte Mehrsprachigkeit sollten ihnen zugute kommen, indem sie im Unterricht berücksichtigt wird, sowie indem sie
„[…] nicht mehr in partikularen Maßnahmen, sondern in der allgemeinen Pluralisierung der Sprachenordnung, mit positiven Folgen für die gesellschaftliche Wertung ihrer mehrsprachigen Leistungen [herangezogen wird].“ (Stölting 2005: 245f.)
Stölting (2005) sieht eine mögliche Verwirklichung der Integration von Mehrsprachigkeit in das schulische Lernen darin, dass die Institution Schule „[…] unter anderem auch mehrere Sprachen für alle sichtbar und erfahrbar werden lässt“ (Stölting 2005: 246). Dies könne eintreten, so Stölting fortführend, wenn die Schule die Schülersprachen zum Vorschein kommen lässt, „[…] denn aus der Passzugehörigkeit lassen sie sich nicht mit Gewissheit ableiten.“ (Ebd.).
Eine Möglichkeit dafür besteht darin, das auf Initiative des Europarates 2001 entwickelte didaktische Instrument „Europäische Portfolio der Sprachen“ (EPS) einzusetzen (Europarat 2001). Dieses Dokument sammelt in strukturierter und anschaulicher Weise schulische und außerschulische Spracherfahrungen, die auf unterschiedliche Art gemacht wurden, und die demnach die eingeschlagenen, reflektierten Lernwege und -erfolge eines jeden einzelnen Lerners belegen (vgl. BLK Verbundprojekt 2009).
1.3 Lehrerrolle und Pädagogisches Handeln
Wie lässt sich die europäische Sprachenpolitik in Bezug auf Mehrsprachigkeit und Plurilinguismus der einzelnen Schülerinnen und Schüler auf den Fremdsprachenunterricht übertragen?
Boeckmann (2012: 1) spricht an, was ein zentrales Problem der Forderung nach größtmöglichem Plurilinguismus europäischer Bürger in der Praxis für Lehrende darstellt: In der Regel werden Lehrende des Muttersprachenunterrichts weniger umfassend darin ausgebildet, Unterricht in einer Zweitsprache zu geben als Fremdsprachenlehrkräfte, und sie sind deshalb auch weniger darauf eingestellt, das plurilinguale Repertoire von Lernenden weiter zu entwickeln. Dementsprechend muss der Mehrheitssprachenunterricht mehr leisten als der Erstsprachenunterricht (vgl. Boeckmann et alii 2011).
Die Berücksichtigung der von den Schülerinnen und Schülern mitgebrachten Sprachen, die offiziell weder Teil des Muttersprachen- noch des Fremdsprachenunterrichts sind, stellt die Lehrkraft vor eine schwierige Herausforderung. Es ist wahrscheinlich, dass die Lehrkraft selbst bei weitem nicht alle von den Lernenden beherrschten Sprachen selbst zu sprechen in der Lage ist. Dennoch, könnte die Lehrperson die Heterogenität ihrer Lerngruppen als pädagogische Chance wahrnehmen (vgl. Reich 2006: 5), so ließen sich zum Beispiel bestimmte Grammatikphänomene auf andere Sprachen übertragen und die Schülerinnen und Schüler, in ihrem jeweiligen, individuellen Lernprozess, könnten so gezielt als „Experten“ in die Lehre miteinbezogen werden (vgl. Boeckmann et alii 2011). Reich (2006) betont, wie dienlich es für eine erfolgreiche Unterrichtsführung ist, die persönlichen Lernfortschritte jedes einzelnen Schülers zu berücksichtigen:
„Der Unterrichtserfolg kann in heterogenen Gruppen nicht allein durch das Erreichen der allgemeinen Lernziele definiert werden. Es werden zusätzlich die individuellen Lernfortschritte miteinbezogen.“ (Reich 2006: 5)
Dies gilt gleichermaßen sowohl in Situationen mit einer Mehrheitensprache als Unterrichtssprache und einer mitberücksichtigten Minderheitensprache, als auch im Fremdsprachenunterricht, in dem Lernstrategien und Sprachphänomene aus anderen Sprachen einbezogen und im Sinne eines differenzierten Lernens nutzbringend in das Unterrichtsgeschehen implementiert werden können (vgl. beispielsweise Hufeisen & Neuner 2003; Boeckmann et alii 2011).
Stellvertretend für die Vielzahl an vorgeschlagenen Maßnahmen zur Förderung der Mehrsprachigkeit im (Fremdsprachen-)Unterricht soll hier ein Beispiel kurz skizziert werden, das einen breit angelegten, grundsätzlichen und theoretischen Ansatz darstellt: Castelotti, Coste und Duverger (2008) schlagen sieben operationalisierbare Prinzipien für Mehrsprachigkeit im Schulkontext vor, die im Folgenden exemplifiziert und erörtert werden:
« Premier principe: Du plurilinguisme limité à certaines situations, souvent à connotation élitiste, au plurilinguisme pour tous. » (Castelotti, Coste & Duverger 2008: 14)
Mehrsprachigkeit muss dabei eine regelmäßige Erfahrung im Unterrichtsgeschehen werden; des Weiteren muss sich ein Demokratisierungsprozess in diesen Situationen realisieren. Eine stetige Integrierung verschiedener (Neben--)Sprachen im Unterricht ermöglicht es, auf die höheren Ziele der Schule abzuzielen, insbesondere auf das Konzept der Inklusion und der sozialen Zusammengehörigkeit.
« Deuxième principe : Du plurilinguisme négligé des répertoires des apprenants et de la communauté proche à un plurilinguisme inclusif reconnu et valorisé par l’école. » (Castelotti, Coste & Duverger 2008: 14)
Nur wenn die gesamte Sprachenvielfalt in einer Lerngruppe gleichermaßen im Rahmen des Unterrichts gewürdigt wird, kann Mehrsprachigkeit als Katalysator für Wertschätzung und Zusammenhalt fungieren. Allen Sprachen und Kulturen im Unterricht Bedeutung zuschreiben heißt zugleich Unterschiede anzusprechen, zu tolerieren und letztendlich schätzen zu lernen. Dies gilt gleichermaßen für in der Schule gelernte Fremdsprachen als auch für Minderheitensprachen, die nur von einigen Schülerinnen und Schülern beherrscht werden und normalerweise nicht Teil des Unterrichts sind.
« Troisième principe: De l’apprentissage de différentes langues vers une éducation langagière générale ouverte à la diversité linguistique et culturelle et aux enseignements plurilingues. » (Castelotti, Coste & Duverger 2008: 14)
Sprachenlernen sollte nicht getrennt nach einzelnen Sprachen verlaufen, sondern gemeinsam als Lernen verschiedener Sprachen auf gemeinsamer Basis geschehen. Fremdsprachen sollen dabei im Grunde wie die Muttersprache behandelt werden, was dadurch der Sprachen- und Kulturvielfalt zu Gute käme. Das präzise Vorgehen hängt aber stark von der jeweiligen Lerngruppe und den Sprachen ab. Die Grundlage dafür stellt das vierte Prinzip dar.
« Quatrième principe: De l’enseignement cloisonné de différentes langues vers une conception holistique des enseignements langagiers. » (Castelotti, Coste & Duverger 2008: 15)
Sprachvermittlung sollte zunächst immer eine ganzheitliche Idee der Vermittlung von Sprache sein, und nicht von vorn herein nur in Einzelsprachen als abgeschlossenes System gedacht werden. Der Transfer von Sprachlernstrategien und grundsätzlichen Kenntnissen von Sprachsystemen vereinfacht ein ganzheitliches Lernen von mehreren Sprachen. Zentral für diese holistische Herangehensweise sind bekannte Prinzipien der Didaktik wie integrierte Sprachendidaktik, Förderung des Sprachbewusstseins, Öffnung anderen Kulturen gegenüber, Austausch zwischen den Sprachen und ihren Sprachgemeinschaften.
« Cinquième principe: D’une politique linguistique centrale à des politiques linguistiques partagées et donc partiellement décentralisées. » (Castelotti, Coste & Duverger 2008: 15)
Aus den ersten vier Prinzipien ergibt sich das fünfte: Sprachenpolitik sollte nicht zu sehr im großen Maßstab gedacht, sondern die allgemein akzeptierten, sprachenpolitischen Prinzipien lediglich auf den jeweiligen lokalen Fall angewendet und entsprechend adaptiert werden. Dies scheint zunächst den Ideen des Europarates zu widersprechen. Dabei handelt es sich bei genauerem Hinsehen aber vielmehr um die direkte Umsetzung der Forderung nach Mehrsprachigkeit, wenn lokal unterschiedliche (Minderheiten-)Sprachen unterschiedlich viel Gewicht und Bedeutung im Unterricht bekommen, je nach dem jeweiligen Umfeld.
« Sixième principe: De la logique de l’ajout de langues au curriculum à celle d’un curriculum intégré des langues. » (Castelotti, Coste & Duverger 2008: 15)
Lehrpläne sollten stärker auf das Sprachenlernen im Allgemeinen ausgerichtet werden. Es macht für die im Folgenden zitierten Autoren mehr Sinn, Sprachenlernen so weit wie möglich als eine Einheit zu betrachten, und nicht kategorisch nach Sprachen zu unterscheiden. Die Präsenz anderer Sprachen im stetigen Verlauf des Unterrichtens würde auch das Sprachverständnis im Allgemeinen und die Mehrsprachigkeit im Konkreten fördern.
« Septième principe: D’une vision du style « tout et tout de suite » à une politique linguistique réaliste « des petits pas ». » (Castelotti, Coste & Duverger 2008: 15)
Das letzte Prinzip bezieht sich auf das Ideal einer Lernspirale, die pas à pas in kleinen Happen das Sprachenlernen fördert und nicht mit zu viel Inhalt jegliche Motivation seitens der Lernenden verhindert. Im Fall der geforderten Mehrsprachigkeit bedeutet dies zugleich, ein gesundes Gleichgewicht zwischen zu vielen Sprachen und Inhalten und zu wenig Bezug auf andere Sprachen zu finden. Kurz gefasst der bekannte Satz von Butzkamm (1989) einmal anders: „So viel wie möglich, so wenig wie nötig“. Denn Plurilinguismus und Mehrsprachigkeit dürfen nicht zu einem alles überschattenden Credo werden (vgl. auch die Kritik von Maurer unter anderem in Kapitel 8).
1.4 Aufbau der Arbeit
Insgesamt setzt sich die Arbeit aus acht Teilen zusammen. In der vorliegenden Einleitung (Kapitel 1.1 bis 1.3) wurden die intrinsischen Beweggründe der Forscherin sowie die Ausgangssituation der vorliegenden Studie skizziert.
Darauf aufbauend beginnt das zweite Kapitel mit theoretischen Grundlagen des Konzepts der Mehrsprachigkeit und dessen Bedeutung für den institutionellen Fremdsprachenunterricht. Hierzu wird zunächst auf (grundlegende) sprachen- und bildungspolitische Diskurse in Europa eingegangen (Kapitel 2.1). Es folgt ein Überblick aus der Literatur über begriffsklärende und konzeptuelle Dimensionen der Zwei- und Mehrsprachigkeit (Kapitel 2.2) sowie der gesellschaftlichen und individuellen Mehrsprachigkeit (Kapitel 2.3 und 2.4), die für die Arbeit relevante (Teil-)Aspekte darstellen. Vor dem Hintergrund dieser Definitionen werden im darauffolgenden Unterkapitel das Konzept der Mehrsprachigkeitsdidaktik, ihre Ansätze und Projekte wie: integrierte Sprachdidaktik, Interkomprehension und EuroComRom sowie zentrale Zielsetzungen vorgestellt (Kapitel 2.5 bis 2.5.4). Besonderes Augenmerk wird anschließend sowohl auf die unterrichteten Schulfremdsprachen als auch die lebensweltlich erworbenen Sprachen gerichtet, da die vorhandenen Sprachkenntnisse ein nicht zu unterschätzendes, abrufbares Potenzial für das Erlernen weiterer Sprachen darstellen (Kapitel 2.5.5 und 2.5.6).
Das dritte Kapitel widmet sich verschiedenen Forschungsansätzen und Konzepten aus der Forschungsliteratur zu subjektiven Theorien, Binnensicht, Einstellungen und Überzeugungen von Fremdsprachenlehrkräften. Deren pädagogisches Handeln in der alltäglichen Berufspraxis spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung und Implementierung gegebenenfalls Nicht-Implementierung der Mehrsprachigkeitsdidaktik (Kapitel 3).
Gegenstand des vierten Kapitels bilden Vorüberlegungen zum Forschungsparadigma und die Vorstellung des empirischen und qualitativen Forschungsdesigns, das explorativ-interpretativ verortet ist. Derzeitige, gesellschaftliche Veränderungen in Form von Migrationsgeschehen und -wellen und Zuwanderungsbewegungen, die sich seit der Datenerhebung aus den Jahren 2011 und 2012 ergeben haben und in der vorliegenden Studie nicht berücksichtigt werden konnten, werden erörtert und diskutiert (Kapitel 4.2). Danach werden Forschungsfragen und das Erhebungsinstrument vorgestellt (Kapitel 4.3 und 4.4). In einem anschließenden Unterkapitel wird die Auswertung verbaler Daten aus mündlichen Befragungen zur Diskussion gestellt (Kapitel 4.5). Das vierte Kapitel schließt mit Angaben zur Durchführung der Studie (Kapitel 4.6), den verwendeten Transkriptionsregeln (Kapitel 4.7) und dem Auswertungsverfahren auf der Basis der qualitativen Inhaltsanalyse (Kapitel 4.8) ab.
Die nächsten zwei Kapitel (Kapitel 5 und 6) stellen die Feldarbeit umfassend dar und inkludieren Lehrerinterviews zu ihren Einstellungen und zu ihren Erfahrungen im Umgang mit Mehrsprachigkeit im täglichen Schulkontext.
Zunächst werden im fünften Kapitel Vorüberlegungen zur Vorstudie, zu ihrer Genese und den Interviewpartnerinnen und -partnern ausführlich vorgestellt und analysiert (Kapitel 5.1 bis 5.3). Daraufhin werden die erhobenen Antworten in Haupt- und Neben-Kategorien ausdifferenziert. Die so dargestellten Ergebnisse und erste Befunde können bereits Einblicke in Einstellungen und Attitüden von Fremdsprachenlehrkräften gewähren, die relevant für die Durchführung der Hauptstudie und die verwendeten Fragenstrategien sein werden (Kapitel 5.4 und 5.5).
Das sechste Kapitel entwickelt die Äußerungen der Interviewpartnerinnen und -partner der empirischen Hauptstudie mit der Darstellung und Auswertung von insgesamt zwölf Lehrerporträts. Um die Auswertung möglichst transparent und nachvollziehbar zu gestalten, werden die Aussagen und Explikationen einer der von mir interviewten Fremdsprachenlehrkräfte exemplarisch beleuchtet und ausgelotet (Kapitel 6.1). Gleich im Anschluss daran erfolgen die Einzelfalldarstellungen und -auswertungen der Interviews weiterer elf Lehrkräfte (Kapitel 6.2 bis 6.12).
Anschließend wird im siebten Kapitel der Schwerpunkt auf der Gesamtauswertung der Ergebnisse der Lehrerinterviews liegen. Zusätzlich zu den individuellen Äußerungen und Einstellungen der Fremdsprachenlehrkräfte zu ihrem pädagogischen Handeln werden ebenfalls bildungspolitische, fachdidaktische und theoretische Diskurse in den Blick (zurück) genommen. Hierzu wird das Kategorienraster verfeinert und die Gesprächsinhalte entlang von Unterkategorien systematisiert. Abschließend wird versucht, das interindividuell Gemeinsame der Einstellungen der Lehrkräfte aus der Untersuchung in Form von abschließenden Thesen und Ergebnissen zusammen zu bringen (Kapitel 7.7) und zuzuspitzen.
Die Studie schließt im achten Kapitel mit einem Ausblick auf Forschungsdesiderata und weiterführende Fragestellungen für die universitäre Lehrerausbildung sowie notwendige, potenzielle Ansatzpunkte für zukünftige Studien (Kapitel 8).
Ein Europa von Polyglotten ist kein Europa von Menschen, die viele Sprachen perfekt beherrschen, sondern im besten Fall eines von Menschen, die sich verständigen können, indem jeder die eigene Sprache spricht und die des anderen versteht, ohne sie fließend sprechen zu können, wobei er, während er sie versteht, wenn auch nur mit Mühe, zugleich ihren « Geist » versteht, das kulturelle Universum, das ein jeder ausdrückt, wenn er die Sprache seiner Vorfahren und seiner Tradition spricht. (Umberto Eco 1994: Die Gabe an Adam, S. 355)
2. Historischer Exkurs und theoretische Grundlagen zum Konzept der Mehrsprachigkeit
Mehrsprachigkeit wird in Europa im Zuge der europäischen Sprachenpolitik seit Jahrzehnten gefordert und gefördert.
Zu Beginn dieses Kapitels gilt es zunächst, auf den Themenkomplex Mehrsprachigkeit im europäischen Kontext einzugehen, auf Basis dessen sich auch die bildungspolitischen und fremdsprachendidaktischen Forderungen nach einer Mehrsprachigkeit im schulischen Bereich ableiten lassen. Da es das Ziel der vorliegenden Arbeit ist, festzustellen, ob und inwiefern die Einstellungen einer Gruppe von ausgewählten Fremdsprachenlehrenden den genannten sprachenpolitischen Zielen entsprechen und somit der gymnasiale Fremdsprachenunterricht in Deutschland der Forderung Europas nach Mehrsprachigkeit gerecht werden, und die Herkunftssprachen der Schülerinnen und Schüler in das Unterrichtsgeschehen integrieren kann, ist ein historisch-sprachenpolitischer Überblick notwendig.
Daran anknüpfend werden aus der Fachliteratur einleitend die Terminologie der Zwei- und Mehrsprachigkeit und in der Folge Ausführungen zu der gesellschaftlichen und individuellen Mehrsprachigkeit einer näheren Untersuchung unterzogen, die für die vorliegende Studie relevante (Teil-)Aspekte darstellen. Anschließend werde ich für die vorliegende Untersuchung gemäß verschiedener Diskurse aus der Forschung eigene Aspekte meines Verständnisses von Mehrsprachigkeit entwickeln.
Vor dem Hintergrund dieser Definitionen wird darauf das Konzept der Mehrsprachigkeitsdidaktik, ihre Ansätze und Projekte samt zentralen Zielsetzungen geschildert. Ein besonderer Blick wird an- und abschließend sowohl auf die unterrichteten Fremdsprachen des Gymnasiums als auch auf die lebensweltlich erworbenen Sprachen gerichtet, wobei der Fokus auf das Potenzial eben dieser vorgängig gelernten Sprachen und ihre Bedeutung für den Fremdsprachenunterricht gerichtet wird.
2.1 Europäische Sprachen- und Bildungspolitik und Mehrsprachigkeit
Im Folgenden wird zunächst ein theoretischer Umriss des Begriffs Sprachenpolitik im Allgemeinen und der europäischen Sprachenpolitik im Besonderen entwickelt werden, um dann im weiteren Verlauf die knapp sechzigjährige Geschichte der gemeinsamen europäischen Sprachenpolitik, die zentralen Ziele und konkreten Auswirkungen für den Fremdsprachenunterricht darlegen zu können.
Was versteht man unter Sprachenpolitik? In einem ersten Schritt grenzen einige allgemein gefasste Definitionen den Begriff etwas ein. Bußmann (1990) sieht als Sprachenpolitik
„[…] [p]olitische Maßnahmen, die auf die Einführung, Durchsetzung und Bestimmung der Reichweite von Sprachen zielen. [Dazu zählt auch die] [p]olitische Sprachregelung. [Sie ist ein] Eingriff in den Sprachgebrauch, meist durch staatliche Stellen und mit dem Ziel, bestimmte Bewusstseinsinhalte zu wecken oder zu unterdrücken.“ (Bußmann 1990: 713)
In diesem Sinne ist Sprachenpolitik die Ausübung staatlicher Einflussnahme auf den Sprachengebrauch und die Sprachenverwendung in einem Land oder einer Region. Sprachenpolitik kann zudem als politisch motivierter Eingriff in die sprachliche Situation einer Gesellschaft verwendet werden:
„Sprachenpolitik sieht sich der Problematik gegenüber, mindestens zwei oder mehrere Sprachen in einem Staat in ein Gleichgewicht zu bringen.“ (Haarmann 1988: 1661)
Die Möglichkeit des Missbrauchs der Sprachenpolitik für andere politische Ziele liegt auf der Hand: insbesondere sprachlichen Minderheiten gegenüber (vgl. dazu die „Charta der Regional- und Minderheitensprachen als Gegenentwurf des Europarates“, Europarat 1992). In einer Stellungnahme von 2005 hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) auf die vielfach missachteten Minderheitensprachen in Europa hingewiesen:
„In Frankreich haben die Verfassungsgerichte die Ratifizierung der Charta der Regional- und Minderheitensprachen und damit auch die Anerkennung der Vielsprachigkeit des Landes abgelehnt. Eine Umfrage unter 380000 französischen Staatsbürgern ergab, dass statistisch betrachtet 26 Prozent oder 11,5 Millionen Staatsbürger Frankreichs eine andere Sprache als die französische sprechen. Etwa zur Hälfte ist dies eine Minderheitensprache und zur Hälfte die eines anderen Landes. Im Dezember 2002 hat der Staatsrat entschieden, dass Französisch die einzige Unterrichtssprache ist. Diese Entscheidung hat Viele enttäuscht, insbesondere in der Bretagne, wo zahlreiche Modellschulen zweisprachig in bretonisch und französisch unterrichten. Auch andere Gegenden sind betroffen, so erhalten 8679 Schüler eine zweisprachige Erziehung mit Elsässisch, 3509 in Okzitanisch und 766 in Kalatanisch. Diese Entscheidung bedroht diese Sprachen in ihrer Existenz, insbesondere wenn man das Profil der Angehörigen von Minderheitensprachgruppen bedenkt. Mehr als die Hälfte aller, die Bretonisch sprechen, sind älter als 65 und 75 Prozent älter als 50.“ (Gesellschaft für bedrohte Völker 2005: ohne Seitenangabe)
Das Zusammenspiel von Sprachen in einem Land und seiner Gesellschaft (Sprachengemeinschaften) spielt eine wesentliche Rolle bei der Identitätsbildung. Die Sprachenpolitik ist, laut Louis-Jean Calvet (1996) im folgenden Zitat (Übersetzung durch die Verfasserin), die Sprachplanung, die sich in der Bestimmung der bedeutenden Entscheidungen bezüglich der Beziehungen zwischen Sprachen und Gesellschaft und ihrer konkreten Umsetzung manifestiert:
« […] détermination des grands choix en matière de relations entre langues et société […] » [et sa] « mise en pratique. » (Calvet 1996: 3)
Sprachenpolitik reguliert das Miteinander der Sprachen durch Sprachpflege ebenso wie Sprachförderung. Seit den Anfängen des zusammenwachsenden Europas nach dem zweiten Weltkrieg wird eine gemeinsame europaweite Sprachenpolitik politisch gewollt und vorangetrieben. Zwei große Institutionen spielen dabei eine wichtige Rolle, es sind die Europäische Union und vor allem der Europarat, die zwei unabhängige Organisationen der internationalen europäischen Politik sind. Während die Europäische Union erst 1951 mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft ihren Anfang nahm, besteht der Europarat, der durch den Vertrag von London gegründet wurde, bereits seit Mai 1949. Die Europäische Union lenkt heute die Geschicke von 28 Mitgliedstaaten (vgl. EU Länder 2017). Im Vergleich repräsentiert der Europarat 47 Staaten in Europa. Die Europäische Union ist seit ihrer Gründung traditionell stärker auf wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgelegt, sie trägt folglich der Mehrsprachigkeit eher formal Rechnung, wohingegen der Europarat schon immer ein Garant für eine starke Sprachen- und Kulturpolitik in Europa war und ist (vgl. hierzu Informationen vom Conseil de l'Europe und der Union Européenne 2007).
Durch den Europarat gegründet befassen sich zahlreiche weitere Unterorganisationen noch detaillierter mit der Ausrichtung der europäischen Sprachenpolitik. Die „Unité des Politiques Linguistiques“ in Straßburg existiert seit 1957 und ist für die Konzeption und Koordination der Sprachpolitik des Europarates federführend.
Bereits in der Gründungsphase des Europarates (1949) und der Europäischen Gemeinschaft wurden die Wichtigkeit der Sprachenfrage erkannt und grundsätzliche Regelungen vertraglich festgehalten. Seit 1957 war der Gedanke der europäischen Mehrsprachigkeit immer wieder ausdrücklicher Bestandteil von Gründungs- und Vertragstexten der Europäischen Gemeinschaft bzw. der Europäischen Union. In diesem Sinne existiert seither auch eine Kommission zur Mehrsprachigkeit (vgl. u.a. Jostes 2006; Europäische Union 2007; Council of Europe 2007).
Dennoch genießt die Sprachenpolitik größere Aufmerksamkeit seitens des Europarates. Im Rahmen des Schutzes der Menschenrechte in Europa spielt ebenfalls der Erhalt und Austausch der europäischen Sprachen und Minderheitensprachen für die älteste europäische Organisation eine wichtige Rolle (vgl. umfangreiche Darstellung der Sprachenpolitik des Europarats in: Jostes 2005 und 2006). In diesem Zusammenhang ist die „Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“ bedeutsam, wo es in der Präambel aus dem Jahr 1992 heißt, dass die unterzeichnenden Mitgliedsstaaten die jeweiligen Regional- oder Minderheitensprachen schützen werden und begründen dies:
„[…] in der Erwägung, daß es das Ziel des Europarats ist, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern herbeizuführen, um insbesondere die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, zu wahren und zu fördern;
in der Erwägung, daß der Schutz der geschichtlich gewachsenen Regional- oder Minderheitensprachen Europas, von denen einige allmählich zu verschwinden drohen, zur Erhaltung und Entwicklung der Traditionen und des kulturellen Reichtums Europas beiträgt.“ (Conseil de l’Europe 1992; Hervorhebungen im Text)
Bei der Vielzahl der Entwicklungen in der Geschichte der europäischen Sprachenpolitik sind einige Ereignisse besonders hervorzuheben, die weitreichende Folgen bis in den Fremdsprachenunterricht in der Schule haben. Ein erster Meilenstein ist das „Europäische Kulturabkommen“ des Europarates von 1954, das insbesondere das Studium von Sprachen, Geschichte und Landeskunde der Staaten Europas anregen möchte, wie es folgender Auszug aus der europäischen kulturellen Konvention hervorhebt (vgl. u.a. Europarat 1954: 1; Council of Europe 2007):
Each Contracting Party shall, insofar as may be possible,
a encourage the study by its own nationals of the languages, history and civilisation of the other Contracting Parties and grant facilities to those Parties to promote such studies in its territory, and
b endeavour to promote the study of its language or languages, history and civilisation in the territory of the other Contracting Parties and grant facilities to the nationals of those Parties to pursue such studies in its territory. (Council of Europe 2007: 34; Absatzmarkierungen im Text)
Eine erste praktische Umsetzung bedeutete in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) der Artikel 149 des Gründungsvertrags (1957), der im Bildungswesen durch das Erlernen und die Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten in Europa die europäische Einigung institutionell vorantreiben sollte. Ein Jahr später wurden die offiziellen Sprachen der Mitgliedstaaten als gleichberechtigte Amts- und Arbeitssprachen anerkannt. Diese Verordnung gilt als Richtlinie für die weiteren sprachpolitischen Aktivitäten der Gemeinschaft. Ab 1992 ist es jedem europäischen Bürger möglich, den Schriftverkehr mit den europäischen Institutionen in seiner Muttersprache abzuwickeln. Zugleich tritt die „Charta der Regional- und Minderheitensprachen“ in Kraft (vgl. dazu auch Lebsanft & Wingender 2012), die vom Europarat ratifiziert wird und seitdem allgemein als richtungsweisend in Europa erachtet wird.
Seit die Europäische Union gegründet wurde, hat sie immer wieder Fragen zu Sprachen, ihrer Bedeutung und ihrer Förderung thematisiert. Im Vertrag von Maastricht im Jahr 1992 wurden die Entwicklung individueller Mehrsprachigkeit sowie auch das Sprachenlernen – in erster Linie die „großen“ Nationalsprachen der Gemeinschaft – in den Blick genommen. So heißt es in Artikel 126 folgendermaßen:
„Die Gemeinschaft trägt zur Entwicklung einer qualitativ hochstehenden Bildung dadurch bei, daß sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt. Die Tätigkeit der Gemeinschaft hat folgende Ziele: Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen, insbesondere durch Erlernen und Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten.“ (Amtsblatt der europäischen Gemeinschaften 1992: C 191/01)
Im Jahr 1995 verkündet die „Charte Européenne de l’Éducation Plurilingue“ des Conseil Européen des Langues1 als wichtigste Zielsetzung, dass ein Minimum von zwei modernen Fremdsprachen von einer möglichst großen Zahl von europäischen Bürgerinnen und Bürgern erlernt werden soll (vgl. Meißner & Reinfried 1998). In diesem Zusammenhang sei Mehrsprachigkeit innerhalb der Europäischen Union "[…] ein Lernziel von hoher Verbindlichkeit" (Meißner & Reinfried 1998: 11).
Einige Jahre später – im Jahr 2000 – unterzeichnen die Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europarats und der Kommission die „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“, die unter anderem die Achtung der Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen in Europa betont und jegliche Diskriminierung einzelner (Minderheiten-)Sprachen verbietet (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2000, Artikel 21–22). Zwei Jahre später findet ein erster Europäischer Tag der Sprachen statt. Jedes Jahr sollen an diesem Tag aktuelle Fragen zum Thema „Sprache in Europa“ diskutiert werden. Der Ministerrat definierte dann 2002 in Barcelona konsequent das Ziel, dass jeder europäische Bürger seine Muttersprache plus zwei andere Sprachen beherrschen solle, was der Auslöser für eine aktive Förderung (z.B. Sprachprogramme) war (vgl. Kommission der Europäischen Gemeinschaften 2002: 3).
Mit dem europäischen Jahr der Sprachen 2001 setzt sich nach und nach der Begriff der Mehrsprachigkeit durch. Eine im selben Jahr veröffentlichte, wichtige Initiative des Europäischen Rates und richtungsweisende Publikation ist der „Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen“ (GER) (Trim et al. 2001), der für Sprachlehrende und -lernende als umfangreiche Empfehlung zu verstehen ist. Der GER behandelt das Thema des Spracherwerbs, der Sprachanwendung und der Sprachkompetenz von Lernenden. Er stellt überdies den Plurilingualismus ins Zentrum der Reflexion – sowohl als erzieherisches als auch als politisches Projekt – im Dienste und zur Weiterentwicklung der demokratischen verfassten Staaten und ihrer Bevölkerung in Europa (vgl. Europarat 2001: 16).