Kitabı oku: «Herzstolpern», sayfa 5

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„Warum sollten sie?“, protestiere ich. Gleichzeitig kann ich mir schon vorstellen, welchen Anblick ich geboten habe. Schreckgeweitete Augen, krächzende Stimme… „Ich finde es einfach nur peinlich, wenn manche meinen, sich so aufführen zu müssen. Ich würde mich niemals einem Mann derart an den Hals werfen.“

„Auch nicht, wenn du schon ein bisschen angetrunken wärest?“, fragt er neugierig.

Izzy hüstelt nicht eben diskret. Mit erhobenen Augenbrauen schaue ich zu ihr hinüber. Sie kennt diesen Blick der besagt: „Sag jetzt bloß nichts Falsches!“

„Es ist nicht so, dass ich nicht für Spaß zu haben wäre, wenn ich getrunken habe“, beginne ich.

Wenn ich denn mal trinke, denke ich für mich. Unter dem Einfluss von Alkohol zu stehen macht mir nämlich auch Angst.

„Ich finde nur, dass es etwas Billiges an sich hat, wenn man sich dermaßen an einen Mann ranmacht.“

„Da bin ich ganz deiner Meinung“, sagt er zu meiner Überraschung, dann hält er mir die Hand hin. „Kieran MacLaughlin.“

„Lauren Anderson.“ Ich nehme seine Hand in meine. Sie fühlt sich warm, aber trocken an und sein Händedruck ist kräftig, ohne mir die die Hand zu zerquetschen. „Und das ist meine Freundin Izzy McKenzie.“

Er nickt, dann erhebt er sich so plötzlich von seinem Stuhl, wie er gekommen ist und ruckt seinen Kopf zur Bar hinüber, wo nun ein Pärchen steht und verloren um sich blickt.

„Ich muss dann mal was tun. Man sieht sich.“

„Er ist süß!“, quietscht Izzy leise, als er außer Hörweite ist.

„Das ist er nicht“, antworte ich, trotzdem schaue ich zum Tresen, wo Kieran dem Pärchen zwei Gläser Stout zapft und mit ihnen locker darüber plaudert, dass jemand von der Speyside Brauerei im nächsten Monat bei ihnen zu Gast sein wird, um sich mit den Gästen über ihr Bier zu unterhalten und eine Verkostung anzubieten.

„Er hat sich an dich erinnert und wollte wissen, wie es dir geht Das ist süß.“

„Sich nicht an diesen Auftritt zu erinnern, dürfte wohl sehr schwer sein“, gebe ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme zurück. „Nicht alle Tage rennt jemand fluchtartig aus einer Bar, oder?“

„Als Barkeeper hat er sicher schon Schlimmeres erlebt. Aber er hat sich sofort Sorgen um dich gemacht an diesem Abend.“

Ich starre diesen Kieran MacLaughlin noch ein Weilchen länger an. Er unterhält sich mit dem jungen Paar genauso zwanglos, wie eben noch mit Izzy und mir. Sicher, bereits die Mädels vom Jungesellinnenabschied haben bemerkt, dass er gut aussieht und ich kann mich dem auch nicht verschließen. Auf eine kantige, maskuline Art tut er das wohl mit seinem Drei-Tage-Bart. Aber darüber muss ich mir jetzt keine Gedanken machen, es gibt andere Baustellen in meinem Leben.

„Er ist nett“, gebe ich zu, als ich mich wieder Izzy zuwende.

„Nett? Nett ist die kleine Schwester von…“

„Nein, ist es nicht.“, unterbreche ich sie ungehalten. „Nett ist einfach nett. Nicht mein Typ, aber sehr freundlich.“

Als mein Blick zufällig auf die Speisekarte fällt, wird mir erst bewusst, dass ich meine Umgebung wieder ganz normal wahrnehmen kann. Und dass meine Angst plötzlich wie verflogen ist.

Charlotte

Nichts fühlt sich wirklich an. Nicht, als wir meine Sachen in sämtliche verfügbare Koffer und Taschen packen und auch nicht, während der Fahrt von Newcastle nach Edinburgh. Die Häuser hier unterscheiden sich nicht großartig von denen bei uns, dennoch bin ich entschlossen, alles zu hassen.

„Es ist spießig hier.“ Ich betrachte die georgianischen Gebäude, die Seite an Seite die Brunstane Road säumen und verspüre keinen Drang, das Auto zu verlassen.

„Es ist eben ein altes Haus. Und nicht weit vom Strand.“ Mum sieht mich erwartungsvoll, als müsse ich jetzt in Freude ausbrechen, während sie sich abschnallt.

„Ich habe nicht viel für den Strand übrig“, gebe ich zurück.

Als Antwort darauf knallt Dad seine Autotür von außen zu, als wäre er der unglaubliche Hulk. Ich denke, er ist ziemlich erleichtert, wenn er endlich ohne mich nach Hause fahren darf.

Nach meinem Besuch bei Lewis habe ich meinen Eltern sofort mitgeteilt, dass ich doch nach Edinburgh gehe. Beide waren erleichtert, doch während mein Vater die ganze Woche über geradezu verboten gut drauf war, war meine Mum auch häufig traurig und wenn sie glaubte, keiner würde es bemerken, wischte sie sich verstohlen ein paar Tränen weg.

„Bist du auch sicher, dass du alles eingepackt hast?“ Mum fragt das zum hundertsten Mal. Zum hundertsten Mal antworte ich nicht darauf, woraufhin sie einfach weiterplappert. „Naja, ich habe dir ja beim Kofferpacken geholfen, es wird schon alles da sein.“

„Und selbst wenn nicht, wohnen wir nicht gerade Lichtjahre entfernt, Liz.“

Mittlerweile sind wir ausgestiegen. Dad betrachtet Mum genervt über das Autodach hinweg. Es ist der typische Dad-Mum-Blick. Bevor ich mir das weiter antue, hole ich lieber meine Sachen aus dem Kofferraum.

„Liiiiiz! Huhu!“

Ich vergrabe mich hinter dem Kofferraumdeckel, als ich Tante Jeans laute, etwas schrille Stimme höre, die von der Haustür zu uns herüber dringt. Dad tut es mir gleich und taucht ebenfalls tief in den Kofferraum ein, um in der hintersten Ecke eine Tasche von mir zu suchen.

„Die solltest du nicht vergessen“, sagt er, als wäre das enorm wichtig. Dabei hat er auf Tante Jean einfach so viel Lust wie auf eine Vasektomie.

Allerdings hilft das Versteckspiel nicht viel, denn die Koffer und Taschen sind schnell aus dem Auto geholt. Steif stehe ich da, während Tante Jean in einer Wolke aus rosa Chiffon auf uns zueilt, um erst Mum ein Küsschen links und rechts auf die Wange zu drücken und es dann bei Dad und mir gleichzutun. Hinter ihr her tapert Sherlock, der asthmatisch keucht, gefolgt von Onkel Allan, der uns allen nur steif die Hand gibt. Er ist, im Gegensatz zu Tante Jean, nicht so sehr für Körperkontakt, was ihn mir sehr sympathisch macht.

„Da seid ihr ja endlich!“ Der Traum in Rosa breitet die Arme aus und zeigt auf das Reihenhäuschen vor uns. Es sieht ein wenig heruntergekommen aus im Gegensatz zu seinen Nachbarn links und rechts, die anscheinend kürzlich renoviert worden sind. Die Fassade ist schmuddelig, an manchen Stellen bröckelt sie schon.

„Es gab einen Stau kurz vor Edinburgh“, verteidigt sich Mum, obwohl niemand sie angegriffen hat.

„Das Übliche, wenn man Freitagnachmittag irgendwohin fährt“, ergänzt Dad.

„Zum Glück sind Allan und ich schon heute Morgen hergekommen, da war noch alles ruhig.“

„Brian musste noch bis Mittag in der Praxis arbeiten.“ Mum wirft Dad einen vorwurfsvollen Blick zu. Ich bücke mich zu Sherlock hinunter, um ihn hinter den Ohren zu kraulen, damit niemand sieht wie genervt ich bin.

Als ich wieder hochkomme, entdecke ich sie. Lauren. Sie steht im Rahmen ihrer Haustür und sieht zu uns hinüber, macht aber keinerlei Anstalten uns zu begrüßen. Eigentlich wirkt sie so, als würde sie gar nicht hierher gehören, obwohl es doch ihr Haus ist.

„Kommt rein“, fordert uns Tante Jean auf und eilt voraus. Über die Schulter ruft sie noch: „Allan, hilf Brian doch bitte mit dem Gepäck.“

Als Dad und Onkel Allan wie zwei Esel bepackt mit meinen Koffern und Taschen ins Haus gehen und Mum folgen, die schon längst Tante Jean hinterher gehastet ist und nun ihre Cousine begrüßt, bleibe ich neben dem Auto stehen. Vom Meer weht eine kühle Brise die Straße hinauf, die einen salzigen Duft mit sich trägt, der ferne Erinnerungen an Strandurlaube in Spanien mit sich bringt. Das war, bevor Mum und Dad sich gleichgültig wurden und fortan getrennt in Urlaub fuhren – Dad meist mit mir auf irgendeinen Städtetrip und Mum mit ihren Mädels in diverse Wellnesshotels.

„Charlotte?“ Mum sieht mich von der Haustür aus auffordernd an. Ich seufze missmutig. Mein Blick wandert das kleine Reihenhäuschen auf und ab, das ab sofort auf unbestimmte Zeit mein Zuhause sein wird, dann setze ich mich in Bewegung.

Drinnen gibt es den unvermeidlichen Tee. Tee scheint für Erwachsene in jeder Lebenslage die richtige Lösung zu sein, was für mich überhaupt nicht nachvollziehbar ist. Immer und überall gibt es ihn. Wenn eine schwierige Situation zu meistern ist, wird zunächst eine Tasse Tee aufgebrüht und während einer Diskussion ist der Lieblingssatz aller Erwachsenen meines Erachtens: „Lasst uns doch bei einer schönen Tasse Tee darüber reden.“ Als hätte die schon jemals irgendeine Lösung gebracht. Ich habe noch nie davon gehört, aber trotzdem schwören alle darauf.

Ich setze mich an den klobigen Esstisch aus dunklem Holz, der in dem kleinen Erker fast überdimensioniert wirkt und sehe mich um. Alles in diesem Haus scheint alt und reichlich ramponiert zu sein. Fast erwarte ich, dass auf dem durchgesessenen Sofa zehn Katzen liegen, denn alles wirkt genauso, wie ich mir das Heim einer alten, schrulligen, alleinstehenden Lehrerin mit tausend Katzen vorstelle.

„Hi, ich bin Lauren.“

Gut, sie ist keine alte Lehrerin. Aber definitiv alleinstehend und vielleicht auch schrullig.

„Hast du Katzen?“

„Äh… Nein. Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht ist mir in den letzten zehn Minuten eine zugelaufen, da war ich abgelenkt, aber falls dem nicht so sein sollte, dann habe ich keine.“

Sie lächelt dabei nicht, sondern runzelt nur zerstreut die Stirn. Dennoch finde ich Lauren gegen meinen Willen ein bisschen witzig.

„Darf ich mich zu dir setzen?“, fragt sie, dabei ist es doch ihr Haus und ihr Esstisch.

„Tu dir keinen Zwang an.“

„Charlotte!“, ermahnt mich Mum streng. „Sei etwas höflicher zu Lauren.“

„Schon gut.“ Lauren lässt sich auf den freien Platz neben mir sinken. Als sie die Hand nach der Teekanne ausstreckt, bemerke ich, dass sie zittert.

„Ich mache das schon.“ Tante Jean schnappt so schnell nach der Kanne wie ein Piranha nach einem Happen Fleisch. Sie steht, während alle anderen sitzen, bedient einen nach dem anderen, als wäre sie die Gastgeberin. „Es ist so schön, euch alle mal hier zu haben. Lauren, Liz, ihr habt euch sicher schon ewig nicht mehr gesehen.“

„Seit deinem 50. Geburtstag nicht mehr, Mum, das weißt du doch.“

„Ach stimmt, du erwähntest so etwas.“

Endlich setzt sich auch Tante Jean, ihr Stuhl ächzt und wackelt, obwohl sie wirklich alles andere als dick ist.

„Das ist der Stuhl, der schon ziemlich kaputt ist, Mum.“ Lauren springt auf. „Wir können tauschen, wenn du willst.“

„Nein, nein.“ Tante Jean fuchtelt abwehrend mit der Hand. „Mir macht das gar nichts aus, auf diesem Stuhl zu sitzen.“

Dabei wirft sie Lauren einen solch anklagenden Blick zu, dass allen hier Versammelten klar ist, dass dem nicht so ist. Langsam bilden sich rote Flecken auf dem Dekolleté von Mums Cousine, sodass ihr Hautton sich ihrem hummerfarbenen Shirt anpasst, das sich ohnehin fürchterlich mit ihrer Haarfarbe beißt. Das hier verspricht richtig interessant zu werden.

„Ich bin dir so dankbar für das, was du für uns tust.“ Mum ergreift Laurens Hand, woraufhin diese noch mehr Hektikflecken bekommt. Gut, vielleicht steht sie genauso wenig auf Körperkontakt wie ich. Dann werden wir uns wenigstens in der Hinsicht gut verstehen.

„Das ist schon in Ordnung“, murmelt sie bloß.

„Du hast Charlotte sicher bereits in deiner Schule eingeschrieben, sodass sie gleich am Montag mit dir mitgehen kann“, mischt sich nun wieder Tante Jean ein.

„Ich… äh…“ Lauren stockt, dann räuspert sie sich. „Ich dachte, dass es sich doch gar nicht lohnt, für zwei Wochen noch in die Schule zu gehen. Das Schuljahr endet bereits am 28. Juni. Und Charlotte findet sicher leichter in die Klasse, wenn sie Mitte August startet und wir einfach sagen, sie ist über die Ferien zugezogen. Es gibt weniger peinliche Fragen.“

„Oh.“ Ich sehe Tante Jean an, dass ihr das nicht ganz passt, aber sie kann sich der Logik nicht entziehen.

Auch Mum und Dad wechseln einen raschen, unsicheren Blick, nicken dann aber zustimmend.

„Das ist aus pädagogischer Sicht vermutlich richtig“, meint Dad, dabei reibt er unsicher über sein Kinn.

„Das klingt sehr vernünftig, Lauren“, bestätigt auch Mum. „Auch wenn es sicher trotzdem Fragen geben wird, warum ein junges Mädchen zu einer entfernten Verwandten zieht. Und die Schulleitung wird doch sicherlich von dem Schulverweis der Gosforth Academy wissen.“

„Sicher, aber das regele ich schon mit der Direktorin, sodass die Mitschüler nichts davon erfahren müssen.“ Lauren lächelt. Ein nettes, freundliches Lächeln, das Mum sofort beruhigt. Aber ihre Augen flackern unruhig.

Auch Dad seufzt erleichtert, dabei hätte ich wetten mögen, dass es ihm egal ist, wie es mir auf der neuen Schule geht. Und auch mich durchströmt eine gewisse Erleichterung, dass ich mir um die Schule die nächsten zwei Monate keine Gedanken machen muss. Vor allem nicht über irgendwelche nervigen Mitschüler.

„Vielleicht kann sie ja ein paar Sommerkurse besuchen“, schlägt Tante Jean munter vor. Sie strahlt über das ganze Gesicht ob ihrer guten Idee.

Herrgott, kann sie nicht endlich den Mund halten? Wer ist sie eigentlich, dass sie sich dauernd in unsere Familie einmischt?

„Sommerkurse gibt es an der Portobello High School nicht“, beeilt sich Lauren zu sagen, als sie meinen Blick auffängt. „So etwas machen nur Universitäten, Mum.“

„Wirklich? Ich meine, davon schon gehört zu haben.“ Etwas verwirrt schüttelt sie die blondgefärbten Haare, die fast denselben Ton haben wie Mums.

„Vermutlich in einem dieser amerikanischen Highschool-Filme, die du seit neuestem auf Netflix anschaust“, wirft Onkel Allan ein. Seinem Tonfall ist deutlich anzuhören, was er davon hält, nämlich gar nichts.

Oh Gott, sie ist wirklich ein Klon von Mum. Oder eher umgekehrt angesichts des Alters. Die guckt sich diesen Schrott nämlich auch regelmäßig an und will dann immer, dass ich mir die Filme auch ansehe. Als wenn mich die Pubertätsprobleme anderer interessieren würde. Ich habe genug eigene.

„Ich liebe diese Filme auch“, meldet sich Mum natürlich prompt zu Wort und schon ist sie mit Tante Jean in eine Diskussion darüber verwickelt, welchen sie am besten finden. Es ist, als wollten sie unbedingt die Fassade eines netten Familientreffens aufrecht erhalten.

„Diese Eigenproduktionen von Netflix finde ich ja nicht so gut.“

„Da stimme ich dir vollkommen zu. Es wirkt alles ein wenig steif und konstruiert.“

Als wäre das nicht immer so bei dieser Art von Filmen. Ich meine, wie realistisch ist dieser ganze Blödsinn eigentlich, in dem die Heldin immer ein graues Mäuschen ist, dabei aber natürlich wahnsinnig schlau und auf irgendeine Art und Weise es am Ende schafft, den beliebtesten Typen der Schule zu bekommen? Dabei fällt mir siedend heiß wieder die Situation im Creams mit Damon Roberts ein und alleine bei der Erinnerung daran winde ich mich innerlich.

„Hast du denn schon Girlsclub gesehen?“, fragt Mum gerade.

„Fuck!“, entfährt es mir unwillkürlich. „Merkt ihr eigentlich, was für einen Mist ihr da anschaut? Das ist nicht das wirkliche Leben.“ Auch wenn die Szene im Creams haargenau in einen dieser Teeniefilme gepasst hätte.

Fast gleichzeitig schlagen Mum und Tante Jean die Hand vor den Mund. Ein weiterer Beweis dafür, dass sie Klone sein müssen. Dad zieht die Luft scharf ein und Onkel Allan stellt geräuschvoll seine Teetasse ab. Alle Augen sind nun auf mich gerichtet.

Nur nicht die von Lauren, wie mir auffällt. Die grinst unauffällig in ihren Schoß. Aber ihre Haut ist immer noch ziemlich rotfleckig und ihr Brustkorb hebt und senkt sich hektisch.

„Vielleicht sollten wir noch ein paar Formalitäten regeln“, meint sie schließlich, schiebt ihren Stuhl zurück und steht auf. „Liz, Brian, ich habe einige Vollmachten vorbereitet. Kommt ihr mit in mein Arbeitszimmer?“

Sichtlich erleichtert über die Unterbrechung stehen meine Eltern ebenfalls vom Tisch auf. Onkel Allan murmelt etwas von „Sherlock spazierenführen“ und Tante Jean macht sich geschäftig daran, das Geschirr in die Küche zu tragen. Ich bleibe alleine zurück, was mir nicht ungelegen kommt. Endlich kann ich mein Handy aus der Hosentasche ziehen, auch wenn ich nicht wüsste, wer mir geschrieben haben soll.

Mein Whatsapp zeigt lediglich ein paar neue Nachrichten von Lewis an, die ich ignoriere. Lewis Seymour kann mich mal!

Lauren

Endlich verabschieden sich Ma und Da, dabei steigen sie winkend in ihren Ford. Gleichzeitig verkünden Liz und Brian, dass sie ebenfalls los müssen.

„Wir wollen nicht wieder in irgendeinen Stau geraten“, meint Brian, der verlegen seinen dunklen Bart kratzt, der ein wenig so wirkt, als wolle er mit der üppigen Gesichtsbehaarung das kahler werdende Haupthaar ausgleichen.

Ich weiß genau, dass um diese Uhrzeit nicht mehr mit viel Verkehr in Richtung Newcastle zu rechnen ist, dennoch nicke ich verständnisvoll. Eigentlich bin ich ganz froh, wenn sie endlich weg sind. Aber Charlotte sieht ziemlich erschrocken aus, als ihre Eltern so abrupt ihre Abfahrt ankündigen. Für einen Moment sehe ich ihre verletzliche Seite, als Unsicherheit in ihren Augen aufflackert, doch schnell zieht sie ihre Fassade absoluter Coolness wieder hoch.

„Alles Gute, mein Schatz.“ Liz drückt Charlotte kurz an sich, doch es ist keine besonders innige Umarmung und das Mädchen bleibt völlig steif.

Brian hingegen verzichtet gänzlich auf einen emotionalen Abschied, was mich ein wenig schockiert.

„Hör auf alles was Lauren dir sagt“, meint er nur, hebt die Hand zum Gruß und steigt in sein Auto ein.

Vermutlich stehe ich mit offenem Mund da und sehe wie ein Idiot aus, denn Liz beeilt sich, ihren Mann halbherzig zu verteidigen.

„Er hat es nicht so mit Abschieden. Männer eben.“ Ihr Lächeln ist aufgesetzt.

„Ja, Männer eben.“ Als wenn ich Ahnung davon hätte…

Ich werfe einen verstohlenen Blick auf Charlotte, die in ihrem XXL-T-Shirt völlig zu verschwinden scheint, so klein hat sie sich mittlerweile gemacht, ihre Miene ist eingefroren. Keine Ahnung, warum sie so ein riesiges Oberteil trägt, unter dem man ihre Figur überhaupt nicht erahnen kann. Zumindest sehe ich aber, dass es nicht passt, sondern einfach nur an ihr schlackert.

Liz lässt ihr Fenster hinunter, um noch kurz zu winken, dann fahren sie los. Als sie abbiegen und nicht mehr zu sehen sind, stoße ich Charlotte aufmunternd mit dem Ellbogen in die Seite.

„Wir werden schon miteinander zurechtkommen.“

Dabei bin ich mir überhaupt nicht sicher, ob ich mir selbst glauben soll. Der Nachmittag war eine reine Tortur für mich, bin ich doch von einer nahenden Panik in die nächste gefallen, ohne dass eine Attacke jedoch vollständig ausgebrochen wäre. Jetzt fühle ich mich einfach nur noch ausgelaugt und müde. Und ein Ende meiner Nervosität ist noch nicht in Sicht, denn schließlich habe ich ab heute die Verantwortung für einen Teenager. Ausgerechnet ich.

„Mach dir keine Gedanken, ich werde dir nicht mal auffallen. Ich verbringe gerne Zeit in meinem Zimmer.“ Charlotte blickt immer noch die Straße hinunter, wo das Auto ihrer Eltern eben verschwunden ist. Eine Gefühlsregung ist jedoch nicht erkennbar.

„Hey, apropos Zimmer. Ich habe dir dein Reich noch gar nicht gezeigt.“

Wie ein Sprinter auf den letzten Metern haste ich ins Haus, weil ich es draußen immer unerträglicher finde. Vor allem, da gerade Gail von nebenan nach Hause kommt. Sie ist in meinem Alter, hat einen Mann und zwei kleine Kinder und ich habe das Gefühl, dass sie sich mit mir anfreunden will. Zumindest drängt sie mir zu jeder Gelegenheit ein Gespräch auf, was mir wirklich überhaupt nicht recht ist. Ich brauche keine neue Freundin.

„Komm mit nach oben“, fordere ich Charlotte auf, dann steige ich die knarzenden Stufen hoch, die ebenfalls dringend renovierungsbedürftig wären, wie so vieles in diesem Haus.

Als ich die Türe zu Charlottes Zimmer öffne, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob es Izzy und mir besonders gut gelungen ist. Vielleicht sind wir mit der Farbe Pink ein wenig zu verschwenderisch umgegangen, da Izzy meinte, dass Mädchen darauf abfahren. Wenn ich mir die ganz in Schwarz gekleidete Charlotte ansehe, bin ich plötzlich anderer Meinung.

„Es ist…“ Ich suche nach den richtigen Worten. ‚Girlymäßig‘ würde es am ehesten treffen. Aber erstens bin ich mir nicht sicher, ob es dieses Wort überhaupt noch gibt und zweitens ist Charlotte alles, nur eben das nicht.

„Süß“, meint sie hingegen und das finde ich, trifft es eigentlich auch ganz gut. Wie eines der Edinburgh Rock, die jetzt wieder auf dem Schreibtisch bereitstehen. Ich konnte einige vor Izzy retten und nun liegen die pastellfarbenen Würfelchen wie ein passendes Accessoire da, inmitten eines Traumes in Rosa.

„Es tut mir leid, dass es so… süß ist. Ich wusste ja nicht, was du magst und wie du bist.“

„Da hast du Recht, es passt nicht zu mir. Ich bin nicht süß.“

„Das wollte ich damit nicht sagen.“

„Hast du aber irgendwie. Und es stimmt ja auch. Eine Schulschwänzerin, die man ins Exil verbannt hat, ist ganz sicher nicht süß.“

„Exil?“ Ich muss mir ein Lachen verkneifen. „Edinburgh ist nicht gerade St. Helena.“

„Und ich kein Kriegstreiber wie Napoleon.“

„Dafür, dass du die Schule nicht oft besuchst, kennst du dich in Geschichte zumindest ganz gut aus.“

„Ich lese viel“, gibt Charlotte kühl zurück.

Als wäre es feindliches Terrain, betritt sie vorsichtig ihr neues Zimmer und betrachtet alles misstrauisch. Man muss keine Gedanken lesen können, um zu sehen, dass es ihr nicht sonderlich gefällt. Mir fallen ihre Koffer und Taschen ein, die immer noch im Flur unten stehen.

„Sicherlich wird das alles mehr nach deinem Geschmack sein, wenn du deine Sachen ausgepackt hast. Soll ich dir helfen, deine Koffer hochzutragen?“

„Nein. Das schaffe ich alleine.“ Wenn Blicke töten könnten, wäre ich spätestens jetzt nicht mehr am Leben.

„Es war nur ein Angebot.“ Ich zucke mit den Achseln, tue so gleichgültig wie möglich. Gleichzeitig kriecht Panik in mir hoch – mal wieder.

Was soll ich nur mit diesem Mädchen, das ganz offensichtlich keine Lust darauf hat bei mir zu leben? Was ich durchaus verstehen kann… Gott, was haben sich Ma und Liz bei diesem Plan nur gedacht?

„Ich bin unten und räume auf, falls du mich brauchst“, würge ich hervor, mein Mund eigentlich viel zu trocken um zu sprechen. Dann flüchte ich so schnell wie möglich vor der Situation.

„Was soll ich mit ihr anfangen?“ Zur Sicherheit flüstere ich ins Telefon, obwohl ich mir sicher bin, dass Charlotte mich nicht hören kann.

Wütend stampfend hat sie lautstark ihre Sachen aus dem Flur geholt und nach oben gebracht. Jedes Mal wenn sie nach unten oder oben ging, hatte ich Angst, dass die alte Treppe zusammenbrechen könnte, die bei jedem Gang ächzte. Anscheinend hat sie Lautsprecher in einem ihrer Koffer gehabt, denn mittlerweile dröhnt Musik durch das ganze Haus, weswegen ich mir auch so sicher bin, dass sie mich nicht telefonieren hören kann. Wenn ich jeden Song höre, als würde ich direkt neben der Box stehen, dann muss es in ihrem Zimmer ohrenbetäubend sein.

„Lass sie doch für heute einfach in Ruhe“, schlägt Izzy vor. „Sie muss doch erstmal ankommen und sich an die neue Umgebung gewöhnen.“

„Sie ist kein Hundewelpe.“

„Wo ist denn da der Unterschied? Als wir Joy bekamen, fühlte sie sich anfangs auch extrem unwohl. Schließlich war sie das erste Mal von ihrer Familie getrennt. Aber irgendwann hat sie sich eingelebt.“

„Joy ist ein Spaniel! Charlotte ist ein Teenager und im Gegensatz zu Hunden erinnern sich Menschen an ihre Familie. Sie vermissen sie.“

„Denkst du wirklich, dass sie Eltern vermisst, die es fertigbringen sie einfach wegzugeben?“

„Ich habe dir schon hundert Mal erklärt, dass es so nicht gedacht ist. Es ist eine Art Lektion.“

„Pah!“, höhnt Izzy.

„Ja, schon gut. Ich halte auch nicht viel davon, aber…“

„Aber du konntest dich mal wieder nicht gegen deine Mutter durchsetzen. Wann fängst du endlich an, ihr Kontra zu geben?“

„Was hilft mir das jetzt, Izzy? Soll ich sie anrufen und ihr sagen, was für eine beschissene Idee sie und Liz hatten? Ach ja, und dann bitte ich Liz und Brian als nächstes, ihre Tochter wieder abzuholen.“

Wenn ich dachte, Charlotte hätte die Leistung ihrer Lautsprecher bereits ausgeschöpft, habe ich mich getäuscht, denn die Musik wird noch einen Tick lauter.

„Was sagst du? Ich verstehe dich kaum, Lauren. Kannst du die Musik ein bisschen leiser drehen?“ Izzy schreit fast in den Hörer.

„Das ist nicht meine Musik, sondern Charlottes.“ Genervt schmeiße ich die Wohnzimmertür hinter mir zu, damit das Gedröhne ein wenig abgeschwächt wird.

„Oh! Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Teenager leben ihre Gefühle über Musik aus. Was hört sie denn?“

„Keine Ahnung.“ Ich zucke die Achseln. „Aber es klingt alles ziemlich depri.“

„Das ist gar nicht gut“, meint Izzy alarmiert. „Sie sollte sich nicht in eine Depression hineinsteigern, was in ihrer Situation gut sein könnte.“

Izzy liest leidenschaftlich gerne Psychologieartikel in allen erdenklichen Frauenzeitschriften und hält sich deswegen für eine Expertin auf diesem Gebiet. Nur schade, dass sie bislang noch keinen Bericht über Ängste gelesen hat und mir damit helfen könnte.

„Und was soll ich tun?“ War das nicht schon meine Ausgangsfrage? Ich habe das Gefühl wir drehen uns im Kreis.

„Geh mit ihr etwas essen, oder zeig ihr den Strand. Ihr könntet an der Promenade ein Eis kaufen.“

„Du weißt aber schon, mit wem du sprichst?“

„Es sind nur 200 Meter bis zum Strand. Das schaffst du schon, Lauren.“

An schlechten Tagen schaffe ich es nicht mal zur Haustür hinaus und heute ist ganz sicher einer davon. Aber ich bin es leid, das Izzy immer wieder sagen zu müssen. Wenn ich nur daran denke, dass ich mit Charlotte vor die Tür gehen und dabei auch noch gute Miene zum bösen Spiel machen soll, dreht sich mir der Magen um. Aber das versteht vermutlich niemand, der dieses Gefühl nicht kennt.

„Mädchen lieben den Sonnenuntergang am Meer, das ist so romantisch. Sie fühlen sich dann in einen ihrer Liebesromane versetzt. Sowas wie Twilight.“

Ich bezweifle, dass Izzy Twilight gelesen hat, denn dann wüsste sie, dass das nicht ganz die rosarote Liebesgeschichte ist, die sie sich vorstellt. Und so überhaupt nichts mit Sonnenuntergängen am Meer zu tun hat, sondern eher mit Vampiren und Werwölfen, diesigen Regengebieten und - ja, gut, zugegeben - auch mit der großen Liebe. Die ist allerdings ein wenig schwülstig dargestellt, weshalb sowas für Charlotte wohl eher nichts ist. Vampirgeschichte ja, Liebesschnulze nein. Ich muss ja nur daran denken, wie sie das rosa Zimmer angeekelt betrachtet hat, als würde sie in einen riesigen Erdbeerkaugummi treten, der am Boden liegt und darauf wartet, dass man hineinstolpert und ihn fortan nicht mehr loswird, damit er bei jedem Schritt seinen künstlich süßen Geruch verströmen kann.

Ich merke schon, Izzy ist keine große Hilfe, was Mädchen in der Pubertät betrifft. Oder sollte ich besser sage, was Charlotte betrifft. Das ist nämlich ein Unterschied, wie ich finde. Ich kenne den Durchschnittsteenager, und Charlotte ist keiner.

„Ich überleg mir was.“, versuche ich das Gespräch lahm zu beenden.

Die Wohnzimmertür schwingt geräuschvoll auf, knallt gegen das Bücherregel und lässt eine alte, zerlesene Ausgabe von ‚Stolz und Vorurteil‘ zu Boden fallen, die ich immer lese, wenn ich nicht einschlafen kann. Jane Austen hat etwas sehr Beruhigendes an sich, vor allem in Kombination mit einem Kamillentee.

„Hast du vielleicht Powerstrips im Haus?“ Charlotte hebt eine ihrer hübschen schwarzen Augenbrauen, die ein wenig zu buschig sind, gerade deshalb aber ihre Augen so ausdrucksstark machen. Sie schreit, denn anders können wir uns nicht verständigen. Ein stampfender Beat und Gitarren treiben ein ansonsten eher ruhiges Lied vorwärts, bis es im Refrain seinen Höhepunkt erreicht.

„Klar, ich gebe sie dir“, rufe ich ihr zu, dann schreie ich in den Hörer: „Ich muss Schluss machen, Izzy. Charlotte braucht mich.“

„Alles klar“, brüllt sie zurück und bevor ich auflege höre ich noch, wie sie mir zuruft: „Hey, das ist ja Shawn Mendes!“

Okay, ich habe eine Sache richtig gemacht. Ich habe ein Poster von einem Star aufgehängt, den Charlotte gerne mag (ja, ich weiß, es war eigentlich Izzy). Deshalb durfte Shawn Mendes wohl auch über ihrem Bett hängenbleiben. Ansonsten erkenne ich mein Gästezimmer nicht wieder. Nur zu sagen, es ist schwarz, würde es nicht ausreichend treffen. Es ist nicht nur alles schwarz, sondern es ist auch düster. Und damit meine ich dunkel. Und ein bisschen deprimierend.

Das Fenster ist mit einem schwarzen Tuch verhangen, das meine Nachbarn vermutlich für einen Trauerflor halten würden. Zum Glück geht es aber zum Garten raus, sodass es niemand sieht. Überhaupt hat Charlotte eine beinahe exzessive Vorliebe für Schwarz. Ihr Bettbezug ist schwarz mit kleinen schnörkeligen silbernen Ornamenten darauf. Überall sind schwarze Kerzen aufgestellt, die Izzys kleines Chiffontüchlein über der Lampe brandtechnisch völlig in den Schatten stellen. Und sogar ein schwarzer Langflorteppich ist auf dem Boden ausgerollt, von dem ich mich frage, aus welchem Koffer sie den hervorgezaubert hat. Auf dem Schreibtisch liegen sämtliche Bücher von ‚Vampire Diaries‘, was meine Vermutung bestätigt, dass Charlotte auf Vampirgeschichten steht. Ich weiß zu wenig darüber, um sagen zu können, ob auch hier eine schwülstige Liebesgeschichte im Vordergrund steht, bezweifle es aber.

„Danke für die Powerstrips.“ Sie nimmt mir die Packung aus der Hand und macht sich daran, ein Poster aufzuhängen.

„Oh, ‚Vampire Diaries‘ wurde wohl auch verfilmt.“, sage ich nur dümmlich, als ich das Poster betrachte. Ich habe wirklich so gar keine Ahnung.

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