Kitabı oku: «Herzstolpern», sayfa 4

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Charlotte

„Ich gehe ganz sicher nicht zu einer wildfremden Frau in das beschissene Edinburgh!“ Ich höre, wie sich meine Stimme überschlägt. Sie ist laut, kreischend und unangenehm in meinen eigenen Ohren, was sich völlig falsch anfühlt. Ich habe mir schon vor einiger Zeit das Schreien abgewöhnt und spreche eigentlich nur noch betont gelangweilt mit Erwachsenen.

„Portobello“, korrigiert meine Mutter, ihre Stimme ist leise, unsicher, so als wisse sie, dass sie mit ihrem Vorhaben ganz sicher nicht die Auszeichnung ‚Supermum‘ gewinnen wird. „Das ist ein netter Vorort von Edinburgh. Außerdem ist Lauren keine Fremde, sondern meine Cousine.“

„Du wirst überhaupt nicht gefragt.“ Dad klingt wesentlich entschiedener. So, als sei er richtig froh, dass er mich bald loswird. Und vermutlich ist er das auch.

„Tante Jean meinte, es sei die beste Möglichkeit.“

„Seit wann mischt sich Tante Jean in unser Familienleben ein?“, fauche ich wütend und trete einen Schritt auf Mum zu, die sofort zurückweicht.

„Schluss jetzt!“ Dad drängt sich nun zwischen uns, als wolle er sie vor mir beschützen. Also bitte, als würde ich ihr jemals etwas tun… Ein wenig bestürzt realisiere ich, dass sie das vermutlich wirklich denken.

Vor mir treten meine Eltern immer als geschlossene Front auf, was ich total nervig finde. Ich meine, ich weiß, dass sie nicht immer einer Meinung sind, ich höre sie schließlich abends oft streiten. Auch wenn sie denken, dass ich das nicht mitbekomme, weil sie die Wohnzimmertür schließen. Als wenn das ein ausreichender Schutz gegen neugierige Teenager wäre… Ich kann alles hören, was ich will und alles ignorieren und so tun, als wäre es nicht zu meinen Ohren vorgedrungen, was ich nicht hören möchte. Ich glaube, das ist für die meisten Jugendlichen kein Problem, da bilde ich keine Ausnahme.

„Auch wenn Tante Jean meint, es wäre gut für mich…“, setze ich an, werde aber sofort von Dad unterbrochen.

„Nicht nur Tante Jean meint das, sondern auch wir“, verbessert er mich, während er sich neben Mum stellt. Wieder diese geschlossene Einheit, die sie schon seit Jahren eigentlich nicht mehr sind. Es ist lächerlich, wie sie krampfhaft etwas demonstrieren, von dem vermutlich jeder weiß, dass es nicht existiert.

„Dann eben ihr“, versetze ich genervt. „Völlig egal. Denn ich werde nicht gehen.“

Ich habe endlich meine Coolness wiedergefunden, meine Stimme gehorcht mir wieder. Meine Augen blitzen – so hoffe ich – feindselig, meine Stimme klingt aber völlig kalt, als ich meinen Blick zwischen Mum und Dad hin und her gleiten lasse.

„Doch, das wirst du.“ Es gelingt meinem Vater tatsächlich, äußerlich ungerührt zu bleiben und sich nicht aufzuregen. „Wir sind nicht länger gewillt, deine schulischen Eskapaden mitzumachen.“

„Wir brauchen wirklich professionelle Hilfe“, ergänzt Mum, dabei knetet sie unbehaglich ihre Hände.

„Oh, dann kann ich ja froh sein, dass es kein Heim für schwererziehbare Kinder geworden ist.“ Ich erinnere mich noch gut an die Unterhaltung nach meinem Schulverweis. „Und für ein Internat reicht das Geld dann vermutlich doch nicht aus“, ergänze ich noch bissig.

Es ist eine Genugtuung zu sehen, wie Mum und Dad sich einen schuldbewussten Blick zuwerfen, als hätte ich sie auf frischer Tat ertappt.

„Meine Cousine Lauren arbeitet in einer Schule in Portobello mit Kindern deines Alters. Sie weiß ganz genau worauf es ankommt und wird dir helfen, dich in deiner neuen Schule einzuleben. Außerdem soll es ja nicht für immer sein.“ Mum lächelt aufmunternd so gut sie kann; es wirkt nicht echt und sie sieht dabei ziemlich nervös aus.

„Für wie lange wollt ihr mich denn loswerden?“, frage ich geradeheraus.

Mum besitzt wenigstens so viel Anstand, rot anzulaufen und entsetzt die Augen aufzureißen, wohingegen Dad völlig kühl bleibt und nur bedächtig nickt.

„Das kommt ganz auf dich an, Charlotte. Wenn du dich dort gut machst, bin ich mir sicher, dass wir bald eine neue Schule in Newcastle für dich finden.“

Ich fühle mich plötzlich ziemlich müde und spüre, dass ich dieser Unterhaltung nicht mehr gewachsen bin. Es wäre einfach, zu beteuern, dass ich alles tun werde, um in meiner neuen Schule nicht anzuecken, wenn sie mich bloß nicht wegschicken. Irgendein kleiner Teil in mir will ihnen das sagen, der größere ist dafür aber zu erschöpft. Deswegen drehe ich mich ohne ein Wort um, gehe in den Hausgang und schnappe mir meinen Rucksack, der am Treppengeländer hängt.

„Wo gehst du hin?“ Mums Stimme klingt panisch, als würde sie meinen, ich würde einfach hier rausmarschieren und auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Aber ich bin viel zu müde um zu antworten. Müde, weil ich mich wieder wie der unartige Welpe fühle, der jetzt einfach an eine andere Familie weitergegeben wird. Immerhin ist es nicht das Tierheim…

„Ich kenne diese Tussi überhaupt nicht“, ereifere ich mich mit neugewonnener Energie, als ich auf dem Hochflorteppich in Lewis‘ Zimmer auf und ab marschiere. „Ich meine, woher soll ich wissen, ob ich sie überhaupt mag? Wobei ja eigentlich schon klar ist, dass ich sie nicht leiden kann. Sie ist immerhin Lehrerin!“

Der zehnminütige Weg zu den Seymours hat mein Gehirn von dem dichten Nebel befreit, der sich kurzzeitig dort festgesetzt und mich mit dieser bleiernen Müdigkeit befallen hatte. Jetzt fühle ich nur heiße Wut und tiefe Verachtung für meine Eltern.

„Scheiße“, murmelt Lewis zum wiederholten Male. Etwas anderes hat er bislang nicht gesagt.

„Das kannst du laut sagen.“ Ich kicke gegen einen riesigen Pikachu aus Plüsch, den ich letztes Jahr auf dem Rummel für Lewis gewonnen habe. Auch wenn ich seine Begeisterung für Pokémon-Go total lächerlich finde. „Ich meine, was soll der Scheiß eigentlich? Sie wissen nicht was sie tun sollen und geben ihre Verantwortung einfach an jemand anderen ab. Was sind denn das für Eltern?“

„Dieses Mal hast du es dir wirklich versaut.“

„Scheiße!“, sage ich und zwar richtig laut und deutlich.

„Was soll ich denn hier ohne dich machen?“, fragt Lewis. „Ich habe mich mit dem Gedanken mittlerweile angefreundet, dass du auf eine andere Schule gehst. Aber gleich eine andere Stadt?“

„Ich gehe nicht. Sie können mich schließlich nicht zwingen, oder?“ Ich bleibe vor Lewis stehen, der auf seinem Schreibtischstuhl sitzt und mit den Rollen nervös vor und zurück fährt. „Könntest du das deinen Onkel nicht mal fragen? Er arbeitet doch bei einem Rechtsanwalt oder sowas in der Art.“

„Hm.“ An der Art, wie er sich jetzt am Kinn kratzt, merke ich, dass er ein wenig verlegen ist.

„Was ist?“, frage ich deswegen, meine Stimme klingt nun aggressiver als beabsichtigt.

„Meine Eltern sind gerade nicht besonders gut auf dich zu sprechen. Eigentlich wollen sie gar nicht, dass ich mich mit dir abgebe.“

„Dann hat sich mein Schulverweis also schon herumgesprochen.“

„Gosforth ist ein Dorf.“ Lewis zuckt die Achseln, dann kratzt er sich wieder so umständlich am Kinn. „Meine Mum kommt jeden Moment vom Einkaufen wieder und…“ Der Satz bleibt unvollständig in der Luft hängen.

Aber ich weiß genau, was er mir sagen will. Ich weiß, wann ich unerwünscht bin.

„Ich soll gehen, bevor sie kommt. Nicht wahr?“ Jetzt klinge ich genau so aggressiv, wie ich es will.

„Du darfst nicht denken, dass ich das will. Aber meine Eltern sollen nicht mitbekommen, dass wir uns weiterhin treffen.“

Er sieht total unglücklich aus, wie er so zu mir hochsieht, die grüngesprenkelten Augen viel zu groß hinter den Brillengläsern. Er streicht sich nervös durch das kurze, braune Haar.

„Keine Angst, sie werden schon nichts mitbekommen“, ätze ich. Ein Kloß hat sich in meinem Hals gebildet, der mir fast die Luft zum Atmen nimmt. Aber ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr geweint und ich werde ganz sicher nicht wegen Lewis Seymour und seinen beschissenen Eltern damit anfangen. „Vielleicht ist es nämlich doch keine so schlechte Idee, nach Edinburgh zu gehen. Dann musst du keine Geheimnisse vor deinen Eltern haben, denn wir werden uns nicht mehr sehen.“

„Charlie…“ Er steht auf, bleibt unsicher vor mir stehen.

„Und ich dachte, dass wenigstens du mein Freund wärest“, sage ich leise, schneidend. Meine Stimme ist hauchdünn, aber dennoch rasiermesserscharf. Ein Glück, dass ich gelernt habe, sie unter Kontrolle zu halten.

„Ich bin dein Freund.“ Er greift vorsichtig nach meinem Shirt, als wolle er sich an mir festhalten, aber ich stoße seine Hand weg.

„Fass mich nicht an!“, fauche ich wie eine angegriffene Katze. Genauso geschmeidig drehe ich mich um und laufe auf die Tür zu.

„Charlie, bleib! Bitte!“

Aber ich drehe mich nicht mal um, geschweige denn, dass ich stehenbleibe. Zum zweiten Mal an diesem Tag fühle ich mich ausrangiert, ausgemustert und ich will nicht, dass es weh tut, aber das tut es trotzdem. Mit aller Gewalt würge ich die Tränen hinunter, die in mir aufsteigen, dann renne ich die Treppen im Hause der Seymours hinunter, zur Haustür hinaus auf die Straße. Es scheint, als wäre Davonlaufen mein Lebensinhalt. Warum dann nicht nach Edinburgh?

Weder meine Eltern, noch Lewis wissen, was sie mit mir anfangen sollen und nach dem peinlichen Auftritt vor Nell Jenkins und Damon Roberts ist es mir sowieso ganz willkommen, dass ich aus Gosforth fliehen kann.

Ich spüre meine Traurigkeit, die hart wie ein Tennisball in meiner Brust festsitzt, wo sie zwar schmerzt, nach außen aber keine Verletzbarkeit mehr anzeigen kann. Und das ist gut so.

Dieses Mal hast du es gründlich versaut.

Lewis‘ Stimme ist plötzlich in meinem Kopf; unwillkommen.

Ach ja?, höhne ich. Vielleicht habe ich es dieses Mal genau richtig gemacht und alle sind besser dran ohne mich.

Lauren

„Natürlich hätte ich einfach sagen können, dass ich nicht mehr an der Portobello High arbeite“, sage ich, während ich eine hübsche Sommerbettwäsche auf mein Gästebett aufziehe. „Aber damit hätte ich ja eine Lüge enttarnt, die ich seit einem Jahr aufrechterhalte.“

„Es wäre die Gelegenheit gewesen, damit Schluss zu machen“, hält Izzy dagegen, die mir dabei hilft, das seit ewigen Zeiten ungenutzte Zimmer wohnlich zu gestalten und zwei Poster aus einer Jugendzeitschrift hochhält. „Justin Bieber oder Shawn Mendes?“

„Keiner von beiden, wenn du mich fragst.“ Ich verdrehe die Augen.

„Es geht hier nicht um deinen Geschmack, sondern wen ein fünfzehnjähriges Mädchen toll finden könnte.“

„Das weiß ich doch nicht!“ Ich raufe mir verzweifelt die Haare. „Ich kenne Charlotte noch nicht mal. Okay, ich habe sie an Mums 50. Geburtstag gesehen, aber da war sie ein kleines Mädchen mit adretten Zöpfen und einem süßen Spitzenkleidchen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht mehr ist, nach allem, was mir Mum erzählt hat.“

„Hast du denn schon mit deiner Cousine telefoniert?“

„Ja. Aber ich habe sie nicht nach dem Musikgeschmack ihrer Tochter gefragt, falls du das wissen willst.“

„Findest du es nicht reichlich merkwürdig, dass sie ihre einzige Tochter einfach weggibt?“

„Sie gibt sie nicht weg.“ Gegen meinen Willen verteidige ich Liz. Dabei schüttele ich energisch das Bettzeug auf, lege es ordentlich gefaltet auf das Bett und streiche es glatt. Ich bin sehr sorgsam und gründlich dabei, was ich sonst nie bin, aber es lenkt mich von meiner Nervosität ab. „Ich habe es eher so verstanden, als wollten sie und ihr Mann Charlotte einen kleinen Denkzettel verpassen. Sie wissen nicht, warum sie nicht zur Schule gehen will. Und auch die Schulpsychologin hatte keinen Rat für sie – zu der Charlotte allerdings nur einmal ziemlich widerwillig gegangen ist.“

„Aber der Plan, den sich deine Mutter so geistreich ausgedacht hat, kann nicht aufgehen, Lauren. Weil du nämlich gar nicht mehr an der Portobello High arbeitest.“

Izzy hat sich mittlerweile für Shawn Mendes entschieden und nagelt sein Poster über das Bett. Ich nehme mir den Spiegel über der Kommode vor, den ich so blank poliere wie noch nie, seit ich hier wohne. Es ist das Zimmer, das ich mit meinen Eltern immer bewohnt habe, wenn wir den Sommer bei Tante Mhairi verbrachten und alles ist mir vertraut und lieb. Auch als ich von Dumfries hierher zog, um in Edinburgh zu studieren, wohnte ich zuerst in diesem Zimmer, bis Tante Mhairi in meinem dritten Studienjahr starb. Ihr Schlafzimmer ist der einzige Raum, den ich im ganzen Haus renoviert habe, als ich dort einzog. Denn einerseits vermisste ich sie schrecklich und wollte ihr gerne nahe sein, weswegen ich auch ihr Zimmer bezog, doch andererseits hätte ich es nicht ertragen, dort in ihrem Bett zu schlafen.

„Hoffentlich wird sich Charlotte in diesem Zimmer so wohlfühlen, wie ich früher“, meine ich und streiche verträumt über die glattpolierte Oberfläche der Kommode.

„Hallo? Jemand zuhause?“ Mit den Händen wedelnd steht Izzy nun vor mir. „Ich hoffe doch, dass du deinen Eltern und deiner Cousine die Wahrheit sagen wirst. Und dann wird Charlotte hier womöglich gar nicht mehr einziehen. Damit hättest du zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Erstens hättest du es dann endlich hinter dich gebracht, deinen Eltern zu sagen, dass du nicht mehr als Lehrerin arbeitest. Und zweitens müsstest du dann nicht eine pubertierende Göre bei dir aufnehmen, die dir vermutlich nichts als Schwierigkeiten bereiten wird.“

In mir bildet sich schon wieder dieser schmerzende Knoten, der eine unangenehme Übelkeit aufsteigen lässt. Ich versuche ihn wegzudrücken, weiß aber genau, dass das nicht geht.

„Das kann ich nicht, Izzy. Ich kann meinen Eltern nichts von meinen Ängsten erzählen. Und das müsste ich, wenn ich ihnen sage, dass ich nicht mehr als Lehrerin arbeite.“

„Warum? Sag ihnen einfach, dass du etwas anderes machst, was dich mehr ausfüllt. Und das wäre die reine Wahrheit.“

Obwohl Izzy nicht begeistert ist, dass die Tochter meiner Cousine bei mir einzieht – sie meint, ich hätte so schon genug Probleme und damit hat sie absolut recht -, dekoriert sie mit Feuereifer weiter. Eine Ausgabe des Magazins von Top of the Pops legt sie auf das Nachtkästchen, über die danebenstehende Lampe hängt sie ein Chiffontuch.

„Brandgefahr“, sage ich nur knapp.

„Ich habe in diesem Zimmer auch schon gewohnt, Lauren. Und ich hatte immer ein Tuch über diesem hässlichen Ding, wenn du dich erinnerst.“

Sie geht einen Schritt zurück, als müsse sie zwischen sich und die Lampe – ein Original aus den 60er-Jahren – einen gewissen Sicherheitsabstand bringen. Zugegeben, sie ist unfassbar hässlich, aus Messing mit einem Lampenschirm aus dickem Kristallglas.

„Es hat nie gebrannt.“, gibt sie zu bedenken und sieht mich triumphierend an.

„Das stimmt.“, gebe ich mich geschlagen. Das zentimeterdicke Kristallglas wird mit Sicherheit verhindern, dass das Tuch zu heiß wird.

Es stimmt mich wehmütig wenn ich daran denke, wie es war, als Izzy hier gewohnt hat. Wir kannten uns von der Uni und als ich das Haus von Tante Mhairi erbte, war ich einsam, Izzy hingegen suchte eine Bleibe in Edinburgh und Umgebung, da sie jeden Tag von Perth pendelte.

„Dieses Haus hat damals ein paar ziemlich geile Partys erlebt.“

„Oh ja“, seufzt Izzy. „Unsere Partys waren legendär.“

„Das kommt mir vor, als wäre es in einem anderen Leben passiert.“ Ich starre in den Spiegel, den ich so schön geputzt habe. Ich bin nicht mehr das Mädchen Anfang Zwanzig, das wilde Feiern mit Alkohol und jeder Menge Jungs veranstaltet; das will ich auch gar nicht mehr sein. Aber ein wenig vermisse ich die unbekümmerte Seite an mir. Die, die Angst überhaupt nicht gekannt hat.

„Das kommt nicht nur dir so vor.“ Izzy lässt sich mit mürrischer Miene auf den Stuhl vor dem Schreibtisch sinken. „Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal auf einer wilden Party war. Die langweiligen Essen bei Rorys Eltern kann ich wohl kaum mitzählen, ebenso wenig die steifen Veranstaltungen, zu denen ich immer mitgehen muss, um das Familiengeschäft zu repräsentieren.“

„So schlimm?“ Ich vergesse für einen Moment meine eigenen Sorgen, weil Izzy so gequält dreinblickt.

„Noch schlimmer. Ich möchte mich in kein Cocktailkleid mehr quetschen, nur um dann keinen Happen mehr essen zu können. Wer entwirft diese Dinger nur so verdammt eng um den Bauch herum? Und dann wird man von den Damen aus den diversen Golfclubs ständig gefragt, wo man das Kleid gekauft hat und von welchem Designer es ist. Als hätte ich Ahnung davon…“ Sie wirft einen bedeutungsvollen Blick auf ihre Skinnyjeans mit riesigen Cut Outs am Knie und ihr Tanktop – ihre bevorzugte Kleidung.

Es ist nicht so, dass Izzy sich für Klamotten nicht interessiert, sie mag es nur eben gerne praktisch. Das war schon immer so, weshalb ich auch nie so ganz verstanden habe, wie sie und Rory zu einander finden konnten. Er ist vielleicht kein Modefreak, aber er läuft immer nur in Markenkleidung herum, bevorzugt Ralph Lauren.

Rorys Eltern sind nicht direkt reich, aber auch nicht unvermögend. Sie haben ein Geschäft für exklusive Golfkleidung in North Berwick und verkehren deswegen in ziemlich guten Kreisen. Ich habe keine Ahnung von Golf, deshalb weiß ich auch nicht so genau, was sie dort verkaufen und warum es so exklusiv ist. Ich habe nur ab und zu solche Fetzen wie ‚Cabrettaleder‘ oder ‚atmungsaktives Piquégewebe‘ aufgeschnappt und nur Bahnhof verstanden. Aber ich kann mir vorstellen, dass sie mit ihrem Laden in einem Golfparadies wie East Lothian ein gutes Geschäft machen. Allerdings habe ich den Verdacht, dass Izzy im Grunde genauso wenig von dem Ganzen versteht wie ich. Und das ist ganz und gar nicht gut.

„Schön und gut, wenn du nicht über Designermode reden kannst, das muss ja nicht unbedingt sein. Aber hast du denn Ahnung von den Sachen, die ihr verkauft?“

„Ich verkaufe sie nicht.“ Izzy verschränkt demonstrativ die Arme und schiebt die Unterlippe vor. „Das machen Rory und seine Eltern.“

Okay, sie hat also keinen blassen Schimmer von dieser ganzen Golfgeschichte. Ich meine, ich weiß ja, dass Izzy ein wunderbarer Mensch ist und eigentlich wundert es mich auch nicht, dass Rory das sofort erkannt hat, als sich die Beiden in einer Bar in Glasgow kennengelernt haben. Aber wenn sie irgendwo nicht hinpasst, dann in die spießige Welt des Golfs. Und Rory… Was soll ich sagen? Er ist die personifizierte spießige Welt des Golfs mit seinen Polohemden, den über die Schulter gehängten Strickpullis, seinen adrett gebügelten Hosen und den teuren Segelschuhen, die er so gerne trägt. Davon ab ist er aber ein wirklich toller Mensch, der für seine Freunde alles geben würde. Auch das letzte Polohemd.

„Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich mit der Welt, in die du hineingeheiratet hast, auch mal beschäftigst.“ Ich lege Izzy liebevoll einen Arm um die Schultern

„Das habe ich ja versucht.“ Sie sieht zu mir hoch, verdreht die Augen und auch wenn das Thema gar nicht lustig ist, muss ich gegen meinen Willen lachen.

„Das hast du nicht ernsthaft. Es ist dir nämlich zutiefst zuwider und deswegen gehst du es erst gar nicht an. So war das schon immer. Erinnerst du dich an den Einführungskurs an der Uni? Du hattest überhaupt keine Lust hinzugehen, weil du dich lieber gleich ins Studium reingehängt hättest. Du warst so selten da, dass ich dachte, sie würden dich von der Uni werfen.“

Izzy grinst bei der Erinnerung daran von einem Ohr zum anderen. Sie hat die meiste Zeit, die sie nicht beim Studieren war, im Bett mit so einem Möchtegernrockstar namens ‚Harrycane‘ verbracht. Wie sein Name vermuten lässt, war er eine Granate zwischen den Laken, aber ansonsten nicht die hellste Kerze auf der Torte.

„Du hast ja Recht“, gibt sie schließlich zu und knabbert verlegen an einem Stückchen Edinburgh Rock, die ich in eine Schale auf dem Schreibtisch gestellt habe. Die klebrige pastellfarbene Süßigkeit ist typisch schottisch und soll ein Willkommensgruß für Charlotte sein. Wie gut, dass der Supermarkt um die Ecke alles liefert. Und wie dumm, dass ich vergessen habe, dass Izzy die Dinger liebt. Ich ziehe die Schale vorsichtshalber zu mir.

„Rory wäre dir sicher dankbar, wenn du dich ein wenig für sein Geschäft interessieren würdest. Besuch ihn doch einfach mal im Laden, frag ihn ein bisschen aus.“

„Es gibt nichts, was mich weniger interessiert“, jammert Izzy, dabei fischt sie erneut ein Edinburgh Rock aus der Schale, die ich nun rigoros an mich nehme. „Naja, außer vielleicht ein Bericht über Nagelpilz und Hornhaut an den Füßen. Wusstest du, dass Rorys Mutter total auf medizinische Sendungen steht?“

„Izzy!“

„Na gut! Ich werde deinen Rat befolgen und Rory ein bisschen über das ausfragen, was er da so macht.“

„Ihr seid seit einem halben Jahr verheiratet und schon zwei Jahre zusammen. Hättest du das nicht schon längst tun sollen?“

„Hätte ich vielleicht, aber irgendwie bin ich bisher auch ganz gut so durchgekommen. Allerdings wird es langsam auf diesen ganzen Partys ein wenig peinlich, wenn mich die Leute in ein Fachgespräch verwickeln wollen. Letztens wollte eine der Damen über Handschuhe aus Cabrettaleder reden und ich meinte nur, dass ich mich mehr für Ciabatta interessiere. Seltsamerweise fand sie das nicht besonders witzig.“

Ich finde das gar nicht so schlecht. Zumindest ist es eine sehr schlagfertige Antwort, wenn auch nicht besonders hilfreich.

„Rorys Eltern sind, denke ich mal, ziemlich enttäuscht von der Wahl ihres Sohnes“, bekennt Izzy. „Aber dann hätte er eben keine Biologin heiraten sollen, sondern eine der unzähligen Tussis, die ihm hinterherlaufen. Selbst jetzt noch, wo wir verheiratet sind, lassen ihm die ledigen Mädels aus den diversen Golfclubs keine Ruhe.“

„Umso mehr solltest du dich in diese Sache reinhängen. Das würde eine meiner Heldinnen machen, wenn sie in der Situation wäre.“

In meinen Büchern verkörpern meine Protagonistinnen immer Stärke und Mut, gehen keiner Aufgabe aus dem Weg. Vielleicht sind sie so, wie ich gerne wäre.

„Aber Rory ist doch nicht enttäuscht von dir, oder?“, frage ich vorsichtig und nehme die letzten Putzarbeiten in Angriff.

„Nein“, antwortet Izzy, erhebt sich vom Stuhl und rückt alles auf dem Schreibtisch gerade. Die Schale mit den Süßigkeiten holt sie von der Kommode, wo ich sie kurzfristig abgestellt hatte, um sie wieder dort zu platzieren, wo sie ursprünglich war. Jedoch nicht, ohne sich noch ein kleines rosa Rock in den Mund zu schieben. „Rory lacht mich meistens aus, wenn ich mal wieder keine Ahnung habe, aber er ist mir deswegen nicht böse. Allerdings betont er immer wieder, wie sehr er meine Unterstützung bei Geschäftsessen und Partys braucht und ich denke, es wäre eher kontraproduktiv, wenn ich mich von dem Ganzen noch mehr zurückziehe. Deswegen werde ich das tun, was du sagst und in die Welt des Golfs eintauchen. Hey, vielleicht macht mir das am Ende sogar richtig Spaß!“

Ich lache kurz auf, es klingt etwas ungläubig. Aber als gute Freundin sollte ich mehr an Izzy glauben. Dann sehe ich mich im Zimmer um, das mittlerweile sehr wohnlich aussieht, sogar für einen Teenager.

„Gute Arbeit, Mrs. McKenzie“, lobe ich Izzy.

„Das kann ich nur zurückgeben. Auch wenn ich dich dringend darum bitte, dieses Mädchen nicht hier einziehen zu lassen. Ich denke, jetzt haben wir uns eine Stärkung nach getaner Arbeit verdient.“

„Ich könnte uns schnell etwas kochen.“

Große Lust habe ich keine. Ich fühle mich nach der ganzen Putzerei ziemlich erschöpft. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mir meine Angst auch jegliche Energie geraubt hat, selbst kleine körperliche Aufgaben sind mir schon zu viel.

„Du willst dich doch nicht jetzt hinstellen und zu kochen anfangen!? Ich dachte eher, wir gehen einen Happen im Dalriada essen, das ist doch nicht weit.“

„Auf gar keinen Fall!“, protestiere ich sofort, mir wird heiß und kalt zugleich. „Nach dem letzten Besuch dort kann ich nicht mehr hingehen.“

„Komm schon, ich habe dir doch eine gute Ausrede für deine Flucht besorgt und außerdem wird sicher nicht derselbe Barkeeper wieder da sein. Und du schuldest mir einen Besuch, schließlich wollte ich schon gestern auf einen Wein mit dir hingehen.“

Ich spüre ein Flattern in meinem Brustkorb, meine Atmung beschleunigt sich kaum merklich. Am liebsten würde ich mich jetzt zuhause verkriechen, selbst Izzys Anwesenheit ist mir dann zu viel. Aber urplötzlich sehe ich Dr.Walker vor mir, spüre seine Hand auf meiner Schulter.

Sie müssen sich dem stellen, was Sie nervös macht.

„Na gut“, gebe ich nach. „Gehen wir.“

Samstagmittag gibt es im Dalriada immer eine Kleinigkeit zu essen und es ist deswegen meist ziemlich voll, aber heute ist der Himmel wolkenverhangen und ab und zu öffnet er seine Schleusen für einen Platzregen, weshalb nicht viele am Strand unterwegs sind. Die Bar ist fast leer, als Izzy und ich sie betreten und wir haben so gut wie freie Wahl bei den Tischen.

Wir entscheiden uns für einen Platz an einem riesigen Erkerfenster mit Blick auf das Meer. Ich bin nervös, das kann ich nicht leugnen. Alleine der Weg hierher war aufregend und ich habe mich mit sinnlosem Geplapper über meinen neuen Roman abgelenkt. Doch jetzt bin ich fast ein wenig stolz, dass ich hier sitze, das Blatt mit den Speisen in der Hand. Zwar verschwimmen die Buchstaben vor meinen Augen, sodass ich nichts lesen kann, aber ich bin hier.

„Was kann ich euch bringen?“ Ein junges, kaugummikauendes Mädchen Anfang Zwanzig steht plötzlich neben unserem Tisch.

Ich kann mir ein lautes Aufatmen nicht verkneifen. Ich hatte wirklich die Befürchtung, dass der Barkeeper von neulich da sein könnte. Was noch eine zusätzliche Herausforderung bedeutet hätte.

„Ich nehme erstmal nur ein Wasser“, beeile ich mich zu sagen. „Wegen dem Essen schaue ich noch.“

„Ich nehme ein Magners Birne und die Suppe des Tages“, meint Izzy schnell entschlossen.

Suppe des Tages! Es wäre zu einfach gewesen das zu sagen, dafür muss ich nicht mal die Karte lesen können. Aber anstatt dem gelangweilt kauenden Mädchen hinterher zu rufen, dass ich das Gleiche nehme, starre ich weiter auf das Blatt in meinen Händen.

„Zwischen was schwankst du? Vielleicht kann ich dich ja beraten.“

„Ähm… zwischen mehreren Sachen“, lüge ich, mein Herz beginnt zu rasen.

Wieso kann ich Izzy nicht einfach sagen, dass ich keine Ahnung habe, was da auf dem Blatt steht, denn meine Augen spielen mir einen Streich, wie sie es manchmal tun, wenn ich aufgeregt bin. Außerdem fällt es mir schwer, mich zu konzentrieren. Dr. Walker hat mir schon mehrfach versichert, dass Sehstörungen bei Panikattacken nicht außergewöhnlich sind, da man in einem Zustand permanenter Anspannung ist. Das verursacht Muskelverspannungen, gerade im Hals- und Kopfbereich. Ich hatte ja eher auf einen Tumor am Sehnerv getippt.

Unauffällig kreise ich mit dem Kopf, schiebe den Kiefer hin und her, um die Verspannung zu lösen. Dabei habe ich das Gefühl, mich immer mehr zu verkrampfen, weil ich nicht möchte, dass Izzy Verdacht schöpft. Auch wenn sie meine beste Freundin ist, will ich sie nicht ständig mit meiner Krankheit belasten. Und als Krankheit sehe ich es, auch wenn Dr. Walker etwas anderes behauptet.

„Ich würde das Panini mit Bacon und Brie nehmen, das ist wirklich gut.“ Eine Stimme hinter mir reißt mich aus meiner Grübelei

Ich drehe mich ruckartig um - und da ist er. Der dunkelhaarige Barkeeper vom letzten Samstag. Er sieht immer noch unverschämt gut aus, das kann ich erkennen obwohl mein Blick verschwommen ist. Mein Herz setzt für einen unangenehmen Moment aus, als würde es kurz stolpern, dann schlägt es ganz normal weiter, wenn auch ziemlich schnell.

„Oh, danke“, murmele ich. „Dann nehme ich das.“

„Cait!“, ruft er der Bedienung zu. „Ein Panini mit Brie.“

Zu meinem Entsetzen steuert er nun zielsicher auf unseren Tisch zu und lässt sich auf einen freien Stuhl neben mir sinken. Jetzt schlägt meine Herz bis zum Hals hoch und ich bin mir sicher, dass ich jeden Moment tot umfalle. Der Mensch, dem ich am Allerwenigsten begegnen wollte, sitzt nun so nah neben mir, dass ich sein Knie an meinem Oberschenkel spüren kann.

„Hi!“, sagt er.

„Hi“, antwortet Izzy, ich nicke nur.

„Wie geht es dir? Dein Magen hat sich hoffentlich beruhigt“, meint er an mich gewandt.

„Mein Magen?“, presse ich hervor. Ich bin überrascht, dass ich doch sprechen kann, wenn auch etwas rau. Aber das ist das Seltsame bei meiner Angst. Ich habe häufig das Gefühl, etwas absolut nicht tun zu können, nur um mich dann selbst eines Besseren zu belehren. „Oh… ja… Mein Magen… Ja, dem geht es mittlerweile wieder gut. Eine kleine Magenverstimmung, mehr nicht.“

„Und ich dachte zuerst, du wärest vor dieser Horde Weiber davongerannt.“ Er verdreht die Augen.

„Vor denen?“ Jetzt bin ich regelrecht empört, sodass ich meine ganz normale Stimme wiedergefunden habe. „Ganz sicher nicht, mir wollten sie ja nicht an die Wäsche. Das wäre dann wohl eher dein Part gewesen.“

Er grinst und fährt sich durch das pechschwarze Haar.

„Solche Anmachen gehören zu meinem Job, das erlebe ich öfter als du denkst.“

„Junggesellinnenabschiede sind immer eine ziemliche laute Angelegenheit“, vermute ich.

„Aber hallo!“, mischt sich nun Izzy in das Gespräch ein. „Schade, dass du meinen verpasst hast.“

Ich konnte nicht hingehen, wegen… Naja, ist ja klar weswegen. Wie ich die Hochzeit überlebt habe, ist mir bis heute schleierhaft, aber ich erinnere mich, dass es einer der grauenvollsten Tage meines Lebens war und das sollte er eigentlich nicht sein, denn ich liebe Izzy und ihren Mann Rory.

„Siehst du, deine Freundin scheint zu wissen, was ich meine.“ Der Barkeeper grinst immer noch, jetzt ein bisschen breiter. „Bei solchen Anlässen sind die Frauen meist ziemlich enthemmt und man bekommt als Barkeeper das ein oder andere unmoralische Angebot. Aber ich hatte schon den Eindruck, als hätten die Mädels dich verschreckt.“

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