Kitabı oku: «Maybelline», sayfa 3

Yazı tipi:

Rory trat von dem Motor weg und blickte ihn an.

»Vielleicht solltest du ihr geben, was sie will.«

Eli umfasste sanft seinen Bart, als wollte er ein Haustier streicheln. Er warf einen Blick zur Veranda.

»Scheiße«, sagte er. »Diese alte Päderastin?«

Rory streckte die Hand aus.

»Gib mir die Kerzen da.«

Eli rülpste abgelenkt durch die Zähne und reichte ihm eine Pappschachtel, die neben ihm auf dem Stuhl stand. Er war noch keine dreißig, aber seine Hände waren alt, rau und knotig und verdreckt wie die Wurzeln einer Eiche. Sie waren in die Eingeweide beinahe sämtlicher Fahrzeuge eingetaucht, die diese Berge heraufgekeucht waren. Er hielt eine Flotte Whiskeyautos am Laufen, aufgebockte Coupés, die stotterten und bebten wie tickende Bomben, die kraftvoll explodierten, wenn sie gezündet wurden. Der 1940er Ford – Maybelline – war die Königin seiner Flotte. Angetrieben von einem 5,4-Liter-Krankenwagenmotor.

Er sah dabei zu, wie Rory den Schraubenschlüssel um die erste Kerze legte.

»Hab gehört, Cooley Muldoon war Sonntagfrüh hier.«

Rory blickte nicht auf.

»Wo hast du das denn her?«

»Ach, du weißt schon, so was spricht sich rum.«

»Ach ja?«

»Hab gehört, du hast seinen Johannes angezündet.«

Rory schraubte die Zündkerze in den Motor.

»Das hat er sich selbst zuzuschreiben.«

»Du warst ’ne Weile weg. Die Muldoon-Jungs lassen so was nicht durchgehen. Heute jedenfalls nicht mehr.«

Rory blickte auf das v-förmige Gebilde unter seinen Händen. Es hatte acht Kammern, die schwarz waren und deren Melodien durch die rostfreien Orgelpfeifen des Auspuffs strömten. Dieser Motor hatte ihn ein ums andere Mal gerettet, war verlässlicher als jede Kirche.

»Zum Teufel mit den Muldoons«, sagte er.

Eli drückte seinen Bart zusammen und entkorkte erneut den Flachmann.

»Vielleicht bist du nicht mehr so schnell, wie du glaubst«, sagte er. »Und die Regierung soll angeblich einen Steuereintreiber aus Washington schicken, der sich nicht scheut, von seiner Waffe Gebrauch zu machen.«

Rory zuckte mit den Achseln.

»Besser als ’n Knüppel«, sagte er. »Oder ’ne Schaufel.«

Eli legte den Kopf schräg.

»Was ist?«

Rory schüttelte sich, als hätte ihn ein Schauer überlaufen, und beugte sich erneut über den Motor.

»Nichts«, sagte er.

I. Erntemond

Bonni sah ihn das erste Mal in der kleinen Stadtbücherei, wo sie um die Mittagszeit gern hinging. Es war ein kleiner, eleganter Backsteinbau. Sie mochte die Stille dort und den Geruch. Das Rascheln der Röcke der Bibliothekarinnen zwischen den Regalreihen. Sie saß dann immer mit verschränkten Beinen da, umgeben von Zola oder Yeats, zeichnete in ihr Skizzenbuch und hielt zwischendurch inne, um von ihrem Tomatensandwich abzubeißen. Hier zwang sie keiner, mit irgendjemandem zu sprechen. Stattdessen nahm sie die leisen Stimmen der Bücher wahr, die so gewaltig waren, dass die Worte wie Staubkörnchen um sie herum schwebten.

Connor bog in ihren Gang ein. Er trug drei Bücher, die mit einem Ledergürtel zusammengebunden waren, und hatte einen Geigenkasten unterm Arm. Im Mund hatte er einen großen Magnum-Bonum-Apfel, gelb mit roten Bäckchen. Als er sie sah, blieb er wie angewurzelt stehen, so als wäre er gegen eine Wand gelaufen. Dann straffte er die Schultern und ging weiter. Er stellte den Geigenkasten auf die eine Seite und legte die Bücher auf die andere, setzte sich dazwischen und nahm den Apfel aus dem Mund.

Weißt du, was Magnum Bonum bedeutet?

Bonni schüttelte den Kopf.

Es bedeutet »Großes Gut«, sagte er und hielt die fleischige Kugel vor sie hin.

Bonni blickte hinunter auf ihren eigenen Apfel, einen harten, kleinen Granny Smith. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Aber der Junge hatte sein Obst bereits weggelegt.

Weißt du, woher sie das Geld für den Ort hier haben? Von den Carnegies. Vater meint, sie hätten mehr Geld als Gott. Sie haben mehr als zweitausend Büchereien finanziert, überall in der Welt …

Er redete und redete.

Bonni ertappte sich bald dabei, wie sie zu seinen Worten nickte, als wären sie Musik.

5

Der Himmel war violett, die Berge schwarz. Die Bergkämme in der Ferne verschwammen und wurden immer schemenhafter, je weiter weg sie waren. Ein großes gelbes Scheinwerferpaar kam wippend die Auffahrt herauf, ein langes dunkles Ungetüm im Schlepptau. Ein Truck. Ein Pritschenwagen von Ford, der vor dem Coupé quietschend anhielt. Die Tür ging mit einem Knacken auf, und Eustace Uptree kletterte aus der Kabine. Elis Onkel. Er war derselbe Jahrgang wie Granny – 1898 –, aber der Mann wirkte viel älter, so als wäre er bereits ausgewachsen und bärtig auf dem Berg geboren worden. Ein großer, glatzköpfiger Mann, dessen Bart in der Dunkelheit wie von Reif bedeckt schimmerte. Wie bei Santa, nur hässlicher, und er roch nach Holzrauch, säuerlicher Maische und Eselschweiß.

Die Jungs wischten sich die Hände am Hosenboden ab, als er näher kam. Eli beugte sich vor und flüsterte aus einem Mundwinkel heraus: »Sieht er heute Abend nicht fröhlich aus?«

Rory sah, wie sein Körper unter der Latzhose wogte, während er näher kam. Manche behaupteten, der alte Mann könne trotz seines Umfangs blitzschnell von der Bildfläche verschwinden, indem er sich mit sicherem Schritt und geräuschlos wie ein alter Bär durch den Wald bewegte. Andere meinten, dass nicht er verschwinde, sondern jeder, der sich auf seine Spur setze. Es hieß, der Berg habe im Laufe der Jahre die Reihen diverser Strafverfolgungsbehörden dezimiert, und wer sonst sollte dahinterstecken? Es hieß, er sei im Ersten Weltkrieg ein MG-Schütze gewesen und habe ganze Kompanien von Vandalen niedergemäht. Es hieß, man sehe es an seinen Augen, die kalt und grau wie das Meer waren. Es hieß, er habe Lauscher in den Bäumen und Spione in den Wäldern. Jedes Blatt eine Zunge, deren Sprache nur der alte Mann hören konnte. Es hieß, er könne den Aufenthaltsort jedes Fremden auf dem Berg zu jeder Zeit bis auf dreißig Zentimeter genau bestimmen.

Das meiste davon war Gerede, wie Rory wusste, Lügen zahnloser, alter Männer in ihren Schaukelstühlen und auf ihren Nagelfässern vor dem Tierfutterhandel. Geschichten, die von einem schwarzen Schwall Tabaksaft unterstrichen wurden, der zitternd in den Staub gespuckt wurde, neben alterslosen Hunden, die mit heraushängender Zunge totengleich im Schatten lagen. Nur eins war nicht abzustreiten: Eustace war an dem Tag, an dem er aus Frankreich zurückgekehrt war, auf den Berg gestiegen und nur noch selten heruntergekommen. Niemand wusste, wo er überhaupt schlief. Manche behaupteten, keine zwei Mal am selben Ort.

Rory wusste, dass das nicht ganz stimmte.

Der alte Mann stand mit den Händen in den Hüften vor ihnen und spuckte aus.

»Maybelline läuft?«

»Wie immer«, sagte Eli.

Eustace blickte kurz zu seinem Neffen, blinzelte und streckte dann Rory die Hand entgegen. Rory schüttelte sie. Die Augen des alten Manns verharrten wie üblich auf seinem fehlenden Bein.

Eli räusperte sich. »Es ist noch nicht nachgewachsen.«

Eustace schenkte Rory ein wissendes Nicken und schüttelte dann seinem Neffen die Hand. Und das mit Freuden, wobei die Knöchel unter seinem Griff knackten. Eli verzog das Gesicht und versuchte, tapfer zu lächeln.

Er konnte nicht.

Eustace ließ seine Hand los.

»Ich zeige euch, was ich habe«, sagte er und wandte sich zu seinem Truck um.

Er löste die Spanngurte und schlug die Plane zurück. Hunderte Zwei-Liter-Glasbehälter in Zwölferkisten. Die Zinkdeckel glänzten im Mondlicht.

»Sind ’n paar hundert Liter von dem weißen Zeug«, sagte er. »Das Allerbeste.«

Er nahm einen Behälter, schüttelte ihn und hielt ihn dann gegen den Himmel. Es schäumte mondsilbern vor ihren Augen. Die Leute nannten es Tigerspucke oder Weißer Hund, Pantheratem oder Korn oder Mond. Alle drei sahen sie Schaumblasen so groß wie Froschaugen am Glas zerplatzen.

»Guter Tropfen«, sagte Eustace.

Eli griff ebenfalls nach einem Glasbehälter. »Vielleicht sollte ich mal probieren.«

Eustace schlug ihm auf die Hand. »Nimm die Flossen weg!«

Er richtete den Zeigefinger einen Augenblick lang auf die Brust seines Neffen und formte mit dem Rest der Hand eine Pistole.

Eli hob die Hände hoch, als wäre das ein Überfall.

Rory räusperte sich.

»Lass uns das Zeug einladen«, sagte er.

Eustace schnaubte. Er stellte den Behälter zurück und wies mit dem Kinn in Richtung Haus. Die Veranda war leer.

»Ist Granny zu Hause?«

»Ist sie«, sagte Rory. »Hat wieder ihre Pfeife geraucht.«

Eli ließ die Hosenträger gegen seine Brust schnappen.

»Du bist langsam zu alt für sie, Eustace. Du weißt, sie mag sie jung.«

Eustace spuckte dicht vor Elis Stiefel aus.

»Bist du eifersüchtig, Neffe?«

»Schwachsinn«, sagte Eli auf den Fersen wippend.

Eustace wandte sich um und ging zum Haus, wobei er seinem Neffen im Vorbeigehen gegen die Eier schnipste. Eli jaulte auf wie ein getretener Hund und krümmte sich zusammen.

»Mistkerl«, sagte er. »Mistkerl.«

Der große Mann stampfte die Treppe hinauf und sein massiger Körper füllte die gelbe Fläche der Türöffnung aus.

Eli watschelte zum Truck, eine Hand in seiner Hose, um sich zu vergewissern, dass alles heil geblieben war. Er nahm ein Glas und schraubte den Verschluss auf.

»Mistkerl.«

Das Coupé stand mit aufgeklapptem Kofferraumdeckel da, bereit, beladen zu werden. Sie stellten die Kisten nacheinander hinein, und der Wagen sank hinten immer tiefer herab wie irgendein lahmes Modell vom Fließband. Unter den gewölbten Kotflügeln befanden sich überdimensionierte Schwarzwandreifen, die in den Kurven gut auf der Straße lagen, und der Wagen hatte kaum Zierleisten. Die schweren Chromteile waren entfernt worden, und übrig geblieben waren lediglich die Nietenlöcher auf der Karosserie, was an Maschinengewehrsalven erinnerte. Das war der Wagen eines Tierfutterhändlers oder eines Bibelverkäufers oder jungen Mannes, der nach einer Färse oder Sau sah. Das war der gebräuchlichste Wagen auf der Straße in der gebräuchlichsten Farbe. Sämtliche Extras waren unter der Motorhaube oder hinter dem Steuer oder im Fahrersitz versteckt.

Rory suchte die Reifen nach Nägeln oder Löchern ab und überprüfte, ob die Schweinwerfer und Blinker funktionierten. Er ging um die Wagenfront herum. Der große Motor knackte, während er abkühlte, und die Motorhaube verströmte Wärme. Die Seiten trafen sich in einer vertikalen Linie an der Vorderseite, wie der Bug eines U-Boots, und der ganze Wagen lief in einer Art Rammsporn zusammen.

Als sie fertig waren, standen die Adern an Rorys Armen deutlich hervor, und der Stumpf unterhalb des Knies tat an der Stelle weh, wo er am Lederriemen rieb, mit dem die Prothese festgeschnallt war. Er glitt hinter das riesige Lenkrad, das wie die Fingerknöchel eines Mannes mit leichten Einkerbungen versehen war. Er blickte auf seine Uhr. Halb acht. Eli schüttelte ihm die Hand durch das geöffnete Fenster.

»Viel Glück«, sagte er und klopfte auf den Fensterrahmen.

Rory nickte und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang sogleich an und tuckerte rhythmisch unter der Haube. Er blickte hinauf zu dem Haus mit den vier Zimmern, das aus mit der Axt gehauener Eiche gebaut und in den Ecken verzinkt worden war. Die Veranda unter dem Blechdach hing ein wenig durch, aber sie hielt. Die Fenster leuchteten golden; die streifenförmige Lehmabdichtung schimmerte weißlich im Dunkeln. Darüber hinaus gab es die Scheune, an der ein paar Dachschalbretter fehlten, den Schweinepferch und die Räucherei. Alles an seinem Platz. Nicht perfekt, aber ordentlich, und die Wiese darum herum schimmerte im Mondlicht tiefblau.

Er drückte die Kupplung mit seinem Holzbein und legte den ersten Gang ein. Er lenkte den Ford von der riesigen Kastanie weg und bog auf die holprige Auffahrt ein, wobei er zusammenzuckte, als das Glas im Kofferraum klirrte. Er blickte in den Rückspiegel. Er sah Eli, der ihm vom gesprenkelten Schatten des Geisterbaums aus nachwinkte. Die Flaschen in den Ästen über ihm schimmerten, als wären sie mit einer Leuchtsubstanz gefüllt.

Die Bäume warfen Schatten auf die Straße, und das durchschimmernde Mondlicht kräuselte sich auf der Motorhaube wie Elektrizität. Die Bergkämme erhoben sich zu beiden Seiten nachtblau, und hier und da war das vereinzelte Flackern von Destillen zu sehen. Vor ihm strömte die Straße wie ein mondbeschienener Bach den Berg hinunter. Er kannte sie gut, wie er auch die Nebensträßchen kannte, die verzweigt in die Täler hinabführten, um hohe Felswände herum und durch Tunnel aus schwarzen Eichen und Hickorybäumen hindurch.

Er war auf dieser Straße schon gefahren, als er noch zwei Schulbücher unter seinem Hintern brauchte, während er mit einer Ladung Zucker oder Getreide oder Gerste die Fahrspur entlanggeholpert war. Anfangs waren es Fahrten in die nähere Umgebung gewesen, innerhalb des Countys, um hier und da Zutaten an Eustace’ Schnapsbrenner zu liefern, wobei er jeden Dollar sparte. Er kaufte den Ford am Tag seines fünfzehnten Geburtstags, bereit für größere Touren jenseits der Berge. Der Wagen besaß lediglich die Grundausstattung. Er und Eli nahmen den Motor Stück für Stück auseinander und bauten ihn so wieder zusammen, dass er röhrte.

Der Wagen hatte die Hochleistungsfederung eines tonnenschweren Pick-ups mit achtlagigen Lkw-Reifen, die unter die Federung montiert worden waren. Er hatte ein Zweiganggetriebe, die Kupplung eines Zweitonners und den Hubkolbenverbrennungsmotor eines demolierten Krankenwagens. Er hatte einen Kompressor, der wie ein kleiner Werwolf unter der Haube jaulte, wenn er einen Luftstrom die eiserne Kehle des Motors hinunterzwang. Eine Panzerplatte schützte den Kühler. Doppelte Auspuffrohre schlängelten sich durch das Fahrgestell und führten dröhnend nach außen. Der Wagen machte in einem niedrigen Gang hundertvierzig Sachen in der Stunde und donnerte wie eine Kanone zwischen den Hügeln hindurch. Für ein solches Auto gab es nur einen Namen.

Maybelline.

Er konnte vierhundertfünfzig Liter Whiskey in Zweilitergläsern transportieren, mit vier Kisten auf dem Beifahrersitz, um das Gewicht gleichmäßig zu verteilen. Das Rattern und Klirren der Gläser im Kofferraum war zu hören, während der Wagen die Berge hinabdonnerte und dabei die kleinen Hügelwege kreuzte, wo die Steuerfahnder ihnen in ihren Zivilfahrzeugen auflauerten. Mit sechzehn machte Rory bis zu hundert Dollar am Abend – mehr als ein Wochenlohn fürs Holzschneiden oder Flusensammeln in einer Textilfabrik. Genug für eine Großmutter, die ihn großzog und behauptete, nichts zu brauchen, was nicht stimmte, und für die Mutter, die ihn großziehen wollte, aber nicht konnte.

Dann kam der Krieg.

Während er sich auf einem Lazarettschiff vor der koreanischen Küste befand, umgeben von teilweise mumifizierten Männern, fragte er sich, was er nach dem Krieg in den Bergen tun würde. Die Holzfirmen würden keinen Einbeinigen nehmen, und die Textilfabriken ebenfalls nicht. Vielleicht könnte er Böden wischen. Er fuhr von Camp Pendleton aus mit der langen silbernen Schnecke, die der Greyhound-Bus war, quer durchs Land, die Entlassungspapiere in die Innentasche seiner Jacke gestopft und den olivfarbenen Seesack im Gepäckraum. Sein Stumpf war noch immer wund und pochte heftig.

Während er die endlosen Weiten von West-Texas durchquerte, las er Zeitungsberichte über Robert »Red« Byron, den Champion des Stockcarrennens, der auf den Flügel eines fliegenden Bombers in zwanzigtausend Fuß Höhe über japanischem Gebiet hinausgekrochen war, als eine Salve aus einer Flugabwehrkanone den Rumpf der Maschine aufriss. Sein Bein unter ihm explodierte, als wäre es der Knochen selbst gewesen. Er schaffte den Sechshundertmeilenflug zurück zur Luftwaffenbasis auf den Aleuten, wobei er die ganze Zeit Blut verlor. Die Chirurgen holten einen Haufen Granatsplitter aus seinem zerfetzten Fleisch und flickten das kaputte Bein mithilfe eines riesigen Stahlkäfigs wieder zusammen. Er brauchte siebenundzwanzig Monate für die Genesung. Zwei Jahre später nahm er an einem Stockcarrennen auf dem Seminole Speedway teil, sein Bein vernarbt und verdreht wie ein Shillelagh aus Schlehendornholz. Eine Metallspange lag noch immer um das Bein, das er mit der Kupplung verschraubt hatte. Er gewann das Rennen von Daytona Beach und den Road Course, schlitterte wieder und wieder vom rauen Asphalt des Highway A1A auf den Sand am Strand und grub sich einen Namen aus schwarzem Gummi und blauem Rauch hinein. Er gewann in Martinsville und Charlotte. Er gewann die ganze Zeit.

Maybelline wartete in einer Werkstatt in Raleigh auf ihn, wo Rory den Wagen hingebracht hatte, bevor sein Schiff den Hafen verließ. Anfangs fuhr er stotternd und keuchend durch die Stadt, ging an Ampeln aus, fuhr hinten in Buicks rein und hinterließ Reifenabrieb auf den Straßen. Er quartierte sich in einem Motel ein und raste vom einem Ende des Orts zum anderen, machte nur für Kaffee und Zigaretten Pause und saß im gelben Schein spät geöffneter Diners. Er schlief und aß kaum, fuhr lieber schweigend herum, das einzige Geräusch das Brummen des Motors, seine Haut von verzweifeltem Schweißgestank bedeckt. Er fuhr und fuhr. Tage, die sich in Nächte verwandelten, und Nächte, die wieder zu Tagen wurden. Langsam nahm die Sicherheit am Steuer zu. Der Wagen spuckte und bockte nicht mehr und ging auch nicht mehr aus. Hinter dem Steuer eines solchen Gefährts war er kein Invalide.

Es wurde Pleasure Island genannt. Seine letzte Lieferadresse für diesen Abend. Es befand sich in einer Quonsetbaracke, einem Hangar für militärische Überbestände aus Wellblech, der die Form einer riesigen Kugelassel besaß. Drinnen waren Kabinen von der Größe von Einzelbetten eingebaut worden, wo Matratzen auf Holzpaletten lagen. Die Kunden bekamen manchmal Durst.

Rory parkte vor der Hintertür. Madam Erma hatte ihn kommen hören. Sie wartete an der Hintertreppe unter einer Vierzig-Watt-Glühbirne, die Augen dick mit Lidstrich umrandet und ihre Brüste in ein enges Korsett gezwängt. Ihr dunkel gefärbtes Haar war ein kompliziertes Nest aus Nadeln und Spangen. Sie zündete sich eine Zigarette an, an ihren Fingern glänzten Ringe und Steine.

»Hallo, mein Süßer«, sagte sie. »Hast es also geschafft.«

»Ja, Ma’am«, erwiderte er.

Sie zog das Geld aus dem dunklen Spalt zwischen ihren Brüsten. Rory nahm die feuchten Scheine entgegen und öffnete den Kofferraum.

»Hör mal, Süßer«, bemerkte sie. »Mein Rücken macht mir heute Abend zu schaffen. Könntest du sie vielleicht für mich reintragen.«

Ihr Rücken machte ihr immer zu schaffen.

»Ja, Ma’am«, sagte er. Die Worte kamen nur mühsam heraus, wie mit der Spitzhacke aus seiner Kehle geschlagen. Er nahm die Kiste und folgte ihr die Treppe hinauf in die parfümierte Höhle. Alles war in rotes Licht getaucht und in Schatten gehüllt. Ein verstecktes Grammofon spielte blechernen Jazz, eine seltsame Begleitung zu den Geräuschen, die aus den Kabuffs drangen. Eine Art gedämpfter Hysterie, wie von Menschen, die am Grund eines Brunnens starben. Nur die spitzesten Schreie erreichten ihn, aber er konnte die anderen, die wie tiefe Bässe in seiner Brust dröhnten, fühlen.

Die Bar befand sich an der Vorderseite. Er humpelte hinter Madam Erma her den langen Gang entlang, wobei die Gläser in der Kiste klirrten. Das Mädchen an der Bar lächelte ihn an. Sie war achtzehn oder neunzehn und hatte einen blutroten Mund und einen Blumenkranz um den Hals. Sie schien zu viele Zähne zu haben, so eng standen sie. Ihre Arme waren überzogen mit blauen Flecken in der Größe von Daumenabdrücken. Rory fragte sich, woher die Flecken stammten, und er musste an seine Mutter und die gesichtslosen Reiter denken, die noch immer im Dunkeln lauerten. An den Einäugigen.

Madam Erma berührte ihn an der Schulter, was ihn zusammenzucken ließ.

»Du siehst aus, als könntest du ’n Drink vertragen.« Sie blickte zu dem Mädchen. »Stimmt’s, Kleine?«

Das Mädchen nickte und zeigte seine eng stehenden Zähne.

»Schenk ihm einen ein, Schätzchen.«

Rory stellte die Kiste Whiskey auf den Tresen.

»Nein, ich brauche nichts.«

Madam Erma kroch mit ihren scharfen Krallen an seinem Nacken hinauf und fuhr ihm über seine Haarwurzeln.

»Komm schon, Schätzchen. Setz dich. Du bist fertig für heute Abend, stimmt’s? Zeit, sich ’n bisschen zu entspannen.«

Rory konnte die lauter werdenden Geräusche durch die dünnen Wände hören, Stöhnen und Knurren und Kreischen. Gewalttätige Geräusche wie von Liebe oder Gemetzel. Sie schienen durch seine Haut zu dringen und seine Knochen zu berühren. Vor Scham lief er rot an und wandte sich ruckartig vom Tresen und dem Drink ab, den man ihm reichte. Er eilte zwischen den Kabinen entlang, und die Vorhänge hoben sich im Vorbeigehen in seine Richtung. Es waren Duschvorhänge, wie er feststellte, bedruckt mit Palmen, Muscheln und Delfinen. Er wollte nicht angefasst werden. Die Tür vor ihm stand einen Spaltbreit offen, unter der nackten Glühbirne schwirrte ein Mottenschwarm. Als er auf die Treppe hinaustrat, erstarrte er wie ein Tier im Scheinwerferlicht. Er versuchte, zurückzuweichen, doch die Tür hinter ihm wurde zugeschlagen und das Schloss verriegelt. Die Tür war aus Metall und fühlte sich kalt am Rücken an.

Sie waren zu dritt, drahtige Kerle, die an seinem Wagen lehnten. Fast noch Kinder. Der auf der Motorhaube hielt eine Schrotflinte auf dem Knie, eine doppelläufige für die Vogeljagd. Die beiden anderen an seiner Seite hatten die Hände in den Hosentaschen. Ihre Mäntel standen offen, um ihm den kreuzgerippten Griff ihrer Pistolen am Hosenbund zu zeigen. Rory erkannte, dass es sich um alte Knarren handelte, aus öligen Tüchern in Grandpas Schreibtischschublade gewickelt. Waffen, mit denen man Schweine oder Schlangen oder streunende Hunde erschoss.

»Haben die Muldoons euch angestiftet?«

Der Junge auf der Motorhaube klopfte eine Zigarette auf den Griff seiner Schrotflinte, steckte sie sich in den Mund und zündete sie mit derselben Hand an, wobei er durch den aufsteigenden Rauch hindurch grinste.

»Es heißt, du bist ein Kriegsheld.«

Rory nahm das Gewicht von seinem Holzbein.

»Ich bin nicht auf Ärger aus«, sagte er.

Der Junge auf der Motorhaube nickte und zog an seiner Zigarette, wobei sich seine Wangen im Licht der einzelnen Glühbirne verdunkelten. Er zeigte mit der Zigarette auf Rory.

»Tja, hast ihn wohl doch gefunden. Die Frage ist nur, wie viel davon.«

»Was wollt ihr?«

Der Junge zuckte mit den Achseln. »Geld. Whiskey. Geht beides.«

»Whiskey ist alle.«

»Dann weißt du ja, was ich will.«

Rory meinte, Zikaden zu hören. Ihr rhythmisches Rufen im Chor. Als wären sie aufgeschreckt worden. Im einen Moment klang es noch laut und im nächsten nicht mehr. Er bekam ein warmes Gefühl in der Brust, wie nach dem ersten Schluck Whiskey.

»Es steckt in meinem Bein«, sagte er. »Ich verstecke es dort.«

Der Junge lachte, und seine Begleiter auch. Sie glucksten vor sich hin, wippten auf ihren Absätzen und drückten ihre Bäuche gegen die Waffen an ihrem Gürtel. Stolz.

»In deinem Holzbein? Du machst wohl Witze«, sagte der Junge. »Ist ja zum Brüllen.«

»Ja«, sagte Rory.

»Dann zeig mal her.«

Rory stieg die Stufen hinunter. Die schwache Glühbirne über dem Türrahmen erzeugte einen großen Schatten, der sich rasch auf die anderen zubewegte. Unsicher veränderten sie ihre Position, als würde etwas vor ihren Füßen auslaufen. Etwas, mit dem sie nicht in Berührung kommen durften und das so kalt und dunkel wie die von der Sonne unberührten Talkessel war. Eine dunkle Gestalt stand jetzt vor ihnen, die von der nackten Glühbirne von hinten angestrahlt wurde. Sie beugte sich hinunter und begann ihr Hosenbein aufzukrempeln, entblößte Zentimeter um Zentimeter den glänzenden schwarzen Schaft eines Kampfstiefels.

Der Junge ließ sich von der Motorhaube gleiten und betrachtete das Holzbein.

»Wie hat sich das angefühlt, als es dir abgeschossen wurde?«

»Schlimm«, sagte Rory.

»Wie finden die Mädchen das?«

»Ich frag sie nicht.«

Der Junge blickte mit leicht schräg gelegtem Kopf zu ihm hinunter. Er bewegte dabei den Flintenlauf mal hierhin, mal dorthin, und seine Finger spielten an dem Doppelabzug.

»Dafür hat Gott wohl die Huren erschaffen.«

Rory hatte das Hosenbein gerade weit genug über den Stiefel gezogen, dass das polierte Ahornholz da glänzte, wo eigentlich sein Bein sein sollte. Es gab einen Typen in Yelson’s Holler, den Granny kannte und der Holzarbeiten machte. Vor allem Entenattrappen, die er an die reichen Wasservogeljäger an der Küste verkaufte. Mit Zuckerahorn fing er erst so richtig an zu arbeiten, nachdem er Rory kennengelernt hatte. Es war ein 32er Automatik-Colt, ein Pocket Hammerless, der in die Wade des Holzbeins eingelassen war. Eine gebläute Pistole mit geriffeltem Griff und ohne einen Hammer, der das Ziehen verlangsamt hätte. Rory ließ die Hand unter das Hosenbein gleiten und löste sie heraus. Mit einer einzigen Bewegung richtete er sich auf und schoss dem Jungen ins Schienbein.

Die Schrotflinte flog dem Jungen mit einem Schrei aus der Hand, und er fiel gegen den Wagen. Er griff nach dem dunklen Fleck auf seiner Hose, aber seine Hände hielten dicht über der Wunde inne. Ein gezackter roter Mund und gesplitterter Knochen wie weiße Zähne. Er betrachtete sie mit weit aufgerissenen Augen, als hätte er noch nie das Innere eines menschlichen Körpers gesehen. Seine Freunde waren davongestürzt, wie Rory es vorhergesehen hatte. Er humpelte näher zu ihm hin. Der Junge blickte wie ein frisch zum Glauben Bekehrter mit heruntergeklappter Kinnlade zu ihm hinauf.

Die Worte kamen ganz unerwartet aus Rorys Mund.

»Es tut mir leid«, sagte er.

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