Kitabı oku: «Der Tote in der Hochzeitstorte», sayfa 3

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LADY ROSS

»In einer Woche ist es also so weit.«

Veronika, die gerade Suppe aus einer kleinen Terrine in den Teller schöpfte, hielt inne und sah in die stark geschminkten Augen ihres Gastes. Lady Ross besaß einen hypnotisierenden Blick, der immer Veronikas Zunge lockerte, selbst, wenn sie nichts erzählen wollte.

»Ja, heute in einer Woche kommen die Hochzeitsgäste. Vielleicht reisen sie sogar schon am Donnerstag an.«

Lady Ross riss die Arme auseinander und schlug Veronika dabei fast die Suppenschüssel aus den Händen. »Was für eine entzückende Idee, das Hotel in ein Hochzeitsschlösschen zu verwandeln.«

Zum Glück konnte Veronika die Terrine samt Inhalt retten und auf den Tisch zurückstellen.

»Verzeihen Sie, Kindchen, aber meine Begeisterung über Ihren Plan ist mit mir durchgegangen.« Die Lady deutete in den kleinen Speisesaal im Tiroler Stil. Ihre Finger flatterten dabei wie dünne Insekten. »Das hier ist genau der richtige Ort für die ›besondere‹ Hochzeit.«

Wieder einmal faszinierten Veronika die sorgfältig lackierten Nägel und die Ringe mit den glitzernden Diamanten. Sie waren genauso speziell wie die leuchtend kupferroten Haare, die immer perfekt geschnitten waren. Lady Ross ließ dazu jedes Mal extra eine Maskenbildnerin aus dem Tal kommen, die normalerweise für große Fernsehproduktionen arbeitete.

»Ich hoffe, die Gäste werden zufrieden sein. Es ist die erste Hochzeit hier, ich habe nicht viel Erfahrung und meine Eltern werfen mir jeden Prügel vor die Füße, den sie nur finden können.«

»Kindchen, lassen Sie die beiden alten Herrschaften.« Lady Ross legte Veronika die kühle Hand beruhigend auf den Unterarm. »Sie werden das sicher gut machen. Ich fürchte nur um mein Essen. Sie wissen, Ignaz kann alles, aber nicht kochen. Wenn ich auf ihn angewiesen wäre, hätte mich schon der Hungertod ereilt.«

»Der Ignaz.« Veronika lachte auf. Ignaz war kurze Zeit Hausdiener im Hotel gewesen und von Lady Ross abgeworben worden. Er war ein hochgewachsener Tiroler mit kantigem Gesicht, ein wenig älter als Veronika, der nur die allernotwendigsten Worte sprach. »Sonst sind Sie aber immer noch mit ihm zufrieden?«

»Zufrieden?« Lady Ross trommelte mit dem Suppenlöffel auf den Tisch. »Er ist ein Engel der Berge für mich. Was täte ich nur ohne ihn? Mein Haus wäre längst verfallen und ich erfroren. Ignaz ist wirklich ein Mann für alles, nur nicht fürs Kochen.«

Als Veronika den Rest der Suppe in die Küche tragen wollte, hielt sie Lady Ross zurück. »Kindchen, setzen Sie sich doch zu mir und leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft. Alleine zu essen gehört zu den langweiligsten Tätigkeiten, die ich kenne.«

Gehorsam ließ sich Veronika auf den Stuhl gegenüber sinken und sah zu, wie Lady Ross sehr vornehm die Suppe löffelte. Es war Apfel-Sellerie-Suppe mit Würfeln von geräuchertem Butterfisch. Als sie fertig war, tupfte sich die Lady mit der weißen Serviette den Mund ab. Auf dem Stoff blieben Spuren des violett-roten Lippenstiftes zurück.

»Sie müssen Ihren Hochzeitsgästen eine Attraktion bieten. Eine Überraschung, mit der Sie nicht rechnen.«

Veronika stand auf und servierte ab. »Denken Sie da an etwas Spezielles?«

»Zeigen Sie mir den Ablauf der Hochzeit, das Menü und was Sie sonst noch alles geplant haben.«

Veronika kehrte aus der Küche mit der Hauptspeise zurück: Gemüselasagne mit Räucherlachsröllchen. Während Lady Ross es sich schmecken ließ, schilderte Veronika ihre Pläne.

»Es sind zwei Vegetarier unter den Gästen. Daher habe ich Speisen gewählt wie die Gemüselasagne, die Sie heute essen. Ich kann sie mit und ohne Fleisch servieren. In der Küche wird mir eine junge Köchin helfen. Sie ist eher noch ein Lehrling, um ehrlich zu sein. Sie hat sich für die Wintersaison beworben, kann aber zum Glück schon früher kommen. Ich glaube, sie arbeitet derzeit in der Schweiz. Alles andere muss ich allein schaffen. Vier Gänge für acht Personen. Das ist die ganze Planung.«

Lady Ross deutete auf den großen Bissen, den sie auf der Gabel balancierte. »Ein hervorragendes Gericht, Kindchen. Genau wie die Suppe. Ich hoffe, Sie haben mich an den Tagen der Hochzeit auch eingeplant. Ich werde selbstverständlich nicht stören und notfalls in der Küche essen.«

»Nein, nein, das ist nicht nötig«, beeilte sich Veronika zu versichern. Sie hatte Lilo Schroll allerdings garantiert, dass das Hotel für andere Gäste gesperrt sein würde. Am besten war es, ihr die Situation mit Lady Ross zu erklären, die eine Nachbarin war, die seit mehreren Jahren jeden Tag zum Essen kam.

»Lesen Sie mir das Menü vor«, verlangte Lady Ross. Veronika hob den Zettel.

Die Vorspeise war ein Carpaccio von Roten Rüben, die in Alufolie gebacken wurden. Dazu gab es Mousse vom Kren und für alle Nicht-Vegetarier Räucherfisch.

Danach hatte Veronika eine Karotten-Ingwer-Suppe geplant. Die Hauptspeise war die Gemüselasagne mit oder ohne kleinen Rindersteaks und das Dessert eine Zitronencreme mit Himbeeren.

»Was ist mit der Hochzeitstorte?«, wollte Lady Ross wissen.

»Die ist das größte Problem, weil ich so eine schlechte Bäckerin bin. Ein dreistöckiges Kunstwerk gelingt mir nie. Ich werde eine aus dem Tal kommen lassen. Im Kühlhaus wird sie sich schon halten.«

Die Lady hatte fertig gegessen und tupfte sich wieder den Mund ab. »Kindchen, das Menü hört sich gut an. Nun aber wollen wir die Feier selbst durchbesprechen. Nur sechs Gäste und das Brautpaar klingt reichlich langweilig. Wenn sich zwei Gäste davon nicht ausstehen können, wird die Hochzeit die größte Pleite, die man sich vorstellen kann.«

Veronika sah sie erschrocken an. »Haben Sie da entsprechende Erfahrungen?«

Lady Ross schwenkte die Stoffserviette wie ein Lasso über dem Kopf. »Das will ich meinen. Wir haben den Landsitz meines verstorbenen Mannes früher öfter für Hochzeiten vermietet. Da habe ich einiges miterlebt. Bei einer Hochzeit hat das Brautpaar noch am selben Abend beschlossen, sich wieder scheiden zu lassen.«

»Das gibt es doch nicht. Wieso tun sie sich dann die Mühen einer Hochzeit an?«

»Der Stress hat die wahren Gesichter der beiden zutage befördert. Außerdem haben sie ihre Familien kennengelernt und die Aussicht, sie nun öfter sehen zu müssen, war ihnen unerträglich.«

»Langsam bekomme ich Zweifel an meiner Idee mit dem Hochzeitsschlössel«, gestand Veronika.

Mit großer Geste rief die Lady: »Ach, nur keine Panik! Es wird alles bestens klappen. Erlauben Sie mir, dass ich Ihnen ein wenig zur Hand gehe und für das Unterhaltungsprogramm sorge.«

»Das würden Sie wirklich tun?«

»Mir ist doch ständig langweilig. Der Höhepunkt meines Tages ist das Essen bei Ihnen. Ich habe schon einige Ideen, die Ihre Gäste begeistern werden.«

»Vielleicht sollte ich das mit den Leuten vorbesprechen«, gab Veronika zu bedenken. »Sie haben sich ausdrücklich eine sehr private und ruhige Hochzeit gewünscht, ohne Band und Tanz.«

Während sie in ihrer kleinen Handtasche herumkramte, sagte Lady Ross: »Im Vorhinein wollen die Leute immer ein stilles Fest. Wenn es dann aber wirklich still ist, ist ihnen das auch nicht recht. Glauben Sie mir, ich kenne mich da aus.« Sie holte ein silbernes Zigarettenetui und ein Feuerzeug aus der Tasche. »Ich brauche meine Verdauungszigarette.«

Rauchen war im Hotel verboten und so erhob sich Lady Ross und ging in Richtung Terrasse. Die Seide ihres Abendkleides knisterte. Stil und gepflegtes Auftreten, hatte sie Veronika erklärt, wären an jedem Ort der Welt zu jeder Zeit angebracht. Daher erschien sie jeden Abend in einem anderen Kleid, eines feiner als das andere, und außerdem eingehüllt in eine Wolke aus Parfüm.

Weil die Terrasse im November nur nass und dunkel war, ließ Veronika die langen Vorhänge geschlossen. Mit einem energischen Ruck schob Lady Ross die Gardinen zur Seite und öffnete eine Glastür. Veronika brachte ihr den Pelzmantel nach, den sie nur ungern anfasste. Sie wollte keine Felle in den Händen halten, für die Tiere ihr Leben gelassen hatten.

»Danke, Liebes.« Die Lady hängte sich den langen Mantel über die Schultern und zündete eine Zigarette an. Tief sog sie den Rauch ein und ließ ihn durch die Nasenlöcher wieder entweichen. Sie lächelte vor sich hin. »Mir ist soeben die beste Überraschung eingefallen, die es auf einer Hochzeit geben kann. Stimmung ist garantiert und Ihre Gäste werden es Ihnen danken«, verkündete sie. Auf Veronikas weitere Fragen antwortete sie nur mit einem geheimnisvollen Lächeln.

DER CHAT

Freitag der Dreizehnte kann ein Glückstag sein, sagte sich Veronika immer wieder. Sie hatte dem Chat mit Mario an diesem Tag zuerst nicht zustimmen wollen. Da er aber davor keine Zeit hatte und der 13. der erste mögliche Termin war, hatte Veronika schließlich eingewilligt.

Du bist doch nicht abergläubisch?

hatte er ihr geschrieben.

Höchstens ein klein wenig.

hatte Veronika zugegeben.

In Wahrheit war sie sehr abergläubisch und der Grund dafür war der Einfluss ihrer Urgroßmutter. Urli, wie Veronika sie genannt hatte, kannte so ziemlich jede Bauernregel über das Wetter und es hatte Veronika schon als kleines Mädchen erstaunt, dass sich fast fast alle Vorhersagen ihrer Großmutter bewahrheiteten. Aus diesem Grund hatte sie von ihrer Urli auch einige Angewohnheiten angenommen, etwa, dreimal über die linke Schulter zu spucken, wenn eine schwarze Katze über den Weg lief. Aber nur von links nach rechts, denn dann bringt’s »Schlechts«. Von rechts nach links war egal.

Den 13. hatte die Urli immer im Haus verbracht, um sich vor Unheil und Unfällen zu bewahren. An einem Freitag den 13. verließ sie nicht einmal das Bett.

Diese Angewohnheiten hatten Veronika als Kind tief beeindruckt und hatten Spuren hinterlassen, die Veronika bis in ihr Erwachsenenleben geblieben waren.

»Heute ist ein guter Tag für mich«, murmelte Veronika immer wieder. Sie war nervös. Bei dem Gespräch mit Mario wollte sie alles richtig machen. Tief drinnen hatte sie ein Gefühl, er könnte endlich der Mann sein, nach dem sie so lange gesucht hatte. Seine Nachrichten waren kurz, aber witzig, stets herzlich und vor allem nie oberflächlich oder geschmacklos. Darin unterschied er sich wohltuend von vielen anderen Männern, die sie auf Datingplattformen bereits kennengelernt hatte.

In ihrer Wohnung angekommen, versperrte Veronika die Tür hinter sich. Ihre Eltern hatten die Angewohnheit, manchmal nach einem kurzen Anklopfen einfach ins Zimmer zu platzen. Das konnte sie wirklich nicht gebrauchen.

Die Wohnung war eine ehemalige Suite des Hotels mit einem kleinen Schlafzimmer und einem Wohnzimmer. Die Möbel waren allerdings mindestens dreißig Jahre alt und abgenutzt.

Veronika ließ sich auf das senfgelbe Sofa sinken. Auf ihrem iPad googelte sie: »Die zehn größten Fehler beim ersten Chat«. Danach suchte sie nach »zehn beste Themen für erste Chats«. Viel Neues erfuhr sie nicht.

Der Chat war für 21 Uhr vereinbart. Ihr blieben noch zehn Minuten. Sie ging ins Badezimmer und blickte in den Spiegel über dem Waschbecken. Die beigefarbenen Kacheln beachtete sie nicht mehr.

»Du machst das gut«, sprach sie sich selbst Mut zu. »Du siehst gut aus. Du bist eine Frau von Klasse.«

Vom iPad kam der Dreiklang, der den Anruf über die Datingseite ankündigte. Mario war zu früh dran. Vielleicht war er genauso aufgeregt wie Veronika und konnte das Gespräch auch kaum erwarten. Eigentlich hatte sie sich noch ein Glas Weißwein einschenken wollen, aber dafür blieb keine Zeit. Nüchtern zu bleiben war ohnehin besser.

Marios Foto erschien in der Mitte des Bildschirms. Darunter ein roter und ein grüner Knopf. Ablehnen und annehmen. Mario strahlte auf dem Foto, als könnte er nur das Gute im Leben sehen. Sein Haar war schwarz, sehr dicht und wild. Um den Hals hatte er ein rotes Bandana gebunden. Er sah aus wie ein Skilehrer, fiel Veronika ein. Sie musste ihn danach fragen.

Nachdem sie noch einmal tief Luft geholt hatte, hob Veronika ab.

»Hallo Mario!«, sagte sie und bemühte sich, locker und natürlich zu klingen. Nur niemals verkrampft oder gierig erscheinen, lautete eine der wichtigsten Regeln beim Daten.

»Schön, dass wir heute miteinander reden können«, antwortete Mario.

Veronika spürte einen leichten Schauer über ihren Rücken kriechen. Mario hatte das, was man eine erotische Stimme nannte.

Die nächste Regel war ebenfalls wichtig: Nicht zu schnell intime Details erfragen. Das könnte den anderen in die Enge treiben.

»Hattest du einen guten Tag?«, fuhr Veronika fort. Diese Frage war sehr unverfänglich.

»Ausgezeichnet, weil ich mich seit dem Aufstehen auf unser Gespräch gefreut habe.«

Was für eine charmante Antwort. Selbst wenn sie gelogen war, klang sie sehr schmeichelhaft. Veronika versicherte, es wäre ihr genauso ergangen.

Das Gespräch nahm Fahrt auf. Mario plauderte über seine Tätigkeit als Berater in einem Computershop und die Mühe mit seinen Kundinnen und Kunden. Alle wären kompliziert gewesen, was er dem Mond zuschrieb. »Ich habe das schon öfter beobachtet, dass die Leute bei Neumond und Vollmond zu spinnen beginnen.«

»Danke für den Hinweis, ich werde mir an der Rezeption einen Mondkalender bereitlegen, damit ich vorbereitet bin«, sagte Veronika lachend.

»Arbeitest du in einem Hotel?«

»Ja. So kann man das sagen.«

»In Tirol.«

»Natürlich. Das habe ich doch in meinem Profil angegeben.«

Mario gab einen Laut von sich, der nach Husten klang. Es war aber wohl eher ein kurzes Auflachen gewesen. »Kennst du jemanden, der in seinem Profil immer nur die Wahrheit sagt?«

»Ich.« Veronika hatte sich sehr genau überlegt, was sie bei den verschiedenen Punkten eintrug und niemals gelogen.

»Du bist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.«

»Welche Regel?«

»Dass Leute auf Datingseiten zum Beispiel über ihr Alter lügen und falsche Fotos posten, auf denen sie jünger aussehen.«

»Hast du das auch gemacht?«

»Nein. Ich bin ehrlich. So wie du. Deshalb scheinen wir uns auch gefunden zu haben.«

»Das ist doch ein wunderbarer Grund«, meinte Veronika.

Mario gab ihr recht. »Ich habe das auch so in meiner Kindheit gelernt. Von meinen Eltern und in der Schule. Das hat sich bei mir eingeprägt.«

»Wo bist du zur Schule gegangen?«

»Ins Skigymnasium in Stams.«

Stams war eine Gemeinde in Tirol, die Veronika natürlich kannte.

»Und du?«, wollte er wissen.

»Die Volksschule habe ich hier oben im Ort gemacht, danach das Gymnasium und die Tourismusfachschule in Innsbruck.«

Veronika war überrascht, wie sehr sich Mario für sie interessierte. Normalerweise erzählten Männer bei solchen Chats alles Mögliche über sich, um zu beeindrucken. Mario war anders. Angenehm anders. Ihr Gespräch ging ohne peinliche Pausen dahin. Sie redeten über Erinnerungen aus der Schulzeit, über das Skifahren, ihre Träume als Teenager und wo sie nun im Leben standen.

»Warst du schon einmal verheiratet?«, fragte sie Mario.

Die Frage kam überraschend und war für ein erstes Date fast ein wenig zu heftig, aber sie war Veronika einfach so herausgerutscht.

»Nein. Du?«

»Auch nicht.«

Sie waren beide bereits Anfang dreißig und die meisten ihrer Altersklasse hatten schon das Jawort gegeben und manchmal sogar Kinder bekommen.

Weil Mario auf ihre direkte Frage so offen geantwortet hatte, traute sich Veronika weiter vor. »Lebst du in Stams? Oder warst du im Internat?«

»Internat. Ich bin in Völs zu Hause.«

Auch Völs war Veronika bekannt. Der Ort lag nicht weit von Innsbruck entfernt.

Danach ging es wieder um belanglosere Dinge wie Lieblingsfilme, Musik und Essen. Sie stellten fest, dass sie in allem einen ähnlichen Geschmack hatten.

»Was tust du morgen?«, wollte Mario wissen.

»Arbeiten. Ich habe nächste Woche Samstag eine Hochzeit hier im Hotel. Dafür muss einiges vorbereitet werden. Und du?«

»Ich habe Dienst. Aber hast du auch einmal frei?«

Veronikas Herz begann heftig zu schlagen. Wollte er ein Treffen vorschlagen? Nach diesem Telefonat war sie dazu mehr als bereit. Sie spürte die Verbindung zwischen ihnen und wollte sie vertiefen.

»Ja, natürlich, ich habe auch manchmal frei. Vor allem am Abend. Wieso?«

»Wäre schön, wenn wir uns einmal richtig sehen könnten. Wo wohnst du eigentlich?«

»Ich bin in Hochlissen zu Hause.« Eigentlich hatte sie das nicht verraten wollen, aber Mario klang sehr vertrauenswürdig.

»Soll ich dich besuchen kommen? Oder willst du dich lieber in Innsbruck treffen?«

»Innsbruck klingt gut.«

»Wie wäre es nächsten Samstag?«

»Da habe ich die Hochzeit bei mir im Hotel.«

»Richtig. Du hast es erwähnt. Entschuldige. Dann vielleicht Sonntag? Oder musst du da noch aufräumen?«

»Sonntag 18 Uhr klappt sicher. Die Gäste reisen bis spätestens 15 Uhr ab.«

»Dann haben wir ein Date. Ich trage es gleich in den Kalender ein.«

»Hast du einen Vorschlag für ein Restaurant? Ich habe ein bisschen den Überblick verloren, was es in Innsbruck so gibt.«

Mario überlegte. »Gib mir ein wenig Zeit. Ich will etwas wirklich Gemütliches und Gutes finden. Am besten, ich lass dir die Adresse dann per WhatsApp zukommen.«

»Ja, das wäre das einfachste.« Veronika nannte ihm ihre Handynummer.

»Ich schicke dir gleich eine Nachricht, damit du meine Nummer auch hast«, versprach Mario.

Das Gespräch hatte einen Punkt erreicht, an dem sie am besten Schluss machten. Für Veronika war es viel besser verlaufen als erwartet. Sie fieberte dem nächsten Sonntag entgegen. Noch neun lange Tage, wie sollte sie diese Zeit aushalten?

»Ich freue mich schon sehr!«

»Dann haben wir schon wieder eine Gemeinsamkeit«, meinte Mario.

Sie verabschiedeten sich mehrere Male, aber keiner wollte den roten Knopf drücken, um das Gespräch zu beenden. Schließlich war es Mario, der es tat und Veronika war darüber fast ein wenig enttäuscht.

Mit einem tiefen Durchatmen lehnte sie sich auf dem Sofa zurück. Fast zwei Stunden hatten sie geredet. So etwas war nur möglich, wenn es eine gewisse Verbindung zwischen zwei Menschen gab.

Veronikas Handy lag auf dem kleinen Schreibtisch im Schlafzimmer und sie ging es holen. Als Erstes wollte sie Marios Nummer speichern, damit sie bestimmt nicht verloren ging.

Seltsam. Er hatte ihr noch keine Nachricht geschickt. Sie sah auf die Uhr. Seit dem Ende des Gesprächs waren erst ein paar Minuten vergangen. Vielleicht war er auf die Toilette gegangen oder hatte sich einen Drink geholt.

Nach einer halben Stunde hatte sie noch immer nichts von ihm gehört. Veronikas Unruhe wuchs. Sie legte sich ins Bett, das Handy auf dem Nachtkästchen. Es dauerte lange, bis sie einschlief. Als sie aufwachte, griff sie sofort zum Telefon. Die Anzeige leuchtete auf.

2.02 Uhr

Keine Nachricht.

Hatte er vergessen? Wie konnte man so etwas vergessen? Oder hatte sie einen Fehler gemacht und bei der Verabschiedung zu überschwänglich geklungen? Sollte sie ihm eine Nachricht auf der Datingplattform schicken, um ihn zu erinnern?

Nein, das könnte er für aufdringlich halten. Er würde sich schon melden. Spätestens, wenn er ihr Name und Adresse des Lokals durchgeben würde, in dem sie sich treffen sollten. Die Enttäuschung über sein Vergessen schob Veronika beiseite. Es gab sicherlich eine einfache Erklärung, über die sie beide lachen und von der sie noch ihren Enkelkindern erzählen würden.

SAMSTAG 14. NOVEMBER

DAS PAKET

»Bitte verraten Sie mir doch, welche Überraschung Sie für die Hochzeit planen.« Veronika versuchte es mit dem Kleinmädchen-Tonfall, den sie schon sehr lange nicht mehr eingesetzt hatte.

Lady Ross legte das Besteck auf den Teller und lächelte amüsiert. »Oh nein, meine Liebe. Sie müssen sich da schon gedulden. Ich bin auch nicht völlig überzeugt, dass ich alles bekommen werde. Meine Suche hat erst gestern angefangen, wie Sie wissen. Ich will keine Erwartungen wecken, denen ich nicht entsprechen kann.«

An diesem Abend hatte Lady Ross einen Seidenturban um ihre kupferrot gefärbte Mähne geschlungen und trug eine halbmondförmige Brille. Veronika erinnerte die Nachbarin an einen theatralischen Stummfilmstar.

»Zeit für mein Zigarettchen.« Die Lady machte sich auf den Weg zur Terrasse. Wie immer brachte ihr Veronika den Nerzmantel nach. Für sich selbst hatte sie eine Daunenjacke bereitliegen, da sie ihrem einzigen Gast Gesellschaft leisten wollte.

Als die beiden ins Freie traten, tanzten kleine Schneeflocken vom Himmel herab.

»Der Schnee muss Sie doch freuen«, meinte Lady Ross. »Bestimmt bringt er Ihnen die ersten Wintergäste.«

Veronika sah das anders. »Meine Eltern haben das Personal erst für den 1. Dezember eingestellt und mir untersagt, etwas anderes zu tun. Auch wenn ich offiziell das Hotel leite.« Sie seufzte. »Ich kann keine Buchungen vor dem 1. Dezember annehmen.«

Sie hörte das Kratzen einer Schneeschaufel und warf einen Blick über die Brüstung der Terrasse. Ihr Vater, nur in Hose und Pullover, räumte energisch die dünne Schneeschicht auf dem Gehweg zur Seite.

»Papa? Du wirst dich verkühlen«, warnte Veronika.

»Ein ordentliches Hotel hält seine Wege sauber«, belehrte sie Herr Wunderer.

Lady Ross trat neben Veronika. »Ich danke Ihnen für Ihre Umsicht«, sagte sie überschwänglich.

Veronika blickte sie verwundert an.

Die Lady fuhr fort: »Dieser Weg führt doch zum Teich im Wald. Er ist einer meiner liebsten Spazierwege. Mein Arzt hat mir, wie Sie wissen, Höhenluft und täglich Nordic Walking verschrieben. Es wäre das einzige Mittel, um mein Herz und meine Lunge gesund zu halten. Sonst bin ich in wenigen Jahren …« Sie fuhr sich mit einem Finger über die Kehle.

»Zum Waldsee würde ich jetzt nicht mehr gehen.« Veronikas Vater stützte sich auf die Schaufel. »Erst letzten Winter ist jemand auf dem Weg gestürzt und hat sich den Knöchel gebrochen. Doppelt gebrochen.«

Daran erinnerte sich Veronika mit Schrecken. Der Gast war eine Nacht lang im Schnee gelegen und halb erfroren. Er hatte aber auch niemandem gesagt, dass er noch einen Spaziergang zum See unternehmen wollte.

»Wie auch immer, es wird Zeit für mich, aufzubrechen. Meinen Sherry nehme ich daheim.« Lady Ross dämpfte die Zigarette im Aschenbecher aus, der immer für sie auf einem Tisch auf der Terrasse bereitstand. Sie schritt die kleine Treppe hinunter, die zum Gehweg führte.

»Bis morgen«, rief ihr Veronika nach.

»We’ll meet again«, trällerte Lady Ross ein altes Lied, das bei den Soldaten im Zweiten Weltkrieg sehr beliebt gewesen war.

Als sie außer Hörweite war, knurrte Veronikas Vater »Vogelscheuche« und setzte das Schaufeln fort.

Veronika räumte das schmutzige Geschirr in die Küche. Bevor sie sich in ihre Wohnung unter dem Dach zurückzog, ging sie noch schnell ins Büro. Sie wollte sich die Bestellung der Zutaten für das Hochzeitsessen ausdrucken und kontrollieren, ob sie auch nichts vergessen hatte.

Als Veronika die Klappe in der Theke der Rezeption öffnete, sah sie dort ein Päckchen stehen. Es war so groß wie ein Schuhkarton, in weißes Packpapier gewickelt und mit grober Schnur zusammengebunden. Veronika nahm es und drehte es. Es stand weder ein Name, noch eine Adresse darauf. Absender auch keiner.

Das Päckchen war leicht und als Veronika es prüfend schüttelte, klapperte etwas darin.

Der Postbote hatte den Code für das elektronisch gesteuerte Eingangstor des Hotels und legte Briefe und Päckchen immer auf die Theke. Er konnte die Schachtel aber nicht gebracht haben, da es keine Postsendung war.

Das Paket muss den Eltern gehören, dachte Veronika. Im Büro druckte sie die Bestellliste aus. Als sie vom Schreibtisch einen Kugelschreiber nahm, fiel ihr Blick auf die Wetterstation. Auf den Gipfeln war die Temperatur auf minus sieben Grad Celsius gefallen. Die Vorhersage hatte sich in den vergangenen Stunden verändert und es wurde starker Schneefall erwartet. Wie es aussah, konnte das Präparieren der Pisten bald beginnen.

Während der Drucker ratterte, rief Veronika über die Hausanlage in der Wohnung der Eltern an.

»Für euch liegt ein Päckchen an der Rezeption.«

Ihre Mutter wusste nichts von einem Päckchen. Sie fragte Veronikas Vater, der im Hintergrund heftig hustete. Auch er erwartete nichts.

Hatte vielleicht Lady Ross dieses Paket mitgebracht und vergessen? Sie war vor dem Essen in der Halle gesessen und hatte telefoniert, erinnerte sich Veronika.

Sie rief in der Villa der Lady an. Ignaz hob ab.

»Residenz Lady Ross, guten Abend.«

»Veronika hier. Kannst du die Lady fragen, ob sie heute vielleicht ein Päckchen in der Rezeption bei uns vergessen hat?«

»Sie hat das Haus ohne Päckchen verlassen«, sagte Ignaz.

»Vielleicht hat sie es im Ort abgeholt und mitgenommen.«

»Sie war nicht im Ort.«

Veronika verlor die Geduld. »Ignaz, frag sie einfach. Tu mir den Gefallen.«

Ignaz legte den Hörer des Festnetzapparates weg. Es dauerte, bis er zurückkam.

»Nein, Lady Ross weiß nichts von einem Päckchen.«

»Alles klar. Gute Nacht.« Veronika legte auf. Ihr Blick fiel auf das Handy, das auf dem Schreibtisch lag.

Weiterhin keine WhatsApp-Nachricht von Mario. Mit ihrer Beherrschung war es vorbei und sie beschloss, ihm eine Nachricht über die Datingplattform zu schreiben. Die Begeisterung über das Gespräch war der Wut über seine Unverlässlichkeit gewichen. Normalerweise ging sie nie über den Bürocomputer auf die Datingseiten, aber an diesem Abend machte sie eine Ausnahme. Veronika loggte sich ein und öffnete die Nachrichtenbox ihres Profils, wo der Gesprächsverlauf mit Mario gespeichert war. Sie wollte ihm etwas Lässiges schreiben. »Vielleicht habe ich dir meine Handynummer nicht richtig angesagt und deine Nachricht ist an jemand anderen gegangen. Hier noch einmal zur Sicherheit …« So klang sie weder vorwurfsvoll noch beschuldigend, sondern einfach praktisch.

Verwundert sah Veronika auf den Bildschirm. Sie ließ die Seite erneut laden, aber es änderte sich nichts.

Marios Nachrichten waren verschwunden. Alle.

Seinen Profilnamen kannte sie auswendig: Mario9990. Er hatte ihr erklärt, dass es sein Geburtstag wäre: Der 9. September 1990. Veronika tippte ihn in das Feld der Suchfunktion und drückte die Eingabetaste.

Unbekannt. Noch einmal schrieb sie Buchstabe für Buchstabe und Zahl für Zahl. Neuerlicher Versuch und …

Unbekannt. Veronika wurde unruhig. Als nächstes klickte sie das Hilfsmenü an und ging zu »Fragen und Antworten«.

• Q: Nachrichten eines Users sind nicht mehr in der Inbox, wieso?

• A: Löscht ein User sein Profil, so werden damit auch alle Nachrichten gelöscht, die er verschickt hat.

Sie hörte ihren Atem schneller gehen. Wieso hatte er das getan? Mario besaß ihre Handynummer und konnte sich zusammenreimen, wo sie zu finden war. Veronika hatte schon einige Male von »Ghosting« gehört, wenn Leute zuerst besonders verbindlich waren und danach verschwanden wie ein Geist.

Sie war ein Opfer von Ghosting geworden. Damit hätte sie nie gerechnet.

Aber wieso hatte Mario das getan? War sie wieder einmal einem Knallkopf auf den Leim gegangen, wie schon einige Male davor? Mario hatte anders geklungen und sie hatte den Eindruck gehabt, es wären auch bei ihm echte Gefühle im Spiel gewesen.

Mit einer Mischung aus Wut und Beunruhigung schloss sie die Datingseite.

»Dreckskerl«, schimpfte sie leise vor sich hin. »So ein Aas.« Sie stand auf und trat gegen das Bein des Schreibtisches, um sich abzureagieren. Dem Tischbein war es egal, dafür taten ihr die Zehen weh.

Weil sie noch etwas tun musste, um Druck abzulassen, nahm sie eine Schere und schnitt die Verschnürung des Pakets auf. Sie fetzte das Packpapier herunter und hielt sodann eine braune Pappschachtel in Händen. Veronika hob den Deckel. Die Schachtel war mit Seidenpapier ausgelegt, das locker zusammengedrückt worden war. Darin war etwas eingeschlagen. Veronika zupfte das Papier auseinander.

Ihr Herz machte einen Sprung, als sie den Inhalt der Schachtel sah.

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