Kitabı oku: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 (Golden Deer Classics)», sayfa 10
»Ist dieser Mensch wirklich der Baron von Nucingen?« fragte Europa Louchard; und sie kommentierte ihren Zweifel durch eine Geste, um die Fräulein Dupont, die letzte Soubrette des Théâtre Français, sie beneidet hätte. »Ja,« sagte Louchard. »Ja,« erwiderte Contenson. »Ich pürge fier sie,« sagte der Baron, den Europas Zweifel in seiner Ehre traf; »lassen Se mich mit ihr schbrechen ain Wort.« Esther und ihr alter Liebhaber traten in das Schlafzimmer, an dessen Schloß Louchard das Ohr zu legen für nötig fand.
»Ich liebe Sie mehr als main Leben, Esder; aber woßu Ihren Kläubikern Keld keben, das unentlich viel pesser in Ihrer Pörse wäre? Kehn Se ins Kefänknis: ich mache mich anhaischig, die hünderttausend Taler fier hünderttausend Franken aufßugaufen; dann haben Se ßweihünderttausend Franken fiersich … «
»Dieses System«, rief Louchard ihm zu, »nützt nichts. Der Gläubiger ist nicht in das gnädige Fräulein verliebt! … Sie verstehen? Und er will mehr als alles, weil er weiß, daß Sie in sie vernarrt sind.« »Erztummkopf!« rief Nucingen Louchard zu, indem er die Tür öffnete und ihn in das Schlafzimmer einließ, »du waißt nicht, was du sagst! Ich kebe dir fier dich finf Broßent, wenn du erletigst die Sache … « »Unmöglich! Herr Baron.« »Wie, Herr Baron, Sie hätten das Herz,« sagte Europa, indem sie eintrat, »meine Herrin ins Gefängnis gehen zu lassen? … Aber wollen Sie meinen Lohn, meine Ersparnisse? Nehmen Sie sie, gnädige Frau, ich habe vierzigtausend Franken … « »Ach, mein armes Mädchen, ich kenne dich nicht wieder!« rief Esther, indem sie Europa in die Arme schloß. Europa brach in Tränen aus.
»Ich peßahle,« sagte der Baron jämmerlich, indem er ein Heft hervorzog, dem er einen jener kleinen bedruckten, viereckigen Zettel entnahm, wie sie die Bank den Bankiers zur Verfügung stellt und auf denen sie nur in Ziffern und Buchstaben die Summe auszufüllen haben, um auf den Inhaber lautende Anweisungen daraus zu machen.
»Das lohnt nicht der Mühe, Herr Baron,« sagte Louchard, »ich habe Befehl, meine Zahlung nur bar in Gold oder Silber entgegenzunehmen. Weil Sie es sind, will ich mich mit Banknoten begnügen.« »Der Teifel!« rief der Baron auf deutsch, »ßeigen Se mir doch die Fechsel!« Contenson reichte drei Aktenhefte mit blauem Umschlag hin, die der Baron nahm, indem er Contenson ansah und ihm zuflüsterte: »Du hättest ainen pessern Dag kehapt, wenn du mich kewarnt hättest.« »Ach, wußte ich, daß Sie hier sein würden, Herr Baron?« erwiderte der Spion, ohne sich darum zu kümmern, ob Louchard ihn hörte oder nicht. »Sie haben dabei verloren, daß Sie mir Ihr Vertrauen entzogen. Man rupft Sie,« fügte der tiefe Philosoph hinzu, indem er die Achseln zuckte. »Wreilich,« sagte der Baron bei sich selber. »Ach, maine Glaine,« rief er, als er die Wechsel sah, indem er sich zu Esther wandte, »Sie sind das Obwer aines Erzhalungen, aines Schwindlers!« »Leider, ja!« sagte die arme Esther; »aber er hat mich sehr geliebt! … « »Wenn ich hätt kewußt … dann hätt ich fier Sie Ainspruch erhoben.« »Sie verlieren den Kopf, Herr Baron,« sagte Louchard, »es ist ein zweiter Indossant vorhanden.« »Ja,« erwiderte er, »es ist ein ßweiter Intossant vorhanten … « »Will der Herr Baron ein Wort an seinen Kassier schreiben?« fragte Louchard; »ich werde Contenson zu ihm schicken und meine Leute entlassen. Die Zeit vergeht, und jedermann würde erfahren … «
»Keh, Gondanzon!« sagte Nucingen. »Main Gassier wohnt Ecke Rie tes Madhirins und de l'Argate. Hier ist ain Prief, damit er ßu den Kellers keht, wenn wir kaine hünderttausend Taler haben; denn unser Keld ist kanz auf der Pank … Sziehen Se sich an, main Engel,« sagte er zu Esther, »denn Sie sind frai. Die alten Frauen«, rief er, indem er Asien ansah, »sind kewährlicher als die jungen … «
»Ich gehe, um den Gläubiger zum Lachen zu bringen,« sagte Asien zu ihm, »und er wird mir so viel geben, daß ich mich heute amüsieren kann. Ohne Kroll, Herr Baron!« fügte die Saint-Estève hinzu, indem sie eine scheußliche Verbeugung machte … Louchard nahm die Papiere wieder aus den Händen des Barons entgegen und blieb mit ihm allein im Salon zurück, wohin eine halbe Stunde darauf mit Contenson auch der Kassier kam. Esther erschien eben in einer entzückenden, wenn auch improvisierten Toilette. Als Louchard die Summen gezählt hatte, wollte der Baron die Papiere nochmals prüfen, aber Esther ergriff sie mit der Geste einer Katze und trug sie in ihren Sekretär.
»Was geben Sie für das Gesindel?« fragte Contenson Nucingen. »Sie haben nicht kenommen viel Rücksicht,« sagte der Baron. »Und mein Bein! … « rief Contenson. »Lichart, Sie werden keben hündert Franken an Gondanzon von dem Rest des Tausendfrankenschains … «
»Das ist aine ssehr hibsche Frau!« sagte der Kassier zu dem Baron, als sie die Rue Taitbout verließen; »aber sie gömmt den Herrn Paron recht teier.« »Pewahren Se mir Kehaimnis,« sagte der Baron, der auch Contenson und Louchard um Schweigen gebeten hatte.
Louchard ging davon, und ihm folgte Contenson; aber auf dem Boulevard hielt Asien, die auf ihn wartete, den Exekutor zurück. »Der Gerichtsvollzieher und der Gläubiger sitzen da in einem Fiaker, sie haben Durst,« sagte sie, »und da ist was zu verdienen.«
Während Louchard die Scheine hinzählte, konnte Contenson die Kunden prüfen. Er sah Herreras Augen, erkannte die Form der Stirn unter der Perücke, und die Perücke erschien ihm mit Recht verdächtig; er merkte sich die Nummer des Fiakers, obwohl er allem, was vorging, ganz gleichgültig gegenüberzustehen schien; Asien und Europa machten ihm außer ordentlich viel zu schaffen. Er sagte sich, daß der Baron das Opfer äußerst geschickter Leute sei, und zwar um so mehr, da Louchard von merkwürdiger Verschwiegenheit gewesen war, als er seine Dienste erbat. Europas Beinhieb hatte Contenson übrigens nicht nur am Schienbein getroffen. ›Das ist ein Hieb, der nach Saint-Lazare) schmeckt!‹ hatte er bei sich selbst gesagt, als er wieder aufstand.
Carlos schickte den Gerichtsvollzieher fort, nachdem er ihn freigebig bezahlt hatte, und sagte, während er zahlte, zum Kutscher: »Palais Royal, Freitreppe.«
›Ah, der Schlaukopf!‹ sagte Contenson bei sich, als er die Adresse hörte, ›da gibt es etwas! … ‹
Carlos kam in solcher Fahrt zum Palais Royal, daß er keine Verfolgung zu fürchten hatte. Übrigens eilte er dort auf seine Art durch die Galerien, nahm auf der Place Château d'Eau einen zweiten Fiaker und rief dem Kutscher zu: »Opernpassage, auf der Seite der Rue Pinon.«
Eine Viertelstunde darauf trat er in der Rue Taitbout ein. Als Esther ihn sah, sagte sie: »Hier sind die gefährlichen Papiere!« Carlos nahm sie, sah sie durch und ging hinaus, um sie am Küchenfeuer zu verbrennen.
»Der Streich ist gespielt!« rief er, indem er die dreihunderttausend Franken zeigte, die er, in ein Bündel gerollt, aus der Tasche seines Überrocks zog. »Das und die hunderttausend Franken, die Asien erwischt hat, damit können wir handeln.« »Mein Gott! Mein Gott!« rief die arme Esther. »Aber, du Dummkopf!« sagte der wilde Rechner, »sei zum Schein Nucingens Geliebte, und du wirst Lucien sehen können; er ist Nucingens Freund; ich verbiete dir nicht, eine Leidenschaft für ihn zu hegen!«
Esther sah eine schwache Helle in ihrem düstern Leben; sie atmete auf.
»Europa, meine Tochter,« sagte Carlos, indem er dieses Geschöpf in einen Winkel des Boudoirs führte, wo niemand ein Wort ihrer Unterhaltung auffangen konnte, »Europa, ich bin mit dir zufrieden.«
Europa hob den Kopf und sah diesen Menschen mit einem Ausdruck an, der ihr welkes Gesicht so sehr verwandelte, daß die Zeugin dieser Szene, nämlich Asien, die an der Tür wachte, sich fragte, ob das Interesse, durch das Carlos Europa an sich fesselte, das, durch das sie sich an ihn gekettet fühlte, an Tiefe übertreffen könnte.
»Das ist nicht alles, meine Tochter. Vierhunderttausend Franken sind für mich nichts … Paccard wird dir eine Rechnung für Silbergeschirr überreichen, sie beläuft sich auf dreißigtausend Franken, und es sind Anzahlungen darauf geleistet; aber Biddin, unser Goldschmied, hat Kosten gehabt. Unser Mobiliar, das er hat pfänden lassen, wird ohne Zweifel morgen ausgeboten werden. Suche Biddin auf; er wohnt in der Rue de l'Arbre-Sec; er wird dir für zehntausend Franken Pfandscheine geben. Du verstehst: Esther hat sich Silbergeschirr machen lassen, sie hat es nicht bezahlt und hat es versetzt; wir werden sie mit einer kleinen Klage wegen Betrugs bedrohen. Summe: dreiundvierzigtausend Franken mit den Kosten. Dieses Silbergeschirr ist von schlechter Legierung, der Baron wird es erneuern, wir werden ihm da wieder ein paar Tausendfrankenscheine mausen. Ihr schuldet der Schneiderin für zwei Jahre … wieviel?« »Wir schulden ihr vielleicht sechstausend Franken,« erwiderte Europa. »Gut; wenn Frau Auguste bezahlt werden und sich die Kundschaft erhalten will, so wird sie für vier Jahre eine Rechnung über dreißigtausend Franken ausstellen. Der gleiche Handel mit der Modistin. Der Juwelier Samuel Frisch, der Jude in der Rue Sainte-Avoie, wird dir Pfandscheine leihen; wir müssen ihm fünfundzwanzigtausend Franken schulden, und wir werden für sechstausend Franken von unserm Schmuck im Leihhaus haben. Wir werden den Schmuck dem Juwelier zurückgeben, die Hälfte der Steine muß falsch sein; daher wird der Baron sie nicht einmal ansehen. Kurz, du zueinander passen,« sagte Carlos. »Nach Valenciennes zurückkehren! … Können Sie das denken, gnädiger Herr?« rief Europa erschreckt aus.
Europa war als Tochter sehr armer Weber, geboren zu Valenciennes, mit sieben Jahren in eine Spinnerei geschickt worden, und dort hatte die moderne Industrie ihre Körperkräfte mißbraucht, genau wie das Laster sie vor der Zeit verdorben hatte. Mit zwölf Jahren verführt, mit dreizehn Mutter, so sah sie sich an tief entartete Wesen gefesselt. Aus Anlaß eines Mordes hatte sie als Zeugin vor dem Geschwornengericht erscheinen müssen. Der Schrecken, den die Rechtspflege einflößt, und ein Rest von Ehrlichkeit besiegten die Sechzehnjährige, und der Angeklagte wurde auf Grund ihres Zeugnisses zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Dieser Verbrecher, einer jener Rückfälligen, deren Organisation mit furchtbarer Rache droht, hatte vor dem versammelten Gerichtshof zu diesem Kind gesagt: ›In zehn Jahren, Prudentia, da komm ich wieder, als wäre es heute, um dich kalt zu machen, und müßt' ich unter die Sense!‹
Der Präsident des Gerichtshofs versuchte zwar, Prudentia Servien zu beruhigen, indem er ihr die Stütze und das Interesse der Justiz versprach; aber das arme Kind wurde von so tiefem Schrecken befallen, daß sie erkrankte und fast ein Jahr lang im Spital blieb. Die Justiz ist ein Vernunftwesen, das dargestellt wird von einer Anzahl von Individuen, die sich fortwährend erneuern und deren gute Absichten und Erinnerungen wie sie selbst außerordentlich wandelbar sind. Polizei und Gerichte können Verbrechen niemals verhindern; sie sind dazu erfunden, sie als vollendete Tatsachen hinzunehmen. In dieser Hinsicht wäre eine Vorbeugungspolizei eine Wohltat für das Land; aber das Wort Polizei schreckt heute den Gesetzgeber, der nicht mehr zwischen den Worten ›regieren‹, ›verwalten‹ und ›Gesetze geben‹ zu unterscheiden weiß. Der Gesetzgeber neigt dazu, alles in den Staat hineinzuziehen, als könnte der handeln. Der Sträfling müßte immerfort an sein Opfer denken und sich rächen, wenn die Justiz weder an ihn noch an sie denken würde. Prudentia, die ihre Gefahr instinktiv, im großen und ganzen, wenn man will, begriff, verließ Valenciennes und kam mit siebzehn Jahren nach Paris, um sich dort zu verbergen. Sie übte dort vier Berufe aus, deren bester der einer Statistin bei einem kleinen Theater war. Paccard begegnete ihr, und sie erzählte ihm ihr Unglück. Paccard, Jakob Collins rechter Arm und Sklave, sprach seinem Herrn von Prudentia; und als der Meister eine Sklavin brauchte, sagte er zu ihr: ›Wenn du mir dienen willst, wie man dem Teufel dienen muß, so werde ich dich von Durut befreien.‹
Durut war der Sträfling, das Damoklesschwert, das über dem Kopf der Prudentia Servien hing. Ohne diese Einzelheiten hätten manche Kritiker wohl Europas Ergebenheit ein wenig phantastisch gefunden. Und niemand hätte den Theatercoup begriffen, den Carlos herbeiführen wollte.
»Ja, meine Tochter, du kannst nach Valenciennes zurückkehren … Da, lies!« Und er reichte ihr das Zeitungsblatt vom Tage vorher, indem er ihr mit dem Finger den folgenden Artikel zeigte: »Toulon. Gestern fand die Hinrichtung Johann Franz Duruts … Schon am frühen Morgen mußte die Garnison usw.«
Prudentia ließ die Zeitung fallen; ihre Beine gaben unter dem Gewicht ihres Körpers nach: sie fand das Leben wieder, denn wie sie sagte, hatte sie seit Duruts Drohung am Brot keinen Geschmack mehr gefunden.
»Du siehst, ich habe mein Wort gehalten. Ich habe vier Jahre gebraucht, um Duruts Kopf zu Fall zu bringen, indem ich ihn in eine Schlinge lockte … Nun also, vollende hier mein Werk, und du sollst in deiner Heimat an der Spitze eines kleinen Geschäfts stehen mit einem Vermögen von zwanzigtausend Franken und als Frau Paccards, dem ich als Pension die Tugend gestatte.«
Europa nahm die Zeitung wieder auf und las mit lebendigen Augen all die Einzelheiten, wie Zeitungen sie, ohne dessen müde zu werden, seit zwanzig Jahren über die Hinrichtung der Sträflinge bringen: sie las von dem imposanten Schauspiel, dem Geistlichen, der noch stets den Sühnenden bekehrt hat, dem alten Verbrecher, der seine ehemaligen Kollegen ermahnt, von den aufgeprotzten Geschützen und den knienden Verbrechern; und schließlich folgten die banalen Reflexionen, die nichts an er Verwaltung des Bagnos ändern, in dem achtzehntausend Verbrecher wimmeln.
»Wir müssen Asien wieder ins Haus bringen,« sagte Carlos. Asien trat vor; sie verstand nichts von der Pantomime Europas. »Um sie hier wieder zur Köchin zu machen, werdet ihr zunächst dem Baron ein Diner servieren, wie er es noch nie gegessen hat,« fuhr er fort; »dann werdet ihr ihm sagen, Asien habe ihr Geld im Spiel verloren und wieder Dienste genommen. Einen Jäger werden wir nicht brauchen: Paccard wird Kutscher; Kutscher verlassen ihren Bock nicht; und da sie dort kaum zugänglich sind, so wird ihn die Spionage dort weniger leicht fassen. Die gnädige Frau wird ihm befehlen, eine gepuderte Perücke und einen dicken, betreßten Filzdreispitz zu tragen; das wird ihn verändern; übrigens werde ich ihm Runzeln malen.«
»Werden wir Bediente bei uns haben?« fragte Asien schielend. »Wir werden ehrliche Leute nehmen,« erwiderte Carlos. »Lauter schwache Köpfe,« sagte die Mulattin. »Wenn der Baron ein Hotel mietet, so hat Paccard einen Freund, der zum Pförtner taugt,« fuhr Carlos fort. »Dann brauchen wir nur noch einen Lakaien und ein Küchenmädchen; zwei Fremde werdet ihr wohl überwachen können.«
In dem Augenblick, als Carlos hinausgehen wollte, zeigte Paccard sich. »Bleiben Sie, es sind Leute auf der Straße,« sagte der Jäger.
Dieses so einfache Wort war beängstigend. Carlos stieg in Europas Zimmer hinauf und blieb dort, bis Paccard gekommen war, um ihn mit einem Mietswagen abzuholen, der bis ins Haus hineinfuhr. Carlos zog die Vorhänge herunter und wurde in so schneller Fahrt dahingeführt, daß jede Verfolgung eitel sein mußte.
Im Faubourg Saint-Antoine ließ er sich einige Schritte von einer Fiakerhaltestelle entfernt absetzen, ging zu Fuß zu einer Droschke und fuhr zum Quai Malaquais; so entging er den Neugierigen.
»Sieh, Kleiner,« sagte er zu Lucien, indem er ihm vierhundert Tausendfrankenscheine zeigte, »da haben wir, denke ich, eine Anzahlung auf den Landsitz Rubempré. Wir wollen hunderttausend davon aufs Spiel setzen. Man hat eben die Omnibusse lanciert, die Pariser werden sich in diese Neuheit verlieben: in drei Monaten werden wir unsern Einsatz verdreifachen. Ich kenne die Geschichte: man wird prachtvolle Dividenden auf das Kapital zahlen, damit die Aktien in Gang kommen … ein wiederaufgewärmter Gedanke Nucingens. Wenn wir den Rubempréschen Landsitz wieder zusammenstellen, werden wir nicht alles sofort bezahlen. Du wirst auf der Stelle Des Lupeaulx aufsuchen und ihn bitten, dich persönlich an einen Anwalt namens Desroches zu empfehlen, einen gerissenen Schlingel, den du in seinem Bureau besuchen wirst; du wirst ihm sagen, er möge nach Rubempré gehen und das Terrain studieren; und du wirst ihm zwanzigtausend Franken Honorar versprechen, wenn er dir dreißigtausend Franken Rente verschaffen kann, indem er rings um die Trümmer des Schlosses für achthunderttausend Franken Land aufkauft.« »Wie du jagst! … Und jagst und jagst! … « »Ich jage immer. Aber keine Scherze. Du wirst hunderttausend Taler in Schatzanweisungen anlegen, um keine Zinsen zu verlieren; du kannst sie Desroches übergeben, er ist ebenso ehrlich wie verschmitzt … Ist das geschehen, so eile nach Angoulême und setze bei deiner Schwester und deinem Schwager durch, daß sie dir zuliebe eine kleine Lüge auf sich nehmen. Deine Verwandten können dir ganz gut sechshunderttausend Franken gegeben haben, um deine Heirat mit Klotilde von Grandlieu zu erleichtern; das ist nicht entehrend.«
»Wir sind gerettet!« rief Lucien geblendet. »Du, ja!« erwiderte Carlos; »aber auch du bist es erst, wenn du mit Klotilde als Frau aus Saint-Thomas d'Aquin kommst … « »Was fürchtest du?« fragte Lucien, scheinbar voller Interesse für seinen Ratgeber. »Mir sind Neugierige auf der Spur … Ich muß den Eindruck eines wirklichen Priesters machen, und das ist recht langweilig! Der Teufel wird mich nicht mehr schützen, wenn er mich mit einem Brevier unterm Arm sieht.«
In diesem Augenblick erreichte der Baron von Nucingen, der Arm in Arm mit seinem Kassier davonging, das Tor seines Hotels. »Ich firchte,« sagte er, als er nach Hause kam, »ich habe ainen eländen Feldßug kemacht … Pah, wir werden das wieder einholen gönnen … « »Das Unklück ist, daß der Herr Paron sich ins Kerede kepracht hat,« erwiderte der gute Deutsche, dem nur das Dekorum Sorgen machte. »Ja, maine Keliepte muß in ainer Lage sain, die mainer wirdig ist,« sagte dieser Ludwig XIV. des Bureaus.
Da der Baron gewiß war, Esther früher oder später zu besitzen, so wurde er wieder der große Finanzier, der er war. Er nahm die Leitung seiner Geschäfte so energisch wieder auf, daß sein Kassier, als er ihn am folgenden Tage um sechs Uhr in seinem Arbeitszimmer vorfand, wie er Werte durchsah, sich die Hände rieb. »Entschieten hat der Herr Paron kestern nacht aine Ersparnis kemacht,« sagte er mit dem Lächeln eines Deutschen, der halb schlau, halb albern ist.
Wenn die Leute, die nach Art des Barons von Nucingen reich sind, mehr Gelegenheiten haben als andere, Geld zu verlieren, so haben sie auch mehr Gelegenheiten, welches zu gewinnen, selbst wenn sie sich ihren Torheiten überlassen. Obgleich die Finanzpolitik des berühmten Hauses Nucingen anderswo erklärt ist, so ist es doch wohl nicht unnötig, darauf aufmerksam zu machen, daß sich ein so beträchtliches Vermögen inmitten der geschäftlichen, politischen und industriellen Revolutionen unserer Zeit nicht erwerben, ausbauen, vergrößern und erhalten läßt, ohne daß ungeheure Kapitalsverluste stattfinden oder, wenn man will, ohne daß dem Vermögen der Einzelnen Steuern auferlegt werden. Es werden sehr wenig neue Werte in den Gesamtschatz der Erdkugel eingeführt. Jeder neue wucherische Aufkauf bedeutet eine neue Ungleichheit in der allgemeinen Verteilung. Was der Staat verlangt, gibt er zurück; aber was ein Haus Nucingen nimmt, das behält es. Dieser Dolchstoß entgeht den Gesetzen aus demselben Grunde, der aus Friedrich II. einen Jakob Collin, einen Mandrin gemacht hätte, wenn er, statt mit Schlachten auf die Provinzen einzuwirken, im Schmuggel oder in beweglichen Werten gearbeitet hätte. Die europäischen Staaten zu zwingen, daß sie Anleihen zu zwanzig oder zu zehn Prozent aufnehmen, diese zehn oder zwanzig Prozent mit dem Gelde des Publikums zu verdienen, die Industrien im großen zu prellen, indem man sich der Rohstoffe bemächtigt, dem Gründer eines Geschäfts einen Strick hinzureichen, um ihn überm Wasser zu halten, bis man seine scheintote Unternehmung aufgefischt hat, kurz all diese gewonnenen Schlachten der Taler bilden die hohe Politik des Geldes. Sicherlich kommen sowohl für den Bankier wie für den da, und England wird in gleichem Maße demoralisiert. Das Übel kommt bei uns durch das politische Gesetz. Die Verfassung hat die Regierung des Geldes proklamiert, der Erfolg wird zum letzten Richter einer atheistischen Zeit. Daher ist auch die Verderbtheit der höheren Sphären, trotz vor Gold blendender Ergebnisse und ihrer schönen Gründe, unendlich viel scheußlicher als die unvornehme und gewissermaßen persönliche Verderbtheit der unteren Kreise, aus der einige Einzelheiten dieser Szene als komisches, als, wenn man will, furchtbares Ingrediens dienen. Die Regierung, die jeder neue Gedanke erschreckt, hat die Elemente der gegenwärtigen Komik vom Theater verbannt. Die Bourgeoisie, die weniger liberal ist als Ludwig XIV., zittert davor, ihre ›Hochzeit Figaros‹ zu sehen; sie verbietet, den politischen ›Tartuffe‹ zu spielen; und sicherlich würde sie heute ›Turcaret‹ nicht spielen lassen, denn Turcaret selbst ist zum Souverän geworden. Hinfort wird die Komödie erzählt, und das Buch wird zur, wenn auch weniger rasch wirkenden, so doch sicherern Waffe der Dichter.
Während jenes Morgens, während des Hin und Hers der Audienzen, der erteilten Befehle und der wenige Minuten dauernden Besprechungen, die aus Nucingens Arbeitszimmer eine Art Vorhalle der Finanz machten, meldete ihm einer seiner Wechselmakler, daß ein Mitglied der Gesellschaft, eins der geschicktesten, eins der reichsten, nämlich Jakob Falleix, der Bruder Martin Falleix', der Nachfolger Julius Desmarets, verschwunden war. Jakob Falleix war der offizielle Wechselmakler des Hauses Nucingen. Im Einverständnis mit du Tillet und den Kellers hatte der Baron den Ruin dieses Mannes ebenso kühl heraufbeschworen, als hätte es sich darum gehandelt, zu Ostern ein Lamm zu schlachten.
»Er gonnte sich nicht halten,« sagte der Baron ruhig.
Jakob Falleix hatte dem Börsenwucher ungeheure Dienste geleistet. Während einer Krisis hatte er noch vor ein paar Monaten ›den Platz gerettet‹, indem er ein verwegenes Manöver ausführte. Aber Dankbarkeit von den Lüchsen verlangen, hieße das nicht, im Winter die Wölfe der Ukraine rühren wollen?
»Der arme Mensch!« sagte der Wechselmakler; »er war so wenig auf diese Entwicklung gefaßt, daß er seiner Geliebten in der Rue Saint-Georges noch ein kleines Haus möbliert hatte; er hat hundertfünfzigtausend Franken für Gemälde und Mobiliar ausgegeben. Er liebte Frau du Val-Noble so sehr! … Jetzt muß die Frau all das im Stich lassen … Alles ist noch unbezahlt.« ›Kut, kut!‹ sagte Nucingen bei sich selber, ›da haben wir aine Kelegenheit, maine Verluste der Nacht wieder ainßupringen.‹ »Er hat nichts peßahlt?« fragte er den Wechselmakler. »Oh,« versetzte der Agent, »welches wäre der ungehobelte Lieferant, der Jakob Falleix keinen Kredit gegeben hätte? Es scheint, das Haus hat einen auserlesenen Keller. Nebenbei, das Haus ist zu verkaufen, er wollte es erstehen. Der Mietsvertrag lautet auf seinen Namen. Was für eine Dummheit! Jetzt wird das Silberzeug, das Mobiliar, die Weine, der Wagen und die Pferde – alles wird zur Masse geschlagen, und was werden die Gläubiger davon haben?« »Gommen Se morgen,« sagte Nucingen, »dann hab ich mir das alles ankesehen, und fenn man nicht Gongurs eröffnet und die Tinge kütlich bailegt, werd ich Ihnen keben den Auftrag, ainen verninftigen Brais fier das Mopiliar zu pieten; den Mietsvertrag werd ich iebernehmen … « »Das wird sich machen lassen,« sagte der Wechselmakler. »Gehen Sie heute morgen hin, Sie werden einen der Kompagnons bei den Lieferanten finden, die sich gern ein Vorzugsrecht schaffen möchten; aber die Val-Noble hat ihre Rechnungen, die auf den Namen Falleix lauten.«
Der Baron von Nucingen schickte auf der Stelle einen seiner Kommis zu seinem Notar. Jakob Falleix hatte ihm von diesem Hause gesprochen, das höchstens sechzigtausend Franken wert war; und er wollte sofort den Besitz antreten, um wegen der Mieten ein Pfandvorrecht zu haben.
Der Kassier – der ehrliche Mensch – kam, um zu fragen, ob sein Herr bei dem Bankrott etwas verlöre. »Im Kegenteil, main kuter Wolfkang, ich werde wieder einpringen hunderttausend Franken.« »Und wie?« »Ah, ich werde gaufen das glaine Haus, das der arme Teifel Walleix seit ainem Jahr fier saine Keliepte ainrichtete. Ich werde begommen das Kanze, wenn ich den Kläubikern biete finfzigtausend Franken; und Gartod, mein Nodar, begommt mainen Auftrag fier das Haus, denn der Besitzer sitzt in der Glemme … Ich hab das kewußt, aber ich hatte mainen Gopf nicht mehr. Pald soll maine köttliche Esder ain glaines Balais pewohnen … Walleix hat es mir keßaigt: es ist funderpar, und kanz nah bei … Das paßt mir wie ain Hantschuh.«
Der Konkurs Falleix zwang den Baron, an die Börse zu gehen; aber es war ihm unmöglich, die Rue Saint-Lazare zu verlassen, ohne daß er in der Rue Taitbout vorging; er litt schon darunter, daß er ein paar Stunden ohne Esther verbracht hatte; er hätte sie am liebsten an seiner Seite behalten. Der Gewinn, den er durch die Masse seines Wechselmaklers zu erzielen gedachte, machte ihm den Verlust der vierhunderttausend Franken, die bereits ausgegeben waren, äußerst leicht. Er war entzückt, ›sainem Engel‹ den Umzug aus der Rue Taitbout in die Rue Saint-Georges melden zu können; denn dort würde sie in einem ›glainen Balais‹ sein, und ihrem Glück würden sich keine Erinnerungen entgegenstellen; so schien ihm denn das Pflaster unter den Füßen weich, er schritt dahin wie ein junger Mensch, er war befangen im Traum eines jungen Menschen. An der Ecke der Rue des Trois-Frères sah der Baron mitten in seinem Traum und mitten auf dem Pflaster mit verstörtem Gesicht Europa auf sich zukommen.
»Wohin willst du?« fragte er. »O gnädiger Herr, ich war auf dem Wege zu Ihnen. Sie hatten ganz recht, gestern! Ich sehe jetzt ein, daß die arme gnädige Frau auf ein paar Tage hätte ins Gefängnis gehen sollen. Aber verstehen sich wohl die Frauen auf die Finanzen? … Als die Gläubiger der gnädigen Frau erfuhren, daß sie in ihre Wohnung zurückgekehrt ist, sind sie alle wie über eine Beute über sie hergefallen … Gestern um sieben Uhr abends, gnädiger Herr, haben sie scheußliche Zettel angeklebt, daß Sonnabend ihr Mobiliar verkauft werden soll … Aber das ist noch nichts … Die gnädige Frau ist eben nur Herz, und da hat sie seinerzeit diesem Ungeheuer, Sie wissen ja, einen Gefallen tun wollen!« »Welchem Unkeheier?« »Nun, dem, den sie liebte, diesem von Estourny; oh, er war reizend! nur spielte er.« »Er schbielte mit kestichelten Karten … « »Nun, und Sie? … « sagte Europa, »was treiben Sie an der Börse? Aber lassen Sie mich erzählen. Um also eines Tages Georg daran zu hindern, daß er sich eine Kugel vor den Kopf schoß, hat sie ihr ganzes Silberzeug und ihren Schmuck ins Leihhaus getragen, und beides war nicht bezahlt. Als nun die Leute erfuhren, daß sie einem Gläubiger etwas gegeben hat, sind sie alle gekommen, um ihr eine Szene zu machen. Man droht ihr mit der Polizei … Ihr Engel auf der Anklagebank! – Kann einem da nicht die Perücke überm Kopf zu Berge stehen? … Sie schwimmt in Tränen, sie spricht davon, sich ins Wasser zu werfen … Oh, sie wird es tun!« »Wenn ich mitgomme, dann atiee Pörse!« rief Nucingen; »und es ist unmöglich, daß ich nicht hinkehe; ich will da etwas fier sie gewinnen … Keh und peruhige Mädchen von der Gasse, wenn sie Sie nicht liebte, denn Sie ziehen sie aus einer Hölle … Hat sie erst keine Sorgen mehr, so werden Sie sie kennen lernen. Unter uns, Ihnen kann ich es sagen: in der Nacht, als sie so viel weinte … was wollen Sie! Man will doch auch die Achtung des Mannes, der einen aushalten soll … Sie wagte Ihnen all das nicht zu sagen … Sie wollte durchgehen!« »Durchkehn!« rief der Baron, den dieser Gedanke entsetzte. »Aber die Pörse! die Pörse! Keh, keh, ich gomm jetzt nicht … Aber ich möchte sie am Fenster sehen … Ihr Anplick wird mir Mut keben … «
Esther lächelte Herrn von Nucingen zu, als er vor dem Hause vorüberging; und er schritt schwerfällig weiter, indem er sich sagte: ›Sie ist ain Engel!‹
Um dieses unmögliche Ergebnis herbeizuführen, war Europa auf folgendes Mittel verfallen. Gegen zweieinhalb Uhr hatte Esther sich angezogen, als erwartete sie Lucien; sie war entzückend; und als Prudence sie so sah, sagte sie mit einem Blick aufs Fenster: »Da ist der gnädige Herr!« Das arme Mädchen stürzte hin, weil sie Lucien zu erblicken meinte, und sie sah Nucingen. »Oh, wie du mich quälst!« sagte sie. »Es gab nur dieses Mittel, um den Schein zu wecken, als beachteten Sie einen armen alten Mann, der Ihre Schulden bezahlen wird,« erwiderte Europa; »denn jetzt werden sie alle bezahlt.« »Welche Schulden?« rief dieses Geschöpf, das nur daran dachte, ihre Liebe festzuhalten, die ihr furchtbare Hände entrissen. »Die, die Herr Carlos für die gnädige Frau gemacht hat.« »Wie? Wir haben doch schon fast vierhundertfünfzigtausend Franken!« rief Esther. »Sie haben noch für weitere hundertfünfzigtausend Franken Schulden. Aber der Baron hat all das sehr hübsch hingenommen … Er will Sie hier fortnehmen und in ein ›glaines Balais‹ bringen … Meiner Treu! Unglück haben Sie nicht! An Ihrer Stelle würde ich mir, da Sie diesen Menschen einmal am rechten Ende halten, sobald Sie Carlos befriedigt haben, ein Haus und Renten geben lassen. Die gnädige Frau ist ja die schönste Frau, die ich je gesehen habe, und auch die reizvollste; aber die Häßlichkeit kommt so schnell. Ich bin auch frisch und schön gewesen, und jetzt … ? Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, fast so alt wie die gnädige Frau, und ich sehe zehn Jahre älter aus … Eine Krankheit genügt … Aber wenn man ein Haus in Paris besitzt und seine Renten, so fürchtet man nicht mehr, auf der Straße zu enden … «
Esther hörte Europa, Eugenie, Prudentia Servien nicht mehr zu. Der Wille eines Menschen, der das Genie der Verderbtheit besaß, hatte also Esther mit der gleichen Kraft in den Kot zurückgeschleudert, mit der er sie daraus hervorgezogen hatte. Wer die Liebe in ihrer Unendlichkeit kennt, weiß, daß man ihre Genüsse nicht erlebt, wenn man nicht auch ihre Tugenden anerkennt. Seit der Szene in ihrer Mansarde der Rue de Langlade hatte Esther ihr altes Leben vollständig vergessen. Sie hatte bisher sehr tugendhaft gelebt, eingemauert in ihre Leidenschaft. Daher hatte auch der kluge Verführer das Talent gezeigt, alles so einzufädeln, daß das arme Mädchen, getrieben von ihrer Ergebenheit, nur noch schon vollzogenen Halunkereien oder solchen, die im Begriff standen, vollzogen zu werden, ihre Zustimmung zu geben hatte. Diese Feinheit zeigt die Überlegenheit des Verführers und gibt zugleich einen Fingerzeig über das Verfahren, durch das er Lucien unterworfen hatte. Furchtbare Zwangslagen schaffen, die Mine legen, sie mit Pulver füllen und im kritischen Augenblick zum Komplicen sagen: ›Ein Zucken mit dem Kopf, und alles fliegt in die Luft!‹ … Früher hatte Esther, vollgesogen von der Moral, die den Kurtisanen eigen ist, all diese Späße so natürlich gefunden, daß sie ihre Rivalinnen nur danach bemaß, wieviel sie einen Menschen auszugeben zwangen. sie putzen sich für die Gesellschaft und suchen in ihr ihre Ernte begehrlicher Blicke; aber Esther hatte, ohne daß es ein Opfer war, die Wunder echter Liebe vollbracht. Sie hatte Lucien sechs Jahre lang geliebt, wie die Schauspielerinnen und die Kurtisanen lieben, die, hinabgestoßen in den Schlamm und die Unsauberkeit, nach dem Adel und der Hingebung wahrer Liebe dürsten und die dann ausschließlich in ihr leben. Die entschwundenen Nationen, Griechen land, Rom und der Orient, haben die Frau stets eingesperrt; die Frau, die liebt, sollte sich von selbst einsperren. Man kann sich also denken, daß Esther, als sie aus dem phantastischen Palast kam, in dem sich dieses Fest, diese Dichtung abgespielt hatte, um in das ›glaine Balais‹ eines kalten Greisen hinabzusteigen, von einer Art moralischer Krankheit befallen wurde. Von einer eisernen Hand geschoben, war sie schon bis zur halben Höhe des Körpers hineingewatet in die Ehrlosigkeit, ohne auch nur überlegen zu können; aber seit zwei Tagen dachte sie nach, und sie fühlte tödliche Kälte im Herzen. Bei den Worten: ›auf der Straße zu enden‹ stand sie jäh auf und sagte: »Auf der Straße zu enden? … Nein, eher will ich in der Seine enden … « »In der Seine? … Und Herr Lucien? … « fragte Europa.