Kitabı oku: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 (Golden Deer Classics)», sayfa 12

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Europa stand, als sie dieses Wort vernahm, ganz blöde da, so wie sie wohl dagestanden hätte, wäre ihr die Lästerung eines Engels ins Ohr geklungen. »Nun, was hast du denn zu starren, ob ich Gewürznelken im Munde habe statt der Zähne? Ich bin jetzt nur noch ein ehrloses und unsauberes Geschöpf, eine Dirne, eine Gaunerin, und ich erwarte Mylord. Laß also ein Bad heizen und bereite mir meine Toilette. Es ist zwölf Uhr; der Baron wird wohl nach der Börse kommen; ich werde ihm schreiben, daß ich ihn erwarte; und ich hoffe, daß Asien ihm ein allerliebstes Diner bereitet; ich will ihn rasend machen, diesen Menschen … Vorwärts! Los, los! meine Tochter … Wir wollen lachen, das heißt wir wollen ›arbeiten‹.«

Sie setzte sich an ihren Tisch und schrieb den folgenden Brief:

»Mein Freund, wenn die Köchin, die Sie mir ge schickt haben, nicht schon in meinen Diensten gestanden hätte, so könnte ich glauben, es wäre Ihre Absicht, mich wissen zu lassen, wie oft Sie vorgestern bei Empfang meiner drei Briefe ohnmächtig geworden sind. – Was wollen Sie? Ich war an jenem Tage sehr nervös, ich ging die Erinnerungen meiner beklagenswerten Existenz noch einmal durch. – Aber ich kenne Asiens Aufrichtigkeit. Ich bereue also nicht mehr, Ihnen einigen Kummer gemacht zu haben, denn es hat mir beweisen müssen, wie teuer ich Ihnen bin. Wir sind einmal so, wir verachteten Geschöpfe; echte Liebe rührt uns mehr, als wenn wir der Anlaß wahnsinniger Ausgaben sind. Ich selbst habe immer gefürchtet, ich wäre nur der Kleiderhaken, an dem Sie Ihre Eitelkeiten aufhingen. Es langweilte mich, Ihnen nichts anderes zu sein. Ja, trotz Ihrer schönen Beteuerungen glaubte ich, Sie hielten mich für eine gekaufte Frau. Nun, jetzt werden Sie in mir also ein braves Mädchen finden, freilich unter der Bedingung, daß Sie mir immer noch ein klein wenig gehorchen. Wenn dieser Brief bei Ihnen die Verordnungen des Arztes ersetzen kann, so werden Sie es mir beweisen, indem Sie mich nach der Börse aufsuchen. Sie werden die unter den Waffen und mit Ihren Gaben geschmückt vorfinden, die sich zeit ihres Lebens Ihre Vergnügungsmaschine nennt,

Ihre

Esther.«

An der Börse war der Baron von Nucingen so lustig, so zufrieden, scheinbar so umgänglich, und er erlaubte sich so viel Scherze, daß du Tillet und die Kellers, die anwesend waren, sich nicht enthalten konnten, ihn nach dem Grunde seiner guten Laune zu befragen. »Ich werde keliept … Wir werden bald den Einwaihungsschmaus abhalten,« sagte er zu du Tillet. »Wie teuer kommt Sie das?« fragte Franz Keller scharf zurück; »Frau Coleville soll ihn im Jahr fünfundzwanzigtausend Franken gekostet haben.« »Nie hat mich diese Frau, die ain Engel ist, um ßwei Heller kepeten.« »So macht man es nie,« erwiderte du Tillet. »Um niemals etwas erbitten zu brauchen, legen sie sich Tanten oder Mütter zu.«

Siebenmal sagte der Baron auf der Fahrt von der Börse bis zur Rue Taitbout zu seinem Kutscher: »Sie fahren ja nicht, prauchen Se doch die Beitsche! … «

Er kletterte behend hinauf und fand seine Geliebte zum erstenmal so schön, wie es jene Mädchen sind, deren einzige Beschäftigung die Sorge für ihre Toilette und ihre Schönheit ist. Sie kam eben aus dem Bad, und die Blume war frisch und duftete, daß sie einem Robert von Arbrissel Begierden hätte einflößen können. Esther war in einer entzückenden Toilette. Eine Jacke aus schwarzem Rips, besetzt mit Posamenten aus rosa Seide, fiel offen über einen Rock aus grauem Satin herab; es war das Kostüm, in dem sie später die schöne Amigo in den ›Puritani‹ spielte. Eine Brustkrause aus englischen Spitzen fiel leicht auf die Schultern herab. Die Ärmel des Kleides waren von Schnüren gehalten, um die Puffen abzuteilen, die die anständigen Frauen seit einiger Zeit an Stelle der zu ungeheuerlich gewordenen Keulenärmel trugen. Esther hatte auf ihrem prachtvollen Haar eine Haube aus Mechelner Spitzen befestigt, die immer fallen zu wollen schien und doch nicht fiel; die ihr den Anschein gab, als sei sie nicht angezogen und schlecht gekämmt, obwohl man genau die weißen Striche ihres kleinen Kopfes zwischen den Furchen des Haares durchschimmern sah.

»Ist es nicht ein Greuel, die gnädige Frau so schön zu sehen hier in einem so verbrauchten Salon?« fragte Europa den Baron, als sie ihm die Tür des Salons aufhielt.

»Kut, gommen Se in die Rie Sainte-Schorsche,« sagte der Baron, indem er stehen blieb, wie ein Hund vor einem Rebhuhn halt macht. »Das Wedder ist brachtvoll, wir werden in den Champs Elysées schbaßierenfahren, und Frau Saint-Esdèfe wird mit Eischenie Ihre kanße Doilette, Ihre Wäsche und unser Tiner in die Rie Sainte-Schorsche hinieberschaffen.« »Ich werde alles tun, was Sie wollen,« sagte Esther, »wenn Sie mir das Vergnügen machen wollen, meine Köchin ›Asien‹ zu nennen und Eugenie ›Europa‹. So habe ich alle Frauen genannt, die mir gedient haben, von den beiden ersten an, die ich je gehabt habe. Ich liebe die Abwechslung nicht … « »Aßien … Eiroba … « wiederholte der Baron, indem er in ein Gelächter ausbrach. »Wie gomisch Sie sind … Sie haben Ainfälle … Ich gönnte viele Tiners essen, ehe ich aine Göchin Aßien nennte.« »Es ist unser Beruf, daß wir komisch sind,« sagte Esther. »Sehen Sie, kann denn ein armes Mädchen nicht Asien für sich kochen und sich von Europa kleiden lassen? Während Sie doch von der ganzen Welt leben? Das ist ein Mythus! Es gibt Frauen, die die Erde aufessen würden, und ich will nur die Hälfte; nicht?«

›Was fier aine Frau diese Frau von Saint-Esdèfe ist!‹ sagte der Baron bei sich selber, indem er den Wandel in Esthers Wesen bewunderte.

»Europa, ich brauche einen Hut, meine Tochter,« sagte Esther. »Ich muß einen Kapotthut aus schwarzem Satin mit rosa Futter und Spitzengarnitur haben.« »Frau Thomas hat ihn nicht geschickt … Auf, Baron, schnell! Die Pfote gerührt! Beginnen Sie Ihren Dienst als Lastträger, das heißt als glücklicher Mensch! Das Glück ist schwer! … Sie haben Ihren Wagen, gehen Sie zu Frau Thomas,« sagte Europa zum Baron. »Lassen Sie durch Ihren Bedienten um den Kapotthut der Frau van Bogseck bitten … Und vor allem,« flüsterte sie ihm ins Ohr, »bringen Sie das schönste Bukett mit, das in Paris vorhanden ist. Wir sind im Winter, sehen Sie zu, tropische Blumen zu finden.«

Der Baron ging hinunter und sagte zu seinem Bedienten: »Szu Frau Thomas.«

Der Kutscher fuhr seinen Herrn zu einer berühmten Konditorei. »Es ist aine Motistin, Tummkopf, kaine Dortenpäckerin!« sagte der Baron, der zum Palais Royal eilte, zu Frau Prévot, von der er für zehn Louisdors einen Strauß zusammenstellen ließ, während sein Bedienter zu der berühmten Modistin fuhr.

Der oberflächliche Beobachter fragt sich, wenn er in Paris spazierengeht, welches die Narren sind, die jene fabelhaften Blumen kaufen, wie sie den Laden der berühmten Blumenhändlerin schmücken, oder die Erstlinge Chevets, des Delikatessenhändlers von europäischem Ruf, des einzigen, der mit dem Rocher de Cancale eine wirkliche und wundervolle ›Revue der beiden Welten‹ bietet … Jeden Tag erheben sich in Paris hundert und einige Leidenschaften gleich der Nucingens, und sie zeigen sich in Seltenheiten, wie sie Königinnen sich nicht zu schenken wagen, wie man sie aber auf den Knien jenen Mädchen darbringt, die zu glänzen lieben. Ohne einen solchen Hinweis würde eine ehrliche Bürgersfrau nicht begreifen, wie ein Vermögen in den Händen dieser Geschöpfe zerschmelzen kann, deren soziale Obliegenheit im System Fouriers vielleicht darin besteht, daß sie das Unglück des Geizes und der Habgier wieder gutmachen. Solche Verschwendung wirkt ohne Zweifel auf den sozialen Organismus wie der Schnitt einer Lanzette auf einen vollblütigen Körper. In zwei Monaten hatte Nucingen den Kleinhandel mit mehr als zweihunderttausend Franken bewässert.

Als der alte Liebhaber zurückkehrte, brach die Nacht herein; das Bukett war überflüssig. Im Winter legt man die Spazierfahrt auf den Champs Elysées in die Zeit von zwei bis vier Uhr. Immerhin diente der Wagen Esther dazu, sich von der Rue Taitbout in die Rue Saint-Georges zu begeben, wo sie Besitz ergriff von dem ›glainen Balais‹. Nie, das muß man sagen, war Esther der Mittelpunkt eines solchen Kultus und einer solchen Verschwendung gewesen; sie war überrascht; aber sie hütete sich wie all jene königlichen Undankbaren, das geringste Staunen zu verraten. Wenn man in Rom Sankt Peter betritt, so zeigt man, um einen Anhalt über die Größe und Höhe der Königin aller Kathedralen zu geben, den kleinen Finger einer Statue, der ich weiß nicht welche Länge hat und doch als ein kleiner Finger in natürlicher Größe erscheint. Nun hat man gegen alle Schilderungen so viele Einwände erhoben, obwohl sie für die Geschichte unserer Sitten so notwendig sind, daß wir hier den römischen Cicerone nachahmen müssen. Als sie also in den Speisesaal traten, konnte der Baron sich nicht enthalten, Esther den Stoff der Fenstervorhänge in die Hand zu geben; sie hingen in königlicher Fülle da; das Futter war aus weißem Moiré, und der Besatz bestand aus Posamenten, die der Büste einer portugiesischen Prinzessin würdig gewesen wären. Dieser Stoff war eine Seidenarbeit, die in Kanton gekauft war und auf der chinesische Geduld die Vögel Asiens mit einer Vollkommenheit darzustellen gewußt hatte, derengleichen man nur noch auf mittelalterlichen Pergamenten oder im Meßbuch Karls V., dem Stolz der Kaiserlichen Bibliothek in Wien, wiederfindet.

»Er hat ainen Lord, der ihn hat mitkepracht aus Indien, zwaitausend Franken die Elle kekostet … « »Sehr hübsch … reizend! … Welch Vergnügen, hier Champagner zu trinken!« sagte Esther. »Hier wird der Schaum nicht schmutzig auf dem Boden!« »O gnädige Frau,« sagte Europa, »sehen Sie doch den Teppich! … « »Da man den Deppich fier den Herzog von Dorlonia, mainen Freind, keßeichnet hatte und er ihn ßu teier findet, so hab ich ihn kenommen fier Sie, denn Sie sind aine Gönigin!« sagte Nucingen.

Durch einen Zufall paßte dieser Teppich, der von einem unserer genialsten Zeichner stammte, zu den Launen der chinesischen Draperie. Die Wände, die Schinner und Leo von Lora gemalt hatten, stellten wollüstige Szenen dar, die hervorgehoben wurden von Ebenholzschnitzereien; diese Schnitzereien waren für schweres Gold von Dusommerard erstanden, und einfache Goldstriche zogen sparsam das Licht auf sie. Auf alles übrige kann man jetzt schließen.

»Sie haben gut daran getan, mich herzuführen,« sagte Esther; »ich werde wohl acht Tage nötig haben, um mich an mein Haus zu gewöhnen und nicht wie eine Emporkömmlingin auszusehen … « »Main Haus!« wiederholte der Baron voll Freude; »so nehmen Se an?« »Aber ja, tausendmal ja, dummes Tier,« sagte sie lächelnd. »Tier allain hädde kenügt … « »Dumm ist nur Liebkosung,« erwiderte sie, indem sie ihn ansah.

Der arme Luchs ergriff Esthers Hand und legte sie sich aufs Herz: er war Tier genug, um zu empfinden, aber zu dumm, ein Wort hervorzubringen. »Sehn Se, wie es bocht … fier ein zärtliches Förtchen!« sagte er.

Und er führte seine Göttin in das Schlafzimmer. »O gnädige Frau,« sagte Eugenie, »hier kann ich nicht bleiben. Man hat zu große Lust, sich ins Bett zu legen.« »Also,« sagte Esther, »ich will den Zauberer glücklich machen, der solche Wunder vollbringt. Auf, mein dicker Elefant, nach dem Diner gehen wir zusammen ins Schauspiel. Ich habe einen wahren Heißhunger aufs Theater.«

Es war genau fünf Jahre her, seit Esther nicht mehr in ein Theater gegangen war. Ganz Paris ging damals in die Porte Saint-Martin, um dort eins jener Stücke zu sehen, denen die Gewalt der Schauspieler den Ausdruck einer furchtbaren Realität verleiht: ›Richard Darlington‹. Wie alle naiven Naturen liebte Esther es ebensosehr, das Beben der Angst zu spüren, wie sich den Tränen der Rührung hinzugeben. »Wir wollen Frédéric Lemaître sehen,« sagte sie, »ich bete diesen Schauspieler an!« »Es ist ein fildes Trama,« sagte Nucingen, der sich im Nu gezwungen sah, sich bloßzustellen.

Der Baron schickte seinen Diener aus, damit er eine jener Proszeniumslogen im ersten Stock belege. Wieder eine Pariser Originalität! Wenn der Erfolg, das Geschöpf auf tönernen Füßen, einen Saal füllt, so ist stets zehn Minuten, bevor der Vorhang hochgeht, noch eine Proszeniumsloge zu vergeben; die Direktoren behalten sie für sich, wenn sich keine Leidenschaft wie die Nucingens für sie findet. Diese Loge ist wie das Frühobst Chevets ein Zoll, der auf die Launen des Pariser Olymps erhoben wird.

Es ist nicht nötig, vom Tischgerät zu reden. Nucingen hatte drei Garnituren zusammengebracht: das kleine Service, das mittlere Service und das große Service. Das Nachtisch-Gerät des großen Service war, Teller wie Schüsseln, ganz aus getriebenem, vergoldetem Silber. Damit es nicht aussah, als wollte er den Tisch mit Gold- und Silberwerten zermalmen, hatte er all diesen Garnituren noch eine aus reizend zerbrechlichem Porzellan nach sächsischer Art hinzugefügt; es kostete mehr als ein Silberservice. Was das Gedeck angeht, so wetteiferten sächsisches, englisches, flandrisches und französisches Leinen mit ihren Damastblumen an Vollkommenheit.

Beim Diner war der Baron im Staunen an der Reihe, als er Asiens Küche kostete. »Ich verschdehe,« sagte er, »weshalb Sie sie Aßien nennen: es ist aine aßiatische Güche.« »Ah, ich fange an zu glauben, daß er mich liebt,« sagte Esther zu Europa, »er hat beinahe so etwas wie einen Witz gemacht.«

Die Küche war so gewürzt, daß der Baron sich den Magen verderben mußte; er sollte früh nach Hause gehen. Daher war denn dies auch alles, was er an Genüssen von seinem ersten Zusammensein mit Esther davontrug. Im Theater sah er sich gezwungen, eine unendliche Anzahl von Gläsern voll Zuckerwasser zu trinken und Esther in den Zwischenakten allein zu lassen. Durch ein Zusammentreffen, das zu leicht vorherzusagen war, um es einen Zufall zu nennen, waren an jenem Tage auch Mariette, Tullia und Frau du Val-Noble im Theater. ›Richard Darlington‹ war einer jener wahnsinnigen und übrigens verdienten Erfolge, wie man sie nur in Paris erlebt. Alle Männer kamen, wenn sie dieses Drama sahen, auf den Gedanken, man könnte seine eheliche Frau zum Fenster hinauswerfen, und alle Frauen sahen sich gern ungerechterweise unterdrückt. Die Frauen sagten sich: ›Das ist zu stark! Wir werden nur gestoßen … aber es geht uns oft so! … ‹

Nun konnte ein Geschöpf von Esthers Schönheit und in Esthers Kleidung nicht ungestraft im Proszenium der Porte Saint-Martin glänzen; und schon im zweiten Akt fand in der Loge der beiden Tänzerinnen eine Art Revolution statt, veranlaßt durch die Feststellung der Identität der schönen Unbekannten mit der Torpille. »Ah! Woher kommt die?« fragte Mariette Frau du Val-Noble; »ich glaubte, sie wäre ertrunken … « »Ist sie es? Sie scheint mir siebenunddreißigmal jünger und schöner als vor sechs Jahren.« »Sie hat sich vielleicht wie Frau d'Espard und Frau Zayonchek in Eis konserviert,« sagte der Graf von Brambourg, der die drei Frauen ins Schauspiel geführt hatte, und zwar in eine Parterreloge. »Ist das nicht die Ratte, die Sie mir schicken wollten, damit sie meinen Onkel einbalsamierte?« fragte er, indem er sich an Tullia wandte. »Ganz recht,« versetzte die Sängerin. »Du Bruel, gehen Sie doch ins Orchester und sehen Sie zu, ob sie es wirklich ist.« »Hält die die Nase hoch!« rief Frau du Val-Noble mit einer wundervollen Redensart aus dem Wortschatz der Dirnen. »Oh,« rief der Graf von Brambourg, »sie hat das Recht dazu, denn sie ist bei meinem Freund, dem Baron von Nucingen. Ich gehe hin … « »Sollte das die angebliche Jungfrau von Orléans sein, die Nucingen erobert hat, und mit der man uns seit drei Monaten langweilt? … « fragte Mariette.

»Guten Abend, mein lieber Baron,« sagte Philipp Bridau, als er in Nucingens Loge trat. »Sie sind also mit Fräulein Esther vermählt? … Gnädiges Fräulein, ich bin ein armer Offizier, den Sie ehedem in Issoudun aus einer Klemme ziehen sollten … Philipp Bridau … « »Kenn ich nicht,« sagte Esther, indem sie ihr Glas in den Saal richtete. »Das knädige Fräulein«, bemerkte der Baron, »haißt nicht mehr einfach Esder: sie haißt Frau von Chamby; das ist ain glaines Kut, das ich ihr kekauft habe … « »Wenn Sie die Dinge auch recht gut machen,« sagte der Graf, »so behaupten die Damen dort doch, Frau von Champy trage die Nase zu hoch … Wenn Sie sich meiner nicht entsinnen wollen, so werden Sie vielleicht geruhen, Mariette, Tullia, Frau du Val-Noble wiederzuerkennen,« fügte dieser Emporkömmling hinzu, dem der Herzog von Maufrigneuse die Gunst des Dauphins verschafft hatte.

»Wenn die Damen gut zu mir sind, so bin ich geneigt, mich ihnen sehr angenehm zu zeigen,« erwiderte Frau von Champy trocken. »Gut!« sagte Philipp; »sie sind ausgezeichnet, sie nennen Sie die Jungfrau von Orléans.« »Kut, wenn diese Damen Ihnen Kesellschaft leisten wollen,« sagte Nucingen, »so werde ich Sie allain lassen, denn ich habe ßuviel kekessen. Ihr Wagen wird Sie mit Ihren Leiten abholen … Die verdammte Aßien!« »Zum erstenmal wollten Sie mich allein lassen?« sagte Esther. »Hören Sie! Man muß an Bord zu sterben verstehen. Ich brauche meinen Mann beim Ausgang. Wenn ich beleidigt würde, so müßte ich also umsonst schreien?«

Der Egoismus des alten Millionärs mußte vor den Verpflichtungen des Liebhabers weichen. Der Baron litt und blieb. Esther hatte ihre Gründe, wenn sie ›ihren Mann‹ dabehalten wollte. Wenn sie ihre alten Bekanntschaften empfing, konnte man sie in Gesellschaft nicht so ernstlich ausfragen, wie wenn sie allein war. Philipp Bridau beeilte sich, in die Loge der Tänzerinnen zurückzukehren und sie über den Stand der Dinge aufzuklären.

»Ah, sie erbt mein Haus in der Rue Saint-Georges!« sagte Frau du Val-Noble bitter zum Obersten; denn sie war, wie man sich in der Sprache dieser Frauen ausdrückt, ›zu Fuß‹. »Wahrscheinlich,« erwiderte er. »Du Tillet hat mir gesagt, er habe dort dreimal soviel ausgegeben wie Ihr armer Falleix.« »Wir wollen sie doch besuchen,« sagte Tullia. »Meiner Treu, nein!« erwiderte Mariette, »sie ist zu hübsch; ich werde sie in ihrem Hause besuchen.« »Ich finde mich hübsch genug, um es zu wagen,« sagte Tullia.

Der verwegene erste Besuch kam also während des Zwischenakts und knüpfte die Bekanntschaft mit Esther wieder an. Esther hielt sich in Allgemeinheiten. »Woher kommst du zurück, mein liebes Kind?« fragte die Tänzerin, die sich vor Neugier nicht mehr halten konnte. »Oh, ich habe fünf Jahre lang mit einem Engländer, der eifersüchtig ist wie ein Tiger, einem Nabob, in einem Schloß in den Alpen gelebt; ich nannte ihn immer den Knirps, denn er war nicht so groß wie der Schultheiß von Pfirt. Jetzt bin ich wieder an einen Bankier geraten, vom Regen in die Traufe. Und da ich wieder in Paris bin, habe ich solche Lust, mich zu amüsieren, daß ich mir einen wahren Karneval leisten will. Ich werde offenes Haus halten. Ach, ich muß mich von fünf Jahren der Einsamkeit erholen, und ich beginne, das Verlorene einzubringen. Fünf Jahre bei einem Engländer, das ist zuviel; nach dem Wochenblatt sind sechs Wochen genug.« »Hat der Baron dir diese Spitze geschenkt?« »Nein, das ist ein Rest vom Nabob … Habe ich ein Unglück, meine Liebe! Er war gelb wie das Lächeln eines Freundes vor einem Erfolg. Ich glaubte, er würde in zehn Monaten sterben. Bah, er war stark wie ein Berg. Man muß allen mißtrauen, die sich als leberkrank ausgeben … Von Leber will ich nichts mehr hören. Dieser Nabob hat mich bestohlen, er starb, ohne ein Testament gemacht zu haben, und die Familie hat mich vor die Tür gesetzt, als hätte ich die Pest. Deshalb habe ich auch dem Dicken da gesagt: Bezahle für zwei! Sie haben ganz recht, mich eine Jungfrau von Orléans zu nennen, ich habe England zugrunde gerichtet, und ich werde vielleicht verbrannt … « »Von Liebe?« fragte Tullia. »Und bei lebendigem Leibe!« erwiderte Esther, die dieses Wort träumerisch machte.

Der Baron lachte über all diese stark gesalzenen Albernheiten, aber er verstand sie nicht immer gleich, so daß sein Lachen jenen vergessenen Raketen glich, die nach einem Feuerwerk aufsteigen.

Wir leben alle in irgendeiner Sphäre, und die Bewohner aller Sphären sind mit der gleichen Dosis von Neugier begabt. Am folgenden Tage war das Abenteuer von der Rückkehr Esthers in der Oper Kulissenneuigkeit. Mittags zwischen zwei und vier Uhr hatte das ganze Paris der Champs Elysées die Torpille wiedererkannt, und endlich wußte man, welches der Gegenstand der Leidenschaft des Barons von Nucingen war. »Wissen Sie,« fragte Blondet von Marsay im Foyer der Oper, »daß die Torpille am Morgen nach dem Tage, an dem wir sie hier als die Geliebte des kleinen Rubempré erkannt hatten, verschwunden war?«

In Paris erfährt man wie in der Provinz alles. Die Polizei der Rue de Jérusalem ist nicht so gut organisiert wie die der Gesellschaft, in der jeder den andern belauert, ohne es zu wissen. Daher hatte Carlos auch genau erraten, wie gefährlich Luciens Lage während und nach der Zeit in der Rue Taitbout gewesen war.

Es gibt keine grauenhaftere Situation als die, in der Frau du Val-Noble sich befand, und das Wort ›zu Fuß sein‹ gibt spazierengehen, wenn es trocken und schön ist. Peyrade, dem in Livree sein Mulatte folgte, schritt ohne Affektation und als ein echter Nabob, der nur an sich selber denkt, auf der Spur der beiden Frauen dahin, so daß er ein paar Worte ihrer Unterhaltung im Fluge auffangen mußte.

»Nun, mein liebes Kind,« sagte Esther zu Frau du Val-Noble, »suchen Sie mich auf. Nucingen ist es sich selber schuldig, daß er die Geliebte seines Wechselmaklers nicht ohne einen Heller sitzen läßt … « »Um so mehr, als man sagt, daß er ihn ruiniert habe,« fügte Theodor Gaillard hinzu, »und wir ganz gut Geld von ihm erpressen könnten.« »Er speist morgen bei mir, komm, meine Gute,« sagte Esther. Dann flüsterte sie ihr ins Ohr: »Ich mache mit ihm, was ich will; er hat noch nicht so viel … « Sie legte einen ihrer behandschuhten Nägel unter den hübschesten ihrer Zähne, jene bekannte Geste, die auf energische Weise etwa sagen will: ›Nicht das geringste!‹ »Du hast ihn in der Gewalt … « »Meine Liebe, bisher hat er nur erst meine Schulden bezahlt … « »Ist das ein Knicker!« rief Susanne du Val-Noble. »Oh,« erwiderte Esther, »ich hatte genug, um selbst einen Finanzminister abzuschrecken. Jetzt will ich vor dem ersten Mitternachtsschlag dreißigtausend Franken Rente. Oh, er ist reizend, ich kann mich nicht beklagen … Er läßt sich nicht lumpen. In acht Tagen haben wir den Einweihungsschmaus; du sollst dabei sein … Morgens muß er mir den Vertrag über das Haus der Rue Saint-Georges überreichen. Man kann anständigerweise ein solches Haus nicht bewohnen, ohne dreißigtausend Franken Rente für sich zu haben, damit man sie im Falle eines Unglücks wiederfinden kann. Das Elend habe ich kennen gelernt, ich will nichts mehr davon wissen. Es gibt gewisse Bekanntschaften, von denen man auf der Stelle genug hat.« »Früher sagtest du: ›Das Glück bin ich!‹ Wie du dich verändert hast!« rief Susanne. »Das macht die Schweizer Luft, dort wird man sparsam … Sieh, da geh hin, meine Liebe! Nimm dir einen Schweizer, du schaffst dir vielleicht einen Ehemann! Denn sie wissen noch nicht, was für Frauen wir sind … Auf alle Fälle liebst du, wenn du zurückkommst, die Renten in Staatsschuldscheinen, und das ist eine ehrliche und zarte Liebe! … Adieu.«

Esther stieg wieder in ihren schönen Wagen, den die prachtvollsten Apfelschimmel zogen, die in Paris zu finden waren.

»Die Frau, die in den Wagen steigt,« sagte Peyrade auf englisch zu Contenson, »ist hübsch; aber die andere, die dort spazierengeht, gefällt mir noch besser; du wirst ihr folgen und in Erfahrung bringen, wer sie ist.« »Dieser Engländer hat eben auf englisch folgendes gesagt,« sagte Theodor Gaillard, und er wiederholte Frau du Val-Noble Peyrades Rede.

Ehe Peyrade sich Englisch zu sprechen getraute, hatte er in dieser Sprache ein Wort hingeworfen, das Theodor Gaillard eine Bewegung seiner Gesichtszüge entlockte, wodurch er sich davon überzeugte, daß der Journalist Englisch verstand. Frau du Val-Noble ging alsbald sehr langsam nach Hause, indem sie zur Seite sah, ob der Mulatte ihr auch folgte; sie wohnte in einem anständigen Logierhaus der Rue Louis-le-Grand. Dieses Logierhaus gehörte einer Frau Gérard, der Frau du Val-Noble in den Tagen ihres Glanzes gefällig gewesen war und die ihrer Dankbarkeit Ausdruck gab, indem sie ihr eine annehmbare Unterkunft bot. Diese Person, eine ehrenwerte und sogar fromme Bürgersfrau voller Tugenden, nahm die Kurtisane wie ein Wesen höherer Ordnung auf; sie sah sie immer noch inmitten ihres Luxus und hielt sie für eine Königin im Unglück. Sie vertraute ihr ihre Töchter an, und – das ist natürlicher, als man denkt – die Kurtisane war ebenso vorsichtig, wenn sie sie ins Schauspiel führte, wie es eine Mutter gewesen wäre; die beiden Fräulein Gérard liebten sie. Die tüchtige und würdige Wirtin glich jenen wundervollen Priestern, die in diesen vom Gesetz verstoßenen Frauen ein zu rettendes, zu liebendes Geschöpf sehen. Frau du Val-Noble achtete diese Anständigkeit, oft beneidete sie sie, wenn sie abends plauderte und ihr Unglück beklagte. »Sie sind noch schön, Sie können ein gutes Ende erleben,« sagte Frau Gérard. Frau du Val-Noble war übrigens nur verhältnismäßig gefallen. Die so verschwenderische und elegante Toilette dieser Frau war noch gut versehen, genug, um ihr gelegentlich zu erlauben – wie zum Beispiel am Tage des ›Richard Darlington‹ in der Porte Saint-Martin –, daß sie in ihrem ganzen Glänze erschien. Frau Gérard bezahlte noch bereitwillig genug die Wagen, die ›die Frau zu Fuß‹ nötig hatte, wenn sie in der Stadt dinierte oder sich ins Theater begab oder aus ihm nach Hause kam.

»Also, meine liebe Frau Gérard,« sagte sie zu dieser anständigen Familienmutter, »mein Schicksal will sich wenden, glaube ich … « »Nun, um so besser; aber seien Sie verständig, denken Sie an die Zukunft … Machen Sie keine Schulden mehr. Es wird mir so schwer, all die fortzuschicken, die Sie suchen! … « »Oh, kümmern Sie sich nicht um diese Hunde, die ungeheure Summen an mir verdient haben. Hier, da sind zwei Billete zum Théâtre des Variétés für Ihre Töchter, eine gute Loge im zweiten Rang. Wenn heute abend jemand nach mir fragen sollte und ich bin noch nicht wieder zu Hause, so lassen Sie ihn trotzdem hinaufsteigen. Adele, meine ehemalige Zofe, wird da sein; ich werde sie Ihnen schicken.«

Frau du Val-Noble, die weder Tante noch Mutter hatte, sah sich gezwungen, ihre Zuflucht zu ihrer Kammerfrau, die auch zu Fuß war, zu nehmen, damit sie bei dem Unbekannten, dessen Eroberung ihr erlauben sollte, sich wieder zu ihrem Rang zu erheben, die Rolle einer Saint-Estève spielte. Sie ging mit Theodor Gaillard zum Diner, denn der hatte gerade für diesen Tag eine ›Partie‹, das heißt, er war von Nathan, der eine verlorene Wette bezahlte, zum Diner eingeladen worden: es war eine jener Orgien, von denen man bei der Einladung sagt: Es werden Frauen da sein.

Peyrade hatte sich nicht ohne zwingende Gründe entschlossen, sich persönlich auf das Feld dieser Intrige zu begeben. Seine Neugier war übrigens, ebenso wie die Corentins, so lebhaft geweckt, daß er sich auch ohne Gründe gern in dieses Drama eingemischt hätte. In diesem Augenblick hatte die Politik Karls X. die letzte Phase ihrer Entwicklung durchgemacht. Der König hatte das Steuer der Geschäfte selbstgewählten Ministern anvertraut und bereitete die Eroberung Algeriens vor, um den dadurch erworbenen Ruhm als Paß für das zu benutzen, was man einen Staatsstreich genannt hat. Im Innern konspirierte niemand mehr; Karl X. glaubte keinen Gegner mehr zu haben. Wie auf dem Meere gibt es auch in der Politik eine trügerische Windstille. Corentin war also einer absoluten Beschäftigungslosigkeit verfallen. In einer solchen Lage schießt der echte Jäger, um seine Hand in Übung zu erhalten, statt der Kramtsvögel Amseln. Domitian tötete Fliegen, wenn er keine Christen hatte. Als Zeuge der Verhaftung Esthers hatte Contenson mit dem vortrefflichen Sinn des Spions diesen Vorgang sehr richtig beurteilt. Wie man gesehen hat, hatte der Schelm sich nicht die Mühe gemacht, dem Baron von Nucingen seine Meinung zu verschleiern. »Zu wessen Nutzen brandschatzt man die Leidenschaft des Bankiers?« das war die erste Frage, die die beiden Freunde sich stellten. Als Contenson in Asien eine Dramatis Persona erkannt hatte, hoffte er durch sie bis zum Verfasser durchzudringen; aber sie schlüpfte ihm eine Zeitlang durch die Finger, indem sie sich wie ein Aal im Pariser Schlamm verbarg; und als er sie in Esthers Köchin wiederfand, schien ihm die Mitarbeit dieser Mulattin unerklärlich. Zum erstenmal stießen also die beiden Künstler der Spionage auf einen unentzifferbaren Text, wenn sie auch eine dunkle Geschichte argwöhnten. Nach drei einander folgenden und verwegenen Stürmen auf das Haus der Rue Taitbout fand Contenson noch immer das hartnäckigste Schweigen. Solange Esther dort wohnte, schien der Portier von tiefer Angst beherrscht zu sein. Vielleicht hatte Asien der ganzen Familie im Fall der Indiskretion vergiftete Fleischklößchen versprochen. Am Tage, nachdem Esther ihre Wohnung verlassen hatte, fand Contenson diesen Pförtner ein wenig vernünftiger; er bedauerte den Fortzug dieser kleinen Dame, die ihn, wie er sagte, mit den Resten ihrer Tafel ernährte. Contenson, der sich als Handelsagent verkleidet hatte, feilschte um die Wohnung, und er hörte die Beschwerden des Portiers an, indem er sich über ihn lustig machte und alles, was er sagte, durch ein ›Ist es möglich?‹ in Zweifel zog. »Ja, gnädiger Herr, diese kleine Dame wohnte fünf Jahre hier, ohne je auszugehen, denn ihr Liebhaber war eifersüchtig, obwohl sie sich niemals etwas zuschulden kommen ließ, und er wandte die größte Vorsicht an, wenn er kam und eintrat oder ging. Übrigens war es ein sehr schöner junger Mann.« Lucien befand sich gerade zu Marsac bei seiner Schwester, Frau Séchard; aber sowie er zurückgekehrt war, schickte Contenson den Portier auf den Quai Malaquais, um Herrn von Rubempré zu fragen, ob er bereit sei, die Möbel der von Fräulein Esther van Bogseck verlassenen Wohnung zu verkaufen. Der Portier erkannte in Lucien den geheimnisvollen Liebhaber der jungen Witwe, und mehr wollte Contenson nicht wissen. Man kann sich vorstellen, von welchem tiefen, wenn auch verhaltenen Staunen Lucien und Carlos erfaßt waren; es schien, als hielten sie den Portier für verrückt; sie suchten ihn davon zu überzeugen.

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Yaş sınırı:
18+
Litres'teki yayın tarihi:
24 eylül 2025
Hacim:
5250 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9782378980993
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