Kitabı oku: «50 Meisterwerke Musst Du Lesen, Bevor Du Stirbst: Vol. 2 (Golden Deer Classics)», sayfa 11
Dieses einzige Wort warf Esther in ihren Sessel zurück, in dem sie sitzen blieb, die Augen auf eine Rosette des Teppichs geheftet, während das Brennen des Schädels ihre Tränen verzehrte. Um vier Uhr fand Nucingen seinen Engel versunken in jenen Ozean der Reflexionen, der Entschließungen, auf dem der weibliche Geist zu schwimmen pflegt und aus dem sie mit Worten emportauchen, wie sie allen, die nicht mit ihnen zusammengesegelt sind, unverständlich bleiben.
»Klätten Se die Schdirn, maine Schöne,« sagte der Baron, indem er sich neben sie setzte. »Sie sollen gaine Schulten mehr haben. Ich werde mich verschdändigen mit Eischenie, und in ainem Monat sollen Se verlassen diese Wohnung, um in ain glaines Balais ßu ßiehen … Ach, was fier aine raizende Hand! … Keben Se her, daß ich se kisse.« Esther ließ ihre Hand nehmen, wie ein Hund die Pfote gibt. »Ah! Sie keben die Hant, aber nicht das Herz … und ich liebe das Herz … «
Das wurde mit einem solchen Tonfall der Wahrheit gesagt, daß die arme Esther mit einem Ausdruck des Mitleids, der ihn fast wahnsinnig machte, die Augen auf den Greisen hob. Liebende fühlen sich ebenso wie Märtyrer als Brüder einer und derselben Folter! Nichts in der Welt versteht sich so gut wie zwei gleiche Schmerzen. »Der arme Mensch!« sagte sie, »er liebt.«
Als der Baron diese Worte hörte, deren Sinn er mißverstand, wallte ihm das Blut in den Adern, und er atmete, Himmelsluft. In seinem Alter bezahlen Millionäre eine solche Empfindung mit soviel Gold, wie die Frauen ihnen dafür abverlangen.
»Ich lieb Sie ebensosehr, wie ich maine Tochter liebe! … « sagte er; »und ich fiehle da,« fuhr er fort, indem er die Hand aufs Herz legte, »daß ich Sie nicht anders als klücklich sehen kann.« »Wenn Sie nur mein Vater sein wollten, so würde ich Sie von Herzen lieben, Sie nie mehr verlassen, und Sie würden erkennen, daß ich keine schlechte Frau und weder feil noch habgierig bin, wie es in diesem Augenblick den Anschein hat … « »Sie haben Ihre glainen Tummheiten kemacht,« erwiderte der Baron, »wie alle hibschen Frauen, weiter nix. Reden wir nicht mehr davon. Es ist unser Beruf, fier Sie Keld zu vertienen … Seien Sie klücklich: ich will kern fier ain paar Tage Ihr Vater sain, denn ich verschdehe, daß Sie sich an main armes Kerippe kewöhnen müssen.« »Wahr! … « rief sie, indem sie aufstand und Nucingen auf die Knie sprang, wobei sie ihm die Hand um den Hals legte und sich an ihm festhielt. »Wahr,« erwiderte er, indem er seinem Gesicht ein Lächeln aufzuprägen suchte.
Sie küßte ihn auf die Stirn, sie glaubte an einen unmöglichen Kompromiß: rein bleiben und Lucien sehen … Sie umschmeichelte den Baron so zärtlich, daß die Torpille wieder herausschaute. Sie umgarnte den Greisen, der ihr versprach, vierzig Tage lang Vater zu bleiben. Diese vierzig Tage waren nötig, um das Haus in der Rue Saint-Georges zu erwerben und einzurichten.
Doch als er wieder auf der Straße war und nach Hause ging, sagte er bei sich: ›Ich pin ain Kimpel!‹ Und freilich, wenn er in Gegenwart Esthers zum Kind wurde, so schlüpfte er in ihrer Abwesenheit wieder in seine Luchshaut zurück, genau wie der Spieler wieder in Angelika verliebt ist, wenn er keinen Heller mehr hat. ›Aine halbe Million, und noch nicht ainmal ßu wissen, was fier ain Bain sie hat, das ist doch ßu tumm! Aber ßum Klück wird niemand davon erfahren,‹ sagte er zwanzig Tage darauf.
Und er faßte schöne Entschlüsse, mit einer Frau zu brechen, die er so teuer gekauft hatte; aber sowie er wieder vor Esther stand, brauchte er die ganze Zeit, die er ihr zu widmen hatte, dazu, die Brutalität seiner ersten Anrede wieder gutzumachen. »Ich gann nicht«, sagte er am Ende des Monats zu ihr, »der ewige Vater sain!«
Gegen Ende des Dezember 1829, kurz bevor Esther in das kleine Hotel der Rue Saint-Georges einziehen sollte, bat der Baron du Tillet, Florine dorthin zu führen und zu sehen, ob alles mit dem Vermögen Nucingens im Einklang sei und ob die Worte ›ain glaines Balais‹ durch die Künstler, die dieses Bauer des Vogels hatten würdig machen sollen, zur Wirklichkeit geworden wären. Alle Erfindungen, die der Luxus vor der Revolution von 1830 gemacht hatte, erhoben dieses Haus zum Typus des guten Geschmacks. Der Architekt Grindot hatte das Meisterwerk seines Talents als Dekorateur geliefert. Die neu errichtete Marmortreppe, die Stuckarbeiten, die Stoffe, die sparsam angebrachten Vergoldungen, die kleinsten Einzelheiten wie die großen Wirkungen übertrafen alles, was das Jahrhundert Ludwigs XV. in dieser Art in Paris geschaffen hatte.
»Das ist mein Traum: das und die Tugend!« sagte Florine lächelnd. »Und für wen machst du diese Ausgaben?« fragte sie Nucingen. »Ist es eine Jungfrau, die sich hat vom Himmel herabfallen lassen?« »Es ist aine Frau, die wieder hinaufschdaigt,« erwiderte der Baron. »Auch eine Art, dich als Jupiter aufzuspielen,« rief die Schauspielerin. »Und wann wird man sie sehen?« »Oh, an dem Tage, an dem der Einweihungsschmaus gegeben wird,« rief du Tillet. »Eher nicht … « sagte der Baron. »Für den Abend wird man sich hübsch bürsten und schnüren und putzen müssen,« erwiderte Florine. »Oh, wieviel Mühe werden die Frauen ihren Schneiderinnen und Friseuren machen! … Und wann?« »Ich bin nicht der Herr.« »Das ist mir eine Frau! … « rief Florine. »Oh, wie gern ich sie einmal sähe!« »Ich auch,« versetzte der Baron naiv. »Wie! Haus, Frau und Möbel, alles wird neu sein?« »Selbst der Bankier,« sagte du Tillet, »denn mein Freund scheint mir recht jung.« »Er muß ja auch«, sagte Florine, »seine zwanzig Jahre wiederfinden; wenigstens für einen Augenblick.«
In den ersten Tagen des Jahres 1830 sprach in Paris jedermann von Nucingens Leidenschaft und von dem wahnsinnigen Luxus seines Hauses. Der arme Baron, der sich so im Gerede und verhöhnt sah, geriet in eine Wut, die man sich leicht vorstellen kann, und er setzte sich den Willen eines Geldmannes in den Kopf, der mit der Leidenschaft seines Herzens im Einklang stand. Er wünschte nach dem Einweihungsschmaus das Gewand des edlen Vaters an den Nagel zu hängen und den Erlös so vieler Opfer einzustreichen. Da die Torpille ihn stets aus dem Felde schlug, entschloß er sich, die Angelegenheit seiner Eheschließung brieflich zu behandeln, um ein schriftliches Versprechen von ihr zu erhalten. Bankiers glauben nur an Wechselbriefe. Der Luchs stand also an einem der ersten Tage dieses Jahres früh auf, schloß sich in seinem Arbeitszimmer ein und begann den folgenden Brief zu verfassen, den er in gutem Französisch schrieb; denn so schlecht seine Aussprache war, so gut war seine Orthographie.
»Teure Esther, Blüte meiner Gedanken und einziges Glück meines Lebens! Als ich Ihnen sagte, daß ich Sie wie meine Tochter liebte, täuschte ich Sie und täuschte mich selber. Ich wollte Ihnen auf diese Weise nur die Heiligkeit meiner Empfindungen ausdrücken, die keiner von denen gleichen, wie die Männer sie sonst gefühlt haben; denn erstens bin ich ein Greis und zweitens hatte ich noch nie geliebt. Ich liebe Sie so sehr, daß ich Sie nicht weniger lieben würde, wenn Sie mich auch mein Vermögen kosten würden. Seien Sie gerecht! Die meisten Männer hätten nicht wie ich einen Engel in Ihnen gesehen; ich habe nie einen Blick auf Ihre Vergangenheit geworfen. Ich liebe Sie zugleich, wie ich meine Tochter Augusta liebe, die mein einziges Kind ist, und wie ich meine Frau lieben würde, wenn meine Frau mich hätte lieben können. Wenn das Glück die einzige Rechtfertigung eines verliebten Greisen ist, so fragen Sie sich, ob ich nicht eine lächerliche Rolle spiele. Ich habe aus Ihnen den Trost und die Freude meiner alten Tage gemacht. Sie wissen ja, daß Sie bis zu meinem Tode so glücklich sein werden, wie eine Frau es nur sein kann; und Sie wissen auch, daß Sie nach meinem Tode reich genug sein werden, um Ihr Schicksal vielen Frauen beneidenswert erscheinen zu lassen. Von allen Geschäften, die ich mache, seit ich das Glück gehabt habe, mit Ihnen zu sprechen, wird im voraus Ihr Anteil erhoben, und Sie haben Ihr Konto im Hause Nucingen. Wert darauf. Nun, wenn ich Ihnen alles gäbe, was ich besitze, und dadurch als Armer Ihre Liebe gewinnen könnte, so würde ich lieber arm und von Ihnen geliebt sein, als reich und verschmäht. Sie haben mich so sehr verwandelt, meine teure Esther, daß mich niemand mehr erkennt: ich habe für ein Bild von Joseph Bridau zehntausend Franken bezahlt, weil Sie mir gesagt hatten, daß er ein verkannter Mann von Talent sei. Und allen Armen, denen ich begegne, gebe ich in Ihrem Namen fünf Franken. Nun, und was verlangt der arme Greis, der sich als Ihren Schuldner ansieht, wenn Sie ihm die Ehre erweisen, irgend etwas anzunehmen? … Er will nur eine Hoffnung; und was für eine Hoffnung! Großer Gott! Ist es nicht vielmehr die Gewißheit, von Ihnen nie mehr zu erlangen, als was meine Leidenschaft von Ihnen nehmen wird? Aber das Feuer meines Herzens wird Ihrer grausamen Täuschung helfen. Sie sehen mich bereit, mich allen Bedingungen zu fügen, die Sie mir für mein Glück, für meine seltenen Genüsse stellen mögen; aber wenigstens sagen Sie mir, daß Sie an dem Tage, an dem Sie von Ihrem Hause Besitz ergreifen werden, das Herz und die Knechtschaft dessen annehmen wollen, der sich für den Rest seiner Tage nennt
Ihren Sklaven
Friedrich von Nucingen.«
»Ach, er langweilt mich, dieser Millionentopf!« rief Esther aus, da sie wieder zur Kurtisane geworden war. Und sie nahm Briefpapier und schrieb, so oft das Blatt es zuließ, den berühmten Satz, der zu Scribes Ruhm sprichwörtlich geworden ist: ›Nehmen Sie meinen Bären!‹
Eine Viertelstunde darauf schrieb Esther, von Gewissensbissen gepackt, folgenden Brief:
»Herr Baron!
Schenken Sie dem Brief, den Sie von mir erhalten haben, nicht die geringste Beachtung, ich hatte einen Rückfall in die tolle Art meiner Jugend; verzeihen Sie ihn einem armen Mädchen, das Sklavin sein soll. Ich habe die Niedrigkeit meines Standes nie schärfer empfunden als seit dem Tage, da ich Ihnen überliefert wurde. Sie haben gezahlt, ich schulde mich. Nichts ist heiliger als die Schulden der Unehre. Ich habe nicht das Recht, zu ›liquidieren‹, indem ich mich in die Seine werfe. Mit dieser furchtbaren Münze, die nur für die eine Seite gut ist, kann man eine Schuld immer bezahlen. Ich stehe Ihnen also zur Verfügung. Ich will in einer einzigen Nacht alle Summen zahlen, die für diesen verhängnisvollen Augenblick verpfändet sind, und ich bin überzeugt, daß eine Stunde bei mir Millionen wert ist, um so mehr, als es die einzige, die letzte sein soll. Nachher werde ich frei sein; dann kann ich aus dem Leben scheiden. Eine anständige Frau hat die Möglichkeit, sich von einem Fall wieder zu erheben; aber wir, wir fallen zu tief. Deshalb steht mein Entschluß auch so fest, daß ich Sie bitte, diesen Brief aufzuheben als Zeugnis für die Ursache des Todes derer, die sich auf einen Tag nennt
Ihre Dienerin
Esther.«
Als dieser Brief abgegangen war, kam Esther ein Bedauern an. Zehn Minuten später schrieb sie den dritten Brief, der hier folgt.
»Verzeihen Sie, lieber Baron, ich bin es noch einmal. Ich habe mich weder über Sie lustig machen noch Sie verletzen wollen; ich will Sie nur zum Nachdenken über diesen einzigen Gedankengang bringen: wenn wir in den Beziehungen eines Vaters zu seiner Tochter leben, so haben Sie einen schwachen, aber dauerhaften Genuß; wenn Sie die Erfüllung des Vertrags verlangen, so werden Sie mich beweinen. Ich will Sie nicht länger langweilen: der Tag, an dem Sie statt des Glücks den Genuß erwählen, wird für mich ohne ein Morgen sein.
Ihre Tochter
Esther.«
Bei dem ersten Brief geriet der Baron in jenen kalten Grimm, der die Millionäre töten kann; er sah sich in dem Spiegel und schellte. »Ain Fußpad! … « rief er seinem neuen Kammerdiener zu.
Während er das Fußbad nahm, kam der zweite Brief; er las ihn und fiel bewußtlos zu Boden. Man trug den Millionär auf sein Bett. Als der Geldmann wieder zu sich kam, saß Frau von Nucingen am Fuß des Bettes.
»Dies Mädchen hat recht!« sagte sie. »Weshalb wollen Sie die Liebe kaufen? Zeigen Sie mir Ihren Brief.« Der Baron gab die verschiedenen Entwürfe her, die er gemacht hatte. Frau von Nucingen las sie lächelnd. Der dritte Brief kam.
»Das ist ein erstaunliches Mädchen!« rief die Baronin, nachdem sie auch diesen letzten Brief gelesen hatte. »Was tun, knätige Frau?« fragte der Baron. »Warten.« »Warten?« erwiderte er; »die Nadur ist unerpittlich … « »Hören Sie, mein Lieber,« sagte die Baronin, »Sie haben sich endlich vortrefflich zu mir gestellt; ich werde Ihnen einen guten Rat geben.« »Sie sind aine kute Frau!« sagte er. »Machen Se Schulden, ich peßahle sie … « »Was Ihnen beim Empfang der Briefe dieses Mädchens widerfahren ist, rührt eine Frau mehr als verschwendete Millionen und alle Briefe, so schön sie auch sein mögen; versuchen Sie, daß sie es auf Umwegen erfahre, dann werden Sie sie vielleicht besitzen! Und … haben Sie keine Angst, sie wird nicht daran sterben,« sagte sie, indem sie ihren Gatten mit dem Blick maß.
Frau von Nucingen hatte keine Ahnung vom Wesen der Dirne.
›Wieviel Keist die Frau von Nischinguen hat!‹ sagte der Baron bei sich selber, als seine Frau ihn allein gelassen hatte.
Aber je mehr der Baron die Feinheit des Rats, den die Baronin ihm gegeben hatte, bewunderte, um so weniger erriet er, wie er sich seiner bedienen sollte. Er fand sich nicht nur borniert, sondern er sagte es sich auch.
Obgleich die Borniertheit des Geldmannes fast sprichwörtlich geworden ist, ist sie nur relativ. Es geht mit den Fähigkeiten unseres Geistes wie mit den Begabungen unseres Körpers. Der Tänzer trägt seine ganze Kraft in den Füßen, der Schmied die seine in den Armen; der Athlet der Markthalle übt sich darin, Lasten zu tragen, der Sänger bearbeitet seinen Kehlkopf, und der Pianist stählt sein Handgelenk. Ein Bankier gewöhnt sich daran, Geschäfte auszutüfteln und zu studieren, die Interessen in Bewegung zu bringen, wie ein Schwankdichter sich darauf dressiert, Situationen auszutüfteln und Personen in Bewegung zu bringen. Man darf sowenig vom Baron von Nucingen Geist in der Unterhaltung verlangen, wie man die Bilder des Dichters im Begriffsvermögen des Mathematikers suchen darf. Wieviel Dichter trifft man in einer Epoche, die Prosaisten wären oder geistreich im Verkehr des Lebens wie Frau Cornuel? Buffon war schwerfällig, Newton hat nie geliebt, Byron hat kaum jemanden außer sich selbst geliebt, Rousseau war finster und fast wahnsinnig, Lafontaine war zerstreut. Gleichmäßig verteilt, schafft die menschliche Kraft nur Dummköpfe und die Mittelmäßigkeit; ungleich verteilt, erzeugt sie jene Mißverhältnisse, denen man den Namen des Genies gibt und die in der sichtbaren Welt Mißgestaltungen ergeben würden. Das gleiche Gesetz regiert den Körper: konnte das Mittel ausbeuten, das die Baronin gefunden hatte. Der Baron bereute bitter, sich mit der verhaßten Kleiderhändlerin überwerfen zu haben. Da er aber auf den Magnetismus seiner Kasse und auf die Beruhigungsmittel, die die Unterschrift des Finanzministeriums trugen, vertraute, so schellte er trotzdem seinem Kammerdiener und befahl ihm, sich in der Rue Neuve Saint-Marc nach jener scheußlichen Witwe zu erkundigen und sie um ihren Besuch zu bitten. In Paris finden sich die Gegensätze durch die Leidenschaften. Das Laster lötet dort beständig den Reichen an den Armen, den Großen an den Kleinen. Die Kaiserin frägt Frau Lenormand um Rat. Und der große Herr findet dort von Jahrhundert zu Jahrhundert einen Ramponeau.
Der neue Kammerdiener kam nach zwei Stunden zurück. »Herr Baron,« sagte er, »Frau von Saint-Estève ist ruiniert.« »Ah, um so pesser!« sagte der Baron freudig; »ich habe sie!« »Die gute Frau ist, wie es scheint, ein wenig Spielerin,« fuhr der Kammerdiener fort. »Obendrein steht sie unter der Herrschaft eines kleinen Schauspielers der Theater der Bannmeile, den sie um des Anstandes willen als ihr Patenkind ausgibt. Es scheint, sie ist eine ausgezeichnete Köchin; sie sucht eine Stellung.« ›Diese verteifelten Subaldernschenies haben ßehn Arten, Keld ßu vertienen, aber ßwölf, um es ausßukeben,‹ sagte der Baron bei sich selber, ohne zu ahnen, daß er sich mit Panurg begegnete.
Er schickte seinen Diener von neuem auf die Suche nach Frau von Saint-Estève, die jedoch erst am folgenden Tage kam. Da Asien ihn ausfragte, so erzählte der neue Kammerdiener diesem weiblichen Spion, welche furchtbare Wirkung die von der Geliebten des Herrn Baron geschriebenen Briefe gehabt hatten.
»Der gnädige Herr muß diese Frau sehr lieben, denn er ist fast gestorben. Ich habe ihm den Rat gegeben, nicht wieder zu ihr zu gehen, da würde er bald sehen, wie man ihm schmeichelte. Eine Frau, die den Herrn Baron, wie man sagt, schon fünfhunderttausend Franken gekostet hat, nicht zu rechnen, was er für das kleine Hotel der Rue Saint-Georges ausgegeben hat! Aber diese Frau will Geld und nichts als Geld. Als die Frau Baronin den gnädigen Herrn verließ, sagte sie lachend: ›Wenn das so weitergeht, wird mich dieses Mädchen zur Witwe machen.‹« »Teufel!« erwiderte Asien, »töten darf man die Henne mit den goldenen Eiern nicht.« »Der Herr Baron setzt seine Hoffnung nur noch auf Sie,« sagte der Kammerdiener. »Ah, weil ich es verstehe, die Franken in Gang zu bringen! … « »Nun, treten Sie ein,« sagte der Kammerdiener, indem er sich vor dieser okkulten Macht demütigte.
»Also,« sagte die falsche Saint-Estève, indem sie mit demütiger Miene bei dem Kranken eintrat, »der Baron hat also kleine Widerwärtigkeiten? Was wollen Sie? Jedermann wird in seiner Schwäche getroffen. Auch ich habe Unglück erlebt. In zwei Monaten hat sich das Glücksrad für mich sonderbar gedreht! Da suche ich jetzt eine Stellung … Wir sind beide nicht vernünftig gewesen. Wenn der Herr Baron mich als Köchin in Fräulein Esthers Haus aufnehmen wollte, so hätte er in mir die Ergebenste der Ergebenen, und ich könnte ihm recht nützlich sein, indem ich Eugenie und die gnädige Frau überwachte.« »Darum hantelt es sich nicht,« sagte der Baron. »Ich gann nicht so weit gommen, daß ich Herr werde; und man fiehrt mich an der Nase … « »Wie einen Kreisel,« unterbrach Asien ihn. »Sie haben die andern genasführt, Papa, jetzt hält Sie die Kleine fest und behandelt Sie schnöde … Der Himmel ist gerecht!« »Kerecht?« rief der Baron. »Ich habe dich nicht lassen gommen, um Moral ßu hören … « »Bah, mein Sohn, ein wenig Moral schadet nichts. Sie ist das Salz des Lebens für uns, wie es für die Frommen das Laster ist. Lassen Sie sehen, sind Sie großmütig gewesen? Haben Sie ihre Schulden bezahlt?« »Ja,« sagte der Baron jämmerlich. »Gut. Sie haben auch ihre Sachen ausgelöst, das ist noch besser; aber geben Sie zu, es ist nicht genug; damit kann sie noch nichts anfangen, und solche Geschöpfe lieben es, zu verschwenden.« »Ich pereite ihr aine Ieberraschung vor, in der Rie Sainte-Schorsche … Sie waiß es,« sagte der Baron. »Aber ich will kain Kimpel sain.« »Gut, so verlassen Sie sie … « »Ich firchte, sie läßt mich kehn!« rief der Baron. »Und wir wollen doch etwas für unser Geld, mein Sohn?« erwiderte Asien. »Hören Sie. Wir haben ja das Publikum um all die Millionen gerupft, mein Kleiner. Man sagt, Sie besäßen fünfundzwanzig davon.«
Der Baron konnte sich nicht enthalten, zu lächeln.
»Also, Sie müssen eine davon hergeben … « »Ich käbe sie schon her,« erwiderte der Baron, »aber sowie ich sie herkekeben habe, wird man aine ßwaite verlangen.« »Ja, ich verstehe,« sagte Asien, »Sie wollen nicht b sagen, weil Sie fürchten, es könne bis zum z so weiter gehen. Esther ist aber ein anständiges Mädchen.« »Ain sehr anschdändikes Mädchen!« rief der Baron; »sie will sich ja erkeben, aber wie man aine Schuld peßahlt.« »Kurz, sie will nicht Ihre Geliebte werden, sie hat den Widerwillen. Und ich begreife es. Das Kind hat immer ihren Launen gehorcht. Wenn man nur reizende junge Leute gekannt hat, kümmert man sich wenig um einen Greisen … Schön sind Sie nicht! Sie sind dick wie Ludwig XVIII. und ein wenig Dummkopf, wie alle, die dem Glück schmeicheln, statt sich mit den Frauen abzugeben. Nun, wenn Sie auf sechshunderttausend Franken nicht sehen,« sagte Asien, »so übernehme ich es, sie für Sie ganz zu dem zu machen, was Sie nur wünschen mögen.« »Sechshünderttausend Franken!« rief der Baron mit einem kleinen Ruck nach hinten. »Esder gostet mich schon aine Million!« »Das Glück ist wohl sechzehnhunderttausend Franken wert, mein dicker Wüstling. Sie kennen Männer in unserer Zeit, die sicherlich mehr als eine oder zwei Millionen mit ihren Geliebten aufgegessen haben. Ich kenne sogar Frauen, die das Leben gekostet haben, und für die man seinen Kopf in einen Sack gespien hat … Sie wissen, der Arzt, der seinen Freund vergiftete? … Der wollte reich werden, um das Glück einer Frau zu machen.« »Ja, ich waiß; aber wenn ich auch verliept bin, so bin ich doch kain Tummkopf; hier wenigstens nicht; denn wenn ich sie sehe, so würde ich ihr maine Brieftasche keben.«
»Hören Sie, Herr Baron,« sagte Asien, indem sie eine Semiramispose einnahm, »man hat Sie schon genug ausgespült. So wahr ich mich Saint-Estève nenne, im Geschäft, versteht sich, ich ergreife Ihre Partei.« »Kut! … Ich werde dich pelohnen.« »Ich glaube es; denn ich habe Ihnen gezeigt, daß ich mich zu rächen weiß. Erfahren Sie es übrigens, Papa,« sagte sie, indem sie ihm einen furchtbaren Blick zuwarf, »ich habe ein Mittel, Ihnen Fräulein Esther wegzuschnappen, wie man eine Kerze schnäuzt. Und ich kenne meine Frau! Wenn das kleine Weib Ihnen das Glück gegeben hat, so wird sie Ihnen notwendiger sein, als sie es jetzt ist. Sie haben mich gut bezahlt; Sie haben sich das Ohr ziehen lassen, aber schließlich haben Sie geblecht! Ich meinerseits habe meine Verpflichtungen erfüllt, nicht wahr? Gut also, ich will Ihnen einen Handel vorschlagen.« »Lassen Sie sehen.« »Sie geben mich der gnädigen Frau zur Köchin; Sie nehmen mich auf zehn Jahre; ich erhalte tausend Franken Lohn, die letzten fünf Jahre zahlen Sie im voraus … Ein Gottespfennig, wie? Bin ich einmal bei der gnädigen ›Wie recht man hat, viel Keld ßu pesitzen.‹ Und er sprang aus dem Bett, ging in seine Bureaus und nahm mit freudigem Herzen die Leitung seiner ungeheuren Geschäfte wieder auf.
Nichts konnte für Esther verhängnisvoller sein als der Entschluß, zu dem Nucingen gekommen war. Die arme Kurtisane verteidigte ihr Leben, indem sie sich gegen die Untreue wehrte. Carlos nannte diese so natürliche Verteidigung Ziererei. Nun machte Asien sich auf – nicht ohne die für einen solchen Fall vorgesehenen Sicherheitsmaßregeln –, um Carlos mitzuteilen, was für eine Unterredung sie mit dem Baron gehabt und wieviel Nutzen sie daraus gezogen hatte. Der Zorn dieses Menschen war so furchtbar wie er selbst; er fuhr auf der Stelle im Wagen mit herabgelassenen Vorhängen zu Esther und ließ den Wagen in den Torweg hineinfahren. Noch fast weiß, als er hinaufstieg, so trat dieser doppelte Fälscher vor das arme Mädchen; sie sah ihn an, sie stand aufrecht da und fiel, als brächen ihr die Beine, in einen Sessel.
»Was haben Sie?« fragte sie, an allen Gliedern zitternd. »Laß uns allein, Europa,« sagte er zu der Kammerfrau. Esther sah dieses Mädchen an, wie ein Kind seine Mutter angesehen hätte, von der ein Mörder es trennen wollte, um es töten zu können.
»Wissen Sie, wohin Sie Lucien schicken werden?« fragte Carlos, als er mit Esther allein war. »Wohin?« fragte sie mit schwacher Stimme, während sie es wagte, ihren Henker anzusehen. »Dahin, woher ich komme, mein Juwel.« Esther sah alles rot, als sie diesen Menschen anblickte. »Auf die Galeeren!« fügte er mit leiser Stimme hinzu. Esther schloß die Augen, ihre Beine streckten sich, ihre Arme fielen herab, sie wurde weiß.
Carlos schellte, Prudence erschien. »Bring sie wieder zum Bewußtsein,« sagte er kühl, »ich bin noch nicht fertig.« Er ging im Salon auf und ab, während er wartete. Prudence-Europa sah sich gezwungen, den gnädigen Herrn zu bitten, daß er Esther aufs Bett trüge; er nahm sie mit einer Leichtigkeit auf, die athletische Kraft verriet. Man mußte die schärfsten Mittel holen, die die Pharmazie besitzt, um Esther der Empfindung für ihre Leiden zurückzugeben. Eine Stunde darauf war das arme Mädchen wieder imstande, diesem leibhaftigen Alp zuzuhören; er saß am Fuß des Bettes, sein starrer Blick blendete wie zwei Strahlen geschmolzenen Bleies.
»Mein kleines Herz,« fuhr er fort, »Lucien steht zwischen einem glänzenden, ehrenvollen, glücklichen, würdigen Leben und dem Loch voll Wasser, Schlamm und Kieseln, in das er sich werfen wollte, als ich ihm begegnete. Das Haus Grandlieu verlangt von dem teuren Kinde einen Landsitz zu einer Million, ehe es ihm den Marquistitel erwirken und ihm die lange Stange namens Klotilde reichen will, mit deren Hilfe er zur Macht emporsteigen wird. Dank uns beiden hat Lucien soeben das mütterliche Schloß erwerben können, das nicht viel gekostet hat: dreißigtausend Franken; aber es ist seinem Anwalt durch glückliche Unterhandlungen gelungen, für eine Million Land daran anzugliedern, auf das wir dreihunderttausend Franken bezahlt haben. Das Schloß, die Kosten, die Provisionen für die, die wir vorgeschoben haben, um den Leuten im Lande dort die Geschichte zu verbergen, haben den Rest verschlungen. Wir haben freilich noch hunderttausend Franken in Aktien, die in ein paar Monaten zwei- bis dreihunderttausend Franken wert sein werden; aber dann bleiben immer noch vierhunderttausend Franken zu bezahlen … In drei Tagen kehrt Lucien aus Angoulême zurück; denn dorthin ist er gegangen, weil er nicht in Verdacht kommen darf, sein Vermögen gefunden zu haben, indem er Ihre Matratzen kämmte … « »O nein,« sagte sie, indem sie mit wundervoller Bewegung die Augen hob. »Ich frage Sie, ist dies der Augenblick, um den Baron zu erschrecken?« sagte er ruhig. »Und vorgestern haben Sie ihn fast getötet! Er ist wie eine Frau in Ohnmacht gefallen, als er Ihren zweiten Brief las. Sie haben einen famosen Stil, ich mache Ihnen mein Kompliment. Wenn der Baron gestorben wäre, was sollte da aus uns werden? Wenn Lucien Saint-Thomas d'Aquin als Schwiegersohn des Herzogs von Grandlieu verläßt und Sie wollen dann in die Seine … nun, mein Liebchen, dann reiche ich Ihnen die Hand, um den Kopfsprung gemeinsam zu machen. Das ist auch eine Art, allem ein Ende zu machen. Aber denken Sie doch ein wenig nach! Wäre es nicht besser, am Leben zu bleiben und sich von Stunde zu Stunde zu sagen: ›Welch glänzendes Los, welche glückliche Familie!‹ Denn er wird Kinder haben … Kinder! … Haben Sie je an das Vergnügen gedacht, mit den Händen durch das Haar seiner Bänder zu streichen?« Esther schloß die Augen und schauderte leicht. »Nun, wenn man das Gebäude eines solchen Glückes sieht, so sagt man sich: Das ist mein Werk!«
Es entstand eine Pause, während derer diese beiden Wesen sich ansahen. »Das habe ich versucht, aus einer Verzweiflung zu machen, die sich ins Wasser stürzen wollte,« fuhr Carlos fort. »Bin ich ein Egoist? So liebt man! So gibt man sich nur Königen hin; aber ich habe Lucien zum König geweiht! Man könnte mich für den Rest meiner Tage an meine alte Kette schmieden, und mir scheint, ich würde ruhig bleiben, wenn ich mir sagte: Er tanzt, er ist bei Hofe! Meine Seele und mein Denken würden triumphieren, während mein Madensack den Stockmeistern preisgegeben wäre. Sie sind ein elendes Weibchen, Sie lieben als Weibchen! Aber die Liebe sollte für eine Kurtisane wie für alle entarteten Wesen ein Mittel sein, der Natur, die Sie mit Unfruchtbarkeit schlägt, zum Trotz Mutter zu werden! Wenn man je unter der Haut des Abbés Carlos Herrera den Sträfling wiederfände, der ich früher war, wissen Sie, was ich da tun würde, um Lucien nicht zu kompromittieren?« Esther erwartete die Antwort nicht ohne Angst. »Also,« fuhr er nach einer leichten Pause fort, »ich würde wie die Neger sterben, indem ich meine Zunge hinunterwürgte. Und Sie geben ihnen mit Ihrem Geziere meine Spur an! Was hatte ich von Ihnen verlangt? … Daß Sie auf sechs Monate, auf sechs Wochen den Rock der Torpille wieder anziehen, um eine Million zu ergattern … Lucien wird Sie nie vergessen! Die Männer vergessen das Wesen nicht, an das sie ein Glück erinnert, dessen man sich jeden Morgen freut, weil man stets als Reicher erwacht. Lucien ist mehr wert als Sie … Er hat erst Coralie geliebt; sie stirbt, gut; aber er hatte kein Geld, um sie beerdigen zu lassen; er machte es nicht, wie Sie es eben gemacht haben: er ist, obwohl er ein Dichter war, nicht ohnmächtig geworden; er schrieb sechs lustige Liedchen, und er erhielt dreihundert Franken dafür, mit denen er Coralies Begräbnis bezahlen konnte. Ich besitze die Lieder, ich kenne sie auswendig. Nun, dichten Sie Ihre Lieder: seien Sie lustig, seien Sie toll! Seien Sie unwiderstehlich und … unersättlich! Sie haben mich verstanden? Zwingen Sie mich nicht, noch einmal zu reden … Küssen Sie Papa. Adieu.«
Als Europa eine halbe Stunde darauf bei ihrer Herrin eintrat, fand sie sie auf den Knien vor einem Kruzifix in der Stellung, die der religiöseste Maler Moses vor dem Busche Horeb gegeben hat, um die tiefe und vollkommene Andacht vor Jehova auszudrücken. Esther hatte ihre letzten Gebete gesprochen und verzichtete auf ihr schönes Leben, auf die Ehre, die sie sich geschaffen hatte, auf ihren Ruhm, auf ihre Tugenden und ihre Liebe. Sie stand auf.
»O gnädige Frau, so werden Sie nie wieder aussehen!« rief Prudence Servien, da die wunderbare Schönheit ihrer Herrin sie vor Staunen erstarren ließ. Schnell wandte sie den Spiegel so, daß das arme Mädchen sich sehen konnte. Die Augen hatten gerade noch einen Rest der Seele in sich, die zum Himmel entflog. Der Teint der Jüdin glitzerte. Ihre Wimpern, die feucht waren von Tränen, obwohl das Feuer des Gebets sie getrocknet hatte, glichen dem Laub nach einem Sommerregen; die Sonne der reinen Liebe ließ sie zum letztenmal auffunkeln. Die Lippen bewahrten gleichsam noch einen Ausdruck von den letzten Anrufungen der Engel her, denen sie ohne Zweifel die Palme des Martyriums entliehen hatte, indem sie ihnen ihr fleckenloses Leben anvertraute. Kurz, sie hatte die Majestät, in der Maria Stuart erglänzen mußte, als sie ihrer Krone, der Erde und der Liebe Lebwohl sagte. »Ich wollte, Lucien sähe mich so,« sagte sie, indem sie sich einen erstickten Seufzer entschlüpfen ließ. »Und jetzt«, fuhr sie mit vibrierender Stimme fort, »wollen wir ›schwindeln‹ … «
