Kitabı oku: «Tanz der Finanzen», sayfa 5

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DETAILS

An diesem Tag ging ihm das Wetter in London mal wieder so richtig an die Nerven. Es regnete in Strömen und Luke Donaldson hatte trotz seines großen Schirms Mühe, sich halbwegs trocken zu halten. Da das Auto nicht in Frage kam, trotz der Londoner City-Maut war der Verkehr ein Alptraum, war er im Wechsel mit Bus und U-Bahn unterwegs. Endlich an der Station Liverpool Street angekommen, verließ er erleichtert die durch die vielen durchnässten Leute muffige Luft der Bahn und strebte seinem Bürokomplex entgegen. Schon von weitem konnte er das erleuchtete Logo seiner Firma erkennen, das Licht der goldenen Buchstaben TRIN widerstand selbst dem durch den prasselnden Regen verursachten, die Sicht reduzierenden Dunst. Gottseidank war der Rest des Weges durch Arkaden weitgehend überdacht.

An seinem Gebäude angekommen, verriet ihm ein Blick auf die große Uhr in der Eingangshalle, dass er bis zum Beginn der Videokonferenz noch genügend Zeit hatte, um sich beim im Parterre befindlichen Starbucks einen Kaffee zu holen. Der ansonsten überall erhältliche typische englische Kaffee war für ihn, wie für fast alle Schotten, ungenießbar. Während er im Starbucks vor dem Counter Schlange stand, kreisten seine Gedanken bereits um die anstehende Online-Konferenz.

Er hatte keine Ahnung, warum Steve Burner mit ihm sprechen wollte. Er hatte seit dem Tod von Gerd Brauner nichts mehr von ihm gehört, und nun, urplötzlich, wollte er mit ihm konferieren. Laut Lydia würde auch Francois Monterrin der Dritte im Bunde sein. Und das, obwohl, wie er hundertprozentig wusste, Francois den lieben Steve am liebsten auf den Mond schießen würde. Zwischen den beiden gab es irgendeine Unstimmigkeit noch aus gemeinsamen New Yorker Zeiten. Donaldson zuckte innerlich mit den Schultern. Letztendlich war das nicht sein Problem. Aber dass Francois dabei sein würde, verdeutlichte die Wichtigkeit dessen, was Steve ihnen mitzuteilen hatte. Und es schien dringend zu sein, denn in New York dürfte es gerade mal vier Uhr morgens sein, selbst für den notorischen Frühaufsteher Burner war das sehr früh.

Als er mit dem Kaffee seinen Flur erreichte und das Großraumbüro betrat, signalisierte ihm seine Assistentin Lydia Cummings schon von weitem mit gespreizten Fingern die 10 Minuten bis zum Konferenzbeginn. Er warf ihr einen ironischen Handkuss zu und steuerte seinen, nur durch Glaswände abgetrennten, Schreibtisch an. Dann winkte er sie herein.

»Morgen, irgendetwas Wichtiges in den Mails?«

»Nichts, was nicht warten könnte. Du bist spät dran heute, irgendein Problem, abgesehen vom Wetter?« Und als keine Antwort kam: »Der Wirtschaftsprüfer will dich sprechen. Es sieht so aus, als ob er ein Problem mit der Bewertung unserer Fonds hat.«

»Hat er sich genauer geäußert?«

»Nö, aber er hat sehr geheimnisvoll getan.«

Donaldson schnaubte verächtlich. »In welchem Raum ist die Konferenz?«

»In der 4. Die Verbindung steht schon.«

»Okay, bis dann.«

Im Konferenzzimmer angekommen, ließ er sich in einen Sessel fallen und trank genüsslich aus seinem Starbucks-Becher. Dann knabberte er nachdenklich an den Keksen, die Lydia ihm noch schnell in die Hand gedrückt hatte. Was wollte bloß dieser nervige Wirtschaftsprüfer von ihm? Vermutlich ging es mal wieder um die von der TRIN angewandte Methode bei der Wertermittlung der Fondsbestandteile. Darauf hatte der schon die letzten Male herumgehackt.

»Hi, Luke, so vertieft in Gedanken?«

Ups, er war also schon live.

»Hallo Steve, lange nicht gesehen. Wie geht es dir?«

»Wir haben uns das letzte Mal in Paris gesehen, zusammen mit Gerd und Francois. Apropos Francois, der sollte doch auch schon zugeschaltet sein.«

Genau in diesem Moment erschien ein weiterer Bildausschnitt auf dem Monitor.

»Ich bin schon hier, mes amies. Ich habe nur geschwiegen, um eure überschwängliche Begrüßung nicht zu stören.«

»Hallo Francois, nett, wieder französische Ironie zu spüren.« Donaldsons Mundwinkel zuckten und in seiner Stimme schwang eine gehörige Portion Amüsement mit. »Da leider Gerd nicht mehr unter uns weilt, werde ich jetzt mal den Moderator spielen, ich meine, falls ich keinen Widerspruch höre.«

»Ihr Engländer habt über Jahrhunderte die ganze Welt moderiert, dann wirst du das bisschen mit uns auch schaffen. Wir Franzosen treten gern in die zweite Reihe zurück.«

Oha, wie war denn der gute Francois heute drauf, das konnte ja heiter werden.

»Okay, Steve, da ich nichts von dir höre, wäre es am besten, du erklärst uns, was denn so Dringendes anliegt. Und dringend muss es ja sein, wenn du dir die halbe Nacht um die Ohren schlägst.«

»Eigentlich die ganze Nacht. Aber lassen wir das, kommen wir zur Sache. Eine gewöhnlich gut unterrichtete Quelle hat mir geflüstert, dass die internationale Bankenallianz, welche die Wertebank aufgebaut hat, nicht mehr fliegt. Unsere Allamo Trust will aussteigen, und das gilt wohl auch für die Shanghai Corporation. Das allein wäre schon ausreichend, gegen die Wertebank-Aktie zu wetten. Aber es kommt noch besser. Beide haben sich diesbezüglich bis jetzt wohl nur verbal geäußert, und genau deswegen gibt es noch keine Ad-hoc-Mitteilung der Wertebank. Die wird aber über kurz oder lang erfolgen müssen und entsprechend negative Kursreaktionen nach sich ziehen. Das ideale Szenario also, um zwischenzeitlich die Aktie zu shorten.«

Francois Monterrin ergriff nach einer Denkpause als Erster das Wort. »Fangen wir doch einfach noch einmal von vorn an, Steven. Wer war diese gut unterrichtete Quelle?«

Steve Burner wand sich offensichtlich. »Das tut doch nichts zur Sache. Wenn ich euch sage, sie ist Top of the Top, dann reicht das ja wohl.«

»Oh Steven«, jetzt war der französische Akzent sehr ausgeprägt, ein sicheres Zeichen der inneren Anspannung von Monterrin, »wir kennen dich ja auch ein wenig. Deshalb kann ich mich nicht auf dein Wort verlassen. Wer also ist deine Quelle?«

Luke Donaldson musste die Selbstbeherrschung von Steve Burner bewundern. Früher wäre er geplatzt. Andererseits zeigte ihm das aber auch, wie wichtig ihm das Thema war. »Also gut, meine Quelle ist Ilan Silberstein.«

Na, das wurde ja immer besser, wo die Silbersteins waren, war die amerikanische Regierung nicht weit.

»Wieso wollen die der Wertebank an den Karren fahren?«

»Keine Ahnung, Luke. Vielleicht sind die einfach noch sauer. Die hatten doch Gerd bei seinem Übernahmeversuch unterstützt, und wie wir wissen, ist die Sache damals ja gescheitert.« Bevor Donaldson weiterbohren konnte, war wieder Monterrin zu vernehmen: »Also, ich fasse einmal zusammen. Die amerikanische Regierung, oder sollte ich sagen die Silbersteins wollen, warum auch immer, der Wertebank ans Bein pinkeln. Sie wollen das aber nicht selber machen, sondern dich, Steven, und möglichst auch uns vorschicken. Warum sollten wir dieses Spiel mitspielen?«

»Na, das versteht sich doch von selbst«, wie die heftige Handbewegung verdeutlichte, kam jetzt doch eine leichte Gereiztheit bei Burner auf, »weil wir dabei richtig Geld verdienen. Wir bauen Leerverkäufe auf und decken die ein, wenn der Kurs so richtig in den Keller gerauscht ist. Solche Szenarien sind doch ideal, um unsere Performance aufzupeppen.«

»Und warum kaufen wir uns nicht einfach Verkaufsoptionen?« Luke Donaldson konnte sich bequem zurücklehnen, Francois übernahm offenbar die ganze Diskussion mit Steve.

»Leerverkäufe sind die coolere Idee. Die müssen offengelegt werden, wenn sie 0,5 Prozent des Grundkapitals ausmachen. Ilan hat das ausbaldowert. Dann sehen andere Investoren, es gibt eine oder besser noch mehrere Shortpositionen am Markt und werden die Wertebank-Aktien meiden wie die Pest. Damit verstärkt sich deren Abwärtstrend noch.«

Steve Burner sah sehr selbstgefällig drein, bis sich Monterrin wieder meldete: »Und was ist, wenn einer dieser Investoren gegen uns spekuliert, die Aktien nach oben zieht und wir dann Hals über Kopf Wertebank-Aktien zurückkaufen müssen, um unseren Short zuzumachen?«

»Francois, was ist nur heute los mit dir? Wenn wir drei gemeinsam agieren, ist ein solches Szenario extrem unwahrscheinlich. Welcher Investor hat denn genug Volumen, um sich gegen uns zu stellen?«

»Warren Buffet zum Beispiel.«

»Also bitte, jetzt bleib mal ernst. Das Ganze ist doch eine todsichere Angelegenheit. Wir bauen unsere Shorts ja auch nicht für ewig auf. Wir könnten sie ja auf drei Monate terminieren, je nachdem, was gerade am Markt angeboten wird. Drei Monate sollten für unser Vorhaben mehr als ausreichend sein. Die Wertebank wird das schriftliche Aufkündigen der Bankenallianz in zwei bis drei Wochen bekommen. Dann müssen die eine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben und damit die Börse informieren. Zeit genug, um uns entsprechend zu positionieren.«

Es war nicht zu glauben, aber der gute Francois hatte immer noch etwas zu sagen: »Dann sage mir, Steven«, wieder diese französische Betonung des Namens, »dann sage mir, warum wir uns mit Shorts begnügen sollen. Warum spekulieren wir nicht gegen die Wertebank mit dem Ziel, sie zu zerschlagen? Wir übernehmen die Mehrheit, setzen das Management an die Luft und verkaufen die Einzelteile an andere Banken oder bringen sie in einem neuen Gewand an die Börse. Dann verdienen wir doch doppelt.«

Dieser abgefeimte Kerl, dachte Luke Donaldson, der kann doch nie den Hals vollkriegen. Die Idee an sich hatte aber etwas Bestechendes. Zuerst mit den Leerverkäufen richtig Geld verdienen und dann dieses Geld für Aktienkäufe verwenden. Das war es wert im Hinterkopf zu behalten. Aber jetzt galt es erst einmal, seiner Rolle als Moderator gerecht zu werden. »Das ist eine hochinteressante Idee, Francois, die wir unbedingt noch weiter vertiefen sollten. Ich denke, unsere Assistenten sollen weitere Termine für Videokonferenzen ausmachen. Aber jetzt werden wir uns erst einmal auf das Naheliegende konzentrieren. Ich für meinen Teil muss zunächst meinen Research ankurbeln. Ich hoffe, Steve, du verstehst, dass für derartig weitreichende Aktionen ich meine eigenen Erkenntnisse brauche. Ich glaube, das gilt auch für dich, Francois. Wie wäre es mit einer weiteren Konferenz am, sagen wir nächsten Montag, um uns dann noch einmal auszutauschen und die weitere Strategie zu besprechen«, und nach einem zustimmenden Okay von allen Seiten, »gut, wir sollten dann aber später anfangen, damit Steve ausgeschlafen ist. Bis dann, mes amies.«

Luke Donaldson wartete nicht ab, bis die Monitore dunkel wurden, sondern stand sofort auf und ging zu seinem Schreibtisch zurück. Dann rief er nach Lydia. »Ich will sofort unseren Bankanalysten sprechen, der Pit soll alles stehen und liegen lassen und zu mir kommen.«

Der Pit hieß eigentlich Peter Steiner, war ein ausgesprochener Spezialist für Banken und arbeitete schon seit zehn Jahren für die TRIN. Er war auch sogleich zur Stelle. Wie alle in der True Investment wusste er, dass Luke Donaldson sehr ungehalten werden konnte, wenn seine Anweisungen nicht sofort umgesetzt wurden.

»Luke, wo brennt es?«

»Schau dir die Wertebank an. Da scheint etwas faul zu sein. Konzentriere dich insbesondere auf deren Bankenallianz. Ich brauche eine Analyse über die Auswirkungen, falls die auseinanderfliegt.«

»Hast du diesbezüglich irgendwelche Informationen?«

Donaldson zögerte einen Moment. »Schau dir das einfach mal an. Ist deren Geschäftsmodell auch ohne diese internationale Bankenallianz tragfähig? Was wären eventuelle Alternativen und wie schnell könnten die umgesetzt werden? Das sind so die Fragen, die mich interessieren. Und ich brauche möglichst schnelle Antworten.«

»Wie schnell?«

»Gestern.«

»Verstehe, dann ist es wohl besser, wenn ich hier nicht länger herumhänge.«

Donaldson machte eine zustimmende Handbewegung und rief etwas später Hank Morris, seinen Chef von der Handelsabteilung an.

»Hank, Luke hier, check mal die Bedingungen am deutschen Aktienmarkt für Leerverkäufe bei der Wertebank. Und der Teufel soll dich holen, wenn davon auch nur die leiseste Andeutung nach draußen dringt. Ich hoffe, wir verstehen uns.« »Vollkommen, Luke, wird erledigt.«

Luke Donaldson trank seinen letzten Schluck Kaffee und entspannte sich dabei ein wenig. Er hatte nun alle notwendigen Schritte unternommen und konnte jetzt nur noch auf die Ergebnisse warten. Die Entspannung war allerdings nur von kurzer Dauer.

»Der Washborne ist jetzt da.«

Donaldson sah Lydia Cummings zwar missbilligend an, winkte den Wirtschaftsprüfer aber in sein bescheidenes Büro. Es war offensichtlich, dass der mehr als nervös war. Das konnte nur extrem schlechte Nachrichten bedeuten.

»Also, Herr Washborne, was kann ich für Sie tun?«

»Nun, Herr Donaldson, wir haben über die Bewertungen Ihrer Fonds ja schon öfter gesprochen. Das Problem ist aber nach wie vor gegeben. Bei der Bewertung der Einzelpositionen in Ihren Fonds benutzen Sie für asiatische Werte die Schlusskurse des vorherigen Handelstages, für die europäischen Werte die Mittagskurse und für die amerikanischen Werte die Eröffnungskurse, da die Zeitdifferenz in die USA fünf Stunden beträgt. Das bedeutet in letzter Konsequenz, dass die Wertstellung der Fondsanteile willkürlich berechnet wird.«

»Aber das machen doch alle Fondsgesellschaften so.«

»Deswegen ist diese Methode aber nicht richtig. Wir brauchen ein Verfahren, welches zu einem bestimmten Zeitpunkt alle Kurse weltweit erfasst. Wie das genau aussehen soll, wird derzeit in einer Arbeitsgruppe des Finanzministeriums erarbeitet. Auch ich gehöre dieser Gruppe an und ich bin beauftragt worden, Sie zu fragen, ob Sie dieser Arbeitsgruppe beitreten wollen.«

»Na, wenn das Ihr einziges Problem ist, dann ist das einfach zu lösen. Selbstverständlich werde ich dabei mitarbeiten. Vielleicht ersetzt mich hier und da einer meiner Mitarbeiter, aber im Prinzip bin ich natürlich dabei.«

Jake Washborne ignorierte die unausgesprochene Verabschiedung, er hatte offensichtlich noch etwas auf dem Herzen. »Herr Donaldson, wir sollten uns dann auch überlegen, wie wir folgendes Problem aus der Welt schaffen. Wie gesagt, Sie bewerten mittags unserer Zeit mit allen Unzulänglichkeiten, über die wir ja schon gesprochen haben. Veröffentlicht werden die Preise für die Fondsanteile aber manchmal erst um 16 Uhr. Dazwischen liegen also mehrere Stunden, in denen faule Orders abgewickelt werden können.«

»Wollen Sie damit andeuten, dass bei unseren Fonds unsaubere Handelspraktiken angewandt werden?«

»Ich will gar nichts andeuten. Ich will nur darauf hinweisen, dass, wenn jemand den Wert der Mittagsberechnung kennt, dieser dann aber erst Stunden später veröffentlicht wird, er mehrere Stunden Zeit hat, nämlich bis zur Veröffentlichung, daraus einen Nutzen zu ziehen.«

Der Tag war zwar erst wenige Stunden alt, aber Luke Donaldson fühlte sich bereits unendlich müde.

»Danke, Herr Washborne, ich werde das zunächst mit meinen Mitarbeitern diskutieren und komme dann auf Sie zu.«

ANPFIFF

Das war ja ein hoch interessantes Telefonat gewesen, sowohl was das Gespräch an sich als auch den Inhalt und die daraus resultierenden Schlussfolgerungen anging. Dieter Krämer schlürfte seinen heißen Frühstückskaffee und rekapitulierte das soeben Gehörte.

Erstens, der Wirtschaftsattaché der amerikanischen Botschaft rief früh am Morgen ihn, den Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, auf dessen geheimer Handynummer an. Womit sich die Frage stellte, wie die Amis an diese Telefonnummer gekommen waren und wieso der Anruf nicht hatte warten können. Offenbar hatten sie Wind von seinem Meeting heute Vormittag mit den Leuten von der Wertebank bekommen, was wiederum für ihre exzellenten Informationsquellen sprach.

Zweitens, der Inhalt des Gespräches war zumindest teilweise relativ banal. Und die Themen Konrad Pair sowie Bankenallianz hätte er im Gespräch mit den Bankern ohnehin angesprochen.

Drittens, offensichtlich hatte die amerikanische Regierung etwas gegen die Wertebank, und, ebenso offensichtlich, sie wussten bereits etwas über das Anliegen seiner Besucher. Warum sonst hätten sie versucht, auf diesem ungewöhnlichen Weg diese anzuschwärzen?

Krämer schenkte Kaffee nach, trat ans Fenster und sah in das regentrübe Berlin hinaus. Eines hatten die amerikanischen Freunde in jedem Fall erreicht, er sah dem bevorstehenden Treffen nun sehr erwartungsvoll entgegen. Er schnappte sich wieder sein Handy und rief in seinem Büro an. Prompt meldete sich seine Sekretärin: »Guten Morgen, Herr Krämer.«

»Sind Sie etwa schon im Büro?«

»Nein, aber auf dem Weg dorthin. Das Telefon habe ich auf mein Handy umgeleitet.«

»Gut, wann ist das Meeting mit der Wertebank?«

»Um zehn Uhr.«

»Irgendetwas Neues vom Minister?«

»Nicht, dass ich wüsste. Er hat gestern noch einmal seine Teilnahme bestätigen lassen.«

»Gut, Frau Schrader, ich mache mich dann auch auf den Weg. Bis gleich.«

Krämer kippte den Rest seines Kaffees in die Spüle und stellte die Tasse in die Spülmaschine. Dann zog er sein Jackett an, schnappte sich seine Aktentasche und verließ sein kleines Appartement in der Friedrichstraße. Während des kurzen Weges in die Wilhelmstraße hörte der Regen dankenswerterweise endgültig auf. Als er das Finanzministerium sah, stimmte er heimlich mal wieder mit den Kritikern überein, die dieses Gebäude als das hässlichste in ganz Berlin bezeichneten. Es hatte in der Tat den Charme eines nationalsozialistischen Protzbaus, was es ja letztendlich auch war.

Nachdem er die Sicherheitsschleuse am Eingang passiert hatte, steuerte er schnurstracks den Paternoster an, der ihn direkt zu seinem Büro bringen würde. Dort angekommen wartete schon seine Sekretärin Bärbel Schrader ungeduldig auf ihn.

»Der Herr Minister wollte Sie gerade sprechen.«

»Will er sich vor dem Meeting drücken?«

»Nein, keineswegs, er wollte nur den bayerischen Ministerpräsidenten ankündigen. Der kommt heute in Berlin an und würde gerne am Meeting teilnehmen. Sie brauchen den Minister nur dann zurückzurufen, wenn Sie damit ein Problem haben.«

»Warum sollte ich«, knurrte Krämer, »der hat doch das Treffen überhaupt erst arrangiert. Nee, nee, kein Problem damit. Was steht an, Frau Schrader?«

»Auf Ihrem Schreibtisch liegt seit geraumer Zeit der Entwurf zur Reform des Länderfinanzausgleichs.«

»Schon gut, ich habe verstanden.«

Seufzend setzte sich Krämer und öffnete den bezeichnenderweise roten Ordner. Am besten würde man den ganzen Quatsch völlig abschaffen und stattdessen ein neues Steuersystem einführen, in dem innerhalb gewisser Grenzen Gemeinden, Länder und der Bund eigene Steuern erheben würden. Aber wie so oft war für Logik in der Politik kein Platz. Entsprechend nervtötend war das Studium der Vorlage und er war heilfroh, als die Schrader ihm signalisierte, dass die Zeit für das Meeting gekommen war. Außerdem informierte sie ihn über die Verspätung des bayerischen Politikers und es war klar, dass dann auch der Minister später zum Gespräch dazu stoßen würde. Aber egal, Hauptsache, er konnte dieser Vorlage entkommen.

Im Besprechungszimmer erhoben sich bei seinem Eintritt drei Männer von ihren Plätzen, die, obwohl unterschiedlichen Aussehens, sich doch irgendwie ähnelten. Banker halt, dachte er. Nachdem er jeden mit Handschlag begrüßt hatte, forderte er sie mit einer einladenden Geste auf, wieder Platz zu nehmen. »Meine Herren, ich freue mich, Sie hier in diesem geschichtsträchtigen Gebäude begrüßen zu dürfen. Der Herr Minister wird später zu uns stoßen, er wartet noch auf den bayerischen Ministerpräsidenten, der ebenfalls an unserem Gespräch teilnehmen möchte.«

Peter Nehmer ergriff das Wort: »Vielen Dank, Herr Staatssekretär, ich darf vielleicht kurz unsere Gruppe vorstellen. Zu meiner Linken sehen Sie Niels Werner, den Leiter unserer Asset-Management-Sparte, zu meiner Rechten sitzt Konrad Pair, unser Repräsentant in Berlin, und ich bin Peter Nehmer. Ich leite die Wertebank.«

»Vielen Dank, Herr Nehmer, ich denke, wir sollten die Zeit, bis der Minister kommt, nutzen, um einige Details vorab zu besprechen. Ehrlich gesagt, bin ich doch etwas verwundert, dass ein verurteilter Mörder Ihre Bank hier in Berlin repräsentiert und an unserem Gespräch teilnehmen soll.«

Bei diesen Worten fixierte Dieter Krämer ausschließlich Konrad Pair. Der erwiderte jedoch seinen Blick mit stoischer Ruhe. »Ich darf darauf hinweisen, Herr Staatssekretär, dass ich wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt wurde. Und ich bin nach, inklusive der Untersuchungshaft, einem Jahr Gefängnis wegen extrem guter Führung vorzeitig, und ich möchte betonen, offiziell, entlassen worden.«

»Herr Pair, verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte das deutsche Rechtssystem auch nicht kritisieren. Für mich ist das völlig in Ordnung. Aber meine Meinung wird nicht von allen geteilt werden und Ihre Arbeit hier in Berlin wird durch Ihre Vergangenheit nicht unbedingt erleichtert.«

»Das ist uns durchaus bewusst, Herr Staatssekretär, aber zu der Vergangenheit von Herrn Pair gehört auch seine Reputation als ausgezeichneter Wirtschaftsfachmann. Und als solcher ist er heute hier.« An dieser Stelle wurde Peter Nehmer unwillkürlich lauter. »Und ehrlich gesagt, wenn er nicht geschossen hätte, dann hätte vermutlich ich es getan, spätestens dann, wenn eine Auslieferung in die USA diskutiert worden wäre. Dieser Kerl hatte schließlich meinen Sohn entführt und wollte mich erpressen.«

Sieh an, sieh an, die halten zusammen wie Pech und Schwefel, ziemlich selten in der heutigen Zeit, das gefällt mir.

»Schön und gut, Herr Nehmer. Im Zusammenhang mit Ihrer Bank existiert aber noch ein anderes Problem. Wie wir hören, steht Ihre internationale Bankenallianz kurz vor dem Scheitern. Sie haben aber noch keine entsprechende Mitteilung herausgegeben, um die Börse zu informieren.«

»Bis heute haben wir noch keine schriftlichen Dokumente diesbezüglich erhalten. Nur auf Grund von vagen verbalen Äußerungen können und dürfen wir auch keine Ad-hoc-Mitteilung herausgeben. Aber auch ohne schriftliche Informationen werden wir das demnächst wohl doch tun müssen, denn die Spatzen pfeifen das offensichtlich ja schon von den Dächern. Es ist mir völlig unerklärlich, wie diese Information nach draußen dringen konnte. Darf ich fragen, woher Sie diese Erkenntnisse haben?«

In diesem Moment betraten der Finanzminister und der bayerische Ministerpräsident den Raum.

»Bleiben Sie sitzen, bleiben Sie sitzen, meine Herren. Ich freue mich, Sie in meinem Ministerium begrüßen zu dürfen. Wir kennen uns ja alle bereits, eine gegenseitige Vorstellung kann daher unterbleiben«, und an Krämer gewandt: »Ich habe doch hoffentlich nichts verpasst?«

»Keineswegs, Herr Minister, wir haben nur über einige Kleinigkeiten gesprochen, eigentlich war es lediglich Smalltalk.«

»Na schön, meine Herren, bitte bedienen Sie sich, wie ich sehe, ist für das leibliche Wohl gesorgt«, und nachdem das Tassengeklapper und Kaffee einschenken erledigt war, fragte der Finanzminister: »Was kann ich für Sie tun?«

Peter Nehmer ergriff das Wort: »Vielen Dank, Herr Minister, für diesen Gesprächstermin. Vielen Dank, Herr Ministerpräsident, auch Ihnen. Die Wertebank ist heute hier, um Ihnen einen, zugegebenermaßen leicht revolutionären, Vorschlag bezüglich der Staatsfinanzen zu machen. Wird dieser Vorschlag umgesetzt, würde Deutschland auf Jahre, nein, Jahrzehnte hinaus ein enormes finanzielles Polster besitzen, welches bei ökonomischen Krisen die Handlungsfähigkeit der deutschen Politik sicherstellen würde. Darüber hinaus wäre die Stellung Deutschlands in der Europäischen Union, aber auch weltweit nachhaltig gestärkt. Ich schlage vor, dass Herr Pair Ihnen jetzt die Idee erläutert. Er war wesentlich an ihrer Entwicklung und Formulierung beteiligt.«

»Pair, sagten Sie, war der Name?«

»Ja, Konrad Pair, er war als anerkannter Ökonom über lange Jahre unser Chefvolkswirt und leitet nun seit einigen Tagen unsere Berliner Filiale.«

Es war unmöglich, in den Gesichtszügen des Ministers zu lesen.

»Na schön, dann schießen Sie mal los.«

»Herr Minister, Herr Ministerpräsident, Herr Staatssekretär, wir alle wissen, was für ein wunderbares Land Norwegen ist. Was nicht alle wissen, ist, wie klug die dortige Wirtschafts- und Finanzpolitik ist. Norwegen hat schon vor einigen Jahren einen Staatsfonds ins Leben gerufen, der durch die Einnahmen aus den Öl- und Gasressourcen gespeist wird. Dieser Staatsfonds investiert sein Vermögen in die weltweiten Kapitalmärkte mit deutlich höheren Renditen als angesichts der gegenwärtigen Nullzinsphase zu erwarten gewesen wäre. Sein Volumen beträgt mittlerweile tausend Milliarden Euro. Dieser Fonds dient der Zukunftssicherung des Landes und als Reserve für Zeiten mit wirtschaftlichen Problemen. So hat Norwegen im Zuge der Corona-Pandemie dem Fonds 50 Milliarden entnommen, um der daniederliegenden Wirtschaft des Landes wieder auf die Sprünge zu helfen.«

An dieser Stelle hakte Dieter Krämer sofort ein: »Wir haben aber leider keine signifikanten Öl- und Gasreserven, Herr Pair.« »Das ist natürlich richtig, Herr Staatssekretär, und deswegen haben wir bis heute auch keinen Staatsfonds in unserem Land. Aber auch wir haben eine Einnahmequelle. Infolge des erstklassigen Rufes Deutschlands als Schuldner können wir zu Nullzinsen am Kapitalmarkt Geld aufnehmen. Unser Vorschlag ist nun, derartige Anleihen mit einer Laufzeit von dreißig Jahren zu begeben und mit dem so gewonnenen Kapital einen Staatsfonds ins Leben zu rufen.«

Die Politiker am Tisch tauschten ungläubige Blicke und schüttelten leicht den Kopf. Der Minister ergriff zuerst wieder das Wort: »Sie wollen, dass wir neue Schulden machen, obwohl wir das Geld gar nicht benötigen? Wissen Sie eigentlich, wie froh wir sind, den Haushalt wieder auf halbwegs solide Füße gestellt zu haben?«

»Herr Minister, genau deshalb wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Mittelaufnahme. Ihr Jahreshaushalt wird davon ja in keiner Weise tangiert. Sie zahlen für diese Anleihen keine Zinsen, also steigt in Ihrem Budget der Posten Schuldendienst auch nicht.«

»Aber irgendjemand muss dieses Geld am Ende doch zurückzahlen.«

Nun schaltete sich Niels Werner ein: »Herr Minister, wenn Aktien auch künftig die Renditen abwerfen, die sie in den letzten 100 Jahren erzielt haben, nämlich durchschnittlich zwischen 6 und 8 Prozent jährlich, dann verdoppelt sich in den nächsten 10 Jahren Ihr eingesetztes Kapital. Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Bei 500 Milliarden Kapitalaufnahme hätte der deutsche Staatsfonds in 10 Jahren auch ein Volumen von 1000 Milliarden.«

Auf den hilfesuchenden Blick des Finanzministers nickte Dieter Krämer zustimmend. Für ihn klang das alles extrem logisch. Er war gespannt, wie sein Chef darauf reagieren würde. Der jedoch hüllte sich in Schweigen, so dass er selbst das Frage- und-Antwort-Spiel fortsetzte: »500 Milliarden! Gibt der Kapitalmarkt das überhaupt her und wird eine derartige Kreditaufnahme nicht letztendlich doch den Zins nach oben treiben?«

Niels Werner schüttelte den Kopf: »Herr Staatssekretär, der weltweite Anleihemarkt hat ein Volumen von rund 100 Billionen Euro, der Aktienmarkt übrigens nicht ganz so viel, aber auch da sind es 90 Billionen. Da würden die 500 Milliarden leicht zu erzielen sein. Aber natürlich müssten die marktschonend aufgenommen und dann platziert werden, das bedeutet volumenmäßig Schritt für Schritt und im Zeitablauf nach und nach. Das würde sicherlich kaum Auswirkungen auf Zinsen und Aktienmärkte haben.«

»Herr Werner«, der Minister hatte seine Sprache wiedergefunden, »bei jedem Konzept liegt der Teufel im Detail. Wir, das heißt, die Bundesregierung, sind Politiker und keine Fondsspezialisten. Woher sollen wir denn die Expertise nehmen, um ein solches Monstrum zu installieren und dann auch noch zu bändigen?«

Nun war die Reihe an Peter Nehmer: »Dafür haben Sie uns, Herr Minister, wir haben die Spezialisten für so etwas.«

Aha, dachte Dieter Krämer, jetzt ist die Katze aus dem Sack. Aber warum auch nicht. Die Wertebank will sich neue Geschäftsmöglichkeiten erschließen, das ist durchaus legitim. Sein Minister war aber offenbar anderer Meinung: »Sie wollen, dass ich einen weiteren Schattenhaushalt einrichte?«

»Ich bevorzuge den Begriff der Spardose, Herr Minister.«

»Meine Herren, das können wir doch nicht im stillen Kämmerlein beschließen. Wenn wir so etwas machen, muss, entsprechend unseren Gepflogenheiten, eine Ausschreibung her, so dass alle Asset Manager die Chance haben; sich zu bewerben.«

Niels Werner konnte sein Entsetzen gerade noch so kaschieren: »Herr Minister, wenn Sie das Vorhaben öffentlich werden lassen wollen, sollten Sie von der Idee gleich vollständig Abstand nehmen. Wenn der Kapitalmarkt auch nur ansatzweise Wind von dem Vorhaben bekommt, wird er sich entsprechend verhalten. Das bedeutet, in einem ersten Schritt steigen die Zinsen, damit wäre Ihr Budget doch tangiert, und in einem zweiten Schritt steigen die Aktienkurse. Damit müssten bei Investments an der Börse deutlich höhere Preise gezahlt werden.« »Wenn ich Sie nun richtig verstehe, bin ich Ihnen irgendwie ausgeliefert, ich meine, falls ich der Sache zustimme«, hier hob er abwehrend die Hände, »bitte, ich weiß ja noch gar nicht, ob das überhaupt umsetzbar ist, politisch, meine ich. Wenn ich das aber auch nicht herausfinden will, ist meine einzige Chance, Ihren Vorschlag abzulehnen.«

Die Antwort von Niels Werner war brutal ehrlich: »Das fasst es ziemlich korrekt zusammen.«

Dieter Krämer bekam allmählich eine gewisse Hochachtung vor den Wertebank-Leuten. So gegenüber dem als leicht cholerisch verschrienen Finanzminister aufzutreten, dazu gehörte schon einiges. Aber er spürte auch, dass sein Chef ebenfalls beeindruckt war. Allerdings war die politische Durchsetzung in der Tat ein Problem. Derartige Aktionen mussten vom Haushaltsausschuss des Bundestages genehmigt werden, der traditionsgemäß von einem Mitglied der Oppositionspartei geleitet wurde. Entsprechend störrisch verhielt sich daher bei manchen Ausgabeplanungen der Ausschuss. Da konnte er aber wahrscheinlich helfen, schließlich war er im Besitz einer Akte, die Bilder des aktuellen Vorsitzenden in einer mehr als nur anrüchigen Bar in New York beinhaltete. Der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel, und die andere Seite war auch nicht immer fein unterwegs.

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