Kitabı oku: «Tanz der Finanzen», sayfa 4
TEAMBILDUNG
Als die beiden Männer den Weg zu seinem Berghof hinaufgingen, war die Luft erfüllt von dem Duft der Blumen und Kräuter am Wegesrand. Außer dem Zirpen der Grillen und dem Klopfen eines Spechtes wurden sie von einer angenehmen Stille umhüllt. Noch nicht einmal Josefs Kühe waren zu hören. Der Zauber des Dreisamtals hatte sie voll im Griff. Niels Werner genoss jedes Mal den Aufstieg zu seinem Zuhause und soweit er das beurteilen konnte, ging es gerade Konrad Pair ebenso.
Der sah mittlerweile viel besser aus. Die zwei Tage Ruhe und das eifrige Bekochen durch Agathe hatten positive Zeichen hinterlassen. Offenbar hatte der gute Konrad den Dreh mit den Damen heraus. Seine Haushälterin jedenfalls bot ihre Dienste weit über das normalerweise von ihr zu erwartende Maß an. Statt der vereinbarten drei Stunden täglich war sie gestern geschlagene fünf Stunden geblieben und hatte sich immer wieder nach Konrads Wünschen erkundigt. Vermutlich wartete sie auch heute dort oben, obwohl es gar nicht ihr Tag war. Und es war ja nicht nur Agathe. Auch Gerda, die Frau vom Josef, war bei ihrem Besuch eben nicht wiederzuerkennen gewesen. Von wegen schwerhörig oder, wie sie in der Vergangenheit immer betonte, stocktaub, sie hatte äußerst lebhaft Konversation betrieben und jedes Wort verstanden. Die war genauso ein Schlitzohr wie der Josef selbst. Zur Krönung hatte sie dann noch etwas Lippenstift aufgetragen. Dem Josef war fast sein obligatorisches Schnapsglas aus der Hand gefallen.
Aber Konrads Charme hatte ihr eigentliches Anliegen beim Josef sehr erleichtert. Selbstverständlich würde er den verklebten Umschlag mit den darin befindlichen Dokumenten in seine Obhut nehmen, und natürlich hatte er diesen Umschlag nie gesehen. Die Gerda hatte ihn auch gleich irgendwo auf dem Bauernhof in einem Geheimfach verstaut. Beide hatten verstanden, dass sie diesen Umschlag nur nach Aufforderung durch Niels Werner wieder herausgeben sollten.
Niels Werner klopfte sich innerlich auf die Schulter. Es war seine Idee gewesen, den Josef einzuspannen. Vielleicht würden diese Geheimdienstfuzzis irgendwie hinter seine Identität kommen und sein Haus durchsuchen. Aber auf den Josef kommen die nie, dachte er zufrieden.
So sah das offensichtlich auch Konrad Pair. »Ich wette, meine Kollegen kommen nie darauf, dass der Josef die Papiere hat. Bei dir könnten sie etwas vermuten, aber bei den beiden nie.«
Mittlerweile hatten sie das Plateau erreicht, auf dem Niels Werners Berghof stand.
»Ich denke das auch – hoffentlich täuschen wir uns nicht.«
»Keine Sorge, Niels, Geheimdienstleute sind viel zu hochnäsig, um hinter der Fassade von Josef und Gerda etwas Derartiges zu vermuten. Der Josef hat dich ja auch super über den Tisch gezogen und mit dieser Hundenummer deine Weinvorräte dezimiert.«
»Woher willst du das denn wissen?«
»Na, er hat es mir gesteckt, als du im Bad warst. Die Gerda hat dabei schallend gelacht.«
»Hauptsache, ihr habt euch amüsiert. Ich kann mich jedenfalls nur über deinen Charme wundern, die Gerda habe ich noch nie so aufgeräumt gesehen. Ihr Geheimdienstagenten scheint speziell auf Frauen eine besondere Ausstrahlung zu haben.«
»Klar, das kannst du in jedem James-Bond-Film sehen.«
»Setz dich, ich hole uns ein Bier.«
Als Niels Werner wieder zurückkam und die Rothaus-Biere auf den Tisch stellte, konnte er sich eine süffisante Bemerkung denn doch nicht verkneifen.
»So doll scheint es mit deinem Charme doch nicht her zu sein. Ich hätte gewettet, Agathe kommt heute wieder.«
»Das ist nur, weil du in die falsche Richtung siehst. Schau mal, die Radfahrerin da oben am Berg. Ich wette, das ist sie.«
Beide Männer lachten lauthals und sahen Agathe entgegen, als sie auf ihrem Mountainbike den schmalen Hohlweg herunterkam. Als sie den Hof erreichte, durchzuckte es Niels Werner. Mich laust der Affe, dachte er, jetzt hat die auch noch Lippenstift aufgelegt. Agathe strahlte sie beide an, Konrad Pair etwas länger, und verschwand im Haus, aus dem kurze Zeit später das Klappern von Pfannen und Töpfen zu vernehmen war. Niels Werner rief durch das offene Fenster in die Küche: »Was gibt es denn heute Schönes, Agathe?«
»Szegediner Gulasch.«
Natürlich, Konrad Pair hatte ihr gestern sein Lieblingsessen genannt und prompt kam das heute auf den Tisch. Er machte eine hilflose Geste zu seinem Gast und bewegte den Kopf energisch zu der etwas weiter vom Haus weg gelegenen zweiten Gartenterrasse. Dort waren sie außer Hörweite.
»Was meinst du, Niels, wo deponieren wir die anderen Dokumente? Der Josef hat jetzt einen Satz und gestern habe ich an meinen Münchner Notar einen zweiten abgeschickt mit der Maßgabe, im Falle meines plötzlichen Todes diese Papiere sofort zu veröffentlichen. Ich habe aber noch einen dritten Umschlag gestern angefertigt.«
Niels Werner zögerte keine Sekunde. »Den solltest du bei Peter hinterlegen. Entweder er oder die Pauli können im Falle des Falles die Veröffentlichung veranlassen.«
»Gute Idee, aber meinst du, Peter wird dem zustimmen? Eigentlich muss er doch sauer auf mich sein. Schließlich habe ich ihm jahrelang meine Geheimdienst-Zugehörigkeit verheimlicht. Wo steckt er überhaupt, er wollte doch schon gestern hier sein?«
»Du siehst ihn nur nicht, weil du in die falsche Richtung siehst. Schau, da unten bei Josef, siehst du die schwarze Limousine?« Beide lachten wieder schallend. »Ich wette, das ist er.«
Beide Männer standen auf und gingen wieder zu der Terrasse am Haus, wo sie dem sich nähernden Auto entgegenblickten.
»Agathe, es sieht so aus, als ob wir noch einen Gast bekommen. Am besten kochen Sie etwas mehr.«
Als Peter Nehmer strahlend aus dem Auto stieg, hatte Konrad Pair sich aus dessen Blickfeld entfernt und ins Haus zurückgezogen.
»Hallo, Niels, ich freue mich wahnsinnig, dich zu sehen.«
»Das gilt auch für mich.«
Beide Männer umarmten sich.
»Wie war die Fahrt, hast du den Weg gut gefunden?«
»Kein Problem.« Peter Nehmer reckte sich leicht und ließ den Blick anerkennend schweifen. »Jetzt verstehe ich gut, warum du an diesem Platz so hängst. Da hast du dir ja ein wunderschönes Fleckchen ausgesucht.«
»Ja, Peter, ich fühle mich sehr wohl hier.«
»Wohnen da, wo andere Urlaub machen. Sehr schön. Aber ist dir das auf Dauer nicht doch ein wenig zu langweilig?«
Niels Werner konnte nicht umhin, die Ironie dieser Situation zu registrieren. Genau die gleiche Argumentation hatte damals Gerd benutzt, als er ihn als trojanisches Pferd in Peters Bank gewinnen wollte.
»Das Thema können wir ja nachher noch vertiefen. Zunächst muss ich dir sagen, dass ich noch einen Besucher habe. Das Vöglein gewissermaßen.«
»Wie, was, Vöglein, wovon redest du?«
»Na, du wolltest doch wissen, welches Vöglein mir vom Scheitern der Bankenallianz gesungen hat.«
Peter Nehmer ließ sich schwer auf einen Gartenstuhl sinken. »Und dieses Vöglein ist hier?«
»In der Tat«, ließ sich nun der aus dem Haus getretene Konrad Pair vernehmen. »Hallo Peter, alles gut? Du siehst etwas angegriffen aus.«
Peter Nehmer sprang auf und umarmte ihn heftig. Dann hielt er ihn auf Armeslänge von sich, sah ihm ins Gesicht und schüttelte immer wieder seinen Kopf. »Jetzt brat mir aber einer einen Storch. Wo in aller Welt kommst du denn her? Das gibt es doch gar nicht!«
»Das ist eine spezielle Geschichte. Am besten setzen wir uns wieder dahinten in den Garten.«
Dabei machte er eine bedeutungsvolle Geste in Richtung Haus. Nehmer verstand sofort und folgte ihm zusammen mit Niels Werner.
»Also, wenn ihr nichts dagegen habt, ich kenne die Geschichte ja schon. Ich werde mal ins Haus gehen und Agathe ein wenig auf die Finger schauen. Wer weiß, was die in ihrem Faible für Konrad sonst noch alles anstellt. Peter, was darf ich dir zu trinken anbieten?«
»Ihr habt ja schon mit Bier angefangen, dann schließe ich mich an.«
»Okay, kommt sofort. Konrad, du hast noch?«
Konrad Pair nickte und begann, als Niels Werner die zwei allein ließ, intensiv auf Peter Nehmer einzureden. Niels Werner ließ sich Zeit mit dem Bier. Er wusste, Peter würde angesichts dessen, was Konrad ihm auftischte, so schnell kein Bedürfnis nach seinem Bier haben. Agathe sah ihn vorwurfsvoll an, sie hatte sich wohl ein wenig mehr Zweisamkeit mit Konrad erhofft oder war enttäuscht, dass sie nicht mitbekam, was da so Interessantes besprochen wurde. Als er mit dem Bier in der Hand zum Tisch der beiden Freunde ging, spielte Peter Nehmer gerade den Moralapostel und fuchtelte mit den Händen in der Luft herum.
»Willst du mir ernsthaft sagen, du warst ein Geheimdienstagent? All die Jahre, die du für mich gearbeitet hast? Konrad, ich habe dir vertraut!«
»Ja, so kann man es auch formulieren. Ich habe mich aber immer im Hauptberuf als dein Mitarbeiter gesehen und meine Geheimdienstnummer war eher eine Nebenbeschäftigung. Ich denke, dein Vertrauen in mich war in jeder Phase gerechtfertigt. Ich habe dir schließlich nicht geschadet.«
An dieser Stelle mischte sich Niels Werner ein. »Peter, man muss die Vergangenheit auch mal ruhen lassen können. Schließlich haben wir alle, und dazu zählst vermutlich auch du, früher Dinge getan, auf die wir heute nicht mehr unbedingt stolz sind. Das gilt ganz besonders für mich und meine, wenn auch nur kurzzeitige, Rolle als trojanisches Pferd. Du hast es ja auch bei mir geschafft zu verzeihen. Ich denke, Konrad hat so viel für dich getan, du solltest auch in seinem Fall großzügig sein können.«
Die nun folgende Pause war lang, sehr lang. Werner und Pair sahen Peter Nehmer schweigend an. Dessen Blick war auf ein imaginäres Ziel in der Ferne gerichtet. Schließlich kehrte sein Blick zurück, er nahm das Bier und schenkte sein Glas voll. Dann sah er die beiden an und hob sein Glas. »Na dann Prost, ihr Säcke.«
Ein erleichtertes Lachen und ein lautes Prost war die Reaktion. Niels Werner brachte geschickt sofort ein anderes Thema zur Sprache. »Was hat dich aufgehalten, Peter, du wolltest doch gestern schon hier sein.«
»Ich hatte kurzfristig einen Termin beim bayerischen Ministerpräsidenten bekommen. Ihr kennt ihn übrigens, er war damals dabei, als wir Gerd Brauner bei unserem Treffen in der bayerischen Landesvertretung in Berlin zerlegt haben. Damals war er noch Wirtschaftsminister, ihm sind also ökonomische Fragestellungen durchaus geläufig. Deswegen hat sich mein Besuch bei dir, Niels, um einen Tag verzögert.«
Niels Werner winkte ab. »Kein Problem, wie war seine Reaktion?«
»Nun, er hat den Charme dieser Idee natürlich sofort verstanden, nicht umsonst war er vor seiner politischen Karriere als Steuerberater tätig. Aber er hat mich gleich gewarnt. Es würde sehr schwierig werden, den Finanzminister zu gewinnen. Diesem Buchhaltertyp wären neue Schulden ein Gräuel. Und er sieht auch keine Möglichkeit, diesen Plan durch den Haushaltsausschuss zu bringen, ohne eine riesige Debatte über Verteilungsgerechtigkeit loszutreten. Der Haushaltsausschuss muss aber in jedem Fall derartige Aktionen genehmigen. Darüber hinaus stellt die Frage, wer an diesem Fonds partizipieren soll, für ihn ein schier unüberwindbares Hindernis dar. Sollen alle einen Anteil an diesem Fonds haben oder nur die, die auch in unser Sozialsystem einzahlen, egal welcher Nationalität sie angehören. Und dann wäre da noch zu klären, ab wann dieser Anteil bezogen werden kann, erst mit der Rente oder auch schon früher, und so weiter und so weiter. Zusammengefasst, er persönlich findet die Idee gut, sieht aber enorme Probleme bei der Durchführung. Er will mir demnächst noch ein Grundsatzpapier zu all diesen Problemen erstellen lassen, sein Sekretär wird diesbezüglich auf mich zukommen.«
Peter Nehmer hatte sich zwar vorgenommen, nicht zu negativ bei seinem Bericht zu werden, aber je länger er sprach, desto schlechter konnte er seinen Frust verbergen. Und wie so oft in der Vergangenheit war es auch diesmal Konrad Pair, der ihn wieder aufbaute.
»Vergiss diesen ganzen Verteilungskram, vergiss, wer wann ein Anrecht auf seinen Anteil hat. Das Ganze muss als Staatsfonds konzipiert werden. Schau nach Norwegen, die haben so einen Staatsfonds. Der ist 1000 Milliarden Euro schwer, wird aus den Öl- und Erdgaseinnahmen des Landes gespeist und investiert in die globalen Anleihe- und Aktienmärkte. Norwegen hat auch schon bei konjunkturellen Schwierigkeiten bis zu 50 Milliarden aus dem Fonds abgezogen, um der Wirtschaft wieder Leben einzuhauchen. Zuletzt geschehen 2020 während der Corona-Pandemie.«
»Das ist es, Konrad«, Niels war sofort Feuer und Flamme, »und unser Fonds speist sich eben aus der Aufnahme von Schulden zu Nullzinsen. Bei 500 Milliarden und einer durchschnittlichen Verzinsung unserer Aktieninvestments von 6 Prozent, etwas, was die Börse in den letzten 100 Jahren im Durchschnitt eines jeden Jahres erzielt hat, haben wir Pi mal Daumen in zehn Jahren auch 1000 Milliarden Fondsvolumen. Der Staat kann dann sogar bei wichtigen Unternehmen als Ankerinvestor auftreten und so unerwünschte Übernahmen aus dem Ausland verhindern.«
»Na, ihr zwei seid ja wohl der perfekte Braintrust. Einfach super! Kann ich denn davon ausgehen, dass ihr mir künftig zur Verfügung steht?«
Niels Werner war der Erste, der das folgende Schweigen brach: »Wenn Konrad mit an Bord ist und du mir einen Wagen mit Fahrer stellst, der mich Montag morgens abholt und Freitag abends hier wieder abliefert, dann bin ich dabei, Peter. Eine derart spannende Geschichte möchte ich um nichts in der Welt verpassen.«
»Okay, letzteres lässt sich leicht arrangieren und was Konrad angeht, kannst du dich denn überhaupt in Deutschland frei bewegen?«
»Ich denke schon. In meinen Papieren steht Entlassung wegen extrem guter Führung. Wer daran gedreht hat, wird dankenswerterweise nicht erwähnt. Meine persönliche Sicherheit ist durch das Deponieren meiner Niederschrift über das Geschehene wohl gewährleistet. Nicht umsonst habe ich das meine früheren Kollegen wissen lassen. Natürlich kann es aber einen gewissen Sturm der Entrüstung in den Medien geben, aber noch nicht einmal das ist sicher.«
»Na, und selbst wenn, damit können wir umgehen.« Nun hatte Peter Nehmer einen Geistesblitz. »Wenn wir diesen Plan in Berlin durchboxen wollen, brauchen wir einen fähigen Mann vor Ort. Wie wäre es, Konrad, wenn du unsere Berliner Dependance leitest und vor Ort den Kontakt zu den entscheidenden Personen auf dem politischen Parkett intensivierst? Wir brauchen eine erstklassige Lobbyarbeit, und du hast das richtige Temperament und den Grips dafür.«
Niels Werner konnte es sich nicht verkneifen: »Oh ja, und er hat auch noch andere Talente, die sehr nützlich sein könnten.« »Hör nicht auf ihn, Peter, er ist nur neidisch. Also gut, deine Idee gefällt mir. Für diesen Fonds müssen wir in der Tat eine starke Präsenz in Berlin aufbauen und eventuell sogar einen Teil unseres Asset Managements dorthin verlagern.« Er ignorierte, dass Niels Werner seine Augen verdrehte. »Ich bin dabei, mein Lieber, sehr gern sogar.«
»Sehr schön, zusammen mit Horst Kaiser sind wir ein unschlagbares Team. Wegen der Details wird sich der Bernhardt mit euch in Verbindung setzen, er …«
Seine weitere Rede wurde rüde von Agathe unterbrochen, die die Herren zu Tisch bat.
ANGRIFFSPLANUNG
Der Flug vom Washingtoner Ronald Reagan zum New Yorker La Guardia Airport war eine einzige Schüttelei. Die Ausläufer eines massiven Sturmtiefs in den Carolinas warfen das Flugzeug hin und her. Mehr als einmal erwartete er das Abbrechen eines Flügels, aber die betagte Boeing versah tapfer ihren Dienst. Offenbar war auch den anderen Fluggästen mulmig, denn im Flugzeug war es verdächtig ruhig. Lediglich die Stewardess sah auf ihrem Sitz, auf dem auch sie sich zur Sicherheit angeschnallt hatte, ziemlich unbeeindruckt aus. Ihm jedenfalls reichte es und er war heilfroh, als die Landung relativ problemlos klappte. Hastig verließ Max Snyder, sobald es ging, den Flieger und atmete tief durch.
Am Ausgang des Flughafengebäudes erspähte er Ilans Fahrer, der ihm seinen Aktenkoffer abnahm und ihn zu der etwas entfernt parkenden Limousine lotste. Dankbar ließ er sich auf den Rücksitz fallen und versuchte, sich zu entspannen. Er schloss die Augen und praktizierte ein wenig autogenes Training. Der Chauffeur ließ ihn gewähren, er wusste von früheren Gelegenheiten, welch unangenehmer Zeitgenosse sein heutiger Fahrgast sein konnte.
Die Fahrt zum Rockefeller Plaza war erfreulich kurz, von dem sonst üblichen Gedrängel auf den Straßen war diesmal nichts zu sehen. Max Snyder stieg aus und hastete in das Rockefeller Center zu dem für Silberstein reservierten Aufzug. Durch seine Chipkarte aktiviert, öffneten sich dessen Türen und nach seinem Eintreten setzte sich der Aufzug zum vorprogrammierten Stockwerk in Bewegung. Dort angekommen, führte ihn ein wartender Mitarbeiter zum Büro der Investmentlegende Ilan Silberstein, der sich bei seinem Eintritt sofort erhob.
»Hallo Max, schön, dich zu sehen. Setz dich.«
Wie immer war Ilan Silberstein makellos gekleidet, seine gepflegte Erscheinung und sein schlohweißes, volles Haar verliehen ihm eine unnachahmliche Grandezza. Hinzu kamen, wie Snyder wusste, perfekte Manieren und eine sehr kultivierte Sprache. Das waren alles Dinge, die niemand von ihm behaupten würde. Er war eher der hemdsärmelige Typ, der keinerlei Empathie ausstrahlte. Aber wie er wusste, war auch bei Ilan nicht alles Gold, was glänzte.
»Hallo Sir, leider habe ich nicht so tolle Nachrichten.«
Ilan Silberstein stellte eine geöffnete Flasche Wasser und zwei der in den USA unvermeidbaren Pappbecher auf den Besuchertisch und nahm gegenüber von Snyder Platz. »Schieß los.«
»Also, die Nummer mit dem Pair kennst du ja.«
»Ja, der ist uns hier in meiner Stadt entwischt, also eigentlich ist er euch entwischt. Auf jeden Fall hat er uns ganz schön blamiert.«
Als Silberstein Snyders griesgrämigen Gesichtsausdruck bemerkte, fügte er hastig hinzu: »Solche Dinge passieren, deswegen solltest du keine Magengeschwüre bekommen. Mir ist nur nicht klar, warum Liam den Studenten umbringen musste.«
»Das weiß ich auch nicht, das war völlig überflüssig. Auf jeden Fall ist dieser Pair in Deutschland wieder aufgetaucht.«
»Dann ist ja alles gut, wir schnappen ihn uns eben dort.«
»Eben nicht. Mich hat dieser Kaminski vom BND angerufen. Pair hat sich bei ihm gemeldet, deswegen wissen wir ja auch, dass er in Deutschland ist. Der Typ hat dem Kaminski eiskalt erklärt, dass er an drei Stellen, die er nicht näher bezeichnete, Aufzeichnungen, Dokumente und was weiß ich noch alles deponiert hat. Diese Papiere würden detailliert unsere Aktivitäten belegen und im Falle seines plötzlichen Todes veröffentlicht. Er will wieder ein normales Leben führen und nichts mehr von Geheimorganisationen wissen.«
Silberstein lehnte sich in seinem Sessel zurück und sah Snyder prüfend an.
»Dann lassen wir ihn doch in Ruhe. Von sich aus wird er sicher nicht reden, dann würde ja auch seine eher unrühmliche Rolle in dieser Angelegenheit näher beleuchtet. Daran kann nun wiederum ihm nicht gelegen sein«, und nach einem weiteren prüfenden Blick, »aber daran scheinst du kein Interesse zu haben. Ist da noch mehr?«
»Ja, du bist auf dem richtigen Dampfer, Kaminski hat noch einmal angerufen.«
»Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Worum ging es diesmal?«
»Er hat von einem Informanten in der bayerischen Partei gehört, dass die Wertebank in Berlin mit einem großen Projekt vorstellig werden will. Ziel ist es, angesichts der praktisch nicht vorhandenen Zinsen die deutsche Regierung dazu zu bringen, am Kapitalmarkt reichlich Geld aufzunehmen und so eine Art Bürgerfonds zu gründen. Die Rede ist von 500 Milliarden in einem ersten Schritt. Dieses Geld soll dann höher rentierlich in den Aktienmarkt investiert werden. Natürlich will die Wertebank dann zunächst die Kapitalaufnahme über Anleihen und danach die Aktieninvestments dieses Fonds managen.«
Es dauerte eine Weile, bevor Silberstein das Wort ergriff, und diesmal war seine Stimme verdrießlich.
»Das darf auf keinen Fall passieren. Wenn die Deutschen damit Erfolg haben, machen die anderen Staaten in Europa das nach. Das bedeutet einen riesigen Kapitalstrom von unseren Börsen weg in die europäischen Finanzmärkte. Das könnte dazu führen, dass unsere bisherige dominierende Rolle auf den weltweiten Kapitalmärkten zumindest abgeschwächt wird, wenn nicht gar der Vergangenheit angehört. Stell dir das mal vor. Die fegen mit ihrer Kreditaufnahme unseren Anleihemarkt leer und blasen mit diesem Geld gleichzeitig ihre Aktienmärkte auf. Wir können dann dem Rest der Welt nicht mehr vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben. Wir können sie dann nicht mehr mit dem Zugang zu unseren Kapitalmärkten erpressen. Diese bisher erfolgreiche Strategie, entweder ihr macht, was wir wollen oder wir schneiden euch von unseren Börsen ab, können wir uns dann abschminken. Unser politischer Einfluss wäre dahin, denn ausländische Unternehmen würden sich einen Dreck um unsere jeweils erlassenen Handelssanktionen gegenüber anderen Staaten kümmern. Wir könnten nur noch zusehen, wie unsere Politik ins Leere läuft. Längerfristig wäre sogar die Position unseres Dollars als führende Weltwährung in Gefahr. Eine absolute Katastrophe wäre das.«
Jeden seiner Sätze unterstrich er dabei mit einem Schlag seiner flachen Hand auf den Tisch.
»Jetzt, mein lieber Ilan, kennst du den wahren Grund für meine schlechte Laune. Wir müssen das verhindern, ich weiß nur noch nicht, wie.«
Wieder sah Ilan Silberstein lange nachdenklich an die Decke, dann schaute er plötzlich Max Snyder an. »Hast du Hunger?«
»Mann, wie kannst du jetzt ans Essen denken?«
»Na, ich habe jedenfalls Hunger, und wenn ich Hunger habe, kann ich nicht denken. Ich lass uns mal ein paar Sandwiches machen. Außerdem muss ich etwas abklären. Und du, entspann dich in der Zwischenzeit, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«
Mit diesen Worten verließ er das Besprechungszimmer und ließ einen leicht konsternierten Snyder zurück. Bevor der sich jedoch über das merkwürdige Verhalten Silbersteins wundern konnte, vibrierte sein Handy.
»Ja?«
»Ich habe den Kaminski in der Leitung.«
Die Stimme von Linda Herzog war wie immer unaufgeregt.
»Stellen Sie durch.«
Kurz darauf signalisierte das veränderte Geräusch im Handy den neuen Gesprächspartner.
»Snyder.«
»Hier ist noch einmal Ihr Asset aus Deutschland.«
»Schon gut, Kaminski, was gibt es?«
»Die Wertebank wird ihre Präsenz in Berlin ausbauen. Zum Leiter der dortigen Filiale wurde ein früherer, hochrangiger Mitarbeiter ernannt. Dreimal dürfen Sie raten, wer das ist.«
»Konrad Pair.«
Die Stimme von Snyder hatte wieder diesen unangenehmen schrillen Tonfall.
»Genau der.«
»Danke, Herr Kaminski, Sie haben etwas gut bei mir.«
Kaum hatte er sein Gespräch beendet, als sein kongenialer Partner zurückkam. Kurz informierte er ihn über das soeben Gehörte. Seelenruhig nahm Silberstein eines der in diesem Moment gebrachten Sandwiches, biss genüsslich hinein und schaute sinnierend an die Decke. Schließlich sagte er: »Das passt ins Bild, nicht wahr? Aber es ist ein Fehler von denen, eigentlich ein großer Fehler. Wir haben dadurch einen weiteren Angriffspunkt. Es dürfte ziemlich leicht fallen, diesen Pair und damit auch die Wertebank zu diskreditieren. Wir müssen nur in Berlin die Tatsache betonen, dass nun ein verurteilter Mörder die Repräsentanz der Wertebank in Berlin darstellt.«
Max Snyder nickte beifällig. »Wer soll die deutschen Politiker und die Öffentlichkeit darauf stoßen? Unser Botschafter?«
»Nein, der ist schon zu oft in diplomatische Fettnäpfchen getappt. Dem hört keiner mehr zu. Das gilt leider auch für unseren Präsidenten. Auch den können wir hier nicht einsetzen, von wegen direkter Draht zum deutschen Kanzler. Ich denke, wir sollten dafür den Wirtschaftsattaché benutzen. Der hat doch gute Beziehungen ins Finanzministerium, insbesondere zu diesem Staatssekretär, diesem …«
»Du meinst diesen Kerl, der früher selber mal hier in Wall Street gearbeitet hat, diesen Herrn, wie war doch gleich der Name, Keller, Koller, nein, Krämer, Dieter Krämer.«
»Genau den meine ich, dein Namensgedächtnis ist besser als meines.«
»Vorhin hast du von einem weiteren Angriffspunkt gesprochen?«
»Ja, Max, wie gesichert ist mittlerweile das Scheitern der Bankenallianz?«
»Ziemlich gesichert. Sowohl die Allamo Trust als auch die chinesischen Freunde haben der Wertebank ihren Rückzug aus dieser globalen Allianz mitgeteilt.«
»Mitgeteilt. Wie haben sie das gemacht? Verbal oder auch schriftlich?«
»Soweit ich weiß, erst einmal nur verbal. Warum ist das so wichtig?«
»Das will ich dir sagen. Wenn ein börsennotiertes Unternehmen Kenntnis von einem kursbeeinflussenden Ereignis erhält, ist es gesetzlich verpflichtet, dies in einer sogenannten Ad-hoc-Mitteilung allen anderen Börsenteilnehmern zukommen zu lassen. Der Sinn dieser Regelung ist, dass alle Marktteilnehmer bei Kauf oder Verkauf von Aktien den gleichen Wissensstand haben sollen. Niemand darf im Besitz von privilegierenden Informationen sein.«
»Lass mich raten, die Wertebank hat noch keine derartige Mitteilung veröffentlicht.«
»So ist es. Der legale Grund dafür kann nur das Fehlen eines offiziellen schriftlichen Dokumentes sein. Lediglich auf Grund von verbalen Informationen gibt kein Unternehmen eine Adhoc-Mitteilung heraus. Du weißt ja selbst, wieviel Unsinn in unserer Branche jeden Tag geredet wird, wenn man da jedes Mal …«
Silberstein ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen und nahm die Betrachtung der Decke seines Büros wieder auf. Max Snyder ließ ihn zunächst gewähren, er kannte ja dessen Marotten mittlerweile. Aber nach einer Weile wurde er dann doch ungeduldig.
»Das bedeutet, wir schwärzen die Wertebank auch damit an?« Silberstein sah ihn mitleidig an. »Nein, wir machen das viel schlauer. Das entscheidende Asset der Wertebank ist ihr Aktienkurs, und wir, mein Freund, spekulieren auf fallende Kurse.«
»Und wie soll das gehen?«
»Max, hast du denn gar nichts von mir gelernt? Wir machen Shorts auf und lassen das die Börse wissen. Genauer gesagt, wir lassen Shorts aufmachen. Mit anderen Worten, wir sorgen für Leerverkäufe in Wertebank-Aktien. Das heißt, jemand verkauft deren Aktien auf Termin, sagen wir auf drei Monate, obwohl er die noch gar nicht besitzt. Er muss also erst die Aktien in drei Monaten liefern. Fällt bis dahin der Kurs, kann er die Papiere günstiger an der Börse kaufen.«
»Und das funktioniert?«
»Natürlich, das ist doch auch nichts anderes, als wenn du heute zehn Liter Wein verkaufst, gleichzeitig aber auch das Recht erwirbst, dem Kunden den Wein erst in drei Monaten zu liefern. Sinkt der Weinpreis, kannst du die zehn Liter billiger einkaufen und den Wein liefern. Die Differenz zwischen deinem Verkaufspreis plus die Gebühr für das spätere Liefern und dem von dir dann tatsächlich zu zahlenden Preis für den Wein ist dein Gewinn.« »Und wenn der Preis steigt?«
»Dann bist du gekniffen und machst einen fetten Verlust. Also müssen wir für fallende Kurse sorgen. Das passiert einmal durch die Leerverkäufe an sich. Wenn diese ein Volumen von einem halben Prozent des Grundkapitals, in diesem Fall der Wertebank, ausmachen, greift die Meldepflicht. Das bedeutet, die Position wird öffentlich gemacht. Wenn wir nun mehrere Asset Manager dazu bringen, derartige Leerverkäufe zu tätigen, diese dann ihre Positionierung offenlegen müssen, wird die sehr hellhörige Börse Probleme bei der Wertebank wittern und sich entsprechend verhalten. Sie werden also keine Wertebankaktien mehr kaufen, vermutlich ihre Bestände sogar verkaufen. Das allein bringt den Kurs schon nach unten. Und dann kommt von uns zusätzlich der Hinweis auf das Scheitern der Bankenallianz und die fehlende Ad-hoc-Mitteilung. Dann bleibt der Bank nichts anderes übrig, als unsere Meldung zu bestätigen. Das dürfte dem Kurs den Rest geben.«
»Du bist ganz schön raffiniert, Ilan. Das wird die Wertebank ordentlich ins Schwitzen bringen.«
»Natürlich. Je niedriger der Aktienkurs, desto niedriger der an der Börse gehandelte Unternehmenswert, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme durch Andere. Lass mich mal mit Steve Burner vom Pensionsfonds Relax reden, vertraulich natürlich. Und du sorgst dafür, dass die schriftliche Allianzabsage noch einige Wochen auf sich warten lässt. Wir brauchen ein wenig Zeit.«
Als Max Snyder den Rückflug nach Washington DC antrat, hatte sich seine Laune merklich gebessert.