Kitabı oku: «Einführung in die Politolinguistik», sayfa 4

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2.4.4 Semantische Kämpfe

Vor allem in den 70er Jahren wurde eine intensive Diskussion über manipulative Tendenzen im politischen Sprachgebrauch geführt. Man kann sie gut anhand einiger Sammelbände nachvollziehen, die in dieser Zeit erschienen sind. Diese Sammelbände sind deshalb auch heute noch interessant, weil sich hier in prototypischer Manier „Rechte“ und „Linke“ gegenseitig Manipulationen vorwerfen. Hier können nicht alle Aufsätze aus diesen Werken ausführlich vorgestellt werden. Stattdessen sollen einige Passagen herausgegriffen werden, um zu verdeutlichen, dass es wiederkehrende Muster gibt, die sich durch solche Sprachauseinandersetzungen ziehen.

Zunächst zu erwähnen ist ein von Kaltenbrunner (1975) herausgegebener Sammelband mit dem Titel „Sprache und Herrschaft. Die umfunktionierten Wörter“. Allein daran, dass ein Aufsatz darin mit dem Titel „Rote Semantik“ überschrieben ist, während ein anderer „für einen erneuerten Begriff der Autorität“ wirbt, ist zu erkennen, aus welcher politischen Richtung die Autoren argumentieren.

Im Aufsatz von Helmut Kuhn mit der Überschrift, „Despotie der Wörter“ heißt es gleich zu Anfang:

Worte sind dazu da, Dinge zu bezeichnen. Sie sollen sagen, was ist; und sofern ihnen das gelingt, sagen sie die Wahrheit. (Kuhn 1975: 11)

Hier findet sich bereits ein typisches Argument, das nicht nur in politischen Diskussionen häufig instrumentalisiert wird. Für Linguisten ist hingegen klar, dass Wörter eben nicht eine feste Bedeutung haben und dass es erst recht keine Einszu-eins-Beziehung zwischen Wörtern und Dingen gibt. Aber genau dies suggeriert das Zitat, nämlich dass Wörter dazu da seien, Informationen zu transportieren und nicht mehr („Sie sollen sagen, was ist.“) Das ist, wie wir inzwischen wissen, auf die Darstellungsfunktion von Wörtern reduziert und kaum mit unserer Sprachrealität, mit der Polyfunktionalität unserer Sprache in Einklang zu bringen. Aber natürlich hat solch eine beschränkte Sprachauffassung einen entscheidenden strategischen Vorteil: Wenn man der Meinung ist, dass die Bedeutung von Wörtern eindeutig festgelegt ist und dass es eine feste Beziehung zwischen Wörtern und Dingen gibt, dann gibt man meist im gleichen Atemzug vor, die Bedeutung der Wörter auch zu kennen. Und abweichender Sprachgebrauch wird dann meist zum „falschen“ Sprachgebrauch, den man seinem (politischen) Gegner sehr gerne vorwirft. Implizit drückt dieses Zitat auch aus, dass Wörter lügen können – das ergibt sich daraus, dass sie unter bestimmten Voraussetzungen vermeintlich die Wahrheit sagen. Auch das ist ein beliebter Topos in der politischen Sprachkritik: Wörter lügen. Hier wird – um es linguistisch auszudrücken – eine Ecke des semiotischen Dreiecks vollkommen ausgeblendet, nämlich der Zeichenbenutzer.

Wir finden in diesem Band ein weiteres gern genutztes Argument im Sprachkampf, nämlich das etymologische: Man stellt fest, dass ein Begriff eine lange Tradition hat, meist kommt er aus dem Griechischen oder Lateinischen, und dann legt man die „ursprüngliche“ Bedeutung dieses Begriffes als die „eigentliche“, die „richtige“ Bedeutung fest. Ein Beispiel ist das Wort Emanzipation, das seinerzeit überaus umstritten war und auf konservative Zeitgenossen geradezu wie ein rotes Tuch wirkte:

Emanzipation. Vielen klingt das Wort „Emanzipation“ wie ein Fanal; wie ein Fanfarenstoß zur Befreiung von jedem Zwang. Andere sehen eine lange Entwicklung und einen steilen Weg zur Gleichheit vor sich. Sie sprechen von „emanzipatorischem Prozeß“ und meinen im Ringen um den sozialen Fortschritt mit der „Emanzipation“ eine dialektische Vielzweckwaffe in Händen zu halten. Am Anfang stand, nach dem römischen Recht, die Entlassung eines Familienmitgliedes aus dem manicipium, der väterlichen Gewalt. Die Bedeutung: „Befreiung aus der Abhängigkeit“ blieb auch in den folgenden Jahrhunderten gültig […]. Bei dem häufig ungenauen Begriff der Emanzipation wird in der politischen Diskussion vielfach übersehen, daß Karl Marx zwischen einer politischen Emanzipation und einer menschlichen Emanzipation unterschied. Die politische Emanzipation blieb auf bürgerliche Revolutionen zur Herstellung demokratischer Verhältnisse beschränkt. Die menschliche Emanzipation soll dagegen die arbeitenden Klassen von allen Zwängen befreien. […] Beim heutigen, meist willkürlichen Gebrauch der Worte „gesellschaftliche Emanzipation“ und „emanzipatorischer Prozeß“ wird die abgegrenzte Definition von Marx ebenso großzügig verwischt wie zahlreiche andere Begriffe. Die bequeme Diskussion mit Schlagworten verbietet deren historische und sprachliche Anatomie, weil sonst die Streuwirkung eines Begriffes eingeengt und die Faszination, die von ihm ausgehen kann, immer wieder geschmälert würde. (Roegele 1976: 71 ff.)

Eine linguistische Beurteilung dieser Argumentation müsste darauf abheben, dass hier der Sprachgebrauch einer ganz bestimmten Zeit absolut gesetzt und für unveränderbar erklärt wird. Diese Art der pseudolinguistischen Argumentation findet sich recht häufig, wenn jemand seinen eigenen Standpunkt durchsetzen möchte. Er kramt dann sozusagen in seiner klassischen Bildung, findet eine „ursprüngliche“ Bedeutung des Wortes und erklärt alle anderen Bedeutungen schlichtweg für falsch (vgl. dazu unten Kap. 3.1.6.). Als Linguist kann man dazu sagen: Solche Erklärungen zeichnen sich zunächst durch ihre Normativität aus. Mit Ludwig Wittgenstein könnte man dagegenhalten, dass die Bedeutung eines Wortes aber sein Gebrauch in der Sprache ist. Dieser Gebrauch ändert sich offensichtlich, so auch die Bedeutung von Wörtern. Oder kürzer gefasst: Derartige etymologische Erklärungen verkennen bzw. blenden aus, dass es Sprachwandel gibt, immer gegeben hat und dass eben dieser Sprachwandel ein notwendiger Bestandteil gesprochener Sprachen ist. Wenn man heutzutage also das Wort Alternative anders verwendet als es die humanistisch Gebildeten gelernt haben, dann hat sich die Bedeutung dieses Wortes geändert. Deshalb erscheint die Formulierung Es gibt noch eine andere Alternative zahlreichen Sprechern als unproblematisch, auch wenn Alternative „ursprünglich“ ‚die andere von zwei Möglichkeiten‘ bedeutete. Entsprechendes gilt für das Wort renovieren (lat. erneuern), das manche Sprecher mit dem Wort neu kombinieren, obwohl der Bedeutungsbestandteil ‚neu‘ bereits in ihm enthalten ist. Auch hier ist ein Sprach- bzw. Bedeutungswandel zu beobachten.

Auch Hans Maier (1975) beschäftigt sich in seinem Aufsatz „Können Begriffe die Gesellschaft verändern?“ u. a. mit dem Begriff Emanzipation:

Es [das Wort Emanzipation, Th.N.] hat, lange Zeit ein fast historisch gewordener Begriff, in den letzten Jahren eine Aktualisierung und Verbreitung gewonnen, die ganz ungewöhnlich ist. […] Worauf zielt dieser Anspruch? Es scheint mir wichtig festzuhalten, daß er nicht oder doch nicht in erster Linie Freisetzung (einer Person, einer Gruppe) zu etwas meint, sondern ausschließlich den Vorgang des Sich-Befreiens (von Institutionen, Verhaltensweisen, sozialen Zwängen) umschreibt. Dies mit einem pathetischen Akzent, als läge Freiheit wesentlich im Sich-Befreien. Der Freiheitsbegriff wird also negatorisch verengt. […] Damit aber erhält der Begriff einen anderen historisch-politischen Richtungssinn als in seiner Ursprungszeit. (Maier 1975: 62 f.)

Deutlich wird, dass Maier nicht so naiv vorgeht, wie dies teilweise bei politischen Diskussionen zu erleben ist. Er meint vielmehr eine Strategie in der Verwendung solch „alter“ Begriffe zu erkennen:

Ich wähle dazu Begriffe, die – liberaler Tradition entstammend – im Zusammenhang der neuen politischen Sprache einen veränderten Sinn erhalten haben, jedoch im Bewußtsein vieler, die sie verwenden, noch in der alten Wortbedeutung gegenwärtig sind – was sie zu geeigneten Objekten einer politisch-semantischen „Doppelstrategie“ macht. (Meier 1975: 62)

Dies scheint eine realistische Umschreibung zu sein, wenn man bei der Verwendung politischer Vokabeln eine Strategie vermuten möchte.

Ein weiterer wichtiger Aufsatz aus diesem Sammelband stammt von Hermann Lübbe und trägt den Titel „Der Streit um Worte“. Hier wird in selten klarer Weise (Lübbe war lange Zeit Professor für Philosophie in Bochum und Zürich) dargetan, dass das Wehgeschrei über die politische Sprache nichts mit der Realität zu tun habe. Man dürfe politischen Sprachgebrauch nicht mit wissenschaftlichem Sprachgebrauch gleichsetzen. Nur in der Wissenschaft (und das sei ein Sonderfall) gehe es primär um Informationen und nicht um weitere Zwecke. In der Politik gehe es aber um anzustrebende Veränderungen, und deshalb hätten für die Sprache in der Politik auch andere Maßstäbe zu gelten, z. B. solche wie in der antiken Rhetorik. Deshalb sei es geradezu erforderlich, dass man sich in der politischen Auseinandersetzung auch um Worte streite:

Politik ist nicht zuletzt die Kunst, im Medium der Öffentlichkeit Zustimmungsbereitschaften zu erzeugen. Dabei muß man sich der Worte bedienen, die den Angesprochenen vertrauterweise verbal repräsentieren, was ihnen teuer ist. Diese Worte nicht zu verwenden, weil sie, in anderem politischen Richtungssinn, auch schon der Gegner verwendet, hieße den verwirrenden Anschein erzeugen, man habe diesem Gegner einen Alleinvertretungsanspruch bezüglich der hohen Zwecke eingeräumt, die in jenen Worte Parole sind. […] So gehorcht es also zwingender politischer Logik, dass man sich, auf weltpolitischer Bühne, wechselseitig die Legitimität des Anspruchs auf den Gebrauch zentraler politischer Vokabeln streitig macht. (Lübbe 1975: 107 f.)

Es zeigt sich mithin, dass die Diskussion um das „Begriffe besetzen“ (vgl. dazu Kap. 3.1.6) ein Streit um Wörter ist. Man konstatiert, dass der jeweilige politische Gegner die falschen Wörter benutzt oder aber die richtigen Wörter in der falschen Bedeutung und auf diese Weise die Öffentlichkeit hinters Licht führt. Man selbst ist ausschließlich der Wahrheit verpflichtet und bringt deshalb geeignetere Vokabeln ins Gespräch, um der Wahrheit wieder zu ihrem Recht zu verhelfen. Dieses Argumentationsmuster ist auch heute noch allerorten zu finden, und wir werden ausführlich auf weitere Beispiele zu sprechen kommen.

Das Gegenstück zu dem hier anhand von einigen Zitaten vorgestellten Sammelband stammt aus dem Jahre 1976 und wurde von Iring Fetscher und Horst-Eberhard Richter herausgegeben. Sein Titel lautet „Worte machen keine Politik. Beiträge zu einem Kampf um politische Begriffe.“ Hier finden sich einerseits direkte Antworten auf die Beiträge des Kaltenbrunner-Bandes (z. B. Hubert Ivo zu Hans Maier), es finden sich Analysen zum Semantik-Programm der CDU (Eduard Heußen: Sprache als Kampfmittel, S. 47 ff.), und es findet sich Kritik an der Kritik „linker Sprache“ (Iring Fetscher: Was ist schlecht an der „Leistungsgesellschaft“?, S. 60 ff.). Weiterhin gibt es Studien zu einzelnen Begriffen (z. B. Ulrich Wickert über Freiheit). Die Beiträge können hier nicht im Einzelnen vorgestellt werden, sind aber die Lektüre auch heute noch wert.

Schließlich erwähnenswert ist ein von Martin von Greiffenhagen herausgegebener Band. Man könnte den Inhalt dieses Bandes damit umschreiben, dass hier ein Platz für den Kampf um Wörter geschaffen wurde. Denn zu fast jedem der behandelten Stichwörter finden sich zwei oder drei Autoren aus entgegengesetzten politischen Lagern. Das Stichwort Staatsbürokratie wird gar in drei offiziellen „Stellungnahmen“, nämlich der CDU, SPD und FDP abgehandelt. Dies ist die Konsequenz, die der Herausgeber Greiffenhagen, Politologe und seinerzeit Direktor des Instituts für Politische Wissenschaft der Universität Stuttgart, aus einer Erkenntnis zieht, die er folgendermaßen umschreibt:

Viele politische Wörter gelten in allen denkbaren politischen Systemen und meinen doch ganz verschiedenes. Aber auch innerhalb eines Staates gilt ein politischer Begriff verschiedenen politischen Gruppierungen verschiedenes. […] Der Kampf um Wörter erweist sich als Kampf um politische Vorstellungen und Strategien. Was das „richtige“ Verständnis von Demokratie ist, darum wird unter Kommunisten und Liberalen, Technokraten und Befürwortern einer Räteverfassung gestritten. In diesem Streit trägt der etymologische Hinweis darauf, daß Demokratie Volksherrschaft bedeutet, nichts aus. (Greiffenhagen 1980: 31 f.)

Das ist der uns jetzt schon geläufige Hinweis darauf, dass eine etymologische Argumentation innerhalb einer konkreten Auseinandersetzung um das aktuelle Verständnis eines Wortes oft nur wenig hilfreich ist. Die Konsequenz, die Greiffenhagen daraus zieht, ist eine ähnliche wie sie auch Lübbe vertritt:

Man soll deshalb nicht versuchen, den Politiker sprachlich an die Leine zu legen. Dieser Punkt ist besonders für den Umgang mit diesem Bande wichtig. Sein Ziel ist nicht, den Politiker zu einem strikten Gebrauch politischer Begriffe anzuhalten, sondern den Bürger über die Unbestimmtheit politischer Begriffe, dazu über die jeweils vorliegende Art dieser Unbestimmtheit in Kenntnis zu setzen. (Ebd.: 32)

Dies kann natürlich am besten geschehen, indem man sich mit den verschiedenen politischen Positionen und ihren unterschiedlichen Begriffsverwendungen auseinandersetzt – oder mit den Worten Greiffenhagens:

Ohne Achtung des politischen Gegners gibt es keine Demokratie. Zur Achtung aber gehört die Kenntnis der gegnerischen Position, ihrer Voraussetzungen und Bedingungen. Diese Kenntnis will das Buch verbessern helfen. (Ebd.: 37)

Wir finden deshalb in diesem Band Wörter wie Chancengleichheit, Demokratisierung, demokratischer Sozialismus, Emanzipation oder Leistung, Radikalismus/Extremismus und Sozialstaat aus verschiedenen Positionen beleuchtet. Die Verfasser machen ihre Position deutlich und akzentuieren ihr Verständnis des jeweiligen Begriffs. Erst bei der synoptischen Analyse werden dann die Unterschiede deutlich. Im Kapitel zur Familienpolitik lesen wir beispielsweise eine programmatische Aussage der CDU. Sie stammt aus dem Grundsatzprogramm der CDU aus dem Jahre 1978:

Unsere Familienpolitik geht von der Ehe als einer Gemeinschaft aus, die auf Lebenszeit und Partnerschaft angelegt ist. […] Jedes Kind hat ein Recht auf seine Familie, auf persönliche Zuwendung, Begleitung und Liebe der Eltern […]. Diese Zuwendung kann den Kindern meist nur dadurch gegeben werden, daß die Mutter in den ersten Lebensjahren ihres Kindes auf die Ausübung eines Erwerbsberufes verzichtet. (Ebd.: 187)

Die thematisch entsprechenden Passagen bei der FDP lauten nun:

Als Familie gelten dabei einer oder mehrere Sorgeberechtigte mit einem oder mehreren Kindern. […] Früher galt es als höchste Bestimmung der Frau zu heiraten und Kinder zu haben […]. In der heutigen Gesellschaft finden sich diese Vorstellungen weitgehend nicht mehr wieder. Die gleichberechtigte Integration der Frau und Mutter in die Berufswelt ist ein wesentliches Ziel gesellschaftspolitischer Bemühungen; […] schließlich wird die Vorbestimmung der Frau für die Versorgung von Haushalt und Kindern immer weniger akzeptiert. (Ebd.: 192 ff.)

Und in der Stellungnahme der SPD heißt es ebenfalls recht deutlich:

Sozialdemokraten wollen der Familie keine festen Leitbilder vorgeben. Sozialdemokratische Familienpolitik ist offen für neue Formen partnerschaftlicher Lebensgestaltung. Ein besonderes Anliegen ist es, alleinerziehende Mütter und Väter mit Kindern vor Benachteiligung zu schützen und ihnen bei ihren besonderen Problemen zu helfen. […] Sozialdemokraten bejahen den Anspruch der Frau und des Mannes auf Selbstverwirklichung in der Familie und im Berufsleben. Auch die Frau hat das Recht auf bestmögliche Ausbildung und auf Erwerbstätigkeit. […] Eine vordringliche Aufgabe besteht darin, durch geeignete gesellschaftliche Hilfen Kindererziehung und Beruf vereinbar zu machen. (Ebd.: 203 f.)

Anhand der zentralen Vokabeln und Aussagen, die in diesen Texten verwendet werden, lässt sich die unterschiedliche Akzentuierung, die die Parteien der Familienpolitik zu geben versuchen, sichtbar machen:


CDU FDP SPD
Ehe als Gemeinschaft ein oder mehrere Sorgeberechtigte(r) neue Formen partnerschaftlicher Lebensgestaltung
auf Lebenszeit und Partnerschaft angelegt gleichberechtigte Integration (von Frauen u. Müttern) in die Berufswelt alleinerziehende Mütter und Väter mit Kindern vor Benachteiligung schützen
Recht des Kindes auf Zuwendung, Begleitung, Liebe der Eltern durch geeignete gesellschaftliche Hilfen Kindererziehung und Beruf vereinbar machen
Verzicht (der Mutter) auf Ausübung eines Erwerbsberufs Vorbestimmung der Frau für Versorgung und Haushalt immer weniger akzeptiert Anspruch der Frau und des Mannes auf Selbstverwirklichung in der Familie und im Berufsleben

Tab. 1: Unterschiedliche Akzentuierungen des Familien-Begriffs

Dieses Beispiel mag ausreichen, um das Prinzip des Bandes zu verdeutlichen. Er stellt mithin nicht einfach einen weiteren Beitrag in der Disziplin des Begriffe-Besetzens dar, sondern kann eher als die Zur-Verfügung-Stellung eines Kampfplatzes im Dienste der politischen Aufklärung angesehen werden.

Die hier nur kurz skizzierten politisch motivierten Auseinandersetzungen fanden ihren Niederschlag auch in der Politolinguistik. Das vom damaligen Generalsekretär der CDU, Kurt Biedenkopf, als Begriffsbesetzung bezeichnete Verfahren wurde von Linguisten aufgegriffen und linguistisch präzisiert. Dies geschah zunächst in zwei Sammelbänden (Klein 1989a und Liedtke/Wengeler/Böke 1991), in denen einerseits die strategische Komponente politischen Sprachgebrauchs herausgearbeitet wurde, andererseits das Konzept des Begriffe-Besetzens linguistisch handhabbar gemacht wurde.18 Ohne Übertreibung kann man sagen, dass in diesen beiden Bänden politolinguistische Grundlagenarbeit geleistet wurde, die bis heute Geltung beanspruchen kann. Dies dürfte auch daran liegen, „dass der Streit um Worte […] eine genuin demokratische Angelegenheit ist“ (Wengeler 2005: 191). Denn – so fährt Wengeler in seiner kurzen Geschichte des Begriffe-Besetzens (ebd.) fort – „nur wo heterogener Sprachgebrauch zwischen konkurrierenden politischen Gruppen erkennbar ist, gibt es eine Auseinandersetzung um und keine diktatorische Festsetzung von Wirklichkeitssichten, Deutungsmustern und ‚Wahrheiten‘“. Insofern dürfen wir – so kann man aus Sicht der Politolinguistik vielleicht formulieren – durchaus beruhigt sein, wenn in politischen Auseinandersetzungen weiterhin Begriffsbesetzungsversuche unternommen werden, der sogenannte Kampf um Wörter also unvermindert weitergeht.

2.4.5 Neuere Entwicklungen: Multimodale Analysen und (Online-)Diskurse

Da die Vermittlung und Inszenierung von Politik v.a. durch die Massenmedien erfolgt, hat sich die Politolinguistik zunehmend auch mit den audiovisuellen Medien und den sogenannten Neuen Medien beschäftigt.

Insbesondere die Berücksichtigung von Bildmaterial – etwa bei der Analyse von Parlamentsdebatten, Nachrichtensendungen oder Talkshows – machte zunehmend deutlich, dass eine Beschäftigung allein mit den sprachlichen Anteilen der Kommunikation defizitär ist. Vor diesem Hintergrund entstanden Studien, die sich intensiver mit dem Zusammenspiel von Bildern und Texten befassten. So hat Werner Holly bereits vor mehr als 20 Jahren auf die emotionale Kraft von Wahlwerbespots im Fernsehen hingewiesen. Diese seien aufgrund ihrer „medienspezifischen Möglichkeiten für den Prozeß der Emotionalisierung in der politischen Kommunikation besonders geeignet“ (Holly 1991: 272).

Dementsprechend hat sich die Politolinguistik auch immer wieder mit der Vermittlung von Politik im Fernsehen beschäftigt. Im Fokus der Analysen standen beispielsweise Fernsehdiskussionen (vgl. Holly/Kühn/Püschel 1986), Fernsehduelle (vgl. Bucher 2007, Burkart 1985, Niehr 2007b, Tänzler 2004) wie auch vorher schon die sogenannten Elefantenrunden (Klein 1990). Die immer wieder zu beobachtende Vermischung von Politik und Entertainment wurde teilweise beklagt – mit dem Buchtitel Politainment (Dörner 2001) wurde dafür auch gleich ein griffiges Kürzel erfunden. Gemeint ist damit eine Vermischung von Politik und Unterhaltung (Entertainment), die u. a. die Funktion hat, Politik in unterhaltender Weise zu vermitteln:

Das Politainment ist ein Instrument der Inszenierung und der unterhaltenden Vermittlung von Politik, und es hat als solches seinen Eigenwert. Der nämlich liegt, und hier ist auf den Feel-Good-Faktor zurückzukommen, auch darin, daß die Stimmung in der öffentlichen Diskussion wie in der Bevölkerung verbessert wird. (Dörner 2001: 70)

Eine solche Art der Politikvermittlung weckt die Befürchtung, dass der Primat des Politischen abgelöst werden könnte durch einen Primat der Medien und damit letztlich der Ökonomie:

Alle Einwände gegen die massenmediale Politikvermittlung, von der ‚Boulevardisierung‘ über die ‚Selbstreferentialität‘ bis zur ‚Entsprachlichung‘ kulminieren in der Sorge, die politischen Institutionen würden durch eine Herrschaft des Mediensystems (,Mediokratie‘) entmachtet, die ‚Eigenlogik‘ der Politik durch eine ‚Eigenlogik‘ der Medien kolonialisiert, die ihrerseits im Zuge einer zunehmenden Kommerzialisierung nach ökonomischen Prinzipien umgestaltet würden. (Habscheid/Klemm 2007: 5)

Dörner legt jedoch Wert auf die Feststellung, dass Politainment keineswegs ausschließlich dazu diene – wie man in kulturpessimistischer Attitüde annehmen könnte –, die Massen zu verdummen. Vielmehr diene es auch dazu, Politisches überhaupt auf die Agenda zu setzen und erfahrbar zu machen (vgl. Dörner 2001: 33 f.). Insofern erfülle Politainment eine durchaus legitime Funktion in der demokratisch verfassten Mediengesellschaft:

Natürlich lässt sich mit dem Feel-Good-Faktor auch Illusionspolitik betreiben und von realen Problemen oder Schwächen ablenken. […] es wäre eine grobe Verkürzung der politischen Realität, wenn man Symbolpolitik, Feel-Good-Faktor und „Cheerleading“ immer schon vorab mit negativen Vorzeichen versehen würde. (Dörner 2001: 72)

Aus Sicht der politischen Akteure scheinen die hier beschriebenen Entwicklungen des Politainments sowohl Chancen zu eröffnen wie auch Risiken zu bergen. Einerseits nämlich lassen sich Talkshowauftritte und TV-Diskussionen mit Holly/Kühn/Püschel (1986) als kostenlose Sendezeit für politische Werbung verstehen:

Je besser ein Akteur seine Natürlichkeit, Spontaneität und „Menschlichkeit“ zu inszenieren versteht, um so häufiger wird er im Forum der Talk-Show seine Bildschirmpräsenz sicherstellen, seine Popularität erhöhen und seine Statements unters Volk bringen können. Talkerprobte Politiker wie Gerhard Schröder, Heiner Geißler oder Gregor Gysi beherrschen dieses Instrumentarium bis zur Perfektion und wissen die Shows gezielt für den inner- wie den zwischenparteilichen Meinungskampf einzusetzen. Der gelungene, erfolgreiche Talk-Show-Auftritt von Politikern kann als Musterbeispiel für die symbiotische Struktur des modernen Politainment betrachtet werden. Die einen bekommen Medienpräsenz und somit Machtressourcen, die anderen steigern ihre Einschaltquoten und über die Marktanteile auch ihre Werbeeinnahmen. (Dörner 2001: 134 f.)

In solchen Sendungen wird demnach Politik konsequent personalisiert. Berücksichtigt man, dass eine relativ geringe Zahl prominenter Politiker immer wieder in Talkshows und Diskussionssendungen eingeladen wird,19 so wird offensichtlich, dass es hier weniger um die Vermittlung politischer Prozesse geht. Denn der Zuschauer will „politische Stars sehen […], keine komplizierten (Fach)-Themen“ (Holly/Kühn/Püschel 1986: 32). Für diese Stars bieten die entsprechenden Sendungen ein geeignetes Forum, um sich als menschlich und zugänglich zu präsentieren und dadurch Sympathiegewinne zu erzielen.

Ein deutliches Beispiel dafür lieferte die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, als sie im Mai 2008 in der Sendung Beckmann darüber berichtete, dass sie ihren demenzkranken Vater, Ernst Albrecht, in der Familie pflege:20 „Damit war es möglich, ein positives Image als Privatperson aufzubauen und gleichzeitig beim Publikum eine Legitimation für das Amtshandeln als Familienministerin einzuholen“ (Dörner/Vogt 2011: 204).

Diese Art der Personalisierung von Politik steht durchaus im Gegensatz zu der Tatsache, dass Politik immer komplexer wird und die Entscheidungsmöglichkeiten von Einzelpersonen immer mehr an Bedeutung verlieren (vgl. ebd.: 202). Vor diesem Hintergrund wird die Kritik des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert verständlich, die er im März 2011 gegenüber dem Spiegel äußerte:

Der Bundestagspräsident hat die „anschwellende Flut“ von Politik-Talkshows in der ARD scharf kritisiert. „Sie simulieren nur politische Debatten. In Wahrheit benutzen sie Politik zu Unterhaltungszwecken“, sagte er.

Inzwischen würden mehr Sendeminuten von Talkshows ausgestrahlt als der Parlamentsberichterstattung im Sonderkanal Phoenix eingeräumt werde. „Mich stört die Abstinenz bei authentischer und der Übereifer bei simulierter politischer Auseinandersetzung.“21

Das von Lammert kritisierte Phänomen – auch Talkshowisierung genannt (vgl. Dörner/Vogt 2011: 203) – birgt für die teilnehmenden Politiker jedoch andererseits auch Gefahren. Denn sie müssen stets damit rechnen, dass ihnen die Moderatoren die Bühne nicht allein überlassen. Schließlich kann es durchaus in deren Interesse liegen, sich durch hartnäckiges Nachfragen als kritische Journalisten zu profilieren. Mit diesem Anspruch tritt etwa Frank Plasberg in seiner Sendung hart aber fair an (vgl. Nieland 2011: 211 f.). Er wird auf der Internetseite seiner Sendung wie folgt vorgestellt:

Fragen ohne vorzuführen, nachhaken ohne zu verletzen – Talk auf Augenhöhe – so sieht Frank Plasberg seinen Arbeitsauftrag bei „hart aber fair“: „Jeder wird so lange Auskunft geben müssen, bis die Frage wirklich beantwortet ist“.22

Für die Zuschauer von Plasbergs Sendung klingt diese Ankündigung wie ein Versprechen: Der Moderator wird sich nicht mit Ausflüchten abspeisen lassen, sondern – sozusagen stellvertretend für die Zuschauer und Wähler – so lange nachhaken, bis er eine zufriedenstellende Antwort erhalten hat. Diese Ankündigung kann im Hinblick auf die These von Holly/Kühn/Püschel (1986) so verstanden werden, dass Politiker in Plasbergs Sendung keine kostenlose Werbezeit bekommen, sondern tatsächlich Rede und Antwort stehen müssen. Dementsprechend kann es kaum verwundern, dass die eingeladenen Politiker ein derartiges Sendungsformat durchaus mit gemischten Gefühlen sehen, laufen sie doch Gefahr, die Kommunikationskontrolle zu verlieren und vorgeführt zu werden (vgl. Nieland 2011: 212). Dass Auftritte in derartigen Talkshows nicht nur zum Imagegewinn beitragen, sondern auch den gegenteiligen Effekt bewirken können, musste beispielsweise die FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin am 5. Mai 2010 erfahren, als sie sich bei der Frage danach, um welchen Betrag die Staatsverschuldung während der 75-minütigen Sendezeit gestiegen sei, dramatisch verschätzte. Während die anderen Gäste der Sendung mit ihren Schätzungen zwischen 15 und 25 Mio. Euro immerhin eine halbwegs realistische Größenordnung zugrunde legten (die richtige Antwort wäre 20 Mio. Euro gewesen), gab Koch-Mehrin 6.000 Euro als Schätzung ab. Dass das mediale Echo auf diese Fehleinschätzung desaströs ausfiel und gleichzeitig den negativen Effekt noch verstärkte, liegt in der Logik derartiger Medienangebote.23

Mit dem TV-Duell zwischen Gerhard Schröder und Edmund Stoiber im Wahlkampf des Jahres 2002 hat ein neues Element der Personalisierung Einzug in die bundesrepublikanischen Massenmedien gehalten, das inzwischen nicht mehr aus den Bundestagswahlkämpfen wegzudenken ist. Klein (2009: 1270) geht davon aus, dass TV-Duelle inzwischen „die Wahlrede vom Spitzenplatz der wichtigen W.[ahlkampf]-Genres verdrängt“ habe. So verfolgten das TV-Duell zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder im Jahr 2005 bereits mehr als 20 Millionen Menschen, auch Menschen, die sonst an politischen Informationen kaum interessiert sind (vgl. Maurer 2011: 251).

In den USA haben TV-Duelle dagegen eine längere Tradition, bereits 1960 traten Nixon und Kennedy gegeneinander an. Wer aus solch einem Duell aufgrund welcher Phänomene als Sieger hervorgeht, ist dabei durchaus umstritten. So wird beispielsweise die These kolportiert, dass Richard Nixon das Fernsehduell gegen John F. Kennedy im Jahre 1960 verloren habe, weil er schlecht rasiert war und gegenüber dem blendend aussehenden Kennedy keine gute Figur machte.24 Nicht zuletzt deshalb wird vor solchen Veranstaltungen beispielsweise akribisch zwischen den Duellanten ausgehandelt, ob im Sitzen oder Stehen diskutiert wird, damit die Körpergröße nicht zum Vor- oder Nachteil wird. Ob derartige Äußerlichkeiten jedoch tatsächlich entscheidend sind, kann mit guten Gründen bezweifelt werden. Von großer Bedeutung ist dagegen die mediale Nach-Berichterstattung über derartige Medien-Events, in der meist intensiv über Gewinner und Verlierer und die jeweiligen Gründe für das Gewinnen und Verlieren debattiert wird. Diese Berichterstattung dürfte sich in der Einschätzung der Zuschauer ebenfalls niederschlagen. Bemerkenswert jedoch ist, dass die Medienberichterstattung nach dem TV-Duell von Schröder und Merkel die politischen Inhalte fast gar nicht zum Thema machte, sondern v.a. das Medienformat TV-Duell selbstreferentiell kommentierte (vgl. Niehr 2007b: 193 ff.).

Empirische Untersuchungen zur Wirkung von TV-Duellen betonen dagegen, dass die von den Duellanten vermittelten Inhalte sehr wohl für die Einschätzung der Zuschauer entscheidend seien:

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