Kitabı oku: «Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein», sayfa 2

Yazı tipi:

Du kannst ja nichts dafür!

sagte Ella, und das war die reine Wahrheit. Ego konnte wirklich absolut nichts dafür.

Sie sagte das wieder auf ihre verträumte Art, und diesmal berührte sie Ego auch, aber an seiner Hand und zog ihn zu sich auf das Sofa. Er sollte neben ihr sitzen.

Du hast recht, sagte er. Hat mich denn jemand gefragt, ob ich ein Mann werden will? Oben im Vierten Reif haben mich die Genies nach letzten wissenschaftlichen Erkenntnissen entworfen. Du weißt ja, die Produktion neuer Geschöpfe liegt völlig in ihrer Hand. Wissenschaftlich gesehen, bin ich ok - das setzte er mit einem Anflug von Selbstbewusstsein hinzu. Hier bei uns auf Marsopolis kriecht keiner mehr blutverschmiert aus dem Leib einer Frau wie die Gebürtigen unten auf Gaia. In einer Petrischale angesetzt haben sie mich, die Genies, und den Zellhaufen anschließend sorgfältig gezogen, nicht ein einziger Blutstropfen wurde dabei vergossen. Dann haben sie mich – ich meine diesen winzigen, anfänglich kaum sichtbaren Zellklumpen - in den Brutgenerator gelegt, und daraus ist dann erst einmal der Embryo entstanden, bevor ich am Ende das wurde, was Du jetzt vor Dir siehst, nämlich ein Mann namens Ego.

Ja, ja, sagte Ella, das weiß ich, und ich freue mich, dass es so ist.

Er nickte. Insoweit hatte alles durchaus seine Richtigkeit. Aber gerade, weil Ella so verständnisvoll sprach, weil sie immer noch neben ihm saß, und sein Gehirn auf Hochtouren lief, statt dass er seine Pflicht erfüllte, wurde ihm auf einmal sein ganzes Unglück bewusst. Er war eine Sonderanfertigung und als solche wurde er Tag für Tag erneut mit der Grundfrage konfrontiert: Warum gerade ich? Warum musste ich, Ego, diese Welt als ein Mann betreten?

Im Grunde war Ella schuld an diesem Schwächeanfall. Normalerweise wäre er doch längst in Aktion getreten, während er jetzt immer noch unbeschäftigt neben ihr saß. Aber sie war scheu wie ein Reh, eine Anfängerin, deswegen überkam ihn gerade jetzt wieder die Erinnerung an sein Unglück. Er bedeckte mit der Hand seine Augen, damit die Frau neben ihm seinen Schmerz nicht bemerkte, denn natürlich benahm er sich in diesem Moment auf geradezu beschämende Art unprofessionell.

Damit der Leser dieses Berichts keine voreiligen Schlüsse über die Zustände auf dem Mars daraus zieht, möchte ich zu Egos Gunsten betonen, dass er sich nie zuvor derart gehen ließ.

Warum, rief er mit gepresster Stimme, denn natürlich durfte niemand auf den Gängen oder in den Nachbarräumen seine rebellischen Worte hören, warum gibt es hier all diese hübschen, zierlichen, rundlichen, gefälligen Wesen, Frauen mit makellosen Leibern und hellen Gesichtern, während ich und die wenigen Männer, die sonst noch in der Oberwelt von Marsopolis leben, dazu verurteilt sind, mit diesem verunstalteten Leib zu leben?

Und er erzählte der immer noch still neben ihm sitzenden Frau, wie er fast jede Nacht davon träumte, eine der ihren zu sein. Wie er sich manchmal mit strahlendem Lächeln von seinem Bett erhob, zum Spiegel stürzte, weil ein glücklicher Traum ihm den Wahn eingeflößt hatte, die Nacht hätte ein Wunder an ihm vollbracht. Doch kaum enthüllte das verräterische Glas ihm seine wahre Gestalt, bricht die Welt gleich wieder für ihn zusammen.

Dann stehe ich vor dem Spiegel – Ego flüsterte jetzt mit gepresster Stimme -, und er ist immer noch da: dieser hässliche Schlauch, dieser Regenwurm, diese Liane, die mir wie ein Knüppel zwischen den Beinen hängt, ein durch und durch ungestaltes Gebilde, das mich auf jedem meiner Schritte schlenkernd begleitet. Gar nicht mehr anzusehen ist es, das Unding, wenn es sich in die Höhe richtet und dabei wie eine auf rot geschaltete Ampel Schreck oder Erstaunen um sich verbreitet. Jedenfalls fehlt dem Ding jeder praktische Wert, seit die rohe Natur auf Marsopolis von den Genies gezähmt und zur höchsten Vollkommenheit weiter entwickelt wurde. Wir alle wissen, das Ding ist so nutzlos wie der Blinddarm, die Weisheitszähne oder das Steißbein. Ja, die Gebürtigen auf Gaia waren noch darauf angewiesen, schon richtig; das archaische Instrument diente ihnen zur Befruchtung weiblicher Keimzellen. Aber wir, wir haben dieses Stadium doch längst überwunden!

Während Ego sich ganz in dieses Gejammer verlor, geschah auf einmal das Wunder, Ella küsste ihn ganz zart auf die Wange und, um ihn zu trösten, streichelte sie auch das Ding.

Es ist gar nicht wahr, sagte sie, dass wir Frauen schöner sind als die Männer. Ich jedenfalls finde den kleinen Wurm durchaus interessant. Er steht Dir doch, Du solltest mit Deinem Schicksal zufrieden sein!

Und mit leichtem Erröten fügte sie hinzu:

Auf jeden Fall hat er einmal eine ganz wichtige Funktion besessen. Manche Frauen auf Marsopolis behaupten, dass das Ding ihnen immer noch wichtig sei.

Ego nickte beflissen, glücklich darüber, dass er auf diese verständnisvollen Bemerkungen als halbwegs gebildeter Mensch sehr wohl zu antworten wusste. In seiner Freizeit hatte er nämlich ausgiebig gelesen. Marsopolis besitzt eine große Stadtbibliothek mit vielen Bänden, die noch vom blauen Planeten stammen. Zwar sind Abenteuer- und Liebesgeschichten schwer zu bekommen, da sie von einer Frauenhand in die andere wandern, doch daran war Ego kaum interessiert: In seiner Eigenschaft als öffentlicher Besitz durfte er ja von Liebe nichts wissen. Vorrangig hatte er sich daher mit der sogenannten ernsten Literatur befasst, also mit der Geschichte des Alls, des Menschengeschlechts und überhaupt mit den Wissenschaften. So hatte er sich mit der Zeit eine hübsche kleine Bildung in Sachen Gaia angelesen und war daher sehr froh, dass Ella ihm nun die Gelegenheit gab, etwas von diesem Wissen preiszugeben. Ein solcher Anlass wurde ihm bei seinen üblichen Frauenbesuchen leider so gut wie nie geboten.

Sogleich kam ihm ein kürzlich studiertes Buch aus der Hand eines Genies in den Sinn, auf dessen Umschlag der wunderbare Titel „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” prangte.

Sanft lehnte er sich gegen Ella, die ihre Brust schon entkleidet hatte, und flüsterte ihr ins Ohr.

Das Ding wurde zu Anfang noch gar nicht gebraucht - das haben die neuesten Forschungen ergeben. Denn in der frühesten Zeit hat sich der Mensch noch ohne alle Anstrengung fortgepflanzt. Das kannst Du an seinem anatomischen Aufbau erkennen, wenn Du mich oder auch Deinen eigenen Körper genau betrachtest. Nicht ohne Grund besteht jeder von uns aus zwei symmetrischen Teilen, nämlich einer rechten und einer linken Hälfte. Er hat ein Bein rechts und ein Bein links, er hat ein rechtes sowie ein linkes Auge, und so ist es auch bei Ohr, Arm und vielem anderen mehr. Die ursprüngliche Fortpflanzung fand also, wie wir heute wissen, einfach in der Weise statt, dass sich die beiden Hälften vertikal in der Mitte trennten, wobei dann der jeweils fehlende Teil aus jeder der beiden Hälften allmählich nachwucherte. Das war die sogenannte Fortpflanzung durch Hemitomie, die im Reich der primitivsten Wesen, der Bakterien, bis heute die Methode der Wahl darstellt.

Diese Sätze gingen Ego ganz flüssig über die Lippen. Er erstaunte selbst über seine umfängliche Bildung und geriet geradezu in Verlegenheit, weil Ellas Blicke mit wachsender Ergriffenheit auf ihm ruhten. Um aber vor ihr nicht als trockener Wissenschaftler zu erscheinen, denn er wusste wohl, dass so ein Eindruck der Leidenschaft wenig bekömmlich ist, drückte er ihr schnell einen Kuss auf die Wange und fügte, gleichsam als Entschuldigung, hinzu.

Dieses Fremdwort musst Du Dir aber nicht merken.

Er konnte es aber doch nicht lassen, sie weiter über das Geheimnis der Fortpflanzung aufzuklären:

Natürlich wies das Verfahren der Hemitomie, so schlicht und elegant es auch war, einige nicht zu vernachlässigende Nachteile auf. So konnten sich die ursprünglichen, über längere Zeit unvollständigen Hälften nicht normal fortbewegen, sondern nur auf hüpfende Art wie die Kängurus.

Ella lachte: Oh, das hat doch sicher sehr komisch ausgesehen!

Gewiss, pflichtete Ego ich bei, das war gewiss überaus komisch, aber die nachwachsenden Hälften haben außerdem noch an Phantomschmerz gelitten. Sie spürten bereits ein Reißen und Ziehen in den nachwachsenden Gliedern, als diese praktisch noch gar nicht vorhanden waren. Aufgrund der vielen Vorwürfe, denen sich unsere Urmutter Eana wegen dieses Missstands von ihren eigenen Geschöpfen ausgesetzt sah, fühlte sie sich schließlich genötigt, ein anderes Verfahren zu erproben.

Ego machte ein betrübtes Gesicht und zeigte auf sein Geschlecht. Ja, siehst Du, so hat es sich zugetragen. Eana führte ein neues Verfahren ein, und eines der Ergebnisse dieser Umwälzung sitzt nun neben Dir. Eana schuf den ersten Mann namens Adam aus dem Schenkel des damals noch eingeschlechtlichen Menschen und heftete ihm das „Ding“ zwischen die Beine, damit sein Same auf diesem Wege in den Leib einer Frau gelangt.

Jetzt war es Ella, die ihrem Besucher ganz schnell einen Kuss auf die Wange drückte.

Es ist doch gar nicht so schlimm, meinte sie tröstend. Immerhin wärest Du in Marsopolis arbeitslos ohne das Ding.

So gut es gemeint war, es fiel Ego schwer, sich über dieses Trostwort zu freuen.

Wie Du weißt, sagte er, war diesem Experiment unserer Urmutter keine Dauer beschieden. Ihre ureigenen Geschöpfe, die Frauen, hatte die Göttin mit einer so gewaltigen neuronalen Potenz ausgestattet, dass sie ihre Entwicklung nun selbst in die Hände nahmen. Das Ergebnis kennst du so gut wie ich. Der neue Mensch wird auf Mars wissenschaftlich gezüchtet. Das „Ding” wurde überflüssig und ist heillos veraltet. Für die Erhaltung der Art werden Leute wie ich nicht länger gebraucht. Nun begreifst Du, warum...

Ego brauchte den Satz nicht zu Ende sprechen, er hatte nicht nur sich selbst, sondern auch seine Gefährtin zu Tränen gerührt. Es glänzte in ihren Augen und sie schmiegte sich jetzt in schöner Nacktheit immer enger an seinen Leib.

Aber es stimmt doch nicht, flüsterte sie, dass ihr Männer ganz und gar wertlos seid. Im Gegenteil, ohne euch würde die Stadt nicht überleben. In der Unterwelt erfüllt der Mann bis zum heutigen Tag eine unverzichtbare Funktion. Deine Brüder dort unten – sie wies mit der Hand zum Boden - werden als Muskelwesen geplant und systematisch für ihre Aufgaben vorbereitet. Und Du, mein Lieber, hast zwar wenig Muskeln, sie kniff ihm liebevoll in den Arm, aber dafür hast Du das Ding. An deiner Stelle würde ich stolz darauf sein.

Nach Art aller glücklichen Frauen auf dem roten Planeten, hatte Ella diese Worte ohne viel Nachdenkens hingesprochen, aber Ego fühlte sich tief getroffen. Die Erinnerung an die Männer der Unterwelt und die darin ausgesprochene Gleichsetzung mit ihm selbst versetzten ihm einen schmerzhaften Stich.

Nein, das waren nicht seine Brüder, das waren Arbeitstiere, stumpfe, dressierte, geistlose Wesen, die in Marsopolis für all jene Frondienste eingespannt wurden, mit denen die Frauen aufgrund ihrer verfeinerten geistigen wie körperlichen Konstitution nichts zu tun haben wollten, für die sie gar nicht geschaffen waren.

In der Oberstadt wurden diese Arbeitstiere „Köche” genannt, aber niemand wusste warum. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte sich die Bezeichnung auf dem Mars eingebürgert. Die Köche lebten unter der Erde, vom schönen Sternenhimmel wusste sie nichts, die heitere Sonne bekamen sie nie zu Gesicht. Aber das beunruhigte niemand in der Oberwelt, niemand wurde dadurch zu Mitleid bewegt. Wie jeder hier oben weiß, ist die Verbannung der Köche unter die Erde eine ganz natürliche und durchaus gerechte Strafe für alles, was sie auf Gaia den Frauen Jahrtausende lang zugefügt haben.

Ellas leichtsinnige Bemerkung über die unseligen Geschöpfe unter der Erde, hatte Ego die größte Pein bereitet, denn er wusste, dass er haushoch über diesen unterirdischen Wesen stand. Er war etwas unvergleichlich viel Besseres, er gehörte der Gemeinschaft der Frauen an. Er war ein Quotenmann!

Der Quotenmann an und für sich

Was in diesem Augenblick in ihm vorging, dürfen wir dem Leser nicht vorenthalten, andernfalls würde er die besondere Stellung Egos in der Welt der Frauen überhaupt nicht verstehen.

Durch die unbedachte Bemerkung seiner Gefährtin fühlte Ego sich nämlich in seiner Menschenwürde beschädigt. Die Köche, zischte es in ihm. Wie kann sie mich nur mit diesen armseligen, unglücklichen und erbärmlichen Geschöpfen vergleichen! Mich, Ego, hat frau von vornherein für die Oberwelt gewollt und geplant, zu der ich deshalb auch seit meiner Geburt gehöre. Ich darf unter den Frauen weilen, den Duft ihrer Körper atmen, mich an ihrem Lächeln erwärmen, meinen Geist an ihrer Weisheit schulen. Die Genies vom Vierten Reif haben meine Gensequenz auf männlich gepolt, weil es die Quote gibt. So einfach ist das. Etwa ein Prozent Männer dulden die Frauen in ihrer Mitte und ich darf einer von ihnen sein.

Ego konnte nicht länger an sich halten. Es platzte einfach aus ihm heraus:

Ihr braucht uns doch, wir Quotenmänner sind bei euch ständig im Dienst. Ihr achtet uns gering - natürlich, ihr seid uns ja in jeder Hinsicht weit überlegen, geistig und mit eurer unendlichen Gefühls- und Empfindungsfülle. Ihr seid die Kinder der Göttin, die euch nach ihrem Bilde erschaffen hat. Das bezweifelt ja niemand, und man sieht es euch ja an, wenn ihr uns mit mitleidigem Lächeln von oben herab betrachtet.

Seht doch nur diese traurigen und missratenen Exemplare der menschlichen Gattung, steht euch ins Gesicht geschrieben. Könnt ihr euch vorstellen, dass diese missgestalteten Wesen unsere Töchter, Mütter und Großmütter auf Gaia Jahrtausende lang auf grausame Art beherrschten, drangsalierten und zu ohnmächtiger Sklaverei verdammten?

So brach es aus Ego hervor, das einzige und wohl letzte Mal in seinem Leben. Aller aufgestaute Kummer über seine traurige Lage machte sich Luft bei dieser schüchternen Frau, die ihn versonnen, liebevoll und schüchtern anblickte und ihm sein Reden nicht einmal übel zu nehmen schien.

Er war so von seinem Leid aufgewühlt, dass es noch weiter aus ihm hervorsprudelte.

Wenn Du es wissen willst, ich selbst kann mir das auch nicht vorstellen, aber das großartige Buch „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” hat mich aufgeklärt. Schwarz auf weiß steht dort zu lesen, dass einst die Männer das Zepter führten und die Frauen aufs Grausamste unterjochten. Mich hat das Gelesene derart erschüttert, dass ich mein heutiges Los in aller Ergebenheit akzeptiere. Mit meiner Person muss ich das Unrecht sühnen, dass meine Vorgänger an euch verübten.

Liebe Ella, rief Ego in einer Anwandlung von opferwilliger Unterwerfung. Der Sinn meiner Existenz liegt ganz darin, euch Frauen die Gewissheit der eigenen Überlegenheit zu verschaffen.

Das wollte Ella nicht gelten lassen, sie schlang ihre Arme um seinen Hals. Aber wir brauchen Euch doch, flüsterte sie. Ohne Quotenmänner wie Du einer bist, würden wir uns sehr unglücklich fühlen.

Mit diesem Eingeständnis gelang es Ella, das Männchen an ihrer Seite einigermaßen zu beschwichtigen, weil sie damit an den tieferen Sinn seiner Existenz appellierte. Aber er konnte es immer noch nicht lassen, seine Antwort in einen kritischen Einwand zu kleiden.

Ich weiß schon, sagte er, die Quotenmänner dienen euch als Lustobjekte, aber das geschieht nur unter der Hand und im Verborgenen. Offiziell ist jeder Umgang aufgeklärter Frauen mit uns Männern von Gesetz wegen gar nicht erlaubt. Die moderne Frauen, so kannst Du es auch in „Eanas Plan oder das Geheimnis der Schöpfung” lesen, kommt ganz ohne Männer aus, natürlich auch bei ihren sexuellen Spielen. Alle Lehrbücher preisen die gleichgeschlechtliche Liebe als letzte und höchste Bestimmung.

Dagegen wusste Ella nun freilich auch nichts mehr einzuwenden. Sie blickte ihn nur traurig und träumerisch an.

Seien wir doch ehrlich, fuhr Ego fort und sagte etwas, was er noch niemals zuvor einer Frau ins Gesicht gesagt hatte, denn es war eigentlich ungehörig und ist überhaupt nur damit zu erklären, dass er zu der unscheinbaren Person an seiner Seite bereits eine Neigung verspürte, die sich mit seinem Berufsethos nicht vertrug.

Seien wir doch ehrlich, eanaholde, traumliebe Ella (wie schön und mühelos ihm diese Worte über die Lippen kamen!)

Es ist der Reiz des Unerlaubten, der Reiz des überlisteten Gewissens da oben, der Reiz der Sünde also, der euch zu uns treibt. Wir Quotenmänner sind interessante Spielzeuge für euch, ein aufregender Zeitvertreib.

Das ist wahr, rief Ella mit einer Anwandlung plötzlicher Entschlossenheit, und bei diesen Worten drängte sie sich so an den geladenen Gefährten, dass dieser den Moment gekommen sah. Aber da er nun wusste, in Ella endlich ein kunstsinniges Geschöpft gefunden zu haben, wie er es sich immer erträumte, so handelte er auch jetzt nicht spontan, wie der Berichterstatter und seine Leser es vermutlich erwarten. Nach zehn Jahren Berufserfahrung als Gemeineigentum der Frauen handelt vielleicht niemand mehr völlig spontan. Vielmehr sah Ego den Moment gekommen, das kleine illustrierte Heftchen aus der Tasche zu ziehen, das Lehrbuch der Liebeskunst oder „Komma-Zuttam” wie man in Marsopolis sagte, ein Name, des es auf Gaia erhalten hatte, und zwar von einem Kontinent, den sie dort „Inden” oder „Indien” nannten, ein Land, das überwiegend von Elefanten bewohnt wird.

Da Ego sich aufgrund seiner langen Berufserfahrung gleich zu Anfang bewusst war, dass diese schüchterne Frau in ihrem Leben sicher zum ersten Mal ein Männchen erkennen sollte, blätterte er gleich zur Seite zehn, wo „K1a“ als schöne Gravur zu sehen war, der sogenannte „Amazonenritt”. Diese Stellung war eine der wenigen, die sich mit der hohen Stellung und Würde der Frau auf dem Mars vertrug. Die farbige Darstellung war in der Tat von besonderer Schönheit. Frau thronte da mit stolz vorspringenden Brüsten über dem hingestreckten Leib eines Mannes, so als hätte sie sich auf ein Ross geschwungen. Den Körper wie eine Fahnenstange lotrecht nach oben gerichtet, den Kopf leicht schräg zum Himmel weisend, die Beine rechts und links des auf dem Rücken liegenden Männchens angewinkelt, hielt sie mit ihren Händen jeweils ein Ende des Zügels, den ihr der offensichtlich von dieser Stellung begeisterte Künstler als zusätzlichen Zierrat in die Hand gelegt hatte. Er hatte ihr außerdem noch einen Helmbusch mit lustig wehenden roten und grünen Federn, den Farben Eanas, aufs flatternde Haar gesetzt und die Zügel an den beiden Ohren der liegenden Kreatur befestigt. Auf dem Helmbusch war in Kapitalschrift die Aufschrift zu lesen „Nike de Saint Phalle” (die Siegerin über den heiligen Phallus).

Die Siegesstellung, flüsterte Ego, ich bin bereit. Er wusste, dass die durchschnittliche Frau in Marsopolis beim Anblick dieser verlockenden Darstellung sogleich in höchste Erregung gerät. So begann die Sünde fast immer mit einem Sieg.

Aber wieder verhielt sich Ella ganz anders als die durchschnittliche Frau. Obwohl offensichtlich eine Anfängerin in der Kunst der Liebe, ließ sie sich mit reger Neugierde – wollte sie sich damit als wissbegierige Schülerin zeigen? – von Ego einige der wichtigsten Stellungen erklären, natürlich nur die wichtigsten, denn das sündige Lehrbuch aus Gaia kennt insgesamt an die Tausend. Einige davon werden auf weichen Laken zelebriert, andere auf grobem Kies, einige im Kopfstand, nicht wenige in einem Teich, mehrere unter Wasser und einige sogar zwei Meter über einem glühenden Kohlebecken, weil die Körper in großer Wärme zu spastischen Bewegungen neigen, welche die irdische Lust angeblich ins Übersinnliche steigern. Der Höhepunkt aber war eine Stellung, bei der sich die beiden Liebenden auf einem Scheiterhaufen in vollkommener Verschmelzung befanden, während sie von den Flammen verzehrt und so im Akt der heißesten Liebe vergeistigt werden. Diese Stellung trug die schlichte Bezeichnung „Sati”.

Als sie all diese bunten Bilder von nackten Menschen sah, überflog ein leichtes Rot die Wangen Ellas. Schamvoll schien sie sich plötzlich bewusst zu werden, dass Ego aus ihrem Interesse für die gesammelte Lust ungehörige Gedanken ableiten könnte. Am Ende würde er noch glauben, sie hätte bereits mit allen Quotenmännern im Bett gelegen, obwohl sie in Wahrheit doch heute um ersten Mal die Schwachheit besaß, sich zu dieser Sünde hinreißen zu lassen. Mit leicht verschämter Stimme murmelte sie deshalb:

Ego, ist das nicht Ponnograppie?

Dieser Einspruch bereitete Ego eine heimliche Freude; war er doch ein weiterer Beweis, dass sich die schüchterne Frau nicht einfach von den niederen Trieben überwältigen ließ und sich in die erstbeste Stellung fügte.

Er freute sich auch, weil er darin eine weitere Chance erblickte, dieser Frau außer den Diensten seiner Männlichkeit obendrein noch ein wenig von seiner Bildung mitzugeben. Deshalb korrigierte er sie sogleich:

Es heißt aber Ponnograapie mit langem a, meine traumliebe Schöne – dabei ließ er seine Hand sanft über ihren Rücken gleiten.

Diese Auskunft schien sie zu beruhigen. Mit emsigen Augen das Heftchen durchfliegend, wies sie plötzlich mit langem Zeigefinger auf die Stellung „K37b“.

Das will ich, sagte sie. Ego war im ersten Moment derart verblüfft, dass er nach Worten rang.

Aber das ist doch, das ist doch!, murmelte er, ja, bist Du denn wirklich sicher? Das ist doch die grässlichste Stellung überhaupt. Das haben doch die Patriarchen erfunden, die Unterdrücker der Frau. Du weißt doch, man spricht auch von „Missionarsstellung”, weil der Mann auf Gaia – der, der lag dann ja oben – weil er eben der Frau auf diese Weise das Patriarchat aufzwang.

Ego wurde abwechselnd rot und blass im Gesicht. Die Worte purzelten ihm nur noch stammelnd und regellos aus dem Mund.

Du weißt doch, Dir ist doch sicher, das musst Du doch wissen. Es ist strafbar! Meine Karriere...

Es hat wenig Sinn, dass wir diesem Gestammel folgen, denn die Tatsachen sind ja ohnehin jedem bekannt, der mit den Errungenschaften der jungfräulichen Zivilisation auf dem Mars einigermaßen vertraut ist. Die Holden haben die Missionarsstellung ausdrücklich verboten, und zwar in einem Artikel des Grundgesetzes. Selbst das Wort ist verpönt. Keine der Frauen hätte es in den Mund genommen, ohne dabei vor Ärger und Scham zu erröten. Schon in den Lehrbüchern, aus denen die jungen Mädchen sich auf ihr künftiges Leben vorbereiten, wird das Thema abgehandelt und geschichtlich “bewältigt”. Es heißt dort, dass die Männer die Frauen auf diese Art zur Unterwürfigkeit „missionieren“. Diese abscheuliche Stellung, bei der die Frau sozusagen nach Art eines Pferd geritten und vom Manne dressiert wird, gilt in Marsopolis als Beweis und sichtbares Zeichen für Tausende Jahre der Unterdrückung durch eine verabscheuenswürdige Phallokratie.

Daher die auf Marsopolis selbstverständliche Sitte, dass der Mann sich bei einem erotischen Treffen sofort auf den Rücken legt, um der weiblichen Über-Legenheit so von vornherein seinen Tribut zu zollen. Und dementsprechend gilt es als die schlimmste aller Beleidigungen, wenn der Mann eine Frau in die Stellung der Unter-Würfigkeit zwingt. Im selben Moment hätte sie aufgeschrien und auf das Gewissen gezeigt. Die Regierung hätte dann umgehend die sogenannte Zucht-und-Tugendbrigade losgeschickt – lauter kräftige Frauen mit roter Armbinde und lauten Schellen, die durch die Gänge eilen, die Tür zur Wabe aufreißen und den Sünder auf der Stelle verhaften. Anschließend wird dieser dann den Gerichten in der Verwaltung des Glücks ausgeliefert.

Derartige Fälle kommen aber auf Marsopolis praktisch kaum vor, die Sitten haben sich mit der Zeit veredelt und geläutert. Ganz auszurotten scheint das Laster dennoch niemals zu sein. Zwei oder drei Fälle dieser betrüblichen Art sind in den Annalen der Stadt verzeichnet. Natürlich wurden die sündigen Quotenmänner umgehend verhaftet und dem hohen Gericht vorgeführt.

Auf diese historischen Hinweise kann der Berichterstatter nicht verzichten, da der Leser andernfalls nicht verstehen würde, wie sehr Ego erschüttert wurde, als Ella mit langem Zeigefinger gerade auf diese Stellung wies: auf K37b.

Du weißt doch, jammerte er, dass wir Menschen uns von den Tieren vor allem durch unsere gehobenen Sitten unterscheiden.

Es nutzte nichts. Alle Schüchternheit ihres Wesens schien auf einmal wie fortgeblasen. Sie gebärdete sich wie ein kleines Kind. Sie hatte ihm mit schneller Hand bereits den Mund verschlossen und nun legte sie sich schon auf das Bett und zog ihn zu sich herab.

Ihr verängstigten Phallokraten, lachte sie, ihr seid doch ein kraft- und mutloses Geschlecht. Aber siehst du, ich will euch gerade so wie ihr seid, mein kleiner Ego. Du bist ein Tier, gewiss, als Männchen bist Du den Tieren natürlich viel näher verwandt als wir Frauen. Das sieht man schon an dem Pelz auf Deiner Brust und sogar hier auf den Armen und Beinen. Du siehst aus wie die Verwandten auf Gaia – die Affen, nicht wahr, so heißen sie doch?

Sie lachte, schäkerte, zog ihn jetzt mit beiden Händen ganz eng an ihren Körper.

Aber gerade ein solches Tier, wie du es bist, will ich nun einmal - und dabei schaute sie ihn mit blitzenden Augen an, und er wusste, dass er dieser Frau nicht widerstehen würde, koste es, was es wolle. Das Wort “Phallokrat” donnerte und pochte allerdings in seinem Kopfe. Obwohl er in diesem Augenblick kurz davor stand, in seine Dienstpflichten einzutreten, war sein Denken doch immer noch nicht vollständig abgeschaltet. Insgeheim seufzte es in ihm:

Wie grausam die Frauen doch manchmal sind, wie mitleidslos und pervers! Wenn die Holden mich in dieser Stellung sehen, dann schicken sie mich in die Unterwelt. Er warf einen verstohlenen Blick auf das Gewissen. Immerhin, glücklicherweise war es vollständig mit einem schwarzen Tuch verhängt.

Das Eigenartigste an Egos Begegnung mit der traumlieben Ella war jedoch, dass ihre offenkundige Perversität ihm selbst Schauer der Wollust über den Rücken jagte. Das erste Mal in seinem ganzen Mannesleben ließ eine Frau ihn über sich thronen, so als wäre er ein höheres oder auch nur ein gleichwertiges Wesen. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen Gefühlen der höchsten Lust, die ihn – ganz unprofessionell – überfielen und einer ihn anspringenden Schuld, denn er kam sich gleichzeitig vor wie ein schmutziger Macho, einer von denen, die in früherer Zeit den Frauen das Leben auf Gaia zur Hölle machten.

Du Phallokrat, höhnte ihn die Stimme, du heilloser Macho, du Vergewaltiger! Selbst auf dem Höhepunkt und nachdem er sich schließlich ganz auf Ella hinabgleiten ließ und dann regungslos auf ihr verharrte, ließ ihn die Stimme nicht los, und das schreckliche Bild drängte sich herrisch in sein Bewusstsein, das Bild, das sich der Zeichner für die Patriarchenstellung „K37b“ ausgedacht hatte. Ein Mann mit stieren Augen ist dort zu sehen, eine affige Gestalt mit wulstigen Armen, einem hässlichen Bart und einem dichten Pelz auf der Brust – kurz eine Gestalt wie ein Gorilla, der einen zarten, weißhäutigen Engel nahezu ganz unter seinem bulligen Leib begräbt.

So in jeder Hinsicht erregt und in Aufruhr, befand sich Ego in einem gewaltigen Konflikt mit sich selbst. Er begriff nicht - denn die Männer sind ja überall auf der Welt recht schwer vor Begriff -, er begriff nicht, dass Ella keineswegs bloßem Mutwillen gehorchte, sondern einem viel tieferen Gefühl: Sie hatte Mitleid mit diesem Männchen, diesem traurigen, armen Wesen, das auf Marsopolis eine so geringe, von vielen verachtete Stellung einnahm. Dass aus ihrem Mitleid schon Liebe geworden war, hätte sie selbst sich in diesem Moment freilich noch gar nicht eingestanden, die Sache war ja von vornherein viel zu unwahrscheinlich. Echte Liebe zwischen Mann und Frau gilt auf dem Mars als undenkbar und scheint deswegen auch unmöglich zu sein.

Nun, der Verfasser des vorliegenden Berichts kennt natürlich den weiteren Verlauf der Geschichte. Er weiß daher mehr als die beiden Protagonisten. Er dar sich dieses Worts daher schon jetzt ohne Vorbehalte bedienen.

Als beide den uralten Ritus in seiner per Gesetz streng verbotenen Form beendet hatten und glücklich über die eben begangene Sünde waren, kam es schließlich dazu, dass Ego doch endlich zu begreifen begann. Und er tat, was Männer eben so tun, wenn sie gerührt und ergriffen sind: Er wurde geschwätzig, erzählte aus seinem Leben.

Major Trippschitz, ging es ihm durch den Kopf. Er erzählte Ella, wie er einmal aus lauter Verzweiflung darüber, auf dieser Welt nur ein nichtswürdiges Männchen zu sein, beinahe Hand an sich selbst gelegt hätte.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
320 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783738044720
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip