Kitabı oku: «Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein», sayfa 4

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Auf dem Weg zu den Niagaras

Mit dem Geländewagen fuhr Ella in Richtung durch die rötliche Sandlandschaft auf die Hügel zu, die auf halber Höhe zwischen der Stadt der fünf Reife und den Niagaras liegen.

Wie schön Ella ist!, bewunderte sie das Quotenmännchen an ihrer Seite. Er bewunderte sie nicht nur aufgrund seiner intimen Kenntnis der überaus abwechslungsreichen Geographie ihres Körpers. Deren Hügel, Täler sowie die erogenen und sonstigen geheimen Zonen hatte er ja schon kennengelernt. Jetzt offenbarte sich ihm noch eine weitere Eigenschaft Ellas, die er der schüchternen Frau gar nicht zugetraut hätte. Sie jagte nämlich in voller Fahrt mit dem Rovi über den Sand; rosa Staubwolken stiegen in ihrem Rücken wie große, aufgeblasene Ballons in die Höhe.

Dieser Rovi war das Werk GKs, dem erfindungsreichsten unter den Genies von Marsopolis. Zu seiner eigenen Belustigung erfand er fortwährend neue Apparate und komplexe Maschinen, darunter diesen Wagen, der über eine eigene Luftversorgung verfügte, so dass frau während der Fahrt keinen Helm tragen musste. Hätte Ella den Wagen mit ihrem wüsten Dahingekurve allerdings zum Kippen gebracht und ein Stein die Fenster durchbohrt, dann wäre das Schicksal von Ego und Ella auf der Stelle besiegelt. Auf dem nackten Sand sahen sie ohnehin die blassen Skelette der Unglücklichen liegen, die an Sauerstoffmangel erstickt, von der Hitze ausgedörrt und von den heftigen Marswinden bis auf die Knochen blank geputzt worden waren.

Ach, die Frauen auf Marsopolis, lieber Leser, glaube nur nicht, dass sie weniger Mut als die Männer hätten. Mit dem Ausdruck lächelnden Spotts, denn am Steuer hatte sie wirklich alle Schüchternheit verloren, warf Ella dem neben ihr sitzenden Männchen ab und an amüsierte Blicke zu. Sie schien seine Befürchtungen zu erraten und sich daran so recht zu ergötzen.

Dabei wurde sie wirklich übermütig.

Ego, mein Lieber, sagte sie, was hast du nur für ein wahnwitziges Glück! Im Grunde deines Wesens bist du erstaunlich harmlos. Weder Machtmensch noch Macho. Einfach ein liebes kleines Spielzeug in Männergestalt, mein persönlicher Schoßhund!

Das war keineswegs boshaft gemeint. Sie lachte ihr helles klingendes Kinderlachen, aber natürlich konnte sie es nicht unterlassen, ihrem Begleiter zur gleichen Zeit doch noch einen kleinen Stich zu versetzen.

Aber wehe, fügte sie hinzu, wenn dir dieser Vorzug zu Kopf steigt.

Sie nahm ihre rechte Hand vom Steuer und schlug Ego mit schnippischem Schlag auf die Wange. Denk immer daran, mein Lieber, dass du von jetzt an nur mir gehörst. Wenn du mir untreu wirst, jage ich dich zu den Köchen!

Ach, der boshafte Refrain. Wie gut Ego ihn kannte! Das war ja die eigentliche Waffe der Frauen gegen den Quotenmann. Sie wussten genau, dass es keine schlimmere Drohung für jeden von ihnen gab als dieses einzige, furchtbare Wort: die Köche, denn das sind die entmachteten, die elenden, schmutzigen, verachteten Männer unten im Bauche der Stadt. Ego wusste natürlich, dass Ella die Worte ihm nur im Spaß entgegenwarf, aber trotzdem brannten sie ihm wie eine Ohrfeige im Gesicht. Erinnerte sie ihn denn nicht daran, dass er in der Oberwelt nur geduldet war, ein Gast, den man jederzeit nach da unten verbannen konnte?

Der Wagen rüttelte heftig auf dem steinernen Weg. Zu Fuß konnte man den Quell des Himmlischen Lichts in vier, fünf Stunden erreichen; von der Stadt trennten ihn an die dreißig Kilometer. Die meisten Bewohner hatten sich schon nachmittags auf den Weg gemacht; es ging darum, rechtzeitig zur Festrede der Ersten Holden einzutreffen.

Ich brauche nicht hinzufügen, dass der Tag der Revolution natürlich nur von den Bewohnern gefeiert wurde. Die Sklaven im Bauch der Stadt waren zwar ausnahmsweise von ihrer täglichen Arbeitsfron befreit, aber das Licht der Sonne durften sie seit der Revolution nie mehr sehen. Endgültig und mit lautem Knall war damals das Tor zur Oberwelt hinter den Verdammten ins Schloss gefallen. Homo communis sollte nie wieder imstande sein, die Frauen mit seiner Gewaltsamkeit und angeborenen Wildheit zu quälen.

Die bis dahin flache Piste führte mittlerweile an kleineren Sandhügeln vorbei, die sich wie Riegel zwischen die Stadt und die Niagaras schieben. Bald brausten die beiden Ausflügler auch an einigen Nachzüglern vorbei, die den Weg zu Fuß zurücklegten. Die meisten Frauen waren aber schon sehr viel früher aufgebrochen, um die Niagaras bei Dämmerungsbeginn zu erreichen. Die vier Stunden zu Fuß waren für alle beschwerlich, da sie trotz großer Hitze den Helm tragen mussten und die kleine Sauerstoffflasche sich schon nach einer Stunde unangenehm in den Rücken eingrub. Die beiden Insassen des Rovi mussten jetzt einen Umweg einschlagen. Sie konnten das Ziel nicht auf kürzestem Weg ansteuern, weil dieser durch eine enge Schlucht in den Hügeln führte. Deswegen fuhren sie östlich an den Hügeln vorbei. Nur einige andere Rovis, darunter stattliche Gefährte benutzt von den Holden des Fünften Reifs oder von den Frauen aus der Verwaltung im Dritten, trafen sie ebenfalls auf der Piste an.

Etwa fünfundzwanzig Kilometer von der Stadt entfernt, legten sie eine Pause ein. Es war ein historischer Ort.

Wer sich den Niagaras im Rovi nähert, lässt sich diesen Halt nur ungern entgehen. Unvergesslich ist nämlich der Anblick, der sich jedem Besucher bietet, der die wenigen Dutzend Meter auf den nördlichen Ausläufer der Hügel erklimmt. Allerdings erlebt man die wahre Pracht unserer Stadt erst bei Anbruch der Nacht und dieser Moment war noch nicht gekommen.

Ich sage Pracht, die aber mit bloßer Größe nicht zu verwechseln ist. Nein, das möchte ich gleich zu Anfang richtig stellen, um keine falschen Erwartungen zu erwecken. Marsopolis ist nicht im Entferntesten so groß wie die Metropolen auf Gaia. Dort herrschten, wie jeder weiß, unglaubliche Zustände. Auf engstem Raum vegetierten Hunderttausende, ja Millionen von Menschen, wie Sardinen in enge Dose gepresst. Die Wohnsilos, die sie auf Gaia neben-, über- und untereinander bewohnen, reichen bis zu den Wolken. Vor solchen Steingebilden empfinde ich, ehrlich gesagt, ein Gruseln und Grauen. Wie sollen Menschen einander kennen und schätzen lernen, wenn sie wie die Ameisen und Termiten aus sämtlichen Poren, Winkeln und Schächten ihrer Behausungen quellen?

In Marsopolis, dem heutigen Zentrum des Alls, ist alles anders: die Stadt licht und übersichtlich. Sie besteht nur aus einem einzigen kuppelartigen Gebäude, in dem etwa dreitausend Menschen leben, die einander persönlich kennen und lieben. Fast alle von ihnen sind, wie schon beschrieben, wohl gestaltete Frauen und außer ihnen noch etwa zwei Dutzend Quotenmänner, zu denen auch der Beifahrer des Rovi gehört (die fünftausend Unterirdischen im Bauch der Stadt werden natürlich nicht mitgezählt). Aus entsprechender Ferne betrachtet – und genau diese Gelegenheit bietet der Hügel – erscheint Marsopolis dem Betrachter in der erhabenen Gestalt einer auf den roten Sand zu Boden geschwebten durchscheinenden Haubenqualle. Ich könnte auch sagen, sie erscheint ihm wie ein glühender und funkelnder Kristall.

Kneift man die Augen zusätzlich noch etwas zusammen, so dass man die Erscheinung nur in ihrem Umrissen wahrnimmt, dann weist der leuchtende Kristall die Form einer Halbkugel auf; erst wenn man näher hinblickt, zeigt sich, dass der gläserne Bau tatsächlich aus fünf sich nach oben verjüngenden konzentrischen Scheiben besteht. Ganz unten befindet sich der Erste Reif und über ihm jeweils etwas verjüngt, der Zweite, Dritte, Vierte bis hin zum Fünften Reif an der Spitze.

Ella und Ego haben den Wagen am Fuß des Hügel zurückgelassen, zuvor den Helm aufgesetzt und den Hügel erklommen, wo gerade eine Mutter ihrem Sprössling die Stadt erklärt.

Der Oberste Reif, mein Kleines, gehört den Holden und ihren Gefährtinnen, das weißt du. Du bist ja schon groß. Du siehst, dieser Reif glüht beinahe so hell wie die Sonne. Die Holden thronen unter der Kuppel wie die Königinnen im Herzen des Bienenstocks. Nur an einem einzigen Tag darf und muss das ewige Licht in der Kuppel erlöschen, dann nämlich wenn die Seele der Ersten Holden zu ihrer göttlichen Herrin Eana fliegt. Doch schon am nächsten Tag wird das helle Licht wieder entzündet, eine Nachfolgerin tritt nimmt ihre Stelle ein. Dann treten wir alle in der großen Halle des Volks zusammen – dem Zweiten Reif oberhalb des Ersten, wo wir alle zu Hause sind, auch Du und ich:

Die Königin ist tot, es lebe die Königin!, piepste das kleine Mädchen aus dem Lautsprecher auf dem Helm.

Pscht, sagte die Holde, pscht! Mit ängstlichem Blick zu Ella und Ego wollte sie ihre Hand auf den Mund der Kleinen legen, aber sie strich nur über den blechernen Helm.

So etwas sagt man nicht, zischte sie der Kleinen zu. Das ist ein böses Omen. Niemand ist tot bei uns.

Ella war auf einmal ganz still geworden – genauso still wie Ego, ihr Begleiter. Doch plötzlich zog sie ihn an sich heran, als wollte sie ihn küssen. Dabei stieß ihr eigener Helm aber nur krachend mit dem Helm Egos zusammen. Da drückte sie nur seinen Arm und lächelte ihm durch das Helmvisier zu.

So ist sie eben, dachte Ego. In einem Augenblick grausam, droht sie mir mit der Verbannung. Im anderen will sie mich küssen. Wie unberechenbar und unbegreiflich die Frauen doch sind.

Diesmal fühlte sich Ego allerdings nicht länger bedrückt. Der Anblick der leuchtenden Stadt überwältigte ihn.

Diese Stadt, flüsterte er mit stockender Stimme, sie ist ein Abbild des Universums. Sie gehört den fünf Holden und den fünf Göttinnen, allen voran Eana.

Ego hob die linke Hand mit den fünf Fingern, wie das in Marsopolis üblich ist, wenn der Name der fünf Göttinnen fällt und begann das „Mutterunser“ zu murmeln.

Mutter unser, groß bist Du und heilig. Unsichtbar weilst Du in unserer Mitte. Du bist Eana, die Göttliche im Himmel und die Holde auf Erden. Führe uns nicht zum Mann, sondern wehre das Böse ab und die Machos. Denn Dein ist die Kraft und die Weiblichkeit. Amen.

Hör auf, unterbrach ihn Ella. Das weiß doch jeder, dass unsere Stadt ein Abbild des Universums ist und dass sie den fünf Holden gehört. Warum tust du so feierlich?

Ellas Worte rannen ihm wie eine kalte Dusche über den Rücken. Ist sie denn ganz gleichgültig gegen das Erhabene? War nur er selbst mit einer so empfindlichen Natur geschlagen? Sie ist eben eine Frau, versuchte er sich zu beruhigen; da braucht sie vor nichts und vor niemandem Respekt zu haben. Ich bin leider nur ein viel zu sensibler Mann.

Seine Zunge hielt Ego daraufhin sorgsam im Zaum, zumal ihn die Erinnerung überwältigte. Wehmütig dachte er an den Moment im Jahr 6 n. MM zurück, als eine Gruppe von Frauen ihn zum ersten Mal auf diesen Hügel führte, denn er feierte gerade seinen vierten Geburtstag.

Schau, sagte eine von ihnen und wies mit der Hand auf den Sternenteppich oben am Himmel.

Dort irgendwo befindet sich die schreckliche Gaia. Aufrecht gehende Affen wohnen dort, die zwar über eine Sprache verfügen, aber unter der Fuchtel der Köche stehen. Deswegen gibt es bei ihnen keine Vernunft. Ewiger Hass herrscht unter ihnen und mordend fallen sie übereinander her. Du bist zwar als Männchen auf die Welt gekommen, aber du wurdest nach wissenschaftlichen Grundsätzen geplant. Deswegen bist Du von milder Wesensart und hast das Glück in der Welt der Frauen zu leben.

Ja, hatte Ego damals geflüstert und sich glücklich gefühlt, damals war er ja noch ein Kind.

Ella hatte sich wieder ans Steuer gesetzt. Sie ließ Ego nie auf die Fahrerseite, weil sie wie alle Frauen davon überzeugt war, dass die angeborene Intelligenz des homo communis dafür nicht reichte – und die Genies waren in einer solchen Situation natürlich ohnehin überfordert.

Den Genies fehlt es nicht an Intelligenz – das gewiss nicht. Sie sind mit Maschinen sogar besser vertraut als wir Frauen. Denke doch einmal an GK, sagte Ella, der sämtliche existierenden Maschinen kennt und die nicht existierenden am laufenden Band dazu erfindet. Aber, wie Du weißt, sind die Gründerväter, völlig lebensuntüchtig. Einen Wagen, den können sie zwar im Kopf entwerfen, aber sie sind außerstande, ihn mit ihren Armen zu lenken. Nur wir Frauen besitzen beides zugleich, eine siegreiche Intelligenz und dazu noch eine sichere Hand. Da bleiben sämtliche Männer hoffnungslos hinter uns zurück, der Homo communis ebenso wie die Genies.

Ego nickte. Sie sprach ja nur eine von der Wissenschaft längst erwiesene Wahrheit aus. Aber warum musste sie ihn auch an einem Festtag wie dem heutigen an seine Minderwertigkeit erinnern?

Am Quell des Himmlischen Lichts

Endlich angekommen! Vor ihnen öffnete sich die Bagronitschlucht mit dem breiten Tal und von einem Moment auf den anderen blickten sie auf den Berg des Himmlischen Lichts. Vorläufig war der allerdings noch ein ganz gewöhnlicher, wenn auch ziemlich hoch aufragender Fels, beleckt und in seinen Ausbuchtungen bekleckert von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne.

Ella fuhr mit voller Geschwindigkeit in das Tal, um dann so stark auf die Bremse zu steigen, dass der Wagen mit blockierten Rädern ein ganzes Stück über die Piste aus Rollsplitt glitt. Das war so ihre Art und machte ihr großes Vergnügen. Natürlich wollte sie Ego damit noch einmal einen kräftigen Schrecken einjagen, und ihr zu Gefallen tat dieser auch so, als wäre ihr dieses Vorhaben gelungen. In Wahrheit hatte er sie aber bereits durchschaut und rechnete von vornherein mit derartigen Launen. Ego hatte die Hände rechtzeitig gegen die Armaturen gestemmt, sonst wäre er mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe geprellt.

Sie zogen sich lachend die Helme über den Kopf, hingen einander gegenseitig die Sauerstoffflaschen über den Rücken und sprangen aus dem Gefährt. Gerade schickte sich die rot glühende Sonne an, über den Horizont hinter dem Berg in die Nacht zu rollen.

Kaum war sie abgetaucht, als augenblicklich tiefste Dunkelheit wie ein schwarzes Tuch über sie fiel. Im gleichen Augenblick spürte Ego an seinen Händen die schneidende Abendkälte, die ihm bis unter die dick gepolsterten Ärmel drang. Von Süden her drang allerdings ein bläulicher Schimmer, denn Freund Phobos, der kleine Mond, den sie auch den Geliebten Eanas nennen, tropfte ein lächerliches Rinnsal matten Lichts auf sie hinab.

Sie waren die letzten hundert Meter zu Fuß gegangen, bis dorthin, wo die wartenden Menschenmassen sich zu einer schwarzen Masse verklumpten. Und dann geschah es: das große Wunder, um dessentwillen sie alle gekommen waren. Das Wunder, welches die Marsbewohner jedes Mal wieder zum Staunen bringt. Unmittelbar nach dem Untergang der Sonne geschieht es jeden Tag immer von neuem und wird noch dann geschehen, wenn das All längst geschrumpft und alle Menschen gestorben sind. Aus dem scheinbar toten Felsen sprudelt, kocht und schäumt es hervor: grüne und blaue Kaskaden von Licht.

Die Niagaras!

In breitem Strom rauscht es den Fels hinunter, um dann, kaum dass es dessen Grenze zur Ebene erreicht, augenblicklich, wie aufgesogen von einem Schwamm, im Nichts zu verrinnen.

Dieser erste Augenblick, da das Licht aus dem eben noch finsteren Felsen hervorschießt, gleicht einer Offenbarung. Die dicht gedrängten Menschen schrien hinter den Helmen ihre Ohs und Ahs, als es vor ihren Augen so wogte und glühte. Die Vernunft war angesichts dieses Anblicks betäubt, obwohl die Wissenschaft das Phänomen natürlich längst erklärt und tausende von Malen bis ins Detail beschrieben hatte. Tagsüber saugte sich der aus reinem Bagronit bestehende Fels mit den Photonen der Sonne voll, speicherte sie sozusagen in seinen mikroskopischen Poren, bis die kristalline Struktur damit zum Bersten gefüllt war. Kaum war die Sonne dann hinter den Horizont abgetaucht, so dass der von außen einwirkende Druck der Photonen geringer war als der innere des gespeicherten Lichts, brach das Letztere auf einmal mit entfesseltem Ungestüm aus dem Felsen hervor.

Im Grunde war das also ein ganz natürlicher Vorgang – den die Genies in Marsopolis längst in exakten Formeln beschrieben hatten. Doch die Masse ist nun einmal von der Wissenschaft schwer erreichbar. Wer dieses Spektakel zum ersten Mal miterlebte, der war felsenfest überzeugt, einem unglaublichen Wunder beizuwohnen. Als hinlänglich gebildeter Mann wusste Ego zudem, dass auf Gaia weder Bagronit existiert noch solche phosphoreszierenden, abwechselnd grün- und bläulich schimmernden Lichtkaskaden. Das Phänomen scheint einzigartig im ganzen bekannten All zu sein.

Ella hatte den Geliebten an die Hand genommen und drückte ihn an sich, weil die Geburt des Himmlischen Lichts, wie man in Marsopolis sagt, als glückverheißendes Omen gilt, das allen Zwist beseitigt und angeblich jeden Wunsch zur Erfüllung bringt. Auch Ego sprach insgeheim einen Wunsch aus, natürlich denselben, den er jedes Jahr aufs neue flüsterte, aber so leise, dass ihn niemand hörte: Ach, wäre ich doch eine Frau!

Während das Licht in blau-grünen Schlangenleibern die Felswand hinabzüngelte, spannten Helferinnen eine etwa zehn Meter hohe Leinwand auf, vor der die Erste Holde in diesem Augenblick auf das Podium trat. Scheinwerfer richteten sich auf ihre Gestalt, ihr Gesicht war unter dem Helm zwar nicht zu erkennen, aber ihr Abbild in Überlebensgröße auf die Leinwand projiziert. Das ergab einen überraschenden Effekt. Es sah gerade so aus, als würde sie in einem grünen Wasserfall baden. Die „Holde im Himmlischen Licht“ nennt man auf dem Mars diesen einzigartigen Augenblick.

Ihr leises Atmen war durch die Lautsprecher deutlich zu hören. Ego spürte es wie menschliche Wärme, die durch den luftleeren Raum zu ihnen drang. Welche Botschaft würde die Erste Holde ihrem Volk heute verkünden?

Die Rede der Ersten Holden

Meine lieben Mitfrauen auf dem Planeten des Glücks, rief sie der ehrfürchtig lauschenden Mange von der Tribüne zu. Zum fünfundzwanzigsten Mal jährt sich heute der Tag unserer Freiheit, der Tag, als die Weltordnung einen weiblichen Namen erhielt. Die Machos wurden vertrieben, nachdem sie uns auf einem anderen Planeten, auf Gaia, zehntausend Jahre lang unterdrückten. Warum hat die ganze bisherige Geschichte des Menschen nie zu diesem Abschluss und Höhepunkt gefunden? Warum herrschte auf Gaia in einem fort Krieg? Warum gab es dort keine Orgien der freien und glücklichen Nächstenliebe? Euch, meine Lieben, brauche ich es nicht mehr zu sagen. Ihr kennt den Grund des uralten Unglücks, weil ihr es überwunden habt. Ausbeutung, Egoismus, Totschlag und Mord hat es nur deshalb gegeben, weil das missratene Geschlecht überall an der Macht war: der Mann, ein Ausrutscher der Evolution, eine genetische Fehlkonstruktion, ein furchtbarer Irrtum der Natur.

Doch jetzt, liebe Frauen, habt ihr das Schicksal in die eigene Hand genommen. Jetzt lebt der Mensch zum ersten Mal gemäß seiner göttlichen Bestimmung. Wir haben die vollkommen glückliche Gesellschaft geschaffen.

Die Erste Holde hielt in ihrer Rede für einen Augenblick inne.

Das ist keine leere Behauptung, keine bloße Selbstbeweihräucherung, wie uns die ihrer Macht beraubten Männer nach ihrer Verbannung entgegenhielten. Egoismus, Lüge, Herrschaft oder gar Mord und Totschlag haben wir auf dem Mars ausgerottet, seit wir die Männer in den Bauch der Erde verbannten. Nur Frieden und selige Eintracht herrschen in unserer Mitte. In unserer Güte sind wir sogar milde gegen unsere einstigen Peiniger. Statt sie vom Mars zu vertreiben, haben wir sie nur in die Unterwelt unter die Erde verbannt. Zum Wohle der Stadt dürfen sie ihre Muskeln einsetzen, denn im Hinblick auf rohe Kraft sind sie uns zweifellos überlegen.

Ein leises Lachen und vielfältiges Glucksen war aus dem Publikum zu hören.

Nein, vollständig abgeschafft haben wir sie nicht, obwohl das eine verdiente Strafe für ihre vielen Verbrechen wäre. Wie ihr wisst, dulden wir ein paar Männchen in unserer Mitte. Einige von ihnen weilen sicher auch jetzt in unserer Mitte.

Aus der Menge war vereinzeltes Händeklatschen zu hören, dem sich Ego bereitwillig anschloss, denn mit dieser Bemerkung wurde die Minderheit ausdrücklich geehrt. Er war gerührt über die Großmut dieser ausdrücklichen Erwähnung.

Uns Frauen ist Grausamkeit fremd. Es genügt uns, die Männer in gehöriger Distanz zu halten und ihnen die Arbeiten zuzuweisen, die sie aufgrund ihrer bescheidenen Intelligenz zu unserer Zufriedenheit auszuüben vermögen.

Meine lieben Schwestern und teuren Mitkämpferinnen, auch was die Liebe betrifft, sind wir auf Männer längst nicht mehr angewiesen. “Liebe deinen Nächsten so wie dich selbst”, heißt es im Stammbuch des Patriarchats. Das können und wollen wir nicht, damit ist es für alle Zeiten vorbei. Wir haben daraus die wahre Botschaft des Matriarchats gemacht: “Liebe deine Nächste so wie dich selbst!”

Jede von euch ist die Nächste für jede andere. Keine braucht in furchtsamer Keuschheit zu leben. Keine unterdrückt die ihr von Eana geschenkten Triebe. Es steht uns frei, uns jederzeit an jedem Ort gegenseitig zu lieben. Unsere Nächstenliebe kennt weder eifersüchtigen Besitz noch irgendwelche trennenden Grenzen.

Den letzten Satz hatte die Erste Holde mit leicht erhobener Stimme und im Crescendo gesprochen – ein Zeichen dafür, das nun geklatscht werden durfte. Natürlich haben alle auf dieses Zeichen gewartet. Ein Tornado aus tosendem Beifall, eine Sturmbö aus Tausenden klatschender Hände fegte über den Platz.

Die Erste Holde wartete das Ende des Beifalls ab, dann setzte sie ihre Ansprache fort.

Liebe Schwestern, teure Geliebte, Gaia, dieser von Männern beherrschte, von Männern verpestete Planet, hat sich vor einem Jahrzehnt endgültig ausgelöscht. Eine Oligarchie bösartiger alter Männer in einem Land namens China hat einen nuklearen Schlag gegen ein anderes Land und die männlichen Cowboys in seiner Regierung geführt. Der düstere Männerrat in einem dritten Land, das von der Beringstraße bis an die Ostsee reicht, hatte auf dieses Signal nur gewartet. Im gleichen Augenblick ließ er einen Hagel Atomraketen auf beide Mächte zugleich niederregnen. Seitdem ist der Globus im nuklearen Höllenfeuer verglüht. Große Bevölkerungsteile verbrannten oder gingen an Hunger und Strahlen zugrunde. Es scheint, dass von tausend Menschen nur ein einziger überlebte. Dieser klägliche Rest haust in Erdhöhlen und auf den eiskalten Spitzen der Berge. Die großen Städte sind sämtlich zu Geisterruinen verödet, wo nur noch Ratten und Schlangen hausen. Für Hunderte, wenn nicht Tausende von Jahren wird die menschliche Zivilisation auf Gaia darniederliegen. Wir Frauen sind es, die hier auf dem Mars das Geschlecht weiterführen.

Vergesst das nie: Ihr seid jetzt der Vorposten menschlicher Zivilisation. Die Holde hob die fünf Finger, und es herrschte augenblicklich vollkommene Stille, denn dies war der Moment, in dem alle gemeinsam das Mutterunser sprachen.

Mutter unser, groß bist Du und heilig. unsichtbar weilst Du in unserer Mitte. Du bist Eana, die Göttliche im Himmel und die Holde auf Erden. Führe uns nicht zum Mann, sondern wehre das Böse ab und die Machos. Denn Dein ist die Kraft und die Weiblichkeit. Amen.

Alle schwiegen in tiefer Betroffenheit. Ego aber wurde ganz schwindelig nach dem soeben Gehörten.

Das also ist aus der ehemaligen Heimat des Menschen geworden, ging es ihm durch den Kopf: verbrannte, verstrahlte, verödete Erde. Unsere Schwestern und Brüder hausen in schmutzigen Erdhöhlen. Die Städte, deren Namen und einstiger Ruhm selbst hier auf dem Mars noch in den Köpfen nachhallte: Rom, Prag, Dresden, New York, Neu Delhi, Marrakesch, Paris, München und wie sie sonst heißen mochten, sie alle waren im Strahlenfeuer verbrannt oder zumindest unbewohnbar geworden. Und die wenigen übrig gebliebenen Menschen haben sich in die Rocky Mountains, die Alpen, die Pyrenäen oder in die Schluchten des Himalaya geflüchtet, wo sie wie Tiere ums Überleben kämpfen. Während wir hier unsere Tage feiernd verbringen, sorglos auf unserem friedlichen Himmelskörper, herrschen dort unten Geheul und Verzweiflung. Wie grauenhaft die Vorstellung, dass der Leichengeruch der ermordeten Milliarden wie ein Pesthauch über dem toten Planeten liegt!

So schoss es Ego durch den Kopf. Ich glaube aber, dass alle das Grauen so stark empfanden wie er, denn eine ganze Zeit herrschte noch Totenstille, obwohl die übliche Minute des Schweigens nach der Rede der Ersten Mutter bereits vergangen war. Inzwischen waren auch die Kaskaden von grün-blauem Licht zu einem schwächlichen Rinnsal ermattet. In einer Stunde würde hier vollkommenes Dunkel herrschen, dann hätte der Fels alles gespeicherte Licht aus seinen Porten verströmt.

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