Kitabı oku: «Norderende», sayfa 3

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IV

Dora Ekkehards kleines Reich hinter der Rückwand des Kinos bestand aus zwei Räumen. In der kleinen Kammer, die auch gleichzeitig als Verkaufsschalter diente, konnte man kaum treten. An der Wand gegenüber der Tür stand ein riesiger Kühlschrank, daneben die Kästen mit Bier und Erfrischungsgetränken. Unter dem großen Fenster rechts, an dem sie die Kinokarten verkaufte, waren Kartons mit Chipstüten und Süßigkeiten gestapelt. In der Mitte stand ein alter Drehstuhl. Damit konnte sie alle Zutaten für einen zünftigen Kinobesuch erreichen. Im Vorführraum standen drei große Projektoren. Die Schriftzüge und Namen der Firmen deuteten auf ein längst vergangenes Zeitalter. Obwohl die Vorführung nun schon seit fast zwei Stunden vorbei war, war es hier drinnen immer noch heiß und stickig. Auf einer kleinen Bank an der Wand saßen dicht gedrängt Birte und Markus. Er hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt. Sie hielt krampfhaft eine Tasse in der Hand.

Rieder stellte Damp und sich vor. Damp war hinter Rieder in den engen Vorführraum getreten. Eigentlich war für ihn gar kein Platz mehr. Die Abluft der immer noch heißen Projektoren nahm ihm den Atem und trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Außerdem bekam er Platzangst. Er quälte sich wieder zurück zur Tür. „Ich warte einfach draußen. Außerdem muss die Aussage von Frau Ekkehard noch aufgenommen werden.“ Damp drehte sich um und marschierte hinaus.

Rieder wandte sich den beiden Zeugen zu. „Sie haben also den Toten entdeckt?“

Birte und Markus berichteten, wie sie auf den Pfad abgebogen waren, sich auf den Kahn gesetzt hatten und Birte mit dem Fuß an den Toten gestoßen war. Danach waren sie zum Zeltkino gerannt. Dort hatten sie Dora Ekkehard von ihrem Fund erzählt. Die Kinofrau hatte dann gleich versucht, den Inselarzt zu erreichen.

„Als der Arzt da war, sollten wir hier warten. Und sie ist mit ihm zu dem ... Toten“, erzählte Birte. „Sie kam noch einmal zurück, um uns Bescheid zu sagen, dass sie die Polizei holen müsste. Seitdem sitzen wir hier.“

„Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Vor oder nach der Vorstellung?“

Beide sahen sich an und schüttelten dann den Kopf. „Wir wollen einfach nur nach Hause“, bat Birte ängstlich. „Das war so schrecklich. Wie er da lag.“ Die Frau war den Tränen nah.

„Ich kann Sie verstehen. Aber ich habe leider noch ein paar Fragen. Gab es einen Grund für Ihren Ausflug ins Strandwäldchen? Der Weg endet doch da einfach.“

Birte und Markus erröteten leicht und schauten betroffen auf den Fußboden. Markus fand zuerst die Sprache wieder. „Wir wollten noch ein bisschen allein sein.“ Er machte eine kurze Pause. „Nach dem Film!“

„Aber da hätten Sie doch auch an den Strand gehen können?“

„Ich meinte, völlig allein.“

„Mensch! Sind Sie so schwer von Verstand!“, platzte es aus Birte wütend heraus. „Warum will man allein sein? Im Dünenwald? Mondlicht. Sternenhimmel. Mein Gott!“

Rieder musste grinsen, ein wenig auch über seine eigene Begriffsstutzigkeit. „Schon klar. Und auf dem Weg dorthin? Ist Ihnen da jemand begegnet?“

Beide schüttelten den Kopf.

„Waren Sie davor schon mal dort?“

„Ja, ich“, antwortete Birte. „Im vergangenen Jahr habe ich dort ein paar Fotos von dem Boot gemacht. Es sah so schön aus, wie es von dem Efeu so langsam überwuchert wurde. Zwei Zweige rankten sich über den Kiel ...“

„Haben Sie die Fotos noch?“

„Klar.“

„Hier?“

„Ich müsste nur auf meinem Computer nachschauen. Den habe ich im Häuschen.“

„Ach, Sie wohnen hier auf der Insel?“

„Nein, wir sind im Urlaub bei Freunden, deren Familie hier auf der Insel ein kleines Ferienhäuschen besitzt. In der Dünenheide.“

„Das wäre nett. Bliebe noch die Frage: Kannten Sie den Toten?“

Markus schüttelte den Kopf. „Nein! Wir kennen hier auf der Insel niemanden außer unseren Freunden.“

„Und in der Dunkelheit haben wir doch auch gar nichts richtig gesehen“, ergänzte Birte.

„Woher wussten Sie denn, dass er tot ist?“

„Das wussten wir doch nicht! Wir sind einfach losgerannt. Hierher, um Hilfe zu holen. Das haben wir Ihnen doch schon gesagt“, erklärte Markus, der langsam ungeduldig wurde. „Könnten wir endlich nach Hause? Unsere Freunde werden sich schon Sorgen machen.“

„Klar. Wir bringen Sie hin. Dann weiß ich auch gleich, wo ich Sie finde, damit Sie die Aussage unterschreiben können und falls es noch ein paar Fragen gibt.“ Rieder notierte die Telefonnummern. Die beiden würden noch bis Ende der Woche auf der Insel bleiben.

Damp hatte inzwischen die Aussage von Dora Ekkehard aufgenommen. Die Polizisten verglichen kurz ihre Notizen. Sie stimmten überein.

Auch die Kinofrau drängte zum Aufbruch. „Ich würde dann auch gern die Bude zumachen. Wenn es nichts weiter gibt ...“

„Momentan nicht.“ Rieder und Damp verabschiedeten sich von ihr. Sie ließen Birte und Markus in den Polizeiwagen einsteigen und fuhren davon.

„Was nun?“, fragte Damp. Sie hatten das Pärchen bis zum Häuschen ihrer Freunde gebracht. Es lag versteckt hinter ein paar Bäumen am Beginn der Dünenheide, ziemlich nah am Strand. In dem Holzhäuschen hinter den schmalen Birkenbäumen hatte noch Licht gebrannt. Rieder wäre am liebsten mit reingegangen, um sich die Fotos von dem Boot anzusehen und sie irgendwie zu kopieren. Sie wären ein guter Abgleich für Behm, wenn er morgen den Tatort besichtigen würde. Doch dann hatte er die geplagten Gesichter von Birte und Markus im Rückspiegel gesehen.

Damp trommelte aufs Lenkrad und sah auf die Uhr: „Gleich eins.“

„Was ist mit der Frau von Herrn Stein?“

Damp seufzte. „Muss das noch sein? Hat das nicht Zeit bis morgen?“

„Nein! Das muss sein. Wo wohnen die Steins?“

Statt einer Antwort wendete Damp den Wagen. Seine Wut ließ er beim Rangieren am Gaspedal und an der Bremse aus. Rieder wurde kräftig durchgeschüttelt. Die Hinfahrt über den Sandweg zum Haus der Freunde von Birte Seige und Markus Kasan war im Vergleich zur Rückfahrt eine Spazierfahrt gewesen. Jetzt gab Damp alles. Er bretterte durch die Kuhlen. Rieder hielt sich krampfhaft am Griff am Wagendach fest und streckte die Füße gegen den Boden. „Geht es auch etwas langsamer?“

Damp reagierte nicht. Über den Deichweg ging es in hohem Tempo bis zum Wiesenweg. Dort bogen sie links ab und fuhren durch das nächtliche Vitte, am Hafen und am Rathaus vorbei nach Kloster. Kein Mensch war mehr unterwegs. Alle Fenster waren dunkel. Die Insel wirkte wie ausgestorben.

Am Platz vor dem Inselmuseum in Kloster bremste Damp scharf. „Da wären wir.“

Rieder konnte nichts erkennen. Da war nur das Inselmuseum. Da würde Stein wohl nicht wohnen. Der alte Anker. Rechts der kleine Kiosk. „Was soll das?“, fragte Rieder irritiert.

Damp zeigte nach vorn: „Da ist es.“

Rieder schaute genauer hin. Und wirklich, da war ein Gartentor. Es war kaum zu erkennen unter dem Geäst der Sträucher und Bäume.

Die Polizisten stiegen aus. Keine Klingel. Rieder rüttelte am Tor. Verschlossen.

„Tja, das war’s dann wohl“, stellte Damp fest und war schon drauf und dran, zum Polizeiwagen zurückzugehen. Doch so leicht gab Rieder nicht auf: „Und wenn der Frau auch etwas passiert ist?“

Damp blieb stehen. Er schob mit einem Ruck seine Hände in die Hosentaschen. „Und danach hat, wer auch immer, das Gartentor wieder mit dem Schlüssel verschlossen.“ Kurzes Kopfschütteln. „Vergessen Sie es! Die Stein ist einfach nicht da. Basta. Wollen Sie die Frau jetzt noch auf der Insel suchen?“

Rieder und Damp starrten sich wie bei einem Duell an. Dann drehte sich Rieder um und begann über das Tor zu klettern. Das war gar nicht so leicht, denn es war mannshoch, und zwischen den Latten waren die Abstände zu klein, um sich mit den Füßen auf den Querriegeln abzustützen. Irgendwie schaffte er es aber, rüberzukommen. Schließlich musste er es seinem Kollegen zu beweisen.

Rieder tastete sich vorsichtig voran. Irgendwo musste es hier eine Treppe geben. Da wurde es plötzlich hell. Damp hatte den Scheinwerfer auf dem Dach des Polizeiautos eingeschaltet. Im Lichtkegel wurden Stufen sichtbar. Sie waren verrottet und wenig vertrauenerweckend. ‚Nicht gerade ein Aushängeschild für einen Bauunternehmer‘, dachte sich Rieder. Vorsichtig stieg er nach oben. Plötzlich blendete ihn auch von vorn ein Licht. „Frau Stein?“, rief Rieder. „Ich bin von der Polizei!“ Es kam keine Antwort. Wahrscheinlich hatte er nur einen Bewegungsmelder passiert und damit eine Lampe eingeschaltet. Trotzdem blieb er vorsichtig. Vor ihm lag eine grüne Wiese. Darauf stand ein mächtiges Reetdach-Haus mit einem runden verglasten Vorbau. Alle Fenster waren dunkel. Rieder schlich bis zum Haus. Als er sich umdrehte, war er überwältigt von dem Ausblick. Unter ihm glitzerte im Mondschein die Ostsee. Keine Spur von Nebel. Das Anschlagen der Wellen war zu hören. In der Ferne funkten die Leuchttürme der Insel Møn und vom Darß. Auf dem Meer blinkten die Leuchtbojen der Fahrrinne.

Rieder schaute durch die Erkerfenster in das Haus hinein. Er erkannte einen Couchtisch und zwei Sessel. Der Polizist erinnerte sich, dieses Haus immer auf der Fahrt nach Kloster hoch oben über dem Inselmuseum thronen zu sehen. Von unten hatte es wie ein Rundbau ausgesehen, doch nun entpuppte es sich als langgestrecktes Gebäude mit einer runden, verglasten Veranda. Der Lack blätterte ab. Auf der Rückseite befand sich die Haustür. Ohne Klingel. Rieder klopfte. Erst vorsichtig. Dann lauter. Aber niemand meldete sich. Er drückte die Klinke nach unten, aber die Tür gab nicht nach. Meistens versteckten die Hiddenseer ihre Hausschlüssel unter dem Abtreter oder in einem Blumenkasten in der Nähe. Rieder hob die Bastmatte vor der Tür hoch. Fehlanzeige. Und Blumenkübel waren nicht zu entdecken. Auf der Wiese hinter dem Haus stand eine Wäschespinne. Doch weder Badesachen noch Handtücher waren dort aufgehängt. Alles wirkte wie verlassen. Rieder ging zurück.

Damp lehnte mit verschränkten Armen an der Motorhaube, als sich Rieder wieder über das Tor quälte. Neben ihm stand Malte Fittkau mit seinem Fahrrad.

„Was machst du hier?“, fragte Rieder seinen Nachbarn.

„Kleiner Nachtspaziergang.“

‚Wer’s glaubt‘, sagte sich Rieder. ‚Die pure Neugier hat dich hergetrieben.‘ Zu Damp gewandt, bemerkte er: „Niemand da.“

Damp nickte. „Kein Wunder. Man erzählt sich, dass es bei den Steins schon länger kriselt.“

„Wer sagt das?“

„Der Inselfunk.“ Dabei wanderten Damps Pupillen in Richtung Fittkau. Früher waren Fittkau und Damp wie Feuer und Wasser gewesen. Waren sie aufeinandergetroffen, hatte es immer gleich Streit gegeben. Doch seit die beiden gemeinsam Jagd auf den Mörder des Inselpfarrers gemacht und dabei ihr Leben riskiert hatten, herrschte Waffenstillstand. Kein Frieden. Rieder war das nicht so recht. Bisher war Fittkau für ihn im Kleinkrieg mit seinem Kollegen Damp immer ein Verbündeter gewesen. Nun verhielt er sich neutral. Und dass die beiden nun geradezu harmonisch hier herumstanden, machte Rieder ärgerlich.

„Wir sehen uns morgen früh im Revier. Nacht.“

Damit marschierte er an Damp und Fittkau vorbei in Richtung Vitte.

„Wollen Sie nicht mitfahren?“, rief ihm sein Kollege noch hinterher.

Rieder antwortete nicht. Er war kurz davor, zu explodieren.

Wenig später fuhr Damp an ihm vorbei. Malte sah er später mit seinem Fahrrad über den Deich nach Vitte zurückfahren.

Obwohl er straff gelaufen war, hatte sich der Ärger über Damp und Malte Fittkau nicht verflüchtigt. Er schloss die Tür seines Häuschens im Wiesenweg auf, trat ein und knallte sie dann zu. In der kleinen Küche riss er den Kühlschrank auf, holte ein Bier raus. Die Schublade des Besteckkastens bekam auch noch seinen Frust zu spüren, als er den Flaschenöffner herausholte. Es öffnete die Flasche, da hörte er eine verschlafene Stimme von oben, aus dem kleinen Schlafzimmer unter dem Dach.

„Stefan?“ Er sah Charlottes nackte Beine die Holztreppe herunterlaufen. Sie trug ein äußerst kurzes Nachthemd. Der Anblick versöhnte Rieder und ließ seine Laune deutlich steigen. Sie küsste ihn. Strähnen ihrer blonden Haare fielen ihm ins Gesicht. Er umfasste sie an der Hüfte und zog sie zu sich heran.

„Wie spät ist es?“, hauchte sie verschlafen in sein Ohr.

„Zu früh. Gerade zwei.“ Er stellte das Bier auf den Küchentisch und begann sie sanft zu streicheln.

„Was ist eigentlich los?“

„Ein Herr Stein lag tot in der Nähe vom Zeltkino.“

Charlotte schaute erschrocken zu ihm hoch: „Was? Peter Stein?“

Rieder nickte. Er hatte aber keine Lust, mehr zu erzählen. „Lass uns hoch gehen. Eine nette Überraschung, dass du hier bist.“

Eigentlich kam Charlotte nur am Montag zu ihm nach Vitte, wenn in ihrem Strandcafé in Neuendorf Ruhetag war. Bei ihm gab es keine Dusche, nur ein großes Waschbecken. Und die Toilette war von außen zu begehen. So fuhr Rieder meist zu Charlotte nach Neuendorf. Sie hätte es gern gesehen, wenn er ganz zu ihr gezogen wäre. Bisher hatte er aber dieses Thema konsequent gemieden. Seine Ausrede: Es könnten nicht beide Polizisten in Neuendorf wohnen. Allerdings wollte er das Häuschen auch nicht aufgeben. Er mochte die niedrigen Räume, den Duft der alten Möbel, den Blick aus dem Fenster auf die Heckenrosen und nicht zuletzt seine Selbständigkeit. Trat er durch die Tür, fühlte er sich einfach zu Hause. Natürlich zeigten sich jetzt mit Beginn des Herbstes auch die Nachteile. Die Kälte drang durch die dünnen Wände. Es gab zwar im unteren Zimmer einen Ofen, aber oben, auf dem Schlafboden, musste er mit Radiatoren heizen. Mit Unbehagen hatte er beobachtet, wie der Stromzähler rotierte, wenn er sie in Betrieb nahm. Die Stromrechnung würde sich sehen lassen können. Trotzdem wollte er hier bleiben.

„Aber was ist denn genau passiert?“, drang Charlotte auf ihn ein.

„Ich erzähle es dir morgen früh. Jetzt bin ich einfach platt. Lass uns ins Bett gehen“, sagte Rieder.

Sie kletterten die schmale Holztreppe hoch. Im Bett schmiegte sich Charlotte eng an ihn. Zu mehr aber war er nicht mehr imstande. Trotzdem genoss er es, dass sie jetzt so nah beieinander unter dem Reetdach wie in einer Höhle lagen. Durch die halbrunden Fenster konnte man in die Weite schauen und sich langsam vom Schlaf einfangen lassen.

V

Das nervtötende Jaulen eines Kantenschneiders weckte Rieder. Es musste genau acht Uhr sein. Otto Fock, der Gastwirt von gegenüber, war ein Muster an Pünktlichkeit. Anfang August hatte ihm die Post das Gerät gebracht. Seitdem litt Rieder jeden Mittwoch und Freitag ab acht Uhr für mindestens eine halbe Stunde Höllenqualen. Das Geräusch kroch in die Gehörgänge und marterte das Gehirn. Es gab kein Entkommen, außer der Flucht zum Revier.

Rieder hatte Fock gefragt, ob das Gras an der Rasenkante nach drei Tagen wirklich so gewachsen wäre, dass es dringend gestutzt werden müsste. Der hatte Rieder einfach stehen lassen. Umgekehrt allerdings marschierte Otto Fock inklusive Inselordnung bei jedem auf, der in seiner näheren Umgebung nach zwölf Uhr mittags in seinem Garten noch einen Rasenmäher oder Häcksler betrieb. Seine Gäste in den Appartements und im Restaurant würden sich durch den Lärm in der Mittagsruhe oder beim Mittagessen gestört fühlen. Wer trotzdem weitermachte, wurde angezeigt. Damp freute sich immer, wenn der Gastwirt mal wieder anrief oder bei ihm im Revier aufkreuzte. Da hatten sich zwei im Geiste gefunden.

Das Bett neben Rieder war schon leer. Er sprang auf, lief die Treppe herunter. Charlotte stand fertig angezogen in der Küche. Es duftete nach Tee und frischen Brötchen.

„Bist du schon lange auf?“

„So, wie du gesägt hast, hätte ich auch schon vor zwei Stunden aufstehen können. Aber es lag nicht nur daran. Ich habe heute so viel vor. Da schlafe ich immer so unruhig. Ich habe dann immer das Gefühl, zu verschlafen oder was zu verpassen.“

Rieder zeigte auf die frischen Brötchen. „Und beim Bäcker warst du auch schon?“ Charlotte nahm das Tablett, trug es ins Wohnzimmer. Dabei berichtete sie: „Da war was los. Der Tod von Stein ist das große Thema. Alle sind total aufgeregt. Erzähl doch mal, was da passiert ist. Bin ja nicht umsonst die Geliebte eines Bullen.“

„Ich dachte, du magst mich.“

„Nun übertreib mal nicht gleich“, spöttelte sie. „Stimmt es, dass er erstochen wurde? Überall Blutlachen?“

„Quatsch.“

Rieder setzte sich und berichtete ihr, was passiert war. Das war zwar nicht ganz nach Dienstvorschrift, aber alles andere wäre ohnehin sinnlos gewesen. Neuigkeiten machten auch ohne ihn auf der Insel die Runde.

Er goss sich und Charlotte Tee ein. „Ich kannte ihn gar nicht. War er denn so eine große Nummer?“, fragte Rieder.

„Er war der Bauunternehmer auf der Insel“, rief Charlotte, als könnte sie es nicht fassen, dass Rieder ihn nicht kannte. „Mir hat er damals beim Ausbau vom, Strandcafé‘ geholfen.“ Dann wurde sie nachdenklich. „Wenn ich mir vorstelle, dass ich noch vor zwei Tagen mit ihm gesprochen habe.“

„Worum ging’s denn?“

„Er hat mir die Pension ‚Luv & Lee‘ gezeigt, die geschlossene Kneipe vorn am Seglerhafen, vor dem Deich.“

„Wieso das?“, fragte Rieder verwundert.

„Ich habe überlegt, dort ein zweites Café aufzumachen. Laufkundschaft gibt’s da genug, weil viele auch über den Deich nach Kloster laufen oder fahren. Für eine Pension ist die Lage auch nicht so schlecht. Gleich am Hafen.“ Sie stützte das Kinn auf ihre Hand. „Weiß gar nicht, warum die Godglücks damit pleitegegangen sind?“

Rieder starrte seine Freundin an. „Noch eine Kneipe? Du hast doch schon mit dem ‚Strandcafé‘ alle Hände voll zu tun!“

„Darüber können wir später reden. Ich muss los. Das Schiff nach Schaprode wartet nicht.“

Charlotte hatte sich nebenbei zwei Brötchenhälften geschmiert, klappte sie zusammen und stürzte den Tee herunter.

Keine zwanzig Minuten später betrat Rieder das kleine Revier im Rathaus in Vitte. Auf dem Weg dahin waren ihm überall kleine Grüppchen von Hiddenseern begegnet. An der Bushaltestelle Wallweg, am Zeitungsladen, am Supermarkt. Sie hatten zusammengestanden und heftig miteinander diskutiert. Immer wieder hatte er den Namen Peter Stein aufgeschnappt.

Damp saß schon am Schreibtisch und hämmerte auf die Tasten des Laptops. „Moin, Moin“, grüßte Rieder und ließ sich auf seinen Stuhl fallen. „Die Insel gleicht ja einem Bienenschwarm.“

Damp schaute gar nicht auf. Er nickte nur geistesabwesend.

„Was machen Sie da?“

Jetzt blickte er hoch. „Ich habe mir überlegt, einen Aufruf zu starten. Es waren doch gestern so viele Leute am Kino. Vielleicht hat einer was gesehen oder gehört. Ich hänge ihn an den Hinweistafeln auf. Vielleicht meldet sich jemand.“ Schon tippte Damp weiter.

Rieder war überrascht. Sonst stand Damp kriminalistischer Arbeit eher ablehnend gegenüber. Die Idee war gar nicht schlecht. Zu viel Begeisterung wollte Rieder aber seinem Kollegen auch nicht gönnen. „Das könnte was bringen. Hat sich Behm schon gemeldet?“

„Geht neun Uhr bei Gebauer in Stralsund aufs Schiff.“ Uwe Gebauer war der Kommandant der Wasserschutzpolizei, zuständig für die Boddengewässer zwischen Hiddensee und Rügen. „Er wird wohl gegen zehn in Kloster sein. Ich hole ihn dort ab. Er will sich dort erst den Toten ansehen. Der Pfarrer weiß auch schon Bescheid“, erklärte sein Kollege, ohne die Arbeit zu unterbrechen.

Rieder kam aus dem Staunen nicht heraus. Was war mit seinem Kollegen passiert? Warum legte er sich so ins Zeug?

„Dann würd’ ich mal versuchen, Frau Stein zu erreichen.“

„Äh ...“, Damp kratzte sich am Kopf, „das habe ich ganz vergessen. Die hat sich schon gemeldet. Sie weiß schon Bescheid.“

„Der Inselfunk?“ Damp schüttelte den Kopf, ließ aber offen, wie Frau Stein vom Tod ihres Mannes erfahren hatte. „Sie ist jetzt wieder zuhause“, teilte er nur mit.

Rieder hätte der Ehefrau lieber selbst die Todesnachricht überbracht. Aus der ersten Reaktion konnten sich schon eine Menge Schlüsse für die Ermittlungen ergeben.

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Bürgermeister Durk kam herein. Er grüßte Rieder kurz. Dann wandte er sich an seinen Kollegen. „Ist der Aufruf schon fertig?“

„Bin in den letzten Zügen.“

Rieder schwante etwas. Also daher wehte der Wind. Durk machte Druck.

„Mit Ihnen müssten wir natürlich auch noch reden, um uns ein besseres Bild von Peter Stein zu machen“, wandte sich Rieder an den Bürgermeister.

„Kein Problem. Ich helfe Ihnen, wo ich kann. Sagen Sie nur Bescheid, wenn Sie Unterstützung brauchen. Ich will auch nicht weiter stören.“ Er war schon fast zur Tür raus, da drehte er sich noch einmal um. „Herr Damp, Sie bringen mir das bitte dann vorbei. Die Damen von der Insel-Information sind schon instruiert. Sie vervielfachen den Aufruf und verteilen ihn.“ Dann schloss er die Tür.

Rieder schaute seinen Kollegen an. „Herr Damp ... und bitte bringen Sie mir das dann vorbei“, äffte Rieder den Bürgermeister nach. „Was ist denn hier los?“

Damp kratzte sich am Kopf. Er beugte sich vor, senkte seine Stimme. „Durk war heute Morgen schon bei mir im Büro. Er hat ein paar Vorschläge gemacht, was wir vielleicht tun sollten. Zum Beispiel den Aufruf“, gestand Damp ein. „Von ihm weiß ich auch, dass Stein nicht mehr in Kloster bei seiner Frau wohnte.“

„Sondern?“

„Hier in Vitte. Am Ende des Strandes.“

„Was hat er noch gesagt?“

Damp lehnte sich zurück: „Nichts weiter.“

„Hat er Frau Stein informiert?“

„Kann sein, kann auch nicht sein.“

Damp stürzte sich wieder an die Tastatur des Laptops. „Ich muss das hier fertigkriegen. Sie können ja schon zu Frau Stein fahren. Wir treffen uns dann an der Kirche.“

Rieder war das neue Bündnis zwischen Bürgermeister Durk und Revierleiter Damp ein Dorn im Auge. Da hieß es, höllisch aufzupassen. Bisher hatte er sich eingeredet, dass es ihm völlig egal wäre, dass Damp und nicht er selber Revierleiter auf Hiddensee geworden war. Die Entscheidung ihres Vorgesetzten, Polizeidirektor Bökemüller aus Stralsund, war Rieder logisch erschienen. Immerhin war sein Einsatz auf der Insel auf zwei Jahre begrenzt. Damp würde bestimmt länger auf der Insel bleiben. Sechs Monate waren davon schon um. Bökemüller hatte Rieder Damps Beförderung außerdem damit begründet, dass man seine Bewerbung für die Revierleiterstelle nach seinem Einsatz bei der Aufklärung des Mordes am ehemaligen Inselpfarrer Schneider nicht übergehen konnte. Außerdem sei Rieder für den Job des Revierleiters auf einer Ostseeinsel völlig überqualifiziert.

Rieder wurde allerdings nicht Damp unterstellt, sondern blieb direkter Mitarbeiter des Polizeidirektors. Hiddensees Revierleiter Damp hatte also nur einen Mitarbeiter – sich selbst. Die andere Seite des Schreibtischs, also Rieders Platz, war praktisch eine andere Dienststelle, eine Außenstelle der Polizeidirektion Stralsund. Wollte Damp was von Rieder, so musste er ihn eigentlich, wenn es nach dem Dienstweg ging, in Stralsund anfordern. So etwas hatte sich nur ein entscheidungsschwacher Chef ausdenken können.

Mit diesen Gedanken im Kopf war Rieder zum Zeltkino gelaufen. Dort stand noch sein Dienstfahrrad.

Dora Ekkehard war schon zugange. Sie sammelte leere Flaschen und zerknüllte Chipstüten zwischen den Sitzen des Kinos ein.

„Den Schreck schon verdaut?“

Dora winkte ab. „Hören Sie bloß auf. Der Weg hierher war das reinste Spießrutenlaufen. Jeder quatscht einen an. Und dann immer dieser verschwörerische Tonfall der lieben Nachbarn? Mich haben Hiddenseer angesprochen, mit denen ich im Leben noch kein Wort gewechselt habe, geschweige, dass sie mal hier im Kino waren.“

„Ist Ihnen noch etwas eingefallen? Haben Sie vielleicht doch Peter Stein gestern Abend hier gesehen?“

Dora Ekkehard beugte sich nach einer weiteren leeren Flasche. „Dass die Leute die Dinger nicht einfach in die Kästen stellen können“, fluchte sie.

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25 mayıs 2021
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