Kitabı oku: «Der siebte Skarabäus», sayfa 3

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Ich war zehn Jahre alt, als ich lernte, alleine mit dem Schmerz umzugehen. Vater erkrankte an einer Depression und Mutter reagierte darauf auf ihre eigene Art: Sie flüchtete sich ihrerseits in Krankheiten.

Wie die meisten Kinder spazierte ich von der Schule nach Hause, als hätte ich alle Zeit der Welt. Begeistert rannte ich los, als ich einen Krankenwagen vor unserem Haus sah. Was für ein Glück, hautnah eine Katastrophe mitzuerleben!

Doch es war meine Mutter, die sie einluden.

Niemand erklärte mir, was geschehen war und keiner fragte, ob ich Trost brauchte.

Die Schuld suchte ich bei mir und nahm an, meine Mutter habe mich sattgehabt. Alleine und verängstigt vergrub ich mich im kindgerechten Zimmer mit der Märchentapete, der rosa Rüschendecke und den dazu passenden Vorhängen, und drückte Parzival, meinen malträtierten Teddy, an mich. Ich weinte aus tiefster Seele. Es schüttelte mich, und ich schrie meine Verlassenheit hinaus, doch niemand erschien.

Wissen, keine Hilfe zu erhalten, verkroch ich mich noch tiefer in mich und hörte damit auf, Hilfe zu erwarten.

Die Zeit des Narren war vorüber und die nächste Karte übernahm.

„Die Hohepriesterin“. Sie lehrte mich, auf die Intuition zu achten.

Nach Vaters Genesung zogen wir in eine andere Stadt, weg von Titus. Kein Lehrer nach ihm vermochte noch Respekt in mir zu erzeugen, was sich negativ im Zeugnis niederschlug.

Bildung war für mich bloß eine lästige Begleiterscheinung der Kindheit, für die ich keine Zeit opfern wollte.

Dubrovnik, 2. Oktober

George Bernard Shaw schrieb: „Wer das Paradies auf Erden sucht, sollte nach Dubrovnik reisen.“

Die Stadtmauer wurde im 13. Jahrhundert vollendet. Sie erreicht eine Länge von 1940 Metern, eine Höhe von 25 Metern und ist bis zu sechs Metern breit. Darüber wälze ich mich in einer Masse von Touristen. Manchmal erhasche ich einen spektakulären Blick über Dalmatien, doch meistens kämpfe ich um einen sicheren Platz für meine Füße auf Schwellen, die während Jahrhunderten durch zahllose Fußtritte abgeschliffen und poliert wurden.

„Nicht alles war schlecht im Sozialismus“, erklärte mir Aram einst. Sicher hatte er damit gemeint, dass es damals noch Platz auf der Mauer gab, um sich hinzusetzen.

Ich sehe ein kleines Tor. Eine steile Treppe führt auf eine Plattform, und ich bin alleine. Fast, denn ein Einheimischer sitzt an einem Tisch und bietet mir Tee an.

Schlaf brachte mir die erste Nacht wenig. Einsam fühlte ich mich. Sie hatte sich anders entwickelt als in meiner überbordenden Fantasie.

An diesem Ort bin ich ihm nahe. Hier kämpfte er vor mehr als 40 Jahren gegen imaginäre Gegner und trainierte für seine neue Schule, die sich nicht wie erhofft als Schwertkampfausbildungsstätte erwies, sondern als Drillanstalt für Knaben.

Das wilde Kind mit Kriegergenen bis unter die Schädeldecke wurde gezähmt. Teilweise.

Heute sind seine Gene schwächer geworden, doch noch immer bestimmen sie sein Denken. Krieger akzeptieren nur Sieg oder Niederlage, schwarz oder weiß, ja oder nein. Zuerst der Kampf, dann das eigene Leben. Sie sind nicht die einfachsten Partner, dafür der Liebe treu bis in den Tod.

Der Magier, Karte I der Heldenreise

Wie oben, so unten.

Alle Völker besitzen in der Mythologie zwei Elternpaare. Die Himmlischen sowie die Irdischen. Sie verkörpern die Polarität. Urprinzipien wie männlich – weiblich; hell – dunkel; Gut – Böse; Yin - Yan.

Der Magier gilt als unser göttlicher Vater. Er besitzt die magischen Werkzeuge des Tarots, welche die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde symbolisieren, unsere Bausteine der materiellen Welt, und verkörpert den aktiven Teil in uns. Die Karte erscheint, um dem Leben eine Richtung zu geben, Ziele zu setzen, Einsichten und Ideen zu erlangen.

Unseren Weg starten wir mit den Werkzeugen, die uns der Magier zugeteilt hat. Auf ihrer Heldenreise fallen die einen durch die Maschen des Glücks, andere werden von Personen geleitet, die sie weiterentwickeln oder in ein psychisches Gefängnis sperren, aus dem sie nicht mehr herausfinden. Oft erreichen nur diejenigen ihr Ziel, die über Kraft und Willen verfügen.

***

Aram

Aram erhielt alle Werkzeuge des Magiers. Die Entbehrungen lehrten ihn Bescheidenheit, die Armut verlieh ihm einen eisernen Willen.

Mit zwölf Jahren verließ Aram seine bisherige Welt, um eine fremde zu betreten. Schweren Herzens ließ er eine weinende Mutter, wehklagende Tanten und erleichterte Onkel zurück, die ihn mit vielen Anweisungen in einen Zug steckten.

„Vergiss nicht, wo immer du auch hingehst, du bleibst für alle Zeiten mein Sohn. Versprich mir, dass du zurückkommst, sobald du deine Schule beendet hast“, schluchzte seine Mutter.

Alle drückten sie ihren Liebling, diesen Teufel, den sie insgeheim bewunderten, fest an die Brust.

Vom ersten Anblick an liebte er Kroatien. Obwohl noch ein Kind, war er bereits fähig, die außergewöhnliche Schönheit dieser Landschaft aufzunehmen.

An den Wochenenden wurde Dubrovnik sein Zuhause, denn seine Schule war nicht weit davon entfernt, und hier wohnte einer der zahlreichen Verwandten.

In den 60er Jahren startete in Europa eine neue Völkerwanderung. Nicht die Hunnen vertrieben die Völker, sondern der Hunger. Oft nur mit einem Gebet im Gepäck verließen sie ihre Heimat. Jeder Mensch besitzt das Recht auf einen Platz an der Sonne, und Arams Familie lebte auf der Schattenseite. Alles, was sie besaßen, waren viele Kinder und leere Mägen. Auch sie suchten eine Zukunftsperspektive und strebten nach ein bisschen Glück.

Zuerst verteilten sich die Albaner in Jugoslawien, bevor etliche weiterzogen. Mit ihnen verließen nicht nur die Guten ihr Land.

Tito verspürte den Wunsch, den Staat verbrecherfrei zu halten. Das war schwierig, denn Jugoslawien neigte dazu, die brutalsten Kriminellen hervorzubringen. Tito schloss mit der Unterwelt einen Pakt: „Ihr könnt nach Belieben agieren, und wir drücken beide Augen zu. Aber arbeitet gefälligst im Ausland.“

Gewalt war nicht erwünscht. Es sei denn, sie wurde vom Staat ausgeübt. Die Verbrecher durften jederzeit straffrei zurückkehren. Sie bauten prunkvolle Häuser an der Adria, wo sie sich von ihren anstrengenden Geschäften im nahen Ausland erholten. Doch vor allem brachten sie Devisen und spendeten an die richtigen Stellen.

In den Westen kamen Männer, die unter unsäglichem Heimweh litten und auf den Bahnhöfen herumstanden, um mit den abfahrenden Zügen zu träumen.

Von der Wirtschaft gewünscht, von der Bevölkerung verachtet, denn der Westen bewundert gerne diejenigen, die es zu etwas gebracht haben und nicht, wer noch mehr leisten muss, nur um zu überleben.

Auch seine Familie verteilte sich, wodurch er an den Wochenenden bei einem Onkel in Dubrovnik wohnen durfte. Mitglieder einer Großfamilie mit eisernem Gastgebergesetz finden überall Unterschlupf. Drei Monate ließen sie ihm Zeit, im zwanzigsten Jahrhundert anzukommen und Kroatisch zu lernen, bevor die Schule begann.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er seine Armut mit stoischem Gleichmut ertragen. Er hatte sich nie nach einem anderen Leben gesehnt. Er kannte kein anderes. Doch jetzt beanspruchte er den Magier. Er verlangte mehr und erhielt es in Form von Hosen, die bis zu den Knöcheln reichten, und von Schuhen, seinen ersten Schuhen. Mit ihnen an den Füssen konnte er sogar schmerzfrei Fußball spielen.

Durch diesen unglaublichen Reichtum litt er nie unter Heimweh.

Stolz auf seine Füße blickend erkundete er die Gegend. Die setzen doch tatsächlich in der Stadt Stühle hin!

Er beschloss, seinem Onkel eine Freude zu bereiten und ihm eine Bank mitzubringen. Da sie sich nicht abmontieren ließ, auch nicht mit Kraft, legte er sich erstmal hin. Den Blick durch die Bäume gegen den Himmel gerichtet verspürte er ein Glücksgefühl, das er fest in sich einschloss.

Die Stadtmauer war sein neuer Spielplatz. Die ideale Kulisse für einen Jungen mit Kriegergenen, um seinen Fantasien freien Lauf zu lassen und die Festung vor imaginären Feinden zu verteidigen. Ununterbrochen rannte er den zwei Kilometer langen Wehrgang entlang. Überzeugt davon, an der Kadettenschule im Schwertkampf ausgebildet zu werden, begann er schon mal zu trainieren, und suchte sich dafür die taktisch vorteilhaften Stellen aus.

In seinen Gedanken wurde er zu Achilles, zu Jason, zu Hektor, ohne je von ihnen gehört zu haben, denn Mythen entspringen dem Unterbewusstsein. Er begab sich auf die Suche nach dem goldenen Fließ, und seine Argonauten folgten ihm bedingungslos.

Die Mädchen auch. Langsam erblühten seine Hormone und zu den Träumen gesellte sich eine wunderbare Frau.

Von sanftmütigem Wesen war sie, so blond wie er schwarz, herrlich duftend erwartete sie ihn, wenn er siegreich aus der Schlacht zurückkehrte. Niemand würde es wagen, ihr zu nahe zu treten, denn sein Schwert wäre bekannt. Für keinen König würde er so erbittert kämpfen wie für sie, seine Königin.

Genügend Zeit für Träume besaß er. Er musste nicht mehr auf dem Feld arbeiten, keinen blöden Büffeln nachrennen, nur weil er kurz anderweitig beschäftigt war. Alles versetzte ihn in Euphorie. Das herrliche Panorama über dem Meer, die aromatischen Düfte, die Männer in den Kaffees, die darauf warteten, dass ihre Frauen gekocht hatten.

Drei Monate gewährten sie ihm, in der fremden Sprache Fuß zu fassen. Arams Onkel fotografierte jeden Gegenstand und notierte auf der Rückseite des Bildes das betreffende Wort auf Kroatisch. Diesen Stapel trug er immer bei sich und büffelte auf Parkbänken, denn lernen war seine zweite Leidenschaft.

Bald besaß er eine Menge Spielkameraden aus jeder Glaubensrichtung. Niemand kam auf den Gedanken, ihnen den Umgang untereinander zu verbieten. Ethnien oder Religionen waren bedeutungslos. Sie wuchsen zusammen auf, spielten zusammen, feierten zusammen.

Nach drei Monaten steckte ihn sein Onkel mit denselben Anweisungen, die er schon in seiner Heimat über sich rieseln ließ, in den Zug. Die so ersehnte Internatsschule begann.

Wieder begleitete ihn niemand bis zum Zielort. Dazu bestand auch keine Notwendigkeit, denn wer in der Wildnis aufwuchs, verfügte über ein eingebautes GPS.

Die neue Stadt versprach aufregendes. Vor allem Bänke, die getestet werden mussten. Weil sie sich so herrlich anfühlten, übernachtete er darauf, und am nächsten Morgen erkundete er erst mal die Stadt, bis es Zeit für eine weitere Nacht auf einer Bank wurde.

Ohne jegliches Schuldgefühl trudelte er mit zwei Tagen Verspätung in der Schule ein. Nicht ganz freiwillig, die Polizei half ein wenig nach und bald wurde ihm klar, dass seine erste Lektion nicht wie erwartet am nächsten Morgen im Schulzimmer stattfand.

Trotz der Abstrafung wähnte er sich im Paradies. Lediglich ein wenig Bauchschmerzen plagten ihn zu Beginn, da er zu hastig und ohne Grenzen aß. Es dauerte seine Zeit, bis er begriff, dass er sich jeden Tag satt essen durfte.

An einem Tisch zu sitzen hatte er bereits beim Onkel gelernt, doch das Besteck hielt er wie Heugabeln in den Händen. Er verstand es besser zu kämpfen, als mit Messer und Gabel umzugehen.

Was die verwöhnten Kinder aus gutem Hause als eine düstere Anstalt ansahen, bewunderte er als üppige Pracht. Die Schüler weinten in der Nacht, er schlief selig, denn mit 80 Kindern in einem Raum zu liegen, kannte er bereits. Bitter klagten die Schüler über die harten Betten mit Kissen aus Stein.

„Willst du meins? Es fühlt sich an wie eine Wolke. Ich schlafe auch gerne auf dem Boden“, bot er ihnen an.

Die Tradition der Älteren, Neuankömmlinge zu piesacken, schaffte er gleich in der ersten Nacht ab.

Weil ihnen seine wilden Locken missfielen, drangen sie in der Nacht in den Schlafsaal der Jüngsten ein. Sie waren zu fünft. Vier sollten ihn festhalten, während ihm der Fünfte den Kopf rasierte. Es kam anders. Am nächsten Tag versuchten sie, ihre mehr oder minder starken Blessuren zu verheimlichen. Aram allerdings hatte kaum welche, und seine Locken wurden zu gegebener Zeit ordentlich vom Hausfriseur gestutzt.

Durch den neu erlangten Respekt bei seinen Kollegen besaß er ein hochgehandeltes Tauschmittel: Kampfbereitschaft gegen schulisches Wissen.

Jugendliche aus allen Landesteilen und kulturellen Schichten waren seine Kameraden. Von ihnen lernte er, Dialekte auseinanderzuhalten und nachzusprechen, eignete sich Redewendungen an, die weder in Wörterbüchern zu finden waren, noch sich übersetzen ließen. Er verinnerlichte sich Sprachmelodien, die auf keiner Universität gelehrt wurden, die jedoch unverzichtbar waren, wollte er als einer von ihnen gelten.

Dank seiner Beobachtungsgabe erkannte er, dass jede Herkunft eine eigene Körpersprache auswies. Aram begann, die Ausdrucksweise und Haltung anderen Kinder zu imitieren, wobei er sein schauspielerisches Talent entdeckte.

Wie ein Schwamm sog er alles Wissen auf. Sein Verstand arbeitete doppelt so schnell wie der der Mitschüler, und Informationen verschlang er wie andere Süßigkeiten. Aus jeder beantworteten Frage entstanden vier Neue. Er lernte nicht für die Schule, er lernte für sich. Auch wenn er sich von den anderen abzuheben begann, weil seine Leistungen bald über dem Durchschnitt lagen, so unterschied ihn in der körperlichen und charakterlichen Entwicklung nichts von den anderen Jungs. Auch er mühte sich mit den typischen Problemen seiner Altersgruppe ab: Pickel, Liebeskummer, Lehrer.

Und bald wurde er zum stolzen Träger des wichtigsten Pokals: Er siegte im Wettbewerb als Frauenheld.

Mit 18 Jahren schloss er die Schule ab, in der Kinder zu Soldaten gedrillt und ihnen eingeimpft wurde, dem Vaterland mit Hingabe bis in den Tod zu dienen.

Aram absolvierte anschließend die Rekrutenschule, wobei er für zwölf Monate verpflichtet wurde. Ein Jahr lang unterwiesen sie ihn im perfekten Putzen.

Im Osten lernen die Rekruten, Bügelfalten so zu bügeln, dass sie damit Zwiebeln schneiden können, die Schuhe so blank zu polieren, dass man sich darin spiegelt. Den Umgang mit Waffen beherrschen sie seit ihrer Kindheit. Ist Teil ihrer DNA.

Im Westen lernen die Rekruten, eine Waffe zu laden, ohne sich dabei selbst zu erschießen. Ordnung zu halten beherrschen sie seit ihrer Kindheit. Ist Teil ihrer DNA.

Im Militär wird beides benötigt.

Sie polierten, marschierten, salutierten und versuchten, irgendeinen Sinn darin zu finden. Aram langweilte sich. Exerzieren kannte er bereits seit seinem 12. Lebensjahr.

Ein weiterer Schwerpunkt seiner Ausbildung war das Abzählen der Granaten in russischer Sprache. Sie zu handhaben bereitete weniger Schwierigkeiten, einfach wie Steine werfen. Eine Technik, die seit Jahrhunderten im Osten perfektioniert wurde.

Mit 19 Jahren begann Aram in der Militärakademie mit der Ausbildung zum Elitesoldaten und Offizier. Diese war anspruchsvoller als das Polieren von Schuhen.

Die Werkzeuge, die ihm der Magier mitgab, hatte er getestet und seinen Platz gewählt. Jetzt beanspruchte er einen Meister, der ihn ausbildete.

Die Hohepriesterin, Karte II der Reise

Die Symbolik führt uns zurück in eine Zeit, in der sich die Menschen dem Ursprung nahe fühlten. Damals herrschte SIE, die große Göttin, Mutter allen Lebens, Herrin der Tiere, des Korns und der Fruchtbarkeit.

Das Männliche gilt für das Trennende, das Weibliche für das Verbindende. Weibliches Denken ist mit Gefühlen verbunden, männliches auf Eindeutigkeiten ausgerichtet.

Es ist die Karte des Unbewussten, der Heiler und Seher. Die Karte der nicht erklärbaren Kräfte, der Weisheit, der Intuition. Die hohe Priesterin ist empfänglich und meditativ. Sie ermahnt uns, aus der Tiefe der Seele zu schöpfen. Aus der Stille vermögen wir die Probleme, mit denen wir kämpfen, in einem anderen Licht zu sehen. Sie erschließt verborgene Talente und Gaben.

***

Mara

Die Oberstufe bescherte uns eine Lehrerin, die wir als unausstehlich altmodisch empfanden. Für sie waren Frauen in Hosen der Beginn des Zerfalls von Anstand, und entschlossen kämpfte sie gegen die Invasion der Sittenlosigkeit. In Jimmy Hendrix sah sie den Anti-Christen, der den Untergang des christlichen Abendlandes einläutete. Die Jugendzeitschrift „Bravo“ galt als ein Werk des Teufels.

Sittsam rodelten wir im Winter im Rock den Hang hinunter, und auf der Schulreise kletterten wir im Faltenjupe über einen Gletscher, wobei uns die Jungs den Vortritt ließen.

Ich beschloss, sie nicht zu mögen, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Zum Glück bestand die Schule nicht nur aus dem „Fräulein“, wie wir sie respektvoll anreden mussten. Da ich dort auch auf Freunde traf, fand ich sie ganz erträglich. Zudem bot sie mir die Gelegenheit, mir mein Soll an sozialen Begegnungen zu erarbeiten, weil mir das Leben in den Büchern dazu keine Zeit ließ. Während den Schulstunden pflegte ich mein Netzwerk, indem ich Zettelchen herumreichte.

Die Schulfächer Geschichte und Deutsch entschädigten mich für weitere Unannehmlichkeiten. Bei den übrigen schaltete ich ab, bis das Gesicht der Lehrerin verschwand und nur noch Geräusche zu hören waren. War die Stunde um, hatte ich mich mit Helden umgeben und mich im Labyrinth meiner Gedanken verloren.

Fremdsprachen hasste ich und fand wirklich keine Zeit, Vokabeln zu büffeln. Meine Fantasiewelt und Bücher beanspruchten mich bereits rahmenfüllend. Ich hatte begonnen, richtige Romane zu lesen. Die von der Art, die möglichst niemand bei mir finden sollte.

Die erzwungenen Samstagnachmittage bei den Pfadfindern empfand ich als verlorene Zeit, und auch andere organisierte Gruppentätigkeiten waren für mich höchst lästig.

Tagträume gehörten weiterhin zum Alltag, aber nicht mehr ausschließlich. Ich vollzog eine Abspaltung. Danach zwei Existenzen zu führen, war zeitaufwendig.

Schreiben liebte ich. Fräuleins Aufforderung, unsere Berufswünsche auszudrücken, befolgte ich begeistert.

Tags darauf retournierte sie die Aufsätze. Damit ließ sie uns nie lange im Regen stehen. Wie hätte sie auch sonst ihren Abend füllen sollen?

Mit dem Stapel Hefte in der Hand schritt sie den Gang zwischen den Bänken entlang, bekleidet mit dezentem Twin-Set aus Kaschmir, das von einer Perlenkette veredelt wurde und kariertem Faltenrock. Die Füße in beigen Gesundheitsschuhen, das Haupt gekrönt mit Lila getönter, exakt modulierter Frisur, die mich an einen Entenpopo erinnerte.

Damit wir auch informiert blieben, wer hervorragend abgeschnitten und wer versagt hatte, verteilte sie die Prüfungen dem Rang nach, der sich nie veränderte.

„Sehr gut. Lukas. Du möchtest in die Fußstapfen deines Vaters treten und Bundesrichter werden. Lobenswert.“

Lukas senkte peinlich berührt den Kopf.

„Wie immer präzise, Esther. Du wirst bestimmt eine ausgezeichnete Lehrerin.“

Der harte Kern unserer Clique bezweifelte das keinesfalls. Sie war jetzt schon gekleidet wie das Fräulein.

Und ganz zum Schluss knallte sie mir das Heft hin mit den Worten: „Du willst Autorin werden, hä? Dazu benötigst du aber mehr als nur die zwei halben Sätze, die du zustande bringst.“

Sie verstand sich nicht gut mit meinem Vater, was alles erklärte.

Leider glaubte ich ihren Worten und beschloss, mich einem Beruf zuzuwenden, der über bereits geschriebene Bücher verfügte.

Die mögliche Berufswahl interessierte uns ohnehin nicht ernsthaft. Sie war bloß eine natürliche Abfolge der Entwicklung: Schule, Beruf, Heirat, Kinder. Wir hatten sogar schon Namen für den Nachwuchs, sammelten Fotos von Brautkleidern für unsere Traumhochzeit, und erforschten in ersten Versuchen das andere Geschlecht. Dabei bewerteten wir die Jungs auf einer Skala von eins bis zehn.

Auf der Skala der Gegenpartei hatte ich einen gehobenen Stellenwert, aber mich fesselte nur der zukünftige Bundesrichter. Die anderen Mädchen auch. Wir prügelten uns beinahe darum, wer sich neben ihm aufhalten durfte. Lukas verteilte seine Aufmerksamkeit wechselnd, so dass ich früh in die Leiden der Liebe eingeführt wurde.

Im dritten Jahr stand ein Besuch bei der Berufsberatung auf dem Schulplan, in Begleitung der Eltern. „Eltern“ hieß in meinem Fall „Vater“. Mutter fühlte sich nie angesprochen.

Nach Tests, bei denen meine Stressresistenz geprüft wurde, da mir mein Vater über die Schulter guckte, bemerkte ein besorgter Psychologe: „Das Mädchen ist nicht geerdet. Sie zeichnet den Baum ohne Wurzeln. Und was die fehlenden Blätter bedeuten, kann ich nicht entschlüsseln.“ Besorgt schüttelte er den Kopf.

Da ich im Erarbeiten solcher Tests noch jungfräulich war, nahm ich an, meine künstlerischen Fähigkeiten würden getestet. Detailgetreu kopierte ich die Eiche vor dem Fenster und zufällig war es Winter, womit Blätter überflüssig wurden. Dieser Fehler unterlief mir kein zweites Mal. Von diesem Tag an konnten sich meine Bäume auf überlange Wurzeln verlassen.

„Was sind deine Wünsche, was hast du für Pläne?“, fragte der Beauftragte des BIZ.

„Ich möchte Bibliothekarin werden“, teilte ich bestimmt mit. Autorin fiel ja weg.

Entsetzt rief er: „Willst du wirklich ein vertrockneter Blaustrumpf werden, so eine alte Jungfer?“

Anscheinend hatte er traumatisierende Erfahrungen mit Bibliothekarinnen hinter sich. Als Jungfer wollte ich mit Bestimmtheit nicht enden, und auch meinem Vater gelang es nicht mehr, diese Aussage gerade zu biegen.

In der Stammbuchhandlung meines Vaters absolvierte ich daraufhin eine Schnupperlehre. Da ich mich sittenwidrig benahm, bekam ich die Lehrstelle nicht. Mein Vergehen war das Aufeinandertreffen mit meinem Nachbarjungen, der mich abends vor dem Geschäft abpasste. Er langweilte sich ohne mich. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, das bereits Umgang mit Jungs pflegte, war für den Ruf der Buchhandlung nicht tragbar.

Es war wirklich an der Zeit, die 68-iger Revolution vom Stapel zu lassen.

Vater suchte sich eine neue Stammbuchhandlung, und ich wurde auf Anraten von Fräulein, wenn auch widerwillig, für die Aufnahmeprüfung des Gymnasiums angemeldet.

„Sorgen Sie dafür, dass Mara endlich lernt“, war ihr Rat an Vater gewesen.

Ich? Lernen? Ja wann denn? Wie denn?

Über Jahre hatte ich es zustande gebracht, nur selten meine Hausaufgaben zu erledigen. Eigentlich bemerkenswert.

Ich bestand nicht und durfte das Fräulein noch ein weiteres Jahr ärgern.

„Mara, hör auf, mit dem Stuhl zu wippen. Konzentrier dich. Hast du nichts aus deinem Scheitern bei der Prüfung gelernt?“

Diesen Satz hörte ich vom Fräulein verlässlich bis zum letzten Schultag.

Weiterhin überraschte sie uns mit unangemeldeten Tests oder mit Arbeiten, für die wir keine Gelegenheit bekamen, uns vorzubereiten.

„Nehmt eure Deutschhefte hervor. Wir beschreiben den Traum der letzten Nacht“, eröffnete das Fräulein die Deutschstunde.

„Wieso wir?“, fragte ich meine Banknachbarin. „Schreibt die Kuh auch? Träumen Kühe überhaupt?“

„Mara! Willst du, dass ich deinem Vater melde, dass du den Unterricht störst?“

Wollte ich nicht. Meine Generation fürchtete noch die elterliche Strafpredigt.

Während Fräulein die Gänge auf und abschritt, damit alles seine Richtigkeit behielt, begannen wir, unseren Traum zu schildern.

Meine Kollegen verdrehten die Augen - mehr Tumult wurde nicht zugelassen – nur ich schrieb begeistert. In der vergangenen Nacht hatte ich von einem Jadeskarabäus geträumt, der sich im Besitz meiner Großmutter befand.

Er erschien mir oft im Traum und es fühlte sich nie wie eine Illusion an. Es fühlte sich an wie die Wirklichkeit - die Geschichte vom ersten Skarabäus.

Mein Name ist Majda und ich lebe zur Zeit des großen Pharao Horemheb I. Vor mir sehe ich den Tempel der hunderttorigen Stadt Theben.

Die Größe des Tempels und sein unermesslicher Reichtum beeindrucken mich zutiefst. Um mich herum drängen sich unzählige Personen aus allen Gesellschaftsschichten, Hautfarben und verschiedenen Sprachen nach vorne, die für ihre Geschäfte beten und Gott Amun danken, indem sie ihm Geschenke niederlegen. Diese Pracht, die wertvollen Schätze, der Duft der Öle und Weihrauch überwältigen mich. Priester mit Goldfäden durchwirkten Gewändern und Edelsteinen besetzten Kragen sorgen für Ordnung. Die Macht der Priester ist gewaltig. Sie deuten Träume, prophezeien Voraussagungen über die Ernte und warnen vor Katastrophen.

Auch ich bin hier, weil ich zu den Göttern beten möchte, damit sie mir meinen Gatten heil zurückbringen. Heute Morgen legte ich mir den besten Kragen um und salbte mich mit teuren Ölen, um die Götter nicht zu erzürnen.

Nachdem der alte Pharao gestorben ist - die Götter mögen ihm gnädig sein und ihm den Zutritt ins Land des ewigen Lebens gewähren - haben Unruhen das schwarze Land erreicht. Die angrenzenden Völker greifen uns an. So geschah es immer nach dem Tod eines Herrschers und so wird es immer sein, denn der Mensch ändert sich nie, nur seine Kleidung, die Art zu leben oder seine Sprache wechselt.

Mein Mann wird sie zurückdrängen. Er gilt als der fähigste Heerführer Ägyptens. Furchtlos wie ein Löwe ist er, bissig wie eine Schlange und misstrauisch wie ein Schakal. Nur zu mir ist er sanft wie eine Taube.

Bevor er mich verließ, übergab er mir ein Geschenk. Ein Skarabäus aus wertvollem Jadestein, den ich jeden Tag ehre, mit teuren Ölen salbe und in meinem Grab unter den Leinenbinden auf dem Herzen tragen werde.

Meine Eltern sind nicht reich, aber auch nicht arm, wir besitzen Nahrung, Kleidung und Ehrfurcht vor den Göttern. Mein Vater arbeitet als Schreiber von Totenbüchern. Ein anständiges Totenbuch kostet sechs Monatslöhne, aber seine Kunden sind nicht in der Lage, viel zu bezahlen, denn sie haben nicht genug zum Leben. Mein Vater hat Mitleid mit ihnen. Wer kein Totenbuch im Grab hinterlegt, hat keine Anleitung, wie sein Leben im Jenseits verlaufen soll. Er braucht diese Zaubersprüche und Beschwörungsformeln gegen die bösen Geister auf der Reise ins ewige Leben.

Durch meine Heirat hat sich unser Dasein verbessert. Jetzt wohnen wir in einem Haus aus Stein mit etlichen Zimmern und nicht mehr in einer Lehmhütte. Meine Mutter bezahlt eine Wäscherin und Wasserträger, die ihr das beste Wasser aus dem Nil in die Küche tragen.

Vor dieser Zeit sind wir jeden Morgen in der kühlen Stunde zum Nil gelaufen. An einer geschützten Stelle, an der weder Krokodile noch die Blicke der Männer uns störten, badeten wir. An einem Tag ließ meine Mutter mich alleine, denn sie stand unter dem Bann des roten Mondes.

Als ich das Wasser verließ, sah ich ihn. Schön wie ein Gott wartete ein junger Mann auf mich, umgeben vom strahlenden Licht der in seinem Rücken aufgehenden Sonne. Er trug einen Speer in der Hand, was ihn als Soldaten des Pharao auswies. Ich fürchtete mich nicht, sondern fragte ihn nach seiner Herkunft, denn er sah anders aus als unsere jungen Männer. Seine Gestalt war kraftvoll wie die eines Löwen und seine Blicke blitzten. Neidisch dachte ich an die Frauen, denen er die Einsamkeit vertrieb. In gebrochenem Ägyptisch, das von fremden Worten durchsetzt war, sagte er: „Ich komme aus Syrien. Mein Name ist Ariid der Kampfkommandant.“

Du bist kein Kommandant, du trägst einen Speer, keine Peitsche, schon gar nicht eine goldene“, antwortete ich verärgert.

Du verstehst nicht. Ariid der Kampfkommandant. So lautet mein Name. Ich bin hier, um mich in die Dienste des Pharaos zu begeben. Ein Traum hat es mir befohlen. Darum bin ich in das Haus des Lebens eingetreten, um das Handwerk der Offiziere zu erlernen.“

Misstrauisch musterte ich ihn. „Was ist mit deinen Füßen geschehen?“

Sie steckten sie in Sandalen, die ich nicht gewohnt bin. Sie sind voller schmerzender Blasen.“

Komm mit mir, ich verstehe mich auf die Kunst des Heilens.“

Es stimmt, ich besitze das Wissen, das mich unter Berücksichtigung des Standes vom Mond und den Sternen Kräuter für die Zubereitung von heilenden Extrakten pflücken lässt. Ich kenne auch die richtigen Zaubersprüche, wenn die Tinkturen nicht helfen.

Doch in Wahrheit wollte ich den jungen Gott nicht mehr ziehen lassen. Dieser Mann gehörte zu mir.

In unserem Haus wurde er zuerst mein Patient, dann mein Geliebter. Als seine Wunden geheilt waren, verließ er mich mit schwerem Herzen.

Ich weiß, dass ich als Befehlshaber über viele bestimmt bin. Ägypten und Syrien werden mich brauchen. Ein Traum hat es mir erzählt. Gib mir ein Mittel, mit dem ich meine Liebe besiegen kann, eins, das mein Herz zu Stein macht und mir Ruhe vor dir schenkt, damit ich ins Haus des Lebens zurückkehren kann und zum Offizier ausgebildet werde“, bat er mich.

Ich gab ihm eine Medizin, aber ich log ihn an. Es war Granatapfeltee.

Jeden Morgen erwachte ich, wenn Amun in seiner goldenen Barke über den Himmel ruderte, doch trotz der Sonnenstrahlen war mein Herz kalt wie Asche. Nur in Ariids Armen fühlte ich grenzenloses Glück.

Erst viele Monde später sah ich ihn wieder. Schließlich kam der Tag, an dem er in königlichen Linnen gekleidet, mit durch eine schwere Goldkette geschmücktem Hals und einer Peitsche in der Hand - das Zeichen für die erlangte Offizierswürde - in unsere Lehmhütte trat. Er legte meiner Mutter sein Kleiderbündel vor die Füße, wodurch wir als verheiratet galten.

Ein Offizier verdient gutes Gold. Er kaufte uns ein geräumiges Haus und für die Eltern das kostbarste Gut: eine Grabstätte. Damit war ihre Unsterblichkeit, ihr Sein im ewigen Leben gesichert.

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