Kitabı oku: «Der siebte Skarabäus», sayfa 4

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Ariid und seine Soldaten bewachten den Pharao. Seit 40 Jahren herrschte kein Krieg mehr. Inzwischen fürchtete Ariid einen Angriff, weil seine Männer schwach und verweichlicht waren und nicht mehr zu kämpfen vermochten.

Doch dann bat Syrien um Hilfe, um die Wüstenvölker zurückzudrängen. Ariid trieb seine Soldaten unbarmherzig durch das heiße Land, damit sie zu erschöpft waren, um vor der Schlacht zu fliehen.

An der Spitze seiner Armee führte er die Männer gegen den Feind. Er war furchtlos, denn sein Gott schützte ihn, da er noch für große Taten gebraucht wurde.

Als Held und als Sieger kehrte er zurück. Seither trägt er eine goldene Peitsche und Sandalen mit golddurchwirkten Riemchen, die ihn als Heerführer ausweisen.

Doch Ariid zog erneut in den Krieg. Nubien greift uns an.

Ich fürchte mich, denn nie würde sich Ariid, wie das bei Führern üblich ist, in einer Sänfte hinter dem Heer hertragen lassen. Deshalb bete ich im Tempel.

Fräulein beurteilte den Aufsatz als: „Absoluten Blödsinn.“

Zusammen mit dem ersten Hormoncocktail wurde nicht nur ich reifer, sondern auch mein unsichtbarer Freund älter, und wir verliebten uns. Den ersten Kuss bekam ich von ihm, und er küsste herrlich. Er war mein unbesiegbarer Krieger, wurde zu einem jener Helden, mit denen ich aufwuchs. Verstohlen suchte ich auch außerhalb der Traumwelt nach ihm.

„Ich werde einmal einen schwarzhaarigen Mann heiraten“, erklärte ich meiner Mutter.

„Na ja“, antwortete sie. „In deinem Alter träumte ich von einem blonden Gladiatoren, und geheiratet habe ich einen dunkelhaarigen Schweizer.“

Mutter wuchs in Italien auf, was ihren Wunsch nach einem blonden Mann erklärte.

Demnach wäre meine Muttersprache Italienisch gewesen. Wäre! Leider benutzten meine Eltern sie nur, wenn sie sich uneinig waren. Das wiederum verstand ich bald und ich lernte ziemlich gut, auf Italienisch zu schimpfen; in Italien durchaus brauchbar. Die Muttersprache meines Vaters war hingegen Französisch, aber auch davon übernahm ich nur die wenigen Brocken, die in unseren Alltag Einzug fanden.

„Contenance, je te prie.“

„Devant! Devant les enfants.“

Im gleichen Alter, in dem Mädchen in anderen Kulturen bereits verheiratet waren, weil sie als reif für die Ehe erklärt wurden, sobald sie kochen gelernt hatten, suchten wir noch heimlich Antworten und fühlten uns dabei verderbt. Wir wurden nie aufgeklärt und es wurde mit aller Macht dafür gesorgt, dass wir das nicht selber tun konnten.

Meine Antworten suchte ich in Büchern, und diese begleiteten mich auch bis unter die Schulbank. In der Folge konfiszierte das Fräulein den Roman „Lady Chatterley“ mit deutlichen erotischen Passagen, die mich begeisterten. Damals galt das Buch als pornografisch und schaffte es bis vor Gericht. Eine unbezahlbare Werbung! Heute würde es bestenfalls als Diskussionsbasis für Zwölfjährige dienen.

Der von der freudig empörten Lehrerin herbeizitierte Vater fragte: „Wieso wissen Sie denn, dass es sich um Pornographie handelt?“

Nicht gerade eine diplomatische Meisterleistung.

In vielen Ländern gilt Sexualität als ebenso existentiell wie essen und trinken. Nur im Westen dezidierte sie die Kirche im Laufe der Jahrhunderten zur Sünde.

Da wir dieser Verlockung nur schwer widerstehen können, floss der Ablass zufriedenstellend. Auf diese Weise gewährleistete der Klerus das Fortbestehen der kirchlichen Pracht. Um mit gutem Beispiel voranzuschreiten, müssen bis heute die Würdenträger der katholischen Kirche durch das Zölibat leiden.

Mit der Zeit änderte sich auch bei uns dieses Dogma. Die sexuelle Revolution startete gerade rechtzeitig. Ich half eifrig mit, demonstrierte gegen Atomkraft und die Pelzindustrie, kleidete mich in scheußlich bunt gehäkelte Gewänder, knüpfte Makramee, flocht Blumen ins Haar und begann als Zeichen der Ablehnung des Systems zu Rauchen. Was ich am System ablehnte, wusste ich nicht so genau.

Die Hohepriesterin zeigte mir meine Intuition, die mich noch während vielen Jahren verwirrte, da ich alle von mir erahnten Vorkommnisse für eine Anhäufung von Zufällen hielt.

Sie schenkte mir die Gabe des Zuhörens, der Ruhe und des Beobachtens.

Dubrovnik, 3. Oktober

Nach einem kleinen Lunch mit schweizerischen Preisen besuche ich das Hotel Palais. Ende des 19. Jahrhundert erbaut, thront das Gebäude in einer Gegend mit prächtigen Villen. Die k. u. k. Monarchie lässt grüßen.

Die Luft ist mild und samtig, Citrus- und Feigenbäume tragen reiche Ernte. Im Garten, der sich über weitläufige Terrassen bis zum Meeresspiegel erstreckt, warten unter Pinienbäumen alte Steintische mit Bänken auf mich, Springbrunnen plätschern, und über eine steinerne Balustrade blicke ich aufs Meer. Für diesen Garten fällt mir nur ein Synonym ein: unglaublich schön.

Vor zwei Stunden bin ich mit arrogantem Schritt durch die Hotellobby stolziert und habe dabei kopfnickend irgendwelche Unbekannten gegrüßt, die unsicher zurück lächelten. Mein Plan ist aufgegangen. Kein Angestellter hat mich aufgehalten.

Hätte ich damals auf Fräulein gehört und gelernt, anstatt meine Zeit mit Träumen zu verbringen, könnte ich mir dieses Feriendomizil auch leisten. Vielleicht.

Manchmal überlege ich, für welchen Studiengang ich mich entschieden hätte. Je nach Lebenssituation verändern sich meine Interessen. Nur etwas bleibt konstant. Sprachen wären es mit Sicherheit nicht geworden. Wenn ich einmal mein Buch des Lebens Petrus übergebe und er mit gerunzelter Stirn ausruft: „Oje. Ach. Was hast du dir bloß dabei gedacht! Jetzt bleibt mir keine andere Wahl mehr, als dich mit einer besonders heißen Hölle zu bestrafen. 500 Jahre Sprachlabor!“, dann, ja dann, hat er mich unerträglich gebüßt.

Doch im Moment besitze ich kein Recht, hier zu sein. Trotzdem habe ich mich in die Zeit versetzt, als meine Großmutter in ihrer Kindheit in diesem Hotel ein paar Tage verbracht hat.

Mit ihren Augen habe ich den Park betrachtet, sie beobachtet, wie sie sittsam hinter ihrer Mutter her trippelt, die stets darauf bedacht ist, den Schatten nicht zu verlassen. Kein Flecken nackte Haut ist von ihrer Mama zu sehen. Sex ist tabu, jegliche Freude verboten, Kinder gelten nicht mehr als ein Statussymbol. Sie nicht hören, nicht sehen, nicht verhätscheln, ist die Erziehungsvorgabe, aber meine Großmutter hat trotzdem gemault. „Die gute alte Zeit“ war nie in ihre Erzählungen eingewoben. Von ihr hörten wir: „Als es noch keine Antibiotika gab und man an Zahnschmerzen starb. Als eine Krankheit nicht nur die Alten und Schwachen dahinraffte, sondern halb Europa. Als man von der Schulbank direkt auf die eheliche Matratze geworfen wurde. Was soll denn damals gut gewesen sein?“

Jede Bank habe ich getestet, auf jedem lauschigen Platz von der Vergangenheit geträumt. Und ich habe Liebespaare gesehen. In der Hauptsache Liebespaare. Hand in Hand oder eng umschlungen schlendern sie umher, küssen einander und vergessen die Welt.

Ich denke an den Mann, der mein Leben so süß gemacht hat. Süß trotz seiner Härte. Neben ihm fühlte ich mich stark, fühlte mich verrückt, das Leben knisterte vor Spannung. „Und was machen wir in Kroatien?“, fragte ich ihn.

„Uns lieben, bis wir die Augen für immer schließen. Auf einem Schaukelstuhl sitzen und uns erzählen, was für eine wundervolle Zeit wir zusammen hatten. Manchmal etwas turbulent. Ja. Aber schön war`s.“

Verzweiflung senkt sich über mich.

Jetzt habe ich mich bis zur Terrasse auf Meereshöhe vorgewagt. Augenblicklich erscheint ein beflissener Angestellter aus dem Nichts und bietet mir einen Liegestuhl mit Badetuch an. Warum nicht?

„Auf welche Zimmernummer darf ich Ihnen etwas zu trinken bringen?“

„Im Moment bezahle ich.“ Er bekommt ein großzügiges Trinkgeld. Während eine Meeresbrise durch mein Haar fährt, lasse ich mich müde in die Vergangenheit treiben.

Die Herrscherin, Karte III der Heldenreise

Als die Karten aufgezeichnet wurden, sahen wir auf ein anderes Weltbild.

Damals herrschte sie, die Mutter Erde.

Die Herrscherin verkörpert das Natürliche, der Herrscher das von Menschenhand Geschaffene.

Sie stellt die blühende Naturwiese dar; Er den Englischen Garten.

Sie ist der runde Zyklus, die Fruchtbarkeit; Er das Lineare, das Handeln.

Sie gibt Wärme durch Liebe; Er Schutz durch Stärke.

Sind beide Kräfte harmonisch miteinander verbunden, lebt der Mensch geschützt, geborgen und versorgt.

Die negative Herrscherin vermittelt falsche Schuldgefühle. Alle Lebensfreude wird im Keim erstickt, nur Verbitterung wird gefördert. Durch mütterliche Tyrannei sorgt sie für einen brodelnden Stau aus kranken Energien, der eines Tages wie ein Vulkan ausbricht.

***

Hugo

Das Buch des Lebens wird von deinen Eltern geschrieben.

Alles, woran wir glauben oder wie wir denken, wird durch sie geprägt. Wie wir unseren Hackbraten lieben oder uns bei schlechtem Wetter verhalten, haben wir von ihnen übernommen. Sie lehren uns zu lieben, zu lachen, und zu laufen.

Ihre Autorität kann übermächtig sein. Wem es in der Pubertät nicht gelingt, sich daraus zu befreien, verliert den Halt, sobald er als Erwachsener versucht, die Abspaltung aufzuarbeiten.

Hugo wurde von seiner Mutter zu einem Narzissten kultiviert. Manchmal, wenn alles zusammenbricht, wenn sein von ihm erschaffenes Selbstbild durchschaut wird, versucht er, aus dem Käfig zu entfliehen. Doch bisher gelang ihm immer nur, den Käfig zu wechseln.

Das Dilemma eines Narzissten ist die Angst vor Nähe und die Sehnsucht danach. Er sucht die Sicherheit und Geborgenheit eines warmen Nestes, um es danach zu zerstören. Das Leid zu sehen, dass er anderen zufügt, liebt er. Zu verletzen erregt ihn. Die Gefühle seiner Mitmenschen erkennt er nicht. Er vernichtet alles und am Ende sich selbst.

Der Narzisst hat hundert Masken, nur kein Gesicht. Er ist ein Unmensch und trägt doch keine Verantwortung dafür.

Wer einmal eine Partnerschaft mit einem Narzissten gelebt hat, weiß, dass es auch andere Formen der Gewalt gibt als körperliche. Da der Narzisst sich niemals zu erkennen gibt und hervorragend täuschen kann, wird dir die alleinige Schuld an der schwierigen Beziehung zugewiesen, und mit der Zeit zweifelst selbst du nicht mehr daran.

Ich war 19 Jahre alt, als ich Hugo begegnete. Freunde benötigten eine weitere Mitreisende für ihre Skiferien, denn die Konstellation aus zwei Paaren und einer Einzelperson musste geändert werden. Ich wurde verkuppelt, allerdings willig. Ständig auf der Suche nach meinem schwarzhaarigen Helden sehnte ich mich nach einer Partnerschaft, nach realer Wärme und Liebe.

Zum ersten Mal trafen wir uns bei Hugo zu Hause. Er war groß gewachsen, schlank, gutaussehend und sportlich, ohne dazu etwas beizutragen, und seiner Meinung nach war er erfolgreich. Was ich sah, gefiel mir gut, gefiel mir außerordentlich gut. Und er war blond!

Schon nach fünf Minuten Präsenz ahnte ich, dass diese Familie ein eigenes Verhalten an den Tag legte.

Das Treffen bestand aus uns ferienfreudigen Kollegen. Hugos Vater thronte am Kopfende des Tisches und übernahm ungebeten den Vorsitz. Von Beruf Militär Instruktor, hatte er sich einen Kasernenton angeeignet, den er auch zu Hause anwendete. Da er in der Befehlsgeberkette stecken geblieben war, jagte er dafür privat jeden im Kreis herum, der greifbar war. „Aber tiptop!“, war sein bevorzugter Befehl. Doch im Herzen war er ein lieber Kerl.

Auch seine Geschichte schrieben einst die Eltern. Ab und zu las er daraus vor, und seine Stimme klang dabei so traurig, dass auch wir es wurden.

Vaters Stiefmutter machte dem Klischee alle Ehre. Er hungerte, aber nicht aus Armut, sondern weil die Stiefmutter den Küchenschrank für ihre angeheirateten Kinder verschlossen hielt.

Hugos Großvater wiederum wurde als Verdingbub verkauft und empfand jede andere Kindheit geradezu als paradiesisch. Damit lag er sicher nicht falsch.

Hugos Vater brüllte zwar, aber er liebte uns.

Unseren Marschbefehl begann er mit den Worten: „Ich war gegen dieses Treffen. Aber Hugos Mutter hat mich mit ihrer grenzenlosen Liebe dazu überredet, es zu gestatten. Für ihre Familie ist ihr keine Anstrengung zu groß.“ Zur Bestätigung schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Tag für Tag opfert sie sich für euch und arbeitet hart. Bedankt Euch!“

Irritiert befolgten wir den Befehl. Hugo nickte inbrünstig. Seiner Mutter wurde Respekt gezollt.

Der Vater meckerte den gesamten Abend oder lachte ein wenig zu laut über unsere Entscheidungen, und die Mutter stand sprungbereit im Türrahmen, falls wir etwas benötigen sollten.

Die Luft war zum Schneiden dick und draußen regnete es waagrecht. Unter dem Lichtschein der Laternen tanzten wirbelnde Blätter und der Wind peitschte eisig gegen die Scheiben. Mutter bereitete das Sorgen, denn sie hatte sie eben erst gereinigt.

Es war kein geeignetes Wetter, um sich sonnige Skiferien vorzustellen, aber passend zu diesem seltsamen Haus.

Letztendlich erfüllten Hugo und ich die Erwartungen unserer Kollegen und wurden ein Paar. Ich hatte mich in ihn verliebte. Und er? Er verliebte sich in das Geld, das er in meiner Familie vermutete. Ein Narzisst ist nicht zu Gefühlen fähig. Um an sein Ziel zu gelangen, kann er charmant, freundlich und emotional wirken. Er ist hochgradig funktionsfähig, manipulativ und ohne jegliches Schuldgefühl. Verfügt er dazu noch über kriminelle Energie, wird der Narzisst hochexplosiv.

Hugo verlangte von mir, mich um eine Kleidergröße herunter zu hungern. Ich gab ihm Recht. Meine Figur war nicht vorzeigbar, nicht vergleichbar mit der eines jungen Rehs.

Beide standen wir vor dem 20. Geburtstag, trotzdem wurde uns nur einmal die Woche ein kurzes Treffen nach der Schule erlaubt. Nach vielen Drohungen meinerseits gestatteten ihm seine Eltern jeden zweiten Samstag Freigang. Als wir das erste Mal miteinander ausgingen, begleiteten sie uns sicherheitshalber noch.

Ab und zu besuchte ich ihn am Sonntag, aber nie, wenn seine Eltern abwesend waren. Dann hatte ich Hausverbot. Ich weiß nicht, ob sie sich mehr um Hugos Tugend sorgten oder befürchteten, ich könnte ihnen ihr Brotmesser klauen.

Sämtliche Besuche verliefen identisch. Vater referierte über die wunderbare, sich aufopfernde Mutter, wobei alle bestätigend nickten. Anschließend betitelte er mich als Prinzessin, die vom Leben keine Ahnung hat. Erneut nickte Hugo inbrünstig, was ihn aber nicht davon abhielt, mit meiner Herkunft zu prahlen. Ich staunte nicht schlecht, als ich von Kollegen erfuhr, wie reich meine Familie angeblich ist.

Um auch einmal zu fühlen, was es heißt, bei einer „gewöhnlichen“ Familie am Tisch zu sitzen, musste ich das sonntägliche Würstchen mit seinem kleinen Bruder teilen. Mir war das egal, aber dem Bruder vielleicht nicht.

Erwischte mich Hugos Mutter alleine, offenbarte sie mir: „Der letzte Sonntag war so friedlich. Niemand störte uns.“

Zu erwähnen, wer als Störfaktor galt, brauchte sie nicht. Kinn vorgerückt und Wangen eingezogen durchbohrte sie mich mit Blicken. Auf mich wirkte sie wie eine harte, unversöhnliche Frau, die ihr Haus in tadellosem Zustand hielt und nie Freude über irgendetwas empfand, aber keinesfalls als aufopfernde Mutter.

Manchmal präsentierte sie mir ihr Silberbesteck oder sie legte mir ihr fein säuberlich geführtes Haushaltungsbuch vor. Schlich sich ausnahmsweise eine Differenz ein, korrigierte sie diese mit: „Taschengeld Ulrich“, denn verantwortlich waren nur die Anderen.

Wie ein Ehrenabzeichen trug sie ihre eingebildete Lebensmüh auf der Brust. Beständig darauf bedacht auf den Schultern ihrer Familie getragen zu werden, benutzte sie für den Kampf um Beachtung ihre eigenen Söhne.

Das kleinste Vergehen ihrer Kinder sah sie als persönliche Quälerei an und wurde abends als Beweis für ihre Strapazen dem Vater berichtet, der dann abstrafte.

Wem kann ein Kind noch vertrauen, wenn es von der eigenen Mutter verraten wird?

Im Frühherbst wurde ich volljährig, und damit stand mir ein Tag bevor, den wir lange im Vorfeld geplant hatten. Meine Mutter nähte mir für diesen Ehrentag ein Kleid aus blauer Seide. Viel Stoff benötigte sie nicht, da es für das damalige Modediktat nicht kurz genug sein konnte.

Unsere Geburtstage feierten wir immer im Kreis einer großen Anzahl von Freunden. Selbstverständlich sollte Hugo dabei sein. Da ihm allerdings der Gedanke, dass noch andere Gäste anwesend sein würden, nicht passte, lästerte er solange über meine Freunde, bis ich eingeschüchtert darauf verzichtete, sie einzuladen.

Der Morgen des großen Tages begann vielversprechend. Ein wundervoller Spätsommertag, warm und doch erfrischend, kündigte sich an. Ich liebte Geburtstage. Mit gutem Gewissen auf der faulen Haut zu liegen, und dabei Gratulationen und Geschenke entgegenzunehmen, versetzte mich in Höchstform.

Früh verzog sich meine Mutter in die Küche, um mein Lieblingsessen zu kochen, wobei sie sich ein wenig verhalten über die geringe Anzahl der Anwesenden äußerte.

Endlich volljährig! Die Freude war groß, obwohl ich nicht so genau wusste, welche Besserung ich mir davon versprach. In unserem Zuhause waren wir nie eingeschränkt, uns wurden selten Vorschriften gemacht. Vater liebte zwar den Satz: „Solange ich bezahle, habe ich das Sagen“, aber trotzdem bezahlte er problemlos, murrte selten.

Im neuen Kleidchen saß ich strahlend da, ließ mir gratulieren und öffnete meine Geschenke. Aus der Küche roch es vielversprechend, als mir Hugo um elf Uhr am Telefon mitteilte: „Ich komme nicht. Mutter erlaubt es nicht.“

Der Tag, an dem ich volljährig wurde, war der einzige Geburtstag, den ich ohne Gäste feierte und an dem ich weinte.

Leider wurde ich nur voll an Jahren und nicht an Verstand. Die negative Herrscherin hatte gesiegt.

Dubrovnik, 4. Oktober

Heute habe ich mir einen Ruhetag verschrieben und demütig warte ich, bis der Tag vorüber zieht. In gleicher Weise wie ich es auch die nächsten Jahre halten werde, da mein Leben ohne Aram so flach und überblickbar geworden ist, dass ich bis zu meinem Grabstein sehen kann.

Die Hotelanlage mag sich nicht verändert haben, ich hingegen bin nicht mehr dieselbe. Meine alte Identität habe ich wie eine Schlangenhaut abgestreift. Heute leiste ich mir schon mal einen Kaffee, falls ich Lust dazu verspüre, was jetzt der Fall ist.

Armer reicher Hugo. In der Hoffnung, die Wände seines Gefängnisses würden durch ein gefülltes Bankkonto zurückweichen, spaltet er jeden Franken.

Wie trostlos muss es für einen Narzissten sein, wenn das Umfeld ihn durchschaut hat und der Sockel zusammenbricht, auf den er sich mühsam gewuchtet hat.

Dass dies eines Tages geschehen wird, gehört leider nicht zu seiner Gedankenwelt. Bis jetzt fühlt er sich immer noch als Gottes Geschenk an die Frauen. Doch irgendwann wird auch sein Alter zum Problem. Dann wird’s teuer.

„Du stehst am äußersten Rand der Klippe und von dort gibt es bald nur noch eine Richtung“, warnte ich ihn. „Du wirst doch nicht annehmen, dass dir noch irgendjemand deine Lügen abnimmt, dass du immer mit allem durchkommst.“

Aber er arbeitet weiterhin an seinem Lügennetz. Es ist schwer, mit einem Narzissten zu argumentieren.

Narcissus, der göttergleiche Sohn eines Flussgottes und der Nymphe Liriope, wurde von allen geliebt. Doch ihn rührte keine Schönheit, sein Ohr blieb taub für die Seufzer der Mädchen. Seine Aufmerksamkeit galt allein seiner Person. Er wollte nur lauschen, wie vollendet, wie unerreichbar er war. Die Liebe der Nymphe Echo erhörte er nicht. Narcissus, der ihr niemals Komplimente überbrachte, die sie wiederholen konnte, verlor bald sein Interesse an ihr.

Vor Kummer über ihre unerwiderte Liebe starb die Nymphe Echo. Aus Mitleid verwandelten die Götter sie in einen Felsen und bestraften den Kaltsinn des Narcissus.

Eines Tages beugte er sich vom Jagen erhitzt an einer kristallklaren Quelle vor. Im See sah er ein Bild von unendlicher Schönheit und sein Herz wurde entzündet. Er wollte die Gestalt küssen, sie umfassen, doch sie verschwand. Dann sah er sie wieder und sie erwiderte seine zärtlichen Blicke, sein Lächeln. Sie winkte wie er, breitete die Arme aus wie er. Von namenloser Sehnsucht ergriffen, die nie gestillt werden konnte, verschmachtete Narcissus und starb.

Eine Blume, die Narzisse, steht jetzt an der Stelle, wo er einst geseufzt hatte und im Liebesschmerz vergangen war. Die Nymphe Echo aber wurde niemals vergessen und ist bis heute zu hören.

Die flammende Sehnsucht nach dem Unerreichbaren zehrt das Leben auf. Nur der Tod kann sie stillen.

Seither schmückt diese schattenbleiche Blume unsere Gräber.

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