Kitabı oku: «Elfenzeit 4: Eislava», sayfa 2
Ein Fels. Ein heller Fels … ich bin zurück zum Grund geschwommen.
David wollte lachen, doch er hatte keine Luft mehr dafür. Stattdessen schloss er die Augen, breitete die Arme aus und ließ sich treiben.
Da geschah der Übergang.
Es dauerte einige Atemzüge, bis David bewusst wurde, dass er atmete. Er hatte aufgehört, seine Luftwege zu verschließen, als der Schmerz der Atemnot zu groß wurde. Körper und Geist waren zu betäubt gewesen, um eine rettende Luftblase zu schaffen. Er hatte tief das eingesogen, worin er trieb, und die Qual in seinen Lungen hatte nachgelassen.
Mit einem Blinzeln sah David sich um. Auch der Schleier um seinen Blick war verschwunden. Er trieb noch immer knapp über dem Grund, zwischen bizarr geformten Gebilden aus porösem Buntgestein, die direkt aus hellem Sand herauszuwachsen schienen. Es war ihm unmöglich zu erkennen, ob er sich noch in dem Flussbett befand. Als er sich auf den Rücken drehte, hatte er das Gefühl, das Wasser müsse sich über ihm ins Endlose erstrecken, trotz des Lichtes, das bis zu ihm durchdrang.
Wasser?
Er hatte den kalten Strom verlassen und war in ein Gewässer geraten, das nicht mehr aus normalem Wasser bestand, sondern aus einem Stoff, in dem er atmen konnte. Wann war das geschehen?
Da war dieses Prickeln, als würde sich jedes einzelne Härchen aufstellen … dieses kurze Gefühl des Schwebens, noch stärker als es ohnehin im Wasser geschieht … der Übergang! Ich muss ihn durch Zufall getroffen haben und in die Anderswelt übergetreten sein. Ich bin in einer Wasserdomäne.
Und trotzdem fühlte es sich falsch an, ungewöhnlich. Als sei etwas Fremdes dabei. Das war nicht Crain, sondern eine der vielen Regionen des Nordens. Manches mochte sich dort anders anfühlen.
Rian! Vielleicht ist sie auch hier?
Der Gedanke setzte seinen Körper unter Spannung. Er drehte sich wieder zurück, suchte nach irgendeinem Anzeichen der Anwesenheit anderer. Da … Spuren im hellen Sand. Jemand hatte nicht weit von ihm am Grund gestanden. Der Sand trieb in Wirbeln darum herum, als seien diejenigen eben erst wieder aufgebrochen, vielleicht während Davids Übergang.
Er schwamm auf die Stelle zu, und tatsächlich nahm er vor sich eine Bewegung wahr, die ihn innerlich aufjubeln ließ. Er sah gerade noch die letzte der Gestalten in einem nahen Tangwald verschwinden. Obwohl sie zügig schwamm, wirkten ihre Bewegungen nicht so, als fühlte sie sich verfolgt. David zog seinen Dolch und verstärkte seine Beinbewegungen. Er überlegte kurz, sich in ein Wasserwesen zu verwandeln – doch das war gar nicht notwendig.
Wellen von Energie durchliefen seinen Körper, als die Runen auf dem Heft des Dolchs mit seinem Körper in Kontakt kamen, und vertrieben den letzten Rest von Taubheit daraus. Mit neu erwachter Kraft trieb er seinen Körper Rian und ihren Entführern nach, in den Tangwald hinein. Die Bewegungen der langen Pflanzenstränge und der aufgewirbelte Sand zeigten ihm deutlich, welche Richtung die Gruppe genommen hatte, und er folgte ihnen mit ausdauernden Schwimmbewegungen. Wo immer ihm Pflanzen in den Weg kamen, schnitt er sich hindurch, wie mit einer Machete im Dschungel.
Nach einer Weile bemerkte er, dass der Boden unregelmäßiger wurde. Erneut tauchten zwischen dem Tang die seltsam geformte Felsen aus löchrigem Gestein auf, und sie wuchsen immer höher hinauf. Schließlich zog sich der Tangwald zurück und machte den Felsen Platz. Für einen Augenblick konnte David die fremden Wasserwesen wieder vor sich sehen. In ihrer Mitte leuchtete Rians heller Haarschopf kurz auf, ehe sie um das nächste Felsgebilde herum verschwand und er nur noch die beiden Wesen sah, die das Ende der Gruppe bildeten.
Ihre dunkle, blauschimmernde Schuppenhaut erinnerte ein wenig an den Kelpie aus Alberichs Rheinhöhle, doch das war die einzige Übereinstimmung. Weder Schleierhäute noch Mähnen waren an ihnen zu sehen, und statt tellerähnlicher Hände und Füße hatten sie schlanke Finger mit Schwimmhäuten sowie an den Enden ihrer Beine kräftige Fischflossen. Ihre extrem kurzen und dicken Hälse waren von eine Krause aus Hautfalten umgeben.
Sie trugen nichts an ihren Körpern, was sie beim Schwimmen hätte hindern können. Lediglich einen Gurt hatte jeder von ihnen über den Rücken geschlungen, in dem mehrere kurze Speere steckten, die vollständig aus Metall gearbeitet waren. Einen solchen Speer hielt jeder von ihnen in der Hand.
Noch während David sie betrachtete, verschwanden auch die letzten beiden der Wasserwesen um den Felsen herum. Wären die Wesen allein gewesen, hätten sie David längst abgehängt. Rian behinderte sie jedoch, sodass er den Anschluss halten und sogar zusehends aufholte. Das war erforderlich, denn nun bewegten sie sich durch ein Felsenlabyrinth. Die Brocken und Nadeln weiteten sich nach oben hin aus, berührten sich, bildeten Brücken oder Tunnel, zusätzlich zu den Löchern, die teilweise in ihr poröses Material gewaschen waren und gewundene Durchgänge darstellten.
Um die nächste Biegung entdeckte er die Gruppe. Es erleichterte David zu sehen, dass Rian sich bewegte. Sie war weder bewusstlos noch gefesselt. Im nächsten Moment erkannte er, dass ihre Bewegungen ruhig und gleichmäßig waren. Die Wesen, zwischen denen sie schwamm, berührten sie nicht einmal.
Rian schwamm freiwillig mit!
Seine Verwirrung ließ David einen Moment in den eigenen Bewegungen innehalten, und da waren sie auch schon in der Dunkelheit eines Felstunnels verschwunden. So schnell er konnte folgte er ihnen.
Als David den Tunnel verließ, hatte die Umgebung sich unmerklich verändert. Hier und da wuchsen wieder Tangpflanzen, zwischen denen sich bunt schillernde Fischschwärme herumtrieben, und der Boden glitzerte, als wäre der Sand mit Quarzen und Gneis durchmischt. Die noch immer vorhandenen Felsnadeln wirkten bearbeitet, als habe jemand ihnen Formen gegeben und Löcher hineingetrieben. Und ungefähr hundert Schwimmstöße vor ihm schwang sich ein Gebilde in die lichterfüllte Höhe, das wirkte, als hätte jemand aus mehreren zusammengewachsenen Felsnadeln ein Schloss geschaffen.
Unzählige dünne Steinspitzen erhoben sich daraus wie Türmchen, und die Wände glitzerten in allen Farben, als wäre Edelsteinstaub darauf verteilt worden. Löcher, die zu regelmäßig waren, um Auswaschungen zu sein, führten in das Innere des Felsenschlosses, in dem ein blau-grünes Leuchten die Hohlräume erfüllte. Die Gruppe hielt auf das Schloss zu.
David hatte auf einmal das Gefühl, beobachtet zu werden. Wann immer er sich umschaute, entdeckte er niemanden, vielleicht die letzten Wirbel von Schwanzflossen der eifrigen Fische.
Jetzt, da das Ziel so nahe war, nahm die Gruppe zügig an Tempo zu. Selbst Rians Schwimmbewegungen waren kräftiger geworden, und David wurde immer verwirrter.
Was geht hier vor sich?
Dicht vor dem Schloss verlangsamte die Gruppe kurz, als wisse sie nicht genau, welchen der zahlreichen Eingänge sie nutzen sollte. Dann steuerten sie auf eines der größeren Löcher zu. David folgte, so schnell er konnte.
Die hinter dem Loch gelegene Höhlung reichte in alle Richtungen tief in das Gestein hinein. Wände und Decke waren rund ausgeformt, zu gleichmäßig, als dass es auf natürliche Weise hätte entstanden sein können, und der Boden war absolut eben. Hier bewiesen Rians Entführer, dass die Flossen ihrer Beine ebenso stabil wie Füße waren, denn sie hatten sich rings um die Elfe niedergelassen, die Speere auf sie gerichtet. Aus dem hinteren Teil der Höhle schossen jetzt weitere Wesen auf sie zu, blitzende Speere in den Händen.
Ohne zu zögern streckte David seinen Dolch vor und stieß auf das erste Wesen zu.
2.
Von Schafen und Wölfen
Glitzernder Kristallstaub tanzte durch die Luft des Gangs in der Zitadelle der Königin Bandorchu, gelöst durch einige kleine Windwirbel, die über die Deckenstuckaturen fegten. Rings um Ainfar sank er zu Boden, während der Elf das grünhäutige, von braunen Linien durchzogene Gesicht nach oben gewendet hielt und mit kleinen Bewegungen seiner schlanken Finger die Wirbel dorthin steuerte, wo ihre Arbeit benötigt wurde. Seine in labyrinthartige Knoten verflochtenen Locken wurden vom Staub belagert und verwandelten den Raum um sein Gesicht in eine schimmernde Aureole, wann immer durch eine Kopfbewegung etwas Licht dorthin gelangte. Doch die Gedanken, die er während seiner Arbeit wälzte, waren düster.
Wer bin ich? Warum bin ich hier?
Ununterbrochen wehte draußen vor der Burg der Wind, der die Schreckenswolken über den grellen Himmel des Schattenlandes trieb, und fegte feinen Kristallstaub von den umgebenden Spiegelhügeln hinunter in das Tal. Dort sammelte er sich rings um die Dunkle Zitadelle und drang durch jede Ritze herein, um sich auf Flächen und in Spalten abzusetzen. Einer von Ainfars Aufträgen war es, in den unteren Wohnebenen des Schlosses gegen diese dauerhafte Invasion anzukämpfen. Es war keine erfüllende Aufgabe, aber besser, als wenn er hinaus auf die Spiegel hätte gehen müssen, ständig dem quälenden Bild seines Innersten und zugleich den Schrecken der Wolkenschatten ausgesetzt, um Pflanzen oder andere Rohstoffe zu suchen. Das war nur noch selten notwendig, aber wenn, dann traf es stets diejenigen, die aus dem einen oder anderen Grund den Unwillen der Königin auf sich gezogen hatten. Ainfar gab sich alle Mühe, das nicht zu tun und auch sonst nicht aufzufallen.
Weder der Königin, noch ihrem engsten Vertrauten, dem Getreuen.
Er versuchte, sich zu geben, als sei er gar nicht da.
Aber ich bin hier. Und es gab einmal einen guten Grund dafür. Einen sehr guten Grund. – Aber wer bin ich jetzt?
Ein hoher, lang gezogener Ton durchschnitt die Luft, riss Ainfar aus seinen Gedanken und brach dann in einem Gurgeln ab, das den Gestaltwandler schaudern ließ. Dennoch wagte er es nicht, die Konzentration von seiner Arbeit zu lösen. Lediglich die großen braunen Augen, die von keinerlei Weiß umgeben waren, verrieten die Angst in seinem Inneren. Sie weiteten sich, und die schwarzen Löcher der Pupillen darin vergrößerten sich wie bei einem Reh kurz vor der Flucht. Doch er widerstand dem Drang des Instinkts, den die Vertrauteste seiner Tierformen in ihm erzeugte. Und wohin hätte er auch fliehen sollen? Jeder Fluchtversuch hätte Fragen aufgeworfen und die Dinge nur verschlimmert, und dann würden andere seine Schreie durch die Zitadelle hallen hören.
Die Gänge, die Ainfar reinigte, lagen direkt über den Katakomben. Dort unten waren die Kerker und Folterkammern, in denen diejenigen endeten, deren Vergehen nicht mehr nur durch die Arbeit draußen abgegolten werden konnten.
Während seine Windwirbel selbstständig den Deckenbögen folgten und die Reliefs reinigten, schob Ainfar einige Haare zurück, die sich aus den Knoten gelöst hatten, und streckte die Hand nach der Mündungsöffnung eines der Kristallschächte aus, die Licht aus mehreren Himmelsrichtungen diffus in den Palast hinein brachten und die gedankengeschwärzten Gänge in ein sanftes Zwielicht tauchten.
Die Gedanken und Erinnerungen der Königin, dachte Ainfar. Sie sind schwarz genug, um damit die aus der kristallenen Materie dieser Welt geschaffenen Wände zu verdunkeln und uns vor den Spiegelungen zu schützen, so wie die Wände selbst uns vor dem Anblick der jagenden Schatten der Schreckenswolken bewahren. Aber zu welchem Preis ist das alles geschehen …
Mit einem Finger strich er über den mit Zierreliefs versehenen Rahmen des Schachts. Gesichter waren dort zu sehen, zu Schreien verzogen, von Wesen, die in verschlungenen Ranken gefangen waren. Zwischen all den Bildern fand sich unter Ainfars Fingern ein Gesicht, das von hochragenden Geweihstangen beherrscht wurde und einen zotteligen Bart trug. Fast zärtlich fuhr der Elf die Linien der Figur nach.
Regiatus …
Er schloss die Augen, und vor ihm erschienen wieder die Bilder, an denen er sich festhielt, seit sie wiedergekehrt waren. Seine letzten Momente im Thronsaal des Baumschlosses. Der geflüsterte Disput mit seinem Bruder.
»Ich werde gehen, Regiatus. Jemand muss es tun. Gwynbaen ist zu gefährlich, sie darf nicht unbeobachtet bleiben.« Ainfars Magen zog sich zusammen, während er die Worte sprach.
Regiatus schüttelte den Kopf so heftig, dass das eingeflochtene Blattwerk in seinem Geweih protestierend raschelte. »Das ist Unsinn! Sie wird im Schattenland sein! Was soll sie deiner Meinung nach dort anrichten?«
»Sieh sie dir an, Bruder! Sieh dir an, wie ruhig sie ist, wie gefasst, selbst in der Niederlage noch Herrscherin. Du spürst ihre Macht ebenso wie ich! Das ist kein reiner Trotz. Sie hat keine Angst vor der Verbannung, und dafür muss es einen Grund geben.« Beschwörend sah Ainfar den Cerviden an, mit dem er den Vater teilte. »Regiatus, gib mir deine Zustimmung. Ich werde mit ihr gehen, und ich werde mit euch Verbindung aufnehmen, sobald ich es kann. Ich werde einen Weg finden. Du und ich … wir sind uns so nahe. Diese Verbindung muss auch über die Welten hinweg wieder herstellbar sein.«
»Ich will mich ungern darauf verlassen, Ainfar. Ich will dich nicht verlieren. Sie hat uns schon genug gekostet, ohne dass du dich opferst.«
»Es muss sein. Es … es ist auch wegen unseres Bruders.«
»Was soll es dich kümmern, was er getan hat oder tut? Du hast ihn nie gemocht, und er dich nicht. Und ich teile deine Einstellung ihm gegenüber. Er war schon immer arroganter und mehr von sich selbst überzeugt, als es gut für ihn war.«
»Das ändert nichts daran, dass er unser Bruder ist, und dass seine Taten Schande über uns bringen. Und jetzt ist er ein Meidling … einer von denen, die den doppelten Verrat begangen haben, nicht mit Gwynbaen durch das Tor gehen zu wollen. Ein Ausgleich ist gefordert. So sind die Regeln im Gewebe unseres Daseins, und das weißt du genausogut wie ich. Wenn ich es nicht tu, wird der Ausgleich auf andere Weise geschehen, ohne dass wir es steuern können. Und so ziehen wir vielleicht noch unseren Nutzen daraus.«
»Bruder …« Regiatus verstummte, als er Ainfars Entschlossenheit erkannte.
»Ich gehe. Berichte du Fanmór.«
»Er wird nicht erfreut sein.«
Ainfar lächelte schief. »Doch, das wird er. Was kümmern ihn schon unsere Schicksale? Aber die Möglichkeit, einen Spitzel in den Reihen der Weißen Frau zu haben, wird er sehr begrüßen. Er ist ein Herrscher, Regiatus. Er weiß, was wichtig ist und was nicht.«
»Und was, wenn du es doch nicht schaffst? Was, wenn du einfach nur mit ihr dort gefangen bleibst?«
»Das wird nicht geschehen.« Er legte eine Hand auf Regiatus’ Arm. »Vertrau mir, Bruder. Ich werde einen Weg finden.«
Vertrau mir, Bruder …
Er hatte sich bei denen eingereiht, die von den anderen Regionen Earrachs aus zum Baumschloss gekommen waren, um das Portal zu durchschreiten. Niemand hatte ihm besondere Beachtung geschenkt, denn niemand hätte erwartet, dass irgendein Elf ohne den Zwang von Fanmórs Urteil diesen Schritt gehen würde. Und dann hatten die Qualen begonnen, das Leiden unter den scharfen Wolkenschatten und den schneidend grellen Widerspiegelungen und die stetige Gefahr des Vergessens, des sich Verlierens.
Ich habe dich vergessen … habe die Erinnerungen verloren, sie als Auswüchse an mir getragen, bis der Schutz der Zitadelle mir langsam erlaubte, mich wiederzufinden. Und seither lähmt mich die Angst vor all dem, was Gwynbaen … nein, jetzt ist sie Bandorchu, die Dunkle Frau … hier aufgebaut hat. Vor ihrer grausamen Herrschaft, die durch ihre kalte Schönheit noch an Schrecken gewinnt.
Er öffnete die Augen und strich erneut über das Gesichtsrelief. Ob du noch auf mich wartest? Ob du noch glaubst, was ich gesagt habe? Ob du überhaupt noch an mich denkst?
Ein eisiger Hauch strich durch den Gang, und Ainfars Finger verharrten auf dem Ornament. Seine Augen weiteten sich, kalte Angst umschloss seine Gedanken und ließ sie erstarren.
»Welch seltsame Art, die Gänge zu reinigen«, erklang eine heisere Stimme. Eine Aura berührte den Tiermann, die so kalt war wie derjenige, von dem sie ausging. Ainfars Finger krallten sich um den Schachtrahmen. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass der Getreue im Gang stand, Bandorchus mächtigster Verbündeter, der tun und lassen konnte, was ihm beliebte.
»Ich hätte nicht gedacht, dass jemand den scharfen Kristallstaub mit den eigenen Fingern beseitigen würde. Oder willst du dein Blut über die Mauern der Zitadelle verteilen, um die Bemühungen deiner Herrin zu unterstützen? Es wäre bestimmt eine interessante Art, den Kristall am Widerschein zu hindern, und eine, die deine Herrin nicht so viel Kraft kosten würde. – Wie viel Blut wohl in deinen Adern rinnt, und wie viel Fläche man damit verdunkeln könnte? Eine interessante Frage …«
Etwas huschte den Gang entlang, und Ainfar spürte körperlich, wie Blick und Aufmerksamkeit von Bandorchus Verbündetem sich von ihm lösten. Die lange schwarze Kapuzenkutte des Getreuen raschelte, als er herumfuhr. Im nächsten Moment war ein Quieken zu hören. Ainfar drehte langsam den Kopf. Eine kleine wollige Gestalt wand sich im Griff des Getreuen und strampelte. Knopfaugen schillerten zwischen den wuschligen Haaren hindurch, und ein ebenso kleiner Mund stand weit offen. Langgezogenes Winseln drang daraus, während der Getreue das Wesen am Fell in die Luft hob.
»Und was treibt dich hierher? Du hast momentan keine Aufgabe, oder? Ich werde schon etwas für dich finden …«
Das Winseln stieg zu einem durchdringenden Klagelaut an, und der kleine wollige Kerl schlug mit dürren Ärmchen und Beinchen um sich im Versuch, sich aus dem Griff des Hünen zu befreien. Doch all seine Anstrengungen waren vergeblich. Mit langen Schritten ging der Getreue den Gang hinunter, das gefangene Kerlchen fest in seiner Hand, und redete leise weiter mit seiner heiseren Stimme, als wolle er nur plaudern.
Die Kälte ließ nach, und Ainfar schüttelte sich.
Mit einer Handbewegung löste er die Windwirbel auf, raffte sein Gewand und rannte so schnell er konnte den Gang in der entgegengesetzten Richtung hinunter.
3.
Weltenschatten
»David, nein!«
Die Köpfe der Wasserwesen fuhren herum, tiefschwarze Augen begegneten Davids Blick, während er vorstürmte, und als seien sie eine Einheit, hob jedes der Wesen gleichzeitig die freie Hand in seine Richtung. Im nächsten Moment traf David eine Strömung, die ihn mit sich fortriss, weg von Rian, und gegen eine Wand schleuderte. Schmerzhaft stachen die kleinen Unregelmäßigkeiten der Felswand in seinen Rücken, und der Langdolch entglitt ihm. Hilflos in der Strömung gefangen hing er an der Wand, kaum fähig, seine Finger zu bewegen oder unter dem Druck gegen seine Brust zu atmen.
Neun Speere hoben sich.
»Nein! Aufhören!«
Rians Stimme klang verzerrt, doch sie erhob sich sogar über das Rauschen des Wassers in Davids Ohren. Die Wesen zögerten, tauschten Blicke untereinander aus. Dann, mit ebensolcher Gleichzeitigkeit wie die vorherige Bewegung, senkten sie ihre Hände wieder. Die Strömung verschwand, und David sank langsam am rauen Stein entlang zu Boden. Erst jetzt spürte er all die kleinen Blessuren, die er schon auf dem Weg hierher davongetragen hatte. Zusammen mit dem Muskelschmerz, der wohl mindestens ebenso sehr von der Unterkühlung rührte wie von der Anstrengung, fühlte sich David so zerschlagen, dass er am liebsten liegengeblieben wäre, um etwas zu schlafen.
Er rappelte sich hoch und bückte sich nach seinem Dolch. Niemand hinderte ihn daran, die Waffe aufzunehmen, obwohl die Bewohner dieser Unterwasserburg ihn mit misstrauischen Blick musterten. Langsam richtete er sich wieder auf, wog die Waffe kurz in seiner Hand und steckte sie dann zurück.
»Was passiert hier, Rian?«, fragte er, ohne die Schuppigen aus den Augen zu lassen.
Seine Schwester hob die Hände in einer beschwichtigenden Geste, ob gegenüber ihm oder den Wasserwesen, war nicht ersichtlich.
»Sie brauchen Hilfe, David«, erklärte sie. »Was genau los ist, weiß ich auch noch nicht, aber es scheint sehr ernst zu sein.«
David schnaubte. Auf einmal schlug all seine Sorge in Wut um. »Crain braucht unsere Hilfe. Unsere ganze Welt braucht sie! Nebenbei schützen wir die Menschheit vor Bandorchu. Meinst du nicht, damit haben wir genug Probleme am Hals?«
»David!«
»Rian, diese Leute haben dich entführt! Das ist in meinen Augen nicht die Art, wie man sich des Wohlwollens und der Hilfe anderer versichert!«
»Sie haben Angst!«
»Und ich? Glaubst du, ich hatte keine Angst?« Er brüllte, und er sah, wie Rian ebenso wie die Wesen zusammenzuckte. Es ernüchterte ihn, und er strich sich mit einer Hand durch das Haar und schüttelte den Kopf.
»Entschuldige, Rian. Ich wollte nicht mit dir streiten.«
»Sondern mit ihnen, ich weiß«, antwortete sie mit einem schiefen Lächeln, das den verletzten Blick jedoch nur schwach kaschieren konnte.
Warum scheint es, dass ich die, die mir am nächsten stehen, am meisten verletze?
Wieder spürte er das leise Ziehen in seiner Brust. Eine Seele. Für was konnte so eine Seele schon gut sein? Früher hatte er sich nie Gedanken über andere gemacht. Seine Gefühle, sein Wohlbefinden waren alles gewesen, was gezählt hatte. Er hatte in den Tag hinein gelebt, zu seinem eigenen Vergnügen, und nichts anderes hatte man von ihm erwartet. Selbst auf Rian hatte er keine besondere Rücksicht genommen. Aber jetzt … die Zeiten, da er sich um nichts Sorgen gemacht und für nichts Verantwortung übernommen hatte, waren vorbei. Denn Nadja und sein Kind brauchten ihn. Könnte er das, was schon gewachsen war, überhaupt wieder herausreißen?
Er seufzte und sah zu den Wasserleuten. »Also gut. Was für ein Problem gibt es, und warum glaubt ihr, dass wir euch helfen können?«
David sah sich aufmerksam in dem neuen Raum um, in den ihre Gastgeber sie geführt hatten. Er lag ein gutes Stück weiter innen in dem verschlungenen System von Tunneln und Hohlräumen, das dieses Volk im porösen Fels erschaffen hatte. Während die Ankunftshöhle völlig kahl gewesen war, verzierten in dieser lange Tangwedel die Wände, und in Muster geflochtene Netze hingen von der Decke. Einige davon trugen Schalen mit leuchtenden Pflanzen, andere fungierten als Sitzgelegenheiten, in denen David, Rian und zwei der Wesen jetzt saßen. Glimmereinschlüsse in den Felsen rings herum brachen das Licht der Pflanzen und streuten buntschimmernde Strahlen in den ganzen Saal.
Am hinteren Ende des Raums erkannte David ein breit ausgespanntes Geflecht, in dem ein weiteres der Wesen ruhte. Es war fast doppelt so groß wie die anderen, und deutlich runder, fast schon aufgequollen. Schlierige Schatten, die nicht vom Zwielicht des Raumes herrühren konnten, waberten wie treibende Schleier um den Körper herum.
»Wir sind Nöck-Nareva«, begann einer der beiden Wassermänner, die bei ihnen saßen. »Und dort vorn liegt unserer aller Mutter, Nareva. Wir fürchten, sie wird sterben.«
»Und wenn Nareva stirbt, stirbt Nöck-Nareva«, fuhr der andere nahtlos fort.
Erneut sah David zu der Nöck-Schwarmmutter. Waren die Schatten, die sie umschwebten, ein Auswuchs ihres schlechten Zustands?
»Ist sie krank?«, fragte er.
Die beiden schüttelten den Kopf.
»Etwas hat sie befallen, das nicht von hier ist«, sagte der Erste.
»Wir denken, es kommt aus dem Totenland«, fuhr der andere fort, und der Erste setzte hinzu:
»Und du trägst einen Hauch desselben Todesschattens.«
Erstaunt sah David zu den Nöcks, doch sie schauten Rian an, nicht ihn. Mit einem Ruck drehte er den Kopf zu seiner Schwester, und sie zuckte die Achseln. Was die Nöcks gesagt hatten, schien Rian nicht zu erstaunen.
»Die anderen haben mir vorhin schon etwas Ähnliches gesagt«, erklärte die Elfe. »Nach dem Durchgang haben sie kurz angehalten, um mir zu erklären, dass sie meine Hilfe bräuchten. Sie meinten, sie hätten mich ausgesucht, weil ich die Ausstrahlung Annuyns noch an mir tragen würde, und dass das Überleben ihres ganzen Volkes davon abhinge. Darum wollte ich es zumindest versuchen. Immerhin sind sie genauso Teil von Earrach wie die Sidhe Crain. Als Kinder Fanmórs gehört es darum meiner Meinung nach zu unseren Pflichten, sie zu schützen, wenn wir es können.«
David nickte. »Natürlich.«
»Nareva wird schnell schwächer«, meldete sich wieder einer der Nöcks. »Ihre Kräfte sind fast aufgebraucht. Verzeiht, dass wir so unvermittelt vorgegangen sind, aber …«
»… wir fürchten, dass der Schatten sie jeden Moment ins Totenreich ziehen könnte.«
»Und wenn Nareva stirbt, stirbt Nöck-Nareva. Wir haben Angst.«
»Das sagtet ihr bereits, und ich verzeihe euch. Also vergessen wir den Teil.« David erhob sich aus dem Sitznetz. »Ich denke, wir sollten uns näher ansehen, was wir für Nareva tun können, oder, Rian?«
Rian nickte und stand ebenfalls auf. Die beiden Nöcks stießen Luftblasen aus, in denen sich das schimmernde Licht fing, warfen ihre Arme hoch und und stießen sich dann direkt zum Lager ihrer Mutter ab. David und Rian folgten ihnen mit langsameren Schwimmbewegungen.
Je näher sie dem Lager Narevas kamen, desto klarer spürte David, dass dort etwas verkehrt war. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass bei den beiden vor ihnen schwimmenden Nöcks an einigen Körperstellen die Schuppen matt und fleckig wirkten. An anderen hatten sie sich sogar gelöst, sodass die dünne weiße Haut durchschimmerte, unter der die Adern dunkles Blut trugen. War es das, was sie gemeint hatten, als sie sagten, mit Nareva würden auch die Nöck-Nareva sterben? Waren sie alle krank? Die Haut der Schwarmmutter wirkte matt und fleckig unter den schwarzen Schleiern, selbst aus der Entfernung. Ihr Zustand schien sich tatsächlich direkt auf den ihrer Kinder auszuwirken.
Rian verharrte plötzlich.
»Was ist los, Schwester?«, fragte David mit gedämpfter Stimme.
»Ich spüre es. Den Schatten von Annuyn«, antwortete sie. »Sie haben Recht. Etwas von dort ist hier. Es ist … kalt. Formlos. Und es giert nach dem Leben, ohne sich zu erinnern, was es überhaupt ist.«
David sah zu Nareva. Die schwarzen Schlieren, die sie umgaben, waberten in ihre Richtung, wie ausgreifende Finger. Die Nöcks hatten Recht gehabt mit ihrer Vermutung. Hastig ergriff er Rians Hände.
»Ich bin bei dir. Ich lasse nicht zu, dass du noch einmal durch das Tor gehst.«
»Aber das muss ich vielleicht, um Nareva zu retten«, flüsterte sie. »Um einen Todesschatten zurückzubringen, muss das Tor nach Annuyn geöffnet werden – und ich habe noch genug Verbindung, um das tun zu können. Sobald es offen ist, muss jemand den Schatten hinüberbringen.«
David zog Rian an sich. »Dann lassen wir es. Sagen wir ihnen, dass es nicht geht, und ziehen weiter.«
Rian schüttelte den Kopf. »Nein. Es muss einen Grund haben, warum ich hier bin. Auf dieser Reise geschieht nichts zufällig.«
David wurde nachdenklich. »Jemand muss den Schatten hierher gerufen haben, und sobald er sein Werk hier verrichtet hat, wird er sich das nächste Ziel vornehmen. Das müssen wir verhindern, ich stimme zu. Aber wie sollen wir herausfinden, wer den Schatten gerufen hat?«
»Ich werde den Schatten zu mir ziehen, ehe ich ihn durch das Tor bringe. In dieser Zeit kann ich auf seine Erinnerungen zugreifen.«
David musterte seine Schwester. »Es könnte gelingen«, gab er zögernd zu. »Aber fühlst du dich stark genug dafür?«
»Du musst mich halten, David, über unser Band. Unser Band muss stark genug dafür sein. Das ist es doch, oder?«
Wieder stand dieser Zweifel im Raum, diese Angst, dass ihre besondere Verbindung Schaden genommen haben könnte. Der Beweis, dass sie verändert war, war durch Davids Überleben bei Rians Tod gegeben … aber war sie dabei geschwächt worden?
»Es ist stärker denn je«, antwortete David.
Sie lächelte ihn an und nickte dann in Richtung der Schwarmmutter, wo die Nöcks geduldig warteten. »Dann sollten wir ans Werk gehen.«
Die schwarzen Schleier umflorten Rian, als wollten sie sie liebkosen. Mit geschlossenen Augen saß die Elfe im Netz neben der Schwarmmutter und streckte die Hände nach ihr aus. David stand hinter ihr, beobachtete jede ihrer Bewegungen und öffnete sich jeder Empfindung, die er von Rian empfing.
Vorsichtig näherten sich Rians Hände der fleckigen Schuppenhaut. Sie war gelassen, und David spürte ruhige Gewissheit in ihr.
»Ich spüre es«, flüsterte Rian. »Es ist verwirrt. Alles, was es weiß, ist, dass die Lebenswärme es anzieht. Es versucht, über die Schwarmmutter wieder zu leben. Aber das geht nicht. Es kann keinen fremden Körper übernehmen. Nicht so.«
Seltsam, dachte David. Warum sollte jemand einen Schatten aus Annuyn holen und dann ohne Auftrag loslassen? Er sprach seine Gedanken nicht aus, weil er Rians Konzentration nicht unterbrechen wollte. Außerdem vermutete er, dass sie dieselben Gedanken verfolgte wie er. Vielleicht hat derjenige, der den Schatten geholt hat, die Kontrolle über ihn verloren? Vielleicht war es sogar die Schwarmmutter selbst?
Aber nein. Wesen wie die Nöcks beschäftigten sich nicht mit der Nekromantie, und nur diese konnte den Zugriff auf Elfenschatten ermöglichen.
Rians Hände glitten über den massigen Körper der Nöckmutter. Sie tastete die Stellen ab, an denen der Schatten sichtbar daraus hervordrang, und David sah Gänsehaut über ihre Arme laufen. Dennoch zuckte sie nicht zurück, sondern lehnte sich vor und breitete ihre Arme aus, um so viel vom Körper der Nöckmutter zu umfassen wie möglich.
»Jetzt«, sagte sie.
David trat dicht zu ihr und legte seine Arme um Rian, ehe er die Augen schloss und sich auf das Band zwischen ihnen konzentrierte. Er spürte ihre unterdrückte Angst, aber auch Neugier. Sie wollte wissen, woher der Schatten kam, und ob sie das erreichen konnte, was sie sich vorgenommen hatte.
Ich halte dich, Rian, dachte er konzentriert. Ich lasse dich nicht noch einmal gehen.
Rian bewegte sich nicht mehr, und er spürte Kälte über sie kriechen. Langsam hoben sich die feinen Härchen an ihren Armen, die Schauer krochen weiter über ihren Körper, während sie immer heftiger zu zittern begann. Davids Arme prickelten von der Kälte, die sich auf ihn übertrug, und unter anderen Umständen wäre er versucht gewesen, loszulassen. So aber zog er sie enger an sich, mit seinen Armen und über das geistige Band zwischen ihnen. Er spürte auch darin die Kälte. Sie berührte Rians Geist und versuchte, ihn zu lähmen. Doch die Prinzessin zog sich zurück, kapselte sich ein gegenüber dem Schatten und blieb nur dort offen, wo sie mit David verbunden war. Langsam ging das Beben in eine Starre über, und der Prinz spürte, wie sie das Leben in ihrem Körper bewusst immer weiter eindämmte und zugleich mit der Kraft, die er ihr gab, den Schatten an der Oberfläche ihres Geistes hielt.