Kitabı oku: «Elfenzeit 4: Eislava», sayfa 3

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Überraschtes Murmeln und Gurgeln klang auf, und David öffnete die Augen. Was er sah, ließ Erinnerungen auf ihn einstürzen, die ihn lähmten. Ein goldenes Wabern hing neben Rian und der Schwarmmutter in der Luft. Er hatte dieses Leuchten schon einmal gesehen. Nicht mit den Augen, nein … seine Augen waren vor Erschöpfung geschlossen gewesen. Doch sein eigener Schatten war davon angezogen worden, und er verspürte den Sog auch jetzt. Er spürte hinter dem goldenen Leuchten, das immer mehr von seinem Blickfeld einnahm, die Verlockung des Loslassens, der Erlösung von allem, was ihm Sorgen machte.

Geh nach Annuyn, dorthin kann dir keine Seele folgen. Löse dich, lass dich forttreiben …

Ein warmes Pulsieren war in dem Licht zu sehen, ehe es sich auseinanderzog und den Blick in ein ebenmäßiges Grau frei gab, in dem es keine Fragen und keine Leiden mehr gab. Einfach nur Ruhe, und sich treiben lassen.

Gewaltsam riss David seinen Blick los und drehte den Kopf weg.

Rian!

Schlaff hing sie in seinen Armen, das Band zu ihr wirkte seltsam unwirklich, wie Stoff, der zu lange der Witterung ausgesetzt wurde. Er erkannte, dass er sich hatte ablenken lassen. Der Schatten wurde unaufhaltsam vom Tor angezogen und hatte sich halb aus Rian gelöst. Entweder klammerte er sich noch zu sehr an Rian fest, oder aber sie spürte den Sog des Leuchtens noch stärker als David, denn Rians Schatten löste sich ebenfalls.

»Rian!«, rief David laut. »Rian! Halt dich fest! Bleib hier! Bleib bei mir!«

Er griff nach ihr aus über das brüchige Band, versuchte, es mit seinem Geist wieder zu stärken, die Fäden nachzuweben und zu sichern. Rian öffnete die Augen, doch sie waren glasig und starrten in das Leuchten. David schob sich neben sie, ohne sie loszulassen, legte die Hand an ihr Kinn und zwang ihren Kopf zu sich herum. Ihr Widerstand war gering, aber spürbar. Er sah sie an, auch wenn es für ihn bedeutete, wieder auf das Leuchten zu sehen. Doch es interessierte ihn nicht mehr.

»Rian, sieh mich an«, forderte er. »Sieh mich an! Geh nicht!«

Sie sah ihn an, ohne ihn wahrzunehmen. Der fremde Geist hatte sich inzwischen fast gänzlich gelöst, und seine Schlieren hingen lang auseinandergezogen zwischen dem grauen Schimmern knapp über Rians Haut, das ihr Schatten war, und dem Grau Annuyns.

»Rian, du gehörst dort nicht hin«, rief David beschwörend. »Du gehörst hierher! Nach Earrach, nach Crain! Kämpfe dagegen an! Bleib bei mir! Du gehörst nicht zu Samhain, du gehörst zu mir!«

Das schwache Heben und Senken ihrer Brust war das einzige Zeichen, dass sie noch lebte. Dann blinzelte sie kurz und bewegte die Lippen. David lehnte sich vor.

»Tu ich das?«, flüsterte sie.

Ein noch dunklerer Schatten huschte jenseits des Tores vorbei, und als hätte etwas die schwarzen Fetzen gepackt und zöge daran, rasten die Reste durch das Loch hindurch. Kaum war die letzte Spur des fremden Geistes on Annuyn, stürzten die Ränder zusammen. Für einen Augenblick bildete sich ein grell aufleuchtender goldener Punkt, dann verschwand auch dieser.

Rian blinzelte erneut und runzelte die Stirn.

»David?« Sie klang erstaunt, als habe sie nicht erwartet, ihn zu sehen.

»Rian?«, gab David mit von Erleichterung genährter Belustigung zurück.

Sie versuchte, sich aufzusetzen. »Du kannst mich jetzt wieder loslassen«, bemerkte sie.

»Wenn du darauf bestehst …« David öffnete die Arme. Ihre Haut fühlte sich wieder warm und weich an. Keine Spur der Kälte war zurückgeblieben.

Jubelgeräusche brachen um sie herum aus, die Luft in Perlen aufsteigen ließ, glänzend durch das Licht der Pflanzen. Gurgeln und Pfeifen erfüllte die Luft, Töne, die von höchsten Höhen in tiefste Tiefen und wieder zurück schwankten. David sah auf die Schwarmmutter. Die Schlieren waren gänzlich verschwunden, und auch wenn ihr Körper noch immer Anzeichen der Schwächung aufwies, kam es ihm so vor, als würden die Schuppen bereits heilen.

»Wir danken euch!«, rief einer der Nöcks.

»Ihr habt uns geheilt!«, fiel ein anderer ein.

»Und wir werden unser Wort halten und euch weiter helfen«, ergänzte ein Dritter.

»Sobald ihr es wollt.«

David musterte Rian. »Wie geht es dir? Willst du dich ein wenig ausruhen?«

Sie schüttelte den Kopf, strich sich über das Haar und rückte ihre Jacke zurecht, die durch die Ereignisse etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war. Mit Bedauern im Blick sah sie einigen Pailletten nach, die sich gelöst hatten. »Mir geht’s gut. Eigentlich möchte ich möglichst schnell ins Trockene und Warme.«

David nickte. »Bringt uns bitte zurück zu unserem Schiff und helft uns, so schnell und weit wie möglich nach Norden zu kommen.«

»Wir können euch ein ganzes Stück weit von der Tidenwelle tragen lassen. Wir verstärken sie in der Nacht, sodass sie euch den Fluss hinaufträgt.«

David hatte den Überblick verloren, welcher Nöck wann was sagte, und wann ihre Sätze ineinander übergingen. In Wirklichkeit, das wurde ihm klar, sprach ohnehin die ganze Zeit nur eine – Nöck-Nareva.

»Wir möchten euch aber noch etwas schenken.« Die Schwarmkönigin streckte eine Hand aus, und eine durchsichtige Kugel schwebte auf sie zu, die nur dadurch zu sehen war, weil sie das Licht in der Bewegung anders brach. Die Nareva nahm die Kugel in beide Hände. Langsam schrumpfte sie und wurde dabei milchig. Die Hände berührten sich, doch die Nareva führte die Handflächen weiter zueinander. Als sie die Hände wieder öffnete, lag eine Perle von perfekter Form darin. Sie reichte sie Rian.

»Diese Perle ist Wasser, wie ihr es von hier kennt, Wasser, in dem ihr atmen könnt und das euch Schutz geben wird, gegen viele Dinge. Es soll der Dank sein für das, was ihr getan habt.«

Rian nahm die Perle entgegen und betrachtete sie staunend. Sie war glatt und schimmerte in herrlichem Perlmutt. Die Elfe sah die Schwarmkönigin an und nickte mit einem Lächeln. »Die Schuld ist beglichen.«

Die Nöcks verneigten sich vor den Zwillingen. »Wir danken euch!«

Die Tidenwelle trieb sie schneller voran als der schwache Nachtwind es vermocht hatte. Es war eine Welle der Anderswelt, die in beiden Welten ihre Wirkung hatte und sie auch über diejenigen Flüsse nach Norden trieb, die in der Welt der Menschen lagen. »Hütet euch vor den Trollen«, hatte die Schwarmkönigin zum Abschluss gewarnt. »Sie sind immer noch unter den Menschen des Nordens aktiv, manchmal im guten, manchmal im schlechten Sinne. Sie kennen keine Treue und Regeln interessieren sie nicht. Sie nutzen die Macht der Tidenwelle.«

»Trolle sind vermutlich unser geringstes Problem«, meinte David, während er zu den Sternen aufsah und abzuschätzen versuchte, wie weit sie noch nach Norden mussten. »Irgendwo treibt der Getreue sein Unwesen, und er hat viele Helfer. Und wenn bereits die Schatten Annuyns in der Anderswelt auftreten, dann ist womöglich jetzt schon mehr im Argen als wir erhofft hatten. Hast du etwas darüber herausgefunden, wer den Schatten geholt hatte?«

»Ja, das habe ich.«

»Und? Hat es etwas mit dem Getreuen zu tun? Hat er Verbündete in der Anderswelt, die jetzt sogar die Toten für ihre Zwecke nutzen wollen?«

»Nein«, antwortete Rian. »Der Schatten ist nicht geholt worden. Er ist in unsere Welt gefallen

Davids Mund wurde trocken. »Das heißt …«

Rian nickte. »Die Grenzen werden dünn. Mauern sind zu Schleiern geworden, und die Schleier reißen auf. Die Welten nähern sich, und wenn nichts geschieht, um es zu verhindern, stürzen sie irgendwann ineinander. Genau, wie Nicholas Abe es Nadja prophezeit hatte.«

4.
Klein, aber fein

Mehrere Tage vergingen, in denen Ainfar sich mehr denn je bemühte, durch nichts aufzufallen, und förmlich mit dem Zwielicht der Zitadelle verschmolz. Er vermied alle Begegnungen, redete nicht mehr als unbedingt notwendig und erledigte seine Aufgaben schnell. Die ganze Zeit kreisten seine Gedanken abwechselnd um den Getreuen und Regiatus, und er war zerrissen zwischen Furcht und Sehnsucht.

Als es an ihm war, gemeinsam mit anderen Dienern bei Bandorchus Tafel aufzutragen, verkrampfte er sich innerlich bei dem Gedanken daran, dass der Getreue ihn dabei wiedererkennen könnte. Die Schüsseln, die er fliegend vor sich her in die große Halle dirigierte, wankten leicht unter seiner Furcht. Sein Blick flog über die langen Tafeln, die auf den versteinerten Beinen von löwenartigen Wesen ruhten, die sich Bandorchu bei ihrer Machtergreifung über das Schattenland widersetzt hatten. Sanftes Licht aus durch die Luft schwirrenden Kugeln erfüllte den ganzen Raum bis hoch zur hohen Bogendecke mit ihren verschlungenen, juwelendurchsetzten Stuckaturen. Einzelne Inseln aus Zwielicht gab es auf halber Höhe über jedem Tisch, wo sie schwebende Formen hervorhoben, gleich Fontänen ohne Brunnenbecken und mit ständig wechselnden Farben und Strömungen. Es war von ästhetischer Schönheit und zugleich sinnverwirrend.

So wie die Herrscherin selbst, die all das geschaffen hatte.

Ainfar sah zum Ende der Halle, wo auf einem Absatz die Tafel der Königin aufgebaut war. Sie saß in der Mitte, alle überragend mit ihrer Größe und ihrer Ausstrahlung. Selbst aus der Ferne konnte Ainfar die Leichtigkeit und Eleganz erkennen, mit der sie jede ihrer Bewegungen durchführte – das sachte Neigen ihres Kopfes, das ihr langes goldenes Haar in wellenartige Bewegung brachte, die grazile Art, in der sie die Hand hob, um die Strähnen wieder zurückzustreichen, oder wie sie den Arm ausstreckte, um mit der schlanken Hand nach dem Kelch vor sich zu greifen – all das unterstrich nur die einzigartige Schönheit ihrer Züge, ihrer blass schimmernden Haut, ihrer schlanken und biegsamen Gestalt.

Kein Mann konnte sie ansehen, ohne sie zu begehren und zu verehren. Und dennoch würde es niemand wagen, die Hand nach ihr auszustrecken, denn ebenso wie ihre Schönheit umgab sie ihre Macht als spürbare Aura. Nur einer schien dieser Macht Vergleichbares entgegensetzen zu können, wurde von ihr wie ein Gleichwertiger behandelt: Der Getreue. Dabei wusste niemand, wer sich unter dieser Kutte verbarg, woher er gekommen war oder was seine Ziele sein mochten.

Er war eines Tages aufgetaucht und schnell zum Mann an der Seite der Herrscherin aufgestiegen, in mehr als einer Hinsicht, wie man munkelte. Wenn es so war, war er der Einzige, der sich rühmen konnte, dass sein Begehren Erfüllung gefunden hatte. Warum? Gab es etwas, womit er die Königin in der Hand hatte, dass sie ihm gewährte, was sie keinem anderen ihrer Diener schenkte? Wer von beiden zog in Wirklichkeit die Fäden?

Der Einzug der Dienerschaft begann, und Ainfars Blick glitt von der Herrscherin zum Platz an ihrer Seite. Er war leer.

Erleichtert atmete er auf.

In einer Reihe mit den anderen Bediensteten schritt Ainfar vor zur königlichen Tafel und zählte, als die Reihe an ihm war, in einem Singsang auf, welche Speisen er brachte. Er hielt dabei den Blick auf Bandorchu gerichtet, um anschließend entsprechend ihrer Gesten vorlegen zu können. Die kurzzeitige Nähe der Herrscherin, als er den Teller nach ihren Wünschen füllte, der Klang ihrer glockenreinen Stimme, als sie ihm erlaubte, weiterzugehen, und der Blick ihrer kristallgrünen Augen ließen ihm für einen Augenblick den Atem stocken. Doch dann wandte sie sich wieder ihren Höflingen zu, und es war, als wäre er aus der Sonne ins Zwielicht getreten.

Er blinzelte kurz, dann fuhr er fort, die Speisen zu verteilen.

Als all seine Schüsseln entweder leer oder an die anderen Tische verteilt waren, kehrte Ainfar an das untere Ende der Halle zurück und setzte sich neben eine Schwanenfrau, die sich bemühte, mit schlanken Händen ihr weißes Kopfgefieder glatt zu streichen. Schwarze Ringe umgaben die Augen, die sie ihm mit einer langsamen Drehung ihres langen Halses zuwandte, und ihre orangegelben Lippen wirkten grell gegen die weiße Blässe ihrer Haut.

»Hast du schon gehört, was man sich über Gofannon und den Kau sagt?«, schnarrte sie.

Ainfar schüttelte den Kopf. Er hatte seit seiner Begegnung mit dem Getreuen kaum mehr ein Wort mit jemandem gewechselt und war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, um zuzuhören, was die anderen erzählten.

»Man sagt, sie wären draußen gewesen.«

Der Tiermann runzelte die Stirn. »Draußen? Vor der Zitadelle?«

»Nein. Draußen, außerhalb des Schattenlands.«

Ainfar starrte die Schwanenfrau an. »Das ist nicht möglich, Dame Branid.«

Branid rollte in einer grazilen Bewegung die Schultern und wiegte den Kopf. »Ich wiederhole nur, was man so sagt. Und möglich oder unmöglich – hättest du das hier für möglich gehalten?« Ihre Hände flatterten herauf und umfassten mit einer einfachen Drehung alles um sie herum.

Ainfar schüttelte den Kopf und starrte auf sein Essen. »Weißt du mehr darüber, wie sie es dorthin schaffen konnten?«, fragte er so unverfänglich wie möglich, während in ihm ein Aufruhr herrschte.

»Die Königin soll ein Tor geöffnet haben. Aber nur die können durch, die aus irgendwelchen Gründen nicht unter Fanmórs Urteil stehen. Der Kau war schon vorher freiwillig hier, habe ich gehört, darum konnte er gehen.« Sie zuckte die Achseln. »Leider ist es kein Weg für unsereins, oder für die Königin selbst. Aber so, wie es ist, lässt es sich jetzt ja auch hier ganz gut leben.« Sie stieß ihre Silbergabel in ein Nest aus langblättrigem Teichgras und drehte sie.

Ainfar brachte vor Aufregung und neu erstandener Hoffnung kaum mehr einen Bissen hinunter.

Auch er war freiwillig hierher gegangen. Bruder, dachte er, ich komme nach Hause.

Aber bis dahin hatte er noch eine Menge zu tun.

Ainfar drückte sich in den Schatten eines Bogens des Umgangs und sah hinaus in den großzügigen Innengarten. Sattes Grün in allen Tönen bedeckte schimmernden Kristall und staubgedunkelten Fels, der über die Zeiten aufgebrochen und nun mit Moos und Flechten besetzt war, mit Blumen und Büschen bewachsen und von schlanken Bäumen beschattet. Zu Ainfars Rechter schwebte ein Brunnen, nichts als sich ewig hebendes Wasser, das hoch über ihm in einer Explosion auseinanderspritzte und von dort kaskadenartig Richtung Boden sank, nur um dort wieder wie in einem unsichtbaren Sog zusammen zu treiben und erneut aufzusteigen. Doch seine Gedanken waren nicht bei der Schönheit, die sich ihm präsentierte. Sie war es nicht, weswegen er hierher gekommen war.

Etwas muss geschehen sein, dachte Ainfar. Seit Gwynbaen … Bandorchu dieses Land gebrochen hat anstatt von ihm gebrochen zu werden, hat sie stetig an ihrer Befreiung gearbeitet – und nun scheint sie einen Durchbruch erzielt zu haben! Ich muss in Erfahrung bringen, was genau sie plant.

Ainfar hatte in dem Lustgarten gelegentlich kleinere Arbeiten verrichtet und dabei erfahren, dass die Königin gern hier verweilte. Manchmal wurde sie von Höflingen begleitet, meist jedoch nur von ein oder zwei Dienerinnen.

Heute hatte er keinen Blick für die kunstvoll arrangierten Steinblüten, deren normalerweise gefährliche Ranken mit metallenen Spangen in sinnverwirrenden Mustern über die gebrochenen Kristalle gespannt waren, oder die schlanken, in sich gewundenen Arboratien, von denen jeder aus einer anderen Mischung ineinander geflochtener Bäume zusammengestellt war. Heute war sein Blick fest auf den Durchgang geheftet, der zu den Gemächern der Königin führte.

Gerüchte kursierten schnell in dieser Zitadelle, die nur wenige Geheimnisse erlaubte und kaum Möglichkeiten der Zerstreuung bot. Bandorchu hatte vor kurzem ihrem Palast einen neuen Turm zugefügt, und heute würde sie seine Wände schwärzen. Sie würde aus ihren Gedanken den dunklen Staub rieseln lassen, dem sie alle ihre neue Heimat verdankten, und ihn auf dem klaren Kristall ablagern, um Licht und Schatten den Eintritt zu verwehren und zu verhindern, dass sie jemals wieder ein Bild zurückwarfen.

Danach würde sie erschöpft sein und die Ruhe des Gartens aufsuchen, um sich zu erholen. Doch dieses Mal würde sie nicht mit ihren Vertrauten allein sein. Ainfar würde heimlich dabei sein, in der Hoffnung, dass sie etwas von ihren Plänen verriet.

Damit ich endlich das tun kann, weshalb ich hergekommen bin. Damit die Angst und der Schrecken und der Schmerz, das Vergessen und das Wiederfinden, endlich einen Sinn bekommen. Damit ich Möglichkeiten finde, eine Verbindung zu Regiatus aufzubauen, was mir bisher nie gelungen ist.

Kurz blitzte vor seinem inneren Auge wieder das Bild des Getreuen auf, doch er schob es beiseite.

Egal wie groß die Gefahr ist – die Gefahr, mich hier endgültig zu verlieren, ist größer. Was bleibt von mir, wenn ich wieder vergesse, warum ich hier bin?

Etwas bewegte sich hinter den hängenden Ranken des grünen Wasserfalls, der einen Teil des verwinkelten Gartens Ainfars Blick entzog; es ließ die Zweige darin schwanken und die Blätter erwartungsvoll rascheln. Ein Windhauch trug leise Stimmen mit sich, eine gemurmelte Unterhaltung zwischen zwei Frauen. Und dann, gebieterisch darüber erhoben, erklang der reine Sphärenklang der Stimme der Königin. Das Warten hatte sich gelohnt.

Augenblicke später teilte sich der Vorhang der mit kleinen, Blutstropfen gleichenden roten Blüten besetzten Hängeranken. Die Zweigfinger einer Dryade schoben sie zur Seite und gewährten Einblick in die Höhlung unter dem moosigen Fels, an dessen Kante die Ranken verwurzelt waren. Dort saß sie, womöglich eine Spur bleicher als gewöhnlich, gegen den dunklen Fels gelehnt und die Augen geschlossen. Schatten deuteten Falten an, die sonst nicht zu sehen waren. Und doch strahlte sie Herrschaft aus, ungebrochene Macht.

Macht, die trotz ihres verschwenderischen Einsatzes und der Widrigkeiten dieser Welt eher zu wachsen scheint als zu schrumpfen. – Oder vielleicht gerade deswegen?

Sie hob eine Hand und drehte den Kopf in Ainfars Richtung, um die Dryade anzusprechen. Ihre Lippen bewegten sich, und wieder hörte er den reinen Klang ihrer Stimme, ohne jedoch über dem Rauschen des nahen Brunnens den Wortlaut verstehen zu können.

Ich muss näher heran.

So, wie er war, in der Gestalt eines Elfen, würde er sich allerdings nicht verbergen können. Doch ihm standen andere Wege zur Verfügung.

Ainfar konzentrierte sich. Es war lange her, dass er das letzte Mal seine Gestalt gewechselt hatte. Niemand in der Zitadelle sollte diese Fähigkeit kennen, damit auch niemand Verdacht schöpfen konnte, wenn er begann, sie anzuwenden. Und es hatte sogar Zeiten gegeben, da er selbst sie vergessen hatte …

Er schüttelte die unangenehme Erinnerung – die Nicht-Erinnerung – ab und konzentrierte sich, in seinem Geist entstand das Bild von etwas, zu dem er werden wollte. Er spürte das Wesen, sein Fell, seine Krallen, jeden seiner Atemzüge und jeden seiner Herzschläge, und glich seine eigenen Takte daran an. Sein Atem wurde schnell und flach, sein Herzschlag beschleunigte sich, und die Härchen auf seiner Haut stellten sich auf.

Überall auf seinem Körper begannen die dunkelbraunen Linien einen sinnverwirrenden Tanz, weiteten und wanden sich und veränderten das Gewebe darunter zu etwas festerem. Immer weitere Härchen sprossen daraus hervor, schlossen sich zu einem dichten silbrigen Fell über dem dunklen Leder zusammen, während darunter der Körper des Elfen sich zusammenkrümmte und schrumpfte. Das durchgehende Braun seiner Augen wurde schwarz, und er kniff die Augenränder etwas zusammen, um einen Teil der Helligkeit auszuschließen, die plötzlich hineinfiel.

Eine Weile sah er seine Umgebung nur verschwommen, während sie sich reckte und streckte und in scheinbaren Dehnungen und Windungen um ihn herum in die Höhe wuchs. Dann wurde seine Wahrnehmung wieder klarer, als die Instinkte und Sichtweisen des Tiers in ihm die Oberhand gewannen, dessen Gestalt er angenommen hatte, ohne dabei sein eigenes klares Ich zu verdrängen.

Sein Kopf befand sich kaum mehr als eine Handspanne über dem Boden, und er hatte die Sicht auf die umrankte Felsnische verloren. Eine felsige Hügellandschaft voller bizarrer Bäume und Büsche schien nun zwischen ihm und seinem Ziel zu liegen. Ainfar richtete sich auf den Hinterbeinen auf, fuhr sich mit den kleinen schwarzen Händchen, die lediglich weiche Krallen hatten, über seine flache Stupsnase und schnüffelte. Gleichzeitig zuckten die mit flauschigen Büscheln bewachsenen dreieckigen Ohren herum, auf der Jagd nach jedem Laut, der ihm etwas über seine Umgebung verraten konnte.

Da. Ihr Lachen. Und ein süßer und trotzdem leichter Duft zog durch den Garten, ein Duft nach Futter und Wärme und Nähe. Hastig ließ er sich wieder auf die Vorderpfoten nieder und tauchte in den Dschungel aus großen Blättern und dicken Ranken ein, als der sich der Garten ihm nun darbot.

Eigentlich hätte es ihn nur wenige Augenblicke kosten dürfen, über die Felsen zu huschen, die ihn von der Höhlung unter dem Rankenvorhang trennten. Doch für ein Wesen wie das, zu dem er geworden war, erwies er sich schnell als gespickt mit versteckten Fallen.

Links über die Felsen … nicht den Steinblumen zu nahe kommen …

Schon neigten sich die hungrigen Kelche zu ihm herunter, Klebfäden zischten an ihm vorbei, die ihn binden und zu den sonnengelb schillernden Blüten ziehen sollten. Speicheltropfen rannen über die Kelchränder und ließen ahnen, was ihn dort erwarten würde. Und gleichzeitig ertönten helle klare Töne wie von Silberglöckchen, beruhigend und voller anziehender Schönheit …

Ainfar schüttelte den Kopf. Einen Moment hatte es tatsächlich Macht über ihn gewonnen, hatte ihn einen Sprung machen lassen, der ihn zu den Blumen hinführte. Seine Augen weiteten sich, und er warf sich mit einem erschrockenen Quietschen zur Seite. Dicht an seinem Ohr zischte ein weiterer Klebfaden vorbei, erwischte einige seiner langen Ohrhaare und zerrte daran. Mit einem erneuten Schreckenslaut warf er sich nach vorn, ohne auf den kurzen Schmerz zu achten, mit dem sich die Haare von ihren Wurzeln lösten. Es klang wie ein Peitschenknall, als der gespannte Klebfaden zurückschnalzte, ein Peitschenknall, der Ainfar weiter anspornte.

Zwei, drei Sprünge mehr, dann tauchte er in einen Wald aus langen schlanken Blättern ein. Er bemerkte seinen Fehler sofort. Schneidend scharf fuhren die Blattkanten über seine Haut, rissen sie auf und ließen Reihen kleiner blutiger Punkte entstehen, die das weiße Fell befleckten. Ainfar duckte sich tiefer, versuchte, so vielen der Blätter auszuweichen wie möglich, und hoffte, dass er die Staude bald hinter sich ließ. Die nächsten würde er umgehen, so viel war sicher.

Es wurde heller vor ihm, und er beschleunigte seine Sprünge, hechtete zwischen den letzten Blättern hinaus auf den blanken geschwärzten Felsen. Sofort kam er ins Rutschen. Verzweifelt versuchte er, mit seinen Krallen wieder Halt zu bekommen, während eine Felsstufe förmlich auf ihn zuzuschießen schien. Im letzten Moment zog er die Krallen ein und bremste seine Schlitterfahrt mit der bloßen ledrigen Haut seiner Pfoten und seines Bauchs. Mit dem letzten Schwung seiner Gleitfahrt rollte er herum, sodass nur sein Kugelkörper gegen die Stufe prallte.

Innerlich aufseufzend blieb Ainfar einen Moment liegen, ehe er sich wieder auseinanderrollte, sein Fell glatt strich und parallel zur Stufe den Fels hinauf rannte, bis diese niedrig genug war, um hinauf zu springen.

Die nächsten Stauden und Büsche umging Ainfar weiträumig mit hastigen Sprungtripplern und wäre dabei beinahe zu nah an ein weiteres Feld Steinblumen geraten, die sich schon förmlich die Lippen nach ihm zu lecken schienen und mit Macht ihren lockenden Gesang ausstrahlten. Irgendetwas zappelte in einem Kokon aus Fäden … ein anderes Tier, das weniger aufmerksam gewesen war als er, oder vielleicht sogar ein kleines Elfenwesen. Es war nicht ungewöhnlich, dass immer mal wieder Bewohner der Zitadelle verschwanden, und vielleicht gingen sie nicht alle auf das Konto des Getreuen, irgendwelcher Strafaktionen der Königin oder der internen Intrigen. Vielleicht wurden manche nur zu neuer Nahrung für die hungrigen Pflanzen der Gärten.

Schaudernd wechselte Ainfar den Kurs und hetzte eine andere Felsfläche hinauf. Er wollte auf den Überhang gelangen, unter dem die Höhlung war, in der sich die Königin mit ihrer Dienerin aufhielt. Vielleicht konnte er sich dort am Rand irgendwo in eine Nische drücken, die es ihm erlaubte, das darunter geführte Gespräch mitzuhören. Schon von hier aus konnte er sie sprechen hören, vereinzelte Worte nur, aber manche davon verstand er. Er beschleungite. Wer wusste schon, wie lange die Königin noch bleiben würde?

Den Fehler in seinem Plan entdeckte Ainfar in dem Moment, da er den Überhang entlang zu rennen begann. Er war überzogen von den silbrig schimmernden Wurzeln der Ranken, die den Vorhang bildeten. Und den Grund dafür, warum diese Ranken nirgendwo Anzeichen trugen, dass sie von Tieren angenagt worden wären, bemerkte Ainfar schnell.

Nichts in diesem Garten war von so reiner Schönheit, wie es wirkte.

Das Schimmern der Wurzeln rührte von unzähligen feinen Häkchen her, die die Oberflächen überzogen. Und diese wiederum bedeckten den gesamten Fels in einem feinen Geflecht. Ainfar hatte bereit drei lange Sätze in das Flechtwerk hinein hinter sich, ehe er bemerkte, was geschah.

Dort, wo seine Pfoten auf die Wurzeln aufsetzten, begann er, das Gefühl zu verlieren. Doch der Schwung trug ihn weiter, und es war ohnehin zu spät, um noch umzukehren. Gehetzt starrte er nach vorn, wo an der Felskante die Wurzeln in Ranken übergingen.

»Sag den Wachen, dass er zu mir zu bringen ist, sobald er wieder auftaucht«, hörte er leise die Stimme Bandorchus unter sich. »Umgehend.«

Eine Gestalt trat unter dem Fels hervor, eine schon unglaublich schlanke Frau mit einem Schlangenkopf. In wiegendem Gang entfernte sie sich in Richtung des Bogengangs, ohne den Kampf des kleinen pelzigen Wesens über sich zu bemerken.

Ainfar gab sein Letztes. Er dachte nicht mehr darüber nach, was er tat; er wusste nur, dass er nicht hierbleiben durfte. Unter ihm hatten die Wurzeln zu pulsieren begonnen, wogten erwartungsvoll unter ihrem nächsten Opfer, und er vermutete, dass die scheinbaren Blüten an den Ranken vielleicht doch eher das waren, wonach sie aussahen: Blutstropfen.

Die Kante kam näher, während die Betäubung sich weiter ausbreitete. Zugleich wurde ihm schwindlig – vermutlich ein Effekt des Giftes, das die Wurzeln absonderten. Ein leiser Winsellaut entwich aus dem schmalen Mund unter seiner schwarzen Stupsnase.

Nur noch drei Sprünge bis zur Kante, zwei … was auch immer geschehen würde, es konnte nicht schlimmer sein, als bei lebendigem Leib von einer Pflanze verdaut zu werden. Eins …

Er sprang, streckte die tauben Händchen aus und versuchte, die Ranken zu fassen zu bekommen, um den Sturz zu dämpfen. Doch alles verschwamm vor seinen Augen, und selbst als seine Fingerchen sich um etwas schlossen, konnte er sich nicht halten. Taumelnd stürzte er durch den Blätterfall abwärts, riss Stängel ab und verfing sich kurzzeitig in Ranken, nur um doch weiter zu fallen, wenn er gerade Hoffnung schöpfte. Schließlich durchfuhr ihn ein letzter dumpfer Schmerz, als er mit dem Rücken auf dem moosbewachsenen Felsboden aufschlug. Erneut stieß er einen Klagelaut aus und schloss dann die Augen.

Plötzlich fühlte er sich von dürren Zweigen gepackt und hochgehoben. In panischer Angst, dass nun auch die Ranken zum Leben erwacht sein könnten, riss Ainfar wieder die Augen auf und schlug mit seinen Pfoten wild um sich.

»Schhhht, Kleiner«, hörte er eine knarrende Stimme sagen. »Es ist doch gut … bist du aber ein süßes Felldings …« Die Finger legten ihn auf etwas ab, das sich anfühlte, als sei es mit furchiger Borke bedeckt. Und dann streichelten sie ihn am Bauch. Ainfar quiekte auf und rollte sich herum, um die empfindlichste Hautpartie seines Körpers zu schützen. Ein knorriges Lachen erklang, und nun strichen die Finger über sein Rückenfell.

Langsam wurde Ainfars Herzschlag ruhiger, und das klare Denken setzte wieder ein.

Ich sitze auf der Hand der Dryade, erkannte er. Sie hat mich gesehen und aufgehoben.

»Was hast du da, Melemida?«

Die Stimme Bandorchus, ganz dicht. Ainfar erstarrte, und sein kleiner Körper zitterte noch mehr.

»Nur ein flauschiges Silberhörnchen, Herrin. Es muss in die Ranken geraten sein, als es sein Arboratium verlassen hat. Dummes kleines Ding, warum bleibst du nicht da oben …« Sie streichelte weiter sacht Ainfars Rücken bis hinunter zu seinem Stummelschwänzchen, während sie sich ihrer Herrscherin zuwandte.

Kurz überkam Ainfar Panik. Die Königin … sie würde ihn sofort durchschauen! Eine Frau ihrer Macht konnte nicht so leicht getäuscht werden …

Andererseits beinhaltete nur der Vorgang der Verwandlung Magie. War er erst einmal ein Tier, haftete an ihm nicht mehr als jeder anderen Kreatur des Schattenlands. Vielleicht würde sie doch keinen Verdacht schöpfen. Nicht, solange sie keinen Anlass hatte, seine Gedanken zu erkunden.

Er spürte förmlich, wie der Blick der Königin über ihn glitt – kühl, forschend, unberührt von dem, was sie sah. Sie war mit ihren Gedanken beschäftigt, ihren Problemen.

»Der süße Kleine ist verletzt«, stellte Melemida fest. Ein Finger strich über seine Seite, wo die Blätter ihre Spuren hinterlassen hatten. »Ich möchte ihn behalten. Er ist so flauschig, ich mag gar nicht mehr aufhören, ihn zu streicheln.«

Ainfars Gedanken rasten. Die Zofe mochte ihn und wollte ihn bei sich behalten. Gab es eine bessere Möglichkeit, der Königin nahe zu sein?

Aber mein Fehlen wird bemerkt werden! Was, wenn nach mir gesucht wird? Was, wenn sich dann doch noch jemand hier daran erinnert, was für Fähigkeiten ich zu Hause in Earrach gezeigt habe?

Er schüttelte den Kopf und strich sich mit seinen geschundenen Händchen über die Nase, was der Dryade einen Laut des Entzückens entlockte.

Sie werden denken, ich sitze im Kerker oder bin zu den Spiegelhügeln geschickt worden. Niemand wird mich vermissen. Selbst Branid wird sich nicht mehr an mich erinnern. Und sollte es noch jemanden geben, der mich von Earrach her kennt, dann wird er besseres zu tun haben als in alten Erinnerungen zu kramen. Nein – dies hier ist das Beste, was mir passieren konnte.

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