Kitabı oku: «SELBST-geführte Psychotherapie», sayfa 4

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Selbstreflexion im Gespräch

Ein paar wichtige Fragen könnte sich die Behandlerin immer wieder stellen: Hat das, was ich da erlebe, etwas mit mir zu tun? Erlebe ich es oft, dass ich eben diese Gefühle und Handlungsimpulse an mir wahrnehme? Welchen Teil in mir spricht das an? Lösen Klient*innen oft dieselben Gefühle in mir aus (dann hat das vermutlich seinen Ursprung in meiner eigenen Geschichte) oder kann ich mich relativ frei auf die Klient*innen einschwingen und auch wieder zu mir zurückoszillieren?

Die Selbstbeobachtung verhilft zu einer differenzierteren Wahrnehmung unserer selbst, unserer Gefühle, unseres Körpers, unserer Probleme, unserer Grenzen, unserer Stärken und unserer Schwächen. Sie hilft, unsere blinden Flecken zu erkennen, eine eingeengte Wahrnehmung zu korrigieren und ist der erste Schritt, mit uns selbst und dem anderen besser in Kontakt und Beziehung zu treten. Sie ist nicht immer einfach, aber eröffnet uns den Weg zu dem eigenen inneren menschlichen Reichtum.

Falls bis zu diesem Punkte noch Zweifel an der Notwendigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbstfürsorge für Therapeut*innen und Ärzt*innen bestehen sollten, hier noch ein Gedicht von Erich Fried:

Der Warner

Wenn Leute dir sagen: »Kümmere dich nicht so viel um dich selbst«, dann sieh dir die Leute an, die dir das sagen. An ihnen kannst du erkennen, wie das ist, wenn einer sich nicht genug um sich selbst gekümmert hat.

Übertragung und Gegenübertragung

Diese Begriffe wurden erstmals in der Psychoanalyse beschrieben.

Den Mechanismen von Übertragung und Gegenübertragung begegnen wir jedoch überall und sie sind nicht nur in therapeutischen Beziehungen von Bedeutung. Besonders häufig beschäftigen sie uns allerdings im psychotherapeutischen und ärztlichen Alltag.

Der Begriff der Übertragung wird verwendet, wenn der Klient etwas auf den Behandler überträgt. Dabei richtet der Klient oder Patient seine Gefühle, Wünsche (auch an die Beziehung), Bedürfnisse, Erfahrungen aus früheren lebensgeschichtlich wichtigen Kontexten auf die heutigen Behandler*innen. Auch die Wünsche, die eigentlich andere Menschen hätten erfüllen sollen. Er lebt in der unbewussten Überzeugung, dass die Bedürfnisse, die ihm damals versagt wurden, nun diese Behandler erfüllen müssten, beziehungsweise er lebt die ganze schwierige Palette der Gefühle der schon in der Kindheit frustrierten Bedürfnisse nun noch einmal mit seinem Behandler durch. In der Psychotherapie sind Übertragungen ein wichtiges, zu bearbeitendes Feld. Wenn der Klient introspektiv ist und Interesse an seinen Übertragungen zeigt, liefern sie wichtige Informationen zu den früheren Szenarien, in denen der Klient gelebt hat. Das gelingt umso leichter, je weniger die Therapie mit regressiven therapeutischen Instrumenten arbeitet und umso mehr die Therapie in erwachsener Selbstverantwortung Anwendung findet.

Für Gegenübertragung gibt es zwei Definitionen.

1 Die erste meint die Übertragung von Gefühlen, Bedürfnissen, Erfahrungen und auch Wünschen an die Beziehung zum Klienten vonseiten des Behandlers, die aus dessen eigener Lebensgeschichte und seinen unerfüllten Bedürfnissen stammen. Hier verbergen sich nicht selten Wünsche nach Wertschätzung und Anerkennung für seine außergewöhnlichen, aufopfernden Leistungen. Die Klienten sind jedoch nicht dazu da, dem Behandler etwas geben zu sollen, was er in seiner Vergangenheit hat entbehren müssen. Nicht selten leider werden jedoch Klienten in der Therapie emotional oder gar auch sexuell missbraucht. Hier sind Selbsterfahrung und Selbstreflexion unabdingbar notwendig und hilfreich, um nicht unbewusst in diesen Gegenübertragungsmodus zu verfallen und um für klare Grenzen in der Therapeuten-Klienten-Beziehung zu sorgen. Auch die unbewussten Reaktionsmuster und Resonanzen des Behandlers auf den Klienten zählen in die ­Kategorie der Gegenübertragung. Gegenübertragungsgefühle sollte der Behandler jedoch niemals am Klienten ausagieren, sondern sie sorgfältig wahrnehmen und an ihnen arbeiten. Es ist unerlässlich, dass er sich selbst für so wichtig nimmt, dass er ihn belastende Gefühle überhaupt als solche wahrnimmt, sie nicht einfach aushält, sondern nachverfolgt, auf welchem Hintergrund sie entstanden sind. Sind es eher ihn persönlich betreffende Gefühle oder doch Gefühle des Klienten, mit denen er sie verwechselt? Um das zu klären, ist die Supervision ein guter Ort, der dann aufzusuchen ist. Das gehört auch zur Professionellen Selbstfürsorge. Siehe auch Teil 4.

2 Die zweite Definition entspricht eher dem Gegenübertragungsbegriff bei Sándor Ferenci, der die Gegenübertragung zum Nutzen des Klienten instrumentalisiert sehen wollte, um so den Klienten über das im Therapeuten empfundene Gefühl besser verstehen zu können. Wir nehmen manchmal Gefühle wahr, die Gefühle unseres Gegenübers spiegeln und zu denen noch kein emotionaler und/oder bewusster Zugang besteht. Diese Gegenübertragungsgefühle therapeutisch nutzen zu können, setzt voraus, dass der Behandler auch Gefühle auf seinem Resonanzboden bewusst wahrnehmen kann, die nicht seine eigenen sind. Sie werden dadurch ausgelöst, dass der Klient gerade diese Gefühle bei sich unbewusst ausklammert oder abspaltet. Es ist eine hohe Herausforderung und braucht intensive Selbstkenntnis sowie eine gute Schulung der Gefühlswahrnehmung, um diese Unterscheidung treffen zu können. Was ist die Resonanz meines eigenen Inneren und was löst jemand anders in mir an Gefühlen, Empfindungen, Reaktionen etc. aus, das eigentlich nicht zu mir gehört?

Für therapeutische Begegnungen ist es ein riesengroßer Gewinn, den eigenen Resonanzboden und seine Gefühle gut zu kennen und die Gegenübertragungsgefühle von diesen unterscheiden zu können und sie nicht unbewusst auszuagieren. Dann können diese Gegenübertragungsgefühle als Diagnostikum und als Therapeutikum nutzvolle Anwendung finden. (Siehe auch Oszillieren, Metaebene, Resonanz.)

Ein mir sehr eindrückliches Beispiel möchte ich gerne hier schildern.

Ein etwa 55-jähriger Mann, klein und drahtig mit Halbglatze, überfreundlich und beflissen, mir all seine Beschwerden ­minutiös darlegend, kam aufgrund von Knieschmerzen zur Akupunktur in meine Sprechstunde als Ärztin. Bei der Schilderung seiner Beschwerden fügte er nach fast jedem Satz hinzu: »Wissen Sie, Frau Doktor?« Dies geschah in einem immer drängenderen Automatismus, dass er diesen Satz mindestens zwanzigmal und gefühlt jedes Mal lauter sagte. War ich zunächst freundlich zugewandt, merkte ich bald nach jedem Mal: »Wissen Sie, Frau Doktor?!,« dass ich diesen Satz so erlebte, als würde er mir im Stakkato um die Ohren gehauen und spürte ich in mir eine mir so nicht bekannte heftigste Aggression aufsteigen. Mich durchfuhr der Gedanke: »Wenn du jetzt diesen Satz jetzt noch einmal sagst, dann dreh ich dir den Hals um.« Wow, so was war mir noch nie passiert. Ich sagte zu dem Klienten: »Kleinen Moment, ich habe draußen etwas vergessen.« Ich musste einfach hinausgehen, um mich erst mal zu sortieren und herunterzuregulieren, atmete einmal tief durch und sagte zu meiner Mitarbeiterin, schon mit etwas Abstand: »Du, so was hab ich noch nie erlebt. Ich bring gleich jemanden um.« Sie entgegnete locker: »Das machst du doch aber sonst nicht«, und wir mussten beide lachen. Ich wusste, dass dieser heftige Impuls nicht meinem persönlichen Resonanzboden entsprang, ich mir dieses Gefühl aber gut merken musste, um den Patienten bei Gelegenheit beiläufig nach Gefühlen von heftiger Wut oder Ärger zu befragen.

Ich ging wieder in das Behandlungszimmer, war von meinen reaktiven Emotionen wieder heruntergekommen und fuhr mit der ganzheitlichen Anamnese fort, die den Patienten auch nach seinen Gefühlen befragt. Auf die Frage, wie er es denn so mit Gefühlen von Ärger und Wut habe, schrie er mir fast entgegen: »Ha, ich habe 21 Prozesse am Laufen.« Ich bekam einen kurzen Schreck, konterte dann aber cool, mit Herzklopfen, und fragte, was ich tun müsse, um der 22. zu sein. Darauf ging er beschwichtigend ein. Ich war wieder in meiner Mitte angelangt und konnte ihn ehrlich, mitfühlend und interessiert fragen, wie es denn gekommen sei, dass er so viel Kraft in diesen Prozessen für seine Gerechtigkeit aufwende. Er erzählte mir seine Geschichte von der Flucht von einem Gutsherrenhof und den Ländereien seines Vaters in der ehemaligen DDR, früheren und jetzigen Entbehrungen und empfundenen Ungerechtigkeiten und der Hoffnung, dass er dieses Land nach der Wende zurückbekäme. Ich erahnte, dass er stellvertretend in den ganzen Prozessen wie ein Rächer für »sein« verlorenes Land kämpfte. Er hatte in den letzten zehn Jahren seine ganze Arbeitskraft in diese Prozesse hineingesteckt, war darüber arbeitslos und noch ärmer geworden. Dennoch kämpfte er weiter gegen die Mühlen der Bürokratien und das ihm vermeintlich zugefügte Unrecht mit einer Mordswut – diesem Gefühl, das ich so hautnah an mir erlebt hatte. Ich wusste nun, woher es kam. Es gehörte zu der Geschichte des Klienten und ich konnte es mit Mitgefühl und in Respekt für sein erlebtes Leid bei ihm lassen. Das hat gereicht, um in der weiteren Behandlung bei seinem immer wieder mal einfließenden »Wissen Sie, Frau Doktor« keine aggressiven Affekte mehr zu haben. Ich konnte nun meine eigene Resonanz spüren und ihm ohne Worte ein verständnisvolles »Ja, jetzt weiß ich etwas von Ihrer Geschichte« in den Raum zustellen. Die weitere Behandlung gestaltete sich ohne Gefühlsstürme meinerseits und ohne Verwicklungen und Komplikationen.

Ein wichtiger zu erwähnender Sonderfall von Gegenübertragung ist die Projektive Identifikation. Hier identifiziert sich der Behandler unbewusst mit Menschen und deren meist schrecklichen Verhaltensweisen aus der Vergangenheit des Klienten, die diesem schwer geschadet haben, und agiert diese Verhaltensweisen unbewusst am Klienten aus. Häufig zu finden sind solche Beispiele bei Menschen mit Suchterkrankungen oder auch bei Traumatisierten, bei denen die Behandelnden unbewusst den Teil des Gefühlsszenarios aus der Kindheit der Klienten in Ansätzen ausagieren, der durch Gewalt, Erniedrigung, Missbrauch aller Art sowie Gefühlsausbrüche der Täter geprägt ist. Sie »erleben« diese Gefühle dann als Resonanz in teils erschreckenden und für sie nicht üblichen Ausbrüchen und agieren derbe Entwertungen am Klienten aus. Diese Gefahr sollte natürlich so früh wie möglich erkannt und gebannt werden. Ein Ausagieren dieser Gefühle schädigt Klienten in besonders dramatischer Weise, wenn sie zuvor Vertrauen zu den Behandelnden gefasst haben. Es ist für die Begegnung und für die Therapie von großer Wichtigkeit, solche Gefühle in sich zu erkennen und nicht zu verdrängen. Sie offenbaren einen Teil der Geschichte dieses Patienten, und es kann daran gearbeitet werden, aber eben ohne sie auszuagieren.

Atmosphären

Atmosphäre ist physikalisch eine Lufthülle der Erde, im übertragenen Sinne die Luft, die wir atmen, das Fluidum, das Medium, das die Stimmung der Umwelt vermittelt. Atmosphäre umgibt uns ständig und überall, ist von Sinnesempfindungen, Gefühlen und Erleben durchwirkt, von Bewusstem und Unbewusstem. Atmosphäre ist nichts Statisches. Sie ist nicht beobachtbar, nur wahrnehmbar. Sie ist spürbar, nicht greifbar, oft schwer zu beschreiben. Dennoch wirkt sie auf alle Sinneskanäle eines jeden Menschen je nach Prädisposition und Empfänglichkeit und bereitet ein Feld. Atmosphären, Erlebtes, Szenen, Erinnerungen sind kognitiv, sensomotorisch und emotional im Kopf-Gedächtnis und Leib-Gedächtnis repräsentiert.

Jeder Mensch strahlt Atmosphären aus. Das unbewusste Fluidum, das ein Mensch verbreitet, ist atmosphärisch spürbar. Wenn sich zwei oder mehrere Menschen begegnen, treffen sich ihre Atmosphären, ob sie das wollen oder nicht, sie vermischen sich ohne unser Zutun. Wir sprechen davon, dass die Chemie stimmt oder eben nicht. Atmosphäre kann als anthropologische Synergie betrachtet werden, so Hilarion Petzold. ­Atmosphären sind auch das unbewusste spürbare Feld des intrapsychischen und/oder des interpersonellen Verwoben-Seins.

Eine Schulung der Wahrnehmung bezüglich Atmosphären und der aktive Umgang mit ihnen ist bei der Arbeit mit Menschen ungeheuer nutzbringend und hilfreich bei Diagnostik, Therapie und Professioneller Selbstfürsorge. Zudem ist sie eine enorme Bereicherung der Sinne und des Erlebens. Bei dem Phänomen der Gegenübertragung spielen Atmosphären eine zu beachtende Rolle.

Die Ausstrahlung der Behandler*innen und der Klient*innen, die Inhalte und die Art und Weise, wie kommuniziert wird, bestimmen maßgeblich die Atmosphäre, in der ein Gespräch stattfindet. Und sie haben eine Auswirkung auf die Beteiligten. Jeder Mensch reagiert auf diese szenischen, nonverbalen und nur über die Sinne erlebbaren Atmosphären. Man denke nur an den Geruch in einer Zahnarztpraxis oder das aromatische Ambiente in einem Kaffeehaus, wiederum mit meist unbewussten physiologischen und emotionalen Folgen. So können Atmosphären erinnern im angenehmen oder triggern im traumatischen Sinn. Wenn ich zu meinem Gegenüber freundlich und offen eingestellt bin und dies atmosphärisch spürbar wird, kann in ihm eine andere Reaktion erwachsen, als wenn ich ihn abwertend betrachte oder eine negative Meinung über ihn habe.

Ein kleines Beispiel, wie verinnerlichte erlebte Szenen atmosphärisch triggern können: Eine Klientin war verzweifelt darüber, dass sie und ihr Freund sich immer, wenn sie in einem bestimmten Restaurant waren, so existenziell stritten, dass sie ihre Beziehung infrage stellten. Sie saßen immer an ihrem Stammplatz und nahmen auch immer bestimmte Plätze bei Tisch ein. Bei der Bearbeitung dieses Problems stellte sich heraus, dass die Klientin (K) sich in ihrer Herkunftsfamilie zehn Jahre lang jeden Tag beim Essen mit dem Vater aufs Heftigste gestritten hatte. Die Sitzposition am Esstisch war damals dieselbe wie jetzt mit ihrem Partner (P) in dem Restaurant. Die Klientin hatte unbewusst die explosive ­Tischatmosphäre mit ihrem Vater auf den Freund übertragen. Das Problem mit dem Vater konnte in der Therapie bearbeitet werden. Bei den nächsten Restaurantbesuchen wählten sie eine andere Sitzordnung und der Abend verlief harmonisch. Beide waren sehr erleichtert, dass sie fortan in Ruhe miteinander essen gehen konnten.

Empathie und Zuversicht sind die beiden wirkstärksten Faktoren in der erfolgreichen Behandlung eines Menschen. Sie werden vor allem durch die atmosphärische Haltung und Ausstrahlung, die vorwiegend nonverbal ausgedrückt werden, vermittelt. Ist die verbale Kommunikation mit der nonverbalen in Gestik, Mimik, Haltung, Ausdruck etc. kongruent, werden die Klient*innen und Patient*innen diese Empathie und Zuversicht verstärkt in sich erleben können. (Zur Erinnerung: Von der nonverbalen Kommunikation kommen 50–70 Prozent beim Gegenüber an, von der verbalen Kommunikation 30–50 Prozent.) Sie werden darauf mit einer anderen Haltung und Gestimmtheit reagieren, als wenn sie bewertend oder aus einem Persönlichkeitsanteil der Behandler*innen betrachtet werden.

Zur Atmosphäre und zum Klima in einer Praxis oder einem sonstigen Arbeitsumfeld tragen die dort tätigen Menschen mit ihren Grundstimmungen und momentanen Befindlichkeiten ebenso bei wie ihr Verhältnis untereinander. Auch die Patient*innen und Klient*innen, die an diesem Tag in die Praxis kommen, haben durch ihre Gestimmtheit Einfluss auf die Atmosphäre, zum Beispiel im Wartezimmer. Und auch das äußere Ambiente, die Gestaltung der Räumlichkeiten, die Farben und Formen, die Geräusche und Gerüche, alles wirkt auf die Sinne und prägt die Atmosphäre mit.

Offene, subjektive, geschulte Wahrnehmung

Schon Erich Fromm sah im Menschen die Fähigkeit zur subjektiven Wirklichkeitswahrnehmung, die er außer der Fähigkeit besitzt, die Realität so zu beurteilen, dass sie für ihn lebbar ist. Er betont unterschiedliche Wahrnehmungsresultate durch verschiedene Sichtweisen für ein So-Sein-Müssen oder ein Da-Sein-Dürfen. Schaut er einen Menschen nach bestimmten Kriterien, Stärken, Schwächen, Zielsetzungen oder nach »Gebrauchswert« an (So-Sein), dann entsteht ein funktionalistischer Kontakt. (Im IIFS aus einer Teile-Perspektive). Vermag er den Menschen mit Aufmerksamkeit und Respekt, mit Lust und unter Registrierung seiner Gefühle zu sehen als der, der er ist (Da-Sein), erlaubt »die Fähigkeit zu dieser Art von Wirklichkeitswahrnehmung«, den anderen in seinen tiefsten Wurzeln und in seinem ganzen Wesen zu erkennen. (Diese Beschreibung hört sich im IIFS nach SELBST an). Dazu muss er präsent sein und die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung haben, was eine Voraussetzung für ein sich Einfühlen in den anderen ist.

Diese Erkenntnis hatte er viele Jahrzehnte, bevor Daniel Siegel die faszinierende Welt der psychotherapeutischen Neurobiologie den interessierten Kolleg*innen näherbrachte und, neurophysiologisch begründet, für eine innere Ausbildung der Kunst der Achtsamkeit, der Präsenz, Offenheit und Selbstwahrnehmung, der Einfühlung in sich selbst und die anderer Menschen warb. Aus u. a. diesen therapeutischen Qualitäten heraus, die sehr den SELBST-Qualitäten im IIFS entsprechen, resultieren Erfolge in Therapien.

Wenn die subjektive Wirklichkeitswahrnehmung selbst bei einem Menschen unter verschiedenen Vorzeichen unterschiedlich ausfallen kann, was geschieht dann, wenn zwei Menschen sich begegnen? Therapeuten/Ärzte und Klienten/Patienten zum Beispiel? Oder Mann und Frau? Oder Eltern und Kinder? Oder? Und wenn wir hier schon die Denkweise der IIFS vorwegnehmend mit einbeziehen: Ist es nicht spannend zu erfahren, welche unserer Persönlichkeitsanteile auf die Persönlichkeitsanteile von anderen Menschen reagieren, und was es zu erleben gibt, wenn der Kontakt, die Begegnung und die Beziehung durch Selbstqualitäten geprägt sind?

Und dann stelle ich mir die Frage: Mit welcher Wahrnehmungsschulung werden Ärzte und Therapeuten in ihrer Ausbildung ausgestattet? Wie oft stellen Ärzte und Therapeuten ihre eigenen Wahrnehmungen über die Patienten und Klienten und sich selbst infrage? In einer Arbeit, die die Kunst der Wahrnehmung in der Gesprächsführung von Ärzten beleuchtet und sie nach ihren Wahrnehmungen gefragt werden, zeigt sich in der Mehrzahl der Fälle ein Dilemma.2 Die wenigsten Behandler konnten subjektive und objektive Wahrnehmung, Interpretation, Meinung und Ansicht, Deutung und Hypothesen im Gespräch sauber voneinander trennen, geschweige denn unterschiedliche Therapieschulen voneinander unterscheiden oder anwenden. Ärzte zeigten sich in Gesprächssituationen oft in einer besserwisserischen Grundhaltung. Michael Balint bezeichnete dies ironischerweise als »Apostolische Funktion« des Arztes. (Im IIFS würden wir von einem missionarischen, besserwisserischen Teil sprechen.) Ärzte und Ärztinnen haben gelernt, dass sie die Experten für Gesundheit sind, Patienten erleben sich ihnen gegenüber oftmals in unterlegener, kindlicher Haltung. Damit sich auch Ärzte und Patienten menschlich auf Augenhöhe begegnen und ein wirkliches Gespräch miteinander führen können, ist eine Schulung der Wahrnehmung bei sich selbst und bei seinem Gegenüber eine wesentliche Voraussetzung. (Siehe auch Teil 4 zu den Ärzt*innenteilen.)

Hier haben die in der Selbsterfahrung geübteren Psychotherapeut*innen den Ärzt*innen gegenüber sicherlich einen großen Vorteil bezüglich des Wissens und Erprobens in Wahrnehmung und Selbstreflexion. Die achtsame Wahrnehmungsschulung mit der Unterscheidung von Ich und Du macht eine dialogische Begegnung und eine professionell ­partnerschaftliche Therapeuten-Klienten- oder Arzt-Patientenbeziehung erst möglich. Das kann für alle nur gewinnbringend sein. Haltung und Methode der IIFS bringen hier eine weitere Spezifizierung und Vertiefung.

Selbstverantwortung

Selbstverantwortung dient als gute Voraussetzung, sich selbst und die anderen besser kennenzulernen, beide gleichwertig in ihrer individuellen Wirklichkeit anzuerkennen und Verantwortung für sich und sein Innenleben zu übernehmen. Ich bin ich und du bist du. In den Gestalttherapieaus­bildungen wird immer wieder dieser schönen Satz gesagt: »Ich bin ich und du bist du, und an unseren Grenzen erleben wir den Kontakt. Dort kann etwas Neues entstehen, da können wir uns begegnen.« Dazu gehört, dass wir als Menschen uns gegenseitig wertschätzen in unserem Da-Sein und die eigenen Grenzen und die des Anderen respektieren. Im Kontakt mit Klient*innen und Patient*innen kann so eine gemeinsame Arbeit beginnen.

Auf der Subjektstufe eröffnet eine derart geschulte Selbstwahrnehmung, in der ich gleichermaßen das bin, mit dem ich in meinem Inneren in Kontakt trete, neue Dimensionen der Innenräume und legt gleichzeitig die Verantwortung für sich selbst nahe. Ich bin in Kontakt mit meinem Herzen, also bin ich auch mein Herz und dafür verantwortlich. Ich bin in Kontakt mit meinem Körper, also bin ich auch mein Körper und dafür verantwortlich. Ich bin in Kontakt mit meiner Freude, also bin ich meine Freude und dafür verantwortlich. Ich bin in Kontakt mit meinem Gefühl, also bin ich mein Gefühl und dafür verantwortlich. Ich bin in Kontakt mit meiner Krankheit, also bin ich meine Krankheit und dafür verantwortlich. Ich bin in Kontakt mit meiner Gesundheit, also bin ich meine Gesundheit und bin auch verantwortlich dafür.

Und ich bin auch noch mehr als das Einzelne, das Herz, die Gesundheit usw., da ich ja wahrnehmen und darüber reflektieren kann. Das Wechselspiel von Sein und Haben der Gefühle, Reflexionen, ­Positionen und das Erklimmen von Metapositionen verschaffen Flexibilität und Erweiterung des Horizontes.

Diese Art der Selbstwahrnehmung und Selbstverantwortung zu üben, kann den Umgang mit sich selbst und auch mit anderen verändern helfen. Wären wir geschulter darin, würden so manche aktuellen zwischenmenschlichen Konflikte gar nicht erst entstehen. Ein Nährboden für viele Unglückseligkeiten ist Ich und Du zu verwechseln, Eigenes in den anderen hineinzuprojizieren und den anderen für das eigene Wohlergehen verantwortlich zu machen. Das kommt privat wie beruflich vor. Wenn die Zuständigkeiten der Verantwortung wieder bei jedem an ihren Platz rücken, kann jeder für sich, seinen Körper, sein Wohlergehen mehr verantwortlich sein, als er zunächst glauben mag. Gestehen wir diese Selbstverantwortung auch unseren Klienten und Patienten zu, dann stärkt diese Verantwortung ihre inneren Kompetenzen und Ressourcen. Wir schenken ihnen etwas, was wir ihnen sonst stehlen würden, wenn wir ihnen die Verantwortung für sich selbst oder etwas zu ihnen Gehöriges (Herz, Krankheit, s.o.) wegnehmen. In der Psychotherapie machen wir es explizit, dass wir auf die Mitarbeit der Klienten angewiesen sind, ohne die wir schlicht hilflos sind. Niemand kann gegen seinen Willen und ohne seine Mitarbeit therapiert werden. Wir haben (meistens – oder sollten ihn haben) einen expliziten Behandlungsauftrag, auf dessen Grundlage wir die Behandlung durchführen. Die Therapie geschieht auf Augenhöhe. Wir übernehmen (meistens) keine falsche Verantwortung für diejenigen, die bei uns Hilfe suchen, aus einem etwaigen Helferanteil heraus, sondern schauen mit der betreffenden Person zusammen, was sie braucht, aus einer wohlwollenden, freundlichen Haltung.

In der Medizin sind die Behandlungsaufträge leider häufiger nicht so explizit, sondern eher implizit, und die Verantwortlichkeiten nicht so gut geklärt. Der darin nicht geschulte Arzt übernimmt diesen impliziten Behandlungsauftrag und arbeitet für den Patienten, nicht mit ihm. Und an dieser Stelle überarbeitet er sich oft. Dann kommen Helfer- oder Retter-Anteile der Ärzte zum Tragen, die ihnen das Leben schwer machen und für die Patienten auf lange Sicht noch nicht einmal ­unbedingt ­hilfreich sind. Hier besteht ein großer Bedarf an der Klärung der Zuständigkeiten, wofür ist der Arzt verantwortlich und wofür der Patient. Eine Selbstverantwortung des Patienten enthebt die Therapeuten und Ärzte selbstverständlich nicht ihrer beruflichen Sorgfaltspflicht. Eine Therapie im gegenseitigen Einvernehmen und das Finden gemeinsamer Entscheidungen stärkt das Ärzt*innen-Patient*innen-Verhältnis.