Kitabı oku: «SELBST-geführte Psychotherapie», sayfa 8

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Selbstkonzepte in Psychologie und Psychotherapie

In der Psychologie und Psychotherapie des letzten Jahrhunderts gibt es viele unterschiedliche Selbstkonzepte, die hier nur holzschnittartig skizziert werden können. Dabei sind die Begriffe »Selbst« und »Ich« in den verschiedenen Theorien nicht eindeutig abgegrenzt. »Selbst« wird oft übergreifend gefasst, Beziehungen und Beziehungsbilder einbeziehend, teilweise wird »Selbst« aber auch als Teil des »Ich« bezeichnet.

Entwicklungslinien in dieser Theorienvielfalt führen von der Einpersonen-Perspektive der frühen Psychoanalyse über die spätere Objektbeziehungstheorie zu den beziehungsorientierten Ansätzen der Selbstpsychologie, dann im Weiteren zu den humanistischen, systemischen Theorien und, teils verbunden, teils unabhängig von den großen Schulen, auch zu den transpersonalen Theorien.

Eines der vielen Verdienste Siegmund Freuds mit der Entdeckung der Psychoanalyse war es, zum Verständnis psychischer Probleme aus dem neurologisch-medizinischen Modell vom behandlungsbedürftigen Menschen wegzukommen und ein individualisiertes Persönlichkeitsmodell des Menschen zu entwerfen.

Der Begriff des Selbst spielte bei Freud zunächst keine Rolle. Sein Persönlichkeitsmodell war triebdynamisch und konflikttheoretisch orientiert. Sehr verkürzt skizziert: Zur Steuerung des Handelns und Fühlens galt es, die widersprüchlichen Erfordernisse der unbewussten Strebungen und Triebbedürfnisse (»Es«) und der gesellschaftlich begründeten Normierungen und verinnerlichten Gewissenserfordernisse (»Über-Ich«) kompromisshaft auszubalancieren. Hierzu sollte in der psychoanalytischen Behandlung durch Deutung unbewusstes Erleben bewusst gemacht werden, um aus »Es« »Ich« werden zu lassen. Durch die so gewonnene Bewusstheit sollten Entscheidungsfreiheit, Stabilität und seelische Gesundheit im Sinne von Arbeits- und Liebesfähigkeit gewonnen werden.

Um diesen Bewusstwerdungsprozess frei von Manipulation zu halten und nicht zu stören, sollte die therapeutische Beziehung distanziert bleiben. Die Reaktionen des/der Therapeut*in wurden als Hinweis auf das Übertragungsgeschehen der Patienten gedeutet und als deren Thema belassen. In der Rückschau wird von einer damals vorherrschenden eher »kalten Psychotherapie«, mit einer von Freud postulierten »chirurgischen Haltung« des Therapeuten, die die frühe Psychoanalyse kennzeichnete, gesprochen. Schließlich rang Freud darum, mit seinen neuen Ideen von der neurologischen Fachwelt als wissenschaftlich arbeitender Arzt anerkannt zu werden. In diese eher distanziert deutende Tradition innerhalb der Psychoanalyse reiht sich auch zunächst die Weiterentwicklung der Psychoanalyse durch die Objektbeziehungstheorie ein, die durch Melanie Klein, Margret Mahler, Otto Kernberg und andere vertreten wurde. Das »Selbst« oder »bewusste Ich« wurde als eine den Stufen der ­Entwicklungslogik unterworfene Einheit gesehen. Die Rolle und Art der Triebbedürfnisse wurden in den zahlreichen Weiterentwicklungen unterschiedlich gewichtet.

Im weiteren Verlauf gab es ganz unterschiedliche Abspaltungen von der klassischen Psychoanalyse, die unter dem Oberbegriff »Neoanalytiker« gefasst werden. Dazu gehören beispielsweise Karen Horney, Frieda Fromm-Reichmann, Otto Rank, Erik H. Erikson, Alfred Adler, aber auch Carl Gustav Jung und Erich Fromm, die sich wiederum teilweise den humanistischen, den transpersonalen, oder, wie Wilhelm Reich, der Körperpsychotherapie zuordnen lassen.

Das Selbst als ein Fundus und innerer Schatz des menschlichen Bewusstseins wird explizit in der Selbstpsychologie von Heinz Kohut (1913–1981) ausgeführt. Kohut beschreibt das Selbst als die psychische Struktur, die in räumlicher und zeitlicher Kontinuität erlebt wird. Diese Selbststruktur entwickelt sich in der Beziehung zu einem Selbstobjekt, d. h. einer zentralen Beziehungsperson, z. B. der Mutter, mit der sich die Person verbunden und ähnlich erlebt und durch Spiegelung Bestätigung erfährt. Für Kohuts Therapietheorie ist die zugewandte, empathische Haltung des Therapeuten, die Introspektion des/der Klient*in und die Anerkennung der individuellen intersubjektiven Organisationsprinzipien zwischen Selbst und seinen Objekten (im Sinne von verinnerlichten Bezugspersonen) für den therapeutischen Prozess von entscheidender Bedeutung. In der IIFS-Sprache würden diese verinnerlichten Bezugspersonen als Persönlichkeitsteile bezeichnet werden.

Mit der Selbstpsychologie findet innerhalb der Psychoanalyse in den 70er-Jahren ein Paradigmenwechsel von der beobachtenden zur einfühlenden Psychotherapie statt. Neben Kohut sind hier unter vielen anderen auch Donald Winnicott, Michael Balint, Erich Fromm, Sandor ­Ferenczi und Paul Federn zu nennen. Sie erkannten in der therapeutischen Beziehung, die von Mitgefühl getragen ist, den heilsamen Wirkmechanismus. Donna Orange, 1944 geborene amerikanische Psychoanalytikerin und Philosophin, benennt Psychotherapie als das Zusammenspiel von Therapeut und Klient auf verbaler und nonverbaler Ebene mit dem Ziel der emotionalen Heilung. Luise Reddemann, Psychoanalytikerin und ­Traumatherapeutin, sagt hierzu: »Die abstinent deutende Haltung in der Therapie hat ausgedient. Es geht um das Heraushelfen aus den emotionalen Erfrierungen durch Resonanz, Mitgefühl und wohlwollende Beziehung.«16 Sie zitiert an derselben Stelle Erich Fromm mit den Worten: »Der liebende Mensch antwortet.«

Einen anders akzentuierten Selbstbegriff, der zur IIFS-Theorie hinführt, finden wir in der analytischen Psychologie Carl Gustav Jungs. Er erweitert den Begriff des Selbst ins Transpersonale. Jung fasst das Selbst als »Subjekt meiner gesamten, auch unbewussten Psyche«. Dieses Selbst ist für Jung letztlich nicht vollständig erfassbar. Es ist dynamisch, umfasst die Gegensätze der Persönlichkeit und wirkt ordnend. Er begreift das Selbst, wie schon die Mystiker, als unseren »göttlichen Funken«, als einen überpersönlichen, zeitüberdauernden Archetypus, der beispielsweise in der Kunst, in Mythen, Märchen, in Imaginationen und in Träumen, sowohl in individuellen Bildern, aber auch in allgemeinen Symbolen auftauchen kann. Solche Selbstsymbole sind bei Jung beispielsweise der oder die alte Weise, König*In, Heiler*in oder, abstrakt symbolisiert, das Mandala, das Kreuz, der Ring, der Schlüssel, der Stein des Weisen, die Blume – um nur einige zu nennen.17

Weitere, teilweise verwandte Selbstkonzepte finden u. a. in Roberto Assaglios (1888–1974) Psychosynthese und in unterschiedlichen Ansätzen der transpersonalen Psychologie im Begriff eines höheren Selbst ihre Ausformulierung. In diesen Ansätzen sind die Aspekte der Person um dieses überindividuelle, höhere Selbst organisiert. Der Sinn des Daseins besteht gemäß dieser Sichtweise darin, den verlorengegangenen Zugang zum höheren Selbst wiederherzustellen. Ken Wilber (geboren 1949), Theoretiker der transpersonalen Psychologie, erstellte eine Systematik verschiedener Psychotherapie­ansätze, in welcher er drei Tiefenschichten der Selbsterkenntnis und Selbstintegration ausdifferenzierte. Er untergliedert sie in eine erste Ebene der ichbezogenen Psychotherapien, wozu er Psychoanalyse und kognitive Therapien rechnet, die zweite Ebene der humanistischen Therapien, wozu er auch die Körpertherapien rechnet, und in die dritte Ebene der transpersonalen Therapien, zu denen er die analytische Psychologie Jungs, Psychosynthese, buddhistische Psychotherapien und verschiedene mystische Therapien einordnet.18

Auf die buddhistische Psychologie und deren Selbstkonzept werde ich weiter unten noch einmal zurückkommen.

Weitere, das Selbst betreffende, psychologische Konzepte, finden wir in den Erkenntnissen der Säuglingsforschung, der Bindungstheorie und vor allen Dingen im weitverzweigten Feld der verschiedenen humanistischen Therapien.

In der Säuglingsforschung (u. a. Daniel Stern 1985, Hilarion Petzold 1995) wurden bahnbrechende Einsichten über den kompetenten Säugling gewonnen. Dieser organisiert aktiv, und nicht passiv reagierend, seine Entwicklung und seine Beziehungen. So verfüge der kleine Mensch bereits vorgeburtlich über ein organismisches und emergentes Selbst. »Organismisch« bedeutet hier: wachstumsorientiert darauf ausgerichtet, eine ungelöste Situation stimmig zu gestalten. »Emergent« bedeutet, sich strukturiert auf immer weiter ausgefächerten Organisationsebenen weiterentwickelnd. Beides sind zentrale Begriffe der Gestalt- und der Systemtheorie. Entwicklungspsychologischer formuliert: Das Selbst entwickelt sich kontinuierlich in der Interaktion mit seiner Umwelt, mit den primären Bezugspersonen, Freundeskreis, Beruf, Kultur und immer komplexer werdenden Systemen mitmenschlicher und gesellschaftlicher Beziehungen zur letztlich reifen, individuellen Persönlichkeit.

Weitere hinführende Bedeutung für die spätere Ausdifferenzierung der IFS-IIFS-Therapie hat die Bindungstheorie. Sie wurde ab den 50er-Jahren unter anderem von John Bowlby und Mary Ainsworth ausformuliert, aktuelle Vertreter sind beispielsweis Hans-Georg Brisch und Thomas Harms. Demnach verfügt der Säugling über ein angeborenes Bindungssystem, innerhalb dessen er mit seinen Bezugspersonen interagiert. Das Vorliegen einer guten frühen Bindung des Kindes an seine primären Bezugspersonen wird als Voraussetzung für die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit und damit der Selbstentwicklung postuliert und empirisch erforscht.

Eine gute und sichere Bindung entsteht durch Verlässlichkeit, Authentizität, Spiegelung, Präsenz und Empathie in der Beziehung der primären Bezugsperson zum Kind. Das ist für unser Thema »der Begriff des Selbst« insofern bedeutsam, weil diese Beziehungsmerkmale genau den später im IFS-Ansatz ausformulierten Selbstqualitäten entsprechen.

So zeigt sich mit dem Verweis auf die Bindungstheorie, dass die IIFS-Therapie von ihrem Wesen her Bindungstherapie ist. Und zwar in dem Sinne verstanden, dass in der Therapie die Ver-Bindung zwischen SELBST und Teilen im Inneren des Menschen unterstützt wird. Dieser Prozess wiederum geschieht eingebettet in den geschützten Rahmen einer sicheren, empathischen, therapeutischen Beziehung.

Allerdings postuliert die IFS-IIFS-Theorie im Unterschied zu den genannten Bindungstheorien die Existenz eines unverletzlichen SELBST in jedem Menschen, auch dann, wenn frühe Traumatisierungen vorliegen sollten. (Siehe hierzu das Kapitel IIFS und Trauma.) Hier ist die IFS-IIFS-Theorie bezüglich des Entwicklungspotenzials des Menschen optimistischer als die klassischen Vertreter der Bindungstheorie.

In der Humanistischen Psychologie, die sich in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts herausbildet, wird der Selbstbegriff zentral. Sie sieht sich als dritte Säule psychologischer Anthropologien, nach der konflikttheoretischen Psychoanalyse und dem naturwissenschaftlich ausgerichteten Behaviorismus, der auf geistige Konstrukte wie das Selbst verzichtet. IIFS baut unmittelbar auf den verschiedenen humanistischen Schulen auf (siehe auch Teil 1).

Die Zentralbegriffe der Existenzialphilosophie: Freiheit, Sinn und Entwicklung stehen im Vordergrund der humanistischen Theorien. Ihr Menschenbild ist ressourcenorientiert und wachstumsbezogen, nicht pathologisierend und defizitorientiert. Symptome werden in ihrer kreativen Lösungs- und Bewältigungsfunktion gesehen. Der Schwerpunkt in diesen Theorieschulen ist weniger psychodiagnostisch als prozess­diagnostisch ausgerichtet.

Einige zentrale Grundannahmen der humanistischen Psychologie sind:

 Der Mensch ist mehr als die Summe seiner Teile.

 Er lebt und entwickelt sich in den zwischenmenschlichen Beziehungen.

 Er lebt bewusst und kann seine Selbstwahrnehmung schärfen.

 Er kann Entscheidungen treffen.

 Er lebt intentional.19

In den humanistischen Psychotherapien wird die wohlwollende, therapeutische Beziehung immer mehr als entscheidende Wirkvariable für eine gelingende Psychotherapie anerkannt. Im Schutz der sicheren Beziehung entsteht Selbstkontakt, Selbstwahrnehmung und Selbstakzeptanz. Dies bestätigen Metaanalysen zur Wirkung von Psychotherapie.20

In das humanistische Umfeld können, bei aller Unterschiedlichkeit, auch viele der oben genannten Vertreter der neoanalytischen, interaktionellen, selbstpsychologisch orientierten Psychotherapien dazugerechnet werden, die die Notwendigkeit einer engagierten und von Mitgefühl getragenen Beziehung anerkennen. Hier lösen sich die traditionellen Abgrenzungslinien innerhalb der großen Therapieschulen zugunsten der therapeutischen Praxis und des voneinander Lernens immer mehr auf – wenn auch teilweise noch zögerlich.

Auf die Personzentrierte Psychotherapie von Carl Rogers soll hier wegen der von ihm ausformulierten Grundvariablen der psychotherapeutischen Beziehung etwas ausführlicher eingegangen werden. Wie die anderen humanistischen Psychotherapieschulen postuliert er zuversichtlich ein dem Menschen innewohnendes Wachstumspotenzial. Der Mensch sei in seinem Wesenskern von Natur aus gut. Das Selbst des Menschen sei eine »fließende, in sich geschlossene Gestalt«, sich wandelnd, wachsend und durch eine organismische Weisheit der Persönlichkeit organisiert. Sie strebe danach, sich weiterzuentwickeln und sich zu aktualisieren. Auch er setzte, wie später Richard Schwartz, den Begriff des Selbst nicht als gegeben voraus, sondern erschloss ihn phänomenologisch und beobachtend aus den wiederkehrenden Äußerungen seiner Patienten, wie ­beispielsweise: »Ich hatte niemals die Möglichkeit, ich selbst zu sein«. Woraus er folgerte, dass der Mensch ein ihm innewohnendes Bewusstsein für sein wahres Selbst hat. Dieses »wahre Selbst« unterscheidet Rogers vom »falschen Selbst«, welches sich durch Anpassungsnotwendigkeiten, Angst vor Zurückweisung, Verletzung von Grundbedürfnissen, verzerrte Spiegelung primärer Bezugspersonen und durch weitere Beeinträchtigungen einer freien Entwicklung herausbilden kann.

Um den Entwicklungsprozess des Klienten zu unterstützen, muss der/die Therapeut*in ein Beziehungsangebot machen können, das Carl Rogers durch die drei notwendigen und hinreichenden therapeutischen Grundvariablen definierte:

 Akzeptanz im Sinne von bedingungsloser Annahme,

 Empathie als das einfühlende Verstehen in die Welt des Gegenübers,

 Echtheit, Kongruenz, im Sinne einer authentischen Beziehungsgestaltung.

Hier findet sich wieder eine hinführende Übereinstimmung dieser Grundvariablen der therapeutischen Beziehung mit den später ausgeführten Selbstqualitäten im IFS/IIFs, den »10 Cs«, aber auch mit den genannten Voraussetzungen für eine sichere Bindung sowie auch den späteren Achtsamkeitsmerkmalen.

Der Selbstbegriff in der buddhistischen Psychologie, Übereinstimmung und Unterschiede

Im Verlauf der letzten hundert Jahre fand ein fruchtbarer Austausch westlicher und östlicher Philosophie statt, die auch in psychotherapeutischen Ansätzen ihren Ausdruck findet. (Siehe bereits bei Jung, Fromm, Assaglio.) Zwischen dem Selbstkonzept der modernen buddhistischen Psychologie, wie sie beispielsweise Jack Kornfield lehrt, und dem IIFS gibt es Übereinstimmungen, aber auch entscheidende Unterschiede. Da dies in den IIFS-Ausbildungsseminaren immer wieder von den Teilnehmenden diskutiert wird, möchte ich kurz darauf eingehen.

Eine Übereinstimmung ist die Bedeutung der Achtsamkeit, die weiter unten noch einmal ausführlicher vorkommen wird. In den verschiedenen Ansätzen der buddhistischen Psychologie wird Achtsamkeit als Zugangsweg zur Selbsterforschung gelehrt. Die Achtsamkeits- und Meditationspraxis schult eine offene, nicht wertende Wahrnehmung dessen, was sich neben der Wahrnehmung des äußeren Raumes, insbesondere auch im seelischen Innenraum abspielt. Achtsamkeit zielt darauf ab, genau zu beobachten, was gedanklich, emotional und körperlich geschieht, ohne sich damit zu identifizieren, also in einer gewissen neutralen Distanz zum Beobachteten zu bleiben. So können wir eine heftige Emotion wahrnehmen mit der inneren Haltung: »Ich habe, beispielsweise, eine Wut, aber ich bin nicht meine Wut«. IIFS-sprachlich beschreibt dies die Haltung des Nicht-Identifiziert-Seins mit den inneren Phänomenen, mit den inneren Persönlichkeitsteilen. IIFS ist also eine achtsamkeitsbasierte Therapieform.

Der beobachtende, innere Ausgangspunkt, das SELBST im IIFS, wird in der buddhistischen Psychologie jedoch nicht »Selbst« genannt, sondern mit Begriffen wie: »der Zeuge«, »der Innere Beobachter«, das »Innere Ich« oder die »Buddha-Natur« bezeichnet. Ken Wilber beschreibt dies so: »Ich bin das, was übrigbleibt, ein Zentrum reinen Gewahrseins, der unbewegte Zeuge all dieser Gedanken, Emotionen, Gefühle, Empfindungen.«21 Ein so gefasster Innerer Zeuge meint jedoch nicht ganz das, was im IIFS-Ansatz mit SELBST gemeint ist. Der innere Zeuge in der buddhistischen Psychologie kann als ein Seinszustand aufgefasst sein, der neutral, distanziert, eher in der Draufsicht auf die Teile bleibt. Allerdings gibt es auch bezüglich dieses Aspektes Unterschiede innerhalb der weitverzweigten buddhistischen Schulen, auf die ich an dieser Stelle nicht vertiefend eingehen kann.

Aus dem SELBST heraus wahrzunehmen, wie es im IIFS geschieht, bedeutet verkörperte, mitfühlende Wahrnehmung. In einem solchen Seinszustand tritt der Mensch über die pure bezeugende Beobachtung hinaus und nimmt engagiert Beziehung auf zu den Teilen.

Was das persönliche »Selbst« in der buddhistischen Psychologie ist, wird im IIFS-Konzept eher als Persönlichkeit, mit all ihren Identifizierungen und Persönlichkeitsteilen, benannt. Was in der buddhistischen Psychologie als der angestrebte Zustand des Nicht-Selbst, des Inneren Zeugen ist, hat Züge dessen, was im IIFS als SELBST bezeichnet wird, allerdings in der oben ausgeführten, engagierteren, nicht so distanzierten Weise. Verbindend zwischen dem IIFS-Ansatz und den Prinzipien der buddhistischen Psychologie bleibt jedoch die achtsame, selbsterforschende, desidentifizierte, nicht wertende, bewusste Haltung des Menschen sich selbst und all seinen Facetten gegenüber.

Ganz grundsätzlich gibt es weitere Unterschiede zwischen IIFS und buddhistischer Psychologie. Letztere ist eine ausdifferenzierte, spirituelle Geisteshaltung mit einem komplexen theoretischen Überbau. IIFS dagegen bleibt pragmatisch eine ausformulierte Psychotherapieform mit einer humanistisch, systemisch, achtsamkeitsorientiert und körpertherapeutisch ausgerichteten psychotherapeutischen Grundhaltung. IIFS ist keinem spirituellen System verpflichtet.

Die Auseinandersetzung mit der transpersonalen Ebene des Menschen bleibt jedoch ein spannender Aspekt in der Auseinandersetzung mit dem Konzept.

Auf die Bedeutung der Achtsamkeit als Zugang zum SELBST wird weiter unten noch ausführlicher eingegangen.

Annäherung an das Konzept des Selbst in der Neurowissenschaft

Was ist das Selbst, wie entsteht es, wie ist die Natur des Geistigen? Das sind in der Neurophysiologie die großen Fragen.

Anschaulich beschreibt Joachim Bauer in seinen Büchern die neurophysiologische Basis des menschlichen Selbst.22 Sie liegen meiner skizzierten Zusammenfassung der Neurophysiologie des Selbstseins zugrunde. Auch hier wird deutlich: Das Selbst entsteht vom Beginn des Lebens an aus der zwischenmenschlichen Begegnung, aus der Resonanz zwischen Ich und Du.

Zwei neuronale Strukturen kommen bei der Entwicklung des Selbst zum Tragen: Die eine Struktur ist das System der Spiegelneuronen, das menschliche Resonanzsystem. Dieses im limbischen System verortete Netzwerk bildet die neuronale Grundlage für Kontakt, Resonanz, Beziehung, Empathie, soziales Lernen und letztlich Selbstwerdung. Die Spiegelneuronen wurden um die Jahrtausendwende in einer experimentellen Versuchsanordnung entdeckt, als im Gehirn eines Probanden, der sah, wie sich ein anderer mit einer Nadel in die Fingerkuppe stach, die gleiche Schmerzreaktion eintrat, wie in der Situation, als er selbst gestochen wurde und den Schmerz im eigenen Körper wahrnahm. (Ausführlich beschrieben in J. Bauer: Warum ich fühle, was du fühlst.)

Spiegelneurone gehören von Anbeginn zur biologischen Grundausstattung von uns Menschen. In diesem intuitiven Resonanzsystem bildet sich das Beziehungsspiel von Ich und Du ab, in einem beständigen Wechsel von Senden und Empfangen von Gesten, Zeichen, Geräuschen, Berührungen, der mit einem lebenslänglichen Veränderungsprozess einhergeht. In Resonanz lernt, wächst und entwickelt sich der Mensch.

Das System der Spiegelzellen wiederum bildet die Voraussetzung für die zweite Struktur, für das komplexe Selbstsystem im präfrontalen Cortex. In diesem Netzwerk sind das Bild über uns selbst – was bin ich und was bin nicht ich – ebenso wie Haltungen, Gedanken und Gefühle neuronal beheimatet.

In der unmittelbaren hirnorganischen Nachbarschaft zum Ort des eigenen Selbstbildes findet sich, ebenfalls noch zum Selbstsystem gehörig, ein System, das das Bild vom relevanten anderen Menschen abbildet. Diese Systeme interagieren miteinander. Das Selbst formiert sich sowohl resonant mit dem äußeren Du, wie auch resonant mit dem inneren Du, anhand der inneren Vernetzung, Abgrenzung und Abgleichung mit diesem. Die neuronalen Netzwerke, die das eigene Selbstbild betreffen, sind dabei teilweise identisch mit den Netzwerken, die das Bild von anderen Menschen tragen. Dies ist umso ausgeprägter der Fall, je ähnlicher, wichtiger oder nahestehender uns der andere Mensch ist. So liegt auch neuronal unter der menschlichen Individualität immer auch eine tiefere Schicht von geteilter Identität des Menschen, als Teil seiner Gruppe, Familie, Kultur und Gesellschaft. (J. Bauer 2019)

Das gesamte Selbstsystem interagiert zusätzlich mit nachgeordneten Strukturen wie dem Angstsystem, Stresssystem, Motivationssystem, Immunsystem.

Selbstsystem und Spiegelneurone sind arbeitsteilig miteinander verbunden. Das Selbstsystem sendet und empfängt eher sprachliche und kognitive Inhalte, während das System der Spiegelneurone eher intuitives Wissen und emotionale Inhalte transportiert. Gegenseitige Resonanz, Empathie, gegenseitiges Inspirieren, Beeinflussen und auch Triggern, das Wahrnehmen von Atmosphären, das mit Haltungen über sich und die Welt einhergeht – all das bildet sich hier ab. In permanenter Veränderung begriffen, hinterlassen die sich wiederholenden interaktiven Erfahrungen neuronale Spuren in uns, die auf Dauer angelegt sind.

Das Selbstsystem ist im Unterschied zu den Spiegelneuronen beim Neugeborenen zunächst noch kaum differenziert. Es entwickelt sich beim Kleinkind bis zum 24. Lebensmonat als neuronale Struktur heraus, auf der die lebenslängliche weitere Selbstentwicklung aufbaut. Durch die Neuroplastizität des Gehirns geschieht eine fortwährende Weiterentwicklung dieser Hirnstrukturen, die erst beim letzten Atemzug abgeschlossen ist.

Während seiner frühen Entwicklungsphase ist das kleine Kind elementar darauf angewiesen, ein Gegenüber zu haben, das mit dem Kind einfühlsam interagiert und ihm hilft, sich über fortwährende Spiegelung entwickeln zu können. Dieses »Du« muss zugewandt und liebevoll sein, Blickkontakt halten, Körperkontakt herstellen und die Lebensäußerungen des Kindes beantworten, deuten und regulieren, eben resonant sein. Resonanz und Spiegelung, Passung, Differenzierung, sich verlieren, sich wiederfinden, dieser elementare Beziehungstanz ist der Motor für die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit. Im Selbstsystem des Menschen bilden sich auf neuronaler Ebene die Strukturen für das ab, was wir als unser Selbst empfinden. Wir lernen, das Nicht-Ich vom Ich zu differenzieren, entwickeln Vorstellungen von uns Selbst und von unserem Platz in der Welt.

Dein Ort ist

Wo Augen Dich ansehen.

Wo sich die Augen treffen

Entstehst du.

Es gibt dich

Weil Augen dich wollen,

dich ansehen und sagen

dass es dich gibt

Hilde Domin23

Mit dem Auffinden des Systems der Spiegelneurone und des Selbstsystems wird mithilfe der abbildenden Hirnscan-Verfahren sichtbar, was Therapeut*innen und Eltern von jeher kennen: das Phänomen von Mitgefühl, Empathie und Resonanz, von emotionaler Empfänglichkeit und Gegenseitigkeit. Die Entdeckung dieser Strukturen veranschaulicht neurowissenschaftlich die von Geburt an existenzielle Wichtigkeit von spiegelnder, verkörperter Resonanz, von einfühlsamer Beziehung für die Selbstwerdung und die seelische Integrität von uns Menschen.

Gleichzeitig möchte ich an dieser Stelle das ebenfalls Selbstverständliche aussprechen: Bei aller Faszination über die neurowissenschaftlichen Möglichkeiten der Abbildung psychischer Prozesse dürfen wir das Phänomen des Geistigen nicht mit seiner neurophysiologischen Abbildung verwechseln. Wir würden damit einem Neuroreduktionismus erliegen. Geist und Körper sind zwar verschränkt, aber erklären sich nicht wechselseitig auseinander. In Abwandlung eines Buchtitels des Neoexistenzialisten Markus Gabriel Ich ist nicht Gehirn, können wir sagen: »Und SELBST schon gar nicht«, da, wie Markus Gabriel schreibt »der menschliche Geist eine offene Vielzahl von Vermögen hervorbringt, die allesamt geistig sind, weil der Geist sich über diese Selbstdeutungen ein Bild von sich selbst erschafft. (…) Dieser Vorgang hat eine geschichtlich offene Struktur, die sich nicht in der Sprache der Neurobiologie fassen lässt. Das liegt nicht daran, dass wir eben verschiedene Sprachen (im Sinne von Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft, Einfügung von mir, R. H.-R.) sprechen, sondern ist darin begründet, dass der menschliche Geist kein rein biologisches Phänomen ist.«24

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