Kitabı oku: «Festbierleichen», sayfa 5
Mahlzeit
Montag, 8. Juli 2019, 11.55 Uhr
»Mahlzeit!«, dröhnte Hubert Bollinger, Chef eines kleinen Bauunternehmens aus Frankenthal, als er die Baustelle im Mannheimer Jungbusch verließ, um sich drei Fleischkäsebrötchen von der Tankstelle zu besorgen.
Der massige Harald Ochsner, aufgrund seiner Körperfülle nur »de Ochs« genannt, ließ sich wie ein Sack Kartoffeln auf einen umgedrehten Mörtelkübel fallen. Dabei fixierten seine glänzenden Schweinsäuglein gierig den dicken in Butterbrotpapier eingewickelten Batzen. Wie jeden Tag enthielt er drei doppelte Frühstücksbrote, die üblicherweise mit Leber- und Griebenwurst belegt waren.
Seine Kollegen Deniz Yildiz und Zoltan Sovič, den alle wegen seines fliehenden Kinns nur »die Ratte« nannten, beobachteten ihn feixend.
Ochsner befeuchtete mit der Zunge seinen dreckstarrenden Daumen, um die dünnen Enden des Papiers besser fassen zu können. Seine Frau, eine tüchtige Pfälzer Hausfrau, legte großen Wert darauf, die Brote gleich in mehrere Lagen Pergamentpapier einzuschlagen, schließlich sollte ihr Harald die Pfälzer Hausmacherwurst frei von Baustaub und Zement genießen können. Mit verzücktem Lächeln wickelte er das Papier auseinander. Dabei leckte er sich mehrfach voller Vorfreude die Lippen. Er merkte nicht, wie Sovič seinem Kollegen Yildiz verschwörerisch den Ellbogen in die Rippen rammte.
Ochsner war bei der letzten Lage Papier angekommen. Er hob das Papierende an und starrte stumm und mit offenem Mund auf die nun vor ihm liegenden doppelten Brote.
Yildiz und Sovič, die jede seiner Bewegungen beobachtet hatten, grinsten wölfisch.
Ochsner reagierte wie in Zeitlupe. Zuerst schienen sich seine Schweinsäuglein ein paar Millimeter aus den Augenhöhlen zu schrauben. Seinem Gesicht entwich jegliche Farbe, als würde sie durch den kurzen Hals in den massigen Körper ablaufen. Dann schloss sich seine riesige Pranke, die annähernd die Ausmaße einer Bratpfanne hatte, um die Frühstücksbrote und drückte alles, Brot, Blut- und Leberwurst, zu einem zähen Klumpen zusammen.
»Ihr dreggisches Lumbekoores, ihr Saubeitel. Wo hännen ihr dän g’funne?«, tobte er und schleuderte den dicken Klumpen mitten in Sovičs Visage. Trotz der groben Attacke grölte Sovič vor Lachen. Yildiz stieß ihm in die Seite und wieherte, als müsse er demnächst ersticken.
Das verklumpte Etwas, das einmal Ochsners Mittagessen hätte werden sollen, zerfiel in zahllose undefinierbare Brot- und Wurstfetzen. Nur ein Fragment hatte seine Form erhalten und fiel in Sovičs Schoß. Ein blau angelaufener, wächsern wirkender menschlicher Finger.
*
»In de nächstn Dog soi a große Lieferung Bierdos’n füa Russland naus, woast du wos dafo?«, fragte Quirin und biss genussvoll in sein Brötchen.
»Hab davon gehört. Der Typ aus der Buchhaltung hat das wohl gemanagt, hat mir eine vom Vertrieb erzählt. War wohl angefressen, weil ausgerechnet der Buchhalter einen Neukunden aufgerissen hat«, erwiderte Irina und starrte auf das Brötchen in ihrer Hand.
»Und?«, brummte Quirin.
»Und? Und? Das ist eine gewaltige Kalorienbombe. So wie das aussieht, hat allein dafür ein komplettes Schwein sein Leben lassen müssen. Wie kann man so was essen?«
»Is a a Rind drin. Muasst hoid dei Mei weit gnua aufmach’n.«
»Wegen des Rinds?«
»Na, wega dea dickn Scheim.«
»Witzbold«, brabbelte Irina undeutlich, da sie sich gerade am ersten Bissen versucht hatte.
»Es geht nix üba a g’scheide Leberkassemmel.« Dabei biss Quirin mit verzücktem Lächeln ein dickes Stück vom Brötchen ab.
Als er es mit dick aufgeplusterten Backen endlich hinuntergeschlungen hatte, setzte er das Gespräch fort.
»Ja woast ez, wann des Bier zu de Russ’n nausgeht?«
»Soviel ich weiß, kommt nächste Woche am Mittwoch eine Spedition vorbei und holt die Dosen ab.«
Quirin nickte, außerstande, mit seinem vollen Mund eine Antwort zu geben.
»Und was war jetzt so wichtig daran?«, bohrte Irina.
»Nix.«
»Danke für deine ausführliche Antwort. Typisch Mann, nicht imstande, ein vernünftiges Gespräch zu führen.«
»I muas’s glei backn, da Braumoasta wart scho.« Dabei schob Quirin den letzten Rest des Brötchens in den Mund und erhob sich.
Irina schaute ihm nach und begutachtete dann den stattlichen Rest ihrer Leberkässemmel mit der rund drei Zentimeter hohen Scheibe Fleischkäse zwischen den bleichen Brötchenhälften. Wie man so was nur essen konnte? Irgendwie verstand sie immer besser, warum André sich zum überzeugten Vegetarier entwickelt hatte. Sie legte das Brötchen zur Seite, stützte ihr Kinn auf die Hand und starrte in die Richtung, in die Quirin verschwunden war.
Irgendwie gefiel er ihr mit all seiner Hilflosigkeit. Sie spürte immer häufiger, dass sich unter seinem poltrigen Auftreten ein sensibles Inneres verbarg. Er musste es im Leben nicht gerade leicht gehabt haben. Oft war er melancholisch, sprach nichts und schien zu träumen. Es war, als würde eine unsichtbare Last auf seinen Schultern liegen. Dann waren da noch die Augenblicke, wenn er von seiner Passion, dem Bierbrauen, redete und seine Augen dabei funkelten wie Diamanten. Sein ganzes Wesen rührte sie an. Sie war sich ihrer Gefühle für ihn nicht sicher. Waren es eher Muttergefühle für den unbeholfenen, oft wie ein kleiner Junge agierenden Burschen, die sich bei ihr regten? Oder war da mehr? Immerhin war er mit der sportlichen Figur und den markanten Gesichtszügen nett anzusehen. Und immer, wenn er sie berührte, machte sich dieses eigenartige Kribbeln in ihr breit. Eine körperliche Reaktion, die sie noch nie so intensiv gespürt hatte.
*
Achill hatte kaum geredet, bis sie sich mit einem kapitalen Palzki-Burger für ihn und einer Portion Parmesan-Rosmarin-Pommes mit einem Spritzer Trüffelöl für André auf dem bestuhlten Platz vor der Currysau gegenübersaßen. Sie waren in der warmen Jahreszeit gerne hier. Auf dem weitläufigen Sankt-Guido-Stifts-Platz unter den hohen Platanen, in deren Geäst sich meist einige tropische Alexanderfinken mit ihrem prächtigen grünen Federkleid krächzend tummelten, ließ es sich aushalten. Man konnte hier viele Speyerer Originale treffen und bei einem Glas Bier, Grillwürsten, knusprigen Süßkartoffel-Pommes oder einer der innovativen Neukreationen ein Schwätzchen mit Robert, dem Eigentümer, halten. Doch heute hatte André ein klammes Gefühl in der Magengegend.
Achill hatte ihn vor einer halben Stunde angerufen und spontan hierher eingeladen, oder passender her zitiert. Er kannte seinen Freund viel zu gut, um nicht zu wissen, dass die Aktion am Wasserturm ein Nachspiel haben würde.
»Ich bin enttäuscht von dir«, begann Achill leise und ausdrucksvoll, um gleich darauf eine Kunstpause einzulegen. André nickte unsicher wie ein Schuljunge, den man gerade beim Abschreiben erwischt hatte.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen? Erst scherst du dich um keinerlei Verkehrsregeln, fährst auf dem Gehweg, dann gegen die Einbahnstraße, verursachst einen Auffahrunfall, schrottest diesen E-Scooter, und dann wirfst du ihn dem Asiaten einfach hinterher. Der hätte tot sein können und du für 15 Jahre im Knast!«
André schluckte. So pointiert, wie es sein Freund gerade formulierte, hörte es sich in der Tat befremdlich an. Er hatte förmlich das Gefühl, Achill würde von einem Fremden sprechen. So wenig passte das zu ihm.
»Ich … ich wollte dir doch nur in diesem Fall mit dem Finger … da ist doch was faul, so schnell, wie der Typ abgehauen ist …«, wehrte sich André kraftlos.
»Selbst wenn er es ist, zu dem der gefundene Finger gehört. Sich auf irgendeine Weise den Finger abzutrennen, ist noch kein Verbrechen. Insofern fahnden wir auch nicht nach ihm. Wenn wirklich eine Straftat vorliegt, von der wir nichts wissen, ist es allein seine Sache, ob er sie zur Anzeige bringt oder nicht.«
»Habt ihr ihn nicht gekriegt?«, fragte André enttäuscht.
»Nein, haben wir nicht, und darüber kannst du froh sein. Er hat bisher keine Anzeige gegen dich erstattet.«
»Gegen mich?«, erwiderte André echauffiert.
Achill lachte. »Unrechtsbewusstsein scheint nicht gerade zu deinen hervorstechendsten Charaktereigenschaften zu gehören.«
André räusperte sich unsicher.
»Es hat mich einiges an Mühe gekostet, die Mannheimer Kollegen davon abzubringen, daraus eine gefährliche Körperverletzung zu machen und es von Amts wegen zur Anzeige zu bringen. Ich hab ihnen gesagt, du wärst so was wie ein Tippgeber von mir.«
»Danke«, murmelte André kleinlaut.
»Auch das mit dem Roller hab ich als Unfall dargestellt. Du solltest das dringend deiner Haftpflichtversicherung melden und dich mit der Betreiberfirma in Verbindung setzen.«
André nickte.
»Aber noch mal lüge ich nicht für dich. Du weißt, wie mir so was gegen den Strich geht. Und ich werde dir gegenüber künftig kein Wort mehr über meine Arbeit verlieren. Ich mache mir deswegen Vorwürfe – letztlich war das alles meine Schuld.«
André schlug die Augen nieder und rieb sich mit der Hand übers Gesicht.
»Du kannst dich übrigens bei Irina bedanken. Sie hat einiges dazu beigetragen, die Situation auf dem Schlachtfeld, das du hinterlassen hast, zu beruhigen.«
André nickte erneut. Die Sache war ihm mehr als peinlich. Natürlich war es ihm bewusst, dass er völlig überzogen agiert hatte.
»Du solltest deine Fernsehgewohnheiten überdenken. Schau dir bitte in Zukunft keine amerikanischen Actionstreifen mehr an. Nimm Tierfilme oder Reisereportagen, das ist besser für dich.«
André schaute nur beklommen. Er wagte es nicht, zu widersprechen.
Achill machte eine quälend lange Pause, dann zeichnete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht ab.
»Du siehst aus wie ein unartiger Schuljunge«, sagte er und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. »Dich so kleinlaut zu sehen, entschädigt mich für alles.«
Krisenstimmung
Dienstag, 9. Juli 2019, 9.05 Uhr
Die Eichbaum-Marketingleiterin hätte Irina fast umgerannt, als sie aus dem vollbesetzten Sitzungszimmer ins Sekretariat stürmte.
»Schnell, machen Sie schon. Wir brauchen noch frischen Kaffee, und der Süßstoff fehlt«, wies sie Irina atemlos an. »Und fallen Sie am besten nicht auf, wenn Sie die Sachen reinbringen. Die Luft ist dick!«, raunte sie, als sie die Türklinke herunterdrückte, um zurück in den Konferenzraum zu stürmen.
Es war nicht das erste Mal, dass Irina half, Sitzungen vorzubereiten oder Getränke und Ähnliches herbeizuschaffen. Nur eines war heute anders. Während es sonst in der Brauerei sehr familiär zuging und selbst die Geschäftsleitung zu Scherzen aufgelegt war, schien heute der Haussegen schief zu hängen. Alle schauten ernst, und jeder schien genervt. Klar, das mit dem Nachtwächter war eine schlimme Sache. Eine gedrückte Atmosphäre hätte sie verstanden, aber warum alle so aufgeregt und nervös waren, erschloss sich ihr nicht.
»Irgendwie befriedigt mich das alles nicht! Erst erzählt man mir und der Polizei, der Nachtwächter sei einfach so an seinem Arbeitsplatz an Herzversagen verstorben. Dann kommt scheibchenweise immer mehr ans Licht. Jemand sei auf dem Gelände gewesen, hätte Türen geöffnet und Unordnung hinterlassen. Dann stellt man fest, dass im Dosenlager 20.000 leere Bierdosen fehlen. Es kann doch nicht sein, dass hier jemand reinspaziert, Türen öffnet, Durcheinander anrichtet, und keiner hat was gesehen. Wofür gibt es hier Überwachungskameras, wenn sie abgeschaltet sind und nichts aufnehmen?«
Die Anwesenden wagten nicht zu widersprechen. Den meisten war das Ganze wohl genauso suspekt wie ihrem Chef.
»Es muss doch einen Grund haben, warum irgendwer 20.000 leere Aludosen klaut. Er wird es ja wohl kaum auf das Dosenpfand abgesehen haben. Wo gibt’s denn so was, dass Leergut einfach verschwindet! Ich verlange vom Werkschutz eine Erklärung. Da muss es doch einen Zusammenhang geben? Und von Ihnen im Marketing erwarte ich ein Konzept, wie wir das der Polizei und der Presse erklären. Und nur, damit das klar ist: Wir arbeiten transparent mit der Polizei zusammen. Wenn wir konkretere Hinweise für das finden, will ich, dass das restlos aufgeklärt wird. Hier wird nichts vertuscht!«, hörte Irina den Geschäftsführer Thomas Wolf mit gereizter Stimme verkünden, als sie die Kaffeekannen abstellte.
*
»Mahlzeit!«, tönte ein Mann Mitte 50, der gerade im Begriff war, sich an einem Tisch, an dem bereits fünf weitere Kollegen saßen, niederzulassen. Wie Achill den Gesprächen entnommen hatte, waren sie wohl alle bei der GAG, der Gemeinnützigen Städtischen Ludwigshafener Baugesellschaft, beschäftigt.
Achill war zum ersten Mal im Franz & Lissy, einem Kulturcafé, das hier vor wenigen Wochen die Pforten geöffnet hatte und dessen Benennung sich von seiner Adresse der Franz-Liszt-Straße im Stadtteil Süd ableitete.
Ein Lichtblick in der Gastronomie Ludwigshafens, wo angestammte Kneipen und Cafés mehr und mehr durch die Filialen irgendwelcher Franchiseketten, oder wie es auf Neudeutsch hieß, der Systemgastronomie, verdrängt wurden. Achill war eher ein Freund des Bodenständigen. Er liebte Gastwirtschaften, wo man den Wirt noch persönlich kannte, oder wo am Stammtisch noch eine Partie Skat gespielt wurde. Dafür nahm er auch gern abgeschabte Holztische mit vergilbten Bierfilzen und den schalen Geruch von am Vortag verschüttetem Bier in Kauf. Hier jedoch war alles authentisch. Es war gemütlich, die meisten Möbel gebraucht, das Personal gastfreundlich und die Speisen liebevoll hausgemacht – ganz nach seinem Geschmack.
Hungrig blätterte er in der kleinen Speisekarte mit den ausschließlich vegetarischen Gerichten. Unwillkürlich musste er an seinen Freund André Sartorius denken, den überzeugten Vegetarier, der ihm in den letzten Jahren immer wieder demonstriert hatte, dass man auch fleischlos genießen konnte. In seine Gedanken mischte sich ein schlechtes Gewissen. War er mit André zu hart umgegangen, als er ihm wegen der Chaosfahrt mit diesem Elektroroller den Kopf zurechtgerückt hatte? Schließlich war sein Freund ein erwachsener besonnener Mann, der stets wusste, was er tat, und er nicht seine Gouvernante. Noch immer war es ihm schleierhaft, was an jenem Tag in ihn gefahren war. Doch letztlich war er selbst daran schuld, dass sich André immer mehr als Hilfspolizist aufspielte. Achill selbst war es gewesen, der ihn nun schon bei zwei Fällen hinzugezogen hatte. Er entschied sich, André nie mehr mit Polizeiinterna zu belasten und bei nächster Gelegenheit einen Schritt auf ihn zuzugehen. Es wäre schade, wenn ihre Freundschaft unter dieser Sache leiden würde.
Ein lautes »Mahlzeit« riss ihn aus den Grübeleien. Vor ihm stand sein alter Freund und Kollege Bernd Scherer.
Er war ein großer kräftiger Bursche und hatte sich seit der Zeit, als sie gemeinsam an der Polizeihochschule in Hahn studiert hatten, kaum verändert. Obwohl sein Haar nun mit einigen grauen Strähnen durchzogen war, glich sein fast schwarzer Schnurrbart, so dicht und borstig, wie er war, dem eines Südeuropäers.
Achill machte eine einladende Geste und zog einen Stuhl neben sich unter dem Tisch hervor.
»Sorry, es wurde wieder einmal später, als gedacht. Irgendeiner wollte unbedingt die German Biotech bestehlen. So ist es halt beim Kriminaldauerdienst: Sie rufen, wir kommen – und das 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche.« Bernd entblößte lachend sein makelloses Gebiss und ließ sich matt auf den Stuhl neben Achill fallen.
»Du willst es ja wohl so, sonst hättest du dich längst wegbeworben«, frotzelte er.
»In gewisser Weise schon. Frau, drei Kinder und ein Haus. Was bleibt mir sonst übrig, als Nachtschichten zu schieben und Wochenend- und Feiertagszuschläge zu kassieren. Ohne die würde es hinten und vorne nicht reichen.«
Achill nickte. Er wusste, dass viele nur deshalb beim KDD arbeiteten, weil man sich durch die Schichtzuschläge ein Zubrot verdienen konnte.
»Schön ist es hier«, sagte Scherer, während er seinen Blick schweifen ließ.
»Such dir was aus, du bist eingeladen.« Achill reichte ihm die Speisekarte.
Sie entschieden sich beide für ein Sellerieschnitzel mit Kartoffelstampf von der Wochenkarte.
»Und was war los bei der German Biotech?«, griff Achill Scherers Eingangsbemerkung auf.
»Ein Tank voll mit so einem komischen Zeug ist heute Nacht geklaut worden.«
Achill grinste. »Komisches Zeug? Geht’s auch etwas genauer?«
»Wäre ich zur Polizei gegangen, wenn ich in Chemie ’ne Eins gehabt hätte?«
»Wie willst du den Täter finden, wenn du nicht weißt, was er geklaut hat?«
»Dieser Betriebsleiter hat’s mir aufgeschrieben. Der Zettel liegt draußen im Wagen. Es klang wie Pepsi-Cola. Ist irgend so ein Enzymcocktail.«
Achill schüttelte grinsend den Kopf. »Hört sich eher nach einem Kantinenraub an.«
»20.000 Liter sind ein bisschen viel für einen Getränkeautomaten.«
Achill pfiff leise durch die Zähne. »Und wie schafft man so eine Menge vom Werksgelände?«
»Mit einem Tankwagen, wie sonst?«, erwiderte Scherer genervt. Offensichtlich schlug es ihm auf die Stimmung, in der Mittagspause über die Arbeit zu reden.
Aber Achill ließ nicht locker. »Ein Tankwagen? So einfach kriegt man den aber nicht auf ein Fabrikgelände. Seid ihr sicher?«
»Wie sollen es der oder die Täter sonst gemacht haben? Etwa im Flachmann rausgeschmuggelt?«
»Wer sagt euch, dass sie es überhaupt geklaut haben? Wer braucht schon Enzyme? Und der Weiterverkauf an ein anderes Unternehmen ist auch nicht gerade unproblematisch«, bohrte Achill weiter.
»Glaubst du etwa, es ist verdunstet?«
»Nein, aber um die Versicherung zu schröpfen, muss man nicht zwingend etwas klauen. Hauptsache, es sieht so aus. Oder vielleicht hat es nur ein enttäuschter Mitarbeiter durch den Abfluss gejagt, um seinen Arbeitgeber zu schädigen.«
»Typisch Frank. Du denkst viel zu verzwickt und nie ans Naheliegende. Meine Erfahrung jedenfalls ist, dass es zu 99 Prozent genau das ist, an das man im ersten Augenblick denkt. Aber wenn es dich beruhigt, lass ich nachher noch von der Kriminaltechnik das Abwasser untersuchen.«
»Sorry, dass ich geklugscheißert habe, du machst es schon richtig, und mich geht das alles ja nichts an, solange es keine Toten gibt.«
Scherer schlug seinem Kollegen kameradschaftlich auf die Schulter. »Macht nichts, du bist eben durch und durch ein Schnüffler.«
Achill grinste. »Da könnte was dran sein.«
»Der Typ, dieser Betriebsleiter, war jedenfalls so mit den Nerven fertig, dass er fast vor Aufregung gestorben wäre. Dann hättest du den Fall an der Backe.«
»Wieso, das kann ihm doch egal sein, wenn seinem Arbeitgeber ein paar 1.000 Liter von diesem Zeug geklaut werden.«
»Es war so kleines quirliges Männchen, ein Asiate. Herr Li heißt er, ein völliges Nervenbündel mit Eunuchenstimme«, antwortete Scherer und schüttelte den Kopf.
»Ist das Zeug denn so teuer?«, hakte Achill nach.
»Dieser Herr Li meinte, abgefüllt in Literflaschen würde die fehlende Menge etwa 350.000 Euro kosten.«
»Wow, nicht schlecht. Das möchte ich meinem Chef auch nicht beichten müssen.«
Scherer grinste. »Der Typ hat jedenfalls so wild rumgefuchtelt und mit den Fäusten auf den Tisch getrommelt, dass sein Verband ganz durchgeblutet war?«
»Verband?«, fragte Achill erstaunt. »Du hast nichts davon erzählt, dass er bei dieser Aktion verletzt wurde.«
»Wurde er auch nicht. Er hat sich wohl vor ein paar Tagen beim Basteln den kleinen Finger abgeschnitten.«
»Und das sagst du erst jetzt?«, brauste Achill auf.
Scherer lachte. »Fallen Verletzungen bei der Hausarbeit jetzt in die Zuständigkeit des Morddezernats?«
»Nein, aber …«, sagte Achill stockend. »War es der an der rechten Hand?«
»Ich denke ja, ja ich kann mich daran erinnern, dass er beim Schreiben Probleme hatte.«
»Kann ich diesem Typen mal auf den Zahn fühlen? Da stimmt was nicht.«
Scherer schüttelte missmutig den Kopf. »Natürlich stimmt da was nicht, sonst wäre das Zeug nicht weg.«
»Nein, das meine ich nicht. Wir haben den rechten kleinen Finger eines Asiaten vor ein paar Tagen im Rhein gefunden. Wie kommt der in den Fluss, wenn er zu Hause gebastelt hat?«
»Vielleicht gehört er einem anderen?«, wehrte Scherer ab.
»Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass hier in der Gegend gleich zwei Asiaten nahezu zeitgleich ihren rechten kleinen Finger verlieren?«, brummte Achill.
*
»Mahlzeit«, brummelte Quirin niedergeschlagen und setzte sich neben Irina an einen Tisch im Bräustübel. Das Bräustübel war ein gemütliches Kellerrestaurant, das für interne Zwecke und als Verköstigungsraum nach Führungen über das Brauereigelände genutzt wurde.
»Was ist denn mit dir los? Ist dein Smartphone in den Gärbottich gefallen? Du bist doch sonst immer so eine bayrische Frohnatur?«
»Wärst ned imma z’spät, dädst as wissn«, knurrte der junge Mann.
»Und das heißt auf Deutsch?«
»Dass ’s heid friah, bevor d’ Friahschicht og’fangt hod, an Nachtwächter dod in seim Heisl g’fundn hom«, bemühte sich Quirin in halbwegs verständlichem Hochdeutsch.
»Wow, was für eine Neuigkeit. Das weiß ich auch schon. Schließlich redet hier den ganzen Tag jeder nur über diesen Vorfall. Und was ist mit ihm passiert? Wurde er überfallen?«
»Na, wia’s ausschaut, war’s a Herzkaschpal.«
Irina lachte. »Ihr Bayern habt immer so eine pragmatische Art.«
»Hie is hie. Ah geh, lass ma mei Ruah. Wenn i so wos seng muass, schlogt ma des auf’n Mong.«
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