Kitabı oku: «Beurteilungsgespräche in der Schule», sayfa 14

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# 16 Wenn das alle machen würden

(Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 11:23–13:52)


001L°hh ähm (-) was (.) mit däm gAnze mit HÄR chunnt,ähm was mit dem Ganzen einhergeht
002(--) isch dass er ame au gärn äfach UFstoot;ist dass er manchmal auch gerne einfach aufsteht
003<<lachend> und denn zu sine fründe an TISCH goot;>und dann zu seinen Freunden an den Tisch geht
004ich wÄiss ame nit was du denn döt [MACHSCH,ich weiss manchmal nicht was du dann dort machst
005S [jo ja
006[ich ich SAG iine denn eben öppis;ich ich sage ihnen dann eben etwas
007M[EERlich.ehrlich
008Soder erKLÄR iinen öppis;oder erkläre ihnen etwas
009wenn: sii mi mänggmol RÜEfe;=wenn sie mich manchmal rufen
010M=jä [WÄÄrend em Unterricht.]ja während dem Unterricht
011V [WÄÄrend em Unterricht.] während dem Unterricht
012L<<lachend> jo, hh°>ja
013SJO?ja
014MwÄÄrenddäm sii vorne irgendöppis [SÄIT?währenddem sie vorne irgendetwas sagt
015S [nÄi DAS schO nit wenn sii am reden isch [vorne;nein das schon nicht wenn sie am Reden ist vorne
016M [aber wäärend iir am SCHAFfe sin; aber während ihr am Arbeiten seid
017stoosch Uf und goosch an andere <<lachend> TISCH,>stehst du auf und gehst an einen anderen Tisch
018S(-) jo? °hja
019(1.38)
020Laso es hets au scho gEE won ich ich ha wöllen e fasen ABbräche,also es hat’s auch schon gegeben wo/als ich eine Phase abbrechen wollte
021und denne (.) plötzlich gmerkt (.) dr flavio isch NIEne me,und dann plötzich gemerkt der Flavio ist nirgends mehr
022S[((lacht))
023L[denn isch er (ame irgendwie) bimene andere CHIND oder so,=dann ist er (manchmal irgendwie) bei einem anderen Kind oder so
024M=mh_hm,=mhm
025L=und denn (.) GSEEN en ame gAr nit,und dann sehe ich ihn manchmal gar nicht
026(--) und–und
027Mdasch WEniger [guet,das ist weniger gut
028L [es ISCH denn ame so chli– es ist dann manchmal so bisschen
029ich bi denn ame so im ne ZWIIspalt;=ich bin dann manchmal so in einem Zwiespalt
030M=jo noTÜErlig;ja natürlich
031Lisch jetzt (.) goot er jetz go HÄLfe?ist jetzt geht er jetzt (gehen) helfen
032M[mh_mh,mhm
033L[oder äh ebe (.) was MACHT er jetzt [genau dÖrt,oder äh eben was macht er jetzt genau dort
034M [mh_hm, mhm
035(1.16)
036Loder ame NÄRVTS mi würklich au,oder manchmal nervt’s mich wirklich auch
037M[jo das GLAUB i, ]ja das glaube ich
038L[wills halt !ZIT!] bruucht,weil es halt Zeit braucht
039M[mh_hm,]mhm
040L[bis är] denn wider am PLATZ isch?bis er dann wieder am Platz ist
041L(--) und (.) ich mErk denn immer es isch dir äigentlich nIt so RÄCHT,und ich merke dann immer es ist dir eigentlich nicht so recht
042so <<flüsternd> ou u> und denn denn [entSCHULdigsch di Immer,so oh uh und dann dann entschuldigst du dich immer
043S [jä– ja
044Ls isch [dir nit RÄCHT und (-) und ich dÄnk denn immer–es ist dir nicht recht und und ich denke dann immer
045S [jo wäil ichs verGISS denne; ja weil ich es vergesse dann
046L°h dass du das nit <<lachend> ME::RKSCH,>dass du das nicht merkst
047aso ich wäiss ame nit ob dus würkch (--) nit MERKSCH?also ich weiss manchmal nicht ob du’s wirklich nicht merkst
048Smh jo DOCH aso °h jo well ich grad ähm–mh ja doch also ja weil ich gerade ähm
049°h ich ha halt dr drAng wenn ich öppis öpperem will SAAge;ich habe halt den Drang wenn ich etwas jemandem sagen will
050[<<lachend> denne denne °h jo (-) denn MUESS es au go> jo;dann dann ja dann muss es auch gehen ja
051M[((lacht))
052S[°hh
053L[mh_hm,mhm
054das MERK ich jo ame AU;das merke ich ja manchmal auch
055aso mir dün ame au gÄrn mit em flavio bitz ABschwäife in dr schuel;also wir tun manchmal auch gerne mit dem Flavio bisschen abschweifen in der Schule
056wenns um irgend es [thema goot–wenns um irgendein Thema geht
057M [mh_mh; mhm
058Lume HUND <<lachend> oder [so, °hh>um einen Hund oder so
059M [är holt US jä; er holt aus ja
060Lge[NAU.genau
061S [jä– ja
062Lwas notüerlich (.) das vertrÄits ame AU,was natürlich das verträgt es manchmal auch
063das isch gar käis proBLEM,das ist gar kein Problem
064aber me cha jo denn au SÄÄge;aber man kann ja dann auch sagen
065[GUET (-) jetz schwäif mer ab,gut jetzt schweifen wir ab
066M[(xxxxxx)
067Ljetz gömmer [wider zrugg zum THEma,jetzt gehen wir wieder zurück zum Thema
068V [mh_hm; mhm
069L°h (---) aber Äfach dass es halt ÄIgentlich e reglen isch (.) bi mir,aber einfach dass es halt eigentlich eine Regel ist bei mir
070(-) wenn du FROGSCH?wenn du fragst
071döf ich UFstoo;darf ich aufstehen
072(--) irgendwie öppis go TRINke;irgendwie etwas trinken gehen
073oder (.) ebe schnäll IIM öppis–oder eben schnell ihm etwas
074(--)
075V<<p> erKLÄre;>erklären
076(--)
077Laso (.) priVATgsprööch go sääge;also Privatgespräche sagen
078S[((lacht))
079L[denn würd i notüerlich säge NÄI;dann würde ich natürlich sagen nein
080S[jo; ]ja
081L[will] das chönnt iir in dr PAUse mache.weil das könnt ihr in der Pause machen
082Sjo (-) oKEE,ja okay
083Ldas isch dir jo beWUSST;=oder;das ist dir ja bewusst oder
084SJO das isch [(so);ja das ist (so)
085L [aber WENN jetzt öppis isch, aber wenn jetzt etwas ist
086är bruucht jetzt DIni hilf,er braucht jetzt deine Hilfe
087und si bAnknochber chan em NIT hälfe,und sein Banknachbar kann ihm nicht helfen
088und är WÄISS genau,und er weiss genau
089dr flavi isch mi [dr flavio isch mi MAA,der Flavi ist mein der Flavio ist mein Mann
090S [((lacht))
091Ldä BRUUCH i jetz,den brauch ich jetzt
092°hh denne find i isch das wider öppis ANders,dann finde ich ist das wieder etwas anderes
093und denn (.) würd ich äfach GÄRN informIert [sii;und dann würde ich einfach gerne informiert sein
094S [mh Okee; mh okay
095M<<flüsternd> du chasch nit äfach UFstoo;>du kannst nicht einfach aufstehen
096S<<lachend> jo;>ja
097L[((lacht))
098M[<<:-)> nÄi> und wenn de !NO! son e drAng hesch?nein und wenn du noch so einen Drang hast
099das chasch [NIT,das kannst du nicht
100S [jo; ja
101L [((lacht)) (-) jo; ja
102Mgäll?gell
103(-) das döfsch WIKlich nit;das darfst du wirklich nicht
104(1.15)
105LgeNAU;genau
106V(.) stell dir vor das machen ALli?stell dir vor das machen alle
107(.) wär e riise [GLOIF;wäre eine riesige Herumrennerei
108S [((lacht))
109L [°h das han i mir denn das han i mir EERlich gsäit au scho (-) überlÄit, das habe ich mir dann das habe ich mir ehrlich gesagt auch schon überlegt
110(--) was wär wenn das <<lachend> ALli [würde mache,> °hhwas wäre wenn das alle machen würden
111V [jo_o ich fänd das (.) (klar); ja ich fände das (klar)

L wendet sich mit ihrer Kritik über Flavios Verhalten zuerst an die Eltern (Z. 001–003) und fragt dann in leicht erstauntem Ton Flavio indirekt nach den Gründen (ich wÄiss ame nit was du denn döt MACHSCH,, Z. 004). Flavio schildert in einer Selbstverständlichkeit, dass er zu seinen Freunden gehe, um ihnen etwas zu erklären (Z. 005f., 008f.). Schon in Zeile 007 zeigt sich M durch ihre Nachfrage (EERlich.) über das Verhalten von S erstaunt und richtet sich damit an der Kritik von L aus. In den Zeilen 010 und 011 wird dieses Erstaunen vonseiten M und V noch unterstrichen, indem beide im Chor die Frage WÄÄrend em Unterricht. äussern und damit diesen Umstand als problematisch thematisieren. Durch das chorische Sprechen agieren die Eltern als interaktiv konstituierte Einheit (vgl. Kap. 2.3.1 zur kollektiven Beteiligung) und bilden damit gleichzeitig eine Koalition mit L, die ihre Kritik in Bezug auf das Aufstehen im Unterricht zuvor angebracht hat. Durch die weiteren Fragen an S bringt M teilweise lachend ihr Erstaunen über das unangebrachte Verhalten ihres Sohnes zum Ausdruck (Z. 014, 016f.). Ausgehend von dem nun erreichten Common Ground ergänzt L die Kritik durch eine fragmentarische Erzählung oder small story (vgl. z.B. Deppermann 2015; Kotthoff 2015b; Mandelbaum 2013), welche eine konkrete Unterrichtssituation beschreibt und die Unpässlichkeit des Schülerverhaltens verdeutlicht (Z. 020f., 023, 025). M verfolgt die Schilderungen durch mehrfache Rezeptionssignale und pflichtet L auch explizit bei durch die Bestätigung des Fehlverhaltens (dasch WEniger guet,, Z. 027) sowie durch Verständnisbekundung für das Unbehagen und die Irritation von L bezüglich Flavios Verhalten (jo noTÜErlig;, Z. 030; jo das GLAUB i,, Z. 037). Dadurch bestärkt sie L in ihrer kritischen Darstellung von S.

In den Zeilen 041–068 perspektiviert L die Problematik, indem sie ihre Wahrnehmung dazu äussert, dass S einerseits sein eigenes Verhalten wohl nicht recht bewusst sei und S andererseits ein allgemein ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis habe, was gelegentlich im Unterricht zu Abschweifungen führe. In den Zeilen 069–093 führt L zurück zu dem kritisierten Punkt und stellt die Regel auf, dass S sie durch Sich-Melden informieren müsse, wenn er aufstehen möchte, um jemandem etwas zu erklären. S ratifiziert diese Handlungsanweisung mehrfach (Z. 080, 082, 084, 094). Interessant ist nun, dass sich beide Elternteile durch sprachliche Aktivitäten der Lehrerinnenrolle angleichen: M rügt das Verhalten von S (<<flüsternd> du chasch nit äfach UFstoo;>, Z. 095; <<:-)> nÄi> und wenn de !NO! son e drAng hesch? das chasch NIT,, Z. 098f.; gäll? (-) das döfsch WIKlich nit;, Z. 102f.) und V fordert S zur Perspektivierung auf, indem er eine Situation imaginiert, in der alle so handeln wie S (stell dir vor das machen ALli? (.) wär e riise GLOIF;, Z. 106f.). L verdeutlicht die erreichte Einheit und den Konsens mit den Eltern noch einmal dadurch, dass sie durch Reformulierung die Vorstellung von V übernimmt: °h das han i mir denn das han i mir EERlich gsäit au scho (-) überlÄit, (--) was wär wenn das <<lachend> ALli würde mache,> °hh (Z. 109f.). Dadurch treten die Erwachsenen gemeinsam als Ensemble auf, die dieselben Ziele verfolgen und dieselben Ansichten und Werte über gutes Verhalten im Unterricht vertreten.

Gleichzeitig wird aber in dieser Sequenz die Koalition gegen den Schüler an vielen Stellen abgeschwächt, indem viel gelacht wird und durch Perspektivenübernahmen dem Schülerverhalten Verständnis entgegengebracht wird. Durch das gemeinsame Lachen sowie die gegenseitigen Verständnisbekundungen wird eine wohlwollende Atmosphäre gestaltet. Auch Kotthoff (2012a: 311) kommt in ihren Untersuchungen von deutschen Sprechstundengesprächen zu diesem Schluss:

Durch gemeinsames Lachen im Rahmen von Geschichten über das Kind signalisieren sich die beiden Parteien gegenseitig ihre tolerante Orientierung und eine geteilte, fördernd kritische Perspektive auf das Kind.

Die „geteilte, fördernd kritische Perspektive auf das Kind“ wird auch dadurch bekräftigt, dass alle Erwachsenen bei den Beurteilungsaktivitäten beteiligt sind und einerseits darum bemüht sind, die Schülersicht einzubeziehen und zu verstehen sowie andererseits dem Schüler die Möglichkeit geben, sein Verhalten aus der Erwachsenenperspektive zu verstehen.

Insgesamt zeigt diese Sequenz, wie auf kritische Beurteilungen interaktive Aushandlungen folgen. In diesem Fall bestärken die Eltern die Kritik der Lehrerin und orientieren sich damit einerseits an schulischen Normen und andererseits positionieren sie sich dabei als kompetente Eltern (vgl. auch Pillet-Shore 2015: 391).

In allen Beispielen ist deutlich ersichtlich, dass Beurteilungen nicht isoliert hervorgebracht werden, sondern durch wechselseitige Bearbeitung verstärkt, geschwächt oder modifiziert werden können. Zudem sehen wir, dass alle Gesprächsteilnehmenden auf die Beurteilung Einfluss nehmen und auch aktiv die Position der Beurteilenden übernehmen können. Da es zu einer institutionellen Aufgabe von Lehrpersonen gehört, ihre SchülerInnen zu beurteilen, positionieren sie sich durch diese kategoriengebundene Aktivität als Fachperson. Dadurch dass auch Eltern in den Beurteilungsdiskurs einsteigen und ihr Kind nach schulischen Kriterien bewerten, positionieren sie sich als Ko-Lehrpersonen.

5.1.2 Lernberatung und Positionierung

Fachliches und fachdidaktisches Wissen wird auch dann relevant gesetzt, wenn Lehrpersonen Ratschläge zum Lernen erteilen oder nach ebensolchen gefragt werden. Gemäss Nothdurft, Reitemeier und Schröder (1994: 7) sind Asymmetrien wie beispielsweise „Differenzen im Fachwissen“ konstitutiv für Beratungsinteraktionen, was durch die komplementären Rollen Ratsuchende versus Ratgebende verdeutlicht wird. In den untersuchten Beurteilungsgesprächen fällt auf, dass es beinahe unmöglich ist, diese prototypischen Rollen zuzuordnen. Vielmehr werden asymmetrische Rollengefüge durch verschiedene Aushandlungsprozesse aufgelöst.

Beispiel # 17 zeigt eine Sequenz, in der die Lehrerin dem Schüler Marc einen Rat für optimiertes Lernen zu Hause erteilt und dabei interessiert insbesondere die Art und Weise, wie dieser Ratschlag interaktiv bearbeitet wird. Vor dieser Sequenz spricht L an, dass MitschülerInnen in Marcs Klasse allgemein eher selten Fragen stellen, woraufhin zuerst M und dann auch S über das Frage- und Lernverhalten zu Hause berichten. Das Beispiel setzt dort ein, wo S sagt, dass er bei Unsicherheiten lieber zu Hause nachfrage:

# 17 Erklären anstatt fragen

(Marc, SJ7_L9B_LMPS, 50:24–50:58)


001S(--) ähm wenn is de Immer so (--) SICH::–ähm wenn ich’s dann immer so sich
002aso nid ganz sicher aber so MITtu so bi,also nicht ganz sicher aber so mittel so bin
003L[mh_hm,mhm
004S[°h de: frag i lieber MAU,dann frage ich lieber mal
005(-) eifach nomal deHEIM [(-) nAche so,einfach nochmal daheim nach so
006M [mh_hm; mhm
007L [ja (.) das find i GUET, ja das finde ich gut
008°h was du ou CHASCH isch äh,was du auch kannst ist äh
009öppis wo du di sIcher !FÜELSCH!;etwas wo/worin du dich sicher fühlst
010(--) go erKLÄre?erklären gehen
011(---)
012M[mh_hm;mhm
013L[°h und (-) !DENN! merkt me nächär,und dann merkt man nachher
014(-) öb das nur e !GFÜEL! isch,ob das nur ein Gefühl ist
015oder öb würklech SIcher [bIsch,oder ob du wirklich sicher bist
016M [mh_hm, mhm
017(--)
018Mmh_hm anstatt frAAge duesch DU [am bEni säge wies geit.mhm anstatt zu fragen tust du dem Beni sagen wie’s geht
019S [((lacht leise))
020M[chasch [ÜEbe;kannst üben
021L[!GANZ! [genau;ganz genau
022P [guet das mach i SOwisoo Immer; gut das mache ich sowieso immer
023L[ja–ja
024P[i FRÖG iin Immer was äh,ich frage ihn immer was äh
025L[ja–ja
026M[aHA ja;aha ja
027(-)
028Pjo [und wo das (xxx xxx)ja und wo das (xxx xxx)
029L [de umgekeert WÄÄG; den umgekehrten Weg
030P[und (xxx)und (xxx)
031L[dasch optiMAL.das ist optimal

L ratifiziert die Aussage von S zum Lernverhalten mit einem Lob (Z. 007) und gibt aber gleich im Anschluss daran einen Tipp für eine andere Lernmethode, nämlich dass er sich nicht nur bei Fragen an die Eltern wenden soll, sondern auch bereits vorhandenes Wissen durch Erklären üben kann: °h was du ou CHASCH isch äh, öppis wo du di sIcher !FÜELSCH!; (--) go erKLÄre? (Z. 008–010). M zeigt ihre Übereinstimmung mit L durch bestätigende Rezeptionssignale und indem sie den Ratschlag reformulierend und konkretisierend wiedergibt: mh_hm anstatt frAAge duesch DU am bEni säge wies geit. (Z. 018). Dadurch dass sie diesen Ratschlag der Lehrerin nun erneut an S gewandt ausspricht, agiert sie in Übereinstimmung mit L ebenfalls als Ratgebende und dadurch als Expertin. Auch der Partner der Mutter (P bzw. Beni) weist sich selbst Expertenstatus zu, indem er die vorgeschlagene Lernmethode nicht als Unwissender aufnimmt, sondern darauf hinweist, dass er SOwisoo Immer (Z. 022) das erwähnte Verfahren zu Hause anwende.1 Dieses Verhalten vonseiten P wird von L positiv bewertet (dasch optiMAL, Z. 031).

S reagiert nach dem Ratschlag der Mutter nicht bzw. nur minimal durch das leise Lachen, was gemäss Silverman, Baker und Keogh (1998: 232) einerseits dadurch erklärt werden kann, dass durch die vielen Adressierungswechsel im Gespräch eine Ambiguität entsteht und niemand direkt in die Pflicht genommen wird, als adressierte Person zu reagieren. Andererseits kann es eine kindseitige Strategie sein, sich nicht zu einer zukünftigen Handlung verpflichten zu müssen und so weder Zustimmung noch Ablehnung zu äussern (vgl. Silverman, Baker & Keogh 1998: 238).

In dieser Sequenz findet sich also keine typische Beratungssituation, in der auf der einen Seite L als Expertin agiert und auf der anderen Seite die Eltern und/oder der Schüler als Laien reagieren. Vielmehr sehen wir, wie die Mutter ebenfalls als Ratgebende auftritt, indem sie den Ratschlag reformuliert. Dadurch gibt sie Einblick in ihr Situations- und Rollenverständnis: Die Erwachsenen sind demnach ExpertInnen und das Kind ist Laie. Die reaktive Positionierung von P zeigt zudem, dass er dem Ratschlag an S eine implizite Positionierung seiner selbst sowie von M abgewinnt. Denn auch wenn der Ratschlag an S gerichtet ist, sind P und M doch diejenigen, die in der vorgeschlagenen Lernsituation mit S interagieren werden und dies also weniger als Antwortgebende, sondern künftig als Rezipierende von Marcs Erklärungen tun sollen. Dabei handelt es sich gemäss L um eine Verbesserung der Lernsituation, was impliziert, dass die bisherigen Lerninteraktionen zwischen S und P bzw. M suboptimal waren. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Reaktion von P verstehen, der betont, dass er dieses Verfahren sowieso schon umsetze. Er positioniert sich damit als Experte des Lernens – so wie die Lehrerin auch – und zeigt an, dass bei ihm in Bezug auf fachdidaktische Aspekte kein Bedarf an Beratung herrscht.

Während das gezeigte Beispiel einen Fall des ungefragten Ratgebens illustriert, kommt es, wenn auch in meinen Daten selten, überdies zur aktiven Positionierung von Eltern als Ratsuchende. Im folgenden Beispiel sehen wir eine solche Beratungsinteraktion, die durch das mutterseitige Erfragen eines Ratschlags initiiert wird. Nothdurft, Reitemeier und Schröder (1994: 10ff.) identifizieren in Beratungsgesprächen die typische Abfolge von fünf Aktivitäten: Situationseröffnung mit Instanzeinsetzung, Problempräsentation, Entwickeln einer Problemsicht, Lösungsentwicklung und Lösungsverarbeitung und Situationsauflösung. Im folgenden Beispiel wird auf diese beratungstypischen Aktivitäten Bezug genommen. Vor dem Ausschnitt bemängelt L die häufig fehlende Aufmerksamkeit von Selina im Unterricht und betont wiederholt die Notwendigkeit einer gewissen Arbeitshaltung:

# 18 Aufpassen

(Selina, SJ9_L4A_LMS, 04:03–04:50 & 07:14–07:37)


001Laso me cha nit äfacht äh: °hh uf die fuuli hUt: SIT[zen;=oder,also man kann nicht einfach äh auf die faule Haut sitzen oder
002M [mh:; mh
003(-)
004Mmh_hm nÄi [muesch scho SCHAFfe genAu;mhm nein du musst schon arbeiten genau
005L [me muess schO e bitz öppis SCHAFfen;=oder, man muss schon ein bisschen etwas arbeiten oder
006Mmh_hm–mhm
007(-)
008LOOni das goots NIT,=oder,ohne das geht’s nicht oder
009Mjä;ja
010(1.69)
011Mmi hets äfach dunkt bim A: em het sii,mich hat’s einfach gedünkt beim AM (=Angewandte Mathematik) hat sie
012aso sch scho s LETSCHte halbe jOOr;also sch schon das letzte halbe Jahr
013Lmh[_mh,mhm
014M [het sii scho MÜE kaa; hat sie schon Mühe gehabt
015L[jä,ja
016M[mer hän überLEGT ka öbs e mÖglichkeit git,wir haben überlegt gehabt ob es eine Möglichkeit gibt
017irgendÖppis wo me do bitz cha MEE drA schAffe oder [so;irgendetwas wo/an dem man da bisschen mehr dran arbeiten kann oder so
018L [jä; ja
019M°hh jetz häi si hüt glaub wider e TESCHT kaa;jetzt haben sie heute glaub ich wieder einen Test gehabt
020un [sii het GSÄIT–und sie hat gesagt
021L [jä– ja
022MJO s isch nit [so °h guet GLOF[fe.=ja es ist nicht so gut gelaufen
023S [mh_hm– mhm
024L [jä– ja
025 [jä– ja
026M=[het sii GMÄINT;=aber,=hat sie gemeint aber
027L=jo s das isch halt AU so;=oder,ja s das ist halt auch so oder
028m mit UFpasse,m mit aufpassen
029M[mh–mh
030L[i ha do °h grad do USse,ich habe da gerade da draussen
031do han ne paar sAche zäigt zu SCHATte;=oder,da habe ich ihnen paar Sachen gezeigt zu Schatten oder
032M[jä–ja
033L[°hh no han i gsäit jo die (.) die vom LETSCHte mol hän nit so Ufpasst,=oder,dann habe ich gesagt ja die die vom letzten Mal haben nicht so aufgepasst oder
034drfür chömme sii nächer cho FROOge;dafür kommen sie nachher fragen
035M[jä;ja
036L[die hän sich mee a dr HITZ °hh irgendwI:e gstÖrt,die haben sich mehr an der Hitze irgendwie gestört
037dass as sii hän müessen [UFpassen;=oder,als dass sie haben aufpassen müssen oder
038M [mh_hm (.) jä– mhm ja
039L((schnalzt)) °h und i dänk do AU aso;und ich denke da auch also
040me hätt schon e bitz mee ufmerksamkchÄit chönne HAA;man hätte schon ein bisschen mehr Aufmerksamkeit haben können
041((Auslassung im Transkript, ca. 2.5 Min.: L schliesst aus, dass S allenfalls benachteiligt sein könnte, da sie wegen einem Schulwechsel erst später mit der Angewandten Mathematik begann. Auch beurteilt er ihre schwachen Leistungen nicht als Anzeichen einer Überforderung, sondern vielmehr als Resultat ihrer mangelnden Aufmerksamkeit. Er betont, wie wichtig das Aufpassen bei den Erklärungen zu Beginn der Unterrichtsstunde sei und sieht dort das Hauptproblem von S.))
042LjO jetz jetz LUEGSCH mOl,ja jetzt jetzt schaust du mal
043((räuspert sich)) und wenn de MÜE hesch;und wenn du Mühe hast
044(1.09) chunnsch halt cho FROOge,kommst du halt fragen
045(-) °h und [wenns denn IMmer nOni gOOt;und wenns dann immer noch nicht geht
046S [jä– ja
047Lun wenn fIndsch du muesch no ZUEsätzlich öppis ha;und wenn du findest du muss noch zusätzlich etwas haben
048no (.) cha me schO LUEge.dann kann man schon schauen
049°hh aber i dÄnk °h äh s het kchä wÄrt dass sii GÄLD usgÄn–aber ich denke äh es hat keinen Wert dass Sie Geld ausgeben
050°h wenn sii nit UFpa[sst;=oder,wenn sie nicht aufpasst, oder
051M [mh_hm jo (jä/nä). mhm ja (ja/nein)
052(--) geNAU,genau
053L(---) hehe[hehehehe
054M [jo we wenn das problEm jetz denn: das wurd UFhebe; ja we wenn das Problem jetzt dann das aufheben würde
055no wär das schO nit SCHLÄCHT,=oder,dann wäre das schon nicht schlecht oder
056Ljä,ja
057M(wenns besser) WIRD nochÄr,(wenns besser) wird nachher

Das Beispiel beginnt in den Zeilen 001–009 mit der geteilten Sicht von L und M auf die Tatsache, dass man für die Schule arbeiten müsse. Diese Alignierung zeigt sich insbesondere in den Zeilen 004 und 005 durch das chorische Sprechen von L und M (vgl. Kap. 2.3.1). Nach einer Pause in Zeile 010 beginnt nun die Mutter aber mit einer Differenzierung der Situation, indem sie fachliche Schwierigkeiten von S im Fach Angewandte Mathematik (AM) anführt. Mit dem Zusatz, dass diese Schwierigkeiten schon im letzten halben Jahr aufgetaucht seien, begründet sie die fachliche Schwäche als unabhängig von den erst neu beobachteten Aufmerksamkeitsschwierigkeiten von S. Wie dies für Beratungsgespräche typisch ist, präsentiert M das Problem in den Zeilen 011–026, indem sie die Situation anhand von konkreten Vorkommnissen verdeutlicht und szenisch vorführt (vgl. Nothdurft, Reitemeier & Schröder 1994: 11). Dabei positioniert sich M nur implizit als Ratsuchende, indem sie nicht direkt nach Rat fragt oder ein konkretes Anliegen formuliert, sondern ihre sowie Selinas Problemlösungssuche thematisiert: mer hän überLEGT ka öbs e mÖglichkeit git, irgendÖppis wo me do bitz cha MEE drA schAffe oder so; (Z. 016f.). Es kommt also in dieser Sequenz nicht zu einer deutlichen Instanzsetzung, also einer Rollenzuweisung von Ratgebenden und Ratsuchenden. Dass diese Darstellung in der Folge von L dennoch als „Aufforderung zur Lösungsbeteiligung“ und damit als typische Aktivität einer ratsuchenden Person (Nothdurft, Reitemeier & Schröder 1994: 11) verstanden wird, zeigt L durch seine Bearbeitung des Problems ab Zeile 027. Zwar reagiert er vorerst nicht auf das indirekt formulierte Anliegen, Zusatzaufgaben oder andere Möglichkeiten für S zu finden, aber er beginnt mit dem für Beratungsgespräche typischen Entwickeln einer Problemsicht. Seine Problemdefinition sieht ganz grundsätzlich die fehlende Aufmerksamkeit von S im Unterricht als Ursache der schwachen Leistungen, womit er von der Darstellung der Mutter abweicht. Er begründet diese Sicht mit einer aktuellen Anekdote aus dem Unterricht (Z. 030–040) und führt weiter aus, dass das Aufpassen bei Erklärungen zu Beginn der Unterrichtsstunden unabdingbar für den eigenen Lernerfolg sei (Auslassung im Transkript, vgl. Z. 041). Er zeigt dadurch seine Expertensicht auf das dargestellte Problem, welches er aus professioneller Sicht beobachten und beurteilen kann, während M nur indirekten Zugang zu diesem Wissen hat. Nach den ausschweifenden Ausführungen zur Notwendigkeit der Aufmerksamkeit im Unterricht, die als Begründung seiner Problemdefinition verstanden werden können, richtet sich L an S und kommt zur Lösungsentwicklung. Diese beginnt vorerst sehr vage: jO jetz jetz LUEGSCH mOl, (Z. 042) und bezieht sich wohl auf die Anforderung, im Unterricht gut aufzupassen. L führt dann weiter aus, dass S bei Schwierigkeiten Fragen stellen soll und sollte es dann immer noch nicht besser gehen, cha me schO LUEge. (Z. 048; vgl. auch Beispiel # 63). Wer mit dieser man-Referenz gemeint ist, lässt sich zwar nicht endgültig auflösen, interessant und aufschlussreich ist jedoch die sequenzielle Einbettung: Zuvor adressiert L die Schülerin. Nach der man-Referenz adressiert er die Mutter, die sich ursprünglich als (implizit) Ratsuchende präsentiert hat. So fungiert das Pronomen man als Übergangsbereich und als Markierung des Adressierungswechsels. Nun folgt die eigentliche Antwort auf das von M vorgebrachte Anliegen: °hh aber i dÄnk °h äh s het kchä wÄrt dass sii GÄLD usgÄn– °h wenn sii nit UFpasst;=oder, (Z. 049f.). L zeigt damit auch seine Interpretation des Anliegens, nämlich dass M mit den erfragten Möglichkeiten an Nachhilfeunterricht gedacht haben muss. M ratifiziert dies im Sinne einer Lösungsverarbeitung (Z. 051f.) und löst die Beratungssituation auf, indem sie ihr Hoffen auf eine Besserung der Leistungen äussert (Z. 054f., 057).

Insgesamt können wir in diesem Ausschnitt eine klassische Beratungssituation nachzeichnen, die nach einer zwar nur impliziten Anliegensformulierung vonseiten der Mutter die wichtigen Bearbeitungsschritte des Problems enthält. Interessant ist jedoch zu sehen, dass L relativ lange nicht direkt auf das Anliegen Bezug nimmt, nämlich auf allfällige Möglichkeiten von Zusatzaufgaben oder Nachhilfeunterricht, wie es am Ende durch die Thematisierung des Geldes zur Sprache kommt. Dadurch entstehen zwei Diskurse, die nicht passungsfähig sind: Auf der einen Seite steht die Mutter, die sich Sorgen um ihre Tochter macht und sie als Schülerin darstellt, die offenbar bereit wäre, durch das Bearbeiten zusätzlicher Aufgaben ihre Defizite im Fach zu beheben. Und auf der anderen Seite steht der Lehrer, der die Schuld bei der fehlenden Aufmerksamkeit von S im Unterricht sieht und ihr damit die nötige Bereitschaft für das Lernen abspricht. Dies schlägt sich in indirekten Formulierungen und Adressierungen nieder, die einer Vermeidungsstruktur gleichkommen. L berichtet über die fehlende Aufmerksamkeit in der Klasse, ohne M oder S direkt zu adressieren oder gar S direkt als gemeinte Akteurin zu benennen (Z. 030–040). In dem hier nicht abgedruckten Fortgang des Gesprächs (Z. 041) fokussiert L bei der Darlegung seiner Problemsicht dann allerdings deutlich die Schülerin selbst. Aber erst nachdem seine Problemdefinition ausführlich durch Beispielserzählungen und Ausführungen belegt ist, adressiert er wieder die Mutter und reagiert auf ihr Anliegen. Es kommt also zu einer umständlichen Darlegung der Lehrersicht, die mit den unterschiedlichen Problemdefinitionen zu tun hat.

Ob die Beratung hier die Erwartung von M erfüllt, ist allerdings fraglich. So werden Zusatzaufgaben oder Nachhilfeunterricht, wie M und S es sich vorstellen, als unnütz abgetan und die gesamte Verantwortung wird an S delegiert. Es findet demnach weniger eine Beratung statt, als dass der Lehrer der Schülerin eine Rüge erteilt. Dennoch wird das vorgeschlagene Vorgehen (dass nämlich S im Unterricht besser aufpassen soll) von M als mögliche Lösung akzeptiert, wenn auch durch den verwendeten Konjunktiv eine eher zögerliche Ratifizierung ausfällt: jo we wenn das problEm jetz denn: das wurd UFhebe; no wär das schO nit SCHLÄCHT,=oder, (Z. 054f.).

Im gezeigten Beispiel werden die Rollen des Ratgebenden und der Ratsuchenden dadurch etabliert und ratifiziert, dass die durch den Lehrer vorgebrachte Problemdefinition als Expertensicht behandelt wird und die Mutter nicht weiter nach Zusatzaufgaben fragt, sondern diese neue Perspektive übernimmt. Diese komplementären Rollen des Experten und der Laiin entsprechen einer typischen institutionellen Gesprächssituation und decken sich auch mit den von einigen Kantonen beschriebenen Berufsprofilen, wonach die Beratung von Eltern eine der Aufgaben von Lehrpersonen ist (vgl. Berufsauftrag-LP Schweiz 2007, v.a. Kantone BL, GL, LU, OW; Berufsauftrag-LP Kanton BE 2015). Umgekehrt wird in ebendiesen Berufsprofilen sowie in pädagogischer Literatur oder in Ratgebern häufig von der Zusammenarbeit mit Eltern (vgl. Berufsauftrag-LP Schweiz 2007, v.a. Kantone AG, AR, BE, BS, FR, NW, OW, SG, SH, SO, SZ, TG, UR, VS, ZG, ZH), oder von einer Erziehungspartnerschaft (vgl. z.B. Keck & Kirk 2001; Sacher 2014), oder gar von Gesprächen auf Augenhöhe (vgl. z.B. Beier 2012) gesprochen, was weniger institutionellen Asymmetrien, sondern gleichberechtigten Symmetrien entspricht. Diese Zusammenarbeit etabliert sich durch ein gegenseitiges Zuschreiben von Kompetenzen, was einerseits im Folgenden bei der Positionierung der Eltern als Ko-Lehrpersonen ersichtlich wird und andererseits durch die Positionierung der Eltern als ExpertInnen bezüglich Erziehungsfragen verfestigt wird (vgl. Kap. 5.2).