Kitabı oku: «Beurteilungsgespräche in der Schule», sayfa 25
7 Beteiligung, Positionierung und Beurteilung durch Animation und Imagination
„ich wEtt öppis beWEge,
ich wEtt öppis MAche,
ich wEtt öppis °hh erRÄIche,
ich wEtt in konTAKT chO,
ich wEtt (---) i ich wEtt i d WÄLT?“
(Animierte Rede in Beispiel # 84)
Die Zusammenhänge zwischen Beteiligungsstrukturen, Positionierungs- sowie Beurteilungsaktivitäten zeigen sich besonders deutlich in Gesprächspassagen, in denen durch die animierte Rede, d.h. durch imaginierte oder fingierte Redeanteile, die so nie von jemandem real geäussert wurden, eine Positionierung oder Bewertung vorgenommen wird. Es sei an dieser Stelle auf das Kapitel 2.3.1 verwiesen, wo die direkte Redewiedergabe sowie die animierte Rede einführend besprochen und in der Forschungstradition verortet werden. Während die direkte Redewiedergabe schon breit erforscht wurde (vgl. z.B. Goffman 1981; Günthner 1997; Tannen 2007), handelt es sich bei der animierten Rede um eine Sonderform, die erstmals bei Ehmer (2011), und auch dort ausschliesslich bezogen auf Alltagsgespräche, vertieft untersucht wurde.
Wie die folgenden Analysen zeigen, können Selbst- und Fremdpositionierungen durch die Imaginierung von Handlungen, Einstellungen und Gedanken erlangt werden, die unterschiedliche Funktionen erfüllen: Szenarios übernehmen eine Bewertungsfunktion und damit eine grundlegende Funktion von Selbst- und Fremdpositionierung (Kap. 7.1); durch Szenarios werden mögliche Handlungen und Gedanken veranschaulicht oder Handlungsanweisungen und erwünschte Einstellungen vermittelt (Kap. 7.2); und in ko-konstruierten Szenarios werden beispielsweise Verantwortungen ausgehandelt (Kap. 7.3). Gleichzeitig verändert sich durch die Verwendung der animierten Rede jeweils lokal die Beteiligungsstruktur.
In einer deutlichen Überzahl der Fälle handelt es sich bei der entworfenen Figur um den/die SchülerIn und bei dem/der AnimatorIn um die Lehrperson. Aber auch die Eltern verwenden bei Positionierungen die animierte Rede, entweder um eigene imaginierte Äusserungen darzustellen, oder um die Figur ihres Kindes, die der Lehrperson, die anderer Eltern oder in einer Sequenz gar die Figur eines fiktiven Lehrmeisters zu animieren. Ebenso entwerfen Lehrpersonen in Szenarios nicht nur Identitäten von SchülerInnen, sondern auch von sich selbst. Und in Einzelfällen wird die animierte Rede von den anwesenden SchülerInnen über sich selbst ausgeführt.
7.1 Selbst- und Fremdpositionierung durch Imaginierung
Durch die Entwicklung von Szenarios können die Beteiligten sich selbst oder anderen Identitätsmerkmale zuschreiben. Auf diese Weise werden Bewertungen ausgedrückt oder Rollenverständnisse durch Gegenentwürfe ausgehandelt. Im Folgenden wird zuerst die Bewertungsfunktion durch Imaginierung vermuteter Gedanken, Einstellungen und Verhaltensweisen diskutiert (Kap. 7.1.1). Danach wird die Delegierungsfunktion von imaginierten Bewertungen Anderer gezeigt (Kap. 7.1.2) und zuletzt geht es um die Imaginierung nicht vorhandener Verhaltensweisen (Kap. 7.1.3).
7.1.1 Fremdpositionierung und Bewertung durch Imaginierung vermuteter Gedanken, Einstellungen und Verhaltensweisen
Eine wichtige Funktion der direkten Redewiedergabe ist – wie in der Forschung vielfach hervorgehoben wurde – das Bewerten (vgl. Kap. 2.3.1). Auch die animierte Rede wird für Bewertungsaktivitäten funktionalisiert. Es handelt sich dabei um ein indirektes Verfahren zur Übermittlung von Beurteilungen.
In dem ersten Beispiel geht es um eine negative Beurteilung des Schülers David und es lässt sich daran illustrieren, wie die animierte Rede gleichzeitig eine Vermeidungsstrategie in Bezug auf die Adressiertheit der Rede darstellen kann. Die Sequenz stammt aus den ersten Minuten des Gesprächs zwischen der Lehrerin, dem Schüler David und seinem Vater. Die Lehrerin hat zuvor das Gespräch eröffnet und dargelegt, aufgrund welcher Probleme sie zusammentreffen. Hier geht es nun um die Problembestimmung:
# 71 Leistungsbereitschaft
(David, SJ12_L5A_LVS, 00:48–02:08)
001 | L | Ich gsees e bitz eSO:;ich seh’s ein bisschen so |
002 | DAvid;David | |
003 | (-) dass sii vo mir !RÄCHT! rückedeckig gha hen;dass Sie von mir recht Rückendeckung gehabt haben | |
004 | so die (.) Erschte zwäi JAAR?so die ersten zwei Jahre | |
005 | °hh Äfach will ich iires <<lachend> potenZIAL> immer gsEE ha–einfach weil ich Ihres Potenzial immer gesehen habe | |
006 | will sii in mine fÄcher au GUET sind?weil Sie in meinen Fächern auch gut sind | |
007 | (-) °hh Äh:m (1.52) AU (.) au will ich fInde sii sind e tOlle junge MAA?ähm auch auch weil ich finde Sie sind ein toller junger Mann | |
008 | (-) °hh äh:m und glIIchzitig dänk ich ischs äfach au mol ZIT,ähm und gleichzeitig denke ich ist’s einfach auch mal Zeit | |
009 | dass mer jetzt (.) WÜRKlech AAluege;=dass wir jetzt wirklich anschauen | |
010 | =mir hend AU;wir haben auch | |
011 | mir HEND ÄInigi gsprÖÖch gha;wir haben einige Gespräche gehabt | |
012 | SII und ICH?Sie und ich | |
013 | (--) über iiri (.) über iiri LÄISCHtigsberÄItschaft;über Ihre über Ihre Leistungsbereitschaft | |
014 | ich glaub das isch ÄIgentlich näbem (.) °h äh:m;ich glaube das ist eigentlich neben ähm | |
015 | (1.07) s THEma isch so chli;das Thema ist so bisschen | |
016 | ich mAch e chli was ich WILL;=oder,ich mache ein bisschen was ich will oder | |
017 | ich mach dette won ich LUSCHT ha;ich mache dort wo ich Lust habe | |
018 | °h ich mach so VILL wien ich lUscht ha;ich mache so viel wie ich Lust habe | |
019 | °hh UN::d (--) ich MACH äh:m–und ich mache ähm | |
020 | (-) und ich gang DETT won ich–und ich gehe dort wo ich | |
021 | (-) won ich LUSCHT ha;wo ich Lust habe | |
022 | so (--) verSUECH ichs emol uszteschte;so versuche ich’s mal auszutesten | |
023 | wie vill lit DIN.wie viel liegt drin | |
024 | (--) | |
025 | ? | jo–ja |
026 | L | würdet sii das AU öppe so–würden Sie das auch etwa so |
027 | (1.27) | |
028 | L | isch das RICHtig [analysIert.ist das richtig analysiert |
029 | S | [jä (.) chÖnnt öppe druf z s chÖnnt öppe ZUEträffe jä. ja könnte etwa darauf z es könnte etwa zutreffen ja |
030 | L | (-) °hhh und !DO:! muess i jetz äfach SÄÄge;und da muss ich jetzt einfach sagen |
031 | jetzt fürs fürs LETSCHte jOOr;=jetzt fürs fürs letzte Jahr | |
032 | =au wenn das rÄIchlich spöt (.) SPOT isch;auch wenn das reichlich spät spät ist | |
033 | (-) muess ICH sÄÄge–muss ich sagen | |
034 | °h näi ÄIgentlich isch da (.) die schuel käi (-) LUSCHTverAAstaltig;nein eigentlich ist da die Schule keine Lustveranstaltung | |
035 | sondern es isch (.) e PFLICHT.sondern es ist eine Pflicht |
L adressiert S explizit mit Namen und beginnt mit positiven Beschreibungen, die sie dazu veranlasst hätten, einen milden Umgang mit ihm zu wählen. Diese positive Kritik ist allerdings durch die sequenzielle Einbettung bereits deutlich negativ gerahmt. Denn zuvor hat L die Problemlage (Absenzen etc.) geschildert und gleich im Anschluss an die positiven Attribuierungen mit einem Gegensatz angesetzt. Es kommt in den Zeilen 009f. zu einem Satzabbruch, als L zu formulieren versucht, was nun das gemeinsame Ziel sein soll. Sie referiert dann auf ein vergangenes Gespräch über die Leistungsbereitschaft von S. Bis dahin adressiert L durchgehend S und positioniert V als stillen Zuhörer. Durch ihre Referenz auf ein vergangenes Gespräch aktiviert sie gemeinsame Wissensbestände von S und ihr selbst, die jedoch nicht als Wissensbestände von V erwartet werden können. Es könnte also hier ein Adressierungswechsel stattfinden, damit L adäquat die für V neue Information an ihn richten könnte. Sie könnte auch, wie das in anderen Gesprächen gezeigt wurde, den Beteiligungsrahmen so belassen und die für V gedachte Information weiter an S richten, für den das Geäusserte auch aktualisierenden Wert hat. Die Ausformulierung wird dispräferiert bearbeitet, es finden sich verschiedene Heckenausdrücke (ein bisschen, ich glaube) und Verzögerungen wie ähm sowie eine Pause, bevor sie mit der Problembestimmung beginnt. Mit dem nun folgenden Wechsel des Produktionsformats wird die Beteiligung von S bei der Problembestimmung gewissermassen inszeniert. L leitet diesen Wechsel ein mit s THEma isch so chli; (Z. 015). Damit referiert sie nicht mehr auf S als Objekt, sondern auf ein zu bestimmendes Thema, was durch die depersonalisierte Form keine direkte Adressierung verlangt. Und nun folgt eine längere Sequenz in animierter Rede: ich mAch e chli was ich WILL;=oder, ich mach dette won ich LUSCHT ha; °h ich mach so VILL wien ich lUscht ha; °hh UN::d (--) ich MACH äh:m– (-) und ich gang DETT won ich– (-) won ich LUSCHT ha; so (--) verSUECH ichs emol uszteschte; wie vill lit DIN. (Z. 016–023). L versetzt sich hier in die Lage von S und imaginiert seine Einstellungen und Gedanken. Sie inszeniert dadurch die Beteiligung von S und lässt ihn im Szenario über sich selbst sprechen. Dadurch delegiert sie einerseits die Bewertung und Zuschreibung von negativ beurteilten Einstellungen und andererseits umgeht sie durch den Einbezug von S als fiktiven Sprecher die Entscheidung vom Produktionsformat Sprechen über S versus Sprechen mit S. Gleichzeitig lässt sich die so imaginierte Darstellung der vermuteten Einstellung von S als Problembestimmung lesen, die zutreffend oder nicht zutreffend sein mag, während eine Umformulierung derselben Sequenz in die Produktionsformate Sprechen über S an V oder Sprechen mit S deutlich stärker wie eine Anklage wirken können.1
Im Anschluss lässt L die Imaginierung der Einstellung von S durch ihn selbst ratifizieren.2 Interessant ist hierbei, dass L in ihrer ersten Frage in Zeile 026 von S wissen will, ob ihre Beschreibung ungefähr zutreffe (würdet sii das AU öppe so–, Z. 026). Sie reformuliert dann zwar noch zu der verbindlichen Aussage isch das RICHtig analysIert. (Z. 028), jedoch bestätigt S in teilweiser Überlappung mit derselben Vagheitsmarkierung durch ungefähr: jä (.) chÖnnt öppe druf z s chÖnnt öppe ZUEträffe jä. (Z. 029). So wird von beiden Seiten kein Anspruch auf vollständiges Zutreffen gestellt, aber die Beteiligten scheinen mit dieser Annäherung an das Problem eine zufriedenstellende Bestimmung gefunden zu haben. Abschliessend beurteilt L die nun ratifizierte Einstellung von S als nicht erwünschte Einstellung in der Institution Schule.
Die animierte Rede leistet hier also zweierlei. Sie ermöglicht in der triadischen Gesprächskonstellation die direkte Adressierung kurzzeitig zu vermeiden, indem aus der Perspektive von S gesprochen wird. Dadurch wird S als Autor, animiert durch L, einbezogen. Und sie ermöglicht eine abgeschwächte, delegierte Form der Beurteilung, indem L die Verantwortung des Gesagten an S abgibt und selbst gewissermassen nur als Animatorin auftritt, nicht aber als Autorin. Besonders funktional ist ein derartiges Delegieren der Verantwortung dann, wenn es, wie in diesem Fall, um eine negative Beurteilung geht, da die Bewertung entsprechend abgeschwächt wird.
Im Folgenden soll an weiteren Sequenzen gezeigt werden, wie neben negativen Beurteilungen auch positive Einstellungen und Gedanken durch die animierte Rede bewertet werden können und wie die Szenarios interaktiv zustande kommen. Im folgenden Gesprächsausschnitt beurteilt der Lehrer die sportliche Leistung und das Spielverhalten des Schülers Ben:
# 72 Schiedsrichterentscheid
(Ben, SJ4_L3B_LMVS, 20:09–21:02)
001 | L | °hh (.) tUrne spOrt (.) koOrdination und USduur.Turnen Sport Koordination und Ausdauer |
002 | (--) do [mErkt me dass de ne SPORTler bisch;da merkt man dass du ein Sportler bist | |
003 | S | [hm- hm |
004 | (-) mh;mh | |
005 | L | (-) und du SPIILSCH guet;und du spielst gut |
006 | du bisch e seer e FLINke spiiler,du bist ein sehr flinker Spieler | |
007 | (.) °h du bisch aber au seer e FEEre spiiler.du bist aber auch ein sehr fairer Spieler | |
008 | S | (--) HOFfentlich; [(--) hehehoffentlich hehe |
009 | L | [(.) jä und das isch isch g_GANZ öppis wIchtigs, ja und das ist ist etwas ganz Wichtiges |
010 | °h ähm dass wemme DI in dr mannschaft het;ähm dass wenn man dich in der Mannschaft hat | |
011 | denn WÄISS men äigentlig;dann weiss man eigentlich | |
012 | (-) es döf emol e FAUL passiere;es darf einmal ein Foul passieren | |
013 | °h aber dU bisch öpper wo (.) das grAd !SO!fort kasch (.) ZUEgää,aber du bist jemand wo/der das gerade sofort zugeben kannst | |
014 | °h (-) au HILFSCH wenn öppis passiert,auch hilfst wenn etwas passiert | |
015 | und das find i [GANZ,und das finde ich ganz | |
016 | S | [(aso) jo; (also) ja |
017 | (1.09) | |
018 | L | [ich fInd das MACHSCH,ich finde das machst du |
019 | S | [jo mÄngisch bin i bitzli Anderi MÄInig;=aber,ja manchmal bin ich bisschen anderer Meinung aber |
020 | (--) | |
021 | ? | h° |
022 | (-) | |
023 | L | i (.) das dÖf me SII;i das darf man sein |
024 | aber du bisch nid öpper wo reklaMIERT.aber du bist nicht jemand wo/der reklamiert | |
025 | S | (.) okee NÄI,okay nein |
026 | L | wo wo umeMUULT,wo/der wo/der herummault |
027 | oder wo FINdet;oder wo/der findet | |
028 | ↑HM: dasch jetzt NID guet;hm das ist jetzt nicht gut | |
029 | °hh ich glaub du KASCH;ich glaube du kannst | |
030 | °h !WENNS! e schiidsrichterentschäid isch;wenns ein Schiedsrichterentscheid ist | |
031 | au SAAge;auch sagen | |
032 | S | [hm–hm |
033 | L | [dasch jetzt zwar vilicht nid ganz RICHtig gsi;das ist jetzt zwar vielleicht nicht ganz richtig gewesen |
034 | °h aber öh (-) es isch denn [TROTZdäm,aber öh es ist dann trotzdem | |
035 | S | [ISCH halt so. ist halt so |
036 | (-) | |
037 | L | geNAU es Isch halt so.genau es ist halt so |
L beurteilt S in dieser Sequenz positiv und nennt dabei sein flinkes wie auch faires Spiel. S zeigt mit dem Einwurf HOFfentlich; (Z. 008), dass er das faire Spielen als Selbstverständlichkeit erachtet. Diese Äusserung wird von L so verstanden, dass S damit die Notwendigkeit eines positiven Herausstreichens dieser Eigenschaft anzweifelt, denn er setzt zu einer erklärenden Einbettung der Beurteilung an. L betont, dass es sich um ein wichtiges Kriterium handelt und veranschaulicht dies in Zeile 010 durch eine Beschreibung aus Sicht der KlassenkameradInnen (mit der Referenz man). Er charakterisiert S wiederum positiv und verwendet dazu eine Mensch-Konstruktion im Sinne von Birkner (2006; 2008: 399ff.), d.h. eine Relativkonstruktion vom Typ Ich bin (k)ein Mensch/Typ/jemand, der/die X: °h aber dU bisch öpper wo (.) das grAd !SO!fort kasch (.) ZUEgää, °h (-) au HILFSCH wenn öppis passiert, (Z. 013f.) und setzt mit und das find i GANZ, (Z. 015) zu einer Beurteilung an. S fällt ihm ins Wort und zeigt sich immer noch skeptisch und selbstkritisch, indem er darauf hinweist, dass es aber auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen könne (Z. 016, 019). Durch diese Zurückweisung des Lobs stellt S einerseits sicher, dass er nicht durch allfällige Zustimmung als Selbstlobender dastehen könnte und verhält sich andererseits ganz im Sinne des für die Rezeption von Komplimenten typischen „doing ‚being modest/humble’“ (vgl. Pillet-Shore 2012: 186, wobei sich die Ausführungen allerdings auf das Verhalten der Eltern beziehen, da die untersuchten Gespräche ohne Kinder stattfinden). L zeigt nun durch seine Erwiderung, dass S hier nicht über dieselben Beurteilungskriterien verfügt und er veranschaulicht dies durch einen Gegenentwurf von S, indem er ihn einerseits wieder mit einer generischen Konstruktion du bist nicht einer, der X beschreibt und andererseits die Typenkonstruktion durch animierte Rede ergänzt:3 aber du bisch nid öpper wo reklaMIERT. wo wo umeMUULT, oder wo FINdet; ↑HM: dasch jetzt NID guet; (Z. 024, 026–028), was S schliesslich akzeptiert (Z. 025). Die animierte Rede ↑HM: dasch jetzt NID guet; ist prosodisch markiert und L imitiert einen sich beklagenden Schüler, womit er die Verhaltensweise negativ bewertet. In seinem erneut positiven Entwurf von S beschreibt L dann eine Meinungsverschiedenheit von S mit dem Schiedsrichter und entwirft die Einstellung von S in animierter Rede: dasch jetzt zwar vilicht nid ganz RICHtig gsi; °h aber öh (-) es isch denn TROTZdäm, (Z. 033f.). Interessant ist hier, dass S in die animierte Rede einsteigt und dadurch seine eigene, durch L animierte, Figur weiterführt. So vervollständigt er in Überschneidung mit L die (fiktive) Äusserung mit ISCH halt so. (Z. 035), was L im selben Wortlaut aufnimmt und wiederholt: geNAU es Isch halt so. (Z. 037).
Was wir hier sehen, ist also eine Sequenz mit mehreren Anläufen von L mit positiver Beurteilung, die von S (selbst)kritisch aufgenommen wird. Erst durch die Imaginierung einer ebenfalls möglichen, aber nicht vorhandenen Einstellung von SchülerInnen, übernimmt S die Perspektive von L und grenzt sich von diesem Gegenentwurf ab. Durch die kollaborative Vervollständigung der animierten Rede zeigt er am Ende schliesslich eine Übereinstimmung mit den Beurteilungskriterien von L und ratifiziert die Fremdpositionierung, indem er sich selbst ergänzend positioniert.
Die animierte Rede in dieser Sequenz taucht also einmal in negierter Form auf, womit eine mögliche, aber nicht vorhandene Einstellung in Abgrenzung zur tatsächlich vorgefundenen Haltung von S inszeniert wird. Diese negierte animierte Rede hat die veranschaulichende und verständnissichernde Funktion, S durch Kontrastierung aufzuzeigen, welche weiteren Verhaltensweisen möglich wären und welcher Vergleichsrahmen somit für die Beurteilung vorliegt (vgl. auch Ehmer 2011: 428). L richtet sich hier also in verstärktem Masse an S aus und die gewählten Veranschaulichungsverfahren können aus der Perspektive des Recipient Designs als Design-Aktivitäten verstanden werden. In der zweiten animierten Rede entwickelt L durch die Imaginierung seine Sicht auf die vermutete Einstellung von S, die dann von S selbst kollaborativ mitentwickelt wird. Dadurch übernimmt S die Verantwortung über seine eigenen Worte und bestätigt gleichzeitig die von L dargestellte Fremdpositionierung. Gemäss Lerner (1996b: 317) können Fremdpositionierungen so in die Interaktion eingebracht werden, dass im Sinne einer Verständigungssicherung eine darauffolgende ratifizierende (zustimmende oder ablehnende) Selbstpositionierung der dargestellten Person folgt. Durch die Vervollständigung des Satzes positioniert sich S als Autor und Auftraggeber: „Anticipatory completion can be used as a device to convert production of a turn’s talk by other-than-author/owner into production by self-as-author/owner“ (Lerner 1996b: 317f.). Die ko-konstruierte Beurteilung widerspiegelt ebenfalls den erlangten Common Ground.
Während in Beispiel # 72 die Ratifikation der in animierter Rede entworfenen Identitätszuschreibung implizit durch kollaboratives Sprechen geschieht, kann sie auch explizit eingeholt werden, wie das in Beispiel # 71 der Fall war. Im folgenden Beispiel wird ebenfalls die Ratifikation von S eingeholt, jedoch nicht explizit, sondern durch die Markierung von Unsicherheit bezüglich der Passung.
Der folgenden Sequenz geht eine Schilderung von M voraus, in der es um ein Frusterlebnis von S geht, als er unerwartet eine schlechte Note in Mathematik erhielt. M berichtet, dass S nun viel arbeiten wolle, um sich wieder zu verbessern. Hier setzt die Sequenz an:
# 73 Gute Einstellung
(Flavio, SJ6_L6B_LMVS, 16:20–16:55)
001 | L | und TROTZdäm muess i jetz aber sÄÄge;und trotzdem muss ich jetzt aber sagen |
002 | find i das e seer e TOLli reaktiOn vo dir.finde ich das eine sehr tolle Reaktion von dir | |
003 | (-) NID dass du säisch,nicht dass du sagst | |
004 | ah es schisst mi AA,ah es scheisst mich an | |
005 | jetz mach i erscht RÄCHT nüt,jetzt mache ich erst recht nichts | |
006 | oder dä blödi herr NArayan,oder dieser blöde Herr Narayan | |
007 | dä tEscht isch vil z SCHWER gsi,dieser Test ist viel zu schwer gewesen | |
008 | M | [ah näi (.) nänäi;ah nein nenein |
009 | L | [aso ich WÄISS nid hesch vilich,also ich weiss nicht hast du vielleicht |
010 | ich WÄISS es [jetz nid,ich weiss es jetzt nicht | |
011 | S | [Aso, also |
012 | °h näi ÄIgentlich isch dr tescht gar nid schwEr gsi,nein eigentlich ist der Test gar nicht schwer gewesen | |
013 | sin äifach f won ich GLERNT ha;sind einfach f wo ich gelernt habe | |
014 | han ich das alles no CHÖNne;habe ich das alles noch gekonnt | |
015 | aber s isch (.) [wie irgenwie (.) wie WÄG gsi;aber es ist wie irgendwie wie weg gewesen | |
016 | L | [mh_HM, mhm |
017 | S | [s isch–es ist |
018 | M | [mh_mh,mh |
019 | (1.02) | |
020 | M | (genau) [mir häns–(genau) wir haben’s |
021 | L | [ich glaub ebe me het d frOOge GANZ konzentriert müesse lääse, ich glaube eben man hat die Fragen ganz konzentriert lesen müssen |
022 | dass me DRUS chunnt (.) so;dass man drauskommt so | |
023 | M | ah:;ah |
024 | L | (--) aber (.) ebe (.) das find ich seer e GUEti IIstellig;aber eben das finde ich eine sehr gute Einstellung |
025 | wenn du SÄISCH,wenn du sagst | |
026 | ich gang jetz HÄI,ich gehe jetzt heim | |
027 | und jetz MACH i öppis drfür,und jetzt mache ich etwas dafür | |
028 | dass ich das cha UFhoole;dass ich das aufholen kann | |
029 | das isch (--) isch e GUEti qualitÄt.das ist ist eine gute Qualität | |
030 | S | mh_HM:,mhm |
031 | L | (-) <<p> das isch SUper;>das ist super |
L nimmt die Schilderung von M zum Anlass, S in seiner positiven Einstellung zu loben und entwirft dabei zwei Szenarios, wie seine Reaktion in der Situation ebenfalls möglich wäre. In einem Szenario wirkt sich das schlechte Testergebnis negativ auf die Motivation aus (Z. 004f.) und im anderen Szenario delegiert die Figur die Schuld an den Lehrer und die schwierigen Testverhältnisse (Z. 006f.). Im Anschluss an die Szenarios drückt L allerdings ihre Unsicherheit darüber aus, ob die Szenarios tatsächlich kontrafaktisch sind, oder ob sich S auch in diesen Schilderungen beschrieben sieht: aso ich WÄISS nid hesch vilich, ich WÄISS es jetz nid, (Z. 009f.). In Überschneidung wehrt sich aber bereits M gegen die möglichen Darlegungen und S erklärt dann ebenfalls, dass es nicht an zu schwierigen Testfragen lag, sondern an seinem Blackout. Hier zeigt sich wiederum die involvierende Wirkung von animierter Rede. Durch die Demonstration der möglichen Einstellung wird diese imaginierte Identität unmittelbar ins Gespräch geholt und die Beteiligten müssen Stellung beziehen. In einer zweiten animierten Rede präsentiert nun L die tatsächlich vermutete Einstellung (Z. 026–028), die sowohl wertend ein- als auch ausgeleitet wird: das find ich seer e GUEti IIstellig; wenn du SÄISCH, ((…)) das isch (--) isch e GUEti qualitÄt. ((…)) <<p> das isch SUper;> (Z. 024f., 029, 031). Dadurch wird die Einstellung entsprechend gerahmt und positiv gewertet.
In den bisher gezeigten Beispielen findet jeweils im Anschluss an die imaginierten Einstellungen und Gedanken eine Ratifikation durch S statt, entweder fremdinitiiert durch L oder selbstinitiiert durch S. Das folgende Beispiel zeigt eine weitere kontextuelle Einbettung der animierten Rede, die schon vor der Imaginierung die Involvierung und erwartete Ratifikation von S ankündigt. Vor dem zu zeigenden Ausschnitt kam zur Sprache, dass S trotz guten Schulleistungen nicht den empfohlenen Weg ans Gymnasium einschlagen will, sondern lieber eine Berufslehre machen möchte. M betont dann aber, dass er dennoch gerne zur Schule ginge und positioniert S dadurch wiederum als guten Schüler, wie dies auch von L formuliert wurde.
# 74 Genau so
(Philipp, SJ8_L8A_LMVS, 12:11–12:33)
001 | M | ich ha (.) dr PHIlipp het no;ich habe der Philipp hat noch |
002 | ich ha no NIE ghört wo du gsäit hesch;ich habe noch nie gehört wo du gesagt hast | |
003 | ↓ou NÄI hüt in d schUel.oh nein heute in die Schule | |
004 | (---) | |
005 | L | °h aber das het jo au sEEr vil mit dr RIFfi z due;=oder,aber das hat ja auch sehr viel mit der Reife zu tun oder |
006 | dass dass (.) phIlipp oder wie SEESCHS du.dass dass Philipp oder wie siehst es du | |
007 | dass dass du SÄISCH,dass dass du sagst | |
008 | jo (.) ÄIgenlich gang i GÄRN in d schuel;ja eigentlich gehe ich gerne in die Schule | |
009 | und äigenlich (.) GFALLTS mer,und eigentlich gefällt’s mir | |
010 | füül mi WOOL,fühle mich wohl | |
011 | °h (-) aber (--) i s isch au guet wenns mol FERtig isch;aber i es ist auch gut wenns mal fertig ist | |
012 | hh° [heh heheheh hehe | |
013 | V | [hahaha hmhm[hm hahaha hmhmhm |
014 | M | [hmhmhm hmhmhm |
015 | S | [jä [geNAU eso; ja genau so |
016 | L | [oder <<p> (wie ischs);> oder (wie ist’s) |
017 | hehehehehehehehehehe | |
018 | V | hmhmhm °hhmhmhm |
019 | L | °h heh °h h°heh |
M beginnt mit einer imaginierten, schulablehnenden Aussage von S, die sie jedoch nie so gehört habe und die sie demnach als kontrafaktische Einstellung präsentiert. Interessant ist ihre Einleitung der animierten Rede auch in Bezug auf die Adressierung und Reparaturen. Sie beginnt zuerst einen Satz aus der Ich-Perspektive, wechselt dann zu einer Formulierung über S in dritter Person und beginnt schliesslich den Satz wieder aus ihrer Perspektive und leitet so die animierte Rede ein: ich ha (.) dr PHIlipp het no; ich ha no NIE ghört wo du gsäit hesch; (Z. 001f.). Die Reparatur von einer Sprechen über-Konstruktion zur animierten Rede zeigt, dass letztere Variante bevorzugt wird. L beurteilt diese Einstellung von S positiv, richtet sich dann mit namentlicher Adressierung an S aus und kündigt mit (.) phIlipp oder wie SEESCHS du. dass dass du SÄISCH, (Z. 006f.) eine spätere Ratifikation an. Dadurch dass L keine Pause nach der Frage wie SEESCHS du lässt, sondern gleich die animierte Rede einleitet, zeigt er, dass es sich noch nicht um die Übergabe des Rederechts handelt (und damit nicht um eine übergaberelevante Stelle, TRP), sondern er zuerst seine Version der Sicht vorstellen wird. Es folgt die Imaginierung der Einstellung von S, die einerseits als schulnahe und andererseits als schulkritische Haltung dargestellt wird (Z. 008–011). L beendet die letzte Äusserung mit einem lachenden Ausatmen und es folgt ein gemeinsames Lachen mit den Eltern. Dadurch entsteht eine lockere und wohlwollende Distanz zu sonst erwarteten Normen in der Institution Schule (vgl. auch Kotthoff 2012a: 311ff.). S unterbricht nun das Lachen mit seiner (zuvor schon als erwartbar gezeigten) Ratifikation, indem er seine absolute Zustimmung zur animierten Rede ausdrückt: jä geNAU eso; (Z. 015). Anders als in Beispiel # 71, in dem sich L und S nur auf eine ungefähre Übereinstimmung der Figur mit den dargestellten Einstellungen von S einigen, zeigt sich S hier in diesem Beispiel also mit der eigenen Figur, dargestellt durch L, einverstanden. Diese absolute Zustimmung wird von L und (hörbar) auch von V wiederum mit Lachen aufgenommen, was diese wohlwollende Haltung von L und den Eltern in Bezug auf S erneut ausdrückt.
In allen vier Beispielen zur Fremdpositionierung und Beurteilung von L über S zeigt sich, dass auf die Imaginierung von Einstellungen und Gedanken jeweils eine Ratifikation von S folgt, die entweder von L eingeholt oder bereits von S selbst geliefert wird. Der animierten Rede kann daher eine involvierende Funktion beigemessen werden, da die unmittelbare Konfrontation mit fingierten Aussagen offenbar eine Ratifikation und damit Selbstpositionierung durch S provoziert und begünstigt. In den Beispielen kommt es zu deutlichen oder weniger klaren Übereinstimmungen zwischen S und der dargestellten Figur von S. Auch muss die Ratifikation nicht explizit ausgedrückt werden, sondern kann durch schülerseitige Beteiligung an der Formulierung, wie dies in Beispiel # 72 gezeigt wurde, implizit bewerkstelligt werden.