Kitabı oku: «Seelische Erkrankungen bei Menschen mit Behinderung», sayfa 3

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Menschenkundliche Aspekte zur Biografie
Die Jahrsiebte

leibliche Reifung

Hinter dem individuellen Schicksal kann neben anderen Rhythmen derjenige von Siebenjahres-Perioden mitprägend gesehen werden. In den ersten drei Abschnitten, bis zum 7., bis zum 14. und bis zum 21. Lebensjahr, erfolgt vornehmlich die leibliche Reifung, mehr oder minder »durch das Schicksal bestimmt«.

Im ersten Abschnitt bzw. »Jahrsiebt« ist die Entwicklung von einem Aufnehmen und Nachahmen des Erlebten geprägt. Leitmotiv für den Erzieher gegenüber dem Kind kann hier die Stimmung sein: »Die Welt ist gut.«

Vom 7. bis zum 14. Lebensjahr besteht bei einem Kind das Bedürfnis, die es umgebende Welt empfindend mitzuerleben, unterstützt durch die Stimmung: »Die Welt ist schön.«

Im dritten Jahrsiebt steht dann ein zunehmend verstehendes Lernen der Bedingungen der Welt im Vordergrund, unterstützt durch die Stimmung: »Die Welt ist wahr.«

Das vierte Jahrsiebt, vom 21. bis zum 28. Lebensjahr, lässt Menschen oft die Fülle der Möglichkeiten der Welt erleben: bis an Grenzen gehen, Freiheit und Verantwortung ausbilden, zunehmend lernen, eigene Urteile zu bilden, dabei aber zu frühe Festlegungen vermeiden, all das ist in dieser Lebensphase wichtig.

28. Lebensjahr

Eine besondere Bedeutung in der Biografie eines Menschen stellt das 28. Lebensjahr dar. Es wirkt oft so, als sei vieles von dem, was einem Menschen »geschenkt« wird, mit diesem Alter in gewisser Hinsicht abgeschlossen; jetzt muss das Leben stärker aus eigener Kraft bewältigt werden.

weitere Jahrsiebte

Im fünften Jahrsiebt, bis zum 35. Lebensjahr, hat sich oft ein konkreter Lebensort gebildet, man ist dann oft »niedergelassen«. Eine mögliche Verstrickung in äußere Verhältnisse kann hier die freie Entfaltung der Biografie beeinträchtigen. Freude an der Fähigkeit zu eigenen Leistungen und die zunehmende Übernahme von Verantwortung prägen diese Zeit.

Im sechsten Jahrsiebt, vom 35. bis zum 42. Lebensjahr, stellt sich zunehmend die Frage, was wirklich wichtig ist – auch die Frage nach dem eigenen Wirksamwerden in der Welt. Sinnfragen tauchen vermehrt auf, vielleicht auch das Bedürfnis, über sich hinauszublicken und Neues zu wagen.

Im siebten dieser Abschnitte, vom 42. bis zum 49. Lebensjahr, kann das Bedürfnis entstehen, die Welt aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu erleben, vielleicht eine Erneuerung aus einer überpersönlichen Perspektive heraus zu suchen. Das Bestreben, Eigenes in die Welt zu stellen, kann vorherrschend werden.

Im Jahrsiebt zwischen dem 49. und dem 56. Lebensjahr kann auch die Entwicklung und Förderung anderer wesentlich für einen Menschen werden; erworbene Kompetenzen möchten jüngeren Menschen zur Verfügung gestellt werden, Selbstlosigkeit kann zunehmende Bedeutung erlangen – vor dem Hintergrund einer wachsenden Fähigkeit, Wesentliches vom Unwesentlichen zu trennen.

Im Lebensabschnitt vom 56. bis zum 63. Lebensjahr entsteht die Möglichkeit, den Blick zunehmend nach innen zu richten; ein bewusster Umgang mit Verzicht, eine wachsende Fähigkeit, »abschiedlich« zu leben, kann sich einstellen.

In dem dann anschließenden Jahrsiebt vom 63. bis zum 70. Lebensjahr kann die Fähigkeit des »Sich-Schenkens« als tief befriedigend erlebt werden.

Hilfe zum Verständnis der Entwicklung

Selbstverständlich sind damit die charakteristischen Merkmale der Jahrsiebte nur kurz angedeutet und in keiner Weise erschöpfend dargestellt. Ich empfinde diese Gesichtspunkte aber als wesentliche Hilfe zum Verständnis einer biografischen Entwicklung.

Aus dem bisher Gesagten mag bereits deutlich werden, in welch eingeschränktem Maße die biografische Entwicklung von Menschen mit Assistenzbedarf zunächst unter diesen Aspekten gesehen werden kann bzw. wie schwierig es für einen Begleiter sein kann, diese Aspekte bei den ihm anvertrauten Personen zu verfolgen. Doch auch wenn die Bedingungen oft eingeschränkt sind, können und sollten wir versuchen, diese übergeordneten Gesetzmäßigkeiten einer Biografie aufzusuchen.

Um noch einmal Romano Guardini zu Wort kommen zu lassen: »Jede Phase hat ihren eigenen Charakter, der sich so stark betonen kann, dass es für den sie Lebenden schwer wird, aus ihr in die nächste überzugehen.«6

Mondknoten

Was verbirgt sich hinter den sogenannten Mondknoten?

Zusammentreffen von Vergangenheit und Zukunft

Alle 18 Jahre, 7 Monate und 9 Tage steht der Schnittpunkt der Bahnen von Sonne und Mond im Verhältnis zum Fixsternhimmel an derselben Stelle wie bei der Geburt eines Menschen. Wenn wir den Mond als Ausdruck für Vergangenes und die Sonne als Bild für das Zukünftige sehen, beschreibt diese Konstellation das Zusammentreffen von Vergangenheit und Zukunft im Jetzt.

Oder wie Rudolf Steiner es formulierte:

Das Künftige ruhe auf Vergangenem.

Vergangenes erfühle Künftiges

Zu kräftigem Gegenwartsein.7

Der Mondknoten-Rhythmus ist ein kosmischer Rhythmus, der sich in der individuellen Biografie widerspiegeln kann, also oft Auswirkungen auf die entsprechenden Phasen im Leben eines Menschen hat.

Zeiten des Aufbruchs und Umbruchs

Wir erleben den ersten dieser Mondknoten mit gut 18 ½ Jahren, den zweiten mit etwa 37 Jahren und 3 Monaten, den dritten mit etwa 55 Jahren und 10 Monaten, den vierten mit gut 74 Jahren. Es können dies Zeiten des Aufbruchs, vielleicht auch des Abschieds, oft des Umbruchs sein. Der Begriff des »Sterbens« liegt hier nahe – Sterben als dieses tiefste Loslassen, als umfassendsten Ausdruck für Abschied wie Aufbruch.

»Rubikon«

Für die pädagogische Arbeit wichtig ist auch die Kenntnis des halben Mondknotens. Gemeint ist die Zeit, die ein Mensch mit ungefähr 9 Jahren und 3 Monaten durchlebt. In seiner »Menschenkunde« nennt Rudolf Steiner diese Zeit den »Rubikon«,8 in Anlehnung an die Überschreitung des Flusses Rubikon durch Caesar. Damit wird eine Situation bezeichnet, in der es kein Zurück gibt, in der etwas radikal anders wird – ein Umbruch hin zu etwas gänzlich Neuem.

Unter dem menschenkundlichen Aspekt betrachtet, beschreibt dies eine konstitutionelle Veränderung. Das Seelische des Kindes schwingt immer weniger mit der Umgebung mit, sondern bildet mehr und mehr einen selbstständigen Innenraum. Menschenkundlich ausgedrückt heißt das: Der »zentrale Punkt« (das »Ich«) des Kindes verlagert sich in die Stoffwechsel-Gliedmaßen-Region, also in den zentralen Ort des Willenslebens – den Ort der individuellen Schicksalsgestaltung.

Bedeutung des Rubikons

Rudolf Steiner misst dieser Umwandlung eine große Bedeutung zu. Immer wieder hat er betont, wie wichtig die liebevolle Begleitung eines Kindes in diesem Lebensalter ist.

Viele Kinder erleben diesen »Rubikon«-Lebensabschnitt sehr konkret. Die innere Nähe von »Umbruch« und Aspekten des »Sterbens«, wie sie oben bereits beschrieben wurden, kann sich unter anderem auch in konkreten Ängsten vor dem Sterben, zum Teil im übergeordneten Sinne, zeigen:

•Ein Kind kommt morgens ins Zimmer, steht lange vor der Uhr, weint heftig und sagt: »Es ist alles so anders geworden.«

•Ein anderes Kind sucht nach den Eltern, die gerade im benachbarten Bauernhof Milch holen, wie sie es auch sonst immer tun (also eine eigentlich vertraute Situation), und beginnt aus tiefer Angst zu schreien. Später sagt es: »Ich dachte, ihr seid gestorben.«

•Ein Kind betrachtet sinnend die Haare seiner Schwester und sagt: »So wie diese Haare heute liegen, werden sie das nie wieder tun.«

Bezeichnend ist auch, dass Heinrich Schliemann nachgesagt wird, er habe als gut neunjähriges Kind – ohne einen äußeren familiären oder kulturellen Bezug dazu zu haben – den Entschluss gefasst, Troja und Mykene auszugraben, wie er es später dann auch tat.

die ersten drei Mondknoten

Der erste Mondknoten mit gut 18 Jahren prägt unser Verhältnis zur sozialen Umwelt. Bei vielen Menschen taucht um diese Zeit der Gedanke auf: »Was will ich?« Diese an das eigene Innere, an das eigene Selbst gerichtete Frage steht im Zusammenhang mit einem tiefen Erinnern an den eigenen Geburtsimpuls. Der zweite Mondknoten mit gut 37 Jahren wirft oft die Frage nach Kraft und Mut auf: Bleibe ich auf dem bisherigen, vielleicht geebneten Weg oder entscheide ich mich zu meinem ureigenen Weg?

Beim dritten Mondknoten mit gut 55 Jahren kann es darum gehen, Illusionen und Wünsche »sterben« zu lassen und dem Leben noch mal eine neue Richtung zu geben, sich zu einem neuen Impuls zu entschließen. Wenn die Kraft dazu fehlt, können auch Resignation, Krankheit oder in einzelnen Fällen vielleicht sogar ein frühzeitiger Tod folgen.

Ein vierter Mondknoten, im Alter von gut 74 Jahren, zeigt meist weniger Übergeordnetes – wesentliche Dinge sind da meist schon bewältigt.

Wendepunkte der Biografie

Auf diese Wendepunkte in der Biografie kann in der Begleitung von Menschen mit Unterstützungsbedarf die Aufmerksamkeit gerichtet werden – insbesondere, wenn man eine seelische Verschattung beobachtet, die von Mitarbeitenden zunächst nur als schwer einfühlbar empfunden wird.

Andreas, ein 38-jähriger Mann mit leichter bis mittelgradiger Intelligenzminderung, war mir persönlich aus der heilpädagogischen Betreuung als Kind bekannt. Fast 30 Jahre später – dazwischen bestanden nur kurze punktuelle Kontakte – bat er mich, ihn aufzusuchen. Zum verabredeten Termin stand er, festlich mit Anzug und Krawatte gekleidet, vor seiner Einrichtung. Er leitete mich zunächst wortlos durch den Wald zu einer Lichtung und offenbarte dann: »Ich möchte einmal Kutsche fahren.«

Mit diesen Worten drückte er einen inneren Impuls, ein Bedürfnis nach Veränderung aus. Es resultierte daraus ein mehrwöchiges Praktikum in einer Einrichtung mit Landwirtschaft – und eben Pferden. Dort konnte diesem Wunsch, Kutsche zu fahren, entsprochen werden. Nach dem Praktikum kam Andreas erfüllt und seelisch befriedigt in seine ursprüngliche Einrichtung zurück.

Biografische Entwicklung bei Menschen mit Assistenzbedarf

Vertrautes loslassen

Fast in jeder Biografie geht es, einmal oder mehrmals, darum, Vertrautes loszulassen. Gerade die wesentlichen Entwicklungsschritte bedürfen oft dieses Loslassens – manchmal gar eines wirklichen Sprungs in gänzlich Neues, Unbekanntes und Herausforderndes.

In seinem West-östlichen Divan beschreibt Goethe das folgendermaßen:

Und so lang du das nicht hast,

Dieses: Stirb und werde!

Bist du nur ein trüber Gast

Auf der dunklen Erde.9

Mut zu Neuem

Dieses »Stirb und werde« vollzieht sich in der Biografie von Menschen mit Intelligenzminderung auf unterschiedlichste Weise. Sei es das Verlassen des Elternhauses, der Umzug in eine andere Einrichtung, ein Werkstattwechsel, sei es der Umgang mit einer Krankheit, das Lösen einer Beziehung, was ja beim Wechsel von Bezugspersonen recht häufig notwendig ist – immer wird es das Loslassen von Vertrautem beinhalten und den Mut zu Neuem erfordern, den Mut des Betroffenen, aber auch den der Begleiter.

Erika, eine 34-jährige Frau mit Down-Syndrom und leichter Intelligenzminderung, lebte seit 15 Jahren in einer Lebensgemeinschaft. Sie lernte einen Mann aus einem benachbarten Dorf kennen, einen Arbeiter ohne Intelligenzminderung – wie sich später zeigte, ein Alkoholiker. Nach langem Ringen und Widerständen der Mitarbeitenden in der Einrichtung und der rechtlichen Betreuerin wurde ihr zugestimmt, zu ihm zu ziehen. Wenig später erlitt er einen Schlaganfall. Sie pflegte ihn ein Jahr lang bis zu seinem Tod. Dann gliederte sie sich im Rahmen eines betreuten Einzelwohnens wieder an die Gemeinschaft an. Beeindruckend war ihre gerade auch in dieser herausfordernden Zeit erworbene tiefe Reife und Persönlichkeitsentwicklung sowie eine neue Eigenständigkeit, die sie im Weiteren prägte.

beeinträchtigte Entfaltung der Biografie

Das »Verpassen« der eigenen Biografie, möglicherweise bedingt durch die Angst vor dem Schritt in etwas Neues hinein, kann etwas Schmerzliches sein. Und es kann die Ursache seelischer Krisen und seelischer Erkrankungen darstellen. Nicht nur, aber gerade auch depressive Zustände können Folge einer verhinderten oder beeinträchtigten Entfaltung der Biografie sein.

In bedrängender Weise schildert Franz Kafka dies in mancher seiner Kurzgeschichten: beispielsweise wie ein Mensch vor einer Tür stehen bleibt, die nur für ihn selbst bestimmt ist und vor der ein »Wächter« (vielleicht die Personifizierung der Angst?) steht, der vermeintlich den Eintritt verwehrt – aber eigentlich ist diese Tür offen und bereit, durchschritten zu werden.10

Biografiearbeit als Hilfe

Biografiearbeit als adäquate Form der Psychotherapie

In der Sozialtherapie kann diese Aufmerksamkeit auf mögliche individuelle wie übergeordnete Entwicklungsschritte und die Hemmnisse davor wesentlich sein. »Biografiearbeit«, d. h. die Reflexion der individuellen Vergangenheit einer Person unter Berücksichtigung allgemeingültiger biografischer Rhythmen, stellt oft ein wesentliches, hilfreiches therapeutisches Mittel dar. In der Biografiearbeit kann ein Bewusstsein für den eigenen Lebensweg entwickelt werden. Menschen mit Intelligenzminderung können hier, wenn sie entsprechend unterstützt werden, erleben: »Ja! Ich bin auf einem Weg – und zwar auf meinem!« Das kann dann ermöglichen, im Fluss des eigenen Lebens nicht nur mitzuschwimmen, sondern auch einmal herauszutreten, um den Fluss vom Ufer aus zu betrachten. Oder bei der Wanderung auf dem eigenen Lebensweg über schwindelnde Höhen und durch tiefe Abgründe, durch weites und offenes, helles Gelände und durch finstere Schluchten einmal innezuhalten und einen Turm zu besteigen. Und von dort aus kann dieser Lebensweg rück- und vielleicht auch vorausblickend angeschaut werden. In diesem Sinne ist Biografiearbeit oft eine sehr adäquate Form der Psychotherapie für Menschen mit Intelligenzminderung.11

SEO – Sozio-emotionaler Entwicklungsstand

Das »biologische« Lebensalter ist nur begrenzt aussagefähig, was das Verstehen von Menschen mit Assistenzbedarf betrifft. Von deutlich höherer praktischer Relevanz ist die Berücksichtigung des verfügbaren Intelligenzniveaus sowie insbesondere der jeweiligen sozio-emotionalen Entwicklung. Häufig stehen diese beiden Ebenen in einem unmittelbaren Bezug zueinander.

Skala der emotionalen Entwicklung

Der holländische Psychiater Professor Anton Došen hat diesen Aspekt aufgegriffen und ein auf entwicklungspsychologischen Theorien basierendes Konzept entwickelt, eine Skala der emotionalen Entwicklung (SEO – Schema van Emotionele Ontwikkeling). Er geht dabei von der durchschnittlichen Entwicklung und den sozio-emotionalen Reifungsschritten von Kindern aus und überträgt dies mit erheblichem Erkenntnisgewinn auf Menschen mit Assistenzbedarf bzw. Intelligenzminderung, aufgebaut auf erreichte Stufen der emotionalen Entwicklung.

Oft fällt in der Beschreibung von Menschen mit Intelligenzminderung in bestimmten Lebenssituationen der Begriff »kindlich« auf, ergänzt durch die Feststellung einer »Überforderung«, oder wir finden Hinweise auf die verfügbare – oder eben nicht verfügbare – Reife.

Beziehungsbedürfnisse

Der hier geschilderte Ansatz des emotionalen Alters oder auch des sozioemotionalen Entwicklungsstandes geht von den Beziehungsbedürfnissen eines Menschen aus, d. h. von seinen Bedürfnissen in Bezug auf die Beziehungsgestaltung. Diese sind phasenspezifisch, sie verändern sich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen eines Menschen. Und es bedarf eines differenzierten entwicklungspsychologischen Fachwissens, um diese jeweils dominierenden Beziehungsbedürfnisse hinreichend zu erkennen.

fünf Phasen

Der Ansatz von Anton Došen und seinen Mitarbeitern differenziert nun zunächst fünf Phasen und unterscheidet darin die Beziehungsbedürftigkeit eines Säuglings bzw. Kleinkindes im Alter bis zu 6 Monaten, bis zu 18 Monaten, dann bis zu 3 Jahren, bis zu 7 Jahren und bis zum Lebensalter von 12 Jahren. Diese Phasen bilden die Kategorien SEO I bis V:


SEO I: 0 bis 6 Monate: erste Adaptation,
SEO II: 6 bis 18 Monate: erste Sozialisation,
SEO III: 1 ½ bis 3 Jahre: erste Individuation,
SEO IV: 3 bis 7 Jahre: erste Identifikation,
SEO V: 7 bis 12 Jahre: Entwicklung von Realitätsbewusstsein.

Verständnis durch Wissen um Beziehungsbedürfnisse

Dieses Konzept wird ständig weiterentwickelt und hat insbesondere als sogenanntes SEED eine vereinfachte Handhabbarkeit erlangt.12 Im Folgenden soll dieser Ansatz, der die Begleitung von Menschen mit Unterstützungsbedarf insbesondere im Zusammenhang mit herausforderndem Verhalten fördern und erleichtern soll, kurz dargestellt werden.

Der Grundgedanke ist, dass Menschen mit Intelligenzminderung aus ihren phasenspezifischen Beziehungsbedürfnissen heraus entsprechend ihrer sozio-emotionalen Entwicklung verstanden werden können. Dazu ist ein Wissen über die generellen Entwicklungsstufen nötig. Im heilpädagogischen wie im sozialtherapeutischen Alltag können »Entwicklungsverzögerungen« auf diese Weise konkret und differenziert beschrieben werden, sodass es möglich wird, auf diesem Fundament ein geeignetes therapeutisches Milieu zu gestalten.

Die vollständige korrekte Anwendung dieses Ansatzes bedarf einer spezifischen Vorbereitung sowie unter anderem eines strukturierten Interviews.13

Trotzdem sollen hier kurz einige grundlegende Gesichtspunkte genannt werden, die ausgesprochen hilfreich für das Verständnis der Entwicklungsphasen von Menschen mit Assistenzbedarf sein können.

Dazu lösen wir uns vom tatsächlichen biologischen Lebensalter und versuchen, das emotionale Entwicklungsalter beobachtend zu verstehen – vornehmlich unter dem Aspekt der jeweiligen Beziehungsbedürftigkeit.

sensibel für atmosphärisches Umfeld

Regulation körperlicher Bedürfnisse

•Menschen im Entwicklungsalter des ersten Lebenshalbjahres (SEO I) haben eine besondere Sensibilität für das atmosphärische Umfeld. Vor diesem Hintergrund ist die Wahrnehmung im Wesentlichen auf den Körper und die nähere Umgebung bezogen, und ein Kontakt zur Außenwelt erfolgt vornehmlich über die Regulation körperlicher Bedürfnisse. Es bedarf hier einer größtmöglichen Konstanz in der räumlichen Umgebung und vornehmlich in der Gewährung von Vertrautheit durch eine Bezugsperson.


Bei Überforderungen können Verhaltensstereotypien auftreten, auch schnell einschießende Erregungszustände mit Wutausbrüchen, schweren Selbstverletzungen und sachaggressivem Verhalten.

Zustände von Unwohlsein schnell erkennen

Ein Mensch in diesem Entwicklungsalter bedarf besonderer milieutherapeutischer Strukturen. So müssten pflegerische Tätigkeiten durch bewussten, einfühlenden und individuellen Beziehungsaufbau geschehen, in der Regel auch durch zentralen Körperkontakt. Es gilt, Sicherheit zu schaffen in den grundlegenden alltäglichen Notwendigkeiten wie Mahlzeiten und Hygiene. Weiterhin ist es wichtig, eine konsequente Reizregulation zu ermöglichen und Zustände von Unwohlsein schnell zu erkennen und entsprechend zu lindern. Außerdem sollte man darauf achten, regelmäßige Kontaktzeiten zu gewähren, aber auch zu begrenzen.

Förder- und Beschäftigungsbereich

•Ein Mensch im Entwicklungsalter bis zu ca. 1 ½ Jahren (SEO II) zeigt dann auch die Fähigkeit, in kleinen homogenen Gruppen verweilen zu können. Die Beschäftigung mit Materialien (Sand, Knete, Papier) beginnt. Das entspricht dem Niveau eines Förder- und Beschäftigungsbereichs.

Überforderungen würden sich hier zum Beispiel bei Menschen im Bereich der Sozialtherapie in Form von regressivem (»rückschrittlichem«) Verhalten, wie Kot schmieren oder Ähnliches, zeigen.

Eine milieutherapeutische Struktur in diesem Entwicklungsalter sollte eine Ritualisierung der Abläufe ermöglichen sowie die andauernde Verfügbarkeit einer Bezugsperson.

Weiter gilt es hier, für Pausen in vertrautem Milieu mit Entspannungsangeboten zu sorgen und erwünschtes Verhalten unmittelbar zu verstärken. In diesem Lebens- bzw. emotionalen Alter ist es oft noch sinnvoll, unübersichtliche und ausgedehnte größere Veranstaltungen, wie Konzerte oder Ähnliches, eher zu vermeiden oder gut äußerlich und innerlich zu begleiten oder aber ein solches Angebot so auf den Betroffenen zuzuschneiden, dass er es gut bewältigen kann.

wachsende persönliche Autonomie

•Im Entwicklungsalter bis zu 3 Jahren (SEO III) verfügt ein Mensch über wachsende persönliche Autonomie. Sogenannte Übergangsobjekte (Stofftiere, Puppen usw.) gewinnen wesentliche Bedeutung. Es wird wichtig, Fähigkeiten der Betroffenen hervorzuheben und durch die Umgebung anzuerkennen. In einer Verhaltenskonsolidierung gilt es, erwünschtes und sozial hilfreiches Verhalten zeitnah zu verstärken und zunehmend auch kognitiv zu bewältigen. Dieses Lebensalter bedarf noch stark der Begleitung einer vertrauten Bezugsperson in der »Eroberung« von zunehmend sich öffnenden sozialen Bereichen (Haus oder Werkstatt).

soziale Kompetenz

•Bei einem Menschen im sozio-emotionalen Entwicklungsalter von 3 bis ca. 7 Jahren (SEO IV) bildet sich zunehmend das Bedürfnis, soziale Kompetenz zu zeigen. Er strebt in eine »Peer-Group«, hält sich also gerne unter »Gleichaltrigen« auf; Regeln und Normen des sozialen Lebens werden zunehmend kognitiv erfasst.

Der Mensch mit Unterstützungsbedarf fragt nun nach der Förderung eigener Interessen. So können spezifische Gruppen etwa in der Freizeitgestaltung aufgesucht werden.

Für die Begleitung bedeutet das: Vorgeben und Supervision von Leitlinien für alle Bereiche des Alltags; zunehmend können Entscheidungsalternativen angeboten werden, um Ambivalenz zu vermeiden.

Orientierung ohne Gruppenführung

•Im sozio-emotionalen Lebensalter von 7 bis 12 Jahren (SEO V) entfaltet sich dann immer deutlicher die soziale Autonomie des Einzelnen – des Kindes in der Präpubertät bzw. des Menschen mit Unterstützungsbedarf, der vor dem Hintergrund dieser Entwicklungsphasen verstanden werden kann. Jetzt gelingt zunehmend auch eine anfängliche Orientierung ohne Gruppenführung. Der Betreuer als Ansprechpartner ist erreichbar bei Krisen, ambulante soziale Betreuung wird möglich, alltagsübliche Situationen können selbstständig bewältigt werden.

Individuelle Überforderung ist oft eine Grundlage von herausforderndem Verhalten. Die Kenntnis der hier skizzierten Stufen bzw. der phasenspezifischen Beziehungsbedürfnisse kann eine wesentliche Hilfe sein, Überforderungen zu vermeiden. Dies umso mehr, als sowohl in Wohngruppen wie in Werkstätten prinzipiell Menschen unterschiedlichster sozio-emotionaler Entwicklung leben. Eine genauere Kenntnis dieser Stufen ermöglicht die je spezifische Ansprache.

Überforderungen vermeiden

In der Sozialtherapie wird oft von »dem Erwachsenen« gesprochen, dem Menschen, der »jetzt erwachsen geworden ist«. Der hier skizzierte Ansatz ermöglicht es, dies differenzierter zu sehen und den Aspekt der Assistenz bzw. des Unterstützungsbedarfes adäquater an die individuellen Möglichkeiten anzupassen. Überforderungen als ein möglicher Ausgangspunkt seelischer Erkrankungen können auf diese Weise besser vermieden werden.

Das Konzept des emotionalen Alters (SEO) ersetzt nicht die psychiatrische Diagnose, aber es ermöglicht einen entscheidenden Zugang zu einem adäquaten und fördernden Milieu, das von dem Betroffenen gut bewältigt werden kann. Im heilpädagogischen und vor allem im sozialtherapeutischen Alltag scheint mir dies unverzichtbar zu sein.

Eine Ergänzung noch: Der Heilpädagogische Kurs Rudolf Steiners beginnt fast unmittelbar mit diesen Worten: »Es ist ja natürlich, dass vorangehen soll bei jedem, der unvollständig entwickelte Kinder erziehen will, eine Erkenntnis, eine wirklich eindringliche Erkenntnis der Erziehungspraxis für gesunde Kinder.«14 Mir scheint, dass mit dem SEO-Konzept ein sehr hilfreicher Ansatz entwickelt wurde, um diese »eindringliche Erkenntnis der Erziehungspraxis für gesunde Kinder« in einen praktikablen und objektivierbaren Zugang zu Menschen mit Assistenzbedarf zu überführen.

Thomas, jetzt 36-jährig, ist mir seit seinem 15. Lebensjahr bekannt. Hintergrund ist eine chromosomal geprägte Konstitution in Form eines Fragilen-X-Syndroms; außerdem besteht eine Autismus-Spektrum-Störung. Die psychiatrische Symptomatik zeigte, zunehmend etwa seit seinem 18. Lebensjahr, ein ausgeprägt herausforderndes Verhalten mit schweren Unruhe- und aggressiven Zuständen in Form von selbst- und fremdverletzendem Verhalten. In der Gestaltung des therapeutischen Milieus wurde auf die besondere Situation vieler Menschen mit einem Fragilen-X-Syndrom Rücksicht genommen: hohe Verletzbarkeit und Verunsicherbarkeit bei ausgeprägt hoher Empfindsamkeit und Sensibilität. Dies bedeutet weiter: im Umgang Verzicht auf zu direkte Ansprache, weitgehender Verzicht auf emotionale Ansprache, insgesamt ruhige Sprachführung, ruhige Gesten, Schaffen von Nischen und Rückzugsmöglichkeiten.

Vor dem Hintergrund der ebenfalls zu berücksichtigenden Autismus-Spektrum-Störung wurde auf ausgeprägte Ritualisierung des Tagesablaufs sowie eine Strukturierung der Abläufe in der Werkstatt und der Wohngruppe Wert gelegt, einschließlich der Ermöglichung von Pausen. Eine Visualisierung des Ablaufplanes zur Förderung von Sicherheit sowie der Reduzierung von Angst vor Neuem wurde im Verlauf zunehmend eingerichtet. Zusätzlich wurde der Ansatz bezüglich des sozio-emotionalen Entwicklungsalters in die Begleitung integriert. Zunächst orientierte sich die Milieugestaltung am SEO I. Das bedeutete: kontinuierliche Bekräftigung des Beziehungsaufbaus nach gleichem Muster bei ritualisierten Abläufen wie Körperpflege, Mahlzeit und Ähnlichem. Daneben wurde, unter Berücksichtigung jeweils begrenzter Kontaktzeiten, an der Vertiefung der Sensorik sowie einer Verstärkung der Körperwahrnehmung (unter anderem durch Einsatz einer Kugeldecke) gearbeitet.

Nachdem eine zunehmende Stabilisierung erreicht wurde, orientierte sich die Beziehungs- und Milieugestaltung am SEO II: Unter fortgeführter Beachtung der Bezugspflege wurde die Frequenz der Kontaktzeiten ausgedehnt. In Situationen von Anspannung wurde Kontakt angeboten. Die Werkstattbetreuung wurde weiter im fördernden Bereich durchgeführt.

Etwa ab dem 25. Lebensjahr wurde, bei weiterer Stabilisierung und Nachreifung, die »motivationale Ebene« (analog SEO III) verfolgt. Im Einzelnen hieß dies: Ermöglichung und Berücksichtigung von Selbstwirksamkeit sowie zunehmendes Erkennen und Bekräftigen sozialer Regeln. Es gelang Thomas immer mehr, autonome Beschäftigungen im sozialen Umfeld wahrzunehmen (zum Beispiel ein erstes eigenständiges Aufsuchen von Geschäften). Während er sich immer häufiger als »Ich« benennt, fällt ein zunehmendes Streben nach Peer-Groups auf, was aber wegen rascher Überforderung noch sehr begrenzt eingesetzt wird. Vermehrt bewegt er sich selbstständig zwischen vertrauten Sozialräumen.

In seiner biografischen Entwicklung im fünften Jahrsiebt zeigte sich ein wachsendes Bedürfnis nach neuer Tätigkeit (im Sinne von: »Einen Platz im Leben finden«). Verbunden mit einer sichtbaren äußeren Unruhe drängte Thomas im Rahmen der Freizeitgestaltung zu einem zur Einrichtung gehörenden Café. Dort blieb er zunächst befriedigt am Rande, beobachtend am Geschehen Anteil nehmend. Immer stärker drängte er aber an den Platz hinter dem Tresen. Seit etwa einem Jahr ist er im Café tätig und dabei meist mit der Vorbereitung der Speisen beschäftigt. In ruhigeren Zeiten wächst er in die Service-Tätigkeit hinein, er bringt die Speisekarte und deckt ab. Vielleicht deutet sich hier auch ein Motiv des zweiten Mondknotens an (siehe Seite 30 ff.).

Die einzelnen Ebenen durchdringen sich und können in ihren Auswirkungen letztlich nicht voneinander getrennt werden. Dennoch hilft die Orientierung an den Entwicklungsstufen, um die damit jeweils im Zusammenhang stehenden Bedürfnisse zu befriedigen. Nicht erwähnt sind hier weitere therapeutische Ansätze, insbesondere eine medikamentöse Behandlung wechselnden Ausmaßes mit Phytotherapeutika und Neuroleptika – Letztere mittlerweile stark reduziert – sowie längere kunsttherapeutische Interventionen.

Über die Jahre konnte eine weitgehende Beruhigung insbesondere der aggressiven Tendenzen beobachtet werden. Daneben zeigt sich eine beeindruckende Festigung der Persönlichkeit, der Selbstwahrnehmung und des Selbstbewusstseins.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
18+
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603 s. 23 illüstrasyon
ISBN:
9783825162009
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