Kitabı oku: «Mörderisches Bamberg», sayfa 4

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Überfordert

Dienstag, 29. August

„So eine Scheiße!“ Harald Hagenkötter fluchte wie ein Rohrspatz und zupfte unentwegt an seinem Schnauzbart. Eine typische Geste, wenn er nervös oder verärgert war.

Da war noch nicht einmal die Identität des toten Mädchens in der Regnitz geklärt und schon bescherte ihm der heutige Dienstag ein weiteres Mordopfer. Noch dazu einen römischen Kurienbischof aus dem Vatikan. Prost Mahlzeit, das konnte noch heiter werden.

Der Bamberger Oberbürgermeister war der erste, der am frühen Morgen angerufen hatte, gleich darauf ein Vertreter des Erzbistums und beide waren nicht erfreut gewesen. Gerade hatte er noch den Polizeipräsidenten für Oberfranken aus Bayreuth an der Strippe gehabt. Sie alle hatten ihn mit Fragen gelöchert, die er noch nicht beantworten konnte. Und er ärgerte sich: Für das tote Mädchen interessierte sich plötzlich kein Schwein mehr. Alles drehte sich nur um den römischen Bischof.

Jetzt war Hagenkötter auf dem Weg zum großen Besprechungszimmer. Dort hatte er sein Ermittlerteam zusammengerufen. Aufgaben mussten neu verteilt werden. Leider fehlte Professor Stich, auf dessen Erfahrung und Urteilsvermögen er so gerne baute. Die Obduktion der Leiche war schon in vollem Gange und Stich somit gut beschäftigt.

Im Besprechungsraum herrschte Hektik. Seine Leute waren von den Ereignissen genauso überrascht worden wie er. Der Hund eines frühen Spaziergängers hatte den toten Bischof gegen fünf Uhr morgens gefunden. Sein Herrchen, ein 80-jähriger Rentner, war völlig überfordert gewesen. Was tun? Ein Mobiltelefon hatte der Mann nicht dabei. Am nächsten Wohnhaus klingeln? Jetzt, um diese Uhrzeit? Gott sei Dank war ein Zeitungsausträger vorbeigekommen, der dann die Polizei angerufen hatte.

Hagenkötter warf die Tür des Besprechungszimmers hinter sich zu. „Guten Morgen!“

„Guten Morgen“, tönte es zurück, dann wurde es mucksmäuschenstill.

„Jetzt haben wir die Kacke am dampfen. Ich weiß nicht, was momentan in dieser Stadt los ist. Alle Schaltjahre haben wir mal einen Mord aufzuklären und jetzt, innerhalb von zwei Tagen, liegen gleich zwei Fälle auf dem Tisch. Wenn das so weitergeht … Wer von der Spusi war heute früh am Tatort? Gibt es irgendetwas Auffälliges, wo wir ansetzen können?“

Gerhard Frank von der Spurensicherung meldete sich als Erster: „Hautschuppen haben wir genug gefunden, aber im Moment sind wir erst bei der Auswertung. Das Opfer wurde erdrosselt. Vermutlich mit einer Würgeschlinge oder einem ähnlichen Instrument. Ich soll Ihnen von Professor Stich ausrichten, dass er noch vor Ort Blutaustritte durch Mund und Nase festgestellt hat. Das passiert, wenn die Luftröhre durch Druck so stark komprimiert wird, dass sie reißt. Die Male und der Druck auf das Halsgewebe waren auffallend gleichmäßig verteilt: tief, scharf abgegrenzt und in ähnlicher Ausprägung rund um den Hals feststellbar. Als Mordwerkzeug wurde also wahrscheinlich ein Drahtseil benutzt – da würde ich aber noch die genaue Obduktion abwarten, um sicher zu sein. Das Auffälligste an der Leiche steckte aber in seiner linken Anzugtasche: Der Täter hat eine Nachricht hinterlassen. Einen Zettel, etwa DIN A 6-Format, handbeschrieben. Die Schrift ist sehr gut lesbar: Papa era cattivo. Der Zettel ist gerade im Labor. Die KTU kümmert sich darum.“

„Mein Italienisch ist jetzt nicht das beste. Könnte mich mal jemand aufklären?“ Hagenkötter zupfte wie wild an seinem Schnauzbart herum.

Papà era cattivo – zu Deutsch: Papa war böse, wenn ich mich nicht irre. Aber ich hab den Zettel noch nicht selbst gesehen …“, kommentierte Tina Meisel.

Papa war böse? Sind wir hier im Kindergarten oder in der Klapsmühle?“, schnaufte Hagenkötter. „Ist das alles?“

„Sein Bischofsring ist auch weg“, schaltete sich Gerhard Frank noch einmal ein. „Ansonsten fehlt offenbar nichts. Geldbörse, persönliche Dokumente, Hotelschlüssel – alles noch vorhanden.“

„Wer bringt denn einen Bischof um, nur um seinen Ring zu klauen?“ Der Hauptkommissar sprach mehr zu sich selbst als zu seinen Mitarbeitern. „Und was hat dieses Papa-Getue damit zu tun?“

„Der Bischofsring ist sicher nicht der Grund seines Todes“, meinte Tina. „Der Geistliche trug keine Amtskleidung, sondern einen ganz normalen, schlichten schwarzen Anzug. Von hinten hätte der Mörder unmöglich erkennen können, dass er es mit einem hohen Würdenträger der römisch-katholischen Kirche zu tun hatte – und Eposito wurde ja wohl von hinten erdrosselt?“ Sie legte die Stirn in Falten. „Von vorn allerdings hätte man den weißen Kragen seines Kollarhemds sehen können, das ist dieser typische Priesterkragen. Aber bedenken wir: Es war mitten in der Nacht und der Angriff ging sicherlich ganz schnell vonstatten. Und überfällt jemand gezielt einen Geistlichen? Nur wegen seines Rings? Unwahrscheinlich.“

„Außer der Mörder kannte sein Opfer“, überlegte Hagenkötter. „Worauf diese seltsame Botschaft Papa war böse hindeuten könnte.“

„Aber wer bringt denn wohlwissend einen friedlichen Bischof um?“, zweifelte Tina noch immer.

„Auch Bischöfe sind keine Engel. Auch die haben manchmal Dreck am Stecken. Die Leiche ist noch bei Professor Stich am Institut für Rechtsmedizin in Erlangen, nehme ich an?“

„Genau. Er und ein Kollege müssten gerade bei der Autopsie sein. Um die Mittagszeit hole ich seinen schriftlichen Bericht persönlich ab, den zum Mädchen aus der Regnitz bringe ich auch gleich mit.“

„Gut, Frau Meisel. Apropos, was gibt es Neues im Fall unserer kleinen Wasserleiche? Irgendwelche Hinweise zu ihrer Identität?“ Hagenkötter blickte in die Runde.

Nun meldete sich zum ersten Mal Tinas Kollege Franz Schmuck. Der Mann war ein echter Ehrgeizling, der keinen Hehl daraus machte, auf der Karriereleiter so schnell wie möglich nach oben kommen zu wollen. Natürlich hatte er längst registriert, dass Tina zu Hagenkötter einen speziellen Draht hatte. Doch eines musste man ihm zugutehalten: Schmuck war kein Intrigant. Niemals wäre es ihm eingefallen, sich Tina gegenüber in unfairer Weise zu positionieren oder sie gar bloßzustellen. Er wollte durch eigene Leistungen überzeugen. Außerdem schätzte er seine Kollegin.

„Wir tappen immer noch weitgehend im Dunkeln“, begann Schmuck jetzt, „es ist zum Verrücktwerden. Aber gestern Abend hat sich bei mir ein Dr. Sieber gemeldet und erklärt, dass er der Leiter der Santi-Figli-di-Dio-Schule sei. Ich hatte noch nie von dieser Schule in Bamberg gehört, aber gut … Kurzum, er kam schnell zum Punkt und hat vermeldet, dass eine Schülerin abgängig sei und dass ihre Eltern ihm im Nacken säßen. Wenn ich ganz ehrlich sein soll: Seine Geschichte klang sehr verwirrend. Ich habe ihn für morgen neun Uhr ins Kommissariat einbestellt.“

„Sehr gut, Schmuck“, lobte Hagenkötter, „den Mann hören wir uns an. Gut möglich, dass seine abgängige Schülerin unsere Wasserleiche ist. Frau Meisel, sind Sie mit dabei? Und erkundigen Sie sich doch mal, was es mit dieser komischen Schule auf sich hat. Im Moment müssen wir uns noch an das halten, was wir sicher wissen. Gab es sonstige verwertbare Spuren oder Auffälligkeiten an der Leiche des Mädchens, die wir gestern noch nicht auf dem Schirm hatten?“

Ludwig Zahn von der Kriminaltechnischen Untersuchungsabteilung meldete sich zu Wort: „Wir haben bei dem toten Mädchen unter den Fingernägeln Fremd-DNA feststellen können und mit der bundesweiten Datei abgeglichen. Leider ohne Erfolg. Aber wir können davon ausgehen, dass sie sich heftig gegen ihren Mörder gewehrt hat.“

„Hmm. Frau Meisel, ich will den Obduktionsbericht, sobald Sie von Professor Stich zurück sind. Kommen Sie damit sofort zu mir. Das hat absoluten Vorrang.“ Zeigefinger und Daumen von Hagenkötters rechter Hand zogen wie wild an seinem Schnurrbart. Leicht nervös sah er sich in der Runde um. „Wie schaut’s aus, können wir uns so, wie wir hier sitzen, heute Abend nochmal treffen? Sagen wir um 19 Uhr? Ordentlich spät, aber ich würde gern mit Ihnen die Ergebnisse beider Obduktionsberichte durchgehen, Mädchen und Bischof. Ich weiß, was ich Ihnen damit zumute, aber die Angelegenheit ist verdammt wichtig.“

Hagenkötter erntete heftiges Kopfnicken.

„Ich danke Ihnen, Kollegen. Und Frau Meisel, bitte rufen Sie gleich Dr. Stich an und fragen Sie ihn, ob er bereit wäre, sich telefonisch zuzuschalten. Wer weiß, ob Sie ihn in seinem Institut überhaupt persönlich erwischen.“

„Mach ich, Chef“, antwortete Tina. „Sobald ich aus Erlangen zurück bin, verteile ich Kopien der Obduktionsberichte an die Kollegen, damit sie die Chance haben, sich vor unserem Abendtreffen einzulesen.“

„Prima. Herr Schmuck, Sie konzentrieren sich zwischenzeitlich auf die zweite Leiche. Dieser römische Bischof ist mit einem Chauffeur nach Bamberg gekommen, ein Italiener namens Bertone. Nehmen Sie sich den Fahrer bitte vor. Fühlen Sie ihm auf den Zahn. Ich möchte lückenlos wissen, wo sich das Mordopfer wann in Bamberg aufgehalten hat.“

Wer nicht wagt …

Dienstag, 29. August

In der Mediengruppe Oberfranken Zeitungsverlage GmbH & Co. KG in der Gutenbergstraße 1, der Heimat des Fränkischen Tags, saß Franziska seit einer halben Stunde ihrem Chef, dem Wolfenbütteler Arsch mit Ohren, in seinem luxuriös ausgestatteten Büro gegenüber. Auf dem ausladenden Schreibtisch und in den Regalwänden standen die üblichen Familienfotos herum. Die Lieben daheim sollten doch auch während eines kräfteraubenden Arbeitstags omnipräsent sein: die Gottesanbeterin, Seepferdchen weiblich und Seepferdchen männlich.

„Franziska, dein Bericht und deine Fotos waren top. Gute Ausgabe gestern. Bleib da dran an dem Fall, aber bitte sei so lieb und kümmere dich heute vorrangig um den toten Bischof.“ Bitte, er hatte erstmals das Wort bitte verwendet. „Der Mord ist ja ein echter Hammer. Und schon wieder ganz in deiner Nähe! Hast du ein Alibi? Hä, hä … Aber Spaß beiseite. Franziska, versuch herauszufinden, was der hier in Bamberg gemacht hat. Sprich mit der Polizei, sprich mit dem Erzbistum, sprich mit dem Papst, wenn es sein muss, sprich mit Gott und dem Teufel, recherchier dich so tief in sein Leben rein, dass du hinten wieder rauskommst. Irgendwo muss es ja wohl einen Ansatzpunkt für seinen gewaltsamen Tod geben.“ Hühnertod stand auf und lief gestikulierend hinter seinem Schreibtisch auf und ab. „Wofür war er innerhalb des Vatikans zuständig? Wer vom Erzbistum hat ihn hier betreut? Ist er jemandem auf die Füße getreten? Und so weiter und so fort. Wozu erzähl ich dir das? Du bist ja selbst ein alter Hase und weißt, worauf es ankommt.“

„Und was ist mit dem toten Mädchen?“, wollte Franziska wissen. „Recherchieren wir jetzt nur noch zum ermordeten Bischof oder wie soll ich das verstehen?“

„Selbstverständlich nicht, aber der Tod so eines Kurienbischofs hat schon eine gewisse Priorität. Die Schlagzeilen, das Öffentlichkeitsinteresse. Du verstehst doch … Der bayerische Innenminister hat im Radio eine rasche Aufklärung versprochen. Das hier hat politische Dimensionen! Wir benötigen deinen Bericht für die morgige Ausgabe. Wir brauchen Auflage, Franziska, Auflage!“

Die Lokalredakteurin musste an sich halten, so sehr gingen ihr die Aussagen ihres Vorgesetzten gegen den Strich. Zähne zusammenbeißen. „Können Sie mir denn schon etwas über die Ermordung des Kurienbischofs sagen?“

„So gut wie nichts, außer, dass er heute, gegen fünf Uhr morgens, in der Nähe der Schleuse 100 erdrosselt aufgefunden wurde.“

„Und Ihre exzellenten Beziehungen zu unserer örtlichen Polizeiinspektion?“ Franziska konnte sich den kleinen Seitenhieb nicht verkneifen.

Der Wolfenbütteler setzte ein schlechtes Pokerface auf und antwortete mit eisigem Schweigen.

„Sind wir dann fertig, kann ich mich gleich an die Arbeit machen? Ansonsten ist der Tag vorbei und wir haben keinen Artikel“, setzte Franziska nach.

„Klar, wir sind für den Moment fertig. Weißt du schon, wo du ansetzen wirst?“

„Beim Stich!“

„Beim Stich?“ Bernd Hühnertod sah ziemlich bescheuert drein, doch Franziska hatte sein Büro schon verlassen.

*

Ob ihr Vorhaben von Erfolg gekrönt sein würde, wusste Franziska nicht, aber sie hatte sich vorgenommen, den Stier bei den Hörnern zu packen. Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. 20 Minuten später fuhr sie in ihrem Mini Cooper auf dem Frankenschnellweg an der Ausfahrt Hirschaid vorbei. Die Silhouette des XXXL-Möbelhauses grüßte zu ihr herüber.

Franziska wollte Professor Stich in Erlangen einen Besuch abstatten. Er hatte die Leiche des toten Mädchens obduziert. Ob er an dem Kurienbischof auch schon dran war, konnte sie nicht ermessen. Natürlich hatte sie Zweifel daran, dass Stich ihr überhaupt Informationen zu den Details der Autopsie preisgeben würde. Alles, was nicht schon in den bisherigen Presseberichten erschienen war, musste zumindest offiziell sicherlich unter Verschluss bleiben. Vielleicht empfing er sie auch gar nicht. Sie musste es einfach probieren. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Außerdem: Männer verhielten sich manchmal völlig irrational. Vor allem, wenn ihnen eine attraktive Interviewpartnerin gegenübersaß. Dann konnte auch das Ego eines erfolgsverwöhnten Mannes eine gewichtige Rolle spielen, selbst bei so erfahrenen Herren wir Professor Stich. Franziska warf einen prüfenden Blick in den Rückspiegel. Ja, das könnte klappen.

Sie wusste, dass in der Universitätsstraße 22, wo das Institut für Rechtsmedizin zu finden war, nur sehr wenige Parkplätze zur Verfügung standen, also fuhr sie gleich auf den Großparkplatz hinter dem Erlanger Bahnhof und machte sich zu Fuß auf den Weg. Von irgendwo her läuteten Glocken zur Mittagsstunde, als sie vor dem Sekretariat von Professor Franziskus Stich stand. Ein kurzes, kräftiges Durchatmen, dann klopfte sie zweimal deutlich und laut an die Tür und drückte sofort die Klinke. Eine attraktive Frau Mitte 30 mit schwarzem Pagenschnitt und mächtiger Oberweite sah Franziska fragend an.

„Guten Tag, mein Name ist Franziska Berger, ich komme aus Bamberg …“ – weiter kam sie nicht.

„Ich weiß, ich weiß“, unterbrach sie der Pagenschnitt und wackelte mit der Oberweite. „Sie sind ja pünktlich wie die Maurer. Ich habe Sie schon erwartet. Die Autopsien der beiden Bamberger Mordopfer, richtig? Den Bericht den Bischof betreffend habe ich gerade erst fertiggestellt. Der Chef hat ihn aber auch schon unterschrieben.“

Franziska war im ersten Moment so verdattert, dass sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte, doch dann erfasste sie die Bedeutung der Worte. „Ähm, ja, die beiden Autopsieberichte, genau“, antwortete sie und bemühte sich um ein Pokerface.

„Ich mag es, wenn jemand pünktlich ist“, lächelte der Pagenschnitt, griff in eine Schublade des Schreibtisches, zog zwei braune Umschläge heraus und drückte sie Franziska in die Hand. „Und richten Sie Herrn Hagenkötter auch schöne Grüße von Herrn Professor Stich aus“, flötete die mächtige Oberweite noch, sah damit offenbar die kurze Konversation als beendet an, setzte sich ein Headset auf den Kopf und wandte sich wieder der Tastatur ihres Computers zu.

Franziska war immer noch ziemlich perplex, als sie wieder auf dem Gang stand. Langsam stieg dazu ein Gefühl des Triumphs in ihr auf, gepaart mit der Besorgnis, dass ihr unrechtmäßiges Verhalten sie in große Schwierigkeiten bringen konnte. „Cool down, cool down“, sprach sie sich selbst Mut zu.

Draußen auf der Straße vor dem Institut nahm sie sofort ihr Mobiltelefon zur Hand, beglückwünschte sich zur Macht des Zufalls und wählte die Nummer von Tina Meisel, die sie erst vor zwei Tagen frisch eingespeichert hatte.

„Tina Meisel, Kripo Bamberg.“

„Franziska hier, hallo Tina. Sag mal, meldest du dich immer mit deiner vollen Berufsbezeichnung, auch auf deinem privaten Handy?“

Franziska hörte Tina lachen. „Wenn ich im Dienst bin, ist für mich kein Telefonanruf privat, auch nicht am persönlichen Handy. Was gibt’s denn?“

„Tina, können wir uns kurzfristig treffen? Es ist sehr wichtig.“

„Sorry, Franziska, ich bin gerade dienstlich nach Erlangen unterwegs. Ich hätte nicht einmal ans Handy gehen können, wenn ich nicht wegen eines Unfalls bei Möhrendorf im Stau stehen würde.“

„Bist du auf dem Weg in die Universitätsstraße 22?“

„Woher weißt du das?“

„Tina, ich halte die beiden Berichte, die du abholen willst, schon in meinen Händen. Kennst du das Café Mengin am Schlossplatz? Ich warte da auf dich. Und dann erzähle ich dir eine Geschichte, die du kaum glauben wirst.“

Zusammenarbeit

Dienstag, 29. August

30 Minuten hatte Franziska Zeit, sich einen Cappuccino und einen Toast Hawaii zu bestellen, die beiden Berichte aus den unverschlossenen Kuverts zu nehmen und Seite für Seite abzufotografieren, bevor Tina völlig aufgelöst und überhastet ins Café gestürzt kam und sich schnaubend neben ihr niederließ.

„Was machst du nur für Sachen, Franziska! Das kann uns beide in Teufels Küche bringen.“

„Ich weiß, ich weiß! Aber hör mir erst mal zu …“

Nachdem sich Tina ein großes Mineralwasser bestellt hatte, begann Franziska zu erzählen: vom Auftrag Hühnertods bis zur beinahe fatalen Verwechslung des Pagenschnitts im Büro von Professor Stich.

Die Kommissarin zweifelte nicht an der Aufrichtigkeit ihrer Worte: „Aber wie ich dich von früher kenne, hast du die Gunst der Stunde schon genutzt, habe ich recht?“

Franziska hatte den Anstand, wenigstens eine Sekunde lang betreten dreinzuschauen. „Klar, ich war einfach zu neugierig und hab reingelesen. Und ich sage dir ganz aufrichtig – der Bericht zur Wasserleiche hat mich schockiert. Hast du eine Ahnung, was dem Mädchen in ihrem jungen Leben schon widerfahren ist?“

„Offensichtlich nicht, du hast mir den Blick in den vollständigen Obduktionsbericht ja voraus.“

„Es ist einfach widerlich. Was muss da für eine Bestie am Werk gewesen sein? Tina, ganz ehrlich: Ich kann mich da nicht nur auf das passive Schreiben irgendwelcher Artikel beschränken. Ich muss da tiefer rein, ich will wissen, wer der Mörder ist.“

Tina machte große Augen und schnaufte tief durch. „Franziska, nein, was denkst du dir nur, wenn du so was sagst? Bitte halt dich da raus, du bist Journalistin und keine Kriminalerin, du kennst meine Bedenken. Der Mörder läuft noch frei herum. Jetzt nehmen wir einmal an, du kommst ihm wirklich auf die Spur: Wenn er sich in die Enge getrieben fühlt – wer weiß, zu welchen weiteren Taten er bereit ist! Und was machst du dann? Ich will nicht noch eine dritte Leiche auf dem Tisch haben.“ Tina schüttelte heftig ihren Lockenkopf. „Was treibt dich eigentlich? Geht es dir wirklich nur um den beruflichen Erfolg? Um die Schlagzeile Bamberger Journalistin überführt Sexmonster?“

„Nein, Tina, das ist es nicht.“ Franziska sah die Kommissarin, ihre frühere Schulfreundin, ernst an. „Zumindest nicht vordergründig. Natürlich habe ich meinen jornalistischen Ehrgeiz … aber ich habe auch persönliche Gründe.“ Sie zögerte und wich Tinas Blick aus, bevor sie langsam und leise weitersprach. „Vielleicht erinnerst du dich – damals am Gymnasium … es gab da diese Zeit, in der ich … anders war. Zurückgezogen, depressiv.“

Tina war still geworden und fixierte Franziska mit weit hochgezogenen Augenbrauen.

Diese hob nun wieder ihren Blick. Ein tiefes Atemholen. „Ich sage das, weil ich will, dass du mir vertraust, Tina, und weil ich dir vertraue … Als ich 14 war, wurde ich selbst Missbrauchsopfer. Mein Lieblingsonkel, der Bruder meiner Mutter, hat mich auf einem gemeinsamen Ausflug in die Fränkische Schweiz vergewaltigt … Unmittelbar danach war ich geschockt, wusste nicht, was ich tun sollte. Vor allem, als er sich bei mir heulend entschuldigte und mich beschwor, niemandem etwas davon zu erzählen, sonst käme er ins Gefängnis … Kannst du dir vorstellen, was in mir vorging? Die körperliche Verletzung war schlimm, aber die psychische noch so viel mehr … die Angst, die Verzweiflung, die Schutzlosigkeit, alles war kaputt.“

„Mein Gott, Franziska, ich hatte keine Ahnung …“

„Am nächsten Tag habe ich es meiner Mutter erzählt. Die hat sofort das Telefon genommen und die Polizei angerufen.“ Franziska griff nach ihrer Cappuccinotasse, obwohl die schon längst leer war. „Was danach kam, war für mich fast schlimmer als die eigentliche Tat selbst. Versteh mich nicht falsch, ich bin meiner Mutter sehr dankbar für ihr Handeln – es war wichtig, Anzeige zu erstatten, niemand darf mit so etwas davonkommen. Aber wie mit mir dann umgegangen wurde … die hochnotpeinlichen Fragen, die angeblich zur Wahrheitsfindung notwendig waren, die Einzelheiten des Tathergangs, die ich detailliert erzählen musste, nur weil der Richter sie hören wollte. Ob ich mich gegenüber meinem Onkel in einer aufreizenden Art und Weise gezeigt habe? Ob ich ein sexuelles Lustgefühl verspürt habe? Ich habe mich am Ende so schuldig gefühlt und mich so sehr geschämt. Ein Jahr lang war ich in psychotherapeutischer Behandlung.“

Tina hatte Franziskas Bericht mit gerunzelter Stirn zugehört und griff jetzt vorsichtig nach ihrer Hand. „Das wusste ich alles nicht. Es tut mir so leid. Wie geht es dir heute damit?“

Franziska lächelte leicht. „Meistens ist alles gut. Und dann an manchen Tagen auch wieder nicht. Vielleicht bin ich auch immer noch deshalb am liebsten allein, ohne Mann. Wer weiß?“ Sie griff nach dem Kuvert mit dem Obduktionsbericht zur unbekannten weiblichen Wasserleiche. „Ich könnte kotzen, wenn ich daran denke, was dem toten Mädchen alles widerfahren ist. Ich meine, der Bericht von Professor Stich lässt da wenige Zweifel offen. Lies selbst! Nein, Tina, du kannst mich nicht dazu bringen, an dieser Stelle inaktiv zu bleiben. Ich werde recherchieren und keine Ruhe geben, bis das Schwein gefunden ist, das dieses Verbrechen begangen hat. Und wenn ich ihn vor euch finde, dann schneide ich ihm höchstpersönlich die Eier ab und werfe sie in die Regnitz!“ Franziska hatte sich in Rage geredet, ihr Gesicht zeigte eine wilde Entschlossenheit.

Tina hielt immer noch die Hand ihrer gerade wiedergewonnen Freundin in ihren beiden, wollte erst wieder den Kopf schütteln – und traf dann spontan einen Entschluss, der sie den Job kosten konnte: „Franziska, der Dienstvorschrift nach müsste ich jetzt meinem Chef sofort von unserem Gespräch berichten und überhaupt erklären, wie du zu den beiden Autopsieberichten gekommen bist. Aber ich glaube, dass ich so mit einem Schlag unsere neue Freundschaft und dein Vertrauen in mich zerstören würde. Das will ich nicht. Außerdem weiß ich beim besten Willen nicht, wie ich dich, ohne dich zu verraten, davon abhalten soll, auf eigene Faust zu ermitteln. Ich kann aber auch nicht zulassen, dass du dabei unter die Räder kommst. Also mache ich dir den Vorschlag der Zusammenarbeit – wenn“, sie hob ihren Zeigefinger, „wenn du mir hoch und heilig versprichst, keinerlei unabgestimmten Einzelaktionen zu unternehmen, nicht über Ermittlungsergebnisse zu schreiben, die keinesfalls an die Öffentlichkeit gelangen dürfen, und vor allem keiner Menschenseele von unserer Abmachung zu erzählen. Hör mir zu …“

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