Kitabı oku: «Die Revoluzzer», sayfa 4
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Im Winter, wenn es auf dem Hof weniger zu tun gab, sassen Barbara Jacob oder ihre Tochter Martha bis spät in die Nacht beim schwachen Licht einer Öllampe am Webstuhl. Sie verwoben das Garn, das Hilfsarbeiterinnen in der Fabrik in Basel durch die Zwirnmühle gedreht hatten, zu Bändern. Barbaras Vater, Emil Strub, der als Fuhrmann zweimal wöchentlich Waren zwischen Waldenburg und Basel hin und her transportierte, brachte den Faden auf den Hof. Wie die meisten Baselbieter Bandweber bezahlten auch die Jacobs Miete für den Webstuhl, in ihrem Fall an Benedikt Preiswerk, den Bruder von Madame Staehelin. Wie alle städtischen Fabrikanten hatte dieser damit jeden Produktionsschritt, von der Anschaffung des Garns bis zum Verkauf des fertigen Bandes, unter seiner Kontrolle.
Seidenbändel, mit denen man Kleider, Hüte und manchmal sogar Schuhe schmückte, waren beliebt. Aber während die Fabrikbesitzer in Basel reich wurden, waren die Posamenter draussen in der Landschaft schlecht bezahlt. In den Landvogteien des Oberen Baselbiets standen Hunderte von Webstühlen. Man war auf den Zusatzverdienst angewiesen und konkurrierte sich gegenseitig. Das drückte auf die Löhne.
Mit den einfachen Trittwebstühlen, wie sie in den meisten Haushalten standen, konnten im Gegensatz zu den Bändelmühlen, die man in der Fabrik in Basel verwendete, nur einfarbige Bänder produziert werden, die als Massenware in den Verkauf kamen.
Bevor Barbara oder Martha ihre Arbeit aufnehmen konnten, musste das Garn auf Spulen übertragen und die Kettenfäden, den Massen der bestellten Bänder entsprechend, hergerichtet werden. Diese Aufgabe, die viel Zeit in Anspruch nahm, gehörte zu Hannas Pflichten. Anschliessend bereitete die Mutter oder die Schwester den Stuhl vor. Erst zwei bis drei Tage nachdem Emil Strub das Garn geliefert hatte, konnten sie mit dem Weben beginnen.
Wenn sie auf die Pedale ihres Stuhls trat und sich die geraden und ungeraden Kettenfäden gleichzeitig hoben beziehungsweise senkten, sodass sie das Schiffchen von Hand hindurchführen konnte, hatte Barbara Musse, ihre Gedanken schweifen zu lassen. Ihr war bewusst, dass ihr der Bändelherr die Arbeit und damit einen wichtigen Teil des familiären Einkommens jederzeit entziehen konnte. Insofern waren die Jacobs nicht nur als Pächter, sondern auch als Posamenter auf das Wohlwollen von Dorothea Staehelin und deren Bruder angewiesen.
Seit Samuels Unfall wartete Barbara jeweils darauf, dass das städtische Frauenzimmer mit ihrer Tochter wieder nach Basel zurückkehrte. Meinen Goldschatz nannte Madame neuerdings ihren Jüngsten, dem sie eine Montur geschenkt hatte, von der er sich nicht mehr trennen mochte. Barbara biss sich auf die Unterlippe.
In der Nähe dieser vornehmen, stets gepflegten und schlanken Frau mit dem schmalen Patriziergesicht fühlte sie sich klein und hässlich. Sechs Geburten hatten Barbara in den Hüften breit werden lassen. Ihre abgearbeiteten, kräftigen Hände waren rot und voller Risse, und neben Dorotheas kunstvoller Frisur kam sie sich mit ihrem eigenen aschblonden, strähnigen Haar unansehnlich vor. Madame Staehelin war nicht nur schön, sondern auch noch klug, sprach Französisch und Latein, konnte malen und schrieb seitenlange Briefe. Dazu kam, dass sie und ihr Mann in der Jugendzeit einen vertrauten Umgang gehabt hatten. Barbara hatte Mathis im Verdacht, dass er noch heute mehr an die Frau dachte, als ihm guttat.
Bis zu ihrer Heirat hatte Barbara stets im elterlichen Haushalt mitgearbeitet. Sie hatte eine Magd ersetzt, und daran hatte sich bis heute, abgesehen von den zusätzlichen Pflichten als Ehefrau und Mutter, wenig geändert. Sie beklagte sich nicht. Sie wusste, in welchen Stand sie geboren war. Dass sich jedoch die reiche Dorothea Staehelin in ihre Familie drängte, ihrem Mann schöne Augen machte und versuchte, ihr den Kleinen abspenstig zu machen, das schien ihr nicht richtig.
Wenn sich Sämi aber auf sein Schemelchen neben den Webstuhl setzte und darum bettelte, sie möge ihm das Märchen vom gräulichen Landhund mit den feurigen Augen erzählen oder von den Erdweiblein und Hexen, die in den Wäldern am Hauenstein ihr Unwesen trieben, dann verschwanden die bitteren Gedanken, und Barbara wusste wieder, dass er ihr gehörte, ihr und niemand anderem.
Am liebsten hörte Samuel die Geschichte vom steinernen Ritter. Und so berichtete die Mutter zum tausendunderstenmal vom bösen Hans von Waldenburg, der einen armen Bauern in den tiefsten Kerker des Schlosses werfen liess, weil er die Fronarbeit verweigert hatte. Die Frau des armen Mannes warf sich dem Zwingherrn, als der auf seinem Ross dahergeritten kam, mit ihren Kindern in den Weg und flehte um Gnade. Doch dieser gab ihr hohnlachend einen Feldstein und meinte: «Da habt ihr etwas Brot, ihr Hungerleider». Die Frau aber verfluchte den Unmenschen und wünschte, er möge selber zu Stein werden. Und tatsächlich: Im selben Augenblick wurde der Tyrann zur grässlichen Bildsäule. Die Waldenburger aber brachen ins Schloss ein und befreiten den Gefangenen.
Für Samuel hatte der steinerne Ritter das Gesicht des Landvogts. Wenn er Hanna auf einem ihrer Botengänge ins Städtchen begleiten durfte, kam es manchmal vor, dass sie Hans Jakob Müller begegneten, der hoch zu Ross, von Knechten, seiner Familie oder irgendwelchen vornehmen Damen und Herren begleitet, zum Schloss hinaufritt. Die Schwester nahm Sämi dann jeweils an der Hand und zog ihn an den Wegrand. «Zieh deine Kappe ab!», zischte sie, während sie selber einen ungeschickten Knicks machte. Der gnädige Herr schien die beiden Bauernkinder zu übersehen, aber einmal, als Samuel staunend dastand und vergessen hatte, die Mütze abzunehmen, zügelte Müller sein Pferd und zeichnete ihm mit der Reitpeitsche die nackten Beine. «Das soll dich lehren, Bauernlümmel, das nächste Mal anständig zu grüssen!», hatte er geschrien.
«Dabei ist er nur ein Metzger», hatte sich die Mutter empört, als ihr die Kinder weinend von der Begegnung erzählten. Der Vater hatte sich die Striemen auf Samuels Beinen angeschaut. Er war bleich geworden und hatte schweigend die Stube verlassen.
Sein Hass auf den Landvogt und die Obrigkeit war grenzenlos. Er sog die Berichte über die Ereignisse in Frankreich auf wie ein Schwamm. Sein Schwiegervater brachte neben Garn und Dingen des täglichen Gebrauchs auch Zeitungen, Flugblätter und Pamphlete aus Basel ins verschlafene Waldenburgertal und gehörte selber zu jenen Männern, die sich regelmässig trafen, um über die neuesten Nachrichten aus dem Nachbarland zu diskutieren. Denn während Pfarrer Grynäus glaubte, die Bauern würden in frommen Konventikeln die Bibel auslegen, lasen sie in den dunkeln Stuben die Aufrufe, in denen sich die französische Revolutionsregierung als Schutzmacht aller Geknechteten und Benachteiligten anpries. Im ganzen Tal kursierten Abschriften von solchen Blättern, und an den Mauern von Kirchen und Gemeindehäusern wurden nachts heimlich Imprimés aus Frankreich angeschlagen, welche die politische Gleichberechtigung der Landleute forderten. Die Gnädigen Herren, die 1790 mit grossen Worten die Leibeigenschaft aufgehoben hatten, ohne den Baselbietern die Gleichberechtigung zu gewähren und ohne sie von ihren drückenden Abgaben wenigstens teilweise zu befreien, hofften vergebens, ihre Untertanen mit dieser letztlich folgenlosen Massnahme beruhigt zu haben.
Dass Mathis so empfänglich war für die frohe Botschaft aus Frankreich, war nicht allein die Folge mancher Demütigungen, die ihm Vertreter der städtischen Herrschaft zugefügt hatten. Für die Leute im Tal war er der Sohn eines Zugewanderten, der Nachkomme eines jener Anabaptisten, die regelmässig an den heimlichen Täuferversammlungen teilnahmen. Er selber hatte sich vom Glauben seiner Vorfahren zwar abgewandt, nicht zuletzt, weil sein Vater ein arger Frömmler gewesen war. Doch auch in der Basler Staatskirche, zu der er sich mehr aus Pflicht denn aus Bedürfnis bekannte, fühlte sich Mathis nicht heimisch. So brachten die Ereignisse in Frankreich in ihm den Keim der Rebellion zum Wachsen.
Zugleich galt seine Sorge auch ganz anderem Wachstum. Sobald im Frühling der Schnee am Oberen Hauenstein bis auf wenige Reste im Schatten der felsigen Gerstelfluh dahingeschmolzen war, brach Mathis Jacob mit dem Pflug ein Stück Weideland um und zerkleinerte die braunen Schollen mit der Egge, um der Erde Roggen, Gerste und Hafer anzuvertrauen, die in wenigen Monaten als Brot oder Brei auf den Tisch kommen würden.
Auch Barbara und ihre beiden Töchter bearbeiteten mit der Hacke den Pflanzgarten und düngten ihn mit den eigenen Fäkalien, der Hüsligülle, die sie aus dem Abort hinter dem Hof schöpften, damit Bohnen, Kraut, Rüben und Kartoffeln kräftig und nahrhaft wurden.
Peter trieb die Kühe auf die Weide, wo sie ihre Freude, dem dunklen Stall entronnen zu sein, mit närrischen Sprüngen zum Ausdruck brachten. Und Paul, sein jüngerer Bruder, hütete die Schafe, die man nicht unbewacht grasen lassen durfte, denn in den Wäldern hausten Wolf und Luchs.
Daneben wurde täglich Milch zu Käse und Butter verarbeitet und alle vierzehn Tage in Liestal auf dem Markt verkauft, damit genügend Geld vorhanden war, die Pacht und die Abgaben zu bezahlen, die eine nimmersatte Obrigkeit gebieterisch forderte.
Während das Leben auf Sankt Wendelin seinen gewohnten Gang ging, verfolgten die Menschen in der Stadt und Landschaft Basel die Ereignisse im letzten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts mit leidenschaftlicher Anteilnahme. Das neue Frankreich hatte den europäischen Monarchien, die unter der Führung Österreichs und Preussens das Rad der Zeit zurückdrehen wollten, den Krieg erklärt. Im Juni 1792 marschierten eidgenössische Truppen über den Hauenstein. Die Tagsatzung hatte sich Sorgen um die Stadt Basel gemacht, denn diese lag genau zwischen den kriegführenden Mächten: Die Österreicher waren im Nordosten stationiert, im Fricktal und im Breisgau, während im Südwesten, im Fürstbistum, im Laufental und im Birseck, die Franzosen standen. Es bestand die Gefahr, dass eine der beiden Armeen einen Angriff über Basler Gebiet plante und die Eidgenossenschaft in einen Krieg verwickeln würde. Durch die Grenzbesetzung mit tausenddreihundert Mann wollte man dies vermeiden. Als im September etwa hundertfünfzig Franzosen auf der Flucht vor den Österreichern auf Basler Gebiet gelangten, wurden sie von den Eidgenossen gefangengenommen und entwaffnet, anschliessend aber wieder in die französische Festung Huningue zurückgeschickt.
Ein Jahr später kam es dort zum Gefecht, und die Bewohner der Stadt Basel hatten das zweifelhafte Vergnügen, von der Rheinbrücke aus die Bahn der feurigen Kanonenkugeln zu beobachten, die etwas weiter nördlich zwischen den Franzosen und Österreichern über den Strom hin und her flogen.
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Im Sommer gab es auf Sankt Wendelin viel zu tun. Man stand mit der Sonne auf und ging mit ihr ins Bett, und bis zum Beginn des Winters würde sich das nicht mehr ändern. Ausgerechnet in dieser Jahreszeit bot der Landvogt die Untertanen zur Fron auf. An der Strasse über den Hauenstein mussten Winterschäden ausgebessert werden. Peter, der die Schwelle zur Mannbarkeit überschritten hatte, vertrat den Vater. Während Tagen klopfte er Stein um Stein. Man vermisste ihn sehr, denn die Leute von Sankt Wendelin mussten das erste Heu einbringen. Alle halfen mit.
Auch der inzwischen siebenjährige Samuel wurde eingespannt. Er hatte die letzten Grasresten aus der geschnittenen Wiese zu rechen. Am Vormittag allerdings waren er und Hanna von der Arbeit befreit, denn Dorothea Staehelin erwartete, dass ihr das Mädchen den Haushalt in Ordnung brachte. Ausserdem hatte sie es sich in den Kopf gesetzt, den Jüngsten des Pächters zusammen mit ihrer Tochter Salome zu unterrichten. «Mir scheint, Euer Samuel sei ein aufgewecktes Bürschchen», hatte sie zu Mathis gesagt. «Ihr wisst selber, dass die Schule im Städtchen unten zu nichts taugt.»
Das war in der Tat so. Ein Schneider verdiente sich als Dorflehrer ein Zubrot, indem er den Kindern des Tals, so gut er es eben konnte, zwischen Spätsommer und Frühjahr während vier Stunden am Tag lesen und schreiben beibrachte. Ausserdem mussten sie das Vaterunser auswendig lernen, die Zehn Gebote, die zwölf Glaubensartikel sowie die Einsetzungsworte der Taufe und des Abendmahls. Am Samstag leierte man Busspsalmen und Reimgebete herunter und übte Kirchenlieder ein. Bevor der Mann seine Schützlinge nach Hause schickte, ermahnte er sie zum Besuch der Betstunde am Abend und der sonntäglichen Predigt mit anschliessender Kinderlehre. Wenn sich der Pfarrer beim jährlichen Examen überzeugt hatte, dass ein Kind halbwegs lesen und schreiben und das Nachtmahlbüchlein aus dem Kopf aufsagen konnte, entliess er es aus der Schulpflicht. Das war nach drei, bei den Begriffsstutzigeren nach vier und bei ausgemachten Dummköpfen nach fünf Jahren der Fall.
Mathis hatte Dorothea eher widerwillig seine Zustimmung erteilt. Er zweifelte nicht am Nutzen des Unterrichts. Sein Zögern hatte vielmehr mit den Widerständen seiner Frau zu tun, die prophezeite, Madame werde ihr Samuel vollends entfremden.
Auch wenn es Barbara Jacob nicht gerne sah, lernte Samuel bei Dorothea Staehelin schnell, Buchstaben zu entziffern und zu schreiben. Schon bald war er in der Lage, Salomes Fibeln zu lesen und einfache Sätze selber zu Papier zu bringen. Und eifrig las er den Eltern und Geschwistern laut vor, was immer ihm an Gedrucktem in die Hände kam. Magisterlein nannten sie ihn mit gutmütigem Spott.
Als man Samuel Jacob im September 1793 dem Schulmeister in Waldenburg anvertraute, war nicht zu übersehen, dass er weit grössere Kenntnisse hatte und gewitzter war als seine Mitschüler. Das war kein Wunder, denn während der langen Sommermonate hatte Dorothea Staehelin ihren Schützling so gefördert, dass er in vielen Belangen sogar Salome überflügelte, die mit anderen Töchtern reicher Familien zwischen Herbst und Frühjahr in Basel von Madame Gazin unterrichtet wurde, einer französischen Emigrantin, die vor dem revolutionären Furor in ihrer Heimat geflohen war.
Als Pfarrer Grynäus zwei Jahre später in Anwesenheit des Landvogts und des Gemeindevorstehers die Schulinspektion durchführte, wies der Lehrer darauf hin, dass er dem kleinen Jacob nichts mehr beibringen könne. Der Neunjährige wisse über manche Dinge besser Bescheid als er selber, meinte er errötend, er könne sogar rechnen, eine Kunst, die bis heute keiner seiner Schüler je beherrscht habe und von der auch er kaum etwas verstehe.
Theophil Grynäus, der Samuel aus der Religionsstunde und der Kinderlehre kannte, examinierte ihn eingehend über Themen, die weit über den vorgeschriebenen Schulstoff hinausgingen. Der Junge beantwortete alle seine Fragen richtig. Er schien zu ahnen, dass davon seine Zukunft abhing. Schliesslich wandte sich der Pfarrer an den Landvogt: «Ihr seht selbst, es gibt hier für dieses Kind nichts mehr zu lernen. Ich muss es daher bereits nach zwei Jahren aus der Schule entlassen, und ich denke, dass es der Obrigkeit gut anstehen würde, es durch eine höhere Schulbildung zu fördern.»
«Es gibt schon genug Federfuchser im Land, man muss nicht noch mehr von ihnen pflanzen», entgegnete Hans Jakob Müller ungnädig.
Der Gemeindevorsteher, den der Landvogt in sein Amt als Untervogt eingesetzt hatte, pflichtete ihm beflissen bei: «Wir brauchen im Tal keine Tagediebe, die ihre Nase lieber in Bücher stecken, statt ihren Lebensunterhalt am Bandstuhl zu verdienen.»
Am Abend dieses Tages sassen Mathis Jacob, Heinrich Bidert, Emil Strub und drei weitere Gesinnungsgenossen in der Stube von Sankt Wendelin. Vor ihnen auf dem Tisch lag eine Ausgabe der Strassburger Zeitung. Das war ein Akt des Ungehorsams gegen die Obrigkeit, denn der Kleine Rat hatte die Verbreitung dieses als Revoluzzerblatt verschrienen Journals im Gebiet von Stadt und Landschaft Basel verboten. Als einer der Männer durchs Fenster sah, dass sich Pfarrer Grynäus dem Haus näherte, liess man die Zeitung schnell verschwinden und legte stattdessen die grosse Hausbibel der Jacobs auf den Tisch. Kurz darauf klopfte es an der Tür, und Barbara Jacob komplimentierte den Gast in die Stube.
«Ah», sagte Grynäus, «ein Hauskreis, das ist brav.» Und lächelnd fügte er hinzu: «Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen. Störe ich etwa?»
Mathis klappte die Heilige Schrift zu. «Ihr stört nicht. Wir sind ohnehin fertig.»
Die anderen standen auf und verabschiedeten sich.
«Ich habe mit dir über Samuel zu reden», sagte der Geistliche, «mit dir und deiner Frau.»
Die Eheleute sahen sich an. Als Sämi heute von der Schule nach Hause gekommen war, hatte er ihnen empört mitgeteilt, der Landvogt wolle nicht, dass aus ihm etwas Rechtes werde. Sie hatten nur begriffen, dass der Kleine, offenbar zum Missfallen des hohen Herrn, die Abschlussprüfung mit Glanz bestanden hatte.
«Ihr wisst wohl, dass euer Jüngster ein begabtes Kind ist, das in der Gemeindeschule nichts mehr zu lernen hat», fuhr Grynäus fort. «Vermutlich weiss er bereits mehr als sein Lehrer. Ich habe den Herrn Landvogt heute vergeblich gebeten, dem Kind eine weitere Ausbildung zu ermöglichen. Ich möchte nicht, dass die Gaben, die der liebe Gott Samuel geschenkt hat, verkümmern, nur weil er ein Bauernkind ist.»
Mathis Jacob runzelte die Stirn. «Worauf wollt Ihr hinaus?»
Der Pfarrherr nahm einen Schluck aus dem Becher, den Barbara vor ihn auf den Tisch gestellt hatte. Einheimischer Wein. Er verzog unmerklich das Gesicht und dachte an den Burgunder, der in seinem Keller lagerte. «Nun», nahm er das Gespräch wieder auf, «ich lasse meine eigenen Kinder von einem Hauslehrer schulen. Er heisst Sebastian Hoffmann und ist Kandidat der Theologie. Er lebt bei mir im Pfarrhaus. Samuel könnte am Unterricht teilnehmen und später, wer weiss, ans Pädagogium nach Basel gehen und dann an der Universität studieren.» Er machte eine Pause. Dann fügte er hinzu: «Ihr müsstet allerdings für das Schulgeld aufkommen.»
Erneut wechselten die Eheleute einen Blick. «Ich habe immer gehofft, an ihm bald einmal eine Stütze zu haben», sagte Mathis schliesslich. «Er ist gelehrig und würde gewiss ein guter Arbeiter.»
Barbara presste die Lippen zusammen. «Pädagogium, Universität. Ihr wollt ihn uns entfremden!», stiess sie schliesslich hervor.
«Hör auf!», fuhr Mathis sie an. «Wenn das Kind etwas Besseres werden kann als Posamenter, Pächter oder Tauner, so dürfen wir ihm nicht vor seinem Glück stehen.» Und zum Pfarrer: «Ihr wisst, dass wir wenig Geld haben. Was wir hier erwirtschaften und nicht dem Landvogt abgeben müssen, reicht gerade für die Pacht und den Unterhalt der Familie. Ich bin nicht in der Lage, eine Ausbildung, wie sie Euch für Samuel vorschwebt, zu bezahlen.»
«Aber ihr seid nicht grundsätzlich dagegen?» Grynäus schaute den Bauern fragend an. «Wie ist es, wenn es mir gelingt, das Schulgeld aufzutreiben? Seid ihr dann einverstanden, dass der Junge in meinem Haus unterrichtet wird?»
«Nur, wenn er jeden Abend nach Hause kommt.» Barbara hatte begriffen, dass Sämi mit dieser Lösung dem Einflussbereich von Dorothea Staehelin entzogen würde. Jetzt erschien ihr der Vorschlag plötzlich verlockend.
«Wenn du meinst …», Mathis verstand nicht, woher der Sinneswandel seiner Frau kam. «Wenn der Pfarrer jemanden findet, der das Ganze bezahlt», sagte er schliesslich, «so soll es mich freuen, wenn aus dem Kleinen einmal etwas wird.»
Natürlich war es Dorothea Staehelin, die die Kosten für Samuels Unterricht im Pfarrhaus übernahm. Sie wisse selber, dass der Jüngste ihres Pächters ein aufgewecktes Kind sei, schrieb sie in der Antwort auf den Brief ihres Vetters, ein ungeschliffener Diamant, wenn sie sich diese Bemerkung erlauben dürfe. Sie wolle im Juni, wenn sie wieder nach Sankt Wendelin komme, mit dem Kandidaten Hoffmann reden, um sich zu vergewissern, ob der junge Mann fähig sei, Samuel jenes Wissen zu vermitteln, das ihm den Zugang zu einer höheren Bildung öffne. In einem Postscriptum teilte sie Theophil schliesslich mit, sie lebe nicht mehr im Haus ihres Bruders. Sie bat darum, seine Korrespondenz künftig an ihre neue Adresse, dem Haus zem Crüz in der Basler Sankt-Johanns-Vorstadt zu schicken. Eine im vergangenen Winter verstorbene Tante habe ihr dort eine Liegenschaft vermacht, in die sie mit ihrer Tochter Salome eingezogen sei.
Der Pfarrer las den Brief mehrmals. Er fand es schön, dass seine Base bereit war, den Unterricht von Samuel zu finanzieren. Dass sie aber den Hauslehrer seiner Kinder examinieren wollte, ging etwas weit. Eigentlich sollte es ihr genügen, dass er für den Mann bürgte. Er seufzte. Sie war schon immer ein resolutes Frauenzimmer gewesen. Sie hatte stets gewusst, was sie wollte.
Auch Barbara Jacob hatte geahnt, dass es Madame Staehelin sein würde, die Sämi eine Ausbildung ermöglichte, wie sie sonst keinem Kind im ganzen Tal zuteilwurde. Ihr Bub würde der reichen Frau wohl ein Leben lang zu Dank verpflichtet sein. Dunkel ahnte die Mutter, dass sie ihren Jüngsten auch in Zukunft mit der Besitzerin von Sankt Wendelin würde teilen müssen.