Kitabı oku: «Auf die Dämmerung folgt die Finsternis», sayfa 5

Yazı tipi:

III.3. 1989 – die unerwartete Transformation

Wende und Ende und die Hauptgründe des Scheiterns

Auch wenn das Ende der Sowjetunion und der europäischen sozialistischen Staaten 1989 vom Protest der Bürger erzwungen wurde, erklärt das keinesfalls die tieferen Ursachen des Scheiterns des „Projekts“ Sozialismus von 1917 bis 1989. Die existentiellen Probleme, die letztlich zum Scheitern führten, gehören vom Beginn an zum sozialistischen Projekt. Geht man von Marx aus, dann fehlten im spätfeudalistischen zaristischen Russland grundlegende Voraussetzungen für eine proletarische Revolution. Die industrielle Entwicklung lag in den Anfängen und damit gab es kein starkes und organisiertes Proletariat. Dass die Bolschewiki unter Lenins Führung trotzdem die Macht eroberten, war Lenins Entschlossenheit und den Zeitumständen geschuldet. Als die Bolschewiki im Bürgerkrieg (1918-20) unter ungeheuren Verlusten gesiegt hatte, standen sie vor der Aufgabe eine neue „Zivilgesellschaft“ in einem rückständigen Land zu schaffen. Im Rückblick ist es natürlich einfach, die Feststellung zu treffen, dass es für diese Aufgabe zumindest zwei weitere Lösungen gegeben hätte: in einer längeren Übergangsphase den Aufbau einer modernen Industrie zu erreichen, um auf dieser Grundlage den Aufbau des Sozialismus zu beginnen (Bucharins Konzeption), oder eine industrielle Entwicklung mit allen Mitteln zu erzwingen, was letztendlich auch bedeutet hätte, die Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft mit aller Macht und Gewalt zu erzwingen. Welche Entscheidung Lenin getroffen hätte, bleibt im Dunklen. In den „Diadochenkämpfen“ um die Nachfolge setzte sich Stalin durch, dessen Machtverständnis dem eines orientalischen Despoten entsprach. Unter seiner diktatorischen Herrschaft wurde die Landwirtschaft „kollektiviert“ (Hungersnöten und Deportationen fielen 20 Millionen Menschen zum Opfer); gestützt auf Zwang und Enthusiasmus wurde ein Aufbau der Schwerindustrie forciert, der neben der Errichtung neuer Industriestandorte auch von verhängnisvollen Fehlern und Mängeln begleitet war. Der Despot und seine Henkersknechte liquidierten bis in die 30er Jahre die einst führenden Bolschewiki, denen in unvorstellbarem Umfang Hunderttausende als Opfer folgten, die zu Verschwörern, Spionen, Saboteuren erklärt und als „Volksfeinde“ hingerichtet wurden oder in den „Gulags“ starben. Dann folgten der Überfall NS-Deutschlands und der „Große Vaterländische Krieg“ mit mehr als 26 Millionen Toten, weit über die Hälfte Zivilisten, und zerstörten Städten, niedergebrannten Dörfern… Der Wiederaufbau gelang, wieder unter großen Opfern. Und Ende der 1950/Anfang der 1960er Jahre wurde ein immenser Fortschritt in technologischen Bereichen erreicht, sinnbildlich stand dafür die „Eroberung“ des Weltraums („Sputnik“-Schock für den Westen, Gagarin als erster Mensch im All).

Marx hatte die Arbeitsproduktivität als einen „Schlüssel“ für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft definiert, d. h. dass nur mit einer höheren Arbeitsproduktivität als im Kapitalismus die „Mittel“ erwirtschaftet werden können, die notwendig wären, um sie im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit verteilen zu können. Und nur auf diesem Weg wäre möglich geworden, dass „Versprechen“ von einem besseren Leben für alle Menschen einzulösen. Allerdings war dieses nicht eingelöste Versprechen nicht der „einzige“ Grund für den Niedergang. Unabhängig davon, dass zwischen Ost und West nach 1945 auch ein wirtschaftlicher „Konkurrenzkampf“ dominierte, erwies sich das System einer zentralistisch geleiteten Planwirtschaft als letztlich „ungeeignet“, um die Arbeitsproduktivität schneller zu steigern als in der kapitalistischen Marktwirtschaft. Versuche, das Wirtschaftssystem zu reformieren, scheiterten am Veto der sowjetischen Führung. Angesichts des „Rüstungswettlaufs“ stieg der Anteil der Rüstungsausgaben in der Sowjetunion gigantisch an (nach CIA-Einschätzungen bis auf 50% und mehr), während in den USA ungefähr 3% mitunter auch mehr) für die zumindest gleichrangige Rüstung aufwendeten. Nach 72 Jahren Sowjetunion und gut 40 Jahren sozialistischem Lager führte dieses „Dilemma“ in die innere Krise und zum Ende des europäischen sozialistischen Projekts. Das eigentliche Dilemma der Planwirtschaft bestand darin, dass die Planungszeiträume von in der Regel fünf Jahren von Zielen ausgingen, die auf unhaltbaren „Vermutungen“ basierten. Viele westliche Wirtschaftstheoretiker waren sich sicher, dass Prognosen der Wirtschaftsentwicklung über einen derartigen Zeitraum ein Ding der Unmöglichkeit sind. Und sie haben Recht behalten – gleich ob Konjunktur oder Krise.

Das andere ebenso entscheidende Problem waren die Machtverhältnisse und ihre Entwicklung nach der Ära Stalin. Zweifellos war es ein Verdienst Chrustschows, den furchtbaren Missbrauch der Macht unter Stalins Herrschaft teilweise öffentlich zu machen. Da er sich auf diese Problematik beschränkte (oder beschränken musste?), blieben die Machtstrukturen nach dem XX. bzw. XXII. Parteitag der KPdSU(1956/ 1962) unverändert: an der „Spitze“ der Generalsekretär mit absoluter Machtfülle, dazu ein Politbüro, das alles plante, bzw. beschloss. Ihm unterstand ein eigener Apparat. Weitere Apparate herrschten über bestimmte Regionen oder Städte, die zwar von den übergeordneten Apparaten kontrolliert wurden, in ihrem Bereich die alleinige Macht besaßen. Dem Politbüro unterstanden neben der Wirtschaft die Armee und der Sicherheitsapparat, die Justiz usw. usf. Der ebenso gegliederte Staatsapparat unterstand auf allen Ebenen dem Parteiapparat, obwohl auch dort in der Mehrzahl ohnehin Parteimitglieder arbeiteten. Nichts hatte sich daran geändert, außer – was nicht unwichtig ist –, dass die Willkür wie zu Stalins Zeiten nicht in dieser Form weiter geführt wurde. Das System wurde als demokratischer Zentralismus definiert, was nichts daran ändert, dass Zentralismus und Demokratie einander ausschließen. Das ganze Prinzip diente ausschließlich dem absolutistischen Machterhalt der Partei über das Volk. Statt die Produktionsmittel zu vergesellschaften, wurden sie Staats- bzw. Parteibesitz. Mit der der permanenten Weiterführung des „Klassenkampfes“ auch im eigenen Land verbanden sich Agitation für alle und Repression gegen alle, die Kritik übten oder sich dem System verweigerten. Als sich – nicht nur in Polen mit „Solidarność“ – der Widerstand verstärkte, verschärften sich die Repressionen weiter, bis schließlich die Apparate paralysiert waren, auch deshalb, weil sie sich als reformresistent erwiesen. In diesem System der Macht konnten keine demokratischen Strukturen geschaffen werden, war Meinungsfreiheit nur marginal möglich, eine basisdemokratische Umgestaltung der Machtverhältnisse solange undenkbar, bis die Bürger sich widersetzten oder abwandten.

Die Idee einer gerechten sozialistischen Gesellschaft hatte über die Jahrzehnte eine langwirkende gesellschaftliche Bedeutung, die durchaus mehrheitsfähig wirkte. Sie fand auch ihre Widerspiegelung in der Kultur und in großen künstlerischen Werken in den verschiedenen Gattungen, in Büchern und Filmen, die auch international Verbreitung fanden. Wahrscheinlich muss man inzwischen ernsthaft daran erinnern, dass alles, was an zwischenzeitlichen gesellschaftlichen Fortschritten erreicht wurde, vor allem deshalb möglich wurde, weil unter oft schwierigen Bedingungen hart gearbeitet wurde.

In seiner schonungslosen Analyse des Terrorregimes der Bolschewiki, das mit der Machtergreifung im Oktober 1917 begann, beschreibt der Philosoph Steffen Dietzsch43 die Errichtung dieser Gewaltherrschaft im Namen des Kommunismus mit ihren verheerenden Folgen für Abermillionen Menschen nicht nur in der Sowjetunion, wo sie unter Lenins Führung durchgesetzt wurde und unter Stalins Diktatur zum Massenmord an Millionen Bauern, Arbeitern, Intellektuellen, Künstlern und den führende Bolschewiki des Oktobers 1917 führte.

Geht man davon aus, dass Marx mit der Idee einer kommunistischen Gesellschaft eine Utopie entworfen hat, dann kommt man nach 70 Jahren Kommunismus nicht mehr um das Kernproblem herum, ob es überhaupt möglich war und ist, diese Utopie zu verwirklichen. Die Antwort kann heute nur noch „Nein“ heißen. Der Beweis dafür ist das Scheitern des Sozialismus an der Gewalt-Herrschaft der Kommunisten selbst. Wobei man dem Revolutionär Karl Marx einräumen sollte, dass er ein kultivierter Mann gewesen ist, der einem Stalin nicht gefolgt wäre. Wahrscheinlicher ist, dass er spätestens 1938 mit Bucharin auf der Anklagebank gesessen hätte. Es wird von vielen Linken noch immer zwischen Lenin und Stalin unterschieden, was durch die offenkundig gegensätzlichen Persönlichkeiten begründet wird. Es war aber eindeutig Lenin, der mit allen Mitteln den Oktober-Putsch im Zentralkomitee, der Führung der Bolschewiki, durchsetzte. Für ihn war völlig klar, dass mit dem für den Zarismus verhängnisvollen verlustreichen Weltkrieg und mit der Februar-Revolution 1917 die staatliche Ordnung zerstört und de facto ein Machtvakuum entstanden war, das es kein zweites Mal geben würde. Deshalb schrieb er „Staat und Revolution“, wo er Marx mit Marx widerlegte, dessen grundlegende Bedingungen für eine proletarische Revolution in Russland nicht gegeben waren. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass ausgerechnet Lenin nicht wusste, dass eine proletarische Revolution nur dann siegen kann, wenn sie von einem organisierten Proletariat in einem industriell hochentwickelten kapitalistischen Land getragen wird. Wie bereits festgestellt, führte die Machtergreifung zum mörderischen Bürgerkrieg, in dem sich das „Volk“ der Bauern gegenseitig abschlachtete. Nach dem Sieg der „Roten“ war der Umgang mit den Unterlegenen – worauf Steffen Dietzsch ausdrücklich hinweist – insgesamt moderat. Dagegen konnte die „Tscheka“ (Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage) weiter außerhalb von Recht und Gesetz den revolutionären Terror fortsetzen. Bleibt noch die „letzte“ Frage, warum Lenin ausgerechnet Stalin protegierte. Offenkundig sah er in Stalin einen proletarischen Revolutionär von kompromissloser, also gnadenloser Härte, der, sieht man von Trotzki ab, in der Führungsspitze so nicht vertreten war. Dass Lenin kurz vor seinem Tod Stalin scharf kritisierte, war vor allem davon bestimmt, dass Stalin Lenins Frau in grober Weise beleidigt hatte.

Wenn Steffen Dietzsch die Jahrzehnte der Despotie Stalins als eine Zeit einer einzigen großen Lüge, man kann es auch als den großen Betrug definieren, charakterisiert, dann trifft er den Charakter dieser Ära sehr genau. Denn kein Betrug war größer als die Verkündung des Aufbaus des Kommunismus unter Führung der KPdSU, während Stalin und seine Helfershelfer allein ihre Macht mit brutalen Methoden erzwangen und festigten. Man sollte zumindest erwähnen, was die Herrschaft Stalins begünstigte – nämlich die ökonomischen Bedingungen einer spätfeudalistischen Ordnung mit ihrer oft grausamen Unterwerfung der Bauernschaft und der Glorifizierung von „Väterchen Zar“, der extrem niedrige Bildungsstand in Russland selbst und in den Sowjetrepubliken und das niedrige Niveau der Informationsmöglichkeiten –, um die wohl wichtigsten Faktoren zu nennen.

Dagegen kann man der Feststellung von einem vergesellschafteten Eigentum widersprechen. Zum ersten deshalb, weil es in der Industrie eine derartige Eigentumsform nicht gab. Erich Fromm sprach in den 60er Jahren deshalb von einem „Staatskapitalismus“ in den sozialistischen Ländern, man könnte auch von einem „Partei-Kapitalismus“ reden. Vergesellschaftetes Eigentum gab es überwiegend in der Landwirtschaft und im Handwerk. Wie dieses durchgesetzt wurde, dürfte bekannt sein.

Letztens, aber nicht zuletzt, geht es um Antworten auf die entscheidende Frage, warum die kommunistischen Revolutionäre nach der Machtergreifung eine Gewaltherrschaft errichteten. Geht man davon aus, dass wahrscheinlich die Mehrheit der Revolutionäre verfolgt, eingekerkert, gefoltert, verbannt und viele von ihnen hingerichtet wurde und dass ebenso viele in der Illegalität lebten oder im Untergrund oder als Partisanen kämpften, muss der Zusammenhalt unter ihnen außergewöhnlich groß gewesen sein. Wenn nötig, gab man sein „Leben für die Revolution“. Diese verschworene Gemeinschaft begann nach der Machtergreifung – gleich wann und wo – zu zerfallen. Der jugoslawische Kommunist und Vertraute Titos, Milovan Đilas, hat, nachdem er aus der Partei ausgeschlossen worden war, diesen Wandel analysiert44. Er beschreibt, wie aus den engsten Kampfgefährten von einst in der jugoslawischen kommunistischen Führungsspitze erbitterte Rivalen wurden, die ihre Machtpositionen mit allen Mitteln verteidigten und ihren Genossen nur noch misstrauten. Nur der Mann an der Spitze profitierte davon, weil er selbst in diesem „System“ nahezu unangreifbar war. Die Grunderfahrung der in Führungspositionen nachrückenden Bolschewisten, die von Stalin gefördert wurden, bestand darin, dass allein die Gewalt zum Sieg führt; so war es im Bürgerkrieg, und mit gleicher Härte und Brutalität bekämpfte man nun die innerparteilichen Gegner unter Berufung auf Stalin und die Revolution.

Vom Flaggschiff der Demokratie zur einzigartigen Weltmacht

Dass die westlichen Demokratien mit den USA als Führungsmacht den „Wettbewerb“ und den „Kampf“ der beiden Systeme schließlich für sich entschieden, muss auch darauf zurückgeführt werden, dass sich das kapitalistische System als überlegen erwies, in erster Linie durch die höhere Effizienz der Wirtschaft und in zweiter Linie durch die Gestaltung der Gesellschaft. Es gab – in unterschiedlichster Ausprägung – eine (scheinbar) „offene“ Gesellschaft, deren konstituierende Elemente in den Begriffen ‚Freiheit‘, ‚Demokratie‘ und ‚Menschenrechte‘ manifestiert wurden. Es geht an dieser Stelle nicht darum zu analysieren, in welchem Maße diese Elemente gesellschaftliche Realität waren. Von tiefer Bedeutung waren 1989 die Forderungen der Bürgerbewegungen in den sozialistischen Staaten Europas nach Freiheit, Demokratie und der Einhaltung der Menschenrechte.

Die USA waren zweifellos die dominante Großmacht – wirtschaftlich, politisch, militärisch, wissenschaftlich auf vielen Gebieten, vor allem in der Entwicklung modernster Technologien. Dass sie mit allen Mitteln den Kommunismus bekämpfte, hatte weniger damit zu tun, dass in diesen Staaten eine Diktatur der kommunistischen Parteien bestand, sondern vor allem damit, dass die Kommunisten das „private Eigentum an Produktionsmitteln“ durch den staatlichen Besitz der gesamten Industrie „ersetzt“ hatten, der teilweise auch in den Besitz der kommunistischen Parteien überging. Da der Schutz des privaten Besitzes gerade in den USA die „erste“ Pflicht des Staates war, konnte der Kontrast nicht größer sein, als in diesem Punkt. Zweifellos ist hier die Frage angemessen, mit welchen „Methoden“ vor allem von der US-Administration und ihrer Dienste der „Schutz“ des „Privateigentums“ in ihrer globalen Einflusssphäre gesichert wurde. Diese Aufgabe, verbunden mit der Formel der „nationalen Sicherheit“, diente auch zur Begründung von illegalen Aktionen (CIA) und förderte die kriminelle Energie in den globalen „Projekten“. In diesen spielten die unentwegt propagierten Werte, das Völkerrecht und die Menschenrechte, zu keiner Zeit auch nur die geringste Rolle.

An dieser Stelle soll angemerkt werden, dass es nicht Zweck dieser Betrachtungen ist, das westliche Bündnis oder allein die USA aus „Prinzip“ zu kritisieren. Angesichts der prinzipienlosen „Verherrlichung“ insbesondere der USA durch die Mehrheit westlicher Politiker und deren medialen „Sprachrohren“ besteht die vorrangige Pflicht zu versuchen, die Widersprüche zwischen dem dominanten „Selbstbild“ der westlichen Welt und den realen Verhältnissen beweiskräftig erkennbar zu machen. Natürlich gibt es auch das andere Amerika mit seinen wissenschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Traditionen und Persönlichkeiten, mit Juristen, Journalisten und Whistleblowern, mit basisdemokratischen Protestbewegungen, mit großen Persönlichkeiten in politischen Feldern wie Franklin D. Roosevelt, den Kennedy-Brüdern und Martin Luther King, Angela Davies u. v. a.

In der Geschichte der Welt finden sich schon immer „Legenden“ vom Kampf zwischen dem „Guten“ und dem „Bösen“. Wenn sich nun die „Guten“ selbst zu den einzig wahren Demokraten, zu den Verfechtern von Freiheit und Menschenrechten erhöhen, dann ist es die Pflicht jedes Chronisten, sie daran zu messen. Dass bestimmte die Entscheidungen bei der Auswahl von Ereignissen und ihren Abläufen. Dann fällt auch auf, dass zu den „Legenden“ auch apodiktische „Schutzmechanismen“ gehören. Jede kritische Betrachtung der USA „riskiert“, als antiamerikanisch diffamiert zu werden; und wer politische Entscheidungen der israelischen Regierung kritisiert, sieht sich mit dem vernichtenden Vorwurf, ein „Antisemit“ zu sein, konfrontiert, um zwei der deutlichsten „Mechanismen“ zu nennen.

Man muss nun wirklich nicht in tiefe Bewunderung versinken, weil es in einer Demokratie demokratisch zugeht. In Wahrheit müsste eigentlich klar sein, dass jede Demokratie in einem permanenten Prozess gestaltet werden muss, der sich keinesfalls von einer „Vollendung“ zur nächsten vollzieht, sondern von Höhen und Tiefen gekennzeichnet ist. Für die Lob-Preisenden in Politik und Publizistik hat das aber keinerlei Bedeutung.

Der „Feind“ war vernichtend geschlagen und trat von der „Weltbühne“ ab. Hoffnungen kamen auf und alte und neue Fragen wurden gestellt: Wird die Welt endlich friedlicher und gerechter? Wird eine weltweite Abrüstung kommen? Kann endlich der Hunger in den armen und ärmsten Ländern überwunden werden? Werden Zerstörung, Elend und Krankheiten verschwinden?

Wenn man von heute aus diese Hoffnungen und Fragen zu beantworten versucht, ist das Ergebnis verheerend. Was auch zu der bitteren Erkenntnis führt, dass die Sieger im Kampf der beiden großen Weltsysteme nie erkannt oder gar wirklich begriffen haben, dass sie mit diesem Sieg und angesichts ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Stärke allein in der Verantwortung für die globalen Entwicklungen und Konflikte standen. Als die einzigartigen Demokratien, als „Anwalt“ der Menschenrechte, als Wahrer des Weltfriedens.

Die Hoffnung auf eine friedlichere Welt wurde schon nach einem Jahr – ausgerechnet in Europa – ad absurdum geführt, als in Jugoslawien ein mörderischer Bürgerkrieg begann. Als Kroatien und Bosnien-Herzegowina sich unter dem Einfluss nationalistischer Gruppierungen dafür entschieden, aus dem, von Tito gegründeten jugoslawischen Staatenbund, auszuscheiden, was die serbische Führung ablehnte. Statt wenigstens den Versuch zu unternehmen, zwischen den Gegnern zu vermitteln ergriffen Politiker der europäischen Staaten umgehend Partei, indem sie die Staaten, die den Bund verließen, diplomatisch anerkannten.

Wie insbesondere die USA ihre größer gewordene globale Verantwortung in Wahrheit interpretierte, dokumentiert unmissverständlich Zbigniew Brzeziński45 in seinem programmatischen Werk „Die einzige Weltmacht. Amerikas Strategie der Vorherrschaft“, das 1996 veröffentlicht wurde.

Nachdem vom römischen Imperium bis zum Britischen Empire alle historischen Großmächte mit ihrer regionalen Beschränktheit beschrieben worden sind, folgt die Definition der Größe Amerikas. „Im Gegensatz dazu ist der Geltungsbereich der heutigen Weltmacht Amerikas einzigartig. Nicht nur beherrschen die Vereinigten Staaten sämtliche Ozeane und Meere, sie verfügen mittlerweile auch über die militärischen Mittel, die Küsten mit Amphibienfahrzeugen unter Kontrolle zu halten, mit denen sie in das Innere eines Landes vorstoßen und ihrer Macht politisch Geltung verschaffen können. Amerikanische Armeeverbände stehen in östlichen und westlichen Randgebieten des eurasischen Kontinents und kontrollieren außerdem den Persischen Golf.“46

Selten wurde derartig unverblümt die militärische Macht als Instrument der Politik definiert. Im Folgenden geht es dann um die USA als dominierende wirtschaftliche Großmacht…

Für Brzeziński ist die Welt ein Spielfeld mit „attraktiven“ Plätzen und er entwirft ein Muster verschiedener „Schachbretter“ für wichtige Regionen. Gleich ob auf Plätzen oder „Schachbrettern“ gespielt wird, die Regeln legt die USA fest, wer sich nicht fügt, muss „bestraft“ werden. Immerhin gibt er plausible „Begründung“ für die Existenz von weltweit 600 Militärstützpunkten der USA, die – betrachtet man ihre globale Verteilung – mit dem militärischen Schutz der USA, die ohnehin von zwei Ozeanen vor potentiellen „Angreifern“ geschützt wird, absolut nichts zu tun haben. Sucht man im Opus von Brzeziński nach Begriffen wie „globale Verantwortung“ oder „solidarische Pflichten“, wird man vergeblich blättern. Umso mehr erfährt man über den umfangreichen Katalog von Themen, die für die „Nationale Sicherheit“ der USA von substantieller Bedeutung sind, wie die Ukraine, die aus ihrem Verbund mit Russland „herausgelöst“ werden müsse oder den Zugriff auf die Kaukasusregion, der nicht einer einzigen Macht allein gestattet werden darf. Das Buch liest sich wie die Offenbarungen eines „Herrenvolkes“, die ein „Herrenmensch“ verkündet.

Nimmt man Brzeziński beim Wort, kann man sein Weltbild unserem Kosmos entsprechend nachgestalten. Die USA entsprächen dann dem Zentralgestirn, das von seinen Trabanten umkreist wird, die da wären: die NATO-Mitgliedsstaaten und einige strategisch wichtige und dubiose Länder wie Saudi-Arabien, die Ukraine, Pakistan, Japan, Südkorea und, mal mehr und mal weniger, ausgewählte lateinamerikanische Staaten. In größerer Entfernung kreisen einige großflächige amorphe Gebilde z. B. China, Russland, Indien und Brasilien, die wenig Neigung zeigen, ihre Bahn zu Gunsten der von den USA vorgeschriebenen zu verlassen. In diesem „Gebilde“ sieht das Zentralgestirn eine Bedrohung seiner neuen Weltordnung, weswegen sie liquidiert werden müssen. Fern vom Zentrum der kosmischen Ordnung bewegen sich außerdem die gesamten kleineren Staaten auf ihren vorgeschriebenen Bahnen. Wer nicht, muss mit Strafen rechnen. Dass viele von ihnen sich, aus unterschiedlichen Gründen, als desolate Gebilde erweisen, stört niemanden. Und so irrlichtern sie – die meisten davon einst als „Dritte Welt“ bezeichnet – mit schwindenden Kräften dahin – bis Not und Elend das Leben unerträglich machen, so dass ihren Bewohnern nur noch die Flucht ins Ungewisse als letzter Ausweg bleibt. Eine Massenflucht, die ihren Endpunkt in der westlichen Welt zu finden hofft.

Was in der Regel unterschlagen wird oder höchst ungern Erwähnung findet – nur einige Autoren machen eine grundsätzliche Kritik öffentlich – ist die längst bewiesene Erkenntnis, dass die Armut der einen zum Reichtum der wenigen anderen führt. Zu keiner Zeit hat der Kapitalismus, insbesondere der Neoliberalismus, eine Veränderung dieses Zustandes auch nur in Erwägung gezogen. Schließlich waren billige Rohstoffen und noch billigere Arbeitskräfte viel zu profitabel, um darauf zu verzichten. Über 60 Jahre wurde deshalb die „Unterentwicklung“ mit politischer Beihilfe zementiert. Kaum einer aus dem Kreis der westlichen Wirtschaftseliten zweifelte daran, dass dieser Zustand nicht nur der Beste für sie sei, sondern auch folgenlos bleiben würde. Unter dem Stichwort „Entwicklungshilfe“ tat man gerade so viel, dass der Eindruck entstand, man würde sich um die Armen der Ärmsten kümmern. 2015 wurde der fundamentale Irrtum der westlichen Welt unübersehbar, als die Zahl derer, die aus Armut, Hunger und Tod zu fliehen versuchten, auf über 60 Millionen anwuchs. Wohl wird gern und häufig von einer Bekämpfung der Fluchtursachen geredet. Bis heute ist nichts über ein großes Projekt bekannt, mit dem begonnen würde, die Fluchtursachen Hunger, Bürgerkriege, Dürrekatastrophen zumindest regional wirksam zu bekämpfen. Milliarden gibt man nur dann, wenn ein Staat der Armut und Gewalt bereit ist, seine Grenzen undurchdringlich zu schließen.

Es ist allerdings müßig, Brzeziński deshalb zu kritisieren, dass sich die weitere globale Entwicklung anders vollzog, als in den von ihm erwartenden Bahnen. Dass Russland unter Jelzin und seiner wilden Privatisierung unter einem massiven Niedergang der Wirtschaftsleistung auf 50% litt, bestimmte seine Sicht. Dass mit Putins Präsidentschaft die unerwartete Rückkehr zur Großmacht verbunden war, wird auch einen Brzeziński überrascht haben. Weniger überraschend war dagegen, wie schwer sich die USA mit diesem Wandel der Machtverhältnisse tun würden. China mit seiner Milliardenbevölkerung galt Mitte der 90er Jahre – auch unter dem internationalen Druck nach dem „Massaker“ auf dem „Platz am Tor des Himmlichen Friedens“ – nicht als ernsthafte Bedrohung der Führungsmacht USA, bis sich das Land wirtschaftlich und politisch völlig neu aufstellte mit einem neoliberalen Kapitalismus unter Führung der Kommunistischen Partei. Immense Steigerungen des Wirtschaftswachstums machten die neue Großmacht bald zu einem der „Global Player“.

Was Brzeziński wohl nicht geahnt haben dürfte, war die Präsidentschaft George W. Bushs, der die USA nach dem 11. September 2001 in den Krieg gegen den Irak führte – mit desaströsen Folgen für den Nahen Osten und die muslimische Welt – und am Ende seiner zweiten Amtszeit seinem Nachfolger ein Haushaltsdefizit von über 10 Billionen Dollar hinterließ.

Samuel H. – ein Bruder im Geiste

Nahezu zeitgleich erschien Samuel Huntingtons neue Weltdeutung, als „Kampf der Kulturen“47. Der Umstand, dass die Welt von unterschiedlichen Kulturen geprägt ist, insbesondere von verschiedenen Religionen – vor allem Christentum, Islam, Buddhismus, Hinduismus und der jüdischen Glaubensgemeinschaft – wurde nun völlig neu gedeutet. Unabhängig davon, dass sowohl Kulturen als auch Religionen in der Regel aus unterschiedlichen Strömungen oder Interpretationen bestehen, also global, national und regional nur selten bzw. in keiner Weise als geschlossenes „System“ existieren, was zu Konflikten und Kriegen untereinander führte, kann Huntingtons Interpretation in keiner Weise überzeugende Erklärungen für einen Kampf (Krieg) der Kulturen bzw. Religionen geben. Religionen sind Teil einer „Metaebene“, mit der die Kriege begründet werden und das nachweislich seit Hunderten von Jahren. Kulturen erscheinen hier dagegen weitaus seltener als kriegerische Kontrahenten. Aber es sind eindeutig und immer Menschen, die Kriege führten und führen und nicht die Kulturen ihrer Herkunft.48 Es lohnt sich durchaus, sich in diesem Zusammenhang an die „Praxis“ der europäischen Kolonisatoren bei der Eroberung des amerikanischen Doppelkontinents zu erinnern. Sowohl in Nord als auch in Süd erklärten sie die indigenen Einwohner zu unzivilisierten Barbaren, die von ihrem Land und ihren Schätzen zu befreien deshalb zwingend notwendig gewesen sei. Als sie nicht mehr als „nützlich“ ausgemacht werden konnten, brachten die Kolonisatoren sie mehrheitlich um. Erbarmen stand nicht an, obwohl die „Eingeborenen“ zuvor zum Christentum bekehrt worden waren. Als „Kampf der Kulturen“ kann man all dies wohl nicht bezeichnen, allein schon, weil die Gegenseite ja kulturlos war. Kampf der Zivilisationen oder Kulturen klingt als Ursachen für Kriege sicher um vieles besser oder erhabener als die wirklichen, mit dem ersten Stammes-Krieg in der Menschheitsgeschichte gegebenen Ursachen: Eroberung von fruchtbaren Gebieten, von Regionen mit reichen Vorkommen an Bodenschätzen, Vernichtung eines Konkurrenten, Bestrafung eines Aufsässigen, Plündern von Schatzkammern – alles elementare und profane Gründe, die, wenn auch so alt wie die Geschichte der Kriege selbst, nach wie vor gültig sind. Wie auch die „Aufladung“ mit höheren Zwecken. Allerdings – aber das meint Huntington sicher nicht, selbst wenn er auch wirtschaftliche und machtpolitische Gründe für Kriege anführt – sind die Eroberungen fremder Territorien mehr und mehr das „Werk“ wirtschaftlicher und finanzieller Übermacht einiger weniger Staaten.

Was dagegen besondere Aufmerksamkeit verdient, ist die nachhaltige Wirkung von Huntingtons „Kampf der Kulturen“ auf die politische Agenda der westlichen Demokratien – mit ihrer atlantischen Wertegemeinschaft und der „Wiederentdeckung“ des christlichen Abendlandes als herausragendem „Gegenentwurf“ zum Islam. Anstelle einer wirklich notwendigen Untersuchung und Argumentation zu den sozialpolitischen Ursachen und der gesellschaftlichen Verfasstheit der islamischen Welt mit ihren spätfeudalen Herrschaftsstrukturen wird eine Religionsdebatte inszeniert, die sich in Interpretationen religiöser Vorschriften und Gesetze – nach eigener Auswahl – versucht und die sachbezogene Lösungen vor allem behindert. Es ist geradezu absurd, wenn den Flüchtlingen, die aus Kriegs- und Hungergebieten in Europa ankommen, als Erstes erklärt wird, dass ihre Religion die falsche und nur dazu da sei, sie zu unterdrücken und zu manipulieren – als ob dies nicht mehr oder weniger von allen Religionen versucht worden wäre.

In zumindest einem Punkt mahnt Huntington zu Recht: „Der Glaube, daß nichtwestliche Völker westliche Werte und Institutionen und westliche Kultur übernehmen sollen, ist unmoralisch auf Grund der Mittel, die notwendig wären, um ihn in die Tat umzusetzen. (…) Wenn nichtwestliche Gesellschaften durch westliche Kultur geprägt werden sollen, kann das nur als Resultat einer gewaltsamen Expansion, Etablierung und Einflussnahme westlicher Macht geschehen.“49 Es sieht nicht so aus, dass George W. Bush, Dick Cheney und Condoleezza Rice vor 2003 diese Sätze gelesen haben.

Eine systematische Analyse zu Huntingtons Darlegungen veröffentlichte 2006 Amartya Sen mit dem bezeichnenden Untertitel „Warum es keinen Krieg der Kulturen gibt“. Seine Widerlegung basiert auf folgenden Argumenten: „Unser gemeinsames Menschsein wird brutal in Frage gestellt, wenn man die vielfältigen Teilungen der Welt auf ein einziges, angeblich dominierendes Klassifikationsschema reduziert, sei es der Religion, der Gemeinschaft, der Kultur, der Nation oder der Zivilisation…“50 Ein solches Schema führe zu weit mehr Unfrieden (Konflikten) als alle Unterschiede zwischen Regionen und Staaten der Welt. Keine Gesellschaft in einem „Kulturkreis“ ist jemals homogen, sondern jede Gesellschaft ist eindeutig heterogen strukturiert. Europa beispielsweise vereint nicht nur zwei große christliche Gemeinden, die um besondere Gruppierungen erweitert werden, sondern auch die Atheisten, die auch selbst von unterschiedlichen Positionen strukturiert sind, weiter heterogene Gruppierungen bilden Muslimen und Juden u. a. m.