Kitabı oku: «Auf die Dämmerung folgt die Finsternis», sayfa 7

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Dass der ukrainische Konflikt aus einer demokratischen Massenbewegung, die zur Besetzung des „Maidan“ führte, erwuchs, bleibt unbestritten. Die weitere Entwicklung bis hin zum Bürgerkrieg, in dem die neuen Kiewer Machthaber sich bis heute vielseitiger westlicher Unterstützung sicher sein können, wurde ausgerechnet von US-amerikanischer Seite forciert.

Bei der Suche nach dem „Warum“ kommt man um einen – wie man heute gerne sagt –vorgeblich „geheimen“ Grund nicht herum. Auch wenn es schwer zu beweisen bleibt, sollte man in Erwägung ziehen, dass den Aufklärern und Analysten etwas ganz Entscheidendes entgangen ist, als es darum ging, die Ukraine zum EU bzw. Nato-Mitglied machen zu wollen. Unbeachtet blieben die 9 Millionen Ukrainer russischer Nationalität. Es gibt – wie oben dargestellt – eine lange Reihe solcher Fehleinschätzungen durch die CIA über alle Jahrzehnte, die im Fall der Ukraine genau dafür sprechen.58

Ein Nato-Mitglied, in dem 9 Millionen Russen leben, nachdem gerade klargestellt wurde, dass Russland der Gegner sei, dürfte für jede militärische Führung unannehmbar sein. Unter diesem Aspekt darf man deshalb schlussfolgern, dass es bei der Militäraktion der ukrainischen Armee und der Freiwilligen-Bataillone weniger darum gegangen sein dürfte, die „Separatisten“ zu besiegen, als vielmehr darum, die russischen Ukrainer aus ihren traditionellen Regionen zu vertreiben. Damit wäre auch eine ernst zu nehmende Begründung gegeben, warum Luftwaffe und Artillerie ostukrainische Städte derart massiv angegriffen haben.

Dass der Anschluss der Krim an Russland (die Halbinsel war über Jahrhunderte Teil Russlands) westlicherseits auf Empörung und Protest stieß, bis zu der denkwürdigen Formulierung der Bundeskanzlerin, die von einer „verbrecherischen Annexion“ sprach, war logisch. Dass dieser Anschluss Gegenstand andauernder Kritik war, ebenso. Schließlich war der Westen darauf nicht vorbereitet und sah sich durchs Putins Handstreich um den vollen Erfolg des ukrainischen Projekts gebracht. Wenn die Kritik an Russlands angeblicher Aggressivität mit der Krim begründet wird, folgte sie dem bewährten moralischen Schema von Gut und Böse. Demnach waren die Pläne des Westens im Bezug auf EU bzw. Nato-Mitgliedschaft von Edelmut bestimmt. Dem steht im Wege, dass genau diese Krim nicht nur geopolitische sondern vor allem militärstrategische Bedeutung besitzt. Wenn Putin nicht so gehandelt hätte, würde er in Geschichtsbüchern späterer Jahre als Landesverräter verteufelt werden. Bedenkt man nur, was für eine Stärkung des westlichen Bündnisses Sewastopol als Nato-Hafen bedeutet hätte. Sowohl als Schlüssel zur Beherrschung des Schwarzen Meeres als auch durch die Eliminierung der russischen Schwarzmeer-Flotte. Dieser „Verlust“ dürfte die Geostrategen West ziemlich in Rage gebracht haben. Dass der „Aggressor“ Putin erst die Bevölkerung abstimmen ließ, ob er auch willkommen sei, gab es in der Militärgeschichte noch nie. Die Amerikaner hätten sich – diese Anmerkung sei gestattet – sehr viel erspart, wenn sie bei ihren verbrecherischen Kriegen im Irak59 oder früher in Vietnam ähnlich verfahren wären. Sie hätten, wenn diese Befragungen mehrheitlich ergeben hätten, dass sie ganz und gar nicht willkommen wären, zumindest die Möglichkeit gehabt, diese Feldzüge mit ihren Niederlagen, Kriegsverbrechen, Verheerungen, immensen Kosten und vor allem Millionen Toten zu unterlassen.

Dieser Argumentation kann man sicher anlasten, dass sie rechtliche oder moralische Fragen, die zu kritisieren wären, vernachlässigt. Da aber die Ukrainekrise ein Resultat geostrategischer Planungen und Maßnahmen ist, sind unter diesem Aspekt Betrachtungen zu Ursachen und Hintergründen unerlässlich. Und nicht zuletzt: wer hat Russland die Partnerschaft aufgekündigt und es zum Gegner der westlichen Welt ernannt? Man wird doch nicht etwa geglaubt haben, dass Putin sich dankbar unterwirft? Sicher herrscht er autokratisch, aber das hat nun wirklich nichts damit zu tun, dass er die Interessen Russlands in einer globalisierten Welt, bitte – so wie er sie sieht –, durchsetzen will.60

III.5. Globale Krisen und ungelöste Konflikte

Der „Arabische Frühling“

Von Tunesien aus erfasste eine große Bewegung demokratischer Gruppen Libyen, Ägypten, Syrien, Bahrain und den Jemen. Wochenlang demonstrierten Hundertausende, widerstanden Polizei und Sicherheitskräften und hofften auf einen gesellschaftlichen Wandel. Es war auch eine säkulare Bewegung, die sich aber nicht gegen den Islam richtete.

Den Demonstranten fehlte es nicht an Willensstärke, Mut und Leidensfähigkeit, umso mehr aber an einer gemeinsamen handlungsfähigen Organisation. Und als in einigen der Länder wenigsten demokratische Wahlen durchgesetzt werden konnten, verliefen diese gegen alle Hoffnungen der Demonstranten. Selbst wenn es zu einem Machtwechsel in der Führung kam, veränderte dieser die bestehenden Machtverhältnisse in keiner Weise. In anderen Ländern rollten erbarmungslos die Panzer und es begannen Bürgerkriege oder reine Machtkämpfe zwischen rivalisierenden Gruppierungen oder Stammesverbänden mit und ohne religiösen Hintergrund. (Ich sage nicht, dass ich die Verläufe etwa so, wie sie kamen, vorausgesehen hätte, aber aus meinen Erfahrungen und Kenntnissen heraus, war es von Beginn an völlig klar, dass diese Demonstrationen nicht zu einem gesellschaftlichen Wandel hin zur Demokratie führen konnten.)

Von Washington über Paris bis Berlin war die Begeisterung kaum zu zügeln; diese Bewegungen mussten geradewegs in die Demokratie führen – selbstverständlich nach westlichem „Muster“. Wobei hätte auffallen dürfen, wie unwahrscheinlich es war, dass unter den Bedingungen eines dominanten, konservativen Islam eine derartige Veränderung hätte gelingen können. Man erhoffte sich – ganz demokratisch –, dass der libysche Diktator Gaddafi „über die Klinge“ springen würde; die USA erhofften sich einen Abtritt des alternden Mubarak wie auch den Sturz Assads in Syrien… Dass eine breite aber spontane Volksbewegung auf harten Widerstand konservativer Kräfte stoßen würde, hätten diese Politiker wissen können, vorausgesetzt, sie hätten gewisse Gesetzmäßigkeiten für Volkserhebungen bzw. revolutionäre Aufstände begriffen: Jeder Volksbewegung, die Veränderungen gesellschaftlicher Verhältnisse fordert, folgt eine Konterrevolution, die mit großer Entschlossenheit alle Mittel für die Erhaltung der bestehenden Verhältnisse, d. h. ihrer Macht einsetzen wird. Erst in dieser Konfrontation fällt die Entscheidung über Erfolg oder Niederlage. Ganz abgesehen davon, dass diese Form westlichen Beistandes kontraproduktiv wirken musste, weil damit erst recht ermöglicht wurde, die Volksbewegung als Verrat – hier am Islam – zu diskreditieren. Der weitere Verlauf der Ereignisse machte auf unterschiedliche Weise die Hoffnungen der Demonstranten zunichte. Während in Bahrain saudische Panzer die Erhebung blutig niederschlugen, ohne dass es Proteste gab (schließlich war ja Saudi-Arabien ein Verbündeter des Westens), wurde Libyen zum Schlachtfeld.

Nun gibt es in der westlichen Politik ohnehin schon lange kein ernsthaftes Abwägen von Für und Wider, keine Verpflichtung zur Wahrheit, vor allem wenn diese unangenehm ist – von Transparenz und ehrlicher Unterrichtung der Öffentlichkeit ganz zu schweigen. Dafür dominiert eine ebenso beständige wie infantile Einteilung der Welt in Gut (wir) und Böse61 (alle, die uns nicht als die Guten anerkennen), und die – um es vorsichtig auszudrücken – Kooperation von Politik, Wirtschaft und Finanzkapital wird als „Verschlusssache“ betrachtet. Gut, könnte man sagen, so ist sie, die Politik. Bleibt aber die Frage, warum die führenden Medien – Zeitungen, Zeitschriften und TV-Sender – in ihrer gesamten Breite dieser Politik im „Gleichklang“ folgten…

Erinnerungen an ein Scheitern

Der Widerstand der von den USA ausgerüsteten Mudschaheddin-Gruppen führte zum Abzug der sowjetischen Streitkräfte aus Afghanistan, der 1988 von Gorbatschow angeordnet worden war. Was aber danach kam, führte in ein neues Desaster. Wenn hier daran erinnert wird, dann vor allem deshalb, weil die Fehlentscheidungen der USA und deren Folgen zu einem „Muster“ wurden. Eine kritische Analyse dieses „Musters“ hätte zu substantiellen Erkenntnissen im Bezug auf die Nahost-Politik führen können (müssen). Sie blieben angesichts des „Erfolgs“ unbeachtet oder wurden bewusst ignoriert. Zum Ersten: Wenn man sich mit feudalen Stammesführern und mit radikalen Gruppen verbündet und diese mit einem riesigen Arsenal von Waffen versorgt, wird man schließlich die Kontrolle verlieren. Das Standardgerede von Demokratie und Menschenrechten verkommt zur „Sprechblase“. Zum Zweiten: Als 1990 mit der postsowjetischen Führung vereinbart wurde, in Afghanistan Nadschibulla, den bisherigen sowjetischen „Regenten“, weiter als Staatschef im Amt zu lassen, wurde der absehbare Bürgerkrieg unvermeidlich. Die hochgerüsteten Rivalen um die Macht in Afghanistan wurden noch bis 1992 von den USA mit Waffen beliefert. Dass vor allem Pakistan und sein Geheimdienst mit den Taliban kooperierte, kann der CIA nicht entgangen sein, ebenso wenig, dass auch Saudi-Arabien kräftig mitmischte. Zum Dritten: Nachdem die Haupt-Kontrahenten im Bürgerkrieg massiv geschwächt waren, schlug die Stunde der religiös-fundamentalistischen Taliban, die fast ungehindert ihre Diktatur errichteten. Zum Vierten: Um das Desaster nicht ausufern zu lassen, intervenierte die USA im Bündnis mit anderen Nato-Staaten. Nach insgesamt 35 Jahren Krieg begann der Teil-Abzug der vereinigten Streitkräfte, ohne dass nur eins der Ziele dieses Militäreinsatzes erreicht werden konnte. Die Taliban werden zurückkommen, der Terror wird weitergehen, wie auch die Zerstörung und das Morden.62 Obgleich das „Muster“ des Vorgehens der USA in Afghanistan folgenschwer scheiterte, lässt es sich bei allen folgenden Interventionen der USA und ihrer Verbündeten zweifelsfrei nachweisen.

2010 kommt es in Libyen zum Aufstand gegen Gaddafi, der in Bengasi, der östlichsten Region des Landes, beginnt. Als die Aufständischen im Angriff der Truppen des Diktators unterzugehen drohten, griffen die Streitkräfte der USA, Englands und Frankreichs ein und vernichteten mit massiven Luftschlägen die Armee Gaddafis. Nur deshalb konnten die Rebellen siegen. Gaddafi wird auf grausame Weise umgebracht. Und was folgte? Aus den Gruppen – siehe Afghanistan –, die gemeinsam gegen Gaddafi gekämpft hatten, wurden erbitterte Rivalen. Fünf Jahre später ist noch immer kein Frieden in Sicht – Bürgerkrieg, Gesetzlosigkeit, Chaos, wirtschaftlicher Niedergang. Es war zu keiner Zeit ein Aufstand für ein demokratisches Libyen, es war ein Machtkampf rivalisierender Stämme, die, unterdrückt von Gaddafi, nichts anderes wollten als selbst an die Macht zu kommen. Was bis heute keine Rolle spielt, ist das ursprünglich separatistische Ziel der Rebellion. Dass Gaddafi ein Diktator war, wusste jeder. Was den Westen bekanntlich nicht davon abhielt, profitable Geschäfte mit ihm zu machen63. Die ihn stürzten, waren Clanführer, die selbst diktatorisch herrschten und denen das eigene Herrschaftsgebiet am wichtigsten war und ist. Völlig bedeutungslos war für sie ein demokratisches Libyen. Aber genau mit der „Hilfe bei der Einführung der Demokratie“ wurde der Nato-Militäreinsatz begründet. Dass es weder in Afghanistan noch in Libyen eine demokratische Bewegung gab, kann weder den Geheimdiensten noch den Politikern des Westens entgangen sein. Oder doch?

Als in Syrien nur wenig später aus den Massendemonstrationen und der darauf folgenden Gewalt des Assad-Regimes gegen die Demonstranten ein bewaffneter Aufstand von Gruppen sunnitischer Rebellen wurde, war die westliche Allianz umgehend bereit, die schnurstracks zu Demokraten erhobenen sunnitischen Dschihadisten nicht nur propagandistisch zu unterstützen. Nein, das reichte nicht, denn diese jungen Demokraten (so Hilary Clinton in einem Interview) mussten mit Waffen hochgerüstet werden. Dass der Aufstand von der in Syrien verbotenen „Muslimbruderschaft“ ausgelöst worden war, wurde von Hilary Clinton diskret verschwiegen. Die „Muslimbrüder“ zu Demokraten zu machen, ging schon deshalb nicht, weil sie in Ägypten gegen die Herrschaft der Generäle kämpften. Als der erhoffte Volksaufstand der Sunniten, also von gut 80% der syrischen Bevölkerung, ausblieb und die Rebellion sich auf wenige Orte beschränkte, waren ihre Erfolgsaussichten trotz anfänglicher Erfolge bereits gering. Mit dem Eingreifen der radikalen Islamisten der „Al- Nusra-Front“ und einer aus dem Nordirak kommenden bis dahin eher unbekannten Formation, die sich ISIS nannte, veränderte sich das Kräfteverhältnis entscheidend. Diese radikalen Formationen wurden – wie zuvor die Rebellen -von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei (mit Hilfe von CIA und MI6) massiv mit Waffen, Geld und logistisch unterstützt. Nur so konnte der Aufstand gegen Assad, den die westlichen Staaten offensichtlich um jeden Preis gestürzt gesehen wollten, weitergeführt werden. Assad herrscht noch immer. Syrien ist in solch einem Ausmaß zerstört, dass unabsehbar ist, wann sich das Land von diesem Bürgerkrieg erholen können wird.64 Millionen sind seither auf der Flucht. Es blieb in Politik und Medien aber weitgehend unbeachtet, bis Hunderttausende Flüchtlinge nach Europa kamen. Dass es sich bei den Aufständischen gar um Demokraten handelt, glaubte wahrscheinlich niemand ernsthaft. Dass ausgerechnet sunnitische Kämpfer einen „Heiligen Krieg“ führen, um Syrien zu demokratisieren, ist eine schlecht erfundene „Geschichte“, wie sie angesichts von allen Erfahrungen mit radikalen sunnitischen Kampfverbänden und Staaten wie Saudi-Arabien mit seinen Wahhabiten zynischer nicht sein kann. Es sind zweifelsfrei Machtkämpfe, die dazu von Wirtschaftsinteressen der westlichen Staaten gesteuert werden.

Es ist nicht neu, dass Machtwechsel mit Wahlen, durch Militärputsche oder bewaffnete Aufstände und wirkliche Volksbewegungen erreicht werden können. Wenn ein derartiger Aufstand nicht die Kraft besitzt, durchschlagend erfolgreich zu agieren, sollte es ein Gebot der Vernunft sein, diesen zumindest vorübergehend abzubrechen. Und es ist verantwortungslos, einen Aufstand, der vor dem Scheitern steht, mit massiven Waffenlieferungen willkürlich zu verlängern. Und allein deswegen ist die „Begründung“, es gehe um Demokratie, besonders infam, weil das Volk – in dessen Sinne ja in einer Demokratie regiert werden sollte – am schwersten unter den Schrecken eines Bürgerkrieges zu leiden hat. Die Beendigung einer Erhebung schließt ja keineswegs aus, dass die demokratischen Kräfte, wenn es sie denn gibt, ihren Kampf fortsetzen mit dem Blick darauf, dass jederzeit eine Situation kommen kann, in der es möglich wird, eine Diktatur zu beenden.65

Wenn ein angesehener Journalist wie Seymour Hersh66 enthüllt, auf welchem Weg die Waffen aus Gaddafis Arsenalen mit Hilfe von CIA und MI6 in die Türkei verbracht und unter türkischer Beteiligung an die syrischen Aufständischen, an „Isis“ und andere radikale Gruppen verteilt wurden, dann darf das selbstredend „unter der Decke“ bleiben. Man nimmt es deshalb nicht zur Kenntnis. Schließlich weiß jeder, auch der unbedeutendste deutsche Journalist, es natürlich besser. Obwohl Hershs Enthüllungen in deutscher Sprache vorliegen, hat ein der „Wahrheit“ verpflichteter Schreiber offensichtlich keinen Grund, darüber auch nur nachzudenken. Da Hersh sich auf Informationen von Insidern, die oft anonym bleiben, stützt, kann man natürlich Zweifel anmelden an diesem „suspekten“ amerikanischen Kollegen. Das eigene Versagen wenigstens zu erkennen, war nicht einmal dann denkbar, als Hundertausende Flüchtlinge, unter ihnen Abertausende Menschen aus Syrien – nachdem sie Jahre in den syriennahen Lagern ausgeharrt hatten – vor den Toren Europas standen.

Neben Seymour Hersh gehört Hugh Roberts zu den schärfsten Kritikern der Syrienpolitik der USA. Unter Berufung auf ein Dokument des US Defense Intelligence Agency vom 12.8.2012 (DIA, also des Militärgeheimdienstes) stellt er fest, dass zwei Jahre vor dem Eintreten des „IS“ in den syrischen Bürgerkrieg die „Koalition“, die unter Führung der USA den Sturz Assads erzwingen wollte, den „IS“ als wünschenswerte Unterstützung ansah und über die Errichtung eines „salafistischen Fürstentums“ nachdachte. „Die Politik des Westens ist bis dato eine Schande, und für Großbritanniens Beitrag sollte die ganze Nation sich schämen. Was auch immer sie veranlaßt haben mochte, für Irak, Libyen und jetzt Syrien war sie ein Desaster.“67 Und an anderer Stelle: „Es geht hier nicht um die Sturheit der einen oder anderen Seite; es geht darum, daß die Westmächte mit ihrer Forderung, Assad müsse gehen, dessen Zukunft zur zentralen Frage machte, und damit eine politische Lösung, die wenigstens der Gewalt ein Ende bereiten würde, unmöglich machten.“68

Die wirklich entscheidende Ursache für das Scheitern dieser interventionistischen Politik besteht darin, dass – gleich, ob mit oder ohne Unterstützung von so genannten oppositionellen Gruppen oder von Aufständischen, die an die Macht wollen – die bestehenden staatlichen Macht- und Ordnungsstrukturen zerschlagen werden. Da es weder einen „Plan“ noch eine „Strategie“ gibt (eher gar nicht geben kann) versinkt das Land im Chaos. Militärführer aller „Schattierungen“ terrorisieren die Bevölkerung, Aufständische verteidigen ihr Territorium, Infrastruktur und Wirtschaft kollabieren und wer kann, flüchtet. Dieser Niedergang kann Jahre, auch Jahrzehnte andauern.

„Die Politik der Zerstörung staatlichen Gewaltmonopols durch einen leichtfertigen westlichen Interventionismus ohne Aussicht auf die Etablierung eines neuen, eines gerechteren, im Idealfall demokratischen Gewaltmonopols ist selbst ein Verbrechen an der Menschlichkeit. Die aktuelle Situation im Irak, in Syrien und in Libyen ist der grausame Beweis dieser These.“69

Ein unbequemer Konservativer

Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass gerade an dieser Stelle an Peter Scholl-Latour erinnert wird, dessen scharfsinnige und beweiskräftigen Analysen der politischen Landschaft von Nordafrika bis hin zum Hindukusch jedem zugänglich waren und sind. Außer dass er gelegentlich von politischen Leichtgewichten angepöbelt wurde, fand aber eine mediale und publizistische Debatte so gut wie nie statt. Dass damit verbunden war, seine Erkenntnisse und vor allem seine Prognosen, die sich in der Regel als richtig erwiesen, zu ignorieren, ist geradezu symptomatisch für die Meinungsführer in der deutschen Medienlandschaft. Als er hochbetagt starb, glichen manche Nachrufe, wenn diese nicht ohnehin im Nachtprogramm „versteckt“ wurden, hintersinnigen Schmähungen. Hohe Anerkennung bekam Peter Scholl-Latour von seinen einstigen linken Kontrahenten, die erkannten, wie unvergleichlich viel der konservative Publizist an Erkenntnissen über Politik, Wirtschaft, Kultur und über das Versagen westlicher Politik in Afrika, Nahost und Asien beigetragen hat.70

Warum Peter Scholl-Latour für die Konservativen aller Schattierungen zu einer Art „Unperson“ wurde, kann schon mit einem Zitat begründet werden: „Inzwischen haben sich Presse und Fernsehen weidlich empört über die gezielten Fehldarstellungen einer Ausgangslage in Bagdad, mit der Präsident Bush auch seine deutschen Verbündeten in den „Quagmire“ des Zweistromlandes hineinzerren wollte. Heute weiß jedermann, daß die Berichte aus Washington und London, denen zufolge Saddam Hussein schreckenerregende Massenvernichtungswaffen auf den Westen richtete, frei erfunden und erlogen waren. (…) Von Anfang an war den Experten bekannt, daß der Tyrann von Bagdad ein Todfeind des islamischen Fundamentalismus war und daß jede verschwörerische Verbindung, die zwischen ihm und Al Qaida mühsam konstruiert wurde, einer gezielten und schamlosen Desinformation entsprach.

Für die bündnisbeflissenen Politiker und jene Skribenten, die sich auf die Wünsche ihrer Konzernherren ausrichten, besteht jedoch keinerlei Anlass, sich über das Wunschdenken, über die Wirklichkeitsverweigerung, derer sich die Bush--Administration und ihr britischer Kumpan Tony Blair bei der Lagebeurteilung in Mittelost schuldig machten, zu mokieren. Die deutsche Politik frönt den gleichen Lastern, wenn sie die zunehmende „Irakisierung Afghanistans“ … zur Kenntnis nimmt. (…), wenn sie im Berliner Reichstag verkündet, Deutschland werde noch weitere zehn Jahre am Hindukusch ausharren.“71

In „Merkelland“ war derartige Klarheit gegenüber dem großen Verbündeten inakzeptabel, nachdem die Kanzlerin ihren „Kotau“ vor dem großen Kriegshelden Bush jr. und seinem besten Gehilfen Blair gemacht hatte.

Der Nahe Osten: Vom Irakkrieg 2003 bis zum Kalifat des IS

Die Bilanz eines Rückblicks auf die Politik der atlantischen Gemeinschaft seit Beginn des neuen Jahrtausends fällt eindeutig verheerend aus: Gleich ob in der Ukraine, in Nahost oder Nordafrika – in allen Staaten, in denen USA und EU intervenierten – natürlich wie immer mit der Begründung, für Demokratie und Menschenrechte zu kämpfen –, entstanden als makabre Konsequenz des westlichen „Engagements“ mörderische Bürgerkriege, die bis heute mit aller Härte andauern. Millionen Menschen sind seither auf der Flucht, Tod und Zerstörung überall. Und dann begannen auch noch die Terroristen des IS ihren blutigen Feldzug und die westliche Welt erweist sich bis heute als unwillig-unfähig, dem regionalen Widerstand gegen diese Vernichtungsfeldzüge wirksam zur Seite zu stehen, obwohl sie hier noch weit mehr als anderswo für die Destabilisierung und Zerrüttung dieser Regionen verantwortlich ist.

Es ist ihr Werk, dass die Menschen im Irak, in Syrien oder in Libyen unter ihren blutigen Diktatoren mehrheitlich sicherer leben konnten, gleich ob diese Saddam und Gaddafi hießen oder Assad… Jeder nur ein wenig der Realität verpflichtete westliche Politiker müsste – würde er (s)einem Gewissen folgen – angesichts dieser Bilanz zurücktreten. Doch die Verantwortlichen in den großartigen westlichen Demokratien feiern sich und werden medial gefeiert, da sie im Namen der von ihnen für den Westen reklamierten Menschenrechte zugelassen haben, dass die Existenzgrundlage von Millionen Menschen vernichtet wurde und sie Tod und Zerstörung ausgeliefert sind. Sie haben eine Massenflucht zu verantworten, die sie aber lange nur für Europa mit allen Mitteln einzudämmen versuchten. All das wird nicht nur im Nahen Osten auf lange Zeit unlösbare Folgen haben, sondern vor allem und nicht zuletzt auch für den afrikanischen Kontinent. Was sind das für Zustände, wenn ein dubioser Bundesgenosse des Westens, Saudi-Arabien, da ihm die Zustände im Nachbarland nicht passen, seine Luftwaffe losschickt? Dazu braucht es in der Tat kein UNO-Mandat mehr, sondern lediglich das Einverständnis der USA. Wer glaubt denn ernsthaft, dass Erdoğan ausgerechnet den IS bekämpfen will, wo eigentlich niemand übersehen kann, dass er sein „Kurdenproblem“ nicht nur im eigene Land lösen will – und zwar mit Gewalt. Und wenn dabei auch Assad gestürzt werden kann, umso besser. Das will Erdoğan schon lange und der Westen würde es ihm danken. Was überhaupt keine Rolle spielt, sind die Fehleinschätzungen der CIA und die Fehlentscheidungen westlicher Politik, angefangen mit Afghanistan, die dazu führten, den Bürgerkrieg unvermeidlich zu machen, oder die Planlosigkeit im Irakkrieg, die nach dem „Sieg“ den Irak in ein blutiges Chaos stürzte.72

Syrien und die westlichen Demokratien

Einen Diktator zu stürzen, ist legitim, aber nur dann, wenn das Ende einer Diktatur mit einem bewaffneten Volksaufstand erzwungen werden kann. Bevor die Rebellen 2011 in Syrien ihren Aufstand begannen, gab es vielerorts große Kundgebungen gegen das Assad-Regime. Von einem Volksaufstand im oben genannten Sinne konnte mit Beginn der Rebellion nicht mehr die Rede sein. Dagegen spricht wohl eindeutig, dass die einzige große Massenbewegung, die mit dem Aufstand ausgelöst wurde, die Flucht von Millionen Syrern vor dem Krieg wurde.73 Davon unbeeindruckt kämpften die Rebellen weiter. Sie konnten sich der militärischen vor allem mit massiven Waffenlieferungen und logistischen Unterstützung des Westens, also auch des Nato-Mitglieds Türkei, sowie Saudi-Arabiens sicher sein. Es wäre dringend notwendig, dass Journalisten, die sich mit diesem Konflikt beschäftigen, endlich auch darauf einzugehen bereit sind, dass relativ bald klar wurde, dass die Rebellen trotz aller Unterstützung offensichtlich zu keiner Zeit in der Lage waren, das Assad-Regime zu stürzen. Gestützt auf Alawiten und Kurden, konnte sich die syrische Armee behaupten, auch wenn große von Sunniten bewohnte Gebiete von den Rebellen kontrolliert wurden, bis „Isis“ und „Al-Nusra“ massiv in den Bürgerkrieg, der nur am Anfang wirklich einer war, eingriffen. Fünf Jahre förderten der Westen, die Türkei und Saudi-Arabien eine in ihrem Hauptziel ausdauernd erfolglose Rebellion – auch dann noch, als der IS sein mörderisches Kalifat errichtete. Es kann doch niemand darauf gesetzt haben, dass Assad freiwillig zurücktreten würde. Ganz gleich, wer auf Assads Sturz durch die Rebellen gesetzt hatte, jeder der dazu beigetragen hat, dass dieser Krieg nun schon über fünf furchtbare Jahre dauert, trägt auch Mitverantwortung für 280.000 Tote, 14 Millionen Flüchtlinge und alle Zerstörungen. Wer noch immer meint, dass der Sturz Assad all das rechtfertigen würde, ist ein Zyniker, zumal als sicher gelten kann, dass der Diktator Assad im Unterschied zu den anderen Diktatoren dieser Welt auch deshalb in den Fokus geriet, weil er den falschen Verbündeten hatte. Dass es in diesem Krieg um ein demokratisches Syrien ging, wollten die westlichen Politiker, wider besseres Wissen unbedingt glauben, weil es eine perfekte moralische Begründung lieferte.

1920 – zwei Mandatsmächte im Nahen Osten

Nachdem das Osmanische Reich vier Jahrhunderte lang bis in die Neuzeit über den arabischen Raum geherrscht hatte, begann in Europa der I. Weltkrieg. Das Osmanische Reich trat als Bündnispartner Deutschlands und Österreich-Ungarns in den Krieg ein. Britische Streitkräfte versuchten in dieser Region die Oberhand zu gewinnen, trafen allerdings auf harten Widerstand. Parallel dazu wurde versucht, die arabischen Stämme zum Aufstand gegen die osmanisch-türkische Herrschaft zu bewegen. Mit Kriegsende zerfiel schließlich das osmanische Reich. Bereits 1916 wurde zwischen Großbritannien und Frankreich ein Abkommen über die Neuordnung des arabischen Raums nach Kriegsende geschlossen, nach den beiden Unterhändlern „Sykes-Picot-Abkommen“ genannt. Danach wurde der arabische Raum – mit einer schnurgeraden Linie – in eine nördlich gelegene französische und eine südliche britische „Region“ aufgeteilt. Die in diesen Regionen neuzugründenden Staaten sollten ihre Unabhängigkeit nur dann bekommen, wenn sie eine Mandatsmacht, die vom Völkerbund an England und Frankreich vergeben wurde, akzeptierten. Nur Palästina wurde anfangs als internationales Mandatsgebiet festgelegt. Das britische Mandat galt für „Mesopotamien“, also den Irak, und für Palästina, das französische für Syrien und den Libanon. Den Kurden wurde kein eigener Staat zugebilligt.

In allen Staaten befanden sich Sunniten, Schiiten, Christen in unterschiedlichen Größenordnungen, dazu die Alawiten in Syrien. Die beiden Mandatsmächte setzten – man darf sagen ganz nach Kolonialherrenart – bei der Vergabe der politischen Macht auf die jeweiligen Minderheiten – im Irak auf die Sunniten, in Syrien auf die Alawiten – aus dem Kalkül heraus, dass solche „Minderheitsregierungen“ weit mehr auf die Mandatsmacht angewiesen wären. Es ist einerseits müßig, lange und ergebnislos darüber zu diskutieren, ob es eine bessere Entscheidung gegeben hätte; worauf man sich allerdings besinnen sollte, ist die Verantwortung, die in diesem Fall Großbritannien und Frankreich mit der Bildung dieser Staaten mit all ihrem Konfliktpotenzial damals übernommen haben. Ein derartiges Eingreifen – es ist gerade einmal 100 Jahre her – hatte unvermeidbar Einfluss auf die weitere Entwicklung dieser Region und bleibt im Gedächtnis der Menschen haften.

Der eigentlich letzte große Zugriff Großbritanniens und Frankreichs auf die islamische Welt vor 2003 erfolgte 1956, als der ägyptische Staatschef Nasser die Verstaatlichung des Suezkanals verkündete. Die Luftwaffe beider Länder flog zu schweren Bombenangriffen gegen Ägypten und zerstörte zahllose Schiffe, die sich auf der Wasserstraße befanden. Für Jahre war der Suezkanal unpassierbar. Ganz nach dem „Motto“: Wenn ihr uns den Kanal wegnehmt, sollt ihr auch nichts davon haben.“

Dass die Sykes-Picot-Linie nach kurzer Zeit zu „Makulatur“ wurde, weil Frankreich das zu Syrien gehörige Gebiet des heutigen Nordirak auf britischen Wunsch an deren Mandatsstaat Irak abtrat, sollte mit bedacht werden, weil damit die Kurden auf beide Staaten verteilt wurden, also mit den in der Türkei lebenden Kurden „dreigeteilt“ wurden. Und genauso wurden die sunnitischen Siedlungsgebiete geteilt; die einen erlebten unter Saddam den Aufstieg zur Macht, die anderen fanden sich schließlich in der Herrschaft des alawitischen Assad-Clans. Das vom IS verkündete „Kalifat“ liegt übrigens genau auf den damals getrennten Gebieten im Norden des Irak bis weit hinein nach Syrien.

Bemerkenswert aber keinesfalls überraschend ist, dass die ethnischreligiösen Faktoren des Syrien-Konflikts in den westlichen politischen Darstellungen ebenso wenig eine Rolle spielen wie die historische Rolle Frankreichs und Großbritanniens während der Staatsgründungen. Wenn es um Syrien geht, wird nahezu ausschließlich vom Diktator Assad und der syrischen Armee gesprochen, während die permanente Bedrohung der alawitischen Bevölkerung durch die sunnitischen Rebellen, den IS und „Al -Nusra“ so gut wie nie Erwähnung findet. Auch wenn die Bezeichnung „moderate“ Rebellen seltener geworden ist, wird an der Fiktion, dass die Aufständischen eine Demokratie schaffen wollen, festgehalten. Obwohl diese bis heute nicht eine Erklärung veröffentlicht haben, wie sie sich – im Falle ihres Sieges – das von ihnen dann regierte Syrien vorstellen, auch in Hinblick auf die entscheidende Frage, ob dieser Staat islamisch wird oder säkular bleibt. Es existiert dazu keine gemeinsame Plattform. Im Grunde genommen führt von den etwa 30 Rebellengruppen jede ihren eigenen Krieg, von Zweckbündnissen einmal abgesehen. Einige Formationen ziehen sich in Städte im Niemandsland zwischen der syrischen Armee und dem IS-Kalifat zurück, statt zu versuchen, gegen Damaskus vorzudringen. Sie machen die Bewohner dieser Städte zwangsläufig zu Geiseln. Die außerordentliche Härte dieses Krieges entsteht generell aus der existentiellen Bedrohung von Minderheiten, aber das gilt ebenso für die sunnitische Zivilbevölkerung; auch die alawitische Bevölkerung führt einen Krieg, um überleben zu können.

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22 aralık 2023
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9783960088219
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