Kitabı oku: «Wilhelm Raabe – Gesammelte Werke», sayfa 144

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So geht es wei­ter, im­mer wei­ter. Durch schmut­zi­ge, ver­wahr­los­te Dör­fer und Land­städ­te, durch wüs­te, men­schen­lee­re, ver­ru­fe­ne Ge­gen­den, wo je­des ein­sa­me Haus ei­ner Räu­ber­her­ber­ge gleicht. Aber auch durch große, volk­rei­che Städ­te voll bun­ten Le­bens und Ge­tüm­mels geht die Fahrt. Sel­ten hal­ten die Rei­sen­den an, um die Pfer­de zu füt­tern und ru­hen zu las­sen, noch sel­te­ner, um sich selbst zu er­qui­cken, um zu schla­fen. Im­mer fort, im­mer fort! Es stei­gen Ber­ge in der grau­en Fer­ne aus der Ebe­ne auf und ver­sin­ken wie­der, – dann stei­gen sie von neu­em em­por, nä­her und hö­her, aber ver­hüllt von Ne­bel und Re­gen. Nun führt der Weg durch große Wäl­der, bei de­ren Durch­zie­hen eine be­rit­te­ne Schutz­wa­che, wel­che die glim­men­den Lun­ten auf die Faust­röh­re ge­schro­ben hat und die Schwer­ter in den Schei­den ge­lo­ckert hält, den Wa­gen um­gibt. Hei­mat­lo­ses, ver­bre­che­ri­sches Ge­sin­del lau­ert hin­ter Busch und Baum, be­denk­li­che Schat­ten glei­ten zwi­schen den Stäm­men den Weg ent­lang, ein Arm­brust­bol­zen schwirrt ein­mal aus dem Ge­büsch und hef­tet sich in das Holz­werk des Wa­gens. Aber glück­lich ge­lan­gen die Rei­sen­den aus dem wil­den, »gna­den­lo­sen« Wal­de wie­der in das Freie, und in der Fer­ne ra­gen aber­mals die Tür­me ei­ner großen Stadt – ei­ner mäch­ti­gen Reichs­stadt. Bald ras­selt der Wa­gen durch das dunkle Tor.

»Je­sus, Ma­ria und Jo­seph, schüt­zet uns! Was ist da im Wer­ke?« ruft der Fuhr­mann ängst­lich.

Aus der Fer­ne, vom Stadt­markt her, kracht und knat­tert un­un­ter­bro­chen Ge­wehr­feu­er. Schwar­ze Rauch­wol­ken, von bren­nen­den Ge­bäu­den auf­stei­gend, wäl­zen sich über den trü­ben Him­mel. Von den Tür­men klin­gen die Sturm­glo­cken, be­waff­ne­te Hau­fen durch­zie­hen die Gas­sen, drin­gen ver­wüs­tend, zer­trüm­mernd mit Häm­mern, Äx­ten, Brech­ei­sen und sons­ti­gem Hand­werks­ge­rät in statt­li­che Häu­ser. Man trägt Tote und Ver­wun­de­te vor­über, Ban­ner der In­nun­gen schwe­ben über dem Ge­tüm­mel: auf Tod und Le­ben kämpft das Bür­ger­tum, das Ple­be­jer­tum ge­gen den Rat, ge­gen die Pa­tri­zi­er.

Aber nichts ver­mag die drei Rei­sen­den auf­zu­hal­ten; sie be­mer­ken kaum, was um sie her vor­geht, die eben ab­ge­spiel­te Tra­gö­die des deut­schen Städ­te­le­bens hat nicht den ge­rings­ten Sinn für sie. Auf Ne­ben­we­gen ge­lan­gen sie wie­der aus der auf­ruhr­vol­len Stadt her­aus, und aber­mals liegt für lan­ge, er­mü­den­de Tage der Weg vor ih­nen.

Aber end­lich däm­mert ein Abend, und das Ziel der Rei­se ist er­reicht!

Im Wes­ten liegt ein blut­ro­ter Streif auf dem Ho­ri­zont und deu­tet an, wo die Son­ne un­ter­ging. Aber­mals win­det sich die Stra­ße über eine kah­le Ebe­ne, vor­über an trost­lo­sen Was­ser­la­chen und grün­lich-fet­tig schim­mern­den Sümp­fen. Ver­krüp­pel­tes, strup­pich­tes Dor­nen­ge­büsch ist über die gan­ze Flä­che zer­streut; ein schwar­zes Fich­ten­ge­hölz um­gibt einen Hau­fen un­re­gel­mä­ßi­ger Ge­bäu­de, die wie­der­um von ei­ner ho­hen, al­ters­grau­en Mau­er um­zo­gen sind. Über die Gip­fel der Bäu­me und die lan­gen, an den Gie­be­len­den mit Kreu­zen ge­schmück­ten Dä­cher ragt ein ho­her, spit­zer, mit Schie­fer ge­deck­ter Kirch­turm.

An ei­nem ver­schlos­se­nen Tore, über wel­chem in ei­ner Mau­er­ni­sche ein Hei­li­gen­bild ver­wit­tert, hält der Wa­gen.

»Gott­lob, dass das vor­bei ist!« mur­melt der Fuhr­mann.

Der Jün­ge­re der Rei­sen­den steigt zu­erst aus dem Fuhr­werk, zieht einen Glo­cken­strang, und gel­lend er­tönt es in der Fer­ne. Nach ge­rau­mer Zeit öff­net sich dann eine Klap­pe in der Tür, und der Kopf ei­ner al­ten Frau, ei­ner Non­ne, er­scheint vor­sich­tig in der Öff­nung.

»Ge­lobt sei Je­sus Christ!« er­schallt der Gruß des jun­gen Frem­den.

»In Ewig­keit, Amen!« ant­wor­tet die Schwes­ter Pfört­ne­rin. »Was be­liebt euch, ihr Her­ren?«

Auch der Greis ist nun aus dem Wa­gen ge­stie­gen und führt sei­ne Beglei­te­rin, über de­ren Kör­per fort­wäh­ren­de Fie­ber­schau­er zu lau­fen schei­nen, mit sich ge­gen die Tür. Er ver­langt die Äb­tis­sin zu spre­chen; die Non­ne ver­schwin­det, die Klap­pe schließt sich wie­der und öff­net sich erst nach lan­gem Har­ren aber­mals, um die Nach­richt her­aus­zu­las­sen: man er­war­te die Wan­de­rer und bit­te den Meis­ter Be­ne­dic­tus Meyen­ber­ger mit sei­ner Beglei­te­rin ein­zu­tre­ten.

Die Tür er­schließt sich nun, und der Alte ver­schwin­det mit dem zit­tern­den jun­gen Wei­be hin­ter ihr. Der jün­ge­re Mann, frös­telnd in sei­nen Man­tel sich hül­lend, bleibt ne­ben dem Wa­gen und dem Fuhr­mann zu­rück. Tau­send wech­seln­de Emp­fin­dun­gen be­we­gen sei­ne Brust, wäh­rend er der Zu­rück­kunft des Al­ten war­tet. Und lan­ge, lan­ge Zeit muss er har­ren, und im­mer fins­te­rer wird sein Blick, und im­mer schmerz­haf­ter wer­den die Seuf­zer, wel­che sich sei­ner Brust ent­rin­gen. Der Abend wird dunk­ler und stür­mi­scher, ei­sig­kal­te Trop­fen schla­gen – wie­der ver­ein­zelt her­nie­der – – end­lich, end­lich öff­net sich die Tür und dreht sich krei­schend und knir­schend in ih­ren ver­ros­te­ten An­geln.

Wan­ken­den Schrit­tes, mit Trä­nen in den Au­gen, er­scheint der alte Mann auf der Schwel­le.

Er ist al­lein!

Nur die Schwes­ter Pfört­ne­rin ge­lei­tet ihn, dies­mal mit ei­ner La­ter­ne ver­se­hen.

In die Arme Si­mo­ne Spa­das fällt der Meis­ter Meyen­ber­ger – er weint laut auf, und der jun­ge Mann weint eben­falls – Faus­ta La Te­des­ca ist hin­ter den dun­keln, ho­hen Klos­ter­mau­ern zu­rück­ge­blie­ben – le­ben­dig be­gra­ben, dass sie Buße tue und ge­ret­tet wer­de für die Ewig­keit! …

Auf dem spit­zen Tur­me der Klos­ter­kir­che ruft die Glo­cke die geist­li­chen Jung­frau­en so­eben fei­er­lich zum Ge­bet; die Fens­ter der Kir­che, so­weit man sie über die Mau­er weg zu se­hen ver­mag, ha­ben sich er­hellt, der Ge­sang der Non­nen tönt an das Ohr der bei­den trau­ern­den Män­ner, wel­che einen Au­gen­blick noch stumm, mit ge­senk­ten Häup­tern lau­schen und dann wie­der in den Wa­gen stei­gen.

Dem Fuhr­mann wird ein Wink ge­ge­ben; er wen­det den Wa­gen und treibt die Pfer­de an. Das Fuhr­werk rollt in die Nacht da­von.

Der Wind wird zum Sturm, die Re­gen­trop­fen ver­wan­deln sich in schar­fe Eis­teil­chen – wie es heult und klagt und pfeift und grollt und lis­pelt und zischt um das ein­sa­me Klos­ter! Wie die Fens­ter er­k­lir­ren un­ter den Stö­ßen des Win­des! Wie der Sturm sich fängt in den lan­gen Kreuz­gän­gen; wie er dem lau­schen­den Ohr jetzt eine Stro­phe des trau­rig erns­ten Ge­san­ges der Non­nen ent­führt, jetzt eine an­de­re Stro­phe auf sei­nen Flü­geln de­sto kräf­ti­ger und klang­vol­ler her­trägt!

Und in ei­ner en­gen, öden, kal­ten Zel­le sitzt Faus­ta – Faus­ta, der Nacht­stern von Ve­ne­dig – Faus­ta, die Schö­ne, die Stol­ze, wel­che den Ti­zi­an un­ter ihre Be­wun­de­rer zähl­te – Faus­ta, la fal­sa Maga – Faus­ta, die gren­zen­los Elen­de!

Nicht mehr be­rei­ten ihr alle Küns­te des Ori­ents und des Ok­zi­dents das wol­lüs­ti­ge La­ger – nicht mehr har­ren Die­ner und Die­ne­rin­nen, nicht mehr vor­neh­me Ka­va­lie­re, be­rühm­te Dich­ter und Künst­ler ih­res Win­kes; macht­los, ge­fes­selt ist die klei­ne, fei­ne, wei­ße Hand, wel­che Ve­cel­li am liebs­ten sei­nen Göt­tin­nen und Hei­li­gen gab auf der Lein­wand! Ne­ben dem ärm­li­chen La­ger der ein­ge­schlos­se­nen Faus­ta steht ein Was­ser­krug, liegt ein har­tes schwar­zes Brot; eine blut­geröte­te Gei­ßel hängt von der Wand, die Gei­ßel, wo­mit die Vor­be­woh­ne­rin die­ser Zel­le sich zer­fleisch­te; auf dem roh­ge­zim­mer­ten Ge­bet­pult liegt ein To­ten­kopf ne­ben dem Ro­sen­kranz und Bre­via­ri­um und starrt aus sei­nen hoh­len Au­gen­höh­len die große Sün­de­rin – ma­gna pec­ca­trix – Faus­ta La Te­des­ca an! ……

Und – »Frei, frei, frei!« ruft Faus­ta La Te­des­ca und hebt die Arme und holt Atem aus vol­ler Brust, und drau­ßen wogt und wallt der sil­ber­ne Mond­ne­bel ma­gisch über den Ber­gen und Wäl­dern, Wie­sen und Hal­den von Pyr­mont, und in ih­rer schöns­ten Blü­te duf­tet und leuch­tet die deut­sche Som­mer­nacht.

Gleich ei­ner Ti­ge­rin schrei­tet das Mäd­chen hin und her auf der glän­zen­den Bahn, wel­che der Mond durch das Turm­ge­mach zieht. Mit ei­ner wil­den Be­we­gung wirft sie die schwar­zen Haar­flech­ten über den Na­cken zu­rück. Sie ballt die rech­te Hand:

»Frei, frei, frei! Wer will mich hal­ten in Ket­ten und Ban­den? Ohn­mäch­ti­ger Si­mo­ne!«

Sie lacht; aber schau­er­lich klingt das La­chen in der stil­len Nacht. Sie scheint selbst un­heim­lich da­durch be­rührt zu wer­den, hält in ih­rem Gan­ge inne, setzt sich nie­der auf das La­ger und stützt das fei­ne Kinn sin­nend mit der Hand.

Lan­ge sitzt sie so; der Mond ist hin­ter die Ber­ge ge­sun­ken, der Ne­bel hat sich dich­ter zu­sam­men­ge­zo­gen; das Frös­teln, wel­ches beim An­bruch des Ta­ges den, wel­cher die Nacht schlaf­los hin­brach­te, über­kommt, über­fällt auch die schö­ne Faus­ta.

Noch ein­mal springt sie em­por:

»Nie­mand, nie­mand soll mich fes­seln und hal­ten! Un­glück und Ver­der­ben de­nen, wel­che es ver­su­chen! Es ist wahr, un­ter ei­nem bö­sen Stern bin ich ge­bo­ren; aber es ist mein Stern, und er soll mich lei­ten. Und lei­tet er mich nicht gut? Und ver­wirrt und ver­nich­tet er nicht die, wel­che mich auf­hal­ten und mich ir­ren wol­len auf mei­nen We­gen? Ver­der­ben dir, Si­mo­ne von Bo­lo­gna! Ver­der­ben dir –«

Sie fährt zu­sam­men und spricht den zwei­ten Na­men, dem sie flucht, nicht aus. Aber­mals tritt sie an das Fens­ter.

Drau­ßen ist al­les grau und öde; al­ler Schein und al­les Licht ist er­lo­schen, der Ho­ri­zont hat sich ver­engt, die Ber­ge sind ver­hüllt, die ver­glim­men­den Feu­er des schla­fen­den Vol­kes um den hei­li­gen Born glei­chen fest­ge­bann­ten Irr­lich­tern auf ei­nem großen Kirch­ho­fe oder ei­nem eben be­gra­be­nen Schlacht­fel­de.

»O, du Herr die­ses Schlos­ses, o du Herr die­ses Lan­des, hüte dich! – Der arme Tor, der sich selbst nicht hü­ten konn­te, hat dich ge­warnt; aber es soll ihm und dir nichts hel­fen, Si­gnor Con­de. Mein sollst du wer­den, mein Skla­ve sollst du wer­den, Si­gnor Con­de; und den Fuß will ich dir auf den Na­cken set­zen, wie al­len an­de­ren. Da kommt der Mor­gen! Ges­tern noch glaub­te ich, ster­ben zu müs­sen, und heu­te – heu­te – ah, ich lebe noch, ich atme noch – wer fes­selt und hält die Faus­ta, die Glück­li­che? – Sie­gen will ich und die Son­ne se­hen, ich, Faus­ta, Faus­ta die Glück­li­che, und mein Stern möge über mir leuch­ten!« – – –

Im Os­ten leuch­te­te es rot über den Ber­gen, und als die sen­gen­de Son­ne des Jah­res fünf­zehn­hun­dert­sechs­und­fünf­zig ihre ers­ten Strah­len über das Tal von Pyr­mont sand­te und das La­ger des Vol­kes am hei­li­gen Born zu neu­em Le­ben er­wach­te, als alle Träu­me des Schlos­ses Pyr­mont zu ei­nem Ende ge­kom­men wa­ren, als Turm­wär­tel und Kel­ler­meis­ter sich den Schlaf aus den Au­gen ge­rie­ben hat­ten, als Frau Hed­wig von Bran­den­burg, ge­bo­re­ne Prin­zes­sin von Po­la­cki­en, Gott ge­dankt hat­te, dass ihr all­er­gnä­digs­ter Traum nur Traum ge­we­sen sei, als Fräu­lein Ur­su­la mit bei­den Fü­ßen aus dem Bett und in ihr sau­e­res Ta­ge­werk hin­ein­ge­sprun­gen war, als Fräu­lein Wal­burg, rot wie ein Rös­lein, er­wacht war mit ei­nem klei­nen Schrei über einen hüb­schen Schluss ih­res Trau­mes, als Phil­ipp von Spie­gel­berg seuf­zend sich wie­der­ge­fun­den hat­te im Licht des neu­en Ta­ges: schlum­mer­te Faus­ta La Te­des­ca tief und fest und träum­te nun selbst einen wirk­li­chen Traum.

In die Zu­kunft führ­te sie die­ser Traum, und ein Lä­cheln spiel­te um die Lip­pen der Schlä­fe­rin. Sie träum­te, dass sie frei sei, trotz­dem dass sie eine Ge­fan­ge­ne war auf dem Schloss Pyr­mont.

Achtes Kapitel

han­delt von Zau­be­rern, Zau­be­rin­nen und Ver­zau­ber­ten.

Es war ein gläu­bi­ges, un­gläu­bi­ges, aber­gläu­bi­ges Jahr­hun­dert, die­ses sech­zehn­te nach Chris­ti Ge­burt! Selbst in den auf­ge­klär­tes­ten, hells­ten Köp­fen schlan­gen sich Licht und Fins­ter­nis zu so selt­sa­mem Knäu­el zu­sam­men, dass man nie wis­sen konn­te, wel­che tol­len, fan­tas­ti­schen, ver­rück­ten oder – er­ha­be­nen Ge­dan­ken, Mei­nun­gen, Ta­ten im nächs­ten Au­gen­blick dar­aus em­por­schla­gen wür­den.

Das sie­de­te, koch­te, bro­del­te, warf Bla­sen, sprüh­te Fun­ken und flamm­te hier in leuch­ten­den, fan­tas­ma­go­ri­schen Far­ben­spie­len auf, um dort in tiefs­ter Fins­ter­nis zu ver­sin­ken! Das Ban­ner der re­li­gi­ösen Frei­heit wird auf­ge­wor­fen, die Ge­walt und Au­to­ri­tät des Paps­tes und sei­ne Macht, »zu bin­den und zu lö­sen im Him­mel und auf Er­den«, wird sieg­reich an­ge­grif­fen, die Recht­fer­ti­gung soll nicht mehr an das In­di­vi­du­um von au­ßen kom­men; aus dem Staub und Schutt der Jahr­tau­sen­de wühlt und gräbt man die Pracht der ver­sun­ke­nen an­ti­ken Welt ans Licht zu­rück und – er­rich­tet Schei­ter­hau­fen und ver­brennt He­xen. Ewig schö­ne Bil­der und Ge­dich­te wer­den ge­schaf­fen und – Volks­le­ben und Ge­sell­schaft sind da­bei fast in Tier­heit durch ro­he­s­te Ge­nuss­sucht ver­fal­len! – Es war die Zeit der großen Gä­rung, die Zeit des Zer­set­zungs­pro­zes­ses, der spä­ter sei­ne Kri­sis im Drei­ßig­jäh­ri­gen Krie­ge fand, in wel­chem der mor­sche Bau des Mit­tel­al­ters kra­chend zu­sam­men­brach, da­mit aus der Blut- und Schmutz­p­füt­ze, aus dem ge­bir­g­ho­hen Trüm­mer­hau­fen eine an­de­re Welt mit an­de­ren An­schau­un­gen sich er­he­ben kön­ne. – –

Das Trei­ben und We­sen um den hei­li­gen Born zu Pyr­mont war im klei­nen ein treu­es Bild je­ner Zeit, alle Ele­men­te der geis­ti­gen und kör­per­li­chen Le­bens­be­din­gun­gen des Jahr­hun­derts wir­bel­ten in dem ab­ge­le­ge­nen Wald­tal durch­ein­an­der und flos­sen zu­sam­men in ei­nem He­xensab­bat son­der­glei­chen.

Hin­ein in das bun­te Ge­wirr und Ge­wim­mel!

Müde und ab­ge­spannt er­wach­te Graf Phil­ipp von Pyr­mont aus sei­nem kur­z­en Schlum­mer und sei­nen bö­sen Träu­men. Schnell klei­de­te er sich an und stieg, nach­dem er sei­ne Lieb­lings­büch­se von der Wand ge­nom­men und sie über die Schul­ter ge­wor­fen hat­te, hin­ab in den Hof, um vor Son­nen­auf­gang die Küh­le zu ge­nie­ßen. Al­les schlief noch in­ner­halb der Ring­mau­er bis auf Klaus Ecken­bre­cher, wel­chem die bei­den spa­ni­schen Kro­nen des ita­lie­ni­schen Arz­tes das Blut noch viel zu un­ru­hig in den Adern her­um­trie­ben, als dass er es hät­te aus­hal­ten kön­nen auf sei­nem La­ger, Miss­mu­tig war er vor ei­ner hal­b­en Stun­de auf­ge­sprun­gen und hat­te aber­mals, der Er­fri­schung we­gen, den schwin­deln­den, wir­ren Kopf un­ter das spru­deln­de Lö­wen­maul des Schloss­brun­nens ge­steckt. Das hat­te et­was ge­hol­fen, aber nicht ganz. Jetzt war der Rei­ter be­schäf­tigt, sei­nen Sche­cken zu strie­geln und zu put­zen, wäh­rend die Ka­me­ra­den, die Wän­de ent­lang, ru­hig fort­schnarch­ten.

Wir ha­ben schon an­ge­deu­tet, dass mit un­serm Freund Klaus, seit ihn der Graf zu Pyr­mont un­ter sei­ne Rei­si­gen auf­ge­nom­men hat­te, eine güns­ti­ge Ver­än­de­rung vor­ge­gan­gen war. Die ho­hen Ha­cken der Reit­s­tie­feln er­höh­ten sei­nen Wuchs we­nigs­tens um zwei Zoll; der ei­ser­ne Hals­kra­gen, das Schwert, der spit­ze Hut, das Spie­gel­berg­sche Wap­pen auf dem Brust­stück des Kol­lers er­höh­ten sein Selbst­ge­fühl min­des­tens um das Dop­pel­te, und dass Klaus Ecken­bre­cher ein nicht ge­rin­ges Selbst­ge­fühl auch vor sei­ner Stan­des­ver­än­de­rung hat­te, wis­sen wir aus je­nem Ge­spräch mit dem Pas­tor Ficht­ner im Pfarr­gar­ten zu Holz­min­den. Sein größ­ter Kum­mer nach dem Tren­nungs­leid von sei­nem Schatz war, dass er es bis zu ei­nem »tür­ki­schen Kne­bel­bart« noch nicht hat­te brin­gen kön­nen. Üb­ri­gens muss­te man es dem Bur­schen las­sen: er war ein tüch­ti­ger, schmu­cker Rei­ter, und die Da­men des Schlos­ses wa­ren voll­stän­dig in ih­rem Rech­te, wenn sie ihn wohl lei­den moch­ten. Aber zu sei­ner Ehre kön­nen wir hier­mit ver­kün­di­gen, dass der Ge­dan­ke an die Mo­ni­ka ihn frei­lich von kei­ner Toll­heit, wohl aber von je­der Schlech­tig­keit fern­hielt, und das woll­te viel sa­gen in je­ner Zeit. Auch die Gunst des jun­gen Gra­fen, sei­nes Herrn, hat­te sich Klaus bald er­run­gen als ein wohl­be­fah­re­ner Schütz und Jä­ger. Bald hat­te er sich hei­misch ge­macht in den Wäl­dern von Pyr­mont wie frü­her im Sol­ling; bald ge­nug wuss­te er wohl Be­scheid zu Lüg­de, Holz­hau­sen, Östorf, Lö­wen­hau­sen und Tal; bald ge­nug kann­te er Weg und Steg weit und breit um­her, je­den Win­kel und Eck im Wald und Feld. Dass er aber Weg und Steg in der Graf­schaft und dar­über hin­aus so gut kann­te, das hat­te er nicht ganz al­lein den oft sehr ku­rio­sen Auf­trä­gen Herrn Phil­ipps von Spie­gel­berg und der Jagd zu ver­dan­ken, son­dern auch zum großen Teil ei­nem un­ab­weis­ba­ren Be­dürf­nis nach Ein­sam­keit. Eine Art von Heim­weh und Trüb­sinn über­fiel ihn dann und wann; manch­mal aus hei­term Him­mel, manch­mal be­grün­de­ter wie jetzt, wo sie ihn nach die­ser lus­ti­gen Nacht, in wel­cher er die Gold­kro­nen Si­mons von Bo­lo­gna auf so höchst vor­treff­li­che und nütz­li­che Wei­se los­ge­wor­den war, über­kom­men hat­te.

Zwi­schen den Zäh­nen brum­mend, sich selbst und die Welt mit den ab­son­der­lichs­ten Bei­wör­tern be­le­gend, war er eben be­schäf­tigt, sei­nem Gaul die Hu­fen zu put­zen, als sich die Tür­öff­nung des Stal­les durch den Ein­tritt des Gra­fen ver­dun­kel­te und der Schat­ten des­sel­ben über den nie­der­ge­beug­ten Rei­ter fiel.

Är­ger­lich blick­te die­ser auf, doch sänf­tig­ten sich sei­ne Ge­füh­le, als er sei­nen Herrn er­kann­te.

Auf ziem­lich form­lo­se Wei­se be­grüß­ten sich Herr und Die­ner; dann sag­te der ers­te­re:

»Lass den Gaul, Klaus, nimm dei­ne Büch­se und löse den Wald­mann und den Dachs­hund von der Ket­te; wir wol­len in den Wald, uns ein Maul voll fri­scher Luft zu ho­len, ehe die Son­ne kommt; ’s wird wie­der eine schö­ne Hit­ze wer­den auf den Tag.«

»Zu Be­fehl, Herr Graf!« sag­te Ecken­bre­cher, den Hut auf­stül­pend. Im nächs­ten Au­gen­blick war er samt dem höchst er­freu­ten Wald­mann und Dachs­hund be­reit.

Der Graf schritt vor­an; aus sei­ner Höh­le her­vor fuhr der schlaf­trun­ke­ne Tor­wär­ter, das Burg­tor zu öff­nen. Herr Phil­ipp trat mit sei­nem Knap­pen hin­aus auf den hei­li­gen An­ger.

»O du hei­li­ger Gott«, rief der Graf, beim Be­gin­ne sei­ner Wan­de­rung so­gleich ste­hen­blei­bend. »Ist’s mir nicht je­des Mal, wenn ich die Nase aus dem Loch ste­cke, als lie­fe mir eine Spin­ne dar­über oder ein al­tes Weib oder ein Mönch mir über den Weg? Halb zu Tode är­ge­re ich mich je­des Mal, wenn ich den Fuß über die Zug­brücke set­ze. Da schau nur, Bursch, wie das Volk un­sern Grund und Bo­den zu­rich­tet! Der böse Feind hat uns die Pla­ge über den Hals ge­sandt, und wenn ich für ge­wiss wüss­te, dass ich sie los­wür­de, wenn ich mich ihm ver­schrie­be, so tät ich’s, bei Gott, ich tät’s!«

Klaus Ecken­bre­cher zuck­te die Ach­seln:

»Ja, ’s ist wahr, Herr Graf zu Pyr­mont, sie tun viel Scha­den und zer­tram­peln al­les wie das Vieh; aber – aber, ’s ist doch ei­gent­lich eine gute Gabe und eine große Berühmt­heit.«

»Ich pfei­fe auf die Berühmt­heit! Pro­sit!« schrie der Graf in Wut. »Von Land und Leu­ten muss ich, wenn das also fort­geht. Kahl fres­sen sie mich wie die Rat­ten, und die hier drau­ßen sind noch lan­ge nicht die Al­ler­schlimms­ten.«

Klaus Ecken­bre­cher lä­chel­te schlau und zuck­te aber­mals die Ach­seln:

»Weiß, wen Ihr mei­net, gräf­li­che Gna­den; aber ich sag’s nicht!«

»Ich auch nicht – ’s hilft auch zu nichts«, brumm­te Herr Phil­ipp von Spie­gel­berg und schob das Ba­rett ein we­nig zur Sei­te, um sich be­que­mer am Hin­ter­kopf krat­zen zu kön­nen. Da­bei blick­te er böse über die Schul­ter nach dem Schlos­se zu­rück und seufz­te:

»Das weiß der lie­be Gott!«

Um sei­nen Är­ger nicht noch zu stei­gern und den schö­nen Mor­gen sich nicht noch mehr ver­der­ben zu las­sen, ver­mied er mit sei­nem Beglei­ter das La­ger um den hei­li­gen Born und ge­lang­te, in­dem er einen Bo­gen um die Zel­te, die Hüt­ten und das schla­fen­de Volk mach­te, un­ter die ers­ten, zer­streu­ten Bäu­me des Wal­des am Bom­berg. Hier at­me­te er frei­er auf, tat einen Sprung über we­nigs­tens drei Bü­sche und drang mit den lus­tig bel­len­den Hun­den und dem Ecken­bre­cher tiefer in das Ge­hölz ein. All­mäh­lich schwand nun das Ge­fühl von Be­klem­mung, wel­ches seit dem gest­ri­gen Abend auf ihm las­te­te, der letz­te Nach­hall des Spu­kes, den die ver­gan­ge­ne Nacht mit ihm ge­trie­ben hat­te, aus sei­ner See­le. Laut jauchz­te er auf in der Wal­des­fri­sche und wun­der­te sich im ge­hei­men, wie ihn die Er­schei­nung je­ner frem­den Maid so selt­sam hat­te er­schre­cken und er­re­gen kön­nen. Fest nahm er sich vor, nach sei­ner Rück­kehr ins Schloss so­gleich kur­z­en Pro­zess zu ma­chen und das Mäd­chen noch an die­sem sel­ben Mor­gen dem frem­den Arz­te, wel­cher doch wohl recht ha­ben konn­te, über die Gren­ze nach­zu­sen­den. Hal­lo! Hus­sa! Eif­rig folg­te der Graf der Spur ei­nes Wil­des, wel­ches die Hun­de auf­ge­scheucht hat­ten; aber das Ge­tier, längst ver­schüch­tert durch den un­ge­wohn­ten Lärm der letz­ten Zeit, ließ sich nicht mehr so leicht­lich über­ra­schen wie frü­her­hin; ab­ge­hetzt und schweiß­trie­fend muss­te Herr Phil­ipp die Jagd auf­ge­ben.

»Wes­halb das gute Was­ser nur nicht bei den sin­gen­den, be­ten­den, glo­cken­läu­ten­den Pa­der­born­schen Pfaf­fen auf­ge­sprun­gen ist?« rief er är­ger­lich. »De­nen wär’s ein ge­sun­des Fres­sen ge­we­sen! Die hät­ten es wahr­lich bes­ser brau­chen kön­nen als der Graf zu Pyr­mont! Die wür­den auf ihre Wei­se schon ge­sorgt ha­ben, dass sie kei­nen Scha­den da­bei lit­ten. Hoho, was ha­ben die Hun­de nun wie­der? Ich tue kei­nen Schritt mehr ih­nen nach. Ruf sie zu­rück; Klaus!«

»Sie wer­den einen Fuchs wit­tern«; sag­te Ecken­bre­cher und folg­te dem Gra­fen, wel­cher un­ge­ach­tet sei­nes letzt­aus­ge­spro­che­nen Vor­sat­zes be­reits dem Ge­bell nach­sprang.

Nach fünf Mi­nu­ten ge­lang­ten die bei­den jun­gen Män­ner auf eine klei­ne Wald­lich­tung, wo sich ih­ren Au­gen ein un­er­war­te­tes Schau­spiel dar­bot. Wü­tend um­kreis­ten die Hun­de ein klei­nes Zelt, wel­ches hier auf­ge­schla­gen war, und spran­gen schnap­pend ge­gen einen ält­li­chen Mann an, wel­cher sich ih­rer mit dem Kol­ben sei­ner Büch­se kaum er­weh­ren konn­te. Ein an­de­rer, jün­ge­rer Mann, mit lan­gem, schwar­zem Bart und ge­schlos­se­nen Au­gen, ge­klei­det in ein lan­ges, schwar­zes Ge­wand, wel­ches um die Hüf­ten durch einen feu­er­ro­ten Gür­tel zu­sam­men­ge­hal­ten wur­de, saß ru­hig un­ter dem Zelt und schi­en sich nicht im min­des­ten um den Kampf sei­nes Ge­fähr­ten zu küm­mern. Zwei Reit­pfer­de und ein Last­pferd wa­ren in der Nähe des Zel­tes an­ge­bun­den und be­nag­ten die her­ab­hän­gen­den Baum­zwei­ge.

Auf den Ruf ih­res Herrn lie­ßen die Hun­de von ih­ren An­grif­fen ab und zo­gen sich knur­rend hin­ter den Klaus zu­rück.

»Wer seid Ihr, und was treibt Ihr hier?« frag­te der Graf ziem­lich barsch, er­bost über die­se neue Beun­ru­hi­gung sei­nes Jagd­grun­des. »Wer gab Euch die Er­laub­nis, hier Euer La­ger auf­zu­schla­gen?«

»Und wer seid Ihr, dass Ihr sol­che Fra­gen auf so schnö­de Art stel­let?« frag­te der Mann un­ter dem Zel­te.

»Ei­ner, der Euch hän­gen kann, wenn es ihm be­liebt; Phil­ipp von Spie­gel­berg, der Graf zu Pyr­mont.«

Der Mann, wel­cher mit den Hun­den ge­kämpft hat­te, zog be­trof­fen den Hut ab und trat zu­rück. Der an­de­re Mann, wel­cher un­strei­tig der Herr war, er­hob sich.

»Ver­zei­het, gnä­di­ger Herr«, sprach er, in­dem er sich mit großer Wür­de ver­neig­te, »mein Die­ner hat einen ar­men, blin­den Mann zu schüt­zen. Ver­zei­het mei­ne Barsch­heit.«

»Rich­tig, er ist blind! Wie­der je­mand, wel­chem der hei­li­ge Born hel­fen soll!« mur­mel­te Klaus Ecken­bre­cher.

»Wie nen­net Ihr Euch?« frag­te der gut­mü­ti­ge Herr Phil­ipp, des­sen Zorn sich be­reits ge­legt hat­te.

»Si­mon, gnä­di­ger Herr.«

»Si­mon? Wie­der ein Si­mon? Gott schüt­ze uns! … Und was trei­bet Ihr? Wer seid Ihr?«

»Sie nen­nen mich Si­mon den Ma­gier. Ich bin ein Arzt!«

»Alle gu­ten Geis­ter – Klaus Ecken­bre­cher, ich gehe nicht mehr her­vor aus dem Schloss, ohne den Ka­plan auf den Fer­sen zu ha­ben. – Und was wollt Ihr hier, Meis­ter Si­mon?«

»Die Kran­ken hei­len, die Be­ses­se­nen be­frei­en, die Be­zau­ber­ten er­lö­sen! Der Herr hat mir große Macht ge­ge­ben.«

»Der Teu­fel mag Euch große Macht ge­ge­ben ha­ben!« brumm­te Klaus Ecken­bre­cher, der Skep­ti­ker, lei­se; aber des Blin­den schar­fes Ohr hat­te die Zwei­fel an sei­ner gött­li­chen Sen­dung doch ver­nom­men.

»Ich weiß nicht, wer Ihr seid, der da eben sprach: aber – ob vor­nehm oder ge­ring, hü­tet Eure Zun­ge! Der Herr liebt es nicht, dass man sei­ner Be­gna­de­ten spot­te.«

Klaus Ecken­bre­cher, wel­cher sich vor dem bö­sen Fein­de nicht ganz so sehr fürch­te­te wie ein Pro­fes­sor der Theo­lo­gie oder ein Ober­kon­sis­to­ri­al­rat des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts, tat einen Pfiff und woll­te eben ant­wor­ten, als ihm der Graf zu schwei­gen be­fahl.

»Und Ihr wollt auch, wei­ser Meis­ter Si­mon, Eue­re ge­hei­me Kunst zei­gen am hei­li­gen Born zu Pyr­mont?«

»Nicht mei­ne Kunst will ich der sünd­haf­ten Welt zei­gen, son­dern die Gnä­dig­keit des al­ler­höchs­ten Got­tes.«

»So will ich Euch nicht hin­dern. Aber ich selbst war­ne Euch nun, dass Ihr zu­schau­et, dass Euch ge­lehr­te und from­me Män­ner nicht des Teu­fels­diens­tes über­wei­sen. Hü­tet Euch, ein Holz­stoß ist bal­digst auf­ge­baut.«

»Ich wer­de mich hü­ten!« sprach der Blin­de, und ein un­merk­li­ches Lä­cheln um­spiel­te sei­ne Mund­win­kel.

»Stei­get also nie­der ins Tal! Ihr sollt mir will­kom­men sein«, sag­te der Graf. »Steigt her­nie­der, wir sind be­gie­rig, Eu­rer Kräf­te und Küns­te zu ge­nie­ßen.«

Si­mon der Ma­gier ver­beug­te sich tief, und der Graf zog sich mit sei­nem Beglei­ter zu­rück. Hät­te den bei­den die auf­ge­hen­de Son­ne nicht so wohl­tu­end und be­ru­hi­gend auf die Köp­fe ge­schie­nen, wer weiß, ob der Herr Graf zu Pyr­mont trotz sei­ner Rit­ter­lich­keit und Meis­ter Klaus Ecken­bre­cher trotz sei­ner Wa­ge­hal­sig­keit nicht ein lei­ses Frös­teln über den Kör­per und ein Krib­beln der Haa­re un­ter dem Ba­rett ge­spürt ha­ben wür­den. So aber eil­ten sie fes­ten Schrit­tes durch den Wald, den Berg hin­un­ter auf dem gra­des­ten Wege dem Schlos­se zu. Bald ge­lang­ten sie, aus dem Wal­de her­vor­tre­tend, zu den La­ger­stät­ten des Vol­kes, wel­che der Graf die­ses Mal nicht ver­mied, ob­gleich nun das le­ben­digs­te Le­ben über­all herrsch­te. De­mü­tig dräng­te sich das Volk mit ab­ge­zo­ge­nen Hü­ten und Müt­zen an den Weg des Grund­herrn und schiel­te nach ei­nem gnä­di­gen Blick oder ei­nem Al­mo­sen. Es er­hielt je­doch nichts von bei­den, son­dern der Graf schleu­der­te statt des­sen mit ei­ni­gen är­ger­li­chen Fuß­trit­ten ver­schie­de­nes Haus­ge­rät, Kör­be mit Le­bens­mit­teln, Plun­der und schrei­en­de Kin­der aus sei­nem Pfa­de fort und stieß sei­nen Büch­sen­kol­ben je­dem ihm be­geg­nen­den arg­lo­sen Hun­de so nach­drück­lich in die Rip­pen, dass die Bes­tie je­des Mal heu­lend da­von­flog.

Auf die­se Wei­se bahn­te er sich sei­nen Weg und war fast in die Mit­te des hei­li­gen An­gers ge­langt, als ihn ein neu­es Aben­teu­er auf­hielt. Zwi­schen dem ge­wöhn­li­chen Lärm und Tu­mult der Men­ge er­klang auf ein­mal ein durch­drin­gen­der Schrei, so un­ge­wöhn­lich, so schrill und herz­zer­rei­ßend, dass im nächs­ten Au­gen­blick sich die tiefs­te Stil­le über die drän­gen­den Hau­fen leg­te, dass je­des Ohr in Schre­cken horch­te, ob die­ser Schrei sich nicht wie­der­ho­len wer­de.

Wirk­lich er­klang er von neu­em, und dann ver­nahm man einen wun­der­li­chen, wild­frem­den Ge­sang, der in kur­z­en Ab­sät­zen von ei­nem gel­len, un­na­tür­li­chen Ge­läch­ter zer­ris­sen wur­de. Dann teil­te sich dicht vor dem Gra­fen scheu das Volk, ein krei­schen­des, sin­gen­des, la­chen­des Weib sprang her­vor und be­gann einen wil­den, wahn­sin­ni­gen Tanz. Ihre Au­gen roll­ten, ihre ge­lös­ten Haa­re flo­gen, der Schaum stand ihr vor dem Mund. Das Volk sah im höchs­ten Ent­set­zen dem schreck­li­chen Schau­spiel zu; der Graf und sein Rei­ter wuss­ten nichts Bes­se­res zu tun.

Jetzt tra­ten zwei Fran­zis­ka­ner­mön­che, ihre Kreu­ze in den Hän­den er­he­bend, vor die Tän­ze­rin hin, um den bö­sen Geist, von wel­chem sie die­sel­be be­ses­sen glaub­ten, als tap­fe­re geist­li­che Rit­ter zu ban­nen. Die Kru­zi­fi­xe hiel­ten sie ihr vor, Be­schwö­rungs­wor­te schri­en sie ihr zu.

»Hel­fet ihr! Hel­fet ihr!« rief das ent­setz­te Volk. »Se­het, se­het, es packt sie wie­der! O hel­fet ihr, hel­fet ihr!«

»Bei der hei­li­gen Drei­fal­tig­keit, bei den Ge­heim­nis­sen der Men­sch­wer­dung, bei der al­ler­se­ligs­ten Jung­frau«, brüll­te der eif­rigs­te der Bar­fü­ßer, »Sa­tan, ma­le­di­co te in ma­le­dic­ta tua arte! – ich ver­flu­che dich, Sa­tan, in dei­ner ver­fluch­ten Kunst! Fah­re aus, du höl­li­scher Gast, wel­cher du die­ses Weib mar­terst!«

Wie vom Blitz ge­trof­fen stürz­te plötz­lich das Weib nie­der und wand sich in Krämp­fen auf dem Bo­den. Der an­de­re Mönch knie­te ne­ben ihr nie­der und leg­te sein am Ro­sen­kranz be­fes­tig­tes Kreuz auf das Haupt der sich im Stau­be Win­den­den:

»Fah­re aus, aus, aus, o ir­re­ve­ren­dis­si­me et ir­re­li­gio­sis­si­me! Hebe dich von die­sem Wei­be, so du quä­lest!«

»Komm, Klaus, ich habe ge­nug da­von!« rief Herr Phil­ipp von Spie­gel­berg. »Komm fort, sie la­den mir sonst auch noch die­ses un­glück­li­che Ge­schöpf auf. Beim Teu­fel, das ist ein Se­gen, der auf mein ar­mes Land ge­fal­len ist! Aus dem Wege, wenn’s Euch be­liebt, aus dem Wege sag ich!«

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5251 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783962816056
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