Kitabı oku: «Wilhelm Raabe – Gesammelte Werke», sayfa 3

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Zweites Kapitel

Und die Erde dreh­te wie­der ein­mal ihre Ost­sei­te der Son­ne zu; die letz­te­re ging dem, was die Men­schen die Alte Welt nen­nen, auf, und wur­de es denn auf die­sem nicht mehr ganz un­ge­wöhn­li­chen Wege gott­lob auch in Eu­ro­pa von neu­em Tag. Mit der öst­li­chen Halb­ku­gel aber dreh­te sich das Städt­chen Nip­pen­burg, wel­ches je­den­falls recht an­er­ken­nens­wert war; denn wie je­des deut­sche Ge­mein­we­sen hielt es et­was auf sei­ne Selbst­stän­dig­keit und wuss­te sich sonst mit Hart­nä­ckig­keit auf sei­ner Stel­le, im al­ten Recht und Un­recht, zu be­haup­ten.

Der Non­nen­berg sank nach dem Ori­ent hin­über, die Son­ne blick­te von sei­nem ab­ge­plat­te­ten Gip­fel in den ger­ma­ni­schen Früh­ling, und je­der Vo­gel, wel­cher schon stun­den­lang vom Lich­te ge­sun­gen hat­te, konn­te sich nun­mehr be­ru­hig­ter an sein mun­te­res Ta­ge­werk be­ge­ben. Dass auch die Mensch­heit sich so­fort an ihr Ta­ge­werk be­gab, braucht in An­se­hung der un­end­li­chen Lust an der Tä­tig­keit, wel­che in ihr steckt, nicht erst ge­sagt zu wer­den; aber wich­tig ist es, zu wis­sen, dass auch das Dorf Bums­dorf, zwei­und­ei­nen­hal­ben Büch­sen­schuss west­lich von der Stadt Nip­pen­burg ge­le­gen, sich von der all­ge­mei­nen Be­we­gung nicht aus­schloss. Es war eben­falls ein Vo­gel­nest im Grün, die­ses Dorf Bums­dorf, aber we­ni­ger voll zwit­schern­der Me­lo­di­en als voll Ge­brumm und Ge­grunz, Ge­schnarr und Ge­knarr, Ge­quiek und Ge­quak, Ge­fluch und Ge­pfeif, Ge­ze­ter und Ge­jo­del, und die Son­ne be­schi­en hei­ter die Kir­che, das Pfarr­haus, den Guts­hof, das Wirts­haus und den Müh­len­teich, die Woh­nun­gen der Voll­spän­ner, Halb­spän­ner, Brink­sit­zer, Kot­sas­sen, Häus­lin­ge und An­bau­er und das Haus des pen­sio­nier­ten Steue­rin­spek­tors Ha­ge­bu­cher, ei­nes Man­nes, der sei­ner wohl­ver­dien­ten Ruhe in länd­lich sitt­li­cher Ab­ge­schie­den­heit, je­doch nicht gar zu ent­fernt von den An­nehm­lich­kei­ten des städ­ti­schen Le­bens, ge­noss. Der Storch klap­per­te auf dem Da­che des Steue­rin­spek­tors, die Schwal­be be­wohn­te un­ge­stört ihr Nest an sei­nen Mau­ern; den from­men Tau­ben war alle Ge­le­gen­heit zu ei­ner wün­schens­wer­ten Ver­meh­rung ge­bo­ten; über der Pfor­te stand der bib­li­sche Spruch: Ge­seg­net sei dein Ein­gang und Aus­gang – und hin­ter der Tür stand der di­cke Knüp­pel für un­ver­schäm­te Bet­tel­leu­te, Hand­werks­ge­sel­len und frem­de Hun­de; denn das Haus des Steue­rin­spek­tors war dicht an der Land­stra­ße ge­le­gen, und sei­ne Kü­chen­fens­ter wa­ren nur durch einen Gra­ben von der­sel­ben ge­trennt. Die Front des Hau­ses bil­de­te mit der Nip­pen­bur­ger Land­stra­ße einen rech­ten Win­kel, und auf drei Sei­ten war es von ei­nem nicht all­zu großen, aber wohl­ge­pfleg­ten Gar­ten mit Ge­mü­se­fel­dern, Blu­men­bee­ten, Grasp­lät­zen, Obst­bäu­men und drei Lau­ben um­ge­ben. Le­ben­di­ge He­cken und stel­len­wei­se ein höl­zer­nes Git­ter zo­gen die Gren­zen ge­gen die üb­ri­ge Welt.

Das Licht aus dem Fens­ter des Wohn­zim­mers im un­tern Stock­werk der Vor­der­sei­te und das Herd­feu­er aus den Kü­chen­fens­tern der rech­ten Ne­bensei­te war­fen im Som­mer wie im Win­ter einen gleich­be­hag­li­chen Schein in die Abend­däm­merung oder die schwar­ze Nacht. Der Dampf des Schorn­steins war so ap­pe­tit­lich wie ir­gend­ein Op­fer­rauch, der je zu der un­s­terb­li­chen Nase Je­ho­vas, Ju­pi­ters oder des Got­tes der spa­ni­schen In­qui­si­ti­on em­por­stieg, von wel­chen letz­tern kirch­lich-ku­li­na­ri­schen Dar­bie­tun­gen sich, bei­läu­fig ge­sagt, die schö­ne Re­dens­art her­schreibt, dass je­mand den Bra­ten rie­che. Tau­sen­de und aber Tau­sen­de von mü­den Wan­de­rern, die auf der Land­stra­ße an dem Hau­se des Steue­rin­spek­tors vor­über­ge­zo­gen wa­ren, hat­ten den Mann be­nei­det, wäh­rend der Win­ter­abend düs­te­rer her­ab­sank und die Schnee­wol­ken tiefer sich zur Erde senk­ten; wir aber be­nei­den ihn an die­sem Früh­lings­mor­gen, wel­cher auf die Heim­kehr sei­nes Soh­nes Leon­hard folg­te.

Hund und Kat­ze sonn­ten sich auf der Stein­bank vor dem Hau­se des Steue­rin­spek­tors, und der Steue­rin­spek­tor selbst rauch­te nach­denk­lich sei­ne Mor­gen­pfei­fe auf dem mit fei­nem Sand be­streu­ten Plat­ze zwi­schen sei­ner Tür und sei­nen Ro­sen­stö­cken. Die Steue­rin­spek­to­rin hielt die Hand über die Au­gen, um nicht von der Son­ne ge­blen­det zu wer­den, und sah nach den Fens­tern des obe­ren Stock­werks hin­auf. Fräu­lein Lina Ha­ge­bu­cher aber saß im In­nern des Hau­ses auf der Trep­pe, hielt die Hän­de im Scho­ße ge­fal­tet, still wie ein Mäu­schen, und be­weg­te in ih­rem Herz­chen alle Wun­der, die sich seit ges­tern Abend an ihr und dem Hau­se ih­rer El­tern er­füllt hat­ten. Es ist kei­ne Klei­nig­keit, wenn ein Bru­der, den man im Diens­te des Vi­ze­kö­nigs von Ägyp­ten ge­gen die Nu­bi­er ge­fal­len glaubt, von dem man aus frü­he­s­ten Kind­heits­jah­ren her nur noch eine sehr dunkle Erin­ne­rung hat und der all­mäh­lich in der Fan­ta­sie zu ei­nem sehr ro­man­ti­schen, mär­chen­haf­ten We­sen ge­wor­den ist, plötz­lich auf der Land­stra­ße von Nip­pen­burg her­an­wan­delt und, schlim­mer von Aus­se­hen als ein Zi­geu­ner, über die He­cke in die Geiß­blatt­lau­be guckt, nach dem Papa und der Mama fragt und dann ent­setz­lich ner­vös wird, un­ter lau­tem Schluch­zen sein In­ko­gni­to fal­len­lässt und Lina beim Hal­se nimmt und sie ab­küsst, wie es ihr noch nie pas­sier­te.

So war es ge­sche­hen, und Ni­ko­la von Ein­stein, das Ehren­fräu­lein aus der Re­si­denz, wel­ches sich auf dem Guts­ho­fe zum Be­su­che oder, wie es sag­te, »auf Ur­laub« be­fand, und So­phie und Min­chen, die bei­den Bums­dor­fer Rit­ter­fräu­lein, konn­ten es be­zeu­gen, denn sie wa­ren alle drei bei dem Vor­gan­ge zu­ge­gen und schri­en sämt­lich mit um Hil­fe. Der Papa und die Mama wa­ren im höchs­ten Schre­cken aus dem Hau­se her­vor­ge­stürzt, und Fräu­lein Ni­ko­la schrieb an dem­sel­ben Abend noch die gan­ze Ge­schich­te aus­führ­lich, ihre ei­ge­nen Ge­füh­le und die al­ler an­de­ren recht an­schau­lich schil­dernd, nach der Re­si­denz; – sie lang­weil­te sich ein klein we­nig bei ih­rer Milch- und Mol­ken­kur zu Bums­dorf und hat­te jetzt zum ers­ten Mal da­selbst et­was er­lebt, was des Be­rich­tens wert war.

Du klei­nes, flat­tern­des Herz auf der Trep­pe, nicht wahr, das war eine schlaflo­se Nacht? Hin­ter der dün­nen Wand schluchz­te die Mut­ter, und der Va­ter lief auf und ab bis zum ers­ten Hah­nen­schrei, und du, du wein­test und lach­test durch­ein­an­der und schweb­test in dem Mi­ra­kel von Mon­den­auf­gang bis Mon­den­un­ter­gang, um dann einen kur­z­en, un­ru­hi­gen, ängst­li­chen Traum da­von zu träu­men. Nun war es Mor­gen, die Son­ne war auf­ge­gan­gen, man brauch­te sich nicht mehr an der Nase zu zup­fen, um sich zu ver­ge­wis­sern, dass man wach sei und sei­ne fünf Sin­ne sämt­lich bei­ein­an­der­ha­be: die Ge­schich­te, wel­che Ni­ko­la nach der Re­si­denz schrieb, war zwei­fel­los wahr; die wil­den Moh­ren hat­ten den Bru­der Leon­hard nicht er­schla­gen – er war heim­ge­kehrt und schlief in der blau­en Stu­be. Die Welt und die Zeit hat­ten mit ei­nem Schla­ge sich ge­än­dert; nicht das Kleins­te er­schi­en mehr so, wie es ges­tern ge­we­sen war; je­der Ton, je­der Schim­mer und Schein hat­ten eine an­de­re Be­deu­tung, und doch, wenn Baum und Busch, der Gar­ten und das Feld über Nacht den grü­nen Rock aus- und einen blau­en an­ge­zo­gen hät­ten, so wäre das durch­aus von kei­ner Be­deu­tung und ganz und gar nicht merk­wür­dig ge­we­sen.

»Es ist in der Tat eine merk­wür­di­ge Ge­schich­te«, sprach aber der Va­ter Ha­ge­bu­cher, zum drei­zehn­ten­mal sei­ne Pfei­fe in Brand set­zend. »Man gibt sich alle Mühe, das Fak­tum mit Über­le­gung und Fas­sung zu be­han­deln; al­lein es will nicht ge­lin­gen. Mut­ter, nimm dich zu­sam­men und hal­te den Kopf oben; sei ver­nünf­tig und wirf ei­nem das Re­chenexem­pel nicht noch mehr durch­ein­an­der – heu­le nicht, Alte, dazu ist doch wahr­haf­tig kein Grund – der Jun­ge ist wie­der da, das ist je­den­falls ein Trost, den wir fürs ers­te si­cher ins Ha­ben schrei­ben kön­nen, das Wei­te­re muss sich ja­wohl all­mäh­lich fin­den.«

»Mein Kind, mein Kind, mein ar­mes Kind!« schluchz­te die Mut­ter. »Wie habe ich mich um ihn ge­härmt, und wie sieht er aus! Mein Kind ein Skla­ve – zwi­schen ei­nem Och­sen und ei­nem Ka­mel an einen Pflug ge­spannt! Und zehn Jah­re lang nichts zu es­sen als sau­re Ele­fan­ten­milch und spa­ni­schen Pfef­fer. O mein ver­lo­re­nes Kind, mein Leon­hard! Mein Kind ein schwar­zer Sklav, ich fas­se es nicht, ich fas­se es nicht! Und dass wir ihn wie­der­ha­ben, dass er oben in sei­nem Bett liegt, dass wir hier mit dem Kaf­fee auf ihn war­ten, das kann ich, Gott mag es mir ver­zei­hen, noch we­ni­ger fas­sen.«

»Kon­fus müss­te es den Bes­ten ma­chen; na, nur Ruhe, Ruhe; was hilft das Ge­zap­pel, es kommt al­les zu ei­nem Fa­zit«, brumm­te der Steue­rin­spek­tor. »Ad­die­ren und sub­tra­hie­ren kön­nen ist zu­letzt doch die Haupt­sa­che, und die Kunst hat noch kei­nen Men­schen im Stich ge­las­sen, man muss sie nur rich­tig an­zu­wen­den wis­sen. Gu­ten Mor­gen, Herr von Bums­dorf – ja­wohl, es ist so – wir ha­ben ihn wie­der – er ist heim­ge­kom­men.«

»Gra­tu­lie­re, gra­tu­lie­re von Her­zen!« rief der Rit­ter, sich hal­b­en Lei­bes über den Zaun leh­nend. »Aber sa­gen Sie, In­spek­tor, trägt er denn wirk­lich einen Ring in der Nase?«

»Gott­lob, das doch nicht!« rief die Mut­ter ent­rüs­tet. »Schlimm ge­nug ist’s mit dem ar­men Kin­de, aber einen sol­chen Jam­mer hat uns doch der Herr gnä­dig er­spart.«

»Das Frau­en­zim­mer aus der Re­si­denz lügt wie ge­druckt und verdirbt mir mei­ne Mäd­chen dazu in Grund und Bo­den«, sprach der Herr vom Hofe. »Ich bit­te ganz ge­hor­samst um Ver­zei­hung, Frau In­spek­to­rin – also ist die Ge­schich­te von der grü­nen und gel­ben Tä­to­wie­rung na­tür­lich –«

»Auch er­lo­gen!« schloss die Mama. »Schi­cken Sie mir nur Fräu­lein Ni­ko­la, Herr von Bums­dorf; ich wer­de ihr mei­ne Mei­nung sa­gen. Das arme Kind, als ob es nicht schon ge­nug un­ter den Moh­ren und Hei­den er­dul­det hät­te.«

»Die gan­ze Ge­gend auf sechs Mei­len in der Run­de schlägt einen Pur­zel­baum über die­se Ge­schich­te!« rief jetzt der Rit­ter von Bums­dorf im hel­len En­thu­si­as­mus. »So et­was ist ja noch gar nicht da­ge­we­sen; kein Mensch hat es für mög­lich ge­hal­ten, das geht über alle Zei­tungs­blät­ter und Ro­man­ge­schich­ten von Eduard und Ku­ni­gun­de, über den Ge­hörn­ten Sieg­fried, die Gar­ten­lau­be und den gan­zen Alex­an­der Du­mas. Ha­ge­bu­cher, al­ter Freund, Sie sind ein glück­li­cher Pa­tron, und wenn es Ih­nen an­steht, so ver­tau­sche ich auf der Stel­le mei­nen Leut­nant ge­gen Ihren Afri­ka­ner.«

»Wir ha­ben bei­de in die­ser Hin­sicht das Fa­zit noch nicht ge­zo­gen, Herr von Bums­dorf«, sag­te der Steue­rin­spek­tor. »Dass der Jun­ge aber wie­der da ist, ist frei­lich ein gu­tes Ding, schon der Al­ten we­gen. Wir ha­ben böse Näch­te durch­lebt die­se Jah­re durch; aber wer kann sa­gen, was wir an­jet­zo zu­rück­emp­fan­gen ha­ben? Nun, wir wol­len den an­ge­neh­men Mor­gen dank­bar­lichst ge­nie­ßen; es ist ge­wiss­lich eine große Freu­de, wenn auch eine große Ver­wir­rung, eine merk­wür­di­ge Kon­fu­si­on. Da ge­hen alle vier Spe­zi­es durch­ein­an­der, dass es ei­nem vor den Au­gen schwimmt; wenn das Exem­pel Kopf und Fuß ha­ben wird, so wol­len wir wei­ter da­von spre­chen.«

»Es ist wahr«, sprach der Rit­ter, »man weiß nie­mals, wie Petz nach Hau­se kommt. Mein Leut­nant hat mir auch häu­fig ge­nug das Gau­di­um am Wie­der­se­hen raf­fi­niert ver­dor­ben. Na, man wird ja schon se­hen, was man er­le­ben soll, In­spek­tor; – je­den­falls wün­sche ich im­mer wie­der aus vol­lem Her­zen Glück, und ich den­ke, es weiß ein je­der, wie ich es mei­ne.«

»Ja, das wis­sen wir«, sag­te die Mut­ter Leon­hards, und dann ging der Rit­ter von Bums­dorf, sei­ne Rog­gen­fel­der zu be­se­hen, und über­ließ die Fa­mi­lie Ha­ge­bu­cher ih­rer Auf­re­gung und zit­tern­den Un­ru­he. Der Steue­rin­spek­tor gab es auf, sei­ne Pfei­fe im Bran­de zu er­hal­ten, er setz­te sie fort und trug sei­ne »Ir­ri­ta­ti­on« zu sei­nen Spar­gel­bee­ten, die Mut­ter trug ihr klop­fen­des Herz in das Haus, und Lina mach­te ihr ne­ben sich Platz auf der Trep­pen­stu­fe, und bei­de wa­ren über­zeugt, nie in ih­rem Le­ben auf sol­che Wei­se ge­horcht und so viel, so viel durch­ein­an­der­ge­dacht zu ha­ben. Wir aber, in­dem wir den selt­sa­men Wan­de­rer, des­sen Spur wir in Leip­zig ver­lo­ren und den wir in Bums­dorf wie­der­ge­fun­den ha­ben, um die­ses Lau­schen und Ge­dan­ken­spiel auf der Trep­pe sehr be­nei­den, wen­den uns zu ihm sel­ber.

Er lag selbst­ver­ständ­lich noch im Bet­te, und man braucht eben nicht gleich­falls aus der Ge­fan­gen­schaft im Tu­mur­kie­lan­de zu­rück­ge­kehrt zu sein, um sich mit Ge­nau­ig­keit in sei­ne Ge­füh­le und Stim­mun­gen ver­set­zen zu kön­nen. Epi­me­ni­des, die sie­ben Brü­der von Ephe­sus, wel­che un­ter der Re­gie­rung des Kai­sers De­ci­us in die Höh­le gin­gen und un­ter der Re­gie­rung des Kai­sers Theo­do­si­us, ein­hun­dert­fünf­und­fünf­zig Jah­re spä­ter, wie­der her­aus­ka­men, und zu­letzt Meis­ter Rip van Winkle ha­ben uns längst be­fä­higt, ihm in al­len sei­nen Emp­fin­dun­gen ge­recht zu wer­den.

Er lag auf dem Rücken und hat­te bei­de Hän­de un­ter den Hin­ter­kopf ge­scho­ben; er schnarch­te, und Mut­ter und Schwes­ter hör­ten ihn schnar­chen. Jetzt zuck­te er, wie von ei­nem elek­tri­schen Fun­ken ge­trof­fen, und fuhr jäh­lings em­por, mei­nungs­los, halb er­schreckt um sich her­star­rend – mit ei­nem Seuf­zer sank er zu­rück und sah zwei­felnd, ohne sich zu be­we­gen, auf den von der Son­ne durch­strahl­ten Fens­ter­vor­hang. Eine Ah­nung ging ihm auf, wo er sich be­fin­de, und all­mäh­lich, ganz all­mäh­lich wur­de die­se Ah­nung zur si­chers­ten Ge­wiss­heit, und die Furcht, den Dä­mo­nen der Nacht wie­der ein­mal zum Spiel­zeug ge­dient zu ha­ben, ver­schwand nach und nach; die Lip­pen zit­ter­ten, und es ging et­was über das ver­wil­der­te Ge­sicht, über die be­narb­te Stirn, was nichts mehr mit dem Kö­nig­reich Dar-Fur zu tun hat­te. Leon­hard Ha­ge­bu­cher hat­te sich auf­ge­rich­tet und horch­te und rief dann:

»Mein Gott, da sind ja wie­der ein­mal die Erd­flö­he dem Al­ten über das jun­ge Ge­mü­se ge­ra­ten! Mein Gott, mein Gott!«

Und dann sank er wie­der zu­rück und leg­te bei­de Hän­de auf das ge­schwärz­te Ge­sicht, und dann – dann hat er ge­weint, trotz­dem dass er ein star­ker Mann und nahe an sechs Fuß hoch war und mehr er­lebt hat­te als das gan­ze Dorf Bums­dorf und die Stadt Nip­pen­burg dazu.

Ges­tern wa­ren es Abu Tel­fan, die schwar­zen Freun­de mit der Peit­sche aus der Haut des Rhi­no­ze­ros, Mos­ki­tos, Rie­sen­schlan­gen, Kopfab­ha­cken, Bauch­auf­schnei­den, Sumpf­fie­ber, Af­fen- und Galla­ne­ger-Bra­ten. Heu­te hieß es Bums­dorf, El­tern­haus, deut­sches Kaf­fee­bren­nen, deut­scher West­wind – Spat­zen – Schlaf­rock und Pan­tof­feln, das war der Un­ter­schied!

Drau­ßen auf der Trep­pe flüs­ter­te Lina:

»Horch, Mama, er regt sich, er ist er­wacht!«

Und bei­de dum­me Din­ger er­ho­ben sich schwin­delnd und kratz­ten an der Kam­mer­tü­re und rie­fen zwi­schen La­chen und Wei­nen: »Gu­ten Mor­gen, Leon­hard!« Und Leon­hard rief et­was ganz Ähn­li­ches zu­rück, hin­zu­fü­gend, dass er in fünf Mi­nu­ten bei ih­nen sein wer­de. Da­rauf war es, als sei in die­ser ver­flos­se­nen Nacht ein neu­es Volks­lied in ei­nem der Schwal­ben­nes­ter un­ter dem Dachran­de ge­bo­ren wor­den und neh­me jetzt sei­nen Flug in die Welt hin­aus – es war aber nur Fräu­lein Lina Ha­ge­bu­cher, wel­che sin­gend die Trep­pe hin­un­ter- und hin­aus in den Gar­ten sprang und ih­ren Va­ter an den Schö­ßen sei­nes Schlafrocks aus sei­nen Erb­sen­fel­dern her­vor­zog.

»Er wird so­gleich kom­men, er wird so­gleich hier sein!«

»Schön!« sprach der Alte, die Bril­le zu­recht­rückend. »Es soll mich wun­dern, wie er bei Ta­ges­licht aus­sieht; ges­tern in der Abend­däm­merung und beim Lam­pen­schein – nun, wir wol­len se­hen.«

»Das wol­len wir, Papa!« rief Lina und rich­te­te sich mit glän­zen­den Au­gen em­por.

»Er­wacht, er­wacht, er­wacht!« rief Leon­hard, sei­ne Mut­ter un­ter der Haus­tür in die Arme schlie­ßend und sie küs­send, gra­de un­ter dem al­ten wa­cke­ren Wor­te: Ge­seg­net sei dein Ein­gang und dein Aus­gang.

Drittes Kapitel

Mei­len­weit ins deut­sche Land hin­ein stell­te sich die Um­ge­bung von Bums­dorf auf die Ze­hen, um gleich dem Frei­herrn von Bums­dorf über die He­cken in den Gar­ten des Steue­rin­spek­tors Ha­ge­bu­cher zu gu­cken. Na­tür­lich wur­de der ku­rio­se Fall auf die ver­schie­dens­te Wei­se an­ge­se­hen; denn je nach Al­ter, Ge­schlecht und Stand ist der Ge­sichts­punkt des Men­schen ein an­de­rer, und man schlägt nicht auf eine und die­sel­be Art die Hän­de über dem Kop­fe zu­sam­men. Zu den selt­sams­ten Mün­zen wur­de das Ding aus­ge­prägt und in Um­lauf ge­setzt. In den Ge­richts­stu­ben und in den Wo­chen­stu­ben, auf dem Mark­te und in den Gas­sen, in der Wirts­stu­be und in dem lan­gen Trau­er­zu­ge, wel­cher dem so­eben ver­stor­be­nen, uns je­doch sonst wei­ter nicht in­ter­es­sie­ren­den Nip­pen­bur­ger das Ge­leit zum Kirch­hof gab, wur­de von dem Mann aus dem Tu­mur­kie­lan­de ge­spro­chen. Un­se­re Auf­ga­be aber ist es, vor al­len Din­gen Herrn Leon­hard Ha­ge­bu­cher selbst zu hö­ren und dann erst der Welt das Wort zu ge­ben und den be­hag­li­chen oder un­be­hag­li­chen Ein­druck ih­rer Mei­nung auf den heim­ge­kehr­ten Aben­teu­rer in Be­tracht zu zie­hen.

Also sprach Leon­hard Ha­ge­bu­cher zu sei­nen El­tern und sei­ner Schwes­ter und »tat be­deu­tend den Mund auf«, wie es in Her­mann und Do­ro­thea ge­schrie­ben steht, wo­bei je­doch noch zu be­mer­ken ist, dass die Er­zäh­lung nicht un­un­ter­bro­chen fort­lief, son­dern, durch al­les, was na­tur­ge­mäß einen sol­chen Be­richt ver­zö­gern und von der gra­den Stra­ße ab­drän­gen muss, auf­ge­hal­ten, nach al­tem Recht des Zu­hö­rers und des Er­zäh­lers selbst im hüp­fen­den Zick­zack vor­schritt und sich durch Tage und Wo­chen rin­gelnd hin­schlepp­te.

»Sel­ten mag wohl ei­nem Men­schen eine so güns­ti­ge Ge­le­gen­heit, über sei­ne Sün­den und Las­ter nach­zu­den­ken und sie zu be­reu­en, ge­ge­ben wer­den, wie sie mir, ganz und gar ge­gen mei­nen Wil­len, zu­teil ge­wor­den ist, und da ihr mich wie­der in eu­rer Mit­te auf­ge­nom­men habt, ohne die al­ten Zer­würf­nis­se von neu­em auf­zu­fri­schen, so will auch ich so we­nig als mög­lich Wor­te über das ver­lie­ren, was ihr bei­den Al­ten zur Ge­nü­ge kennt und was das Schwes­ter­lein gott­lob nicht wei­ter kränkt. Ein re­le­gier­ter Stu­dio­sus der Theo­lo­gie konn­te wahr­lich kein Mann für den lie­ben Papa sein, und auch ich habe heu­te nichts mehr dazu zu sa­gen und wer­de jetzt ge­wiss kei­ne Un­ter­su­chung mehr an­stel­len, ob je­nem Schlä­ger, wel­cher die­se Schmar­re hier über die Nase und je­nen Strich durch alle Hoff­nun­gen, Er­war­tun­gen, Voraus­set­zun­gen der Fa­mi­lie Ha­ge­bu­cher in be­treff mei­ner leicht­sin­ni­gen In­di­vi­dua­li­tät zog, in ir­gend­ei­ner an­stän­di­gen Wei­se aus­ge­wi­chen wer­den konn­te. Ich weiß nicht, wel­che Fee von der Mama nicht zu mei­ner Tau­fe ein­ge­la­den wur­de, aber das weiß ich, dass sie mich die­sen Ver­stoß ge­gen die Höf­lich­keit und den all­ge­mei­nen An­stand schwer hat bü­ßen las­sen. Ich bin in einen Schlaf ge­fal­len wie die Prin­zeß Dorn­rös­chen, aber es war ein Schlaf voll sehr un­an­ge­neh­mer, är­ger­li­cher Träu­me, und durch einen Kuss wur­de ich auch nicht ge­weckt. Es liegt ein Da­sein, wel­ches nicht zu be­schrei­ben ist, zwi­schen der heu­ti­gen Stun­de und dem Jah­re acht­zehn­hun­dert­fünf­und­vier­zig. Es ist et­was gleich der Wir­kung ei­nes Schla­ges vor die Stirn; oder noch bes­ser – die Brigg schei­ter­te, und zer­schun­den und zer­schla­gen rich­te ich mich am Stran­de auf mit ei­nem dump­fen Be­wusst­sein von der Bran­dung, ei­nem Um­her­grei­fen nach Mast­trüm­mern und Plan­ken, ei­nem Rit­te auf ei­ner lee­ren Was­ser­ton­ne und der­glei­chen halb un­will­kür­li­chem Kampf mit der Ge­walt und Macht des Ozeans. Ich habe eine un­kla­re Erin­ne­rung, dass ich mei­ne Fä­hig­kei­ten in Hin­sicht auf die ma­the­ma­ti­schen Wis­sen­schaf­ten und neu­ern Spra­chen in den Zei­tun­gen dem Pub­li­kum rühm­te, dass ich den Ver­such mach­te, als Leh­rer ei­ner Pri­va­ter­zie­hungs­an­stalt mein Schick­sal zu er­fül­len, dass ich als Poet mich in Ge­le­gen­heits­ge­dich­ten und Wich­se­an­non­cen ver­such­te, je­doch we­der durch das eine noch das an­de­re den Lor­beer we­der zu noch in der Sup­pe er­hielt. Aus Ita­li­en habe ich mehr­fach nach Bums­dorf ge­schrie­ben und Nach­richt über mei­ne Zu­stän­de ge­ge­ben. Ich war Kom­mis­sio­när ei­nes großen Ho­tels in Ve­ne­dig, ich war Kam­mer­die­ner ei­ner bel­gi­schen Emi­nenz in Rom, und in Nea­pel leb­te ich nach der Ge­le­gen­heit des Or­tes harm­los, be­hag­lich, frei, ein Laz­zaro­ne und ein Gent­le­man, und habe es dem Fa­tum kaum Dank zu wis­sen, als es mich die­ser pa­ra­die­si­schen Exis­tenz ent­riss und mich Hals über Kopf in die ver­fäng­li­che Welt­fra­ge der Durch­ste­chung der Landen­ge von Suez warf. Wenn ich, wie lei­der nicht ge­leug­net wer­den kann, ein ziem­lich un­re­pu­tier­li­cher, va­ga­bon­den­haf­ter Ge­sell ge­we­sen war, so gab mir nun­mehr der Zu­fall Ge­le­gen­heit, mei­nen lie­ben El­tern und dem, was un­serei­ner hier in Deutsch­land sein Va­ter­land nennt, alle Ehre zu ma­chen. Als Se­kre­tär des Se­kre­tärs des Mon­sieur Linant-Bey, Obe­r­in­ge­nieurs Sei­ner Ho­heit des Vi­ze­kö­nigs von Ägyp­ten, wel­cher da­mals, das heißt im Jah­re acht­zehn­hun­dert­sie­ben­und­vier­zig, im Kon­trakt­ver­hält­nis­se mit Sei­ner Ma­je­stät dem Kö­nig der Fran­zo­sen un­ter­su­chen ließ, ob in der Tat das Rote Meer drei­ßig Fuß hö­her lie­ge als das Mit­tel­län­di­sche, hat­te ich das Ver­gnü­gen, das In­ter­es­se mei­ner vier­zig Mil­lio­nen Lands­leu­te in die­ser Fra­ge wür­dig ver­tre­ten zu kön­nen. Die Eng­län­der und Fran­zo­sen schick­ten Fre­gat­ten, Di­plo­ma­ten und Ru­del von Ge­lehr­ten, der deut­sche Ge­ni­us sand­te mich, was je­den­falls in alle Ewig­keit ein glän­zen­der Ruhm für Nip­pen­burg und Bums­dorf blei­ben wird. ›Schwin­del!‹ grunz­te John Bull, wel­chem we­nig oder nichts an dem Gra­ben ge­le­gen ist. ›Wel­this­to­ri­sche Idee!‹ kreisch­te Ro­bert Ma­caire, dem be­kannt­lich die mer mé­di­ter­ranée von der Vor­se­hung zum Ei­gen­tum und Wasch­be­cken über­wie­sen wur­de; und die Ni­vel­le­ments­ex­pe­di­ti­on un­ter den Her­ren Linant-Bey und Bour­da­loue be­gab sich mit Ei­fer ans Werk, um die Eng­län­der ad ab­sur­dum zu füh­ren. Im In­ter­es­se der deut­schen Bun­des­stadt Triest, des ge­sun­den Men­schen­ver­stan­des und mei­ner ei­ge­nen Stel­lung schlug ich mich na­tür­lich auf die Sei­te Frank­reichs und des Ma­me­lu­cken­zi­vi­li­sa­teurs Me­he­med Ali. Recht ver­gnüg­lich rich­te­ten wir uns im San­de zwi­schen Pe­lu­si­um und Suez ein, trab­ten mit Mess­ket­ten und Stan­gen, mit Di­opter­li­ne­a­len, Qua­dran­ten, Sex­tan­ten und Bus­so­len hin und her, rech­ne­ten und ma­ßen, dass uns der Kopf schwitz­te, und wech­sel­ten eben­so häu­fig un­se­re Haut als un­ser Hemd un­ter dem Ein­flus­se die­ser wohl­mei­nen­den ägyp­ti­schen Son­ne. Da­zwi­schen re­di­gier­ten wir Zei­tungs­ar­ti­kel für alle mög­li­chen eu­ro­päi­schen und au­ßer­eu­ro­päi­schen Blät­ter, um nicht nur den Kanal, son­dern auch die öf­fent­li­che Mei­nung in das rech­te Bett zu lei­ten; und da es mir ge­ge­ben wur­de, dass ich in man­cher­lei Zun­gen mich ver­ständ­lich ma­chen kann, so stieg ich all­mäh­lich sehr in der Ach­tung mei­ner Ar­beits­ge­ber, was ich üb­ri­gens da­mals pflicht­ge­mäß nach Bums­dorf ge­mel­det habe. Aber ge­gen das Ende des Jah­res sie­ben­und­vier­zig wa­ren un­se­re Un­ter­su­chun­gen lei­der schon be­en­det, und Mon­sieur Pau­lin Tala­bot, der Prä­si­dent der So­ciété d’Étu­des du canal de Suez, wel­cher ru­hig und be­quem da­heim in Pa­ris ge­blie­ben war, pu­bli­zier­te das Re­sul­tat zum größ­ten Är­ger der Re­gie­rung Ih­rer Ma­je­stät der Kö­ni­gin Vik­to­ria. Die alte zim­per­li­che Exjung­fer Eu­ro­pa saß wie­der be­ru­higt in der Über­zeu­gung, dass eine Durch­gra­bung der viel­be­spro­che­nen Landen­ge ihr nicht jene von groß­bri­tan­ni­scher Sei­te an­ge­droh­te Über­schwem­mung be­deu­te; – John Bull fühl­te sich sehr auf den Mund ge­schla­gen, denn der In­di­sche Ozean drück­te mit höchs­tens zwei Fuß Über­ge­wicht auf das mit­tel­län­di­sche Ge­wäs­ser, ja zur Zeit der tiefs­ten Ebbe steht so­gar das Meer bei Ti­neh um an­dert­halb Pa­ri­ser Fuß hö­her als die Was­ser bei Suez. Der Kanal war zu ei­nem un­ab­weis­ba­ren Be­dürf­nis und ein Kon­trakt mit Sei­ner ägyp­ti­schen Ho­heit in be­treff der Lie­fe­rung von fünf­zig­tau­send Fel­lah­le­ben zu ei­ner bren­nen­den Not­wen­dig­keit ge­wor­den. Mit großem Tri­umph wa­ren die Mit­glie­der der fran­zö­si­schen Ex­pe­di­ti­on auf ih­rer Fre­gat­te nach Mar­seil­le un­ter Se­gel ge­gan­gen, und ich – war im San­de zwi­schen den Py­ra­mi­den, Ibis­sen, Kro­ko­di­len, Ich­neu­mons und spe­ku­la­ti­ven Fa­brik­un­ter­neh­mun­gen Me­he­med Alis sit­zen­ge­blie­ben. Ägyp­ter und Fran­ken zuck­ten be­dau­ernd die Ach­seln, als ich mei­ne Ta­len­te zu fer­nern Dienst­leis­tun­gen emp­fahl. Man hat­te mir vier­hun­dert Fran­ken aus der Kas­se der Ex­pe­di­ti­on aus­ge­zahlt, und so schlen­der­te ich ziem­lich ge­müt­lich in den Gas­sen von Kai­ro um­her, ru­hig in der si­che­ren Voraus­set­zung, dass mir im Fal­le der Not eine Stel­le als po­ly­glot­ter Haus­knecht in ei­nem der großen eu­ro­päi­schen Ho­tels nicht ent­ge­hen kön­ne. Letz­te­re Vor­stel­lung wür­de für einen Nip­pen­bur­ger Ho­no­ra­tio­ren we­nig Ver­lo­cken­des ge­habt ha­ben, für mich aber hat­te die ge­grün­de­te Hoff­nung, auf ei­nem sol­chen Pos­ten in nicht zu lan­ger Zeit ein ar­ti­ges Ver­mö­gen zu ma­chen, durch­aus nichts Stin­ken­des; je­doch das Schick­sal hat­te es an­ders mit mir im Sinn. Ich war eben nicht für Lehn­stuhl, Schlaf­rock und Pan­tof­feln ge­bo­ren wor­den. Die Jahr­tau­sen­de, wel­che nach ei­nem be­kann­ten Auss­pruch von den Py­ra­mi­den auf die Wüs­te her­abbli­cken, konn­ten un­mög­lich einen är­gern Schuft ge­se­hen ha­ben als den aus­ge­zeich­ne­ten Si­gnor Luca Mol­lo, ge­nannt Se­mi­bec­co, und ich soll­te die Ehre, die Be­kannt­schaft die­ses be­rüch­tig­ten El­fen­bein­händ­lers vom Wei­ßen Nil ge­macht zu ha­ben, teu­er be­zah­len. Ich weiß nicht, ob je ein an­de­res Dich­ter­wort so vie­le arme Teu­fel in den Sumpf ge­führt hat als jene klas­si­sche Zei­le: Nichts Men­sch­li­chem fremd! Die Leu­te, wel­che mit ihr das Le­ben zu be­zwin­gen ge­den­ken, wer­den zu al­len Zei­ten er­fah­ren, wel­chen Unan­nehm­lich­kei­ten sie sich durch die­sel­be und in der­sel­ben aus­set­zen. Auch ich er­fuhr es und wün­sche kei­nem Bums­dor­fer den Ge­nuss der Men­sch­lich­kei­ten, mit wel­chen ich ver­traut ge­wor­den bin. Mit mei­nem Freun­de Luca Mol­lo oder Se­mi­bec­co und ei­nem Hau­fen des nie­der­träch­tigs­ten Lum­pen­ge­sin­dels, über wel­ches Al­lah reg­nen und die Son­ne schei­nen ließ, zog ich nach Char­tum und von da wei­ter strom­auf­wärts gen Kaka, wo wir ge­gen An­fang des Ja­nu­ar acht­zehn­hun­dert­achtund­vier­zig ein­tra­fen und un­sern Han­del mit den Leu­ten des Lan­des, den Schil­luks, an­fin­gen, wel­che mei­nen aben­teu­ern­den Ge­nos­sen an Heil­lo­sig­keit kaum et­was nach­ga­ben. Mei­ne Aus­rüs­tung be­stand in ei­ner gu­ten Dop­pel­büch­se, nebst der dazu ge­hö­ren­den Mu­ni­ti­on, und ei­nem Kas­ten voll Nürn­ber­ger Ham­pel­män­ner, wel­che letz­te­re auf ei­nem ös­ter­rei­chi­schen Lloyd­damp­fer in Alex­an­dria ge­lan­det wa­ren. Ich muss lei­der ge­ste­hen, dass ich in ei­nem Jah­re mehr Fe­ti­sche in der Ge­gend zwi­schen dem Bahr el-Abiad und dem Bahr el-As­rek ver­brei­te­te, als die deut­schen und eng­li­schen Mis­sio­näre in zehn Jah­ren ab­schaf­fen wer­den. Trotz­dem aber, dass man mit uns Han­del und Wan­del trieb und ge­gen Kuh­glo­cken, Glas­per­len, Ra­sier­spie­gel und der­glei­chen Kost­bar­kei­ten selbst das her­gab, was der zi­vi­li­sier­te und sen­ti­men­ta­le­re Mensch sein ›Liebs­tes‹ nennt: so war un­ser Ruf doch nicht der bes­te. Wir wa­ren nach un­sern Ver­diens­ten be­kannt von der Stra­ße Bab el-Man­deb bis weit übers Sul­ta­nat Wa­dai hin­aus, und kein ger­ma­ni­scher Steck­brief konn­te uns schwär­zer an­strei­chen, als wir be­reits im Ge­dächt­nis der Leu­te vom Nil­del­ta bis zum Mond­ge­bir­ge an­ge­schrie­ben stan­den. So war es denn auch durch­aus nicht ver­wun­der­lich, son­dern ein­zig ein nur zu lan­ge ver­scho­be­ner Akt der gött­li­chen Ge­rech­tig­keit, als un­se­rer Ex­pe­di­ti­on auf ei­nem Streif­zug ge­gen die Bag­ga­ra­ne­ger durch einen nächt­li­chen Über­fall plötz­lich ein Ende ge­macht wur­de. Mit Lan­zen und Keu­len und Mes­sern ka­men sie über uns, als wir es am we­nigs­ten ver­mu­te­ten, um die Rech­nung für die­ses Mal zu quit­tie­ren, und sie be­durf­ten kei­ner lan­gen Zeit zur Aus­zah­lung des uns von Rechts we­gen Ge­büh­ren­den. Der größ­te Teil mei­ner Rei­se­ge­sell­schaft wur­de auf der Stel­le tot­ge­schla­gen, und nur ein klei­ner Rest wur­de bis auf wei­te­res, ohne alle Rück­sicht auf kör­per­li­che oder mo­ra­li­sche Ge­füh­le, mit Stri­cken aus Aloe- und Palm­baum­fa­sern ge­k­ne­belt. Das Wei­te­re kam bald. Es zeig­te sich, dass mein ar­mer Freund Se­mi­bec­co der be­kann­tes­te und des­halb auch ge­hass­tes­te un­se­rer gan­zen Ban­de war. Man spieß­te ihn, und ich kann nicht sa­gen, dass man ihm zu viel da­durch an­tat, wenn es gleich nicht an­ge­nehm war, der Exe­ku­ti­on und dem drei­tä­gi­gen To­des­kamp­fe des Un­glück­li­chen zu­se­hen zu müs­sen. Die Aus­sicht, in glei­cher Wei­se auf ei­nem zu­ge­spitz­ten Pfahl der Son­ne, dem Durs­te und den Mos­ki­tos aus­ge­setzt zu wer­den, konn­te auch mit dem nil hu­ma­ni ali­e­num a me puto in Ver­bin­dung ge­bracht wer­den. Glück­li­cher­wei­se blieb ich die­sem ›Men­sch­li­chen‹ je­doch fremd. Ich ging nur als ein Han­dels­ar­ti­kel mit va­ri­ie­ren­dem Wer­te von Hand zu Hand, von Stamm zu Stamm, und wur­de zu­letzt im Schat­ten Dsche­bel al Kom­ris zu Abu Tel­fan im Tu­mur­kie­lan­de ei­nem mei­ner ei­ge­nen Ham­pel­män­ner, ei­nem glotz­äu­gi­gen, grin­sen­den Kerl mit blau­en Ho­sen, gel­ben Husa­rens­tie­feln und ei­ner ro­ten Ja­cke – zu­ge­ge­ben. Tie­fer war doch ge­wiss noch nie­mals ein deut­scher Stu­dio­sus der Got­tes­ge­lahrt­heit im Prei­se ge­sun­ken?!«…

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5251 s. 2 illüstrasyon
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