Kitabı oku: «Historisches Lernen mit schriftlichen Quellen», sayfa 5

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186 Freilich in (lern-)altersadäquater Weise. Vgl. Kapitel III.2 Historisches Lernen in der Primarstufe.

187 Vgl. Reeken 2015, 29–31. Er nennt Grundlagen, Gründe und Ziele historischen Lernens im Sachunterricht.

188 Vgl. Bergmann 2015, 24–29. Vgl. auch Reeken 2015, 34. Bereits vor der Jahrtausendwende fordern dies z. B. Bergmann 1996, 334–337; Schreiber 1999, 50 f.; Baumgärtner 1999, 361 f.

189 Binnenkade/Gautschi 2003, 197.

190 Vgl. Kapitel III.3 Historisches Lernen mit Textquellen.

191 Vgl. Kapitel VI.

192 Vgl. Kapitel VII.

„Das Gegebene für die historische Forschung sind nicht die Vergangenheiten, denn diese sind vergangen; sondern das von ihnen in dem Jetzt und Hier noch Unvergangene, mögen es Erinnerungen von dem, was war und geschah, oder Ueberreste des Gewesenen und Geschehenen sein.“193 (Johann Gustav Droysen)

IV. Schriftliche Quellen und ihr Einsatz im historischen Lernen
IV.1 Was sind schriftliche Quellen?

Texte stehen im Zentrum der Geschichtswissenschaft. Mit der Erfindung der Schrift vor ca. 5000 Jahren spätestens beginnt das historische Zeitalter der Menschheitsgeschichte194, da für die Geschichtswissenschaft die Re-Konstruktion von Vergangenheit auf der Grundlage von schriftlichen Quellen elementar ist. Erst durch Schriftquellen kann man sich aller Regel nach vergangenen Entwicklungen und Vorgängen annähern, wohingegen andere, nicht-schriftliche Quellen vornehmlich bloß die Erkenntnis historischer Zustände erlauben. Viele Fragen wären ohne schriftliche Quellen nicht erschließbar, weil es entweder keine anderen Quellen gibt oder diese, wenn vorhanden, keine Aussagen über vergangene Vorgänge zulassen.195

Bei einer Untersuchung von schriftlichen Quellen in Schulgeschichtsbüchern muss jedenfalls geklärt werden, was denn eigentlich als (schriftliche) Quelle bezeichnet werden kann bzw. welche Form von Quellen in die Untersuchung aufgenommen wird. Der Quellenbegriff war in der Vergangenheit fortdauernd im Wandel begriffen und nicht immer, wenn man „Quelle“ sagte, war auch von „Quelle“ im heutigen Sinn die Rede.196

Über die Definitionen von Johann Gustav Droysen (1867) und Ernst Bernheim (1889) entwickelte sich in den 1970er-Jahren der heute noch maßgebende Quellenbegriff von Paul Kirn (1968)197. Johann Gustav Droysen bezeichnete entsprechend dem „Aussagewert“ als Kriterium nur jene Überlieferungen198 als Quellen, die mit dem Ziel verfasst wurden, historische Kenntnis zu schaffen (z. B. Annalen, Chroniken, Autobiographien): „In Quellen sind die Vergangenheiten (…) zum Zweck der Erinnerung überliefert.“199 Von dieser Kategorie „Quellen“ mit ihrer eindeutigen Intention unterschied er einerseits unabsichtlich hinterlassene, unmittelbare „Überreste“ aus der Vergangenheit und andererseits „Denkmäler“, welche zwischen Quellen und Überresten angesiedelt sind, da sie sowohl Quellen- als auch Überrestcharakter aufweisen. Es handelt sich bei dieser dritten Kategorie nach Droysen um Überreste, deren Absicht auch die Erinnerung an Begebenheiten war.200

Ernst Bernheim vereinfachte 1889 die Droysen’sche Dreiteilung des Quellenbegriffs dadurch, dass „Quellen“ als Hyperonym wählte und diese der Intention der Urheber*innen entsprechend in unmittelbare, keine bestimmte Erinnerungsweise vorgebende Überreste, sozusagen unabsichtlich Erhaltendes, und mittelbare, eine bestimmte Erinnerungsweise vorgebende Traditionen, also absichtlich zur Überlieferung Erhaltenes, einteilte.201 Schon Bernheim wies allerdings darauf hin, dass diese Einteilung von der Fragestellung des Historikers/der Historikerin abhängt und keine dem Material innewohnende Eigenschaft ist, weshalb ein und dieselbe historische Quelle zugleich Tradition und Überrest sein könne.202 Ähnlichkeiten zu Bernheims Zweiteilung weist die kulturwissenschaftliche Unterscheidung in Dokument und Monument auf: In dieser Einteilung wird zwischen absichtlich überlieferten, mit Botschaften an spätere Generationen versehenen Monumenten und unabsichtlich überlieferte Spuren von vergangenen Wirklichkeiten enthaltenden Dokumenten differenziert, wobei Monumente als Quellen v. a. makrogeschichtliche Zugänge ermöglichen (Gesellschaftsgeschichte, System-, Politik-, Diplomatiegeschichte usw.) wohingegen Dokumente dies v. a. für mikrogeschichtlicher Zugänge leisten (Alltagsgeschichte, Mentalitäts-, Kulturgeschichte usw.).203 Da sich der Schwerpunkt der geschichtswissenschaftlichen Forschung von der Politik-, Diplomatie- und Wirtschaftsgeschichte hin zur Alltags- und Kulturgeschichte gewandelt hat, müssten sich laut Hans-Jürgen Pandel aktuelle geschichtsdidaktische Quellensammlungen daran messen lassen, „in welchem Ausmaß sie Dokumente zur Spurensuche enthalten“204.

Daneben ist eine weitere Möglichkeit zur Differenzierung die Einteilung in Primär- und Sekundärquellen, welche die (zeitliche) Nähe zum historischen Ereignis als Grundlage hat. Sekundärquellen beruhen in dieser Einteilung auf nahe am Ereignis entstandenen Primärquellen, indem diese von ihren Verfasser*innen ohne die unmittelbare Teilnahme an den beschriebenen Zuständen oder Entwicklungen weiterverarbeitet werden. Je nach Fragestellung kann allerdings eine später entstandene, vormalige Sekundärquelle auch zur Primärquelle werden.205

Auch wenn die genannten Einteilungen relativ klare Kennzeichen für den Begriff „Quelle“ vorgeben, nämlich die Intention der Urheber*innen bzw. die Nähe zum Ereignis, ist es im historischen Erkenntnisprozess mitnichten immer eindeutig, ob es sich um Primär- und Sekundärquellen handelt oder was überhaupt eine Quelle ist, da der Aussagewert immer relativ in Bezug auf die historische Fragestellung und das konkrete historische Problem zu beurteilen ist. Besonders für Lernende werden die Unterscheidungen in Tradition und Überrest oder Primär- und Sekundärquelle von vielen Historiker*innen als irreführend und verwirrend abgelehnt206 und für eine exakte Terminologie und deutliche Differenzierung in (historische) Quelle und (Geschichts-)Darstellung plädiert. Auch diese erkenntnistheoretische Einteilung, welchen die in Nordamerika geläufigen Bezeichnungen primary sources (Originalmaterialien aus der Zeit der thematisierten Vergangenheit, also Quellen) und secondary sources (beschreibende, analysierende und/oder auswertende wissenschaftliche Forschungsliteratur, also Darstellungen)207 entsprechen, ist keineswegs trennscharf, wie im Folgenden noch auszuführen sein wird.

Kommt man wieder zurück zur Frage, was denn unter historischer Quelle zu verstehen ist, so muss als ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung des Quellenbegriffs die Definition von Paul Kirn (1968) erwähnt werden, welcher auf der Grundlage von Droysens und Bernheims Einteilungen den auch heute noch als grundlegend geltenden Quellenbegriff formulierte. Er bezeichnete „alle Texte, Gegenstände oder Tatsachen, aus denen Kenntnis der Vergangenheit gewonnen werden kann“208 als Quellen.

Dieser Quellenbegriff Kirns wurde von Hans-Jürgen Pandel ob seiner Weite bzw. seines fehlenden Zeitbezuges kritisiert und weiterentwickelt:

„Quellen sind Objektivationen und Materialisierungen vergangenen menschlichen Handelns und Leidens. Sie sind in der Vergangenheit entstanden und liegen einer ihr nachfolgenden Gegenwart vor.“209

Anders formuliert kann man also zusammenfassen: Als Quelle eignet sich grundsätzlich alles, was a) die Vergangenheit überdauert hat, also dort entstanden ist, und b) uns Aufschluss über diese Vergangenheit geben kann.

Quellen sind demnach die ursprünglichste Information, wobei die größtmögliche zeitliche Nähe von Ereignis und Schilderung gefordert ist, was jedoch nicht immer eingelöst werden kann.210 Demzufolge ist es in der Arbeit mit Quellen bzw. ihrer Interpretation fundamental, zwischen historischer Quelle und (auf der Grundlage dieser Quellen) Vergangenheit re-konstruierender (Geschichts-) Darstellung zu unterscheiden.211 Schöner/Schreiber halten entsprechend für ihre Analyse von Geschichtsschulbüchern fest: „Weil die vom ‚Autor‘ innerhalb des Schulbuchkapitels verfolgte Fragestellung darüber entscheidet, ob ein Materialelement als Quelle oder Darstellung genutzt wird, erfolgt bei der Analyse die Einordnung als Quelle bzw. Darstellung zunächst so, wie der Autor sie vorgenommen hat.“212 Als schriftliche Quellen werden folglich auch in der vorliegenden Untersuchung alle abgedruckten Texte aus dem behandelten Zeitabschnitt bzw. Zeitpunkt berücksichtigt, welche auch als Quelle eingesetzt werden. Nicht alle Materialien im Schulbuch sind klar als „historische Quellen“ oder „Darstellungen der Vergangenheit“ zu klassifizieren, denn eine historische Quelle wird erst durch die Verwendung bzw. durch eine Fragestellung zur Quelle.213 Finden sich demnach potenzielle Textquellen, welche Fragen über die Vergangenheit beantworten könnten, so braucht es entweder einen klaren Bezug zum Autorentext, sodass die Quelle als Beleg verstanden werden könnte, oder aber Aufgabenstellungen zur Bearbeitung dieser Textquellen. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, wird im Rahmen der vorliegenden Untersuchung von Material gesprochen, welches sich als Quelle eignen könnte, jedoch nicht als solche verwendet wird. Dieses wird in der Erhebung nicht berücksichtigt.214

Die Untersuchung betrifft somit schriftliche Quellen, welche a) explizit gestellte Fragen zu der behandelten Vergangenheit, aus welcher sie ebenfalls stammen, beantworten und/oder b) als Bestätigung/Veranschaulichung des Autorentextes (über die Vergangenheit), als Beleg oder Kontrast für denselben dienen (sollen) und/oder c) Arbeitsaufgaben (zur Beantwortung von Fragen an die Vergangenheit) aufweisen. Tendenziell illustrativ verwendete Schriftstücke aus der thematisierten Vergangenheit (vgl. v. a. Ergebnisse aus der Primarstufe), welche den Inhalt des Autorentextes belegen oder die Aussagen veranschaulichen (sollen), werden somit auch ohne Aufgaben in die Untersuchung aufgenommen.

Die zeitliche Nähe der Entstehungszeit der Quelle zum behandelten Ereignis spielt eine große Rolle für die Unterscheidung zwischen historischer Quelle und Geschichtsdarstellung. Hierfür ist entscheidend, dass der Abstand zum beschriebenen Ereignis nicht zu groß sein darf. Das bedeutet beispielsweise für die Epoche der Antike, dass Arrians (1./2. Jh. n. Chr.) Text zu Alexander dem Großen (4. Jh. v. Chr.) als Darstellung gewertet werden muss, weil mehrere hundert Jahre zwischen Alexander dem Großen und der Lebenszeit Arrians liegen. Geht es hingegen um die Frage nach der Stellung der Frau im alten Ägypten, dann reicht es aus, wenn der dieses Thema behandelnde Text aus der Zeit des Alten Ägypten stammt. (Geschichts-) Darstellungen werden nur dann in der Erhebung berücksichtigt, wenn diese selbst als Quelle in den Fokus genommen werden, also ihr Quellencharakter thematisiert wird, um z. B. Fragen zur jeweiligen Autorin, zum jeweiligen Autor oder zur Entstehungszeit (Wahrnehmung, Bewertung) zu beantworten. Exemplarisch kann hier die Frage nach der Wahrnehmung Alexanders des Großen in der Antike stehen, welche sehr wohl ca. 300 Jahre später in Darstellungen Diodors (1. Jh. v. Chr.) oder Senecas (1. Jh. n. Chr.) untersucht werden kann. Ihre unterschiedlich wertenden Geschichtsdarstellungen zu Leben und Wirken von Alexander können somit als Textquellen verwendet werden – nicht zu Alexander selbst, sondern zur Wahrnehmung Alexanders im 1. Jahrhundert vor bzw. nach Christus. Darstellungen ohne diesen Fokus werden nicht miterhoben.

Diese Vorgehensweise ist dem Versuch geschuldet, klaren Kriterien zur intersubjektiven Nachvollziehbarkeit innerhalb dieser Untersuchung zu entsprechen. Relativierend muss jedoch angemerkt werden, dass in der Realität der wissenschaftlichen Forschung sehr wohl ein fließender Übergang zwischen Quellen und Darstellungen besteht215. Nämlich dann, wenn die ursprünglichen Quellen von später entstandenen Darstellungen nicht mehr erhalten sind und sodann diese Darstellungen einen Doppelcharakter als sekundäre Quelle erhalten. In solchen Fällen muss allerdings zusätzlich zur quellenkritischen Herangehensweise ein de-konstruierender Zugang bei der Interpretation berücksichtigt werden.216

Ausgehend vom Quellenbegriff im Allgemeinen und der Definition schriftlicher Quellen im Besonderen muss auch die Frage nach einer weiteren Kategorisierung von schriftlichen Quellen entsprechend ihrer Gattungszugehörigkeit gestellt werden. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil verschiedene Quellenarten auch unterschiedlich gelesen und im Hinblick auf gattungstypische formale und inhaltliche Eigenschaften analysiert werden müssen.217 Vorausgeschickt werden muss hier die Erkenntnis, dass sämtliche Kategorisierungen zwangsläufig relativ und zweckabhängig sind218 und daher der vorliegende Versuch einer Gliederung keinesfalls als absolute Kategorisierung zu verstehen ist. Dies trifft sowohl auf die in Abbildung 4 gegenübergestellten Aufzählungen von unterschiedlichen Gattungen schriftlicher Quellen zu – die Autor*innen betonen zumeist die Arbitrarität und Unvollständigkeit der Aufzählungen – als auch für die in der Untersuchung berücksichtigten Gattungseinteilungen. Entsprechend bekannter Auflistungen von Quellengattungen wurden folgende 13 Formen unterschieden: z. B. Gesetze, Urkunden (Verwaltungsschriftgut219), wissenschaftliche Darstellungen, Sachbücher (Historiographie), wissenschaftliche/theoretische Texte, Lyrik, Lieder, Epik (Literatur), Rezepte (Alltagstexte), Chroniken/Annalen, Briefe, Tagebücher (Egodokumente), Heiligenviten, Herrscherbiographien (Biographisches), Zeitungsartikel (Publizistik), Inschriften, Graffiti (Epigraphik), fiktionale Materialien, sakrale Texte oder Reden.220

Nicht berücksichtigt werden hingegen Oral-History-Quellen, da in dieser Forschungsarbeit schriftliche Quellen im Zentrum stehen. Abgedruckte Zeitzeugenaussagen werden folglich nicht als schriftliche Quellen, sondern als verschriftlichte mündliche Quellen verstanden und daher von der Untersuchung ausgeschlossen. Zudem gilt es in diesem Zusammenhang, den Darstellungscharakter von Zeitzeugenaussagen zu betonen. Entsprechend den Usancen in anderen Forschungsprojekten zum Einsatz von historischen Quellen (vgl. z. B. den Eichstätter Raster) wird allerdings die Kategorie „Rede“ als Schriftquelle berücksichtigt. Hier handelt es sich im Gegensatz zu audiovisuellen Aufzeichnungen von Zeitzeug*innen oftmals um im Voraus überlegte, geplante, strukturierte gesprochene Texte, welche zumeist vor ihrer mündlichen Mitteilung als Manuskript und nachher als Druckfassung in schriftlicher Form vorliegen (vgl. z. B. die Rede Martin Luther Kings oder diverse Reden von Adolf Hitler). Gleiches gilt für Radio- oder Fernsehansprachen, welche in der vorliegenden Arbeit als Rede gewertet werden.


Abb. 4: Vergleichender Überblick zu Einteilungsmöglichkeiten von Textquellengattungen

IV.2 Warum mit schriftlichen Quellen arbeiten?

Kurz und bündig könnte man antworten, weil Schüler*innen an und mit Quellen als Ausgangspunkt historischen Denkens – denn ohne Quellen gibt es keine Geschichte – historisch lernen sollen. In ihrer fundamentalen Bedeutung für historisches Lernen entsprechen Quellen „den Experimenten in den naturwissenschaftlichen Fächern und den literarischen Werken im Sprach- und Literaturunterricht“221 oder dem Stellenwert des Einmaleins im Mathematikunterricht.222

Maßgebende Methode eines modernen Geschichtsunterrichts ist daher der Umgang mit Quellen.223 Begründet werden kann dies einerseits durch die historische Methode der Geschichtswissenschaft, durch welche ausgehend von einer Fragestellung geeignete Materialien (v. a. Quellen aus der Vergangenheit) gesucht (Heuristik) und diese kritisch ausgewertet werden (Kritik), um die herausgearbeiteten Informationen zu deuten und zu verknüpfen (Interpretation) und anschließend eine Antwort auf die zu Beginn gestellte Frage zu formulieren (Darstellung).224 Zu einem großen Teil stützt sich die Geschichtswissenschaft in der Erforschung der Vergangenheit dabei auf schriftliche Quellen.

Andererseits darf der schulische Umgang mit Quellen keineswegs mit dem wissenschaftlichen gleichgesetzt werden, denn während Historiker*innen nach neuen historischen Erkenntnissen suchen und dabei flächendeckend mit einer großen Anzahl an Quellen zu tun haben, arbeiten Schüler*innen mit ausgesuchten, bereits bekannten und erforschten Quellen auf exemplarische Weise.225 Die Ziele von Quellenarbeit im schulischen Lernen sind vor allem darin zu sehen, dass Schüler*innen zum einen die Re-Konstruktion von Vergangenheit nach der wissenschaftlichen Methode der Geschichtswissenschaft nachvollziehen können226 und zum anderen dadurch die Einsicht gewinnen, dass Geschichte etwas Gemachtes ist, ein perspektivisches Konstrukt auf der Grundlage von Quellen.

Die historische Methode 227

Frage = der Ausgangspunkt des Forschens ist die historische Frage.

Heuristik = das Aufsuchen und die Durchsicht von historischen Materialien daraufhin, ob sie Antworten auf die Frage geben können.

Kritik = die Kontrollinstanz für die Authentizität von Quellen und für den Tatsachengehalt historischer Aussagen

Interpretation = das Zusammensetzen der quellenkritisch ermittelten „Tatsachen“ der Vergangenheit zu Zeitverläufen

Darstellung = die Vermittlung der in einen Zusammenhang gebrachten Interpretationsergebnisse

Abb. 5: Die historische Methode

Wesentliche Erkenntnis im historischen Lernen muss es sein, dass die der Darstellung zugrundeliegenden Quellen die Voraussetzung für historisches Wissen sind, jedoch nicht das Wissen selbst.228 Diese Erkenntnis „beruht auf der fundamentalen erkenntnistheoretischen Differenzierung von ‚Quelle‘ und ‚Darstellung‘“229 – ein Grundsatz, der schon im 19. Jahrhundert berücksichtigt wurde:

„Diese kritische Ansicht, dass uns die Vergangenheiten nicht mehr unmittelbar, sondern nur in vermittelter Weise vorliegen, dass wir nicht ‚objektiv‘ die Vergangenheiten, sondern nur aus den ‚Quellen‘ eine Auffassung, eine Anschauung, ein Gegenbild von ihnen herstellen können, dass die so gewinnbaren und gewonnenen Auffassungen Alles sind, was uns von der Vergangenheit zu wissen möglich ist, dass also ‚die Geschichte‘ nicht äusserlich und realistisch, sondern nur so vermittelt, so erforscht und so gewusst da ist, – das muss, so scheint es, der Ausgangspunkt sein […].“230

Geschichte existiert jedoch nicht an sich, sie ist auch nicht gleichzusetzen mit der Vergangenheit, sondern sie ist eine erzählte Darstellung der Vergangenheit, eine standortgebundene Re-Konstruktion vergangener Wirklichkeiten.231 Geschichte ist daher nichts ein für alle Mal Feststehendes, sondern offen und vielfältig: Konstruierte Geschichten können sich durch neue Quellen oder neue wissenschaftliche Erkenntnisse, aber auch durch andere Auslegungen, Perspektiven und Schwerpunksetzungen (Fragestellungen) verändern. In diesem Sinne ist Geschichte nie abgeschlossen und endgültig, sondern bereits entstandene Geschichten können und müssen immer wieder neu erzählt und auch diskutiert werden: „Geschichte ist ein unendliches, niemals abreißendes Nachdenken über vergangenes menschliches Handeln und Leiden, das sich Orientierungsbedürfnissen einer jeweiligen Gegenwart gegenüber einer erwartbaren oder gefürchteten Zukunft verdankt und ohne subjektiven Faktor gar nicht denkbar ist.“232

Deshalb ist es im Geschichtsunterricht gefordert, neben fertigen Darstellungen auch den reflektierten Umgang mit Quellen und das Erstellen eigener Darstellungen zu thematisieren, indem Schüler*innen durch einen selbstständigen und methodisch kontrollierten Umgang mit Quellen zu eigenen Deutungen der Vergangenheit gelangen.233 Dadurch erfahren die Lernenden den Konstruktcharakter von Geschichte, gehen kritisch mit Perspektivität um und bilden eigene Urteile, sie erschaffen ihre eigenen Re-Konstruktionen und de-konstruieren andere Geschichten.234

Keinesfalls handelt es sich bei Quellen um „Fenster in die Vergangenheit“ oder objektive Spiegelungen vergangener Wirklichkeit, sondern um perspektivische Brechungen dieser vergangenen Wirklichkeit, welche einer kritischen Überprüfung bedürfen.235 Durch den Prozess der Auswertung und der Re-Konstruktion sollen Schüler*innen zu der Einsicht gelangen, dass Quellen zwangsläufig perspektivisch und parteilich sind236 bzw. dass dies im umgekehrten Wege auch für vorhandene Darstellungen zutrifft, welche über den Weg der De-Konstruktion durch einen Rückgriff auf die zugrunde liegenden Quellen auf ihre Stichhaltigkeit („Vetorecht der Quellen“237) und Perspektivität überprüft werden können.238

„By learing to construct their own narratives, students will learn to critique others’ narratives. History, then, becomes an ongoing conversation and debate rather than a dry compilation of ‚facts‘ and dates, a closer catechism, or a set of questions already answered.“239

Der Geschichtsunterricht will heute nicht nur deklaratives Wissen über Zustände oder Ereignisse der Vergangenheit präsentieren, sondern historisches Denken initiieren.240 Ein solcher Unterricht soll ebenjene besondere Denkform, diese spezifische Weise des Fragens und Denkens entwickeln helfen. In dieser Hinsicht ist „Quellenarbeit (…) keine austauschbare methodische Möglichkeit“, sondern „konstitutiv für historisches Denken“241. Die tiefergehende Erkenntnis, dass Geschichte eine perspektivisch-standortgebundene Re-Konstruktion der Vergangenheit auf der Grundlage von Quellen ist, kann nur über den Weg des direkten Umgangs mit Quellen gewonnen werden.242

Mit dem Einzug der Quellenarbeit in den Geschichtsunterricht gingen in den 1970er und 1980er-Jahren hitzige Diskussionen einher, die nicht immer nur konstruktiv, manchmal auch polemisch geführt wurden.243 Die Entscheidung fiel längst zugunsten des Einsatzes von Quellen im Unterricht und heute „fordern alle modernen Lehrpläne, dass den Schülern das Wesen der ‚Quelle‘ als Gegenpol zu allen Formen von ‚Geschichtsdarstellung‘ und als Basis für eine stets offene, bruchstückhafte, perspektivisch-standortbezogene, ideologisch anfällige und permanent revisionsbedürftige Konstruktion von Vergangenheit bewusst wird“244. So gebräuchlich und anerkannt Quellenarbeit heute auch ist, lohnt es dennoch über die damals ausgetauschten Argumente nachzudenken.

Neben den motivationalen Aspekten eines unmittelbaren Zugangs zu Vergangenheit durch historische Quellen aufgrund von Authentizität, Andersartigkeit, Anschaulichkeit und Emotionalität,245 welche zu vertiefter Auseinandersetzung mit dem Lernstoff und besseren Sozialisations- und Behaltensergebnissen führen können246, sind vor allem die oben bereits beschriebenen geschichtsdidaktischen Punkte hervorzuheben: zum einen der Einblick in die Arbeitsweisen der Geschichtswissenschaft und zum anderen die Chance der Perspektivenübernahme durch multiperspektivische Zugänge bzw. Alteritätserfahrung und die Entwicklung von empathischem Fremdverstehen247. Darüber hinaus muss besonders auf die über das schulische Lernen hinauswirkenden Effekte einer reflektierten und selbstreflexiven Quellenarbeit verwiesen werden, wenn z. B. durch auf Selbsttätigkeit und eigenem Denken beruhende Interpretationsmethoden eine Grundlage für den kritischen Umgang mit Informationen aller Art geschaffen oder entlang einer kritischen Informationsaneignung und selbstständigen Urteilbildung emanzipatorische Wirkungen hervorgerufen werden.248

Chancen von Quellenarbeit:

• Unmittelbarkeit: direkter Zugang zu Materialien aus der Vergangenheit

• Überrest-Quellen wirken ohne belehrenden Charakter „objektiver“

• Authentizität: Quellen gelten als „wahr“, auch wenn sie nicht immer die „Wahrheit“ sagen

• Motivation durch Anschaulichkeit und Emotionalität

• Vertiefte Auseinandersetzung mit Lernstoff: bessere Sozialisations- und Behaltensergebnisse

• Chance eines multiperspektivischen Zugangs

• Alteritätserfahrung und Entwicklung von Fremdverstehen (Perspektivübernahme)

• Einblick in historisch-kritische Arbeitsweisen und damit in historische Erkenntnisprozesse

• Entdeckendes Lernen, kritische Informationsaneignung und eigene Urteilsbildung leisten Beitrag zu Emanzipation

• Interpretationsmethoden schaffen Voraussetzung zum kritischen Umgang mit Informationen aller Art

Abb. 6: Auswahl an Chancen im Umgang mit Quellen im Geschichtsunterricht249

Herausforderungen bei der Quellenarbeit:

• Verstümmelte Quellen: fehlende wissenschaftliche Standards, Unterforderung, Demotivation, Verlust von Sinnlichkeit, Authentizität und Alterität

• Auswahlproblematik: Manipulationsgefahr durch Vorauswahl

• Überforderung: sprachliche Gestaltung, methodische Kompetenzen, Kontextualisierung

• hoher Zeitaufwand: Verabsolutierung von Quellenarbeit

• Eingeschränkte Auswahl an geeigneten Quellen

Abb. 7: Auswahl Herausforderungen im Umgang mit Quellen im Geschichtsunterricht250

In der Praxis finden sich freilich auch einige Schwierigkeiten. Bei den Nachteilen von Quellenarbeit wurde und wird auch heute noch oftmals von Überforderung der Lernenden gesprochen: Lernende haben häufig Verständnisprobleme aufgrund der sprachlichen Gestaltung des schriftlichen Quellenmaterials, Mühen mit den von ihnen verlangten kognitiven Operationen im Zuge fehlender methodischer Kompetenzen oder Schwierigkeiten mit der Kontextualisierung in Folge von mangelndem Fachwissen.251 Besonders deutlich werden diese Schwierigkeiten, wenn sich Schüler*innen in der Sekundarstufe I im (häufig durch die Lehrpläne intendierten) chronologischen Durchlauf mit Materialien auseinandersetzen sollen, welche zeitlich am weitesten zurückliegen. Lehrpersonen sind daher gefordert, diese Herausforderungen in einer (lern)altersadäquaten Vermittlung zu berücksichtigen, welche u. a. individuelle konzeptionelle Voraussetzungen von Schüler*innen, notwendiges kontextuelles Fachwissen und wesentliche methodische Fertigkeiten beachtet.

Zudem ist anzumerken, dass die Auswahl an Quellen für den altersadäquaten Umgang im historischen Lernen für unterschiedliche Epochen und Themen je nach Überlieferungssituation eingeschränkt ist. Keinesfalls darf Quellenarbeit demnach verabsolutiert werden nach dem Grundsatz, alles historisches Lernen müsse mittels (schriftlichen) Quellen geschehen, sondern manchmal ist eine kritische Nutzung von Darstellungen deutlich besser geeignet.252 In diesem Zusammenhang ist der nächste Einwand gegen Quellenarbeit zu nennen: der hohe Zeitaufwand, auch wenn dieser mit zunehmender Routine der Schüler*innen sicherlich abnimmt. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein reflektierter, auf historisches Lernen abzielender Umgang mit Quellen viel Zeit benötigt. Daher gilt auch hier der Leitsatz, dass Geschichtsunterricht nicht nur aus Arbeit mit Quellen bestehen soll, denn Quellenarbeit darf kein Selbstzweck sein, sondern muss eingedenk der oben genannten Herausforderungen überlegt und zielgerichtet eingesetzt werden.253

Wahrscheinlich als Konsequenz auf Bedenken hinsichtlich Überforderung und Zeitknappheit finden sich oftmals über die Maße gekürzte oder sprachlich vereinfachte Quellentexte, die in ihrer modifizierten Form keinerlei wissenschaftlichen Standards gereichen und jeglicher Fremdartigkeit beraubt wurden.254 Dazu ist anzumerken, dass möglichst wenig gekürzte Quellentexte anzustreben und durchaus auch Originalbegegnungen mit Quellen wünschenswert sind. Gerade auf wenige Sätze zusammengekürzte Quellentexte vermitteln ein problematisches Bild der Arbeit von Geschichtswissenschafter*innen, unterfordern, da es kaum etwas zu analysieren oder interpretieren gibt, und demotivieren Lernende, indem einerseits durch den stark eingeschränkten Auslegungsspielraum anspornende Rätselhaftigkeiten, neugierig machende Unbestimmtheiten verschwinden und andererseits die Anschaulichkeit der Quelle verloren geht.255 Quellenarbeit ohne Deutungsmöglichkeiten entlang einer rein „philologischen Interpretation“ führt letztlich zu einem bloßen Reproduzieren des Quelleninhalts.256

Dass Interpretationen, Deutungen und Urteile bereits grundgelegt sein können, führt zum nächsten Einwand gegen Quellenarbeit: Diese begründe sich stets auf einer Auswahl, eingesetzte Quellen seien selektiv und daher potenziell manipulativ.257 Dem ist entgegenzuhalten, dass dies sicherlich nicht nur auf den Einsatz von Quellen zutrifft, sondern allgemein auf jegliche (ausgewählte) Geschichtsdarstellung im Unterricht oder im Speziellen auf den Vortrag durch die Lehrperson. Entscheidend scheint allerdings, dass bei den Lernenden ein Bewusstsein für die Auswahl von Quellen geschaffen wird, dass die Auswahl durch die Lehrperson unter den Gesichtspunkten der Multiperspektivität bzw. Kontroversität258 erfolgt und dass Lernenden selbst Erfahrungen mit der Suche nach und Auswahl von für eine historische Fragestellung geeigneten Quellen ermöglicht werden. Lehrer*innen müssen sich auch dieser Herausforderung stellen.259

Trotz dieser Einwände, die mit Sicherheit bedenkenswert sind, handelt es sich bei allen aufgezählten negativen Punkten um lösbare Probleme bzw. vermeidbare Fehler. Die Kritik zielt somit weniger auf die Methode der Quellenarbeit im Geschichtsunterricht an sich als vielmehr auf ihre unzulängliche praktische Umsetzung ab.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass, wenn sich auch bislang nicht alle mit der Quellenarbeit verbundenen Hoffnungen erfüllt haben – eigenständiges Denken, selbstständiges Arbeiten, Begeisterung durch Quellen, Fähigkeit zu wissenschaftlichem Arbeiten260 –, der Umgang mit Quellen im heutigen Geschichtsunterricht unverzichtbar ist.

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