Kitabı oku: «Allgäuer Höhenrausch», sayfa 4

Yazı tipi:

»Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass der Tiefbauunternehmer Alois Leibacher seine Geschäftsverbindungen mit ›Hellwatt‹ für seinen Hotelbau benutzt, weil er auf normalem Dienstweg dafür keine Genehmigung bekommt und weil er nicht nur ein Hotel, sondern auch eine richtige Straße dorthin bauen will, die mitten durch unberührte Natur führt …«

Dieser Öko-Spinner ist schon wieder bei seinem Naturthema, dachte sie und notierte sich den Namen, den er ihr genannt hatte. Sie sah auf ihre Uhr und holte ein Faltblatt mit einem ÖBB-Fahrplan aus ihrer Handtasche. In einer knappen Stunde würde der nächste Zug von Bregenz in Richtung Innsbruck abfahren, so wäre sie noch am frühen Abend wieder zu Hause und müsste sich hier am westlichsten Ende von Österreich nicht weiter ihrer Zeit berauben lassen.

Sie verabschiedete sich von Gottfried Monschkopf, der ihr, verdutzt über das abrupte Ende des Gesprächs, die Hand schüttelte, und lief den Weg von der ORF-Sende­anlage zur Bergstation der Seilbahn, um mit der Gondel ins Tal zu fahren. Irgendwo im Archiv – vielleicht auch bei den TV-Kollegen vom deutschen Sender BR – würde sich wohl etwas Brauchbares über diesen Alois Leibacher finden lassen. Daraus ließe sich ein kleines Skandalthema stricken, und ihr Chefredakteur würde dann wieder mal einen dieser Aufreger in das Nachrichtenprogramm integrieren können, die den Fernsehzuschauer von den eigentlich brisanteren Themen ablenken sollten. Und zudem brauchte sie dringend einen Lückenfüller für die nächste Sendung am Sonntagabend, weil der geplante Beitrag über den Arlberg-Straßentunnel ziemlich sicher nicht rechtzeitig fertig sein würde.

Als die Gondel der Seilbahn in die Talstation einfuhr, beschloss sie, die Information gleich an den Sender durchzugeben. Auf dem Weg entlang des Seeufers fand sie kurz vor dem Bahnhof eine Telefonzelle, kramte hastig einige Schilling-Münzen aus ihrem Portemonnaie, strich ihr braunes glattes Haar über das linke Ohr und wählte die Nummer ihres Kollegen von der Redaktionsassistenz.

»Servus, Gustl, hier is’ die Babsi«, flötete sie in den Hörer, »du, schau mal, was du in der Sache ›Hellwatt‹ und ›Steighorn-Wasserkraftwerk‹ rausfinden kannst, inwiefern da ein Tiefbauunternehmer mit dem Namen Alois Leibacher mit drinhängt.« Sie berichtete, was sie von Gottfried Monschkopf erfahren hatte, und trug ihm auf, für die Sendung am Sonntag aus dem restlichen Material über die Demo gegen das Wasserkraftwerk und mit der Verbindung zwischen dem Tiefbauunternehmer und dem Stromkonzern einen Nachrichtenbeitrag zusammenzustellen. Kollege Gustl war davon wenig begeistert. »I glaub’, dir tut die Luft da in Vorarlberg net guat, i woaß net, wie groß bis dort’n die Zeitverschiebung is’, oba hier in Innsbruck is’ glei’ Freitagmittag um zwoa, und …«

»Du, entschuldige, i hab grad mein’ letzten Groschen eing’worfen, also du derpackst des scho’, und den Beitrag brauch i, falls der über den Straßentunnel net fertig ist, also mach’ …« – Die letzte Münze fiel mit einem klackenden Geräusch durch den Fernsprechapparat und beendete die Gesprächsverbindung.

*

Sorgfältig setzte er die gepolsterte Auflage der Sitzbank hinter den Vordersitzen wieder ein und stieg neuerlich aus dem Transporter aus, um die hintere Tür zu schließen. Es war Sonntagmorgen um 8.20 Uhr, wie die Zifferblätter der billigen elektrischen Wanduhr in der Fahrzeughalle anzeigten. Um 6 Uhr war er aufgestanden, um das gesamte Edelmetall in einem VW-Transporter, einem Modell mit Doppelkabine und einer von einer Plane überdeckten kurzen Ladefläche, für die Fahrt zum Ferienhaus im Montafon zu verstauen.

Er musste mit dieser Ladung die deutsch-österreichische Grenze passieren. Das Versteck unter der hinteren Sitzbank erschien ihm sicher genug, außerdem hatte er auf die Goldbarren-Stapel Baustellen-Arbeitsjacken und Warnwesten gelegt. An der Grenze würden die Zollbeamten keinerlei Verdacht schöpfen, zumal die Fahrzeuge seines Tief- und Straßenbauunternehmens laufend die Grenze passierten, um im benachbarten Österreich Straßen und Wege zu bauen oder Bohrpfähle für Tiefbauprojekte zu setzen. Aber sie könnten sich wegen möglicher Überladung veranlasst sehen, sein Fahrzeug zu inspizieren. Denn unter der Plane auf der Ladefläche hatte Alois Leibacher Kalksandsteine und einige Säcke Mauermörtel geladen, sodass sich der Transporter – auch wegen des Gewichts der Goldbarren – in der Federung bereits um einige Zentimeter bedenklich nach unten senkte. Er überlegte kurz, ob es nicht besser gewesen wäre, den 3,5-Tonnen-Kipplaster zu beladen. Aber der Mercedes-Laster wäre zu groß für die restliche Strecke der schmalen, notdürftig geteerten Straße im Montafon.

Er klopfte den Staub von den Mörtelsäcken von seinem Arbeitsoverall und ging nach oben in die Wohnung, die im Betriebsgebäude der »Leibacher Tief- und Straßenbau GmbH« oberhalb des Lagertraktes gelegen war, um sich umzuziehen und vor der Abfahrt ein zweites Frühstück und einen Kaffee zu sich zu nehmen. Auf den letzten Treppenstufen vor der offen stehenden Wohnungstür hörte er, wie das Telefon klingelte. Er nahm den Hörer des dunkelroten Tastentelefons ab und meldete sich. Es war seine Tochter Carola, die aus Wien anrief und mal wieder in finanziellen Nöten war.

Zehn Minuten später war er wieder um einen Scheck über 2.500 DM ärmer und wütend auf sich selbst, weil Carola ihn mal wieder äußerst raffiniert um den Finger gewickelt hatte. Zugleich fühlte er sich darin bestätigt, mit der Unterbringung des Edelmetalls an einem sicheren, von niemandem vermuteten Ort genau das Richtige zu tun.

Die beiden Zollbeamten am kleinen Grenzübergang Hohenweiler waren in eine Unterhaltung darüber vertieft, wo man in der Umgebung den besten Tiroler Speck kaufen konnte, und winkten Alois Leibacher mit seinem verschrammten Baustellenfahrzeug durch. Eine Stunde später bog er von der Rheintalautobahn ins Montafon ab und lenkte den Transporter über die regennasse, kurvige Bergstraße, die ins Brandnertal führte. Die lange Steigungsstrecke nach der vorletzten Kehre schaffte der Transporter nur mit Mühe im 2. Gang, was den Fahrer des hinter ihm fahrenden Opel Ascona zu einem riskanten Überholmanöver veranlasste, der kurz vor der nächsten Kehre nur mit Mühe einen Frontalzusammenstoß mit einem talwärts fahrenden Wohnmobil verhindern konnte, indem er äußerst knapp vor seinem Transporter wieder einscherte. Sein Fuß blieb auf dem bis zum Bodenblech durchgedrückten Gaspedal, um an der Steigung nicht an Schwung zu verlieren. Nach der Kehre bog er auf Höhe eines Campingplatzes in die schmale Straße ein, die in Richtung des Ferienhauses führte.

Die Regenwolken verbargen die Sicht auf die Felsmassive und Gipfel der umliegenden Berge und ließen an diesem Sonntagvormittag immer wieder kräftige Regenschauer nieder. Alois Leibacher erinnerte sich an die Wochenenden, die er im Ferienhaus mit Constanze und der damals noch heranwachsenden Carola verbracht hatte. Allerdings konnten sich seine beiden Damen mit der Zeit immer weniger für die Freizeit in den Bergen in einem abgelegenen Berghaus begeistern, weil sie Luxus und Komfort gegenüber der Einfachheit bevorzugten. Eines Sonntags war dann die Stimmung der beiden gekippt, als es auf dem Rückweg von einer Wanderung zu regnen begonnen hatte und die beiden nur Sorgen um ihre teuren Schuhe und um ihre Frisuren hatten. Von diesem Moment an waren sie nie wieder für ein Wochenende im Ferienhaus zu haben, und er selbst war seit einigen Jahren nicht mehr hier oben gewesen.

Die Fahrstraße endete an der Hofstelle Untere Breitwies, die von dem schrulligen Landwirt Schorsch Brunntaler bewirtschaftet und bewohnt wurde. Von hier war es noch fast ein Kilometer bis zum Ferienhaus, zu dem lediglich ein etwas breiterer Pfad führte, der nur mit einem Traktor befahrbar war oder den man einfach zu Fuß gehen musste. In diesem Moment stieg in ihm der Ärger wieder hoch, dass ihm die Straßenbaubehörde den Bau einer befestigten Zufahrtstraße bis zum Ferienhaus verweigerte. Für den Ausbau des Weges, so lautete der ablehnende Bescheid, würde kein begründetes Interesse vorliegen, weder im Sinne einer land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung noch einer im öffentlichen Interesse touristischen Nutzung, sodass dem Antrag nicht stattgegeben werden könnte.

Er hielt mit dem schwerbeladenen Transporter neben dem klapprigen Scheunentor des Hofes von Schorsch, stellte den Motor ab und zog die Handbremse. Der Regen war stärker geworden und die dunklen Regenwolken hingen an diesem Ort auf fast 1.200 Metern Höhe direkt über den Bäumen. Er sah aus dem Seitenfenster auf das Bauernhaus vom Brunntaler Schorsch, für das die Bezeichnung »leicht renovierungsbedürftig« maßlos untertrieben gewesen wäre. Die Wand zwischen der direkt angebauten Scheune und dem Wohnhaus war von unten bis oben von einem breiten Riss durchzogen; von den schief hängenden ehemals hellgrünen Fensterläden blätterten die letzten Reste Farbe ab. Die Eingangstreppe mit dem verbogenen Geländer war deutlich nach rechts abgesackt, und die stellenweise vollkommen durchgerostete Dachrinne ließ das Regenwasser direkt auf die Stufen vor der verwitterten Haustür prasseln.

Alois Leibacher setzte den abgegriffenen braunen Hut mit der beigefarbenen Kordel auf, der auf dem Beifahrersitz lag, stieg aus dem VW-Transporter aus und lief in Richtung der Haustür, zur welcher der Weg über zwei nebeneinandergelegte, wackelige Holzdielen führte, damit man nicht mit den Schuhen im Matsch versank. Vor einem Fenster direkt neben der Tür hing ein ausgeblichener Plastik-Blumenkasten, aus dem vertrocknetes Gestrüpp ragte, was vor Jahren vermutlich einmal Geranien gewesen waren.

Schorsch Brunntaler und er kannten sich bereits von Anfang an, als er das Ferienhaus gekauft hatte, und Schorsch hatte ihm unzählige Male mit seinem Traktor und einem Anhänger, der schon vom bloßen Anblick auseinanderzufallen drohte, allerlei Einrichtungen und Gegenstände über den gerade so befahrbaren Pfad zum Ferienhaus transportiert. Er wollte ihm stets Geld dafür geben oder hätte ihm auch hin und wieder einen Tankwagen geschickt, damit er wieder einen gefüllten Vorrat an Traktor-Diesel gehabt hätte. Doch Schorsch hatte stets dankend abgelehnt, ihn aber stattdessen immer auf einen Schnaps eingeladen, den er in seiner technisch erstaunlich gut eingerichteten Brennkammer brannte. Während der Landwirt nur noch für den eigenen Bedarf ein paar Stück Vieh hielt, florierte seine – immerhin offiziell angemeldete und genehmigte – Schnapsproduktion derart, dass Schorsch damit einige Dorfläden, Wirtshäuser und Souvenirgeschäfte mit seinem »Brandner Gletscherwasser« versorgte. Meist wurden daraus mehrere Schnäpse, und Alois Leibacher musste sich dafür wieder und wieder die Lebensgeschichte vom Brunntaler Schorsch anhören; insbesondere die Geschichte von seiner Frau, die irgendwann über Nacht ohne ein Wort davongezogen war, und ihm waren vom Verlauf der Geschichte her irgendwann Zweifel aufgekommen, ob es diese Frau überhaupt jemals gegeben hatte.

Leibacher stand vor der Dachrinnen-Regendusche an der Haustür und klopfte dreimal kräftig an die Tür. Im Inneren des Bauernhauses rührte sich nichts. Neben der schiefen Haustreppe hatte sich ein braunes Huhn angeschlichen, das neugierig zu ihm hochblickte. Instinktiv drückte er den Klingelknopf, der in einem verwitterten Plastikgehäuse und mit einem unlesbaren Namensschild notdürftig an der Wand befestigt war und es eigentlich einleuchten müsste, dass hier keine funktionierende Haustürklingel zu erwarten sein konnte.

Hinter der Tür muhte laut eine Kuh, worauf das Huhn verschreckt davonflatterte. Leibacher stutzte, drückte nochmals den Klingelknopf, und die Kuh muhte erneut. Dieser Witzbold hatte also offensichtlich eine Klingel installiert, die eine Kuh nachahmte. So wie er Schorsch kannte, hatte dieser durchaus Sinn für derartige Gags, anstatt zum Beispiel mal mit einigen Kellen Mauermörtel die breiten Risse in der Wand zu verfüllen oder mit ein paar Eimern Beton die schiefe Hauseingangstreppe instand zu setzen.

Im Flur ging das Licht an, und die alte eiserne Türklinke senkte sich langsam mit einem metallenen Knirschen, bis sich die Tür mit einem Ruck öffnete und Schorsch in der Tür stand. Er hielt sich am Türgriff fest, stützte sich zugleich mit der anderen Hand am Türrahmen ab und hatte offenbar Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Er trug wie immer seine alte blaue, abgewetzte Arbeitsmontur und eine schmutzige blaue Arbeitsmütze.

»Willst an Schnaps?«, fragte er Alois Leibacher ohne vorhergehende Begrüßung und ohne ein Wort darüber, dass er so lange Zeit nicht mehr hier oben gewesen wäre. Schorsch war in einem Zustand, den man landläufig als sternhagelblau bezeichnete. Alois Leibacher verzichtete daraufhin ebenfalls auf unnötige Höflichkeiten. »Schorsch, ich hab mal wieder einen Haufen Zeug zum Ferienhaus zu transportieren, und du kannst mir da doch bestimmt mit dem Traktor …« – Der Landwirt sah zuerst Alois Leibacher von oben bis unten an, kniff dann das rechte Auge zu, verzog dabei den rechten Mundwinkel und blickte an ihm vorbei in die Landschaft. Dann hielt Schorsch schwankend den Zeigefinger in den Regenwasserstrahl, der von oben aus der durchgerosteten Dachrinne kam. »Wenn’s so regn’t, bleibst mit’m Traktor steck’n. Muaßt halt wart’n bis morg’n. Willst an Schnaps?«

Er lehnte das Angebot des völlig betrunkenen Landwirts dankend ab und versprach dafür, ihm am nächsten Tag einige Flaschen »Brandner Gletscherwasser« abzukaufen, wenn er ihm dafür den Transport erledigen würde. Schorsch nickte, winkte schwankend und schloss die Tür wieder. Es regnete inzwischen in Strömen, sodass er beschloss, nicht zum Ferienhaus zu laufen, sondern im Ort in einem Hotel zu übernachten. Alois Leibacher steuerte den Transporter die schmale Fahrstraße hinunter und bemerkte dabei, dass der Wagen beim Bremsen deutlich nach links zog. Ein Verkehrsschild am rechten Straßenrand wies auf ein Gefälle von 15 Prozent hin.

Sobald er wieder in der Firma war, würde er gleich diesen Wilfried Grätner zusammenstauchen, der neben anderen Sonderaufgaben auch für den Fuhrpark verantwortlich war, weil offenbar die letzte Inspektion ewig zurücklag. Die Strecke ab dem 15-Prozent-Gefälle-Schild war er im ersten Gang mit der Motorbremse bergab gefahren und hoffte, dass der jämmerlich jaulende Heckmotor des VW-Transporters dies überstehen würde. Das letzte Stück bis zur Einmündung in die Ortsstraße verlief durch eine Senke, sodass er auf dem Gegenanstieg wieder Gas geben musste, bis er an einer Bushaltestelle mit einem verwitterten Holz-Wartehäuschen bemerkte, dass er nach rechts in die Hauptstraße einbiegen musste.

Leibacher musste abwarten, bis ein langsam fahrender Citroen CX mit Wohnwagen den Bereich der Einmündung passiert hatte. Währenddessen nahm er aus dem Augenwinkel wahr, dass unter dem Dach des Bus-Wartehäuschens ein Mann mit einem auffallend roten Stehhaarschnitt mit nackenlangem Haar und einem ebenso roten Oberlippenbart stand. Er bemerkte, dass der Rothaarige ihn durch das Seitenfenster hindurch seltsam musterte. Der Mann trug eine rot-weiße Motorrad-Montur und mochte vielleicht Anfang 30 sein. Leibacher bog nach dem Wohnwagengespann in die Straße ein und warf dabei noch einmal einen Blick auf den Mann im Wartehäuschen, der nicht auf einen Bus wartete, sondern sich mit seinem Geländemotorrad untergestellt hatte und wohl darauf wartete, dass der Regen nachließ.

Alois Leibacher war sich sicher, dass er dem rothaarigen Mann schon einmal begegnet war. Während er überlegte, erreichte er den Touristenort, wo an beiden Straßenseiten Hotels und Urlaubspensionen standen. Er fand einen ausreichend geräumigen Parkplatz am Hotel »Dorfklause« und stellte sein Baustellen-Vehikel am Zaun neben einem Tennisplatz ab. Beim Aussteigen prüfte er noch einmal, ob alle Türen verschlossen waren – er hatte keine andere Wahl, als den Transporter auf dem Parkplatz als rollenden Tresor stehen zu lassen.

Er hörte, wie ein anderer Wagen auf dem Parkplatz heranrollte und drehte sich um. Neben ihm hielt ein Polizeiwagen. Der Beamte auf der Beifahrerseite stieg aus und ging mit dienstbeflissen strengem Blick auf ihn zu. Doch der Beamte deutete nur auf das linke Rücklicht über der verbogenen Stoßstange und sagte: »Ihr Bremslicht funktioniert auf der linken Seite nicht, das sollten ’S beheben lassen.«

»Ja, äh, vielen Dank für den Hinweis, ich werde das gleich morgen …« Der Polizeibeamte tippte mit zwei Fingern an seine Dienstmütze, und der Polizeiwagen verschwand talwärts.

»Bremslicht …«, sagte er kopfschüttelnd vor sich hin, weil er im ersten Moment befürchtet hatte, dass die Polizei ihm den Wagen auseinandernahm. Er nahm seine blaue Umhänge-Reisetasche und wandte sich in Richtung des Hoteleingangs. Sein Blick fiel dabei auf die Prüfplakette im Kennzeichen. In der Mitte stand die Zahl 83. Die nächste TÜV-Prüfung war also seit drei Jahren überfällig. Dieser Schlamper von Grätner konnte etwas erleben, wenn er wieder in der Firma war.

An der Rezeption erwies sich die »Dorfklause« entgegen dem äußeren Eindruck als gehobenes Vier-Sterne-Hotel. Eine Hotelmitarbeiterin vermutete in ihm einen anreisenden Gast, der vorab gebucht hatte.

»Nein, ich wollte eigentlich zu meinem Ferienhaus, aber bei dem Wetter ist der Weg dorthin nicht … also jedenfalls bräuchte ich ein Zimmer, wenn Sie eines frei hätten?«, fragte Alois Leibacher ungewohnt freundlich und zurückhaltend. »Soso, Ferienhaus haben S’ hier, Moment i schau mal, also wir sind eigentlich belegt …« Sie blätterte im Reservierungsbuch, sah über den Rand ihrer Lesebrille auf den Wandkalender und fuhr im Buch mit dem Zeigefinger von links nach rechts, bis ihr Finger an einer leeren Stelle stehen blieb. »Das Panoramazimmer mit zwei Balkonen kann ich Ihnen anbieten, da haben Sie sogar noch eine Badewanne und eine extra Ankleide für die Dame, aber das Zimmer wäre nur bis zum nächsten Wochenende frei«, präsentierte sie ihr Angebot und nahm einen Kugelschreiber zur Hand, um die Buchung einzutragen. »Es wäre nur für eine Nacht, vielleicht zwei, und ich bin ohne Begleitung unterwegs«, korrigierte Alois Leibacher. Die Frau hinter dem Rezeptionstresen musterte ihn kurz und erklärte dann geschäftsmäßig: »400 Schilling pro Nacht, Frühstück inklusive. Für den Abend darf ich Ihnen unser Restaurant empfehlen.« Sie zeigte in Richtung des Restaurantbereichs, der um diese Tageszeit leer war und wo eine Servicekraft gerade die Tische für den Abend deckte. Leibacher nickte, unterschrieb den Anmeldezettel, nahm den Zimmerschlüssel entgegen und ging über die mit einem dunkelrot gemusterten Teppich belegten Treppenstufen in die zweite Etage.

Im Zimmer öffnete er die Tür zu demjenigen der beiden Balkone, von dem er direkt auf den Parkplatz sehen konnte, wo er den Transporter geparkt hatte, und setzte sich in einen der hölzernen Klappstühle. Ihn überkam das Gefühl, an diesem Ort festzusitzen, anstatt den Aufenthalt in dem hochwertig eingerichteten Hotel zu schätzen. Das Regenwetter hatte die Temperatur in diesem auf etwa 1.000 Meter Höhe gelegenen Ort an diesem 31. August ungemütlich abgekühlt. Er ging vom Balkon in das Zimmer, legte sich quer auf das breite Doppelbett, blickte auf die holzvertäfelte Wand und ließ seinen Gedanken freien Lauf.

»Hellwatt«. Es war ihm wieder eingefallen, wo er den rothaarigen Motorradfahrer von der Bushaltestelle schon einmal gesehen hatte. Das war einer dieser »Hellwatt«-Manager, die im März bei dieser Delegation des Stromkonzerns dabei waren, als er im Konferenzraum des Alpenhotels seine Stausee-Pläne vorgestellt hatte und dabei mit seinen Plänen erst einmal an diesem Doktor Max Latern abgeprallt war. Der Rothaarige war derjenige gewesen, dessen Aufmerksamkeit stets dann geweckt war, wenn es um Finanzen und »Return-of-Invest« gegangen war, daher hatte er vermutlich mit diesem Bereich zu tun. Wie kam der hierher? Nun, auch ein Finanzler braucht mal frische Bergluft, dachte er, in sich hineinschmunzelnd.

Das Knattern kam immer näher, und das Geräusch war von ausgelassenem Gelächter durchdrungen. Er lag auf einer Wiese am Waldrand unweit des Hofs von Landwirt Schorsch, wo die befestigte Straße aufhörte und der Weg in den Pfad zu seinem Ferienhaus überging, für den er keine Genehmigung zum Bau einer vernünftig befahrbaren Zufahrt bekam, und er merkte, wie darüber wieder der Zorn in ihm hochkroch. Das laute Knattern kam von Schorschs altem hellblauem Traktor. Er setzte sich auf und konnte nicht glauben, was er da sah. Schorsch fuhr mit einer Schnapsflasche in der linken Hand in Schlangenlinien und hatte ein diebisches Grinsen im Gesicht. Auf dem Sitz über dem linken Hinterrad saß – es konnte nicht wahr sein? – dieser rothaarige »Hellwatt«-Manager in seiner Motorradjacke. Die Ladung auf seinem klapprigen Anhänger, dessen Räder eierten und quietschten, glänzte golden in der Sonne. Die beiden fuhren johlend vor Freude seine Goldbarren auf dem Anhänger spazieren! In diesem Augenblick verbreitete das Gold schlagartig einen gleißenden Glanz, der ihn so blendete, dass er nichts mehr sehen konnte.

Leibacher wachte auf und sah durch die halb geöffnete Balkontür, dass sich das Regenwetter über die Berge hinweg verzogen hatte. Die frühe Abendsonne vertrieb die Wolken und schien nun gleißend hell zur Balkontür herein. Er sah auf die Uhr. Es war 18.30 Uhr, er hatte also über drei Stunden geschlafen und dabei zuletzt wohl diesen grotesken Traum gehabt.

Er nahm ein hellblaues Poloshirt aus seiner Reisetasche, zog sich an und beschloss, im Hotel-Restaurant zu Abend zu essen. Auf der Treppe zur Rezeption und zum Restaurant begegnete ihm eine Familie, die zuvor mit einem Ford Granada mit Dortmunder Kennzeichen auf den Parkplatz eingefahren war und deren Teenager-Sohn einen mehr als gelangweilten Eindruck machte. Im Restaurant waren bereits die meisten Tische belegt, und Alois Leibacher suchte sich etwas abseits einen freien Platz in der Nähe der Bar, wo auch ein Fernseher aufgestellt war, an dem der Sender ORF 2 eingeschaltet war.

Die Speisekarte bot vorwiegend eine Auswahl an alpenländischen Gerichten, und er bestellte Tiroler Speckknödel. Das ORF-Fernsehen berichtete gerade über die aktuellen Sportergebnisse. Alois Leibacher trank genüsslich ein Bier und beobachtete nebenbei, wie ein Großteil der urlaubenden Paare während des Wartens auf das Abendessen sprachlos aneinander vorbeisah.

Das TV-Programm wechselte auf die Abendnachrichten, die im Bildschirm eingeblendete Uhr zeigte 19 Uhr. Aus der Küche kam eine mit Dirndl bekleidete Kellnerin mit üppiger Figur an seinen Tisch und servierte ihm mit einem freundlichen Lächeln sein Essen. »Einmal Knödel für den Herrn«, sagte sie, und Leibachers Blick verfing sich unfreiwillig in ihrer strammen Oberweite, die frech aus dem Ausschnitt ihres Dirndls quoll. »Knö-del«, stammelte er darauf genauso verdutzt wie am Nachmittag, als ihn der Polizist auf das defekte Bremslicht aufmerksam gemacht hatte.

Er verzehrte seine Speckknödel, während die Nachrichtensendung zwischenzeitlich die internationalen Themen und die Politik in Wien durchhatte und zu den aktuellen Ereignissen in Vorarlberg und Tirol wechselte.

Der Monitor hinter dem Nachrichtenmoderator blendete die Schlagzeile ›Protest am Steighorn‹ ein.

»Der Widerstand gegen den geplanten Bau eines Wasserkraftwerks im Steighorntal unmittelbar hinter der Grenzlinie vom westlichen Vorarlberg zum bayerischen Allgäu ist weiterhin ungebrochen«, verlas der Moderator in nüchterner Nachrichtensprache. Alois Leibacher starrte mit halb offenem Mund auf den TV-Bildschirm. »Alles recht mit den Knödeln?«, fragte die Kellnerin im Vorbeigehen. Leibacher nickte ihr freundlich zu und konzentrierte sich wieder auf die Nachrichtensendung.

»Wie sich zwischenzeitlich aufgrund des Hinweises eines Mitglieds der deutschen Partei ›Die Grünen‹ herausgestellt hat, besteht eine Verbindung zwischen dem Stromkonzern ›Hellwatt AG‹ und einem örtlichen Tiefbauunternehmer, der offenbar unter Einflussnahme auf die regionalen Verwaltungen und Entscheidungsträger versucht, auf das Vorhaben abseits der geltenden Rechtsgrundlagen einzuwirken.«

Der Monitor hinter dem Moderator hatte bisher nur das Firmenlogo von »Hellwatt« gezeigt und blendete nun einen Filmausschnitt ein. Alois Leibacher glaubte wieder in so einem grotesken Traum wie kurz zuvor am Nachmittag zu sein, aber was er auf dem Bildschirm sah, war zweifellos Wirklichkeit. Der Filmausschnitt zeigte ihn – seine Person – bei einer öffentlichen Veranstaltung, wo er eine flammende Rede über die Zukunft der regionalen Energieversorgung mit umweltfreundlicher Wasserkraft hielt.

Er war immer noch fassungslos über das, was er in diesem Hotelfernseher sah, und überlegte, wie dies überhaupt ins Fernsehen kommen konnte. Es musste bei der Eröffnung der Seilbahnanlage am Kreuzhorn gewesen sein, wo seine Firma die Betonfundamente für die Seilbahnstützen gebaut hatte und dabei – als geschickten Werbeschachzug – neben dem Festzelt zwei seiner Tiefbau-Spezialfahrzeuge neben einer Infotafel über den Bau der Seilbahnanlage platziert hatte. Das Projekt war aus Umweltschutzgründen umstritten gewesen, weil dafür eine breite Schneise in einen Bergwald geschlagen werden musste. Ihm dämmerte dabei, dass bei dieser Veranstaltung Fahrzeuge des Senders BR dabei gewesen waren und auch einige Kameraleute im Festzelt gewesen waren. Allerdings war dies eine Nachrichtensendung des ORF, und er vermutete, dass die TV-Sender ORF und BR wohl länderübergreifend – etwa wie bei »Wetten dass …?« – kooperieren würden.

»Papa, det is doch der Mann aus dem Fernseher«, sagte eine laute Teenagerstimme mit schnoddrigem Ruhrpott-Dialekt. Der etwa zwölfjährige Sohn des Granada-Fahrers hatte von seinem Platz im Restaurant aus den direkten Blick auf den TV-Bildschirm und zeigte mit dem Finger auf ihn. Die Eltern drehten ihre Köpfe ebenfalls in seine Richtung, wirkten dabei einigermaßen teilnahmslos und machten keinerlei Anstalten, den Bengel in Sachen Anstand zurechtzuweisen. Einige der anderen Gäste sahen kurz von ihren Tellern auf und nahmen ansonsten keine weitere Notiz.

Schlagartig wurde ihm bewusst, dass er damit ab sofort nicht nur öffentlich bekannt war, sondern auch als zwielichtiger Geschäftsmann dargestellt wurde, der mit unlauteren Methoden – was die öffentliche Meinung in die Korruptions-Schublade einordnen würde – ein umstrittenes Projekt durchzusetzen versuchte. Zugleich fragte er sich, wer zum Teufel dieser Grüne sein mochte, der sich anmaßte, seinen Namen gegenüber den Medien in der Weise mit dem Stausee-Projekt in Verbindung zu bringen.

Heute war es im Fernsehen zu sehen, und er konnte sich sicher sein, dass sich in den nächsten Tagen die Zeitungen in Deutschland wie in Österreich auf das Thema stürzen würden.

»Hömma, Junge, det sacht man nit so vor all die Leute und man zeicht da auch nit so mit den Finger.« Granada-Papa aus dem Ruhrpott hatte es wohl doch noch für nötig befunden, seinem Sprössling eine kleine Benimm-Lektion zu erteilen.

Wenn ihn schon ein offenbar bildungsferner Teenager als »den Mann aus dem Fernsehen« erkannte, konnte er sich wohl kaum noch unbehelligt in der Öffentlichkeit bewegen. Alois Leibacher ließ den Rest der Tiroler Speckknödel stehen und ging auf sein Hotelzimmer. Er musste nachdenken, und er würde eine weitreichende Entscheidung treffen müssen.

*

++ September 1986 ++

Der vierachsige Mercedes-Kipplaster rollte langsam rückwärts auf das Rolltor der Fahrzeughalle zu. Eine Staubwolke nebelte auf dem trockenen, ungeteerten Betriebsgelände die Fahrzeuge ein. Der Mann hinter dem Steuer des Lkw rief aus dem geöffneten Seitenfenster einem Kollegen zu, dass er das Tor öffnen sollte, und als er bemerkte, dass ihn der Kollege wegen des Motorenlärms nicht verstand, machte er mit dem linken Arm aus dem Fenster eine Geste, die »Seil-nach-unten-ziehen« signalisierte.

Dieser Montagmorgen am 1. September begann mit Chaos, und nach seiner bisherigen Erfahrung würde dieser Tag voraussichtlich auch so enden. Er setzte den großen Kipplaster durch das inzwischen offene Tor weiter rückwärts, um einen Tieflader-Anhänger anzukuppeln. Heute war der Tag, an dem die Erschließungsarbeiten für das Neubaugebiet Steighornblick II begannen, und seine Aufgabe war es nun, den Raupenbagger auf den Tieflader zu fahren und diese Baumaschine zur Baustelle zu transportieren.

Genau zwei Monate zuvor war er bei dem Tief- und Straßenbauunternehmen als Mann für alle anfallenden Sonderaufgaben eingestellt worden, nachdem er an einem regnerischen Junitag zufällig an einer Straßenbaustelle mit dem Firmeninhaber wieder zusammengetroffen war. Es war der Tag gewesen, als er gerade von einer Gerichtsverhandlung zurückgekommen war, die seine Karriere als Stuntman bei der Filmindustrie beendete. Bei der »Alois Leibacher Tief- und Straßenbau GmbH« hatte er seine Lehre als Betonbauer absolviert, und durch seine Leidenschaft für Fahrzeuge hatte er in den Jahren davor auch einen Lkw-Führerschein erworben. Diesem Umstand verdankte Wilfried Grätner nun den Job, in dem er sich vorrangig um Transportfahrten von Baumaschinen und -material sowie um den Fuhrpark zu kümmern hatte.

Mitunter hatte sein Chef Alois Leibacher junior aber auch überraschende »Sonderaufgaben« parat. Wo immer es darum ging, widerspenstigen Zeitgenossen oder Konkurrenten »auf die Sprünge zu helfen«, wie Leibacher es auszudrücken pflegte, hatte er einen Spezialauftrag auszuführen. So wie im vergangenen Monat, als ein Auftrag über den Ausbau der Zufahrtswege zum Alpenhotel Steighornblick zu platzen drohte, weil ein Grundbesitzer wegen eines vier Meter breiten Streifens auf 30 Meter Länge die nötige Zustimmung verweigerte. Ein Lkw, der kurz darauf »zufällig« genau in diesem Bereich eine ganze Tankfüllung Diesel verlor, änderte die Meinung des Grundbesitzers sehr schnell, nachdem man ihm großzügig den Abtrag und die kostenlose Entsorgung des »ölverseuchten« Erdreichs angeboten hatte. Die Besitzer des Hotels hatten als langjährige Kunden in diesem Fall mal wieder darauf gesetzt, dass Firma »Leibacher« dafür eine geeignete Lösung parat haben würde. Natürlich hatte er weisungsgemäß kein Öl, sondern abgestandenes Regenwasser verwendet, das sich hinter der Werkstatthalle in einem leeren, verrosteten Bitumenanstrich-Fass gesammelt und bereits übel gerochen hatte.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
492 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783839268582
Yayıncı:
Telif hakkı:
Автор
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок