Kitabı oku: «Gestalten des Schulraums», sayfa 2
Der fünfte und letzte Teil des Buches ist perspektivisch ausgerichtet. Er schließt an die in den anderen Kapiteln referierten Qualitätsstandards und Leitlinien für eine pädagogisch ausgerichtete Schularchitektur an und markiert die Eckpunkte für eine Schulentwicklung, die eine anspruchsvolle Lernkultur, das Anliegen der Lebensraumorientierung und die Schulraumgestaltung zusammenzubringen versucht. Am Anfang steht der Beitrag von Karin Doberer und Michael Brückner, dem die Erfahrung der pädagogischen Baubegleitung in Korrespondenz mit Architekten zugrunde liegt. Zunächst werden die Versäumnisse im Schulbau vor dem Hintergrund moderner Lernanforderungen aufgezeigt und die räumlichen Voraussetzungen für Kooperation im Kollegium als unzulänglich charakterisiert. Vorgestellt wird das Konzept »Raumfunktionsbuch« als Basis des gemeinsamen Planungsprozesses aller Beteiligten. Doberer und Brückner greifen einen Bezugspunkt des Planungsprozesses, das Klassenzimmer, heraus und zeigen dessen Veränderung zur »LernLandSchaft«. Am Beispiel der Sanierung der Beruflichen Schulen Witzenhausen werden die vorgestellten Planungsprämissen buchstäblich ins Bild gesetzt. Jutta Schöler greift das Thema der Inklusion auf und zeigt, auf welche baulichen Merkmale der Schule eine Pädagogik trifft, die mit den Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention des Jahres 2009 Ernst machen soll. Eine inklusive Schule, die sich auf die besonderen Bedürfnisse behinderter Menschen einlässt, ist, so Schöler, ein Lernort, an dem sowohl die Einstellungen von Pädagoginnen und Pädagogen proaktiv sind als auch die räumlichen Gegebenheiten für die Aufnahme und Annahme behinderter Menschen umgestellt werden. Schöler erläutert dies an verschiedenen Beispielen: den Wegen im Schulhaus für die Rollstuhlfahrerin, dem Klassenraum für im Sehen oder im Hören eingeschränkte Schüler, der gemeinsamen Toilette für behinderte und nichtbehinderte junge Menschen und der gemeinsamen Nutzung der Schulküche im Rahmen eines lebenspraktischen Unterrichts. Der Beitrag von Florence Verspay und Frank Hausmann kann als ein Beispiel für eine veränderte Sicht der Architektur auf den Schulraum und somit als Quintessenz der im Buch referierten Reformvorschläge gelesen werden. Der Titel des Beitrags »Wie sich Schulen verändern müssen …« kündigt paradigmatisch an, dass der Wandel der Lehr- und Lernkonzepte eine Entsprechung in der schulischen Architektur finden muss. Damit diese Forderung erfüllt werden kann, ist eine enge Zusammenarbeit von Nutzern und für den Bauprozess Verantwortlichen Voraussetzung. Der erste Schritt einer Kooperation besteht aus einer Analyse des Ist-Zustandes der räumlichen Gegebenheiten im Schulalltag. Anhand verschiedener Praxisbeispiele wird sichtbar, wie pädagogische Konzepte in der räumlichen Umsetzung abgebildet werden können. Damit der Entwicklungsprozess optimiert werden kann, plädiert das Verfasserteam für eine »Phase null«, eine Integration aller Beteiligten in die Planung von Anfang an. Gemeinsam erstellte Nutzungsszenarien sollen helfen, räumliche Abhängigkeiten rechtzeitig zu erkennen. Anschließend legen Hausmann und Verspay wesentliche Aspekte dar, die exemplarisch als Prozessgrundlage für eine auf pädagogische Anforderungen ausgerichtete Architektur dienen können. Der Beitrag von Josef Watschinger setzt diese gedankliche Linie fort und verdeutlicht exemplarisch das Ergebnis eines gelungenen Planungsprozesses. Watschinger spricht an, welchen Weg das Land Südtirol beschreitet, um die Lehr- und Lernräume in Einklang zu bringen mit der sich entwickelnden erweiterten Lernkultur, und geht kurz auf die neuen Schulbaurichtlinien ein. Am Beispiel der neuen Grundschule Welsberg wird ein Mut machender Ansatz präsentiert. Abschließend wird der Versuch unternommen, einige Merkmale pädagogisch gelungener Architektur zu formulieren.
1 www.ganztagsschulen.org/1108php; aufgerufen am 23.03.2012.
2 BDA-Düsseldorf (Hg.): Schulbauten. Bunte Vielfalt oder klare Ordnung. Eine Kontroverse. www.bda-duesseldorf.de/fileadmin/mediaFiles/NRW-Duesseldorf/Bilder/BDA_Duesseldorf/Meldungen/BDA_Schule-Hahn-Rittelm.pdf, aufgerufen am 06.02.2013.
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Schule als Lernraum
Historische und zeitgenössische Analysen

Michael Göhlich
Die Entwicklung des Schulraums
Eine historische Skizze
In einem Durchgang durch die Geschichte seit der frühen Neuzeit legt Michael Göhlich in sechs Schritten dar, wie sich der Schulraum von einer ständisch geprägten Nutzungsweise allmählich funktional ausdifferenziert. Er spannt den Bogen von der Lateinschule und der Rechenmeisterschule des 16./ 17. Jahrhunderts über die Epoche der Aufklärung, der Industrialisierung und Militarisierung des preußischen Staates und den wilhelminischen Schulbau im 19. Jahrhundert, die Reformpädagogik des frühen 20. Jahrhunderts sowie die ein halbes Jahrhundert später erscheinenden Konzepte des offenen Unterrichts, die Öffnung der Schule und die Reggio-Pädagogik bis hin zur Virtualisierung des Lernens im 21. Jahrhundert Die Merkmale des jeweiligen Raumkonzepts werden vor dem Hintergrund der Polarität von Zentralität und Dezentralität näher bestimmt.
Einführende Überlegungen
Die historische Entwicklung des Schulraums impliziert und indiziert den Wandel der Auffassungen von Unterricht, Schule und Menschen. Den Raum pädagogisch zu nutzen und als nonpersonalen Erzieher oder Lehrer, präziser: als Lernunterstützer zu verstehen, ist eine zentrale Forderung heutiger pädagogischer Ansätze, beispielsweise der Montessori-Pädagogik, des offenen Unterrichts und insbesondere der Reggio-Pädagogik (vgl. Göhlich, 1998 und 2009a, 67ff.). Die bewusste pädagogische Nutzung des Raumes ist jedoch viel älter. So fordert Erasmus schon im frühen 16. Jahrhundert, Wandinschriften als stumme Lehrer einzusetzen (vgl. Michael, 1963, 30). Von Melanchthon ist der Einsatz eines die Tugend der Mäßigung versinnbildlichenden Holzschnitts hinter seinem Katheder bekannt (vgl. Greschat, 2010). Und in der mittelalterlichen Bezeichnung der Unterlehrer als Lokaten klingt die regelmäßige Verortung verschiedener Schüler»haufen« an verschiedenen Stellen (»loci«) des damals noch einen Schulraums an.
Die Geschichte des Schulraums und des Verhältnisses zwischen dem Schulraum und den Auffassungen von Schule, Unterricht, Lehrern und Schülern lässt sich grob in die Zeit des Ancien Régime und die Zeit der Moderne unterteilen. In Ersterer zeugt der Schulraum von ständischer, in Letzterer von funktionaler Differenzierung. Vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein wird das Schulhaus als Haus des Lehrers konzipiert, in dessen einem großen Unterrichtsraum Schüler verschiedenen Alters und verschiedener Leistungsstufen gemeinsam, wenngleich gegebenenfalls auf verschiedenen Bänken nach Ständen und/oder Leistungsstufen sitzend und zuweilen von mehreren Lehrkräften unterrichtet werden. Der Übergang zur modernen Gesellschaft und zu der ihr eigenen funktionalen Differenzierung wird schulräumlich durch die Ausgliederung der Wohnräume des Lehrers bzw. Schulleiters aus dem Schulhaus sowie durch die bauliche Abtrennung und Reihung mehrerer, jahrgangsdifferenzierend genutzter Klassenzimmer angezeigt.
Diese grobe Unterscheidung lässt sich weiter ausdifferenzieren, insbesondere im Hinblick auf Konzeption und Realität des Schulraums und die pädagogische Praxis in der Moderne. Die folgende Skizze, in die frühere Arbeiten des Autors eingegangen sind (vgl. Göhlich, 1990, 1993, 1997, 1999, 2009b), geht in sechs Schritten vor: Frühe Neuzeit (16./ 17. Jh.) – Aufklärung (18. Jh.) – Industrialisierung/Militarisierung (19. Jh.) – Reformpädagogik (frühes 20. Jh.) – neue Reformpädagogik (spätes 20. Jh.) – Virtualisierung (frühes 21. Jh.).
1 Frühe Neuzeit
Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit gilt das ganze Schulhaus als Wohnung des Lehrers. Anders gesagt: Unter den Bezeichnungen »Schulhaus« oder »Schule« wird das Haus des Schulmeisters verstanden, in dem eben auch der Unterricht stattfindet. Berufstätigkeit und Privatleben werden noch nicht getrennt. Selbst in den großen Lateinschulen des 16. und 17. Jahrhunderts wohnen der Rektor und seine Schulgesellen nach Möglichkeit im Schulhaus; wo dies mit zunehmender Größe der Schule und entsprechender Anzahl der Lehrkräfte nicht möglich ist, werden Wohnräume für die Lehrkräfte in unmittelbarer Nachbarschaft der Schule erstellt, wobei der Bau im Einzelfall für den Rektor bzw. Schulmeister das Privileg vorsieht, unmittelbar aus seiner Wohnung (im Nachbarhaus) in seinen Lehrraum (im Schulhaus) zu gelangen. In kleineren und einfacheren Schulen ist selbst ein separater Unterrichtsraum im Haus des Schulmeisters keineswegs selbstverständlich. Das »Schulehalten« erfolgt dort in der Wohnstube des Schulmeisters und ist dementsprechend eng in dessen allgemeines Hauswesen – von der Kleinkindversorgung bis zur Altenpflege, vom Haushalt bis zur nichtschulischen Erwerbstätigkeit – eingebunden.
Obwohl die Regel, dass das Schulhaus eben das Haus des Schulmeisters ist, für die damaligen Schulen generell gilt, sind schon im späten Mittelalter und dann die frühe Neuzeit hindurch zwei Schulraumtypen zu unterscheiden: die zunächst (als Kloster- und Domschule) kirchliche, später zunehmend auch (als Ratsschule) städtische Lateinschule und die private (handwerklich-zünftige)
Schreib- und Rechenmeisterschule. Exemplarisch lässt sich dies an der Gegenüberstellung zweier im 16. Jahrhundert entstandener Bilder belegen. Das erste zeigt eine Lateinschule (s. Abb. 1), das zweite eine Rechenmeisterschule (s. Abb. 2).
Abbildung 1
Lateinschule (1592)
Quelle: Alt, 1966, 351


Abbildung 2
Rechenmeisterschule (16. Jahrhundert)
Quelle: Alt, 1966, 209
Gemeinsam ist beiden, dass der gesamte Unterricht in einem einzigen Raum stattfindet. Gemeinsam ist beiden auch, dass der Raum nicht frontal ausgerichtet ist. Unterricht vorrangig frontal und/oder jahrgangsspezifisch durchzuführen, ist der damaligen Zeit fremd und setzt sich erst im 19. Jahrhundert durch.
Trotz dieser Gemeinsamkeiten sind die erheblichen Unterschiede der beiden Schulraumtypen im 16. Jahrhundert offensichtlich. Bei aller Dezentralität des verwinkelten Großraums der Lateinschule, in dessen verschiedenen Bereichen Unterlehrer Abteilungen von Schülern unterrichten, ist in Kathedra und Rute des Schulmeisters auf den Darstellungen jener Zeit doch dessen Lehr- und Sanktionsprimat eindeutig auszumachen. Das hausherrliche Recht gilt zwar grundsätzlich auch für die Rechenmeisterschulen, aber das selbstverständliche Zelebrieren der Körperstrafe fehlt dort, und die räumliche Dezentralität wird weniger durch Insignien der Macht des Lehrers konterkariert als in der Lateinschule. Während die Lateinschüler auf langen Bänken in fester Ordnung sitzen oder in Reihen vor dem auf dem Lehrstuhl sitzenden Schulmeister stehen, sitzen die Schüler in der frühneuzeitlichen Rechenmeisterschule um einen Tisch, auf dem ihnen mittels Rechenbrett und Rechenpfennigen eigenständige und selbst kontrollierbare Lösungsversuche ermöglicht werden. Die bildliche Ebenbürtigkeit von Schülervater und Rechenmeister und die im Hintergrund selbstständig lernenden oder ungestraft schlafenden Schüler stärken den innerschulischen Stellenwert des neu als Schüler eintretenden Kaufmannssohns ebenso wie der Vertrag (s. die Papierrolle in der linken Hand des Meisters) über seine Ausbildung, in dem sich der Rechenmeister dazu verpflichtet, ihm alles beizubringen, was er selbst beherrscht. Im Unterschied zu den privaten Schreib- und Rechenmeisterschulen sind die Lateinschulen der damaligen Zeit in der Regel zudem (im Verhältnis zur Schülermenge) kaum mit Tischen ausgestattet. Dies ist darin begründet, dass in diesen Schulen hauptsächlich gehört, gelesen, gesungen und rezitiert, dagegen weniger geschrieben und noch weniger gerechnet wird. Die unterschiedlichen Raumgestalten verkörpern unterschiedliche Bilder vom Menschen: Lateinschüler werden auf Orthodoxie und Hierarchie vorbereitet, Rechenschüler dagegen auf betriebliche Selbstständigkeit, Vertraglichkeit und Gleichrangigkeit innerhalb der Zunft.
2 Aufklärung
Die oben beschriebenen Schul- und Schulraumtypen bestehen bis ins 19. Jahrhundert weiter fort. Zwar werden bei großem Schülerzulauf und baulichen bzw. finanziellen Möglichkeiten der Stadt in manchen Schulen getrennte Räume für verschiedene Klassen eingerichtet. Aber die separaten Klassen sind nach wie vor nicht als Jahrgangsklassen und der Unterricht ist nicht als Frontalunterricht konzipiert. So lässt sich am Beispiel der Elementarklasse des Gymnasiums in Burgsteinfurt um 1800 (s. Abb. 3) erkennen, dass in dem einen Raum – der übrigens immer noch nur zwei Schreibtische enthält – rund um den Ofen und eben nicht als Ensemble frontal angeordnete Bänke stehen, welche die Menge der in ein und demselben Raum unterrichteten Schüler zum einen ständisch (Bauern- und Bürgerbänke), zum anderen curricular (Abc-Bänke, lateinische Bank, Neue-Testament-Bank) differenziert. Wie Lange (o.J.) bemerkt, »können wir anhand der Bezeichnungen für die Bürgerbänke das gesamte Schulprogramm oder Lernpensum der Elementarschule des einen Präzeptors durchlaufen: vom Abc bis zu den lateinischen Anfangsgründen«.

Abbildung 3
Elementarklasse einer Lateinschule (ca. 1800)
Quelle: Lange, o.J.
Gegen Ende der frühen Neuzeit wird – wenngleich nur vereinzelt – der Schulraum zur Welt und zum bis dahin nicht bildungsrelevanten Leben hin geöffnet. Diese neuartigen Schulräume unterscheiden sich von den Lateinschulen insbesondere in der Ermöglichung eigener praktischer, nicht auf Literatur und wörtliche Lehre reduzierter Erfahrung. Ohne dies konzeptionell explizit zu reflektieren, stehen sie in gewisser Weise, wenngleich in einem ständisch und curricular ganz anderen Kontext, in der erfahrungsbezogenen Tradition der Rechenmeisterschulen. In den Fecht-, Reit- und Ballspielräumen der Ritterakademien zeigen sich ein neuer Bezug zum Körper und der Wunsch, diesen schulisch auszubilden. Die körperlichen Übungen haben dabei nicht mehr den Ernstcharakter ritterlicher Übungen. So ermöglicht beispielsweise das in den Ritterakademien eingeführte Voltigieren an einem in einem Saal stehenden Pferd auf Holzbeinen zwar eine womöglich lustvolle und Abenteuer verheißende Erfahrung, bleibt aber Simulation. Die Darstellung des Schulraums einer Ritterakademie aus dem frühen 18. Jahrhundert (s. Abb. 4) zeigt einerseits die im Vergleich zu zeitgleichen Lateinschulen reiche Literaturausstattung des Schulraums dieser privilegierten Einrichtung und belegt andererseits – dies ist das Novum dieses die Aufklärungspädagogik ankündigenden Schulraumtyps – das Bemühen, sich über Wort und Schrift hinaus der Welt vorrangig mittels direkter Erfahrung, zumindest mittels der Arbeit am Modell zuzuwenden. Der mitten im Raum stehende Relieftisch mit dem Modell einer Festung dient zur Erarbeitung militärischer Strategien ebenso wie zur Veranschaulichung ballistischer Probleme. Das Naturalienkabinett inklusive seiner Modelle sowie die Drechselbänke in Franckes Hallescher Schulstadt Anfang des 18. Jahrhunderts sind weitere (hier nicht in Bildern wiedergegebene) Versuche jener Zeit, der realen Welt schulräumlich-materiell näherzukommen.
Abbildung 4
Ritterakademie 1719
Quelle: Alt, 1966, 378

Noch stärker ausgeprägt ist dieses Bemühen in den Philanthropinen des späten 18. Jahrhunderts und in Wolkes 1805 publiziertem Denklehrzimmer (s. Abb. 5 auf S. 31; vgl. Göhlich, 1993, 204ff.).

Abbildung 5
Denklehrzimmer (Wolke 1805)
Quelle: Rutschky, 1977, Abb. 12
Wolke empfahl die Einrichtung eines solchen Denklehrzimmers »für diejenigen, die noch ganz ohne Buch Vorstellungen und Begriffe erlangen oder in der Sprache und im richtigen Denken geübt werden sollen« (Wolke, 1805, 474), also sozusagen für die Eingangsstufe einer Schule sowie für das Haus der (adligen und /oder bürgerlichen) Familie. Auch wenn es sich bei den auf der Abbildung im Raum vorzufindenden Erwachsenen und Kindern nicht um Lehrer und Schüler, sondern um Vater, Mutter und Kinder einer Familie handelt und das Denklehrzimmer somit in der Abbildung nur im Haus der Familie und (im Unterschied zu Wolkes Begleittext) nicht auch im Schulhaus verortet wird, steht es für aufklärungspädagogische Neuerungen der Konzeption des pädagogischen Raums. Der pädagogische Raum wird weniger als Lehrraum denn vielmehr als Lern- und Erfahrungsraum konzipiert. Nicht zufällig nennt Wolke in seinen Ausführungen zum Denklehrzimmer eines der Kinder »Denking« und ein anderes »Lerning«. Der Raum soll offensichtlich Erfahrungen ermöglichen und Lernprozesse anregen. Die sich schon im Raum der Ritterakademien andeutenden schulräumlichen Neuerungen auf die Spitze treibend, zielt Wolkes Konzeption des Denklehrzimmers darauf, den Raum selbst als Lehrer zu nutzen, »ein lebloses Zimmer die Stelle eines Lehrers vertreten« (Wolke, 1805, 474) zu lassen und hierzu den Unterrichts- bzw. Lern- und Erfahrungsraum auf möglichst vielfältige Weise – z.B. durch geometrische Rasterung der Wände, durch zur Beobachtung von Pflanzenwachstum und Vögeln angebrachte Fenstersimse, durch für Lernende verschiedenen Alters teils auf dem Boden, teils auf Tischen unterschiedlicher Höhe zur Verfügung stehende Materialien – mit der sonstigen Welt und dem Leben zu verbinden.
