Kitabı oku: «12 Jesse Trevellian FBI Thriller August 2021: Krimi Paket», sayfa 6

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„Ein Erfolg war deine Gesprächsstrategie ja nun nicht gerade, Jesse“, musste ich mir Milos Kritik anhören, nachdem wir das Büro von Knowle Brannagan verlassen hatten und uns wieder in den Sportwagen setzten, den wir auf einem zum Haus gehörenden Parkplatz abgestellt hatten.

„Du hättest es ja besser machen“, erwiderte ich.

Ich aktivierte den in die Armaturen integrierten TFT-Bildschirm und sah nach, ob uns unser Field Office irgend etwas an neuen Daten übersandt hatte. Aber das war nicht der Fall.

„Wenn die Fässer dort schon länger gelagert waren, dann kann das eigentlich nur bedeuten, dass die Spedition bereits seit längerem nur ein Tarngeschäft gewesen ist“, stellte ich fest.

Milo nickte. „Das ist anzunehmen. Vielleicht sollte man die letzten Besitzer der Spedition festnehmen und verhören. Die müssten doch wissen, mit wem sie sich eingelassen haben...“

„Wenn nicht einmal Mondale den Kopf der Organisation kennt?“, fragte ich zurück. „Nein, das ist doch gerade der Trick bei der Sache. Die einfachen Strohleute müssen den Kopf hinhalten, aber das Ganze ist so organisiert, dass die Spur allenfalls zur nächsten Etage in der Organisation führt. Aber niemals bis zu den Hintermännern.“

„Die nächste Etage heißt in diesem Fall wohl Gregory Sumner“, stellte Milo fest.

Dem konnte ich nur zustimmen. „So ist es. Und im Moment haben wir außer der Aussage des Captains der JAMAICA BAY keine Beweise gegen Sumner. Der würde den Teufel tun und uns seinen Boss verraten!“

Milo seufzte, während ich den Motor des Sportwagen startete. Der Motor hatte einen angenehm kraftvollen Klang. „Ich hoffe nur, dass wir am Ende nicht mit leeren Händen dastehen und weder den Red Hair Killer noch die Hintermänner der JAMAICA BAY Affäre dingfest gemacht haben.“

„Seit wann neigst du denn derart zum Pessimismus?“

„Das ist nur Realismus, Jesse. Und das ist etwas ganz anderes.“

„Ich bitte dich, Milo!“

„Ist doch wahr!“

Ich fädelte mich in den Verkehr ein. „Ich bin dafür, dass wir Sumner einen Besuch abstatten“, sagte ich schließlich, nachdem wir den New York State Expressway erreicht hatten, aus dem jenseits der kanadischen Grenze der QEW wird, was die Abkürzung für Quebec Expressway ist, was irgendwie nicht ganz logisch war, denn er führte durch den Süden von Ontario und keineswegs durch Quebec.

„Du willst Sumner noch mehr aufschrecken?“, fragte Milo „Ich weiß nicht, ob das wirklich eine gute Idee ist, Jesse!“

„Das ist vielleicht die einzige Möglichkeit, etwas Bewegung in die Sache zu bringen. Oder willst du abwarten, bis dieser Kyle unseren Gesprächspartner dermaßen auf Krawall gebürstet hat, dass der ebenfalls nicht mehr mit uns reden will?“

„Vielleicht hast du Recht. Aber ich bin dafür, dass wir vorher etwas essen. Mir knurrt nämlich der Magen.“

Zehn Minuten später saßen wir in einem Fast Food Lokal an der Washington Lane. Eine Zeitung lag dort aus. Es war der Buffalo Herald.

Die Titelseite berichtet ausführlich über unsere Aktion im Hafen von New York City, bei der wir die JAMAICA BAY aufgebracht und daran gehindert hatten, ihre todbringende Fracht außer Landes zu bringen.

Die Verbindungen, die der Fall nach Buffalo hatte, wurden natürlich herausgestellt. Auf Seite zwei wurde der Fall Norma Jennings, deren Brustimplantat in einem der Fässer der JAMAICA BAY gefunden war, ausführlich ausgebreitet. Ihr Verschwinden, die bisherigen vergeblichen Bemühungen der Polizei, die Serie des Red Hair Killers aufzuklären und zur Abrundung der Story ein Kurzinterview mit den tief getroffenen Angehörigen.

„Das wird uns nicht gerade helfen“, murmelte ich und gab Milo die zusammengefaltete Zeitung.




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Gregory Sumner zuckte zusammen, als das Telefon klingelte. Von seinem Penthouse aus hatte man einen traumhaften Blick auf den Erie-See. Sumner war ein mittelgroßer Mann mit einem Gesicht, dessen hängende Wangen an eine Dogge erinnerten. Er hatte die Hände tief in den Taschen seiner weiten Flanellhose vergraben. Am Gürtel trug er einen leichten 22er Revolver im Holster. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Er schwitzte. Es klingelte noch einmal.

Mit einer Bewegung, die ihn sichtliche Überwindung zu kosten schien, nahm er ab.

„Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie nicht mehr anrufen sollen, Mister Anselmo... Ja, ich weiß! Ich werde sehen, was ich tun kann, aber ich bin nicht Jesus! Wunder vollbringen gehört nicht in mein Repertoire!“

Dann schwieg Sumner plötzlich.

Der Kinnladen fiel ihm herab und sein Gesicht verlor den letzten Rest an Farbe.




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Sumner residierte in einem der nobelsten Gebäude von Buffalo. Er nannte ein Traum-Penthouse sein eigen, dessen Anschaffungspreis so hoch war, dass ein einfacher FBI-Agent wohl kaum eine Chance gehabt hätte, die Summe zu Lebzeiten jemals abzuzahlen.

Wir ließen uns mit dem Aufzug bis zu Penthouse tragen.

Vor der Tür blickten wir in ein Kamera-Auge. Ich betätigte die Klingel.

„Was wollen Sie?“, fragte eine etwas unwirsch klingende Stimme, nachdem ich es zum dritten Mal versucht hatte.

„Jesse Trevellian, FBI. Mein Kollege Agent Tucker und ich haben ein paar Fragen an Sie, Mister Sumner.“

Einige Augenblicke knackte es nur im Lautsprecher. Dann sagte die Stimme: „Halten Sie Ihre Ausweise in die Kamera, damit ich sie sehen kann. Schließlich kann jeder behaupten, was er will.“

Ich hielt ihm also meine ID-Card in die Überwachungskamera. Er wollte auch noch Milos Dienstausweis sehen und so kam mein Kollege der Aufforderung nach und hielt ihn ebenfalls so hin, dass er sich im Erfassungsbereich des Kameraauges befand.

Dann glitt endlich die Tür automatisch zur Seite.

Ich hatte gleich im ersten Moment den Eindruck, dass Sumner ziemlich mitgenommen aussah. Wie jemand, der gerade eine furchtbare Nachricht erhalten hatte, die ihn völlig aus der Fassung brachte.

Vielleicht waren wir ja in seinen Augen die Schreckenboten...

„Ich nehme an, dass Sie gerade einen Anruf erhalten haben“, sagte ich.

Er hob die Augenbrauen. „So?“

„Von Mister Kyle, Ihrem Anwalt.“

„Nein, das stimmt nicht. Aber vielleicht sagen Sie mir zunächst, was Sie eigentlich von mir wollen.“

„In New York City wurde ein Frachter namens JAMAICA BAY von uns aufgebracht, um eine Ladung von Giftmüll sicherzustellen, die illegal entsorgt werden sollte“, erklärte ich.

Unser Gegenüber verzog jedoch nur das Gesicht. „Ach, ja?“, fragte er mit einem ziemlich überheblichen Unterton.

„Sagen Sie bloß, Mister Kyle hat Ihnen nicht abgeraten, mit uns zu sprechen?“, fragte Milo.

„Erstens lassen Sie mir ja wohl ohnehin keine Wahl und zweitens habe ich mit Mister Kyle nicht gesprochen, ob Sie es nun glauben oder nicht.“

„Sie sollten sich gut überlegen, ob Sie nicht einen anderen Anwalt für sich tätig sein lassen“, erklärte ich.

„Am Besten, Sie kümmern sich um Ihren eigenen Kram und lassen ehrlich arbeitende Geschäftsleute einfach in Ruhe ihren Job machen, G-man!“, knurrte Sumner ziemlich giftig.

Er drehte sich um und ging durch eine zweiflügelige Tür ins Wohnzimmer. Durch ein Handzeichen bedeutete er, dass wir ihm folgen sollten. Vom Wohnzimmer aus hatte man einen traumhaften Blick auf Buffalo und den Erie-See.

Es war ein heller, klarer Tag und dann war es aus dieser Höher sogar möglich, bis zum kanadischen Ufer des Erie-Sees hinüberzublicken.

Sumner deutete auf die klobigen Ledersessel. „Setzen Sie sich und dann verraten Sie mir mal, wieso ich mir einen anderen Anwalt nehmen sollte.“

„Vielleicht deswegen, weil Mister Kyle auch noch jemand anderen vertritt, mit dem sich Interessensgegensätze ergeben könnten.“

„So?“

„Ich spreche von Knowle Brannagan.“

„Am Besten, Sie sagen mir jetzt, was Sie von mir wollen und hören auf, mir die Zeit zu stehlen! Ich habe nämlich viel zu tun!“

„Sie und Brannagan hängen in einer Organisation drin, die mit der illegalen Entsorgung von Müll einen Haufen Geld verdient“, erwiderte ich. „Nur leider ist im New Yorker Hafen kürzlich ein Schiff namens JAMAICA BAY aufgebracht worden – und damit wurde das ganze Ausmaß dieser Machenschaften offenbar. Was glauben Sie, wie lange Ihr Geschäftspartner Mister Mondale noch sein Schweigen aufrecht erhält? Vielleicht ist er jetzt in diesen Moment gerade dabei, mit dem Staatsanwalt einen guten Deal abzuschließen, der es ihm erlaubt in ein paar Jahren wieder draußen zu sein, nur weil er Leute wie Sie ans Messer liefert.“

Schritte waren zu hören. Die Tür zu den Nachbarräumen hatte bis dahin halb offen gestanden. Jetzt öffnete sie sich vollends. Eine junge Frau stand dort. Sie trug einen kurzen Kimono. Das Haar fiel ihr lang über Schultern. Sie war blond. „Du hast Besuch, Darling“, fragte sie und stemmte einen Arm in die Hüfte.

„Verschwinde, Janice!“, knurrte Sumner. „Das hier ist geschäftlich.“

Sie musterte uns kurz und knapp. Dann drehte sich um und schloss hinter sich die Tür.

Sumner wandte sich mir zu. Er fuhr seinen Zeigefinger aus wie ein Klappmesser und sein Gesicht war zur Maske erstarrt. „Entweder Sie sagen mir jetzt ganz schnell, was Sie von mir wollen, oder ich weise den Sicherheitsdienst des Hauses an, Sie vor die Tür zu setzen. Solange Sie keine Vorladung oder einen richterlichen Durchsuchungsbefehl haben, schützt Sir nämlich keine FBI-Marke davor!“

„Arbeiten Sie mit uns zusammen, Mister Sumner! Die Leute, für die Sie den Kopf hinhalten, sind es nicht wert! Die würden Sie doch auch nicht schützen! Reden Sie mit uns. Und dann ist da übrigens noch etwas.“

Ich zeigte ihm auf dem PDA ein Bild von Roxanne Brady. Es war eines der Tatortfotos und daher entsprechend hart. Auch wenn Sumner so tat, die Sache ließ ihn nicht kalt. Vielleicht war es doch für etwas gut gewesen, dass so viel darüber in den Zeitungen und anderen Medien breitgetreten worden war.

„Was habe ich mit diesem Kerl zu tun, der Rothaarige umbringt?“, fragte er. „Ich habe davon in der Zeitung gelesen“, fügte er noch hinzu, um einer entsprechenden Nachfrage zuvor zu kommen.

„Packen Sie jetzt aus, Sumner. Dann komme Sie günstig dabei weg. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann wir Ihre Organisation das Wasser abgraben!“

„Dann wünsche ich Ihnen viel Spaß dabei, G-man!“ Er lachte heiser. „Und kommen Sie meinetwegen wieder, wenn Sie Beweise haben!“




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Am frühen Abend fuhren wir noch einmal zu Mac’s Bar.

„Hat es irgendeinen bestimmten Grund, dass du unbedingt noch einmal dort hin möchtest?“, fragte Milo.

„Ich weiß nicht. Irgendwie habe ich das Gefühl, dort etwas übersehen zu haben. Aber das kann auch nur Einbildung sein.“

„Naja, bevor wir uns bei Captain Josephson sehen lassen kann eine kleine Erholungspause vielleicht nicht schaden“, meinte Milo.

Keiner von uns sprach es offen aus, aber wir traten auf der Stelle. Und zwar sowohl bei der Suche nach dem Red Hair Killer als auch was die Hintermänner der JAMAICA BAY-Affäre betraf. Es war wie so häufig im Kampf gegen das organisierte Verbrechen: Man wusste mehr, als sich gerichtlich verwerten ließ. Sumner war momentan noch nicht angreifbar.

Auf der Fahrt zu Mac’s Bar rief Milo im Field Office an, um sich zu erkundigen, wie weit unserer Kollege Nat Norton mit der Analyse der Geldströme dieses Müll-Syndikates bereits war. Aber es wurde schnell klar, dass da so schnell keine Wunderdinge zu erwarten waren.

Vor allem nicht schnell.

Und was den Fall des Frauenmörders anbetraf, der es auf rothaarige Opfer abgesehen hatte, tappten wir noch immer völlig im Dunkeln. Ein Mann war verhaftet worden, der vielleicht Hilfe brauchte und wahrscheinlich auch um einen längeren Aufenthalt in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung nicht herumkam, den man aber als Täter wohl inzwischen mit ziemlich großer Sicherheit ausschließen konnte.

Kurz nachdem Milo das Gespräch mit unserem Field Office beendet hatte, klingelte es.

Am Apparat war das Buffalo Police Departement.

Captain Josephson persönlich war am Apparat.

„Was gibt es, Captain?“

„Die Analyse der Reifenspuren liegt vor, die auf Ihre Veranlassung hin gemacht wurden“, erklärte er.

„Und?“, hakte ich nach.

„Der Vergleich mit dem Profil mit dem Wagen von Roxanne Brady hat einen Volltreffer ergeben. Wo sind Sie jetzt?“

„Wir waren ohnehin auf dem Weg zu Macs Bar.“

„Dann treffen wir uns am besten dort und sehen uns hinterher an, wo genau der Wagen gestanden hat.“

„In Ordnung“, bestätigte ich.“




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Wir waren natürlich vor Josephson in Mac’s Bar.

Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen. Der Betrieb hatte gerade erst begonnen und es waren kaum Gäste im Raum. Ein junger Mann mit blonden, kurz geschorenen Haaren stand hinter dem Tresen.

„Wo ist eigentlich Mister Anselmo?“, fragte ich.

„Ich habe keine Ahnung.“

Ich legte meine ID-Card auf den Tisch. „Wir hätten noch die eine oder andere Frage an ihn.“

„Vielleicht kann ich ihnen weiterhelfen. An dem Abend, als diese rothaarige Frau hier in der Nähe ermordet wurde, war ich nämlich auch hier in der Bar, allerdings im hinteren Bereich.“

„Ach, so.“

„Ich habe gehört, der verrückte Larry ist inzwischen festgenommen worden. Gut so, der konnte einem wirklich den letzten Nerv rauben. Aber einfach vor die Tür setzen – das hätte unser Chef nicht mitgemacht. Mister MacConroy hat nämlich ein Herz für Leute, die etwas neben der Spur sind. Er sagt immer, dass er selbst mal ein armer Hund war, bevor er diese Bar erbte und aus ihr das Schmuckstück machte, das sie heute ist.“

„Der Mann, den wir festgenommen haben, ist vielleicht aber nicht der Red Hair Killer. Auch deswegen hätte ich Mister Anselmo gerne noch mal gesprochen.“

Der Barkeeper beugte sich über den Tresen und fuhr in gedämpftem Tonfall fort: „Also, im Vertrauen, Sir... Roy Anselmo hat heute Morgen gekündigt.“

„Wo wohnt Mister Anselmo?“

„Eine Straße weiter in der Bellanova Street, Hausnummer 18, Apartment C 033.“

„Danke. Noch eine Frage: Sie sagten, Sie wären an dem Abend, als Roxanne Brady ermordet wurde, auch hier gewesen.“

„Sicher“, nickte der Barkeeper.

„Anselmo ist anschließend noch auf die Straße gegangen, um zu schauen, ob alles in Ordnung ist – richtig?“

„Ja, das stimmt.“

„Wie lange hat das gedauert?“

„Keine Minute.“

„Und danach?“

Der blonde Barkeeper runzelte die Stirn. Er schien nicht auf Anhieb zu begreifen, worauf ich hinaus wollte. „Wie meinen Sie das?“

„War Roy Anselmo danach die ganze Zeit hier im Schankraum? Oder ist er vielleicht mal nach hinten raus gegangen. – über den Lieferantenausgang und den Hinterhof, von wo aus man sehr schnell in der Straße ist, wo Roxannes Wagen stand.“

„Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass Anselmo irgendetwas mit der Tat zu tun hat! Das kann...“ Er stockte.

„Sagen Sie mir, was geschah“, forderte ich unmissverständlich.

Der Blonde schluckte. „Er hat für den Abend Schluss gemacht.“

„Unmittelbar, nachdem er wieder hereingekommen war?“

„Genau. Er hatte noch Überstunden abzufeiern. In so fern war das in Ordnung. Auf der anderen Seite können die Mitarbeiter natürlich eigentlich nicht so einfach machen, was sie wollen, aber seid Mister MacConroy wegen seiner Fußverletzung nicht hinter allem her sein, kann...“

„Ich verstehe schon“, murmelte ich und wandte mich an meinen Kollegen. „Komm, Milo.“

„Ist das dein Ernst, Jesse?“

„Mein voller. Zumindest müssen wir die Möglichkeit, dass es Anselmo war ausschließen.“ Und an den blonden Barkeeper gewandt, fügte ich noch hinzu: „Falls ein gewisser Captain Josephson von der Homicide Squad hier auftauchen sollte, dann sagen Sie ihm doch bitte, er soll mich auf dem Handy anrufen.“

„Ja, Sir.“

Ich gab dem Barkeeper meine Karte. Dann wandte ich mich zum Gehen. „Komm, Milo, ich fürchte es gibt Arbeit!“

„Würdest du mir freundlicherweise mal verraten, welche Gedanken dir im Moment gerade durch den Kopf spuken?“

„Einen Moment. Die muss ich selbst gerade ein bisschen sortieren, Milo!“

Wir verließen Mac’s Bar und traten ins Freie. Ein kühler Wind fegte vom Erie-See zwischen den Häuserzeilen hindurch.

Milo und ich gingen zu Roy Anselmos Adresse. Da es schwierig genug gewesen war, für den Sportwagen einen Parkplatz zu bekommen, gingen wir zu Fuß. Das Haus, das der blonde Barkeeper in Mac’s Bar uns angegeben hatte, war ein Mietshaus mit etwas heruntergekommener Brownstone-Fassade. Es hatte zehn Stockwerke. Überwachung durch einen Security Service oder Kameras gab es nicht. Ich suchte die Klingel mit Anselmos Namen, fand sie aber nirgends. Also klingelte ich bei jemand anderem. Um diese Zeit waren die meisten Leute bereits zu Hause, daher hatten wir Glück.

„Ja, bitte?“, fragte eine Stimme, von der ich annahm, dass sie einem älteren Mann gehörte.

„Agent Trevellian, FBI, bitte machen Sie uns die Tür auf.“

„Woher soll ich wissen, dass Sie wirklich vom FBI sind und nicht zu den Trickbetrügern gehören, vor denen im Fernsehen gewarnt wurde?“

„Sie behindern gerade die Verfolgung eines Straftäters – und ich denke nicht, dass das wirklich in ihrem Sinn ist“, gab ich zurück.

Einige Augenblicke lang hörte ich nichts mehr. Dann surrte es und die Tür öffnete sich.

De Aufzug war defekt. Wir gingen über das Treppenhaus in den dritten Stock und hatten wenig später Roy Anselmos Apartmentnummer erreicht. Allerdings wies nichts mehr darauf hin, dass er hier wohnte oder gewohnt hatte. Ein Schild war vor kurzem abgenommen worden, wie man anhand von Umrissen und Schraubenlöchern sehen konnte. Ich betätigte die Klingel.

„Mister Anselmo?“, fragte ich.

Keine Antwort.

„Mister Anselmo, hier spricht Jesse Trevellian, FBI!“

Erneut keine Reaktion. Milo und ich wechselten einen kurzen Blick. Die Tür bewegte sich ein Stück und bildete einen Spalt. Sie war offenbar nur angelehnt gewesen. Ich zog die Dienstwaffe und nahm den Griff in beide Hände. Dann stieß ich die Tür auf. Schon im nächsten Moment ließ ich den Lauf der Waffe wieder sinken. Es war niemand dort. Wir traten ein. Der Wohnungsschlüssel steckte von innen in der Tür. Das Apartment war offenbar möbliert zu vermieten gewesen. Aber nirgends befanden sich in den Schränken und Regalen noch persönliche Gegenstände.

Milo stieß die Tür zur Küche auf, ich nahm mir das Bad vor. Überall bot sich das Bild einer Wohnung, deren Bewohner gerade ausgezogen war. Alles war gründlich gereinigt. Im Bad glänzten die Armaturen. Der Geruch eines Desinfektionsmittels hing in der Luft und erinnerte mich an die typischen Gerüche einer Klinik. Ich steckte die Waffe wieder ein.

„Ich fürchte, Mister Anselmo sehen wir so schnell nicht wieder, Jesse“, meldete sich Milo zu Wort.

Ich nickte. „Das scheint mir auch so.“

„Aber ist das so wichtig?“

„Ja, das ist es, Milo! Immerhin hat seine Zeugenaussage dazu geführt, dass wir den Falschen verhaftet haben!“

„Moment mal – du denkst, dass Anselmo unser Mann sein könnte?“

„Das weiß ich nicht – aber ich weiß, dass mit ihm was nicht stimmt. Warum verschwindet er plötzlich so spurlos? Das sieht doch wie eine Flucht aus!“

„Das mag merkwürdig sein – aber es ist nicht einmal der Hauch eines Indizes, Jesse!“, gab Milo zu bedenken.

Ein Geräusch ließ uns herumfahren.

Die Tür hatte sich in der Zwischenzeit bis auf einen Spalt wieder geschlossen. Etwas stieß dumpf gegen das Holz.

Wir drehten uns um und hoben instinktiv die Dienstwaffen.

„Sind Sie da?“, rief eine heisere Stimme.

Jetzt vergrößerte sich dieser Spalt knarrend wieder. Als die Tür sich weit genug geöffnet hatte, blickte uns ein hagerer alter Mann erschrocken an. Er trug Krücken und mit einer davon hatte er die Tür angestoßen. Jetzt verlor er vor Schreck fast das Gleichgewicht, weil er die Krücke nicht schnell genug wieder auf den Boden setzte.

Mit geweiteten Augen starrte er in die Mündungen unserer Waffen, die wir natürlich sofort senkten.

„Ich tu Ihnen nichts“, sagte er. Ich schätzte sein Alter bei achtzig plus x ein. An seiner etwas schleppenden Art zu sprechen erkannte ich sofort die Stimme aus der Sprechanlage wieder.

„Sie haben uns geöffnet, nicht wahr?“

„Ja, und ich bin mir noch immer nicht sicher, ob ich da nicht einen Fehler gemacht habe!“

Auf seiner Stirnmitte erschien eine ziemlich tiefe Furche. Sein Gesicht hatte eine ovale Form und war abgesehen von einem weißen Kranz so gut wie haarlos.

Ich steckte die Dienstwaffe ein und holte meine ID-Card hervor. Dann trat ich auf ihn zu und hielt ihm das Dokument hin.

„Sehen Sie sich das gut an. Ich bin wirklich vom FBI.“

Er blinzelte. „Wie soll unsereins denn diese Minischrift lesen können? Die drei Buchstaben FBI sind zwar erkennen, aber...“

„Tja, mehr kann ich nicht tun, um Ihnen zu beweisen, wer ich bin, Sir.“

„Sie können mir die Brille aus der Jackentasche nehmen und mir auf die Nase setzen. Wenn ich nämlich die Krücken loslasse, falle ich hin.“

Ich holte ihm also die Brille aus der Tasche und setzte sie ihm auf die Nase. Anschließend sah er sich meinen Ausweis noch mal an. „Sieht echt aus“, meinte er dann.

„Und wenn ich ein Trickbetrüger wäre, hätte ich Ihnen jetzt sowieso schon alles wegnehmen können, was Sie in den Taschen haben“, sagte ich.

Sein Blick streifte interessiert durch das Innere des Apartments. „Ich könnte mich ja mal auf das Sofa da vorne setzen!“, murmelte er und humpelte vorwärts.

„Sie könnten Spuren vernichten“, sagte ich, aber es war schon zu spät.

Er hatte sich auf dem Sofa niedergelassen. Er verlangte jetzt auch Milos Ausweis zusehen. Milo zeigte ihm die ID-Card und meinte dann: „Da Sie jetzt wissen, wer wir sind, wäre es eigentlich ganz höflich, wenn Sie sich auch mal vorstellen würden!“

„Cyrus Norman. Haben Sie das Schild nicht gelesen, auf das Sie gedrückt haben? Wahrscheinlich nicht. Sie wollten nur irgendeinen Idioten dazu bringen, aufzustehen und einen Knopf zu drücken, damit sich unten die Tür öffnen lässt. Und das haben Sie dann ja auch geschafft! Wissen Sie eigentlich, was das für mich bedeutet hat? Ich bräuchte dringend ein neues Knie, aber ich habe leider keine Krankenversicherung, deswegen muss ich mit diesen Dingern hier herumlaufen.“ Er deutete auf seine Krücken, die er rechts und links neben sich an die Sofakante gelehnt hatte.

Milo atmete tief durch.

„Wir wussten ich, dass Sie schlecht zu Fuß sind, Mister Norman“, sagte er.

„Das sage ich doch immer!“ erwiderte er und eine dunkle Röte überzog dabei sein Gesicht. „Genau das sage ich immer! Gedankenlosigkeit ist das Schlimmste! Ich muss mich mit meinen müden Knochen aus dem Sessel quälen, auf dem ich gerade eine Möglichkeit gefunden habe, bequem zu sitzen und Sie machen sich noch nicht einmal Gedanken darum! Oder nehmen Sie den Kerl, der hier wohnte, das war doch auch so einer, der sich über nichts Gedanken machte... Ich meine, wer schon in einer Bar arbeitet! Man kennt das doch! Nachtleben, schnelle Bekanntschaften... Wahrscheinlich Drogen...“

„Kannten Sie Mister Anselmo näher?“, fragte ich.

„Er sah meinen Sohn ähnlich“, sagte Norman. „Also meinem zweiten Sohn von meiner ersten Frau. Mit meiner zweiten hatte ich keine Kinder. Sie starb im vergangenen Jahr. Wo meine erste Frau jetzt lebt, weiß ich nicht. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit unsere Tochter geheiratet hat. Übrigens einen Schwarzen. Meine Frau war deswegen dagegen, aber ich habe ihr immer gesagt, wenn die beiden...“

Er redete einfach immer weiter und Milo warf mir einen hilflosen Blick zu, der nichts anderes zu sagen schien als: Wie bekommen wir den Mann hier wieder weg?

Ich unterbrach schließlich höflich, aber bestimmt seinen Redefluss.

„Mister Norman, wir haben noch einiges zu tun. Nachdem Sie nun hoffentlich überzeugt sind, dass wir rechtmäßig hier unsere Arbeit machen, wäre es vielleicht besser, wenn Sie zurück in Ihre Wohnung gehen. Ist Ihre Wohnung hier auf dem Flur?“

„Eine Tür weiter. Ich habe Sie reden hören und da dachte ich mir, ich schaue mal nach, was das los ist. Die Wände sind nämlich ziemlich hellhörig, müssen Sie wissen.“ Er kratzte sich am Kinn. „Was ist denn hier eigentlich passiert?“

„Mister Norman...“

„Ich meine, wenn Sie Anselmo suchen, verstehe ich nicht, was Sie hier noch wollen!“

„Das lassen Sie mal unsere Sorge sein.“

„Ich habe ihn heute Morgen getroffen, als er das Haus verließ und seine Sachen nach draußen getragen hat. Viel war das nicht. Einen Umzug würde ich das nicht nennen, aber ich glaube, er ist ganz schön herumgekommen, wie er mir mal sagte. Deshalb hat er wohl nie viel Hausrat angehäuft.“

Ich sah ihn verwundert an. „Ich dachte, Sie sind so schlecht zu Fuß? Und dann laufen Sie im Flur herum?“

„Nur in diesem Stockwerk. Man muss doch etwas fit bleiben. Außerdem habe ich meinen Kumpel Artie erwartet, der zum Schachspielen vorbeischauen wollte und sich verspätet hat.“

Jetzt mischte sich Milo ein. „Sie haben gesagt, die Wand wäre sehr hellhörig. Haben Sie mal mitbekommen, was hier so vor sich ging?“

„Sie meinen, wenn er Besuch hatte?“, schloss Norman.

Milo nickte. „Zum Beispiel.“

„Das war ein ziemlicher Casanova, würde ich sagen. Ich habe ihn nicht einmal mit derselben Frau angetroffen, auch wenn wer seinem Typ eigentlich immer treu geblieben ist.“

„Seinem Typ?“, echote ich.

„Rote Haare. Ja, schauen Sie mich nicht so an, das ist mir schon aufgefallen. Alle Frauen, mit denen ich ihn gesehen habe, hatten rote Haare. Manchmal kürzer, manchmal länger, manchmal glatt, manchmal gelockt...“ Er beugte sich vor und sprach in einem leiseren, verschwörerisch klingenden Tonfall weiter. „Ich wette, dass der Kerl eine ganz üble Masche hatte. Er hat die Frauen betrunken gemacht und dann hier hin abgeschleppt. Eine konnte nicht mal mehr richtig gehen. Er musste sie fast tragen...“

„Wann war das?“, hakte ich nach.

„Ist noch nicht so lange her. Vor vier Wochen vielleicht...“

„Sie haben das mit eigenen Augen gesehen?“

„Ja, das war mitten in der Nacht! Vier Uhr, kann auch halb fünf gewesen sein. Ich meine, Anselmo hatte ja einen Job, bei dem er nachts arbeiten musste, aber wie ich schon sagte, das Haus ist sehr hellhörig. Das hat mich jedes Mal aus dem Schlaf gebracht. Und dieses eine Mal war der Krach besonders groß, weil er mit dem Schlüssel so im Schloss herumgestochert hat. Dabei muss man die Wohnungstüren etwas anziehen, damit sie geöffnet werden können. Das ist bei meiner auch so. Weil das für mich so schwierig ist, lege ich immer einen Keil dazwischen, wenn ich die Wohnung verlasse. Ich gehe ja auch nur ein paar Schritt auf dem Flur...“

„Kommen Sie zu Mister Anselmo zurück“, verlangte ich.

„Tut mir leid, ich wollte nicht abschweifen. Mister Anselmo hatte nur eine Hand frei, weil ihm diese junge Frau so am Hals hing. Oder besser gesagt: über der Schulter. Er musste sie mehr oder weniger hineintragen. Ich habe ihn zur Rede gestellt. Er war ziemlich gereizt und hat gesagt, dass ich mir Ohrenstöpsel kaufen soll.“

„Haben Sie die Frau noch einmal gesehen?“, fragte Milo.

„Da bin ich mir nicht sicher.“

„Wieso?“, fragte ich. „Entweder Sie haben Sie noch einmal gesehen oder nicht. Da gibt es doch eigentlich nichts dazwischen.“

Norman seufzte hörbar. „Ich habe doch sowieso nur ihre Haare gesehen, weil ihr Gesicht auf seiner Schulter lag oder wie auch immer man das nennen will. Einige Zeit später habe ich ihn mit einer jungen Frau mit ähnlicher Haarfarbe gesehen. Es könnte von den Proportionen her dieselbe gewesen sein – aber das weiß ich nicht.“

Immerhin hatten wir einen Zeugen dafür, dass Roy Anselmo ein ausgeprägtes Interesse an Rothaarigen hatte. Ohne es zu wissen hatte uns Norman damit ein weiteres Mosaikstein in einem Muster geliefert, das Anselmo als verdächtig erscheinen ließ. Es passte anscheinend alles zusammen.

„Haben Sie irgendetwas von dem mitbekommen, was hier drinnen gesprochen wurde?“

„Nein, viel geredet wurde da nicht. Und mich hat auch gewundert, wie leise der Kerl mit seinen Eroberungen beim Sex war. Bei den Nachbarn auf der anderen Seite meiner Wohnung hört man nämlich alles. Aber vielleicht ist ja bei Anselmo in dieser Hinsicht auch nicht mehr so viel gelaufen, weil die Damen schon zu betrunken waren... Hat Anselmo irgendetwas verbrochen?“

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Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
1404 s. 8 illüstrasyon
ISBN:
9783956178467
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Telif hakkı:
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