Kitabı oku: «Der Aufstieg der Ultra-Läufer», sayfa 2

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Kurz darauf spricht er darüber, wie er sich während einer Etappe plötzlich ganz alleine und erschöpft unter der sengenden Sonne wiederfand. Er hatte begonnen zu gehen und summte dieses Lied leise vor sich her. Dabei verlor er sich in seiner eigenen Welt, so dass er gar nicht bemerkte, wie ich zu ihm aufschloss. Als ich hörte, was er da vor sich hin summte, begann ich miteinzustimmen. Da blickte er mit einem breiten Grinsen im Gesicht durch seine spiegelnden Sonnenbrillen zu mir herüber und wir gingen zusammen weiter, während wir wie zwei glückselige Fußballfans You’ll Never Walk Alone aus voller Kehle sangen.

„Wissen Sie“, sagte er zu dem Reporter, „wenn du an verrückte Orte reist, triffst du verrückte Leute.“ Ich weiß nicht, wen genau er damit gemeint hatte, mich oder ihn oder vielleicht uns beide, aber mir gefiel dieser Satz. Ultra-Marathons und die Orte, an die es einen dadurch verschlug, waren wirklich verrückt und langsam fing ich an zu begreifen, dass dieser Sport einen ganz bestimmten Typ Mensch ansprach. Nicht ganz klar im Kopf, vielleicht, aber auch offen, freundlich und warmherzig. Zumindest ist es das, was Dino sagte.


Um etwa drei Uhr nachmittags gesellte ich mich zu den Top 20, der Crème de la Crème des Ultra-Laufs, um das Hauptfeld, mit Dino an der Spitze, zu verabschieden. Wir sahen ihnen dabei zu, als sie wie Ameisen über den Sand davonkrabbelten. Danach gingen wir wieder zurück in unsere Zelte, um uns auf unseren Start vorzubereiten.

Nachdem ich mich schon ein paar Tage durch meine Vorräte gefuttert hatte, war meine Tasche inzwischen um einiges leichter geworden und einfacher zu tragen. Ich werde nur so dahinfliegen, sagte ich zu mir. Vor allem auf dem härteren Boden.

Doch der härtere Untergrund kam nicht. Und je länger die Nacht andauerte, desto lockerer wurde die endlos scheinende Spur aus aufgewühltem Sand. Es kam mir vor, als versänke ich langsam im Boden und mir wurde klar, dass ich mich am Vortag übernommen hatte und meine Beine nun immer schwerer wurden. Einer der Rennärzte hatte mir meine überstrapazierte Leiste zwar getapt, doch nun begann sie richtig zu schmerzen. Auch die Achillessehne an beiden Füßen tat mit jedem Schritt mehr weh.

Von den 20 vordersten Läufern war ich bei weitem der Langsamste auf der Etappe. Wir starteten bei Sonnenuntergang – wie eine Jagdgesellschaft, die hinter den anderen her hetzt – doch bald war ich abgeschlagen und alleine. Ich verbrachte Stunden damit, im Scheinwerferlicht des Wagens zu laufen, der hinter dem allerletzten Läufer herfährt. Es war richtig ärgerlich, das Auto die ganze Zeit hinter mir zu hören, wie es die Stille der Wüste durchbrach, aber immerhin half es mir dabei, weiterzulaufen.

Irgendwann begann ich die ersten Läufer der langsameren Gruppe einzuholen, doch zu diesem Zeitpunkt bewegte ich mich bereits kaum schneller voran als sie. Wir unterhielten uns, als ich für eine Weile neben ihnen herging. Danach nahm ich wieder alle meine Kraft zusammen und lief ein Stück weiter.

Je später es wurde, desto mehr ging ich, als ich lief. Ich musste mir immer wieder von neuem überlegen, wie lange ich da draußen sein würde. Erst fünf Stunden. Dann sechs. Dann sieben. Würde ich es überhaupt bis ins Ziel schaffen? Ich blieb einige Male stehen, schaltete meine Kopflampe ab und betrachtete den funkelnden Sternenhimmel über mir. Hier war ich nun, ein winziges Wesen, ganz allein am Rande eines Planeten, der sich durch das All bewegte. Es schien lächerlich, mir über meine Position im Rennen Gedanken zu machen. Wen interessierte es denn schon, wie langsam ich lief? Niemanden, stellte ich erleichtert fest. Nicht einmal mich selbst. Ich könnte weiterhin nur gehen und den prachtvollen Anblick des sich immer weiter ausdehnenden Universums genießen.

Aber wenn ich mich nicht etwas zusammenreißen würde, wäre ich die ganze Nacht hier draußen. Also versuchte ich wieder weiter zu traben. Ich konnte das Wasser hören, wie es in meiner Trinkflasche hin und her schwappte, und verfiel schließlich in eine Art Trance, in der ich meine Schritte und meine Atmung dem Geräusch des Wassers anpasste, ähnlich dem Rhythmus eines Trommelschlags. Alles, was ich sah, war der Lichtkegel vor mir, ein Licht am Ende eines langen, dunklen Tunnels. Ich lief weiter ins Licht, weiter und weiter, platsch, platsch, platsch.

Irgendwann hatte ich es dann doch geschafft. Ein Marathon in sieben Stunden und 34 Minuten. Einige Monate zuvor war ich einen Straßenmarathon in unter drei Stunden gelaufen. Das war ein ordentlicher Rückschlag. Mein Rennen, als Wettkämpfer, als Top 20 Mann, war vorbei. Ich war in ein dunkles Loch gefallen, doch ich hatte überlebt. Ich war im Ziel. Und das war alles was zählte zu dem Zeitpunkt. Bis zum nächsten Morgen. Inzwischen war es ein Uhr nachts. Der Start der nächsten Etappe, die letzte des Rennens, war nur mehr acht Stunden entfernt. Ich brauchte jetzt meinen Schlaf.

Ich humpelte durch das stille Lager. In dieser Nacht war ich die letzte Person zurück in Zelt 2. Mein einziger Wunsch war es, nur mehr in meinen Schlafsack hineinzukriechen, doch ich konnte mich kaum bücken und meine Schuhe ausziehen. So stand ich also da und starrte hinein in das dunkle Zelt voll mit schlafenden Körpern und kam mir vor wie ein laufender Zombie. Obwohl sie schon in ihre Schlafsäcke eingehüllt im Bett lagen, bemerkten mich Rob und Dino und standen auf, um mir zu helfen. Rob mixte ein Getränk zusammen, das mich wieder auf die Beine bringen sollte, während Dino mir meine Schuhbänder aufschnürte. Keiner von ihnen sagte ein Wort. Auch sie hatten sich durch die Nacht gequält. Es brauchte auch keine Worte, wir hatten alle das Gleiche durchgemacht. Die Qualen der vergangenen Etappe waren an unseren Gesichtern abzulesen.

Rob hatte mir ein T-Shirt geliehen – das Meinige war noch komplett durchgeschwitzt – und ich wollte es mir gerade etwas bequemer machen, als wir einen markdurchdringenden Schrei hörten. Leute begannen zu schreien, größtenteils auf Italienisch, und Taschenlampen blitzten im ganzen Lager auf. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. So lag ich also da in meinem Schlafsack, noch immer mitgenommen von meinem Lauf, und betete, dass alles in Ordnung wäre.

Nach einiger Zeit stellte sich heraus, dass sich ein Unglücksrabe, der sich zehn Stunden durch den Sand ins Ziel gequält hatte, auf einen Skorpion gesetzt hatte, nachdem er endlich in seinem Zelt angekommen war. Ich weiß nicht, ob ich mit so etwas fertig geworden wäre.

Die Ärzte waren glücklicherweise gleich zur Stelle, um ihn zu behandeln, und nach etwas Aufregung und Leuten, die im Mondlicht hin und herliefen, und irgendwo ein Lastwagen startete, war er versorgt und verbrachte die restliche Nacht im Erste-Hilfe-Zelt. Zu meinem Erstaunen stand er bereits ein paar Stunden später bei Sonnenaufgang mit dem Rest von uns wieder an der Startlinie.

Ich befand mich am Ende des Starterfelds, die Sonne schien bereits hell vom Himmel. Wie heißt es bei Shakespeare: „Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!“ Doch ich war leer. Ein holländischer Läufer sagte mir am Ende des zweiten Tages, nachdem er aufgegeben hatte zu laufen und sich nur mehr gehend fortbewegte, dass „das Feuer erloschen war“. Sein Wunsch ein richtiges Rennen zu bestreiten, so schnell wie möglich das Ziel zu erreichen, war einfach gestorben. Ohne triftigen Grund weiter da draußen zu sein, ein Feuer in sich zu tragen, das einem hilft, sich weiter zu pushen, war es nur zu einfach, den Willen weiterzumachen zu verlieren. Nun wusste auch ich, was er damit gemeint hatte. Mein Feuer war ebenfalls erloschen. Nach weniger als 20 Schritten auf der letzten Etappe entschied ich, dass ich nicht mehr laufen konnte. Ich bewegte mich bereits nur mehr gehend fort. Mein Energiepegel war auf null. Meine Beine waren kaputt, meine zusammengeflickte Leiste schmerzte bei jedem Schritt. Und es lagen noch etwa 22,5 Kilometer lockerer Sand vor mir bis ins Ziel.

Es war der längste Gewaltmarsch meines Lebens. Jeder Schritt, auch wenn ich langsam ging, war eine Qual. Die Sonne stand hoch und brannte wie ein Hochofen herab. Immer wieder hielt ich an und setzte mich hin. Weswegen sollte ich mich denn beeilen, für mich war der Wettbewerb sowieso schon gelaufen. Doch das Ziel winkte mir zu. Das Meer. Unser Ziel lag am Meer. Ich stellte mir vor, wie ich fröhlich in den Fluten herumplantschte.

Irgendwo entlang dieser trostlosen Straße fanden mich dann auch Gudrun und Hansmartin. Und retteten mich.

Zurück im Lager, nachdem ich mich im Meer abgekühlt hatte, war die Atmosphäre eine andere. Die Leute waren glücklich, entspannt. Die Angespanntheit der vergangenen Tage, die sonst nach den Etappen herrschte, war wie weggeblasen. Das Rennen war gelaufen. Als wir da lagen, in unseren Schlafsäcken, und hinaus auf das Meer blickten, begannen wir wieder an Zuhause zu denken, an unsere Jobs, unser Leben in der Stadt, in Häusern. An das Leben jenseits der sengenden, unwirtlichen und alles verschlingenden Wüste. Täuschte ich mich oder schlich sich da gerade ein wenig Traurigkeit in die Freude und Erleichterung, das Rennen endlich beendet zu haben, mit ein?

Es stellte sich heraus, dass dieses Rennen hart war für einen ersten Ultra. Viele der Läufer waren bereits auch den Marathon des Sables gelaufen. Und viele von ihnen meinten, dass das Rennen hier mit seinem endlosen, lockeren Sand sogar härter gewesen wäre.

„Dagegen ist der Marathon des Sables geradezu ein Wellness Camp“, meinte Gudrun, die nun bereits beide Rennen bestritten hatte.

„Gegen Ende war das wie in den Alpen“, sagte Elisabet, die schwedische Läuferin. „Nur dass die Berge hier aus Sand bestehen.“ Wie sich herausstellte, hatte sie jede Etappe dieses Rennens für sich entscheiden können und durfte nun auch den Oman Desert Marathon in ihre stetig wachsende Siegesliste eintragen. Nachdem ich so viel zu kämpfen hatte bei diesem Rennen, erschien mir die Idee, bei solchen Rennen um den Sieg mitzulaufen, als eine komplett andere Welt. Es war eine elitäre Gruppe von vielleicht fünf Männern und Frauen, die sich jeden Tag auf den Weg machten, mit dem Gedanken, das Rennen gewinnen zu können, und bereit waren, alles dafür zu geben, sich Gedanken über ihre Konkurrenz zu machen und taktische Schachzüge zu planen. Der Rest von uns versuchte eigentlich nur, den Willen, das Rennen zu beenden, am Leben zu erhalten.


Zu Hause in England angekommen, musste ich immer wieder an den Reiz des Ultra-Marathons denken. Es war diese Abenteuerromantik, die mich anfangs so in ihren Bann gezogen hatte, die Wüste zu Fuß zu durchqueren. Aber es gibt viel einfachere Wege, die Pracht und Schönheit dieser Welt zu erleben. Auf dem Rücken von Kamelen zum Beispiel, oder Wanderungen. Das wäre doch genauso abenteuerlich, nur eben ohne die extremen Strapazen, dem andauernden Fluchen und stetigem Kampf. Und doch scheint es, als ob sich alle – inklusive mir – trotz all der Schmerzen, speziell während der Nachtetappe, nach dem Rennen glücklich und zufrieden fühlten. Ein stiller Frieden lag am Tag nach der letzten Etappe über dem Lager. Hatten wir plötzlich alle Schmerzen und Qualen vergessen? Oder war dieses Leiden Teil unseres Glücklichseins?

Eines Nachmittags während des Rennens sprach einer der holländischen Läufer über etwas, das der berühmte Ultra-Läufer und Autor Dean Karnazes einmal gesagt hatte, nämlich, dass die Menschen Komfort oft mit glücklich sein verwechselten. „Glücklich sein muss man sich verdienen“, sagte der Holländer mit Nachdruck. Ich saß da und hörte zu, während mein Blick durch das Lager schweifte und ich dachte an all die Anstrengungen, die nötig waren, dieses Rennen zu organisieren: das Camp jede Nacht an einem anderen Ort wieder aufzubauen, das kleine Vermögen, das jeder Läufer bereit war auszugeben, um hier mitzulaufen, bis hierher ans Ende der Welt zu fliegen, jeden Tag stundenlang durch die glühende Hitze über Sand zu laufen. Alles nur, damit wir das Gefühl haben, dass wir uns unser Glücklichsein verdient hätten?

Einmal kamen Gudrun mitten während des Rennens Zweifel an dem, was sie hier tat, und sie stellte eine rhetorische Frage: „Warum machen wir das hier eigentlich? Wir haben doch so ein schönes Zuhause.“

Hansmartin, ihr Ehemann, stand neben ihr und meinte nur: „Genau deswegen, weil wir eben ein schönes Zuhause haben.“

Wenn Glücklichsein nicht in den Annehmlichkeiten lag, war es dann im Unangenehmen zu finden? War es uns, denen es gut geht im Leben, ein Bedürfnis, Leid zu erfahren? Weil wir dadurch erst lernen, unser Heim und unseren Komfort zu schätzen? Oder machte uns dieses Leiden irgendwie zu stärkeren, erfüllteren Menschen?

All diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich an den Moment zurückdachte, an dem wir das erste Mal in Muscat angekommen waren und uns gesagt wurde, dass wir für acht Stunden am Flughafen warten müssten. Nachdem das Rennen beendet war, erkannte ich, dass ich, wäre ich noch einmal in dieser Situation, nun eher meinen Schlafsack auspacken würde und versuchen würde, ein Nickerchen zu machen. Denn plötzlich fühlten sich ein paar extra Stunden am Flughafen gar nicht mehr so anstrengend an. Nach dem Rennen über eine Woche durch die Wüste hatte sich etwas verändert.

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Und so bin ich auf einmal angefixt. Naja, nicht ganz. Aber ich bin fasziniert. Ein paar Wochen nachdem ich aus dem Oman zurückgekehrt war, treffe ich Elisabet wieder. Ich hatte den Auftrag bekommen, sie für einen Artikel im Guardian zu interviewen, und so verabreden wir uns in der Redaktion der Zeitung im Zentrum Londons, wo wir auf Ledersofas sitzen, Espresso trinken und den Leuten dabei zusehen, wie sie sich für ihre Mittagssandwiches anstellen. Ich frage sie, wie sie zum Ultra-Sport kam.

Sie erzählt mir, dass sie früher eine begeisterte Marathonläuferin war, die ihr Training rund um ihren gut bezahlten Job im Londoner Finanzdistrikt plante. „Ich wurde immer besser“, sagt sie. „Doch dann kam der Punkt, an dem ich überlegte, was ich als nächstes tun sollte. Ich könnte versuchen, die Marathonstrecke schneller zurückzulegen – das ist nicht einfach und sicher eine interessante Herausforderung – oder ich könnte einfach längere Distanzen laufen. Ich beschloss, dass es interessanter wäre, mir die längeren Distanzen genauer anzusehen.“

Ihre Entscheidung, sich dem Ultra-Lauf zu verschreiben, wurde aufgrund einiger unerwarteter Schicksalsschläge beschleunigt. Innerhalb kürzester Zeit starb ihr Vater, wurden bei ihrer Mutter Alzheimer und bei ihrem Ehemann Krebs diagnostiziert. „Alle diese Dinge“, meint sie, „lassen dich erkennen, dass das Leben sehr kurz ist und du aktiv werden musst und nicht einfach rumsitzen kannst und warten.“

Also gab sie ihren Job in der City auf und machte sich auf ins Abenteuer. Um ihr neues Leben finanzieren zu können, eröffnete sie ein Geschäft für Laufzubehör, doch nach ihren Siegen beim MdS und dem Oman-Rennen erschienen immer wieder Zeitungsartikel über sie und so begannen sich auch langsam Sponsoren zu finden, die sie unterstützen. Das macht es natürlich einfacher, zu den Rennen zu reisen und mehr Herausforderungen anzunehmen. Was also als riskante Entscheidung begann, scheint sich nun auszuzahlen.

Ihre Worte beginnen etwas in mir zu bewegen. Ich erinnere mich, wie es sich anfühlte, als ich mich das erste Mal dazu entschieden hatte, einen Marathon zu laufen. Die Idee hing damals schon seit einigen Jahren wie eine Wolke am Horizont, sah mir bei jedem Rennen über kurze Distanzen über die Schulter und wunderte sich, wann ich denn nun endlich einen Marathon laufen würde. Und irgendwann war dann die Zeit gekommen. Das Leben geht weiter. Und so lief ich meinen ersten Marathon.

Seit damals sehe ich immer wieder diesen Weg, der einen Berg hinaufführt, am Horizont auftauchen. Ein langer, sich windender Weg. Ich bin jetzt 42. Ich habe bereits einige solide Marathons hinter mir. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, den nächsten Schritt zu wagen. Herauszufinden, was die Leute da draußen auf diesem Weg finden, das sie dazu treibt, diese unbezwingbar erscheinenden Distanzen zu laufen.

Der Gedanke ist so faszinierend, dass ich kurz darauf meinen Redakteur anrufe. „Ich glaube, ich habe mein nächstes Thema gefunden“, sage ich zu ihm. Ich habe bereits Bücher über meine Reisen nach Kenia und Japan geschrieben, in denen ich versuche, diesen beiden einzigartigen Laufkulturen auf die Spur zu kommen. Diesmal will ich jedoch etwas über ein interkulturelles, globales Phänomen herausfinden, von dem ich erst jetzt begreife, wie groß es eigentlich ist. Was ist diese Welt des Ultra-Sports? Wer sind die Menschen, die diesen Sport ausüben? Worum geht es dabei überhaupt? Der beste Weg, das alles herauszufinden, so beschließe ich, ist mich einfach für ein weiteres Rennen anzumelden und zu laufen.


Über die letzten zehn Jahre ist der Ultra-Marathonlauf rapide gewachsen und gilt als eine der am schnellsten wachsenden Sportarten weltweit.

Die Webseite runultra.co.uk führt eine Liste der größten Ultra-Marathons der Welt. Der Betreiber der Seite, Steve Diederich, erzählt mir, dass er, als er diese Internetseite vor zwölf Jahren einrichtete, 160 Rennen weltweit fand. Heute führt er über 1.800 Rennen auf seiner Seite an, ein Anstieg von mehr als 1.000 %. Die deutsche Ultra-Marathon-Webseite DUV listet die Ergebnisse vieler kleinerer Rennen in ihrer akribischen Datenbank auf, unter anderem auch bis zurück zum 89-km-Rennen von London nach Brighton im Jahre 1837. Über die letzten zehn Jahre hinweg erzählt diese Webseite eine ähnliche Geschichte mit einem 1.000%igem Anstieg an Ultra-Läufen weltweit.

Andy Nuttall, Redakteur des Magazins ULTRA, beschäftigte sich eingehender mit den DUV-Statistiken und fand heraus, dass der Aufstieg des Sports in Großbritannien sogar noch viel stärker ausfiel: waren es im Jahr 2000 nur 595 Personen, die einen Ultra-Marathon im UK beendeten, so stieg diese Zahl bis zum Jahr 2017 auf 18.611.

Wo auch immer ich hinsehe, die Geschichte ist fast immer die gleiche. Das in den USA erscheinende Magazin Ultra Running führt eine Statistik für Nordamerika, die zeigt, dass die Anzahl der Rennen und Personen, die diese beenden, seit 1981 jedes Jahr ansteigt. Auch in Asien ist die Zahl an Ultra-Läufen explodiert. Nic Tinworth, Renndirektor in Hong Kong, erzählt mir, dass, während es vor zehn Jahren erst sechs Ultra-Läufe in Hong Kong gab, die Zahl inzwischen auf 60 angewachsen ist. „In der Vergangenheit“, so sagt er, „konnte man einfach am Renntag nach Hong Kong kommen und sich für das Rennen anmelden. Doch heutzutage sind die Startplätze für die populärsten Rennen innerhalb von Minuten ausverkauft.“

Viele der am meisten überbelegten Rennen der Welt, wie etwa der Ultra-Trail du Mont-Blanc in Frankreich und der Western States 100 in den USA, mussten Lotterien einführen, damit sie die Anzahl potenzieller Teilnehmer in den Griff bekamen. Diederich verwaltet die Anmeldungen aus dem UK für den Marathon des Sables. Trotz der heftigen Anmeldegebühr von £ 4.250 [ca. 4.750 Euro], so erzählt er, sind die Startplätze für das Rennen jedes Jahr in wenigen Minuten ausverkauft.

Wonach streben alle diese Läufer? Im Oman erlebte ich eine Art Wandlung, etwas, das lange nach dem Rennen noch ein Teil von mir blieb. Aber ich habe das Gefühl, dass es da noch mehr zu entdecken gibt. Über die letzten beiden Etappen im Oman ging nichts mehr und ich hätte beinahe aufgegeben. Was wäre aber, wenn ich stark bliebe, auch im Angesicht einer solchen Herausforderung.

Ich erinnere mich an ein Foto der spanischen Ultra-Läuferin Azara García, die eine Tätowierung auf ihrem Bein trägt, die sich folgendermaßen liest (auf Spanisch):

„Der Teufel flüsterte mir ins Ohr: ‚Du bist nicht stark genug dem Sturm zu widerstehen.‘ Ich flüsterte zurück: ‚Ich bin der Sturm.‘“

Ist das der Reiz am Ultra-Marathonlauf? Uns selbst so weit zu pushen, bis wir an einen Punkt kommen, an dem wir Angesicht zu Angesicht mit dem Teufel kämpfen, es aber schaffen, uns aufzurichten und ihn zu überwinden? Könnte ich dem Sturm entgegentreten – was auch immer da kommen möge – und ihn mithilfe meiner Willenskraft besiegen? Dieser Gedanke hat etwas Verlockendes. Weit weg von jenem Financial-Times-Journalisten, der sich darüber beschwert, dass sich sein Hotelbus verspätet.

Ich muss zugeben, all das schmeichelt meinem Ego sehr. Ich sehe mir gerade eine Dokumentation über die Evolution des Menschen und welche Rolle das Laufen darin gespielt hat an. Darin meint ein Professor für Anthropologie am Hunter College in New York: „Wir haben sogar Aufzeichnungen über Menschen, die 160 Kilometer in einem durchlaufen können.“ Sein Ton hört sich an, als wäre dies eigentlich unmöglich, als müssten das irgendwelche Supermenschen sein. Und ich ertappe mein Ego dabei, wie es arrogant über meine Schulter blickt und sagt: „Du könntest das auch.“

Wie es die US-Komikerin und Ultra-Läuferin Michelle Wolf in einem Interview mit dem Magazin Runner’s World schon sagte: „Es gibt dir irgendwie das Gefühl, richtig knallhart zu sein.“

Wenn ich mit anderen Ultra-Läufern spreche, habe ich jedoch den Eindruck, dass die Bewältigung einer solchen Aufgabe und es bis ins Ziel zu schaffen nicht die einzige Befriedigung ist, sondern auch dieses Gefühl selbstzerstörerischer Gleichgültigkeit, das sie verspüren, wenn sie in diesen Sturm eintreten und nahe am Abgrund entlangtaumeln. „Durch ein Tal von Schmerzen laufen“, wie es erfahrene Ultra-Läufer oft genüsslich beschreiben.

Während ich nach Rennen suche, an denen ich teilnehmen könnte, ertappe ich mich dabei, wie ich mir die Streckenprofile ansehe, und ich spüre, wie mir ganz mulmig wird. Es kommt mir so vor, als ob jedes Ultra-Rennen einen kurzen Film mit viel Dramatik produziert. Und jeder dieser Filme zeigt jemanden, der komplett erledigt aussieht, am Rande des Zusammenbruchs. Die Läufer gleichen eher Überlebenden einer Beinahe-Apokalypse als Athleten und Athletinnen. Es sagt schon etwas aus, dass genau diese Bilder verwendet werden, um das Rennen zu bewerben. Die Teilnehmer wollen diese Verzweiflung erleben, sie wollen so nahe wie möglich an ihre eigene Selbstzerstörung kommen.

Viele Ultra-Läufer sagen mir, sie hätten ihre Inspiration, mit diesem Sport zu beginnen, gefunden, nachdem sie Dean Karnazes erstes Buch Ultramarathon Man: Aus dem Leben eines 24-Stunden-Läufers gelesen hatten. Darin beschreibt er in allen Details, wie er in einem 160-km-Rennen langsam kaputtgeht, wie Körper und Geist nach und nach aufhören zu funktionieren, bis eigentlich nichts mehr geht und er die Straße buchstäblich auf Händen und Füßen entlangkriecht. Ich erschaudere, während ich das Buch lese. Solche Schmerzen will ich nicht empfinden. Doch es gibt Läufer, die sagen, dass sie das Buch gelesen hätten und dabei dachten: „Genau das will ich auch.“

Etwas ängstlich, doch mit einem Ego, das mir zuflüstert, ich wäre robust genug, beginne ich nach einem Rennen zu suchen, bei dem ich die volle Ultra-Marathon-Erfahrung machen könnte. Ein Rennen, das mich direkt ins Herz dieses wachsenden Sports brächte, das mir alle Geheimnisse offenbaren würde und es mir erlaubt zu verstehen, was da eigentlich vor sich geht.

Das Ganze ist ein riesiges, unüberschaubares Thema, das ich hier begreifen will. Ein Sport, der sich gleichzeitig in mehrere Richtungen entwickelt. Ohne zentralen Verband oder Dachorganisation streiten und kämpfen Rennveranstalter, Interessensgruppen und selbsternannte Wächter des Ultra-Laufs um Kontrolle und einen Anteil am Geld, das darin involviert ist. Das weite Feld des Ultra-Marathonsports ist wie der Wilde Westen: unbändig und entschlossen, verteidigt von vielen der Alteingesessenen gegen die Eingriffe von Marken und Außenstehenden – Personen, von denen sie der Meinung sind, dass sie die Mentalität des Sports nicht wirklich verstehen. Es ist dieser unbeschwerte „Raus-in-die-Wildnis“-Minimalismus, die Chance, sich da draußen in der Natur zu verlieren, die härtesten und extremsten Gegenden unseres Planeten mit nicht mehr als einer Flasche Wasser und einer Regenjacke zu durchqueren, das den Reiz dieses Sports für viele ausmacht.

Einige der routinierten Ultra-Läufer empfinden den Zustrom von Neulingen bereits als zu viel und sie beginnen den großen Rennen den Rücken zuzukehren, auf der Suche nach noch isolierteren Herausforderungen. Ein Ableger für all diejenigen, die Massenstarts und „Goody bags“ mehr verabscheuen, als die eine oder andere Nacht unterkühlt an einer gefrorenen Felswand zu verbringen, ist ein weiteres wachsendes Phänomen namens FKT (Fastest Known Times/Schnellste bekannte Zeit). Dabei läuft man einfach los, meist allein, um eine bestimmte, vordefinierte Route schneller als irgendjemand anderer (von dem man die Zeit weiß) zuvor zu bewältigen. Das kann von einem bis ans andere Ende Neuseelands sein, oder ein bekannter Wanderpfad, wie der Appalachian Trail in den Vereinigten Staaten. Oder der Weg hinauf zum Gipfel des Mount Everest.

Doch darüber werde ich später mehr herausfinden. Jetzt suche ich einmal nach Rennen. Das reicht fürs Erste für mich. Ich habe viele Rennen über die Jahre bestritten. Nun möchte ich einfach längere Strecken laufen, das ist alles.

Ein Wort, das man oft hört, wenn über Ultra-Marathons und Ultra-Rennen gesprochen wird, ist „laufbar“. Einige Rennen werden als laufbarer betrachtet als andere. Das heißt nun nicht unbedingt, dass man die ganze Strecke durchlaufen kann – außer man ist einer der Superstars des Sports – aber theoretisch ist der Weg recht eben und die Anstiege und Abwärtspassagen gut machbar, so dass man zumindest den Großteil der Strecke laufen kann. Es gibt aber immer wieder Athleten, die sich darüber beschweren, wenn Rennen zu laufbar sind. Diese Sportler bevorzugen das genaue Gegenteil – im Ultra-Jargon auch als „technische“ Rennen bezeichnet – wenn das Gefälle zu steil und der Boden zu uneben sind, um frei dahinzulaufen. Rennen, bei denen man bei jedem Schritt aufpassen muss, wohin man tritt, und manchmal auch die Hände benutzen muss, um weiterzukommen.

Ich tendiere definitiv mehr zu laufbar als zu technisch. Natürlich, auf den richtig schwierigen Abschnitten darf man schon einmal gehen und über ein paar Felsen klettern ist auch O. K., aber wenn ich das tue, möchte ich trotzdem auch laufen.

Die Welt des Ultra-Sports ist vergleichbar mit einem Baum mit vielen Ästen. Einer der ältesten Äste ist, zumindest in unseren Breitengraden, das Berglaufen. Solche Rennen können über die unterschiedlichsten Distanzen gehen, von ein paar Kilometern bis zu einer nach oben hin offenen Ultra-Distanz, und führen in der Regel über Berge sowie meist unmarkierte Routen, was wiederum ein wenig Navigationskenntnisse voraussetzt. Der erste überlieferte Berglauf fand im Jahre 1040 n. Chr. in Großbritannien statt, als König Malcolm Canmore von Schottland einen Lauf in Braemar, Aberdeenshire, veranstaltete, um den schnellsten Boten zu ermitteln.

Trotz seiner langen Geschichte ist der Berglauf ein recht isolierter Zweig im Ultra-Laufen. Seine regionalen Wurzeln sowie der recht nüchterne, ernsthafte Charakter sind Teil des Anreizes und werden vehement verteidigt. Ich würde es wirklich gerne einmal ausprobieren, doch wenn ich Ultra-Marathons laufen will, dann denke ich an etwas mehr Internationales und Allumfassendes. Genau an das, was für den Boom des Sports verantwortlich ist.

Ein anderer Zweig im Ultra-Sport und einer, der einen starken Teilnehmeranstieg verzeichnet, sind mehrtägige Etappenrennen, wie der Marathon des Sables, die meist an exotischen, unwirtlichen Orten stattfinden: in der Wüste, im Dschungel, am Polarkreis. Die Teilnahme an solchen Rennen ist sehr kostspielig und benötigt eine Menge Vorausplanung.

In einigen Teilen der Ultra-Welt herrscht eine starke Abneigung gegenüber manchen dieser Mehrtagesrennen. Diese Ablehnung basiert teilweise auf den Kosten und dem damit einhergehenden Hype solcher Rennen wie dem MdS. „Ein Urlaub für Vorstandsmitglieder“, meinte einmal ein Ultra-Läufer zu mir. Da ich selbst schon da draußen in der Wüste war, wusste ich, wie hart und zermürbend es ist, andererseits verbrachten wir einen guten Teil des Tages in unseren Zelten, um uns zu erholen. Und trotz meiner ungenügenden Vorbereitung konnte ich die meiste Zeit im Vorderfeld einigermaßen mitlaufen. Urlaub würde ich es also nicht gerade nennen, doch es gibt sicherlich noch härtere, herausforderndere Rennen da draußen.

Ein weiterer Ableger dieses Sports inkludiert eine ganze Palette von Rennen, die so hart und extrem sind, dass jedes davon eine eigene Kategorie darstellen könnte. Diese Rennen umfassen Rennen wie das Spine Race, das etwa 430 Kilometer entlang des Pennine Way im Norden Englands verläuft. Non-stop. Im Jänner. Oder der Badwater 135-Meilen-Lauf (ca. 217 km), dessen Start – mit Renntemperaturen bis zu 54 °C – an einem der heißesten Orte der Erde, dem Death Valley in Kalifornien, liegt. Dann wäre da noch der Barkley Marathon, ein 160-Kilometer-Extremlauf entlang einer unmarkierten Strecke, die durch abgelegene Bergregionen in Tennessee führt – so schwer, dass es in den ersten 25 Jahren nur 10 Teilnehmern gelang, das Rennen überhaupt zu beenden. Oder wie wäre es mit dem längsten Ultra-Lauf der Welt: dem Self Transcendence 3.100-Meilen-Lauf, ein Rundlauf um einen Block des Stadtteils Queens in New York über exakt 4.988 Kilometer.

Ich suche zwar nach etwas, das mich an meine Grenzen bringt, aber ich bin nicht verrückt. Und ich möchte immer noch laufen können. Man kann 4.900 km nicht nur laufen. Bei Rennen wie dem Barkley Marathon stehen Geist, Wille und Überlebenstechniken im Vordergrund, weniger das Laufen. Natürlich will ich davon auch etwas, doch ich möchte trotzdem noch einigermaßen ein Rennen laufen.

Noch eine Kategorie in der Welt der Ultra-Läufe, bei der man wirklich laufen kann, sind die meist ebenen Rundkurse über genau abgemessene Distanzen von 100 km, oder Rennen, die über eine bestimmte Zeit gehen, zum Beispiel 24 Stunden. Es gibt Weltmeisterschaften und Weltrekorde für diese Rennen, die dem Marathonlauf wahrscheinlich am ähnlichsten sind.