Kitabı oku: «Der Aufstieg der Ultra-Läufer», sayfa 3

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Solche Rennen interessieren mich, doch genauso wie Berglaufen sind sie nicht der Grund für den phänomenalen Aufstieg des Ultra-Laufs. Die Starterzahlen dieser Veranstaltungen haben sich gegenüber ihrer Glanzzeit in den 1870er Jahren oder seit den 1950ern und 1980ern kaum geändert.

Ein interessantes Detail am Rande ist, dass sich diese Ultra-Rundläufe, die heute unter den am wenigsten glamourösen und am wenigsten bekannten Ultra-Laufdisziplinen sind, einst zu den größten Sportevents der Welt zählten.

Es mag uns heute eher seltsam vorkommen, doch im 19. Jahrhundert war Laufen ein unglaublich populärer Sport, der riesige Mengen an Zusehern anzog, die die Wettkämpfer bei Sechstagerennen auf den engen Hallenlaufbahnen in London oder dem Madison Square Garden in New York anfeuerten. Die Sieger konnten hochdotierte Preise im Wert von bis zu mehreren hunderttausend Euro mit nach Hause nehmen, während sich die Reichen und Schönen der damaligen Zeit unter den Pöbel mischten, der kam, um sich zu betrinken, zu wetten und Spaß zu haben.

Die Popularität des Sports war teilweise auch dem Amerikaner Edward Payson Weston geschuldet. Alles begann im Jahre 1861, als Weston aufgrund einer verlorenen Wette 725 Kilometer zu Fuß von Bosten bis nach Washington innerhalb von 10 Tagen zurücklegte, damit er dem Amtsantritt von Präsident Abraham Lincoln beiwohnen konnte.

Als die Kunde dieser Ausdauerleistung bekannt wurde, weckte das die Neugier der Menschen, die entlang der Strecke lebten, und sie strömten in Massen herbei und säumten die Straßen, nur um zu sehen, wie Weston durch ihren Ort marschierte.

Motiviert von dieser Reaktion begann er während der folgenden Jahre immer herausforderndere Strecken zurückzulegen. Dazu schien er auch ein richtiger Showman zu sein – manchmal blies er sogar auf einem Horn, während er ging, oder marschierte rückwärts, um seine Zuseher zu unterhalten. In den 1870er Jahren war Westons Ruhm als Langstreckengeher so weit angewachsen, dass er an einem Punkt angelangt war, an dem er entschied, Geld damit zu verdienen, indem er seine Darbietung nach innen verlegte, wo er Eintritt von den Leuten verlangen konnte. Damit legte er den Grundstein für einen Begeisterungssturm für Sechstagerennen – die längste Zeit, die man gehen oder laufen konnte, ohne dabei gegen das Gebot des heiligen Sabbats zu verstoßen. Über die folgenden Jahre hielt er eine Reihe spannender und sehr beliebter Head-to-Head-Rennen mit Daniel O’Leary, einem Amerikaner irischer Abstammung, ab.

Die Zeit der Sechstagerennen erreichte 1878 ihren Höhepunkt, als sich der britische Adelige Sir John Astley dazu entschloss, fünf internationale Rennen zu sponsern, bei denen es ein äußerst lukratives Preisgeld und einen Meisterschaftsgürtel in Gold und Silber mit der Inschrift Long Distance Champion of the World, also Langstreckenweltmeister, zu gewinnen gab.

Aufzeichnungen früherer Inkarnationen des Pedestriantismus, wie der Sport damals bezeichnet wurde, reichen bis ins frühe 18. Jahrhundert zurück. Während diese Rennen, die oft über Distanzen von 1.600 Kilometer reichten, ebenso große Mengen an Zusehern hatten, waren sie jedoch ein Wettgehen, bei denen es Regeln ähnlich dem heutigen Wettkampfgehen gab, etwa wie der Fuß aufzusetzen sei. Ganz im Gegensatz zu den Sechstagerennen der 1870er, die ähnlich dem modernen Ultra-Lauf waren und als „Go-as-you-please“-Rennen (Mach-was-du-willst-) bekannt wurden, in denen die Wettkämpfer gehen, laufen oder rasten konnten, wann sie wollten.

Die Rennen um den Astley-Belt-Meistergürtel von Sir John Astley wuchsen zu den größten Sportveranstaltungen der damaligen Zeit heran, inklusive Marschkapellen, euphorischer Berichterstattung und beträchtlichen Wetteinsätzen. Das erste der fünf Rennen fand 1878 in der Agricultural Hall in Islington, London, statt, bei dem sich 17 Engländer mit dem aus Irland stammenden O’Leary aus Amerika – Westons altem Rivalen – maßen. O’Leary gewann das Rennen bei dem er eine Gesamtdistanz von 520 Meilen (836 km) zurücklegte.

Das zweite Astley Belt Rennen wurde noch im gleichen Jahr vor einer Kulisse von mehr als 30.000 Zusehern in New Yorks Madison Square Garden ausgetragen. O’Leary, der Weltmeister, gewann auch dieses Rennen und durfte sich über ein Preisgeld von $ 10.000 (heute etwa 250.000 Dollar oder knapp 220.000 Euro) freuen, sowie über einen Anteil an den Eintrittsgeldern und den Nebenwetten.

Das dritte Rennen im März 1879, wieder im Madison Square Garden, war mit einem Preisgeld von mehr als $ 20.000 dotiert. Das öffentliche Interesse an dem Wettbewerb war nun schon so groß, dass die neuesten Informationen darüber im Stundentakt in Bars, Friseursalons, Lebensmittelläden und Hotels der Stadt ausgehängt wurden und die New Yorker Zeitungen täglich darüber berichteten.

Erst im vierten Rennen konnte der große Pionier des Sports, Edward Weston, endlich den inoffiziellen Weltmeistertitel erringen. Nachdem das Rennen wieder nach Islington, London, zurückgekehrt war, gewann der Amerikaner mit einer neuen Weltbestleistung von 885 Kilometern (550 Meilen) über sechs Tage.

Doch mit Beginn der 1880er Jahre verlor der Sport leider zusehends an Popularität und andere rivalisierende Sportarten erlebten ihren großen Aufstieg. Matthew Algeo, Autor des Buches Pedestrianism: When Watching People Walk Was America’s Favourite Spectator Sport, ist der Meinung, dass vor allem der Aufstieg des Fahrradfahrens eine Schlüsselrolle im Untergang der Sechstagerennen spielte.

„Sechstage Radrennen nahmen recht schnell den Platz der Gehbewerbe über sechs Tage ein, da sie viel spannender waren“, sagt er mir. „Die Renngeschwindigkeit stieg über Nacht von 6,5 km/h auf über 30 km/h. Und Unfälle waren natürlich auch viel spektakulärer.“

Trotz schwindender Zuschauerzahlen hörten einige der eingeschworenen Geher nicht damit auf, die Grenzen des physisch Möglichen weiter zu pushen. Der letzte große Kraftakt in der viktorianischen Ära waren die knapp über 1.000 km, die George Littlewood aus Sheffield in einem Sechstagerennen in New York bewältigte. Littlewoods Weltrekord blieb für fabelhafte 96 Jahre bestehen, bis er von der griechischen Ultra-Marathon-Legende Yiannis Kouros 1984 gebrochen wurde. Sieben Jahre später stellte Kouros den derzeitigen Sechs-TageRekord von 1.068 km auf.

Trotz ihres kurzen Moments im Scheinwerferlicht finden Ultra-Läufe, bei denen Runden auf Flachkursen absolviert werden, heutzutage eher wenig Beachtung. Stattdessen ist die bekannteste Disziplin dieses Sports, die mit dem meisten Drumherum und den größten Stars, der Ultra-Trail-Lauf. Hier findet man die ganz Großen dieses Sports, wie Kilian Jornet und Jim Walmsley, die sich Rennen über bis zu 100 Meilen (160 km) liefern. Im Gegensatz zum Rennen im Oman sind diese Rennen ein einmaliger Kraftakt. Wenn der Startschuss einmal gefallen ist, gewinnt derjenige, der als erster die Ziellinie überquert. Keine Nachmittage in Berberzelten und Plaudereien mit Dino. Nur weiter, weiter, weiter, bis man im Ziel ist.

Das größte Rennen von allen, quasi die Olympischen Spiele des Trail-Laufs, ist der Ultra-Trail du Mont-Blanc (UTMB). Jedes Jahr findet sich in Chamonix in den französischen Alpen die Crème de la Crème des Ultra-Trail zum großen Finale ein, dem Rennen aller Rennen. Gewinnst du hier, gehörst du auf ewig zu den Legenden dieses Sports.

Die Strecke verläuft über einen beliebten, etwa 172 km langen Wanderweg rund um den Fuß des höchsten Gipfels Westeuropas – zum Teil auch durch Italien und die Schweiz. Je mehr ich darüber höre, je mehr Videos ich mir vom Massenstart mit mehr als 2.000 Athleten ansehe, die aufwühlende Hymne, die atemberaubenden Bilder des Sonnenaufgangs, Gipfel, die durch die Wolken brechen, desto fester wird mein Entschluss, einen weiteren Ultra-Marathon zu laufen, nämlich genau diesen hier.

So gehe ich also online, um mich anzumelden. Und hier beginnt der eigentliche Spaß.

Der UTMB ist so beliebt, dass man sich nicht einfach so anmelden kann. Nein, zuerst muss man sich dafür qualifizieren, indem man drei andere Ultras, die als Qualifikationsrennen gelten, läuft. Und selbst wenn man diese bewältigt hat, garantiert das nur die Teilnahme an der Rennlotterie – bei der man in etwa eine Chance von eins zu drei hat, einen Startplatz im Rennen zu ergattern.

Der UTMB gibt eine Liste mit Rennen aus, die als Qualifikationsrennen anerkannt sind. Die Überlegung dahinter ist die, dass man sicherstellen will, dass nur ernsthaft vorbereitete Läufer an den Start gehen. Doch dieses recht vernünftig erscheinende Ziel scheint irgendwann im Laufe der Zeit verloren gegangen zu sein, und was übrig blieb, ist ein höchst umstrittenes System.

Das Problem, das viele Läufer und Veranstalter mit diesem System haben, ist, dass Rennveranstalter, die ihr Rennen auf der UTMB-Liste für Qualifikationsrennen sehen wollen, nicht etwa spezielle Sicherheitstests bestehen müssen oder einen Beweis dafür liefern müssen, dass ihre Strecke genauso fordernd und anstrengend ist, wie sie es sagen, oder dass es sicher wäre oder dass die Rennleitung gewissenhafte und vertrauenswürdige Arbeit leistet. Nein, man muss den UTMB-Veranstaltern nur einen bestimmten Geldbetrag dafür bezahlen.

„Es geht nicht länger darum, die entsprechende Erfahrung zu garantieren, sondern mehr um die Einnahmen und den Versuch, Trail-Läufe in Europa zu monopolisieren und zu kontrollieren“, sagt Lindley Chambers, Vorsitzender des britischen Trail-Running-Verbandes (TRA), der definitiv kein Freund dieses Systems ist.

Ein Renndirektor, der sich geweigert hatte, Geld dafür zu bezahlen, dass seine Veranstaltung UTMB-Punkte bekommt – und der hier nicht genannt werden möchte – erklärt, wie es zu dieser Situation kam. „Als die UTMB-Betreiber das erste Mal ein Punktesystem einführten, war fast jeder Ultra-Veranstalter im UK an Bord“, sagt er. „Viele dieser tollen Rennen, die sich auch gut alleine vermarkten konnten, waren plötzlich zu ‚Qualifikationsrennen‘ geworden und warben nun auch nur mehr damit, Qualifikationsrennen zu sein, anstatt ihre eigenen Stärken und Vorzüge anzupreisen.“

Dann, als diese Rennen einmal von UTMB-Punkten abhängig waren, um Läufer anzulocken, führten die UTMB-Betreiber eine Gebühr ein. „Diese Gebühr war gerade einmal gering genug, dass sie von den anderen Rennveranstaltern bezahlt wurde, um ihre Teilnehmerzahlen zu halten, aber hoch genug, dass man, wenn man alle Rennen weltweit addiert, auf eine recht hübsche Summe Geld kommt.“

Wenn Rennen dafür zahlen, Punkte zu erhalten, dann zahlen sie de facto für eine Mitgliedschaft im Internationalen Trail Running Verband (ITRA), der von sich behauptet, eine unabhängige, nichtkommerzielle Einrichtung zu sein, die für das Wohl des Sports arbeitet. Die ITRA vergibt dann die UTMB-Punkte.

In der wilden Welt der Online-Ultra-Sportforen bringen nur wenige Dinge das Blut von Renndirektoren so zum Kochen, wie das UTMB-Punktesystem. Ein kürzlich verfasstes, typisches Posting las sich folgendermaßen: „Ich würde mir lieber die Augen mit einem Löffel auskratzen, als dem UTMB Geld für Punkte für meine Rennen zu zahlen.“

Doch nicht alle sind der gleichen Meinung. Viele Rennveranstalter sagen, sie zahlen die Gebühr gerne, um Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die Punkte sammeln wollen, zufrieden zu stellen und außerdem würde sich die Gebühr aufgrund der höheren Teilnehmerzahlen sowieso von alleine zahlen.

Nic Tinworth erzählt, er begann Punkte für seine Rennen in Hong Kong anzubieten, da die Leute einfach immer wieder danach fragten. „Es schien so, als ob die Läufer ihre Rennen speziell nach der Anzahl der Punkte auswählten.“

Ein Problem für Läufer, die am UTMB teilnehmen wollen, sind Rennen, die in vergangenen Jahren auf der Liste standen, dann jedoch gestrichen werden, da die jährliche Gebühr nicht bezahlt wurde. Das führt dazu, dass Athleten, die erwarten Punkte zu machen, nach dem Rennen plötzlich damit konfrontiert sind, dass sie nicht qualifiziert sind.

Dieses Szenario trat ein, als der Hardrock 100, einer der bekanntesten Ultra-Läufe in den Vereinigten Staaten, sich dazu entschied, nicht länger Geld dafür zu bezahlen, ein UTMB-Qualifikationsrennen zu sein. Das war vor allem deswegen relevant, da der Superstar dieses Sports und dreifacher Sieger des UTMB, Kilian Jornet, auf die Punkte des Hardrock 100 zählte, um am UTMB teilzunehmen. In den Regeln des UTMB steht klar und deutlich, dass jeder Athlet und jede Athletin Punkte haben muss, auch die absoluten Spitzenathleten. Als die die Betreiber des UTMB nun aber sahen, dass die Veranstalter des Hardrock die Gebühr nicht entrichtet hatten, sandte die ITRA den Organisatoren des Hardrock 100 eine E-Mail, in der der Verband den Betreibern höflich nahelegte, die Gebühr zu bezahlen, damit Jornet in Frankreich starten könne.

„Wir mochten dieses System einfach nicht und waren der Meinung, dass es etwas respektlos wäre“, meinte David Coblentz, Vorstandspräsident beim Hardrock 100. „Sie kommen nicht einmal vorbei, um deinen Kurs zu begutachten. Du schickst ihnen nur eine GPX-Datei, die sie in einen Algorithmus hochladen und dann geben sie dir Punkte. Das ist eigentlich nur eine andere Art Geld zu machen.“

Coblentz erklärte weiter, dass die jährliche Gebühr trotzdem zu bezahlen ist, auch wenn sich der Kurs nicht geändert hat und die GPX-Datei dieselbe sei. „Und das ist wirklich nicht akzeptabel.“

Somit verfassten der Hardrock 100 und noch acht weitere US-Rennen einen offenen Brief, in dem sie ihre Absicht, die Gebühr nicht mehr zu bezahlen, kundtaten und ihre Gründe dafür anführten. In diesem Brief hieß es: „Es ist nicht unsere Absicht, den UTMB/ITRA dafür zu kritisieren, ihre Gewinne maximieren zu wollen, doch ihr ‚Pay-For-Points‘-System trägt rein gar nichts zum Wohl des Sports bei.“

Die ITRA antwortete in einem eigenen offenen Brief, in dem sie klarstellte, dass sie eine Non-Profit-Organisation sei, dass sie nur versuchen würde, dem Sport bei seiner Entwicklung zu helfen (durch medizinische Forschung, Sicherheitsberatung, Einführung globaler Standards), und dass sie eine vom UTMB unabhängige Einrichtung sei. Doch Hardrock weigerte sich weiterhin einzulenken. „Danach haben wir nichts mehr von ihnen gehört“, sagt Coblentz.

Trotz der Pattsituation war Jornet in jenem Jahr dann doch am Start des UTMB. Es scheint so, als konnte das größte Rennen in diesem Sport nicht ohne seinen größten Star existieren, und so wurden die Regeln eben ein wenig zurechtgebogen. In ihrem Brief schrieb die ITRA, dass – Gebühr hin oder her – der Verband beschlossen hätte, „das Rennen [Hardrock 100] ausnahmsweise doch im Nachhinein zur Liste der Qualifikationsrennen hinzuzufügen.“

Dieses ganze Hin und Her sagt doch sehr viel über den Zustand, in dem sich dieser schnell wachsende Sport befindet, aus. Hinter all den tollen Instagram-Einträgen und den großartigen Leistungen der Athleten hat sich eine Art Goldrausch manifestiert, mit Goldsuchern, die um Macht und Kontrolle kämpfen. Genauso wie die ITRA und die großen Rennen haben sich bereits auch multinationale Bekleidungshersteller und Outdoor-Sportausstatter eingefunden und stecken ihre Claims ab, indem sie die größten Veranstaltungen und Top-Athleten und Athletinnen unter Vertrag nehmen und clevere Werbekampagnen produzieren, virale Filmchen mit Männern und Frauen, die durch prächtige Landschaften laufen und irrwitzige Abhänge hinunterrasen. Der Ultra-Marathonsport ist noch immer ein weitgehend unerschlossener und unkontrollierter Markt und es gibt kein Anzeichen dafür, dass sich das Wachstum in absehbarer Zeit verlangsamen wird. Während die LäuferInnen also da draußen durch ein Tal der Schmerzen laufen, sehen andere einen offenen, unbewachten Eingang zu einer Goldmine und beeilen sich, einen Teil dieser Mine für sich zu beanspruchen.

Trotz allem will ich noch immer den UTMB laufen. Wenige Monate nach dem Interview mit Elisabet, mein Interesse am Ultra-Lauf ist noch immer hellwach, sehe ich mir den Start des Rennens im Internet an. Es ist ein Freitagnachmittag und ich sitze im Londoner Büro. Auf meinem Bildschirm ist der Hauptplatz von Chamonix zu sehen, auf dem sich gerade hunderte von nervös dreinblickenden, berggestählten Männern und Frauen versammeln, während mitreißende klassische Musik aus den Lautsprechern dröhnt und langsam im Tal verhallt. Dann laufen sie los, sprinten durch die Straßen und hinaus in die Berge.

Als ich das Büro verlasse, bahne ich mir meinen Weg durch die belebten Straßen Londons zur Paddington Station, wo ich den Zug nach Devon, meinem Wohnort, besteige. Als ich gut erholt am Samstagmorgen erwache, denke ich daran, wie sie noch immer alle da draußen sind und laufen.

Später, es ist bereits Samstagabend, denke ich wieder an die Läufer, die noch immer um den Berg laufen. Ich logge mich ein und sehe, dass ein schweres Gewitter über dem Rennen niedergeht. Nach 24 Stunden laufen ist das ziemlich hart. Was wohl gerade in den Köpfen der Athleten und Athletinnen vorging?

Es ist nun Sonntagmorgen und ich befinde mich gerade auf einem gemütlichen 15-Kilometer-Lauf im Park. Wieder muss ich an die Läufer beim UTMB denken. Es erscheint komplett verrückt, dass sie noch immer unterwegs sind, noch immer laufen. Andererseits hat dieser Gedanke auch etwas ganz Faszinierendes an sich und ein seltsames Gefühl von Eifersucht steigt in mir hoch. Ich muss dieses Rennen einfach laufen. Es ist das pulsierende Epizentrum des Ultra-Trail-Laufens, der Schlüssel zu diesem Rätsel. Und wenn ich dabei sein will, muss ich mich eben an die Regeln halten und einige dieser Qualifikationsrennen auf der Liste absolvieren.


Während der nächsten Wochen verbringe ich Stunden damit, mir Videos von Rennen im Internet anzusehen. Teilnehmer, die nervös zusammengedrängt an der Startlinie stehen, oft noch in der Dunkelheit, um sich dann in irgendeine unwirtliche oder gar gefährliche Gegend aufzumachen. Die Musik schwillt an, als die Kamera den Läufern und Läuferinnen durch Schluchten hindurch oder über einsame tropische Strände sowie durch Schneestürme folgt. Man sieht Nahaufnahmen von Teilnehmern, die weinen, sich umarmen und beinahe stürzen, bevor das Video dann mit Szenen vom Zieleinlauf endet, die beim Zuseher Gänsehaut verursachen. Diesmal sind es Freudentränen, Kinder, die die mit Schlamm bedeckten Beine der Eltern umarmen, bevor die Kamera wieder zurück über den Himmel schwenkt und dabei eine epische Welt offenbart, bis das Rennlogo zum finalen Crescendo der Streicher am Bildschirm erscheint.

Nach einer Weile erscheinen die Zahlen, die zu Beginn heruntergerasselt werden, bedeutungslos: 100 km, 200 k, 3.000 Höhenmeter, 36 Stunden Cut-off-Zeit. Alles nur Zahlen. Die Videos sind der Beweis dafür, dass es geht. Melde dich einfach an und überlege dir den Rest später.

Es ist lustig, die Gesichter der Leute zu sehen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich mich für ein 100 km Rennen angemeldet habe.

„So weit ist das ja auch nicht“, meint meine Arbeitskollegin und Laufkumpanin Kate. „Mit dem Auto!“ Sie hat recht, was mache ich da eigentlich? Aber das Video, sieh dir das Video noch einmal an. Diese Leute sehen alle ganz normal aus. Da gibt es immer mindestens einen mutigen älteren Typen, der es schafft. Wenn der das kann …

Bevor ich es mich noch versehe, ist mein Jahr mit Reisen nach Kalifornien, Italien und Südafrika verplant. Aber der Beginn meiner Reise ist etwas bescheidener, nahe meinem Heim in Devon, im Südwesten Englands, mit einem „kurzen“ 55-km-Ultra, entlang Englands unglaublich schönem und 630 Meilen langem (1.014 km) South West Coast Path. Das liegt jetzt nicht so viel über der Marathondistanz und wird ein netter gemütlicher Beginn sein.

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Ich habe fast sechs Monate, um für den South Devon Ultra in Form zu kommen, doch nach zwei Monaten kämpfe ich immer noch damit, mein Training zu steigern. Aus Zeitgründen war es mir bis jetzt nicht möglich gewesen, länger als zwei Stunden am Stück zu laufen. Ich muss es irgendwie schaffen, den frühen Morgen zu nutzen – ich sehe es bei immer mehr Ultra-Läufern, denen ich auf sozialen Medien folge, dass sie frühmorgens trainieren, um Vorbereitung, Arbeit und Familienleben unter einen Hut zu bringen. Aber das ist leichter gesagt als getan. In Wirklichkeit ist es doch so, dass wenn der Wecker mitten im Winter um sechs Uhr läutet und man die eisige Kälte spürt, wenn man unter der warmen Bettdecke hervorkriecht, die Müdigkeit gleich wieder zurückkommt, den ganzen Körper durchströmt und einen wieder unter die Decke zieht … dann denkt man schnell einmal: „Ich gehe einfach etwas später. Das geht sich schon aus. Ich muss mich ja ausruhen, Schlaf ist auch wichtig. Schlafen ist etwas Schönes.“

Aber wenn der Tag dann einmal so richtig angefangen hat, ist die Zeit schnell dahin. Die Kinder müssen zur Schule gebracht werden, die Arbeit ruft auch, ich muss etwas essen, abwaschen und dann bin ich auch schon wieder müde. Gehe ich eben morgen Früh doppelt so lange laufen, sage ich mir. Dann stehe ich um fünf Uhr auf und mache einen langen Lauf. Da gehen sich locker drei Stunden aus, bevor die anderen wach sind.

Doch ich stehe nicht auf. Und so wiederholt sich das Ganze.

Natürlich gehe ich gelegentlich laufen. In einer guten Woche sogar um die 65 Kilometer. Aber das ist nicht genug, um mich nur annähernd wie ein Ultra-Läufer zu fühlen.

Und dann fordert mich mein in Edinburgh lebender Bruder zu einem 40-Kilometer-Trail-Rennen in Schottland heraus. Das wäre eigentlich eine gute Gelegenheit, meine Fitness zu testen, zu probieren, ein längeres Rennen in schwierigem Gelände zu laufen. Es wäre ein guter Anfang auf dem Weg zu meinem ersten Ultra. Obwohl, Freundschaftsrennen wird es keines werden. Das ist keine Herausforderung im Sinne von ‚Lass uns doch etwas zu zusammen unternehmen und sehen wie wir abschneiden‘. Das wird mehr eine Art Rennen-bis-auf-den-Tod.


Ich bin der älteste von drei Brüdern, die altersmäßig recht nahe beieinander liegen. Es war also nie wirklich einfach, immer zu versuchen, den anderen einen Schritt voraus zu bleiben. Ich erinnere mich noch gut an den Tag im Kinderbecken des lokalen Schwimmbads, als ich fünf Jahre alt war und mein mittlerer Bruder Jiva, damals drei, zu schwimmen begann. Und so lernte auch ich in einem Cocktail gemischter und verworrener Gefühle innerhalb von fünf Minuten zu schwimmen.

Der wohl demütigendste Moment in meinem Sportlerleben war der Tag, an dem der Schwimmverein meine beiden Brüder noch vor mir in die nächsthöhere Leistungsklasse beförderte. An diesem Tag hörte ich mit dem Schwimmen auf. Und ich begann mit dem Laufen.

Beim Laufen war ich besser. Zu meinem Glück begann sich unsere geschwisterliche Rivalität über die Jahre hinweg mehr ums Laufen zu drehen. Zusammen bestritten wir unzählige hart umkämpfte Rennen. Selbst Trainingsläufe arteten am Ende oft zu einem Wettkampf aus. Vor dem Start einigen wir uns jedes Mal, dass es kein Wettrennen ist. Doch irgendwann kommt dann der Punkt, wo du genau weißt, dass einer sich nicht an die Abmachung halten und loslegen wird. Damit meine ich nicht etwa das Tempo verschärfen, weil er sich gut fühlt und schneller laufen kann, sondern loslegen, um zu ‚gewinnen‘. Vor allem Jiva ist für sein ‚Loslegen‘ bekannt, manchmal sogar gleich am Anfang, um uns damit am falschen Fuß zu erwischen.

Meine beiden Brüder, Jiva und Govinda, der jüngste, sind beide gute Läufer. Als Schüler lief Jiva auf County-Ebene und Govinda verzeichnet eine Marathonbestzeit von 3 Std 12 Min. Doch ich war ihnen immer etwas überlegen. Naja, fast immer. Die Gelegenheiten, bei denen sie mich besiegten, fanden Eingang in unsere Familienannalen. Da war zum Beispiel dieser eine Tag im Jahre 1997. Erst überholte mich Jiva. Dann zog Govinda an uns beiden vorbei. Gut, es war nur ein sonntäglicher Freundschaftslauf, doch es war das erste Mal überhaupt, dass ich von beiden besiegt wurde. Zwanzig Jahre später wird diese Geschichte immer noch regelmäßig bei Familientreffen aufgewärmt.

Wenn mir Govinda also wieder einen Fehdehandschuh hinwirft – ein Rennen namens Great Wilderness Challenge in den schottischen Highlands – weiß ich, dass das kein Spaziergang wird. Erst vor kurzem hatte er aus Spaß damit begonnen, an den Wochenenden durch die Berge zu laufen, also wusste ich, dass er sich gute Chancen ausrechnete. Alle meine vergangenen Rennsiege hatte ich auf dem harten, ebenen Asphalt der Straße gewonnen. Dieses Rennen – Trailrunning in den Hügeln – ist noch immer nicht das Meine. Doch irgendwo muss ich ja einmal anfangen, wenn ich ein Ultra-Läufer werden will, und ein Rennen gegen meine Brüder ist der perfekte Anstoß, mich endlich dazu aufzurappeln.

Und auf einmal bin ich auch schon im nahe gelegenen Dartmoor Nationalpark trainieren. Meine ersten Versuche sind nicht gerade von Erfolg gekrönt. Nach zirka 10 Meilen (ca.16 km) beginne ich schon zu kämpfen und schaffe kaum mehr als Schritttempo. Meine Uhr sagt mir, dass ich mit einer Laufgeschwindigkeit unterwegs war, die ich normalerweise als langsames Joggen bezeichnen würde, doch da draußen im Moor fühlt sich alles viel anstrengender an. Es sind nicht nur die Hügel, sondern das ganze unebene, matschige Terrain, dass einen bei jedem Schritt aus dem Rhythmus bringt. So beginnt die Frustration langsam in mir hochzusteigen. Ab und an trete ich auf einen Stein oder eines meiner Beine stößt an das andere und ich stürze beinahe. Ich beginne zu fluchen. „Wessen dämliche Idee war das?“ Sobald ich endlich ein Stück Straße finde, fühle ich mich wieder wie zu Hause. Zurück dort, wo ich mich wohlfühle. Zurück beim Laufen.

Ich mag zwar Probleme haben, doch Jiva geht es noch viel schlechter. Er lebt in London und seine Arbeit, sowie sein Umzug, nehmen den Großteil seiner Zeit in Anspruch. Je mehr wir über das Rennen lesen, desto unmöglicher scheint es, sich da einfach irgendwie durchzumogeln. Einmal beendete Jiva den Edinburgh Marathon, ohne wirklich dafür trainiert zu haben. Auf der Strandpromenade in Edinburgh gegen diese sprichwörtliche Wand zu laufen, mag eine Sache sein, aber draußen in den Highlands ins Straucheln zu geraten, ist eine ganz andere. Das Rennen schreibt den Läufern vor, wasserdichte Kleidung, eine Karte und einen Kompass für Notfälle bei sich zu tragen. Das ist kein Vergnügungslauf.

Letztendlich sieht Jiva ein, dass er ungenügend vorbereitet ist und verzichtet auf einen Start. Somit verwandelt sich das Rennen in ein direktes Duell, Mann gegen Mann, zwischen mir und Govinda dem Bergläufer.


In der Nacht vor dem Rennen fahren wir von Edinburgh hinauf in die Highlands, wo wir bei Sturm und peitschendem Regen in Poolewe ankommen, während die Berge auf beiden Seiten still in Finsternis gehüllt sind. Je näher wir kommen, desto stärker heult der Wind. Wortlos blicken wir beide nervös aus dem Fenster.

Es regnet noch immer, als wir am nächsten Morgen zum Start kommen, wo uns keine guten Nachrichten erwarten. Das Wetter ist so schlecht, dass die Veranstalter die Route ändern mussten, um die besonders gefährlichen Sektionen zu vermeiden. Dabei stellt sich auch heraus, dass einer der Organisatoren am Vortag beim Besichtigen der Strecke von einem überfluteten Fluss erfasst und weggespült wurde und sich nun im Spital befindet. Einige Wochen später sollten wir erfahren, dass er verstorben war. Mit den Bergen spielt man sich nicht und ich bin der erste, der nichts dagegen hat, als wir erfahren, dass anstatt eines 40-Kilometer-Laufs durch einen der unwegsamsten Abschnitte der Highlands das Rennen auf einen 30-Kilometer-hin- und-zurück-Abschnitt gekürzt worden war, und zwar entlang einer Strecke, welche von enttäuschten Veteranen des Rennens als die langweiligste Sektion des Kurses bezeichnet wird.

Keiner der Anwesenden ist von der Änderung begeistert und so spiele ich mit und sehe enttäuscht drein, obwohl ich innerlich höchsterfreut bin. Dreißig mehr oder weniger flache Kilometer kommen mir viel mehr entgegen. Nicht nur, dass ich weniger gehen müsste, die Berge waren Govindas Stärke. Er blickt enttäuscht zu mir herüber – er weiß, was ich denke.

Die Great Wilderness Challenge ist ein kleines, lokales Rennen und so stellen wir uns zusammen mit etwa 70 anderen Teilnehmern auf. Am Start fühle ich mich frisch und als ich mich so umblicke, beginne ich mir sogar leise Chancen auf den Gesamtsieg auszurechnen. Das Feld sieht nicht gerade besonders einschüchternd aus.

Govinda versucht noch einmal etwas Ruhe zu finden und atmet ein paar Mal tief durch. „Er macht sich viel zu viel Stress“, denke ich mir, während mein Selbstvertrauen steigt. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich das Ganze bereits in der Tasche habe.

Der Anfang des Rennens führt entlang eines engen Pfades, wo es, wie uns gesagt wird, schwierig ist, zu überholen. Also preschen wir drauf los. Die ersten anderthalb Kilometer ist alles ein wenig chaotisch, zu schnell, doch Govinda liegt vor mir und so entscheide ich mich, an ihm dran zu bleiben. Ich kann ihn nicht einfach davonziehen lassen. Der Weg ist matschig und felsig, windet sich und geht bergauf und bergab. Es ist unmöglich, einen Rhythmus zu finden.

Nach zirka 3 Kilometern macht Govinda einen Fehler und biegt auf den falschen Weg ab. Ich packe die Gelegenheit beim Schopf und überhole ihn. Doch bald ist er mir wieder auf den Fersen. Ich brauche gar nicht nach hinten blicken, ich höre ihn durch die Pfützen platschen. Allein seine Anwesenheit, so knapp hinter mir, treibt mich weiter an. Ich fühle mich richtig gut, also drücke ich aufs Tempo, als ich die Hügel durch den Wald hinauflaufe. Langsam werden seine platschenden Schritte immer leiser und leiser. Und jedes Mal, wenn ich einen kurzen Blick nach hinten riskiere – zu viel Motivation möchte ich ihm auch nicht geben – ist er ein Stück weiter zurück.

Nach ungefähr fünf Meilen (ca. 8 km) fliege ich nur so dahin. Hinweg über das schwierige, unvorhersehbare Terrain. Wie sich herausstellt, ist „langweilig“ ein relativer Begriff. Die Szenerie ist wild und wunderschön. Doch es ist schwierig, sie genauer zu betrachten. Die meiste Zeit muss ich meine Augen auf den Boden vor mir richten, da der Pfad schonungslos morastig und uneben ist. Ein falscher Schritt könnte hier schlimme Folgen haben.

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
478 s. 14 illüstrasyon
ISBN:
9783903183711
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
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