Kitabı oku: «Im goldenen Käfig», sayfa 2

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Zu unserer Überraschung trafen wir Tobias, unseren Nachbarn. Nachdem wir uns begrüßt hatten, sagt er etwas zu mir, was ich nicht verstand. Bilal übersetzte, dass Tobias mit mir tanzen wollte. Ich wandte mich Bilal zu und sagte: »Nein, ich kann nicht, ich schäme mich zu Tode! Sag ihm bitte, ich kann nicht tanzen.« Bilal übersetzte meine Worte und Tobias antwortete, dass er es mir gern beibringen würde. Ich drehte mich nicht rechtzeitig zu Bilal um und so schnappte mich Tobias an der Hand und zog mich in die tanzende Menge in die Mitte des Lokals und begann zu tanzen, er ermutigte mich, es ihm nachzutun. Vor lauter Scham wäre ich am liebsten im Boden versunken. Mit einem Mann tanzen, der nicht mein Ehemann war? Und auch noch vor anderen Leuten? Nein! Über so etwas sprach man noch nicht einmal! Und dann auch noch diese seltsame Art zu tanzen! Doch Tobias schien mein Unwohlsein und meine große Verlegenheit nicht zu bemerken. Er zog mich sanft vor und zurück und drehte mich im Kreis. Mein Blick suchte Bilal, in der Hoffnung, dass er kommen würde, um mich zu befreien. Plötzlich spürte ich einen starken Krampf im Nacken. Der Schmerz war so stark, dass ich glaube, ohnmächtig zu werden. Ich fühlte mich so schlecht, dass ich entschied, mich von der Hand des armen Tobias zu befreien, der glaubte, ich würde mich amüsieren. Ich war wütend auf Bilal, der mich nicht gerettet hatte. Ich sagte ihm, ich wollte sofort weg von hier, doch er wollte sich weiter amüsieren. Kurz darauf bemerkte er, dass es mir hier überhaupt nicht gefiel und brachte mich nach Hause.

Trotz der Bräuche, die sich so von den mir vertrauten unterschieden, wusste ich die Tatsache zu schätzen, dass die Menschen höflich und sehr nett zu mir waren. Sie respektierten und akzeptierten mich so wie ich war, was mir die Integration in der Schweiz ungemein erleichterte. Das einzige Problem war mein mangelndes Selbstwertgefühl. Ich fühlte mich nicht richtig wie ein Mensch, geschweige denn wie jemand, der es verdient hatte, geliebt und geschätzt zu werden. Tief in meinem Inneren herrschte noch immer die Stimme meiner ehemaligen Herren, die all die Jahre täglich nichts anderes zu sagen wussten, als dass ich ein Niemand sei, ein Nichts, dumm und unwissend. Und diese Denkmuster hatten meine Selbstachtung zerstört. Nun fand ich mich jeden Tag mit diesen inneren Stimmen konfrontiert, und zugleich mit der Realität, die das komplette Gegenteil davon war. Ich war innerlich zerrissen und wusste nicht, an welche Realität ich glauben sollte.

Zu Beginn meines Aufenthalts in der Schweiz war ich vollständig von Bilal abhängig, der mir stets übersetzte, was die anderen sagten, da ich keine europäische Sprache sprach. Ich fühlte mich ziemlich orientierungslos und verloren in dieser Welt, die ich vielleicht etwas zu perfekt für mich hielt. Ich fühlte mich minderwertig und dumm. Alle dachten, ich als Marokkanerin müsse Französisch beherrschen, wo doch Marokko einst französische Kolonie war – eine Tatsache, von der ich erst hier in der Schweiz erfuhr, da ich weder etwas von der Geschichte meines Landes noch vom Rest der Welt wusste, schließlich war ich niemals zur Schule gegangen. Wenn Bilal mich seinen Freunden vorstellte, begrüßten sie mich und sagten: »Parlez-vous français?« Ich blieb wortlos stehen und sah sie an wie eine Idiotin, da ich kein einziges Wort verstand. Glücklicherweise rettete mich Bilal aus meiner Verlegenheit und ergriff für mich das Wort. Aufgrund meiner mangelnden Bildung schien ich aus einer Art Unterwelt zu kommen, wofür ich mich zu Tode schämte.

Bilals Ex

Ein paar Tage nach meiner Ankunft in der Schweiz stürzte eine Frau, die ein Stockwerk unter uns wohnte, ohne anzuklopfen in die Wohnung. Ich starrte sie völlig verdutzt an und versuchte herauszufinden, wer sie war. Sie war etwa dreißig Jahre alt, hatte kurzes kastanienbraunes Haar und helle Haut und Augen. Sie hatte ein erzwungenes Lächeln aufgesetzt, als sie eintrat und mit herrischer Stimme nach Bilal rief. Ich bemerkte ihre Vertrautheit, mit dem Haus und mit Bilal. Sie traf im Schlafzimmer auf ihn und begann sofort, in einem streitlustigen Tonfall mit ihm zu diskutieren. Ich stand wie angewurzelt im Flur, als Bilal mit bleichem Gesicht auftauchte und mir die Frau vorstellte: »Ich möchte dir Heidi vorstellen.« Dann wandte er sich ihr zu. »Das ist Aicha« Heidi? Sie wohnte im selben Wohnhaus? Mir wurde schlecht. Die Worte meiner Schwiegermutter und meiner Schwägerinnen schossen mir durch den Kopf. Sollten sie tatsächlich Recht behalten? Heidi war die ehemalige Lebensgefährtin von Bilal. Nachdem er sie verlassen hatte, war er nach Marokko gekommen und hatte mich zur Frau genommen. Er war 32 und ich 15 Jahre alt gewesen, als mich meine Familie gezwungen hatte, gegen meinen Willen zu heiraten. Ich war damals in Samir verliebt, einem 19 Jahre alten Jungen, doch obwohl ich sehr in Samir verliebt war, hatte ich nicht vorgehabt, so bald zu heiraten. Ich fühlte mich viel zu jung zum Heiraten, doch meine Mutter und mein älterer Bruder zwangen mich zur Ehe mit Bilal. Laut ihnen versprach Bilal eine große Aussteuer, außerdem würde er mich mit nach Europa nehmen, wodurch sie sich finanzielle Unterstützung von mir versprachen. Bilal war zu uns nach Hause gekommen, um mich zu sehen und ich gefiel ihm sofort als seine zukünftige Frau. Er war ein attraktiver Mann und auch sehr sympathisch, doch trotz alledem hatte mein Herz Samir gehört, und wenn ich eines Tages beschlossen hätte zu heiraten, dann hätte ich nur Samir heiraten wollen. So sagte ich meiner Mutter, dass ich Bilal nicht heiraten wollte, aber es war nichts zu machen. Im Gegenteil, meine Mutter sagte Bilal, dass ich damit einverstanden war, ihn zu heiraten. So heiratete mich Bilal in gutem Glauben und in der Annahme, dass ich einverstanden war. Zwei Wochen später war ich die Ehefrau eines Mannes, den ich nur drei Mal in meinem Leben gesehen und noch nie gesprochen hatte. Wobei ich noch Glück hatte, den Mann, den ich heiraten würde, vor der Hochzeit gesehen zu haben. Viele junge Mädchen sahen ihren zukünftigen Ehemann zum ersten Mal erst bei der Eheschließung. Wie im Falle meiner älteren Schwester. In meinem ersten Buch (Verkauft!: Meine verbrannte Kindheit in Sklaverei) habe ich alle Einzelheiten meines Sklavendienstes sowie meiner erzwungenen Verlobung und Ehe und die meiner älteren Schwester dargelegt. Zwei Wochen nach der Hochzeit kehrte Bilal in die Schweiz zurück und ließ mich ein Jahr lang im Haus meiner Schwiegereltern zurück. Meine Schwiegermutter und Schwägerinnen waren davon überzeugt, dass Bilal Heidi noch nicht verlassen hatte und dass er mich zurückgelassen hatte, um weiterhin mit ihr zusammenzuleben. Er jedoch behauptete das Gegenteil.

Ich war hin- und hergerissen: ein Unwohlsein schlang sich um mein Herz, wie der graue Nebel, der das ganze Land einhüllte, doch ich versuchte verzweifelt, meine Gefühle nicht preiszugeben. Ich schwieg und schluckte meine Eifersucht hinunter, die mein Herz wie lodernde Flammen zu verbrennen drohte, während ich die beiden beobachtete und herauszufinden versuchte, welche Art von Beziehung zwischen ihnen bestand. Sie hatte einen wütenden Gesichtsausdruck und nach einem Wortwechsel mit Bilal drehte sie sich um und verließ die Wohnung. Ich hatte nicht verstanden, was sie auf Deutsch zueinander gesagt hatten. Ich sah Bilal an, der sehr wütend war, schloss die Tür und sagte nichts, ich fragte auch nicht, worum es ging. Ich wollte mir ein Bild von der Situation machen, bevor ich sie beurteilte. Bilal hatte mir gebeichtet, dass Heidi, als ich noch in Marokko gewesen war, ihn gedrängt hatte, sich von mir scheiden zu lassen, aber er hatte ihr gesagt, dass ich die Frau war, mit der er leben und eine Familie gründen wollte.

Bald versuchte Heidi, mit mir Freundschaft zu schließen, sie lud mich oft zu sich nach Hause ein und wollte, dass ich ihre beiden Kinder kennenlernte, die sie mit ihrem ersten Mann hatte. Ich wollte weder ihre Freundschaft noch wollte ich mit ihr zusammen sein, Bilal jedoch nahm ihre Einladungen an und ich wollte ihn nicht allein zu ihr gehen lassen. Ich konnte mich Bilal nicht widersetzen, schließlich war ich noch auf ihn angewiesen. Was alles noch schlimmer machte, war die Tatsache, dass er nach der Arbeit oft erst zu ihr ging, bevor er nach Hause kam. Dieses Verhalten war wie eine Beleidigung für mich und weckte weiteres Misstrauen in mir. Ich spürte, dass ihre Beziehung noch nicht vorbei war. Ich fühlte mich in Gegenwart dieser Frau unwohl, da ich bemerkte, dass die beiden weiterhin sehr vertraut miteinander waren, gleichzeitig verspürte ich Wut. Ich verstand, dass sie ihn nach wie vor liebte und doch auch wütend auf ihn war. Vielleicht weil er sie verlassen hatte, um mich zu heiraten. Wir waren oft bei ihr eingeladen, doch irgendwann weigerte ich mich, sie zu besuchen. Bilal hingegen war glücklich, die Abende mit seinen Freunden zu verbringen, die sich in ihrer Wohnung trafen. Ich zog es vor, allein zu bleiben. Ich war es leid, gegen dieses Gefühl der Eifersucht anzukämpfen und erreichte einen Punkt, an dem es mich nicht mehr kümmerte, dass die beiden viel Zeit miteinander verbrachten und dass sie ihn zurück wollte. Erst zwei Jahre später gestand mir Bilal, was zwischen ihm und Heidi vorgefallen war, nachdem er mich geheiratet hatte. Es war genau das, was ich immer im Gefühl gehabt hatte, seit ich Heidi zum ersten Mal gesehen hatte. Leider war der Großteil des Vertrauens in meinen Ehemann damit zerstört und konnte nie wieder aufgebaut werden.

Die Schwangerschaft

Meine letzte Menstruation war schon etwas länger her, aber ich war nicht allzu besorgt darüber, ich wusste nicht wirklich, wie eine Schwangerschaft vermieden wurde. Im Grunde wusste ich kaum etwas über die Sexualität im Allgemeinen. Ich war in jeder Hinsicht ungebildet. Eines Morgens wachte ich mit Übelkeit auf und fühlte mich nicht gut. Bilal brachte mich zum Arzt. Nach ein paar Fragen, die mir Bilal übersetzte, forderte mich der Arzt auf, mich unterhalb der Taille freizumachen und mich auf seine Behandlungsliege zu legen. »Ich soll mich vor einem Mann nackt zeigen? Nein! Das kommt nicht in Frage!« »Aber er muss dich untersuchen, Aicha. Vielleicht bist du schwanger.« »Und was hat schwanger sein mit der Tatsache zu tun, mich nackt vor einem Mann zu zeigen?« Ich hatte solche Angst davor und verstand den Grund nicht. Die Frauen bei uns auf dem Land brachten Dutzende von Kindern zur Welt, nur mithilfe einer erfahrenen Frau und ganz sicher ohne einen Mann. Vielleicht wäre ein weiblicher Arzt weniger dramatisch für mich gewesen. Der Arzt saß hinter seinem Schreibtisch und hatte einen ernsten und verärgerten Blick aufgesetzt, er klopfte mit dem Stift auf seinen Block, während er darauf wartete, dass ich mich entkleidete. Da er sah, wie ich mich weigerte, rief er eine Arzthelferin, die mich in einen anderen Raum führte. Dort sollte ich mich ebenfalls ab der Taille abwärts entkleiden und auf eine Liege legen. Wenige Minuten später kam der Arzt herein und begann, meinen Intimbereich zu untersuchen und tastete sogar meine Brüste ab, während ich nur dalag und hoffte, die Liege würde mit mir im Boden versinken. Ich glaubte, vor Scham sterben zu müssen. Am Ende sagt er, dass ich im dritten Monat schwanger sei. Diese Nachricht jagte mir Furcht ein. Ich konnte es gar nicht glauben: »Ich, schwanger? Das kann gar nicht sein. Hilfe!« Ich war doch noch ein Kind. Ich hatte Angst vor der Schwangerschaft und der Entbindung und davor, keine gute Mutter zu sein und ein Kind nicht großziehen zu können. Außerdem fühlte ich mich bei Bilal keinesfalls sicher, ich kannte ihn noch nicht gut und in der Schweiz war ich noch nicht integriert. Ich wollte mich nur noch ausruhen, von all dem Stress, den ich in meiner Vergangenheit als Sklavin und bei der Familie von Bilal erfahren hatte, die mir die Hölle auf Erden bereitet hatte. Nach einem Moment dachte ich: Ich sollte Mutter werden? Ich? Ich sollte ein eigenes Kind haben? Trotz aller Ängste und Unsicherheiten gewöhnte ich mich schnell an diesen Gedanken. Von da an gab es keinen Tag mehr, an dem ich mich nicht auf mein Kind freute, ein Kind, das ganz zu mir gehören und mich seine Mutter nennen würde. Was für ein tolles Gefühl! Einzigartig auf der Welt.

Leider wurde unsere Freude über die Schwangerschaft bald durch ein Schreiben der Ausländerbehörde getrübt. »Da Ihr Touristenvisum mit einer Dauer von drei Monaten abgelaufen ist, müssen Sie die Schweiz sofort verlassen.« Diese Nachricht ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich bekam keine Luft mehr und glaubte, ohnmächtig zu werden. »Zurück zu meiner Schwiegermutter und meinen Schwägerinnen? Das kann doch nicht wahr sein! Lieber sterbe ich, als dorthin zurückzukehren. Oh mein Gott, hilf mir, damit ich nicht zu diesen Hexen zurückkehren muss.« Bilal musste sofort zur Ausländerbehörde und meine Anwesenheit in der Schweiz erklären, indem er das Dokument vorlegte, das bestätigte, dass wir in Marokko rechtmäßig verheiratet waren. Erst dann würde ich eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Ich zermarterte mir den Kopf und betete zu Gott um eine Lösung. Doch welche Lösung gab es, wo ich doch mit niemandem sprechen konnte und nicht wusste, wie ich meine Rechte kennen oder durchsetzen sollte? Bilal ging zum Amt, um die Behörden davon zu überzeugen, mir weitere drei Monate zu bewilligen, bis meine Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt wäre, doch die Antwort blieb gleich: Ich müsse die Schweiz verlassen, könne aber drei Monate später erneut einreisen, um einen neuen Antrag zu stellen. Ich wollte nicht nach Marokko zurückkehren, auch nicht für nur drei Monate, denn die Tradition verlangte, dass ich bei meinen Schwiegereltern und nicht bei meiner Mutter leben müsste. So war ich voller Angst, dass meine Schwiegermutter mir etwas Böses antun würde und ich mein Kind verlieren könnte. Sie würde die letzte Chance nutzen, mich von ihrem Sohn fernzuhalten und dafür zu sorgen, dass ich nicht mehr in die Schweiz zurückkehren könnte. Sie war nicht damit einverstanden, dass ihr Sohn eine ehemalige Sklavin geheiratet hatte, die auch noch arm und Analphabetin war. Bei uns bleiben ehemaligen Sklaven in den Köpfen der Menschen immer Sklaven, auch wenn sie lange keine mehr sind. Sie sind häufig Zielscheibe von Demütigung und Missbrauch aller Art. Andere Menschen lassen gern ihre Boshaftigkeit, ihren Frust und ihre Wut an ihnen ab. Eine Sklavin verliert für den Rest ihres Lebens die Ehre und den Respekt, den ein Mensch verdient hat, denn ihr Leben ist nichts wert. Für meine Schwiegermutter war ich die größte Schande und Demütigung gegenüber den sogenannten normalen Leuten. Sie hatte alles daran gesetzt, mich von ihrem Sohn fernzuhalten und würde dies auch weiterhin tun.

Zwei Tage später kamen zwei italienische Freundinnen zu Besuch, die ich von Bilal kannte, Pina und Carla. Bilal fungierte wieder als mein Übersetzer, und ich erzählte unter Tränen, dass ich die Schweiz verlassen müsse. Pina und Carla versicherten mir, dass sich eine Lösung finden würde. Und tatsächlich kam ein Paar, mit denen sie befreundet waren und die an der Grenze bei Schaffhausen in Deutschland lebten, sofort zu uns zu Besuch, als sie von meinem Fall hörten. Giorgio und Nadia boten mir ihre Gastfreundschaft an, ich sollte als Touristin drei Monate bei ihnen zu Hause wohnen. Für Deutschland würde ich kein Visum benötigen. Giorgio und Nadia luden auch Bilal ein, sodass er die Wochenenden mit mir verbringen könnte. Diese Nachricht ließ mich vor Freude weinen. Ich war aus meiner Vergangenheit nicht gewohnt, dass sich jemand um mein Wohlergehen kümmerte, wie diese lieben Freunde, die erst seit Kurzem kannte. Vor meiner Abreise nach Deutschland ging ich mit Bilal zu einer Kontrolluntersuchung beim Frauenarzt. Wir erzählten ihm alles und er sah uns verdutzt an und fragte: »Wenn diese Freunde sie nicht aufgenommen hätten, dann hätte sie nach Marokko zurückkehren müssen?« Bilal antwortete: »Sicher, Herr Doktor, so ist es. Und seitdem wir diese Nachricht erhalten haben, weint meine Frau nur noch den ganzen Tag. Sie fühlt sich nicht stark genug, allein zu reisen und ich kann nicht von der Arbeit zu Hause bleiben, um sie zu begleiten.« Bilal wusste nicht, dass meine wirkliche Angst die vor seiner Mutter und seinen Schwestern war. Er wusste auch nicht, was mir seine Familie angetan hatte, und ich hatte schreckliche Angst davor, es ihm zu erzählen. Seine Mutter hatte mir geschworen, mich umzubringen, wenn ich ihrem Sohn auch nur ein einziges Wort erzählen würde. Ich musste über alles schweigen. Daher hatte ich meine Angst vor der Reise erfunden. Der Arzt versicherte uns: »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ich werde ein Schreiben an die Behörde aufsetzen. Ich werde angeben, dass sich Ihre Frau aufgrund der Schwangerschaft nicht in der Verfassung befindet zu reisen, daher muss sie bis zur Geburt unter meiner Beobachtung bleiben. Sie kann erst drei Monate nach der Geburt reisen. Ist das in Ordnung?«

Bilal und ich sahen uns überrascht an und stießen einen Seufzer der Erleichterung aus. Das war ein großer Tag für uns. Mit Tränen in den Augen dankte ich diesem heiligen Arzt. Einige Tage später kam ein Schreiben von der Behörde, es besagte, dass ich auf Anordnung des Arztes bis drei Monate nach der Geburt bleiben durfte. Wir benachrichtigen Nadia und Giorgio sofort, um ihnen zu sagen, dass ich nicht mehr zu ihnen kommen müsste. Alle freuten sich für mich. Giorgio und Nadia organisierten aus diesem Anlass ein wundervolles Abendessen. Auch Carla, ihr Ehemann und ihre Tochter und Pina und ihr Mann waren eingeladen. Wir aßen und freuten uns gemeinsam für mich. Wenige Monate später erhielt ich meine Aufenthaltserlaubnis.

Lisa, die Ex-Frau von Bilal, kam oft zu uns, um ihre Tochter Miriam abzuholen, die jedes zweite Wochenende bei uns verbrachte. Lisa war ursprünglich Italienerin, war aber in der Schweiz geboren und aufgewachsen. Sie und Bilal sprachen miteinander, ohne dass ich auch nur ein Wort verstand. Manchmal lachten sie miteinander, dann stritten sie wieder. Bisweilen übersetzte mir Bilal, über was sie sprachen, um dann das Gespräch fortzusetzen. Ich bot ihr Tee und Kekse an und setzte mich dann neben Miriam, ein entzückendes Mädchen, liebenswert und hübsch. Sie war sechs Jahre alt, hatte braunes, lockiges Haar und eine Haut glatt wie Samt. Ich mochte sie vom ersten Moment an, und sie mochte mich. Sie setzte sich oft auf meinen Schoß, ihr Gesicht zu meinem gewandt. Sie legte ihren Finger auf meine Nase und sagte: »Das ist die Nase. Das ist das Auge. Das hier ist das Ohr, das Kinn, die Zähne und die Augenbrauen.« Dann malte sie mit ihrem kleinen Händchen einen Kreis in die Luft und sagte: »Das ist das Gesicht.« Sie blickte nach oben. »Das ist der Kopf, die Haare, die Hand, der Finger, der Bauch, die Beine und die Füße.« Nachdem sie alle meine Gliedmaßen im Singular aufgezählt hatte, wiederholte sie sie im Plural. So lehrte sie mir Italienisch, ohne dass sie jemand dazu aufgefordert hatte. Sie verbrachte die meiste Zeit mit ihren Großmüttern, die nur Italienisch sprachen. Manchmal endeten die Gespräche zwischen Lisa und Bilal in einem Streit, dem ich erschrocken zusah. Am Ende nahm Lisa das Mädchen an der Hand und verließ die Wohnung, nicht ohne die Türen zuzuschlagen. Bald lernte ich auch die Großeltern Miriams kennen, die beide sehr freundlich und nett waren. Als wir Miriam einmal bei sich zu Hause abholten, bezogen sie mich in ein Gespräch mit ein und sagten zu Bilal, dass er mir alles übersetzen müsse, was sie redeten. Sie waren sehr zufrieden, dass Bilal mich geheiratet hatte und dass ich die Patentante ihrer geliebten und einzigen Enkeltochter wurde. Sie trugen Miriam auf, nett und freundlich zu mir zu sein, was sie wirklich immer war. Jedes Mal, wenn sie zu uns kam, war es wie ein Fest für mich. Sie liebte es zu essen und ich liebte es zu kochen. Mir tat ihre Gesellschaft so gut, dass ich endlich etwas mehr essen konnte. Nach dem Essen saßen wir einfach zusammen und sahen uns gegenseitig an oder wir schauten uns Zeichentrickfilme im Fernsehen an, während wir im Schneidersitz auf dem Teppich saßen. Ich sah die Bilder im Fernsehen ohne die Sprache zu verstehen. Ich lachte, wenn Miriam über eine lustige Szene lachte. Manchmal unternahmen wir gemeinsam Ausflüge in die Natur, und am Abend ging Bilal mit seinen Freunden aus. Ich blieb mit Miriam zu Hause. Nach dem Essen gingen wir Arm in Arm zu Bett. Bilal kam spät nach Hause und schlüpfte unter die Decke, immer auf der Hut, uns nicht zu wecken.

Monate vergingen und ich verlor weiter an Gewicht, weil ich nur wenig aß. Neben der Einsamkeit war es auch der Geschmack der Lebensmittel, den ich nicht mochte. Sogar das Brot schmeckte anders als in Marokko, ganz zu schweigen vom Käse, den ich als stinkend empfand. Ein schimmliger Geruch, der mir den Magen umdrehte, wie zum Beispiel der erlesene Gorgonzola oder der Camembert mit der weißen Haut, von denen ich wirklich fand, dass sie stanken. Die einzigen Käsesorten, die ich aus Marokko kannte, waren der Vachequirit und ein holländischer Käse mit roter Rinde. Natürlich standen bei uns Käse und Joghurt nur den reichen Menschen zur Verfügung und nicht so armen Menschen, wie ich einer war. Erst nach vielen Jahren gewöhnte ich mich an die Qualität der Käsesorten, die man in den Schweizer Supermärkten kaufen konnte. Das Einzige, was mir in der Schweiz sofort geschmeckt hatte, war die Schokolade. Ich aß eine Tafel pro Tag, anstelle einer normalen Mahlzeit. Auch das Obst in der Schweiz mochte ich nicht, es hatte nicht den Geschmack von Obst, das direkt auf dem Baum gereift ist. Wie die geschmackvollen Feigenkakteen oder die normalen Feigen, die wir reif direkt von der Pflanze ernteten und die so aromatisch und süß wie Honig waren, die einzigen Früchte, die bei uns auf dem Land wuchsen. Hier in der Schweiz bemerkte ich eine unglaubliche Auswahl an verschiedenen Speisen, Süßwaren ohne Ende, exotische Früchte, die ich noch nie gesehen hatte und Fruchtsäfte, die ich nicht einmal kannte. Trotz der Nahrung, die mir im Überfluss zur Verfügung stand, schmeckte mir nichts.

Ich hatte schnell gelernt, allein in die Stadt zu gehen, um die Einkäufe zu erledigen. Es gefiel mir, mich in den Supermärkten umzusehen, mit so vielen Waren, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen hatte und von denen ich nicht einmal wusste, wie man sie verwendete. Zu meinem Glück wurde man in den Supermärkten nicht bedient, wie es in den Lebensmittelgeschäften bei uns in Marokko der Fall war, wo ein Mann hinter der Theke stand, um zu fragen, was man benötigte. Ich hätte die Leute nicht verstanden und sie mich nicht. Hier bediente ich mich selbst, da ich aber nicht lesen konnte, nahm ich nur die Lebensmittel, die ich kannte oder mithilfe der Produktbilder auf der Dose oder der Verpackung erkennen konnte. Ich musste immer darauf achten, dass ich keine Tiernahrung kaufte.

Ich ging zur Kassiererin, grüßte sie und überreichte ihr ein Bündel Geldscheine. Ich gab immer viel zu viel, denn wenn es zu wenig gewesen wäre, hätte sie mich nach mehr gefragt und ich hätte sie nicht verstanden. Ich stand völlig stumm vor ihr und wartete, dass sie mir mein Restgeld gab. Das einzige Wort, das ich mehr oder weniger sagen konnte, war Gruezi, was auf Schweizerdeutsch »Hallo« bedeutete. Ich sagte jedoch immer Guzzi. Um ein bisschen Bewegung zu haben, ging ich zu Fuß zurück. Es gefiel mir, eine Straße namens Promenade entlangzugehen, mit einem wunderbaren Ausblick und einem Spielplatz in der Mitte. Die Promenade lag an einer erhöhten Stelle in der Stadt. Von dort aus hatte man eine wunderbare Sicht auf den schönen Fluss und auf einen Teil von Neuhausen. Nach meinen Abenteuern als Touristin kehrte ich glücklich und zufrieden nach Hause zurück.

Ich konnte nur marokkanisch kochen, doch glücklicherweise konnte Bilal auch sehr gut europäisch kochen und brachte mir viel bei. Den Rest lernte ich von meinen italienischen Freunden, die ich erst seit Kurzem kannte. So lernte ich bald Spaghetti Bolognese, Ravioli, Lasagne, Pizza, Minestrone, Rindfleisch-Ragout mit Kartoffelpüree und vieles mehr zuzubereiten. Doch wenn ich all diese Gaben Gottes am Tisch servierte, träumte ich mit offenen Augen vom Fladenbrot, frisch gebacken, aus der Terrakotta-Pfanne heraus, getränkt in Olivenöl und serviert mit gesüßtem Pfefferminztee. Das übliche Essen in meinem Dorf.

Ich verbrachte meine Tage allein, in absoluter Stille. Ich hörte nichts außer dem Brummen der Autos und der Züge. Keine Rufe der mobilen Straßenhändler, keine Schreie von Kindern, die draußen auf den Straßen spielten. Der Einzige, der regelmäßig und pünktlich bei mir vorbeikam, war der Briefträger, der die Briefe in den Briefkasten schob und wieder auf seinem Roller verschwand. In marokkanischen Städten hört man von morgens bis abends die Schreie der Verkäufer, das Jammern der Bettler, die um Mitleid baten, das Rufen von Kindern, die sich spielend auf den Straßen tummelten und die Nachbarn, die sich laut miteinander unterhielten.

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