Kitabı oku: «Im goldenen Käfig», sayfa 3
Lesen und Schreiben
Ich hatte den sehnlichen Wunsch, die Leute zu verstehen und die Werbeplakate und Anzeigetafeln, die überall aushingen, lesen zu können: die Schilder am Eingang der Restaurants, Banken, der Post, der Läden und dergleichen. Und die Heftchen, die ich jeden Morgen im Briefkasten fand. In diesem Land nicht lesen und schreiben zu können, ist als wäre man blind, taub und stumm. Ständig benötigte ich besondere Unterstützung. Bis zu diesem Zeitpunkt war Bilal meine Hilfe, aber ich wusste, dass ich mich nicht mein ganzes Leben auf ihn verlassen konnte. Ich sprach mit Bilal über meinen Wunsch, doch er war nach der Arbeit immer müde. Er kam nach Hause, setzte sich aufs Sofa und schlief ein, nur um anschließend ins Bett zu gehen. Die Wochenenden verbrachten wir mit Freunden oder mit Miriam. So hatte er keine Zeit, mich zu unterrichten. Tobias, unser Nachbar, war zu dieser Zeit arbeitslos und erfuhr von meinem Wunsch, so bot er mir an, mir Deutschunterricht zu geben. Bilal nahm das Angebot an und kam, um mir davon zu berichten. Ich fühlte mich auf der einen Seite geehrt und war sehr glücklich, auf der andern Seite war ich verlegen. Ich fragte Bilal: »Ein Mann will mich unterrichten? Und wann möchte er das tun? Doch am Abend, wenn du zu Hause bist, oder?« »Nein. Er hat nur vormittags Zeit.« Ich war nicht daran gewöhnt, dass Männer und Frauen so offen miteinander umgingen. In meiner Kultur galt so etwas als schweres Vergehen. Ich wusste nicht, ob ich sein Angebot annehmen oder ablehnen sollte und gleichzeitig wollte ich mir diese Gelegenheit, endlich lesen und schreiben zu lernen, auf keinen Fall entgehen lassen. Am nächsten Morgen kam Tobias und nahm auf einem Stuhl in der Küche Platz. Er legte Hefte und Stifte auf den Tisch und wartete, bis ich mich im gegenüber niederließ. Ich stand mit dem Rücken zu ihm und machte den Abwasch und wagte nicht, mich umzudrehen und ihm ins Gesicht zu sehen. Ich schämte mich zu Tode, ich zitterte und schwitzte und spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Nachdem er einen Moment gewartet hatte, rief Tobias mich zu sich. Ich trocknete mir die Hände, während ich versuchte, mein Zittern zu verbergen und setzte mich vor ihn. Er war etwa 35 Jahre alt, hatte braunes Haar und trug einen Schnurrbart und einen mittellangen Backenbart. Ursprünglich stammte er aus Deutschland, daher sprach er ein Deutsch, das sich vom Schweizerdeutsch unterschied. Er lächelte mich an, nahm ein Weinglas und hob es hoch, dabei sagte er: »Das heißt: Weinglas.« Dann ermutigte er mich, seine Worte zu wiederholen. Dasselbe tat er mit anderen Gegenständen, während ich stotternd und zitternd vor Verlegenheit alles wiederholte. Dann begann er, die ersten Buchstaben aufzuschreiben und ermutigte mich, es ihm nachzutun. Aber ich konnte es nicht. Ich konnte den Stift nicht zwischen den Fingern halten. Nachdem er bemerkte, wie verwirrt ich war, unterbrach er den Unterricht. Vielleicht dachte er, ich wäre müde. Er nahm das Heft und verabschiedete sich mit einem Küsschen auf die Wange, was meine Verlegenheit noch verschlimmerte. Dann ging er. In der Tat begrüßten sich alle Freunde von Bilal mit einem Kuss auf die Wange, was für mich anfangs sehr schwer war. Meine Kultur erlaubte mir nicht, auch nur in Richtung eines Mannes zu blicken, geschweige denn, ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Am Abend bat ich Bilal, sich für mich bei Tobias zu entschuldigen und ihm auszurichten, dass ich den Unterricht nicht fortsetzen konnte. Dann musste ich eine Entschuldigung erfinden: Aber welche! »Sag ihm bitte, dass die deutsche Aussprache zu schwierig für mich ist.« Welch dumme Ausrede! Selbst ein Kind würde sie durchschauen. Und nun? Wer würde mich Lesen und Schreiben lehren?
Glücklicherweise boten mir die beiden Freundinnen, die ich seit Kurzem kannte, Carla und Pina, an, mich zu unterrichten. Carla war 30 Jahre alt, war klein, hatte kastanienbraunes Haar, ein feines Gesicht und ein hübsches Lächeln. Pina war 26, groß und blond. Sie lächelte stets und war sehr nett. Sie waren beide gepflegte Frauen, stets klassisch gekleidet. Ursprünglich stammten sie aus Italien, daher brachten sie mir bei, auf Italienisch zu lesen und zu schreiben.
Ich hüpfte vor Freude, wann immer sie vorbeikamen, um mir neue Wörter und Buchstaben beizubringen. Anfangs kamen sie am Abend, wenn Bilal zu Hause war, so konnte er für mich übersetzen, damit wir uns verstanden. Doch im Laufe der Zeit kamen sie am Nachmittag und wir kommunizierten mit Händen und Füßen miteinander. Damit ich sie verstand, kommunizierten sie auch untereinander mit Gesten und ich achtete darauf, zu verstehen, worum es sich handelte. So verließ Pina zum Beispiel die Wohnung, schloss die Tür hinter sich und klopfte dann an. Carla fragte von innen: »Wer ist da?« »Ich bin es, Pina!« Carla öffnete die Tür und sagte: »Hallo.« »Hallo.« »Komm rein!« »Danke.« Dann sagte Carla mit einer Geste zu Pina: »Bitte, komm herein.« Sie unterbrachen die Szene, bezogen mich mit ein und ließen mich alles wiederholen. Zuerst musste ich die Rolle der Hausherrin nachspielen, anschließend die des Gastes. Wir schüttelten uns vor Lachen über die Fehler, die ich in der Aussprache machte. Denn tatsächlich sprach ich die Sätze auf sehr seltsame Weise aus und verwechselte dabei ständig i mit e und umgekehrt. Das lag an der Eigenart der berberischen Sprache. Wir setzten die Szene fort und amüsierten uns blendend. »Wie geht es dir?« »Gut, danke. Und dir?« »Auch gut, danke.« Wieder ließen sie mich alles wiederholen und in die verschiedenen Rollen schlüpfen. »Was möchtest du trinken, Tee oder Kaffee?« »Einen Tee, danke.« Diejenige von uns, die den Tee angeboten hatte, tat so, als würde sie in die Küche gehen und einen Tee auf einem Tablett holen, in Wirklichkeit stand der Tee bereits fertig auf dem Tisch, mit süßem Gebäck und gerösteten Mandeln, das ich jedes Mal, wenn sie vorbeikamen, vorbereitet hatte.
»Mit oder ohne Zucker?« »Mit Zucker, danke.« »Wie viele Löffel Zucker?« »Einen Löffel, danke.« »Möchtest du etwas Gebäck?« Sie zeigte auf den Tisch. »Ja, gerne, danke.« »Aicha, möchtest du auch einen Tee?« »Ja, danke.« »Mit Zucker oder ohne?« »Ja.« »Also, mit Zucker, ja?« »Ja, danke.« »Wie viele Löffel, einen oder zwei?« Sie zeigte mir die Anzahl der Löffel mit den Fingern. »Einen, danke.« So gingen meine lieben Freundinnen mit unterschiedlichen Gegenständen vor. Sie zeichneten zum Beispiel einen Schal, einen Mantel, einen Rock, einen Tisch, einen Teller und alles Mögliche andere auf einen Block und schrieben den Namen des Gegenstands unter jedes Bild. Diese Wörter musste ich auswendig lernen. Doch zuerst lehrten sie mich das Alphabet, das ich immer wieder schreiben musste, jeden Buchstaben Hunderte Mal, bis ich sie richtig schrieb. Nie zuvor hatte ich einen Stift in der Hand gehalten, noch hatte ich jemals einen Fuß in eine Schule gesetzt. Ich hatte jedoch das Glück, ein gutes Gedächtnis zu haben. Von klein an, als Sklavin, hatten mir meine ehemaligen Herrschaften Dutzende Dinge aufgezählt, die ich vom Markt holen musste. Ich musste sie mir alle merken und durfte nichts vergessen, sonst wäre ich schwer bestraft worden. Ich musste mir die Menge jedes einzelnen Gemüses, jeder Frucht und alle anderen Dinge merken. Um mich besser zu erinnern, erfand ich immer eine Art Film, mit allen Einzelheiten, die mir dann im Kopf blieben. Bis heute erstelle ich vor meinem geistigen Auge einen Film, wenn jemand mit mir spricht, während ich das Gespräch verfolge.
Pina und Carla kamen einmal die Woche, und ich konnte es kaum erwarten, dass die sieben Tage vorübergingen, um den Unterricht fortzusetzen. Ich war begierig darauf, zu lernen und ich wollte alles und sofort wissen. Eines Tages fragte ich sie schüchtern, ob sie zweimal pro Woche kommen können. Zu meiner Überraschung stimmten sie zu und kamen ab sofort zweimal, anfangs für je eine Stunde, später zwei Stunden. Die meiste Zeit jedoch verbrachten wir lachend, wir tranken Tee und aßen süßes Gebäck und geröstete Mandeln, nach denen sie verrückt waren. Endlich konnte ich lachen und glücklich sein, wie alle anderen Menschen auch. Ab dem ersten Tag meines Lebens in der Schweiz fühlte ich mich in jeder Hinsicht wie neugeboren. Ich fühlte mich Teil einer Gesellschaft, von der ich nicht dafür verurteilt wurde, dass ich eine Sklavin gewesen war. Dies rief unbändige Freude in mir hervor. Ein Gefühl, dass ich während meiner gesamten Kindheit nicht verspürt hatte, außer im letzten Jahr, das ich mit meinen Schwestern auf dem Land verbracht hatte, bevor ich verheiratet wurde. Während meiner Kindheit glaubte ich sogar, dass ich kein Recht darauf hatte, zu lachen oder glücklich zu sein, schließlich wurde ich nicht wie ein Mensch, sondern wie ein Tier behandelt, das man ausgesetzt hatte. Das Einzige, was mir damals noch fehlte, waren meine Schwestern und mein Dorf, die Sonne und der blaue Himmel und der Kontakt mit den Tieren.
Carla und Pina gaben mir Aufgaben und ich übte und übte. Ich bat die Freunde von Bilal, die Italienisch sprachen, um Hilfe, wenn sie zu uns kamen. Sie halfen mir sehr gern und schließlich konnten wir sogar ein paar Worte miteinander wechseln. Bilal half mir auch, wann immer er konnte. Nach drei Monaten konnte ich auf Italienisch kommunizieren und sogar ein bisschen schreiben und lesen. Ich spürte eine unheimliche Freude darüber, lesen zu können. Lesen und Schreiben rief in mir ein Gefühl der Dankbarkeit hervor, das einfach nur wundervoll war. In meinem Kopf hatte sich eine neue Welt eröffnet, eine Welt voller Magie, in der ich endlich die Schriften entziffern konnte, die ich bis zu diesem Tag überall gesehen hatte, ohne ihnen einen Sinn oder eine Form geben zu können. Ich blieb stehen, um die Texte an den Eingängen der Lokale zu lesen und stand vor den Werbeplakaten, um sie wie ein sechsjähriges Kind zu entziffern, vor mich hin flüsternd, dass die vorbeigehenden Leute nichts bemerkten. »Die Leute sind nicht so dumm, dass sie nicht merken würden, dass du lesen lernst«, sagte Bilal eines Tages zu mir. Seine Bemerkung sorgte dafür, dass ich mich noch wertloser und dümmer fühlte, als sowieso schon. Ich schämte mich zu Tode und ab diesem Tag war ich noch vorsichtiger, damit niemand bemerkte, wie ich die Schriften in der Öffentlichkeit entzifferte.
Pina und Carla behandelten mich, als gehörte ich zu ihrer Familie und ich liebte sie wie meine Schwestern. Ich lud sie mit ihren Familien zu uns nach Hause zum Essen ein und sie taten es mit mir und Bilal gleich. Bald lernte ich auch ihre italienischen, spanischen und portugiesischen Freunde kennen, die auch meine Freunde wurden, und ich lud auch diese ein. Am Ende war das Haus immer voller Leute, meine Freunde und die Bilals. Jeder wusste, dass man in unserem Haus viel lachte und scherzte. Wir tranken Pfefferminztee und ich servierte dazu geröstete Mandeln und süßes Gebäck. Und nicht zu vergessen, mein Couscous, nach dem alle verrückt waren. Ich hätte, um mich in die Schweiz zu integrieren, Deutsch lernen müssen, doch gerade erst hatte ich mich in die Gesellschaft der Italiener im Herzen der deutschsprachigen Schweiz integriert. Die meisten meiner italienischen Freunde sprachen kein Deutsch und waren somit auch nicht vollständig in die Schweiz integriert. Sie blieben in ihrem Kreis und ihrer italienischen Kultur. Nur die neue Generation, die in der Schweiz geboren und dort zur Schule gegangen war, hatte sich integriert. Die ältere Generation hingegen arbeitete hier und machte dann in Italien Urlaub, um anschließend ihr Leben in der Schweiz wie in Italien fortzusetzen. Mir gefiel ihre Mentalität sehr und ich blieb viele Jahre in ihrem Kreis. Glücklicherweise sprachen einige Schweizerdeutsche in Schaffhausen Italienisch, so konnte ich mich verständigen. Trotzdem fühlte ich mich immer als Ausländer, inmitten einer Stadt, deren Sprache ich nicht verstand. Erst Jahre später, als ich mich von Verlegenheit und Scham befreit hatte, bedauerte ich, dass ich die Gelegenheit, die sich mir damals geboten hatte, nicht ergriffen hatte, nämlich die, mit Tobias Deutsch zu lernen.
In der Zwischenzeit schritt meine Schwangerschaft weiter voran, doch anstatt zuzunehmen, verlor ich weiter an Gewicht. Ich litt an Übelkeit und vertrug weder gekochte Lebensmittel noch Fleisch, nur ein paar bestimmte Früchte, Brot und Schokolade, die ich als Snack anstelle richtiger Mahlzeiten zu mir nahm. Ich verbrachte meine Tage mit Spaziergängen und der Hausarbeit. Sobald ich fertig war, suchte ich mir neue Arbeiten, doch irgendwann gab es nichts mehr zu erledigen. Ich stellte fest, dass die Hausarbeit in der Schweiz sehr einfach zu erledigen war. Die Waschmaschine wusch die Kleidung, ohne dass ich mich stundenlang über ein Becken beugen und sie von Hand waschen musste, wie ich es bei meinen ehemaligen Herren in Marokko getan hatte. Und es gab den magischen Staubsauger, der die Arbeit perfekt und schnell erledigte, anstatt die Teppiche mit dem Besen abzuschrubben oder sie draußen auf der Terrasse auszuklopfen, um sie vom Staub zu befreien, wie man es bei uns machte. Außerdem genügte es, den Wasserhahn aufzudrehen, um angenehm warmes Wasser fließen zu lassen und das Geschirr zu spülen. Um sich zu waschen, stieg man einfach in die Dusche und ließ warmes Wasser über den Körper fließen, anstatt es erst auf dem Gasofen erhitzen zu müssen oder in den Hammam zu gehen, wie es bei uns üblich war, um sich zu waschen. Es war eine Freude, als ich zum ersten Mal sah, wie der Staubsauger und die Waschmaschine alle Aufgaben wie von selbst erledigten. Ich setzte mich oft vor die Waschmaschine und beobachtete, wie die Wäsche gewaschen wurde. In solchen Momente war ich von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt, dass ich diese harten Arbeiten nicht mehr erledigen musste, wie ich es während meiner ganzen Kindheit hatte machen müssen. Das Schönste für mich war allerdings, dass ich keine Herrin mehr hatte, und auch keine Schwiegermutter und keine Schwägerinnen, die mich herumkommandieren oder mich von früh bis spät quälen konnten. Endlich frei! Frei! Frei! Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich als freier Mensch. Ein Lebewesen, das als Mensch zählte und der gleichen Welt angehörte, wenn auch nur teilweise, da ich mich tief im Inneren noch immer nicht vollständig frei und auch nicht als Mensch fühlte. Ich war aus der Sklaverei befreit, ja, aber doch nur, um am Ende in einer Ehe gegen meinen Willen in einem freien Land wie der Schweiz gefangen zu sein. Doch trotz alledem war ich dankbar, all das zu haben, was ich für ein würdevolles Leben benötigte. Das bequeme Leben war mir fremd und um mich nicht zu langweilen begann ich, den Flur weiß zu streichen, der wegen des Rauchs, der aus der Kaminklappe kam, grau geworden war. Ich wusch die Wände der Küche und des Badezimmers und putzte das ganze Haus, bis es glänzte. Ich brachte den Keller und den Dachboden in Ordnung, doch am Ende gab es nichts mehr zu tun. So begann ich damit, von Hand Vorhänge für die Fenster zu nähen. Ich besaß weder eine Nähmaschine, noch wusste ich damit umzugehen. Aber auch diese Arbeit war irgendwann erledigt. Zum Glück gab mir ein Freund von Bilal, Hans, der Gewürze in einem Geschäft in der Stadt verkaufte, Arbeit. Er brachte mir Dutzende Säcke voller Gewürze, die ich in kleine Säckchen füllen, wiegen und mit einem Preisetikett versehen musste. Diese Arbeiten erledigte ich zu Hause, im Zimmer über der Treppe. Ich räumte das Zimmer leer, putzte es und verwandelte es in ein kleines Geschäft. Zumindest hatte ich Beschäftigung und konnte ein wenig Geld verdienen. Hans zahlte mir 10 Schweizer Frankencent pro Säckchen und ich bemühte mich, so viele Säckchen wie möglich zu füllen, um noch etwas mehr Geld zu verdienen, während ich schon davon träumte, einen Teil davon zur Unterstützung meiner Familie nach Marokko zu schicken.
Der Frühling
Die weißen und violetten Blüten, Schneeglöckchen und Krokusse sprießten wie von Zauberhand aus dem noch halb gefrorenen Boden. An den Ästen der Bäume wuchsen hellgrüne Blätter mit den ersten zurückhaltenden Strahlen der Sonne, die das Land erwärmte. Alles schien neues Leben zurückzugewinnen, auch die Leute waren fröhlicher, jetzt wo es einige Sonnentage gab. Für mich war das nicht genug, ich brauchte die Sonne jeden Tag. Ich brauchte Platz. Obwohl die Natur in der Schweiz wunderbar ist, mit den vielen grünen, ordentlichen Flächen, fühlte ich mich von den Wäldern, die die Stadt und das ganze Land umgaben, und dabei jeden Blick darüber hinaus verhinderten, eingeengt. Mir fehlte dieser endlose Raum über die kahlen Hügel meines Landes hinweg. Mir fehlte die Aussicht auf weite Ebenen, die steinige Wüste und die warmen Felsen, der grüne Teppich der blühenden Wiesen, die wie von Zauberhand nach den ersten Regenfällen des Frühlings entstanden. Diese wilden Blumen machten mein Land zu einer wundervollen Oase.
Bald verwandelte sich der Garten um das Haus in ein kleines Paradies voller Blumen, über die Insekten flogen und wo die Vögel bereits im Morgengrauen ihre Lieder trällerten. Der Apfelbaum, der Birnen- und der Pflaumenbaum blühten bereits und würden bald saftige Früchte tragen. Doch der schönste Baum, der in der Mitte des Gartens üppig wuchs, war die Kirsche, die uns große, saftige und süße Kirschen schenkte. Auch die Rosen würden bald Blüten tragen, in rosa, rot und weiß.
Endlich war auch der Sommer da. Es schien, als würde mit der Ankunft der Wärme auch das Leben in der Stadt und im ganzen Land neu erwachen. Die Leute hatten wesentlich bessere Laune. Überall sah man Menschen auf den Bänken oder Wiesen sitzen, ein Buch lesen, picknicken oder während der Mittagspause Brötchen essen und die Sonne genießen. Auch Bilal und ich machten an den Wochenenden oft ein Picknick in der Natur und legten uns auf der Wiese in die Sonne. Im Sommer ist die Schweiz wahrlich ein Paradies auf Erden. Während der Woche hatte ich viel Freude daran, am Fluss entlangzuspazieren und den herrlichen Ausblick auf die üppigen Bäume und die Vielzahl der schönsten Blumen zu genießen, und vor allem genoss ich die wundervollen Wasserfälle des Rheinfalls, den ich so sehr liebte.
Ich ging zur Promenade hinauf, um den wundervollen Ausblick zu genießen oder setzte mich auf eine Bank in der Mitte des Spielplatzes. Der Park war im Sommer ein grüner Teppich, mit grünen Bäumen und den schönsten Blumenbeeten, die hier und da verstreut lagen. Während ich auf der Bank saß, beobachtete ich, wie die Eltern mit ihren Kindern spielten. Ich streichelte meinen Bauch und verspürte eine große Freude darüber, Mutter zu werden. Doch gleichzeitig verspürte ich auch eine gewisse Sehnsucht, da ich doch als Kind nie hatte spielen können und weder richtig bei meinen Eltern noch mit meinen Brüdern und Schwestern aufwachsen konnte. In mir gab es eine tiefe Leere, die ich teilweise noch immer verspüre. Ich beobachtete die Hunde, wie sie über die Wiese rannten und glücklich mit ihren Besitzern spielten. Bei diesem Anblick dachte ich: »Lieber Gott, wenn du mich doch nur als Hund in diesem Land in die Welt gesetzt hättest, dann hätte ich wenigstens Herren gehabt, die mich lieben und mich streicheln. Ich hätte glücklich und frei mit den anderen Hunden auf den Wiesen gespielt. Ich hätte genug zu Essen und einen warmen Schlafplatz gehabt und hätte jederzeit schlafen können, wenn ich gewollt hätte, statt immer dieses Gefühl der Müdigkeit zu haben, das meine Seele meine gesamte Kindheit zerrissen hat.«
Ich war überrascht, als ich erfuhr, dass hier ein Hund zum Tierarzt gebracht wurde, wenn er krank war. Man gab hier mehr Geld für einen Hund aus, als bei uns für ein Kind. Hier beschützte man Hunde sogar vor kleineren Infektionen an der Pfote, wohingegen bei uns auf dem Land immer noch viele Kinder an Masern und anderen Kinderkrankheiten starben, die man mit wenigen Eurocent hätte heilen können. Ich liebe Tiere und ich bin der Ansicht, dass sie diese besondere Behandlung verdienen, aber ich dachte auch an den schlimmen Zustand, der zu dieser Zeit in meinem Dorf herrschte.