Kitabı oku: «Im goldenen Käfig», sayfa 6
Am späten Nachmittag verabschiedeten wir uns von Saina und wanderten über die Berge, um die einzige asphaltierte Straße zu erreichen. Wir warteten auf ein Verkehrsmittel, doch es kam keines. Die Nacht brach herein und so entschieden wir, bei meinen Onkeln mütterlicherseits zu übernachten, die in der Nähe wohnten. Wir kamen in ihrem Dorf an, nachdem es bereits dunkel war. Erinnerungen an meine geliebte Großmutter stiegen in mir auf, die bereits verstorben war. Ihr großes Haus befand sich neben dem meinen Onkeln. Ich trat ein und fand das Haus leer vor, dabei überkam mich eine starke Melancholie und eine solche Sehnsucht nach meiner geliebten Großmutter. Ich stellte sie mir mit ihrem Stock in der Hand und ihrem Buckel vor, wie sie mit langsamen Schritten durch den großen Hof ging. Ich erinnerte mich an ihre Güte, ihre Liebe und die Ruhe, die sie auf uns Enkelkinder übertragen hatte. Mein beiden Onkel und deren Familien empfingen uns mit großer Freude und Gastfreundschaft. Früh am nächsten Morgen brachen wir mit dem ersten Transportmittel auf. Sobald wir im Haus meiner Schwiegereltern angekommen waren, bereitete die Schwiegermutter ihre Magie vor. Sie gab etwas Wasser in eine Schüssel und wusch ihr verschmutztes Gesicht, ihre rechte Hand und ihren dreckigen rechten Fuß. Alles nach Anweisung des Magiers. Dann lag sie in dieses Wasser ein Stück Papier, auf dem der Magier etwas mit einer besonderen Tinte geschrieben hatte, und löste diesen Zettel im Wasser auf. Danach bereitet sie mit diesem Dreckwasser einen Kaffee zu und befahl mir, ihn zu trinken. »Untersteh dich, Bilal gegenüber auch nur ein Wort über den Inhalt dieses Kaffees zu erwähnen!« Ich traute meinen Augen nicht, während ich sie voller Entsetzen ansah. Mir drehte sich der Magen um, als ich nur an ihre stinkenden Füße dachte, die sie seit Tagen nicht mehr gewaschen hatte und in diesem Wasser abgewaschen hatte, das ich nun trinken sollte. Ich weigerte mich, doch sie bestand darauf. Ich sah sie mitleiderregend an und fragte, wozu das gut sein solle. »Damit du und Bilal nicht mich und meine Familie vergesst!« »Aber ich muss doch nicht dieses Zeug trinken, nur um euch nicht zu vergessen. Ich bitte dich, Mama Tamo, ich verspreche dir, alles dafür zu tun, dass Bilal euch immer besuchen kommt und regelmäßig Geld schickt, aber ich bitte dich, lass mich das nicht trinken.« Ich kam nicht gegen sie an. Sie drohte mir, sich an mir zu rächen, wenn ich nicht gehorchte. Ich schloss die Augen, hielt mir die Nase zu und trank diese Schweinerei in einem Zug aus. Ich glaubte sterben zu müssen, wenn ich nur daran dachte, den Dreck von dieser Person getrunken zu haben, die ich in diesem Moment so sehr hasste. Meine Schwägerin Soubida sah mich mit angeekeltem Gesichtsausdruck an. Ich drehte mich um und wollte mich übergeben, doch die Schwiegermutter packte mich am Arm und hielt mich zurück. »Wage es nicht, dich zu übergeben! Behalte es drinnen, damit es wirken kann!« »Verdammt! Es geht mir schlecht! Welche Wirkung willst du denn noch?« »Sprich nicht in diesem Ton mit mir! Oder hast du vergessen, wer ich bin?« Sie hielt sich für eine Heilige mit magischen Kräften, die sie von ihren Vorfahren geerbt hatte. Meiner Meinung nach war sie das Gegenteil, eine psychisch kranke Frau, doch niemand unterstützte mich in dieser Annahme. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Mit wem denn? Mit ihren Kindern, die genauso verrückt waren wie sie? Mit ihren Nachbarn, die sie um jeden Preis mieden? Inzwischen war Bilal zurückgekehrt, und sie bot auch ihm ihren verzauberten Kaffee an. Ich konnte ihn nicht davon abhalten, ich musste schweigen, während ich mir den Bauch hielt vor Krämpfen und mit der Übelkeit kämpfte, es ging mir so schlecht, ich hätte tot umfallen können. Bilal setzte sich auf die Schwelle vor der Eingangstür in die Kühle des Abends, dort wo ich saß, während meine Schwiegermutter überwachte, dass ich mich nicht übergab. Er fragte mich: »Was hast du? Geht es dir nicht gut?« Ich sah weg und sagte: »Ich glaube, ich habe etwas gegessen, das ich nicht gut vertrage.« Seine Mutter presste ein falsches Lächeln heraus und ermutigte ihren Sohn, den Kaffee zu trinken. Nachdem er einen Schluck probiert hatte, spuckte er ihn auf den Boden. »Pfui Teufel! Weißt du nicht mehr, wie man Kaffee kocht, Mama?« Er ging in die Küche und sagte: »Ich mache mir einen neuen.« »Nein! Wir haben ihn alle getrunken und keiner hat sich beschwert. Trink! Ich mache dir später einen anderen.« Lügnerin. Ich war die Einzige, die ihn getrunken hatte und er sollte den Rest trinken. Er goss ihn ins Waschbecken und machte sich einen neuen. Ihr ging es schlecht, da ihr Plan nicht aufgegangen war, und das, wo sie doch dem Magier eine große Menge Geld gezahlt hatte. Die Leidtragende war jedoch ich, da ich ihre Schweinerei in meinem Magen ertragen musste. Seltsamerweise rief Kaffee bei mir ab diesem Tag des Öfteren Panikattacken hervor. Bis heute.
Gott sei Dank waren die 30 Tage des Urlaubs in der Hölle endlich vorüber. Wir flogen vom Flughafen in Marrakesch ab. Jedes Mal, wenn ich in Marrakesch war, stiegen in mir die Erinnerungen an meine Zeit als Sklavin hoch, von denen ich noch niemandem etwas erzählt hatte. Selbst Bilal wusste nicht, was ich während meiner Versklavung in der größten Stadt Marokkos erlebt hatte. Meine Schwiegereltern begleiteten uns zum Flughafen, um das letzte Geld, das Bilal noch bei sich hatte, an sich zu nehmen. Bevor wir uns verabschiedeten, zog Bilal seine Brieftasche heraus und gab ihnen alles, bis auf den letzten Cent. Endlich wieder zu Hause in der Schweiz! Das kalte und neblige Land, in dem zu leben ich mir nicht im Geringsten hatte vorstellen können. »Ich? Niemals«, sagte ich zu Onkel Lahcen, als Bilal ihn vor zwei Jahren geschickte hatte, um um meine Hand anzuhalten. Jetzt war dieses Land zu meiner Insel der Zuflucht geworden, mein Rückzugsort von allen Erinnerungen an meine Vergangenheit und den großen Gefahren, die ich bei meiner Schwiegermutter zu bewältigen hatte. Ich liebe Marokko und es wird immer mein Heimatland bleiben, aber ich hatte verstanden, dass ich dort nicht leben konnte, aufgrund der schmerzhaften Erinnerungen an die Vergangenheit.
Die Schulden
Nach unserer Rückkehr aus Marokko brachte Bilal schweren Herzens das Geld auf die Bank zurück. Ich wollte die Höhe seiner Schulden wissen, die er auf der Bank hatte, aber er weigerte sich, es mir zu sagen. Als Pina einmal zu mir kam, zog ich eine Kiste voller Unterlagen von Bilal hervor. Mit größter Geduld studierte sie alle Unterlagen, bis wir fanden, wonach ich gesucht hatte. Ich war schockiert, als ich entdeckte, dass Bilal 55.000 Schweizer Franken an Schulden hatte. Mit den im Laufe der Jahre angesammelten Zinsen, mussten wir der Bank bereits mehr als 70.000 Franken zurückzahlen. Es waren die Beträge, für die Bilal das Grundstück gekauft und das Haus gebaut hatte, in dem nun seine Eltern, seine Brüder und Schwestern lebten. Außerdem hatte er seinem Vater Geld geschickt, um einige Hektar Land zu erwerben, das der Vater jedoch auf seinen Namen und nicht auf den Bilals hatte eintragen lassen, während Bilal in gutem Glauben davon ausging, dass sein Vater ihn hatte eintragen lassen.
Bilal würde die Wahrheit erst später entdecken. Ich hatte diese Wahrheit bereits zwei Jahre zuvor im Hause meiner Schwiegereltern erfahren, doch meine Schwiegermutter drohte mir ernsthaft, falls ich es Bilal erzählen würde.
Ich legte meinen Kopf verzweifelt in meine Hände, während mich Pina fassungslos anstarrte. Ich fragte mich, wie Bilal glauben konnte, diesen hohen Betrag und die Zinsen jemals zurückzahlen zu können, wenn er doch gerade einmal 2200 Franken im Monat verdiente? Wie würden wir unser Leben finanzieren können, wenn wir anfingen, neben dem monatlichen Unterhalt für Miriam auch noch an die Bank zu bezahlen? Wie könnte man diese Katastrophe seiner gierigen Familie klarmachen, die immer noch mehr Geld von uns wollte? Ich dachte, Bilal würde sich schämen zuzugeben, dass das Geld, das er mit nach Marokko brachte, nicht allein von ihm verdient, sondern hauptsächlich geliehen war.
Mir wurde klar, dass ich mir eine andere Arbeit suchen musste, um ihm dabei zu helfen, die Schulden abzubezahlen. Eines Tages fragte ich Bilal: »Wie gedenkst du, diesen Schuldenberg, den du angesammelt hast, zurückzuzahlen?« »Woher weißt du, dass ich Berge von Schulden habe?« Ich musste gestehen, dass ich seine Unterlagen durchsucht hatte. »Du brauchst dich nicht in meine Angelegenheiten zu mischen, Aicha, ich habe schon alles geregelt.« »Was hast du geregelt? Oder denkst du, die Banken sind so dumm und geben dir endlose Kredite, die du nicht zurückzahlen musst?« Er antwortete: »Wenn die Banken mir nichts mehr geben oder ich nicht in der Lage bin, alles zu bezahlen, dann organisiere ich meine Zukunft in Marokko und bleibe für immer dort.« Ich sah ihn voller Enttäuschung an. »Was? Du hast vor zu flüchten, ohne deine Schulden zu bezahlen? Nehmen wir einmal an, es wäre so, was wird dann aus deiner Tochter?« »Wenn die erwachsen ist, kann sie zu mir nach Marokko kommen.« »Und wenn sie nichts mehr von dir wissen will, weil du sie im Stich gelassen hast?« »Naja, es ist ihre Entscheidung, ob sie zu mir kommen will oder nicht.« »Es tut mir leid, Bilal, aber ich verstehe dich nicht. Man kann doch nicht sein Kind in einem fremden Land zurücklassen, nur um sich dort unten zu bereichern. Und vor allem, für was, um Himmels willen! Um es Leuten recht zu machen, die nichts von Dankbarkeit verstehen? Damit Miriam dann die Konsequenzen tragen muss, indem sie ihren Vater verliert?« »Ich habe es dir schon einmal gesagt und ich wiederhole es gern, wir werden hier bald weggehen. Im Grunde habe ich mit diesem Geld armen Leuten und meiner Familie geholfen, die es dringend gebraucht haben. Oder siehst du das anders?« Ich war aufgebracht und stimmte ihm keineswegs zu, gleichzeitig tat es mir leid um Bilal, dem ich vor meiner Reise in die Schweiz das Versprechen abgenommen hatte, dass wir nach spätestens zwei Jahren für immer nach Marokko zurückziehen würden. Damals wollte ich überhaupt nicht in die Schweiz kommen, aus Angst vor der Kälte und dem Nebel und davor, mich nicht integrieren zu können. Doch jetzt hatte ich meine Meinung geändert. Nur in der Schweiz fühlte ich mir vor seiner Familie sicher.
Die Lähmung
Nach der Rückkehr aus Marokko änderte sich mein glückliches Leben in der Schweiz. Ich war nicht mehr so entspannt und unbeschwert wie zuvor. Die Schulden, die ich vor kurzem entdeckt hatte, belasteten mich und ich beschloss, sie gemeinsam mit Bilal so schnell wie möglich abzubezahlen. Ich hasste diese Schulden und konnte nicht mehr ruhig schlafen, solange sie nicht beglichen waren. Ich musste unbedingt schnell eine Arbeit finden, bei der ich mehr verdienen würde. Auch die Drohungen meiner Schwiegermutter verfolgten mich Tag und Nacht: »Wenn du auch nur ein Wort meinem Sohn gegenüber verlierst, über das, was du hier bei uns erlebt oder gehört hast, dann bringe ich dich um. Und denk nicht einmal dran, ihn zu überzeugen, uns kein Geld mehr zu schicken, versuche es nicht einmal. Der Tag an dem ich davon erfahre, wird dein Ende sein. Hast du das verstanden?« Die Angst und die Drohungen lähmten mich und machten es mir unmöglich, die finanzielle Belastung von uns zu nehmen, die sie uns auferlegten. Ich konnte Bilal kein Wort davon sagen, der wiederum weiterhin große Geldbeträge schickte. Er war sich dem Ernst der Lage überhaupt nicht bewusst, oder weigerte sich, die Wahrheit zu sehen. All diese Sorgen beeinträchtigen sowohl meine körperliche als auch meine geistige Gesundheit. Fieber und Halsschmerzen kamen wieder häufiger vor, obwohl ich lange nicht mehr daran erkrankt gewesen war. Eines Tages brachte mich Pina zu ihrem Arzt, einem älteren Herrn, der seinen Beruf in Teilzeit ausübte. Er hatte eine Lampe an seiner Stirn und trug eine Brille mit doppelten Gläsern, während er meinen Hals untersuchte. Er sagte, ich müsse meine Mandeln operieren lassen. Ich wurde von der Angst übermannt und fragte ihn auf Italienisch und mittels Gesten: »Wie soll das gehen, das Operieren, Doktor? Machen sie mir einen Schnitt im Hals und ziehen sie heraus? Tut das weh?« Der Arzt setzte seine Brille ab und brach in Gelächter aus, offensichtlich bemerkte er, dass ich ungebildet war. »Aber Frau Laoula, Sie müssen keine Angst haben, Sie werden überhaupt nichts spüren, das garantiere ich Ihnen. Die Operation wird über den Mund durchgeführt. Haben Sie das verstanden? Wir vereinbaren einen Termin im Krankenhaus und in etwa einem Monat werden Sie operiert.« Während der Wartezeit auf diese Operation ist mir etwas sehr Seltsames widerfahren. Eines Samstagmorgens erwachte ich mit einem Gefühl der Taubheit im ganzen Körper, aber vor allem konnte ich meine rechte Körperhälfte nicht mehr kontrollieren. Ich hatte Schwindelgefühl und Kopfschmerzen. Auf dem rechten Auge sah ich nur unscharf und ich konnte es nicht mehr schließen. Mein rechtes Bein gab einfach nach. Ich konnte mit der rechten Hand nicht einmal mehr ein Glas heben, sie war wie leblos. Ich wollte essen, doch meine Lippen konnten die Nahrung nicht halten und sie fiel mir aus dem Mund. Ich verstand nicht, was los war, aber ich machte mir keine Gedanken darüber. Ich war immer der Ansicht, dass die Krankheiten, die man bekommt, auf dieselbe Weise auch wieder verschwinden. Noch bis heute denke ich so.
Wir hatten Gäste zum Mittagessen und Bilal hatte gekocht, da ich dazu nicht in der Lage war. Während des Essens sagte eine Freundin von Bilal: »Aicha, du kommst mir heute komisch vor, was hast du?« Ich lächelte mit meinem verzerrten Gesicht, während ich die Gabel mit den Nudeln in den Mund schob, aber sie fielen mir wieder heraus, sodass ich sie mit den Fingern hineinstopfte. Sie sah mich entgeistert an, da mich dies nicht zu stören schien. Nachdem ich gekaut und die Nudeln geschluckt hatte, hielt ich mir die Hand vor den Mund und erwiderte: »Ja, ich weiß, dass irgendetwas mit mir nicht stimmt, aber vielleicht ist morgen schon wieder alles gut.« Ich setzte meinen Kampf mit dem Essen fort, während die Freundin ihre Gabel auf den Teller legte und sagte: »Du machst dir keinerlei Sorgen? Vielleicht ist es etwas Ernstes? Du musst unbedingt einen Arzt aufsuchen, und zwar sofort.« »Warum sofort? Das gibt sich alles von selber, ich habe keine starken Schmerzen, außer die Kopfschmerzen, und ich spüre im Augenblick meine eine Körperseite nicht, das ist alles.« Sie sagte nichts mehr.
Am Tag darauf hatte sich mein Zustand verschlechtert, ich fühlte mich im Allgemeinen so schlecht, als hätte ich hohes Fieber. Im ganzen Körper verspürte ich ein Kribbeln und das Gefühl von Taubheit. Wegen den Kopfschmerzen und dem anhaltenden Schwindel blieb ich auf dem Sofa liegen. Meine ganze rechte Seite schien langsam zu sterben. Am Montag kamen meine Freundinnen vorbei, die sich erschraken, mich in einem solchen Zustand vorzufinden. Pina bestand darauf, dass ich ins Krankenhaus ging, alle waren der Meinung, es würde sich um etwas Ernstes handeln. Ich gehorchte und ließ mich von ihr ins Auto führen, da ich mein rechtes Bein nicht benutzen konnte und auf dem rechten Auge schlecht sah. Ein auf solche Fälle spezialisierter Arzt untersuchte mich von Kopf bis Fuß mit Instrumenten, deren Namen ich nicht einmal kannte. Dann setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und seufzte. Ich erkannte, dass es nicht so harmlos war, wie ich gedacht hatte. Auch Pina sah plötzlich besorgt aus. Der Arzt sagte mir, dass ich eine akute Lähmung der rechten Körperhälfte hätte. Pina fragte: »Doktor, was kann die Ursache dafür sein?« »Soweit ich das beurteilen kann, handelt es sich um ein Problem des zentralen Nervensystems. Die Dame muss einer sehr hohen Belastung ausgesetzt gewesen sein. Ich gebe ihr Medikamente und werde sie umgehend in das Universitätsklinikum Zürich einweisen, wo sie entsprechend versorgt werden kann. Sie muss dort mindestens einen Monat bleiben oder gar länger.« Pina übersetzte mir das, was ich nicht verstand. »Ich, ins Krankenhaus?«, fragte ich mit zittriger Stimme. »Ich habe ein kleines Kind zu Hause und ich hatte nicht vor, mich von ihm zu trennen, nein! Bitte, Herr Doktor, schicken Sie mich nicht nach Zürich.« Er sah mich traurig an und antwortete: »Um wieder gesund zu werden, benötigen Sie eine besondere Behandlung, und die gibt es nur in Zürich.« Pina sagte mir, sie würde sich um Youns kümmern und ich solle nur daran denken, wieder gesund zu werden. Glücklicherweise gewährte mir der Arzt eine Woche Zeit, um zu sehen, ob ich wieder auf die Beine käme, falls aber nicht, müsse ich ins Krankenhaus nach Zürich. Ich trocknete meine Tränen, nahm meine Medikamente mit und ließ mich, eingehakt in Pinas Arm, nach Hause bringen. In der Zwischenzeit wurde meine Mandeloperation nach hinten verschoben. Als der Arzt sagte, dass ich wohl unter großem Stress stehe, dachte ich sofort an das, was mir meine Schwiegermutter mit ihrem verzauberten Kaffee zugefügt hatte, den sie mich zu trinken gezwungen hatte. Es war nicht auszuschließen, dass sehr toxische oder giftige Stoffe darin enthalten waren, die mein Nervensystem geschädigt hatten. Bei uns wurden Menschen oft so getötet. Man verabreichte ihnen Pflanzenextrakte oder giftige Insekten, die die Menschen langsam töteten, ohne dass es jemand bemerkte. Nicht einmal die Ärzte konnten den Grund für den schlechten Gesundheitszustand der Personen herausfinden, die diese giftigen Getränke geschluckt hatten.
Eine Woche später musste ich erneut zum selben Arzt. Nach einer sorgfältigen Untersuchung sagte er: »Nun, es ist zu früh zu sagen, ob Sie ohne Hospitalisierung wieder gesund werden, aber zumindest hat sich Ihr Zustand nicht verschlechtert, und das ist, was im Augenblick zählt. Nehmen Sie weiterhin die Medikamente und kommen Sie in einer Woche wieder.« Dieses Mal verließ ich die Praxis etwas hoffnungsvoller. Tief in meinem Herzen hoffte ich, dass ich nicht nach Zürich und meinen Sohn nicht für wer weiß wie lange allein lassen musste. Im Augenblick versorgte ich Youns so gut ich konnte und er war glücklich wie immer. Alle waren besorgt um mich. Meine eigenen Sorgen waren seltsamerweise nicht größer, als wenn ich Fieber oder Halsschmerzen hätte. In meinem Kopf drehte sich alles nur darum, gesund zu werden, bevor mich der Arzt nach Zürich schicken würde. Außerdem hatte ich vollstes Vertrauen in ihn und seine Medikamente. Ich betete jeden Tag zu Gott, dass er mich gesund machen möge. »Um was soll ich mich sorgen? Ich weiß doch, dass ich wieder gesund werde. Ich war auch in Marokko immer wieder gesund geworden, auch wenn es mir noch schlechter ging, und das ganz ohne Medikamente. Und jetzt habe ich ja wenigstens Medizin«, sagte ich zu Bilal, während ich an die vielen Male dachte, als ich bei meinen ehemaligen Herrschaften krank gewesen war und sie mich trotz Krankheit und ohne Schmerzmittel weiter arbeiten ließen. Jetzt hatte ich zum einen Medikamente und zum anderen die Fürsorge der lieben Menschen um mich herum, und vor allem: die Liebe, die ich immer verspürte, wenn ich meinen Sohn in die Arme nahm. Dies half mir mehr als alle Medizin der Welt.
Einmal begleitete mich Bilal zu einer Untersuchung ins Krankenhaus. Er hielt mich am Arm, damit ich nicht stolperte, da mir mein Bein noch immer nicht gehorchte. Als wir im Stadtzentrum angekommen waren, bat ich ihn darum, ein Foto in der Fotokabine zu machen. Ich wollte es als Erinnerung haben, für die Zeit, wenn ich wieder gesund wäre. Aber er rief aus: »Nein! Ich möchte nicht, dass du in diesem Zustand ein Foto machst. Siehst du nicht im Spiegel, wie schlecht du aussiehst? Wie ein Monster! Und außerdem, wer sagt, dass du gesund wirst?« Ich ließ seinen Arm los und sagte wütend: »Ich werde ganz sicher wieder gesund! Warum glaubst du etwas anders?« Ich weinte und stammelte, da die eine Hälfte meines Mundes gelähmt war. Er sagte: »Ich habe von Menschen gehört, die ein ähnliches Problem hatten und sie sind nie wieder die alten geworden.« »Ich aber schon! Hast du verstanden?« Ich war von seinem mangelnden Vertrauen in mich enttäuscht. Ich wusste, dass er sich Sorgen machte und Angst hatte, aber er schämte sich auch, mich in der Öffentlichkeit zu begleiten, da ich so aussah. Auch ich schämte mich wegen meines Zustands. Mein rechtes Auge war Tag und Nacht geöffnet und tränte ständig. Ich musste Tropfen und Salben anwenden, um es feucht zu halten. Ich fühlte mich abstoßend, wie – da hatte Bilal schon recht – ein Monster. Ich fühlte mich von ihm abgewiesen. Zum ersten Mal kamen mir Zweifel und ich wurde sehr traurig, doch gleich danach baute ich meine innere Stärke wieder auf, die mich glauben ließ, dass ich wieder gesund würde, auch wenn ich diese Schlacht allein zu schlagen hatte. Ich frage mich, ob sich Bilal von mir scheiden lassen würde, wenn ich nicht mehr gesund würde. Nachdem mich der Arzt untersucht hatte, lächelte er und sagte: »Junge Frau, Sie werden gesund! Machen Sie weiter so und nehmen Sie die Medikamente.« Ich hätte vor Freude und Dankbarkeit platzen können. Auch Bilal war erleichtert. Nach zwei Monaten der Behandlung ging es mir wesentlich besser, zumindest äußerlich, wohingegen in meinem Inneren alles anders war als zuvor. Etwas in mir hatte sich verändert. Mein Nervensystem ist nicht mehr wie früher und das hatte erheblichen Einfluss auf die Qualität meines weiteren Lebens.