Kitabı oku: «Im goldenen Käfig», sayfa 5
Urlaub in Marokko
Es war Dezember, der Monat, den Bilal stets bei seiner Familie in Marokko verbrachte. Er war sehr glücklich, sie wiederzusehen, während ich eine Mischung aus Freude darüber verspürte, meine Familie zu besuchen, und Angst vor meiner Schwiegermutter. Denn die Tradition verlangte leider, dass ich den Urlaub mit meinem Mann im Hause meiner Schwiegereltern verbringen musste. Gott sei Dank hatte ich mein Kind, das mir Mut gab, und die kleine Miriam, die mit uns kam. Doch zuerst mussten wir die Geschenke für die vielen Verwandten von Bilal kaufen. Ich hatte beschlossen, ihn mit dem Geld, das ich mit den Gewürzen verdient hatte, dabei zu unterstützen, Parfums, Make-up, Cremes, Schuhe, Uhren und Schweizer Schokolade zu kaufen. Für seine Neffen kauften wir Spielzeug und Kleidung. Für meine Familie kaufte ich wenig. Wie ich meine Schwiegermutter kannte, hätte sie mich dafür verurteilt, wenn ich mehr für meine Familie gekauft hätte. Ich habe mehr Dinge für sie und ihre Töchter gekauft, in der Hoffnung, ihre Wut auf mich zu besänftigen und vielleicht Freundschaft schließen zu können. Aber ich täuschte mich, denn wie ein altes Sprichwort besagt, die Katze lässt das Mausen nicht.
Am Abend vor unserer Abreise war ich im Wohnzimmer, in dem alle Geschenke und Koffer und Taschen verteilt waren, die ich noch packen musste. Youns lag neben mir in seiner Wiege und brabbelte glücklich vor sich hin. Als Bilal nach Hause kam, sah ich, wie er 1000 Franken in Geldscheinen aus seinem Geldbeutel zog. Draußen schneite es und es war kalt, auch drinnen war es kalt, doch das Wohnzimmer war mit dem Holzofen beheizt. Ich frage Bilal, wo er denn das ganze Geld her habe, und er antwortete, es sei von der Bank. »Hast du es gespart?« »Nein, ich habe es mir geliehen.« »Ist das das erste Mal, dass du dir Geld von der Bank leihst?« »Nein, ich mache das immer so, bevor ich nach Marokko fahre.« »Du hast immer Schulden gemacht?« »Ja. Aber warum bombardierst du mich mit all diesen Fragen?« Ich sah ihn ernst an und fragte: »Bilal, wie viel Schulden hast du im Moment?« Er wandte sich ab, um die Geldscheine in ein Täschchen zu stecken. »Das geht dich nichts an. Du bist doch erst vor kurzem in mein Leben gekommen, was bildest du dir denn ein, dich in meine Angelegenheiten einmischen zu können?« »Es sind jetzt nicht mehr nur deine Angelegenheiten, Bilal. Vergiss nicht, dass wir verheiratet sind und einen Sohn haben.« Ich sah ihn ernst an und sagte: »Bitte, gib mir das Geld, wir müssen es auf die Bank zurückbringen. Wir müssen mit dem zurechtkommen, was wir haben.« Er sah mich an wie ein Kind seine Mutter, die ihm gerade ein Verbot erteilt hatte. Nach einem tiefen Seufzer gab er mir das Geld. Es waren 3000 Schweizer Franken. Zu diesem Zeitpunkt eine enorme Summe für uns. Ich löste ein Stück des Teppichbodens in einer Ecke des Wohnzimmers und stopfte die Geldscheine darunter, dann legte ich den Teppich wieder zurecht und stellte einen Blumentopf darüber. Bei unserer Rückkehr würden wir es zurückgeben. Mit einem traurigen Blick sagte er: »Aber was machen wir, wenn unser Geld nicht für Marokko ausreicht? Du hast ja keine Ahnung, Aicha, welche Ausgaben mich erwarten.« »Wir müssen uns arrangieren, Bilal, und nur das ausgeben, was wir haben, und keinen Cent mehr.« Er war voller Sorge, weil er um die Erwartungen seiner Familie wusste. All die Jahre hatte er die Schulden bezahlen müssen, die sie in den Läden gemacht hatten, neben den großen Ausgaben, die er für sie zu Hause machen musste, ganz zu schweigen vom Bargeld, das alle von ihm erwarteten. Außerdem hatte Bilal ihnen ein Haus gebaut und mit neuen Möbeln eingerichtet und jetzt musste er ihnen einen zweiten Stock bauen und auch diesen einrichten. Bilal war der einzige der neun Kinder, der auf eine besondere Schule geschickt worden war, diese war eigentlich den Kindern französischer Familien vorbehalten, die in der Stadt leben, in der Bilal geboren und aufgewachsen war. Sein Vater hatte beim Militär gearbeitet, in einer Position, durch die er viele Leute, auch unter den Franzosen, kannte, durch die er den Vorteil genoss, seinen Sohn an dieser Schule unterrichten zu lassen. Nachdem Bilal seine Grundausbildung an der französischen Schule beendet hatte, brach er die Schule ab und wurde zu Handwerkern geschickt, um dort verschiedenen Arbeiten zu erlernen. Mit viel Geschick stellte er Silberschmuck, Taschen und Gürtel aus Leder und Souvenirs aus Holz her. Er verkaufte diese Gegenstände an die Touristen und verdiente viel Geld. Außerdem arbeitete er als privater Fremdenführer und kochte für die Touristen, besonders für die Amerikaner, die ihn sehr gut bezahlten. Doch der größte Teil seines Lohns ging an seine Familie. Bilal war von klein auf die große Verantwortung übertragen worden, seine ganze Familie finanziell zu unterstützen, als Dank für das Opfer, das sein Vater gebracht hatte, indem er ihn an der französischen Schule, gegen Geld, hatte ausbilden lassen. Als Bilal 20 war, beantragte sein Vater einen Reisepass für ihn und schickte ihn nach Europa, mit der Absicht, dass er dort arbeiten und hohe Geldbeträge an seine Familie schicken sollte. Von da an arbeitete Bilal in verschiedenen europäischen Ländern und schickte seiner Familie regelmäßig Geld. Doch eigentlich träumte er davon, zusammen mit Lisa, die er in Marokko kennengelernt hatte, um die Welt zu reisen. Doch zuerst mussten sie mehr Geld für ihre Reisen sparen und so arbeiteten sie gemeinsam in der Schweiz. In der Zwischenzeit wurde sie jedoch schwanger, und sie mussten wegen des Kindes heiraten. Am Ende ließ sich Bilal in der Schweiz nieder und zwei Jahre später ließen sie sich scheiden, weil sie sich nicht mehr verstanden.
Nun, dieses Mal würde Bilal mit weniger Geld in der Tasche nach Marokko kommen und die ganze Familie würde mir dafür die Schuld geben. Sie hatten recht, aber ich musste an unsere Familie in der Schweiz denken, neben der schweren Last, die dies für Bilal darstellte. Leider hatte mich meine Schwiegermutter noch schlimmer im Visier als zuvor, und sie hatte einen weiteren Grund, mich loswerden zu wollen.
Bei unserer Ankunft war das Haus der Schwiegereltern voller Menschen. Die Schwägerinnen, die Schwager und alle Neffen und Nichten. Pünktlich wie jedes Jahr hatten sie sich versammelt und warteten auf Bilal und die Geschenke. Bilal wurde herzlich begrüßt, ich hingegen wurde überhaupt nicht herzlich aufgenommen. Nachdem wir einen Tee getrunken hatten, beauftragte mich Bilal damit, die Geschenke zu verteilen. Meine Schwiegermutter und ihre Töchter starrten mich voller Verachtung an, als ich ihnen die Geschenke überreichte. Keiner von ihnen sagte auch nur Danke. Sie wandten sich an Bilal und bedankten sich widerwillig bei ihm. Sie waren gedemütigt, weil üblicherweise Bilal die Verteilung der Geschenke übernommen hatte. Auch er bemerkte ihre unzufriedenen Gesichter. Mir ging es schlecht bei dem Gedanken, mein ganzes Geld für diese Geschenke ausgegeben zu haben. Wie naiv war ich gewesen zu glauben, dass sie mich so akzeptiert hätten. Sobald wir allein waren, sagte Bilal: »Solche Bastarde! Hast du gesehen, dass sie noch nicht einmal ein aufrichtiges Dankeschön für uns übrig hatten? Was haben sie denn noch erwartet?« Vor Enttäuschung fing ich an zu weinen. »Nächstes Mal bringen wir gar keine Geschenke mit, damit sie es lernen!«, sagte Bilal. Natürlich wäre das eine Belastung weniger für uns gewesen. Doch leider waren die Versprechungen von Bilal in dieser Hinsicht leer und wie Stroh im Wind, schnell weggeblasen. Immerhin sorgte die Reaktion seiner Familie mir gegenüber dafür, dass er wissen wollte, was im vergangenen Jahr passiert war, das ich bei ihnen verbracht hatte. Ich hielt dies nicht für den richtigen Zeitpunkt und beschloss, ihm alles zu erzählen, wenn wir zurück in der Schweiz waren, in Sicherheit vor meiner Schwiegermutter. Ein Jahr zuvor hatte sie mir geschworen, dass sie mich, wenn ich ihrem Sohn auch nur ein Wort davon erzählen würde, was ich in ihrem Haus erlebt und zu spüren bekommen hatte, vernichten würde. Ich wusste nicht, was genau sie damit meinte, aber eines war sicher: Sie war eine verrückte Frau und zu allem fähig. Ich wusste, dass Bilal seine Brüder und Schwestern geschlagen und mit seiner Mutter einen heftigen Streit begonnen hätte, wegen dem, was sie mir angetan hatten. Ich wusste jedoch auch, dass er es schnell bereut und sofort wieder Frieden mit ihnen geschlossen hätte. Ich vertraute niemanden, noch nicht einmal ihm.
Das Schlimmste allerdings für sie war, als sie erfuhren, dass mir Bilal in der Schweiz erlaubte, zu arbeiten und mein eigenes Geld zu verdienen, neben der Tatsache, dass ich in kürzester Zeit Lesen und Schreiben, Nähen und vieles mehr gelernt hatte. Bilal selbst erzählte es ihnen, da er sehr stolz auf mich war. Zur damaligen Zeit hörte man von Frauen, die mit ihren Ehemännern nach Europa gegangen waren, immer nur, dass sie dort so lebten, wie es in Marokko üblich war. Das heißt, diese Frauen, oder zumindest die meisten davon, erlangten niemals die Freiheit. Sie wurden innerhalb der vier Wände ihres Hauses eingesperrt und standen unter der Macht ihrer Ehemänner, von denen sie ihr Leben lang abhängig waren. Ich hingegen hatte mehr Freiheiten und so wurde ich von der Familie von Bilal beneidet, was dazu führte, dass sie mich noch mehr hassten als zuvor.
Leider wurde auch die kleine Miriam von der Familie ihres Vaters und vor allem von ihrer Großmutter gehasst. Sie hasste sie so, wie sie ihre Mutter Lisa gehasst hatte. Eines Tages saß ich auf dem Sofa im Esszimmer und stillte Youns. Meine Schwiegermutter setzte sich mir gegenüber und begann, Lisa auf Arabisch zu verfluchen, während sie Miriam voller Verachtung ansah: »Deine verdammte Mutter, die dich nicht meinem Sohn überlassen wollte! Wenn sie das gemacht hätte, wäre Bilal bald nach Marokko zurückgekehrt.« Sie holte tief Luft und fuhr fort: »Ich habe Bilal geraten, das Kind in meine Obhut zu geben, nur so wäre er in sein Land zurückgekommen. Und wegen diesem Bastard von Tochter muss er wer weiß wie lange noch so fern von uns leben. Und diese ungläubige Lisa. Nie werde ich vergessen, wie sie vor Jahren, als sie noch mit meinen Sohn verheiratet war, ihn davon abgehalten hat, mir ein Haus zu bauen. Aber hast du es gesehen? Sobald er geschieden war, hat er mir das Haus gebaut.« Miriam saß voller Angst neben mir. Zum Glück verstand sie kein Arabisch, allerdings wusste sie das hasserfüllte Gesicht ihrer Großmutter zu deuten. Meine Schwiegermutter hatte vor, Bilal davon zu überzeugen, das Kind der Mutter wegzunehmen und es zur Großmutter nach Marokko zu bringen. Der Grund dafür war, dass Bilal dann noch mehr Geld schicken würde, für den Unterhalt des Kindes. So wollte sich meine Schwiegermutter ihr monatliches Einkommen sichern. Glücklicherweise hatte Bilal keineswegs vor, Miriam von ihrer Mutter zu trennen. Ich sah meine Schwiegermutter an, äußerte meine Meinung zu dieser Angelegenheit jedoch nicht. Sie war zu dumm zu verstehen, dass in der Schweiz vor allem die Frauen die Verantwortung für die Kinder trugen. Auch hätte sie nicht geglaubt, dass Bilal nicht über so viel Geld verfügte, dass er einfach ein Haus bauen konnte. Sicher hatten er und Lisa dafür Schulden machen müssen. Nie hätte sie mir geglaubt, wenn ich ihr gesagt hätte, dass Bilal Schulden machen musste, um überhaupt an dieses ganze Geld zu kommen.
Es tat mir so leid zu sehen, wie die kleine Miriam in einer Sprache beschimpft wurde, die sie nicht verstand, als ob alles ihre Schuld wäre. Eines Morgens war meine Schwiegermutter damit beschäftigt, Brotteig zu kneten. Miriam wollte ein Stück vom Teig, um einen eigenen Laib Brot zu formen, wie es alle Kinder gern taten. Also fragte sie ihre Großmutter, ob sie ein Stück haben dürfe. Diese nahm ein Stück Teig und warf es auf den Boden, während sie auf Arabisch sagte: »Nimm, Tochter einer Ungläubigen.« Das Mädchen rannte hinter der Teigkugel her und hob sie weinend auf. »Warum ist die Großmutter immer böse mit mir, was habe ich denn falsch gemacht?«, fragte sie mich mit unschuldigem Blick. Ich schloss sie in den Arm, küsste ihre Stirn und antwortete: »Du hast gar nichts gemacht, Kleines. Sie ist wütend auf sich selbst, dich trifft keine Schuld.« Ich führte sie nach draußen, damit sie mit den Hundewelpen spielen konnte, um sich ein wenig abzulenken. Doch meiner Schwiegermutter gefiel auch nicht, dass ich so liebevoll mit dem Kind umging. Eines Tages befahl sie mir, meinen Koffer und meine Tasche vor ihr auszuleeren und ihr alles zu zeigen, was ich besaß. Ich hatte solche Angst vor ihr, dass ich gehorchte. Als sie die Zäpfchen sah, die ich dabei hatte, fragte sie mich, wozu diese gut seien. Ich antwortete, dass diese für Miriam wären, falls sie Fieber bekäme. Am nächsten Tag fand ich alle Zäpfchen durchstochen vor, ihr weißlicher Inhalt war ausgeleert. Erschrocken fragte ich meine Schwägerin Touria, wer etwas Derartiges getan haben könnte. Sie antwortete, es sei ihre Mutter gewesen. Sie hatte gesehen, wie sie sie angewärmt und aufgestochen hatte, um die Flüssigkeit auszuschütten. Ich war schockiert und hoffte nur, dass Miriam kein Fieber bekäme. Von da wurde mir klar, wie viel Hass in dieser Frau gegenüber ihrer Enkelin und Lisa und vor allem mir gegenüber steckte.
Ein paar Tage nach unserer Ankunft konnte ich endlich meine Familie besuchen und sie in meine Arme schließen. Am Tag vor der Abreise kam meine Schwiegermutter in unser Zimmer und fragte: »Was hast du in der Reisetasche da?« »Ein paar gebrauchte Kleider für meine Familie« »Zeig sie mir!« Ich war nicht in der Lage, mich zu widersetzen. Natürlich hatte sie gewartet, bis Bilal das Haus verlassen hatte. Nachdem ich die Tasche auf den Boden geleert hatte, rief sie: »Ach ja? Das soll alles für deine Familie sein? Diesen Pullover behalte ich und diese Jacke nehme ich für meine Enkelin. Es wäre schade darum! Solche schönen Kleider werden von Kindern in der Stadt getragen, die zur Schule gehen, nicht von Kindern, die den ganzen Tag mit Tieren über die Hügel ziehen, wie deine Schwestern.« Sie wandte sich an ihre Tochter: »Stimmt’s, Touria?« Touria nahm die Jacke an sich, die von Hand gestrickt war, und sagte: »Ich kann die für meine Tochter haben, oder?« Ich sah sie voller Missfallen an: »Eigentlich war sie für meine Schwester Rabiha, damit sie sich auf der Weide wärmen kann. Ich finde sie für deine Tochter ein wenig zu groß.« »Ich verstehe, aber ich hebe sie einfach auf, bis sie etwas gewachsen ist.« »Lass es uns so machen, Touria, im nächsten Jahr bring ich dir eine gleiche Jacke für deine Tochter mit, in Ordnung?« Sie war beleidigt, ihre Mutter hingegen nahm einen weißen Pullover, der für meine Mutter bestimmt war. Es war unglaublich! Sie hatten bereits Geschenke erhalten, auch Kleidung, auch für die Tochter von Touria, und jetzt wollten sie auch noch diese an sich reißen. Bilal hatte ein paar Lebensmittel gekauft, um sie mit zu meiner Familie zu nehmen, doch er hatte kaum das Haus verlassen, als meine Schwiegermutter schon die Einkaufstasche auf dem Boden ausleerte, um zu sehen, was darin war. Als ich die Tasche mit den Kleidern nehmen und zu meiner Familie aufbrechen wollte, bemerkte ich, dass nur noch ein Viertel der Klamotten darin war. Die schönsten Kleider waren alle verschwunden. Ich brach in Tränen der Enttäuschung und der Wut aus. Ich fragte alle, wo die Kleider ware, aber die Antwort war immer die gleiche, nämlich, dass ich die Familie als Diebe bezeichnen und sie damit beleidigen würde. Ich verließ das Haus mit den wenigen Dingen, die sie mir gelassen hatten. Es war wie immer, aus Angst vor der Schwiegermutter erwähnte ich nichts in Bilals Anwesenheit. Er begleitete mich, und ebenso seine Schwestern, Soubida und Fttouma, die von ihrer Mutter beauftragt wurden, alles zu überwachen, was ich meiner Familie sagen würde, um ihr dann davon zu berichten. Meine Familie war außer sich vor Freude, Youns, Bilal und mich wiederzusehen. Nachdem wir gegessen und etwas Tee getrunken hatten, nahm ich die verbliebenen Kleider und breitete sie auf dem Teppich im Zimmer aus, wo wir wie in alten Zeiten im Kreis saßen. Meine Mutter verteilte sie, doch sie reichten leider nicht für alle. Dessen ungeachtet strahlten ihre Gesichter vor Freude darüber, mich in ihrer Mitte zu haben. Sie waren verrückt nach der Schweizer Schokolade, die ich mitgebracht hatte, ebenso wie einen Wecker, damit sie rechtzeitig aufstehen konnten, ohne sich auf das üblicher Kikeriki des Hahns verlassen zu müssen. Sie freuten sich auch sehr über die Lebensmittel, das Gemüse, Fleisch und Obst. Meine Schwiegermutter hatte ihrem Sohn aufgetragen, noch am selben Abend nach Hause zu kommen und die Nacht nicht bei meiner Familie zu verbringen. Sie hatte Angst, dass er Geld für meine Familie ausgeben könnte, zusätzlich zu der Tatsache, dass sie einfach nicht wollte, dass ich Zeit mit ihnen verbrachte. Ich fühlte mich nicht gut, ich hätte so gern meine Familie ein paar Tage um mich gehabt und die reine Landluft meiner Heimat genossen. Ich wollte ihnen alle Neuigkeiten aus der Schweiz berichten und die Leute aus dem Dorf und meine Bekannten besuchen. Ich wollte Youns, auf den ich so stolz war, allen zeigen, doch leider musste ich Bilal zum Haus seiner Eltern zurückbegleiten. Er tat alles, was ihm seine Mutter sagte und ich musste seinem Willen folgen, den er wiederum mir aufzwang. In Marokko verhielt er sich mir gegenüber völlig anders, ich erkannte ihn kaum wieder. Ich fühlte mich wie früher in der Sklaverei, als hätte ich einen Albtraum. Und so musste ich einen Monat Urlaub nur mit seinen Angehörten verbringen und fühlte mich die ganze Zeit über verhasst. Eine weitere Tatsache, die Bilal so gleichgültig machte, war das Gemisch, das ihm seine Mutter regelmäßig zubereitete, um ihn zu kontrollieren und ihn wie eine Marionette für ihre egoistischen Ziele einzusetzen. Es war eine Mischung, die el-mehjun genannt wurde, sie bereitete sie mit Datteln, gemahlenen Nüssen und Honig zu und fügte außerdem einen Pflanzenextrakt hinzu, der Rauschgift enthielt.
Um mich zu provozieren, fragten meine Schwägerinnen und ihre Mutter mich, ob Bilal und Heidi auch nach unserer Hochzeit weiterhin zusammenlebten. Wie üblich wussten sie genau, wie sie mich verletzen konnten. Ich schwieg, um ihnen keine Befriedigung zu verschaffen.
Larbi, Bilals Bruder, erschien mir reumütig und bat mich indirekt um Verzeihung dafür, mich während meiner Zeit in ihrem Haus vergewaltigt zu haben. Er klebte die ganze Zeit an mir und unterhielt sich lächelnd mit mir und ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Es war klar, dass er immer noch in mich verliebt war. Ich wusste außerdem, dass er Angst davor hatte, dass ich seinem Bruder von der Vergewaltigung erzählen würde, der ihn tot geprügelt hätte. So tat Larbi alles, um den Schaden wiedergutzumachen, aber er irrte sich, der Schaden, den er mir zugefügt hatte, hatte tiefe Spuren in mir hinterlassen und ich hatte noch viele Jahre damit zu kämpfen. Während unserer Unterhaltungen schwor mir Larbi, dass, wenn er einmal heiraten würde, es ein Mädchen wäre, das mir ähnlich sähe und dass sie aus meiner Heimat kommen und, wie ich, Berberin sein müsse. Das jedoch wäre eine weitere Katastrophe für meine Schwiegermutter gewesen, die die Berber hasste. In der Tat lernte er wenige Jahre später ein hübsches Mädchen aus meiner Heimat kennen, mit der er noch immer glücklich verheiratet ist und Kinder hat. Er hatte glücklicherweise aus dem Fehler Bilals gelernt, und hatte prinzipiell seine Frau von seinen Schwestern und seiner Mutter ferngehalten. Er zog in eine andere Stadt und kam nur noch selten vorbei, um seine Eltern zu besuchen. Auch vertraute er mir an, dass er nicht wollte, dass seine Familie zu Besuch kam, um keine Zwietracht zwischen ihm und seiner Frau zu säen. Auch Musa, der jüngste meiner Schwäger, heiratete ein Mädchen aus meiner Region. Meine Schwiegermutter war keineswegs glücklich darüber, dass die beiden mit Berberinnen verheiratet waren. Leider waren ihr auch meine neuen Schwägerinnen verhasst, jedoch nie in dem Maße, wie ich eine Schande für sie war, wo ich doch immer das Brandzeichen der Sklaverei trug und außerdem verhindert hatte, dass sie ihre Taschen mit Bilals Geld füllte.
Vor unserer Rückkehr in die Schweiz ging Bilal mit mir zu meiner Familie, um mich zu verabschieden. Bedauerlicherweise wurden wir von seiner Mutter und ihrer Tochter Soubida begleitet. Meine Schwiegermutter verachtete meine Familie, wegen ihrer Armut und ihrem sozialen Stand. Als wir in meiner Gegend ankamen und aus dem Taxi stiegen, blickte sie auf das wunderschöne Land mit seiner unberührten Natur und legte ihr Gesicht in Falten, wie das einer Hexe, und sagte: »Pfui!« Dabei spuckte sie auf die Erde. »Dieses Land und seine Bewohner sind weniger wert als eine faule Zwiebel!« Dabei sah sie mir direkt in die Augen. Ich war verletzt, durfte es mir aber nicht anmerken lassen. Meine Familie freute sich, mich wiederzusehen und zum Glück konnten wir eine Nacht bei ihnen verbringen. Bilal, seine Schwester und seine Mutter ließen sich nicht dazu herab, bei meiner Familie zu übernachten, sie schliefen bei Bekannten in einem Dorf weiter unten im Tal. Ich war sehr traurig darüber, dass Bilal die Nacht nicht mit mir und unserem Sohn in meinem Zuhause verbrachte. Ich wollte auch meine Schwester Saina treffen, so ging ich am Morgen des nächsten Tages hinunter ins Tal, wo Bilal mich erwartete. Zu meiner großen Überraschung wollte uns seine Mutter begleiten. Erst nachdem wir bei Saina angekommen waren, verstand ich den Grund dafür. Auch meine Mutter und meine Schwägerin Melhid, mit ihrem Baby auf den Rücken gebunden, kamen mit uns. Ich war froh, dass sie ein weiteres Kind bekommen hatte, das sie ein wenig über den Verlust ihrer vorherigen beiden Kinder, wie dem kleinen Brek, hinwegtröste. Beide Kinder waren an einer einfachen Infektion gestorben, die man mit zwei Euro hätte heilen können. Doch die Armut und die Tatsache, dass es im Dorf keinen Arzt gab, ließen dies nicht zu. Ein Taxi brachte uns so nahe wie möglich an das Dorf, in dem Saina lebte. Anschließend mussten wir einen weiten Weg durch die Berge zurücklegen, bis wir das Dorf erreichten. Auch Saina trug ein Baby, ihren zweiten Sohn, auf dem Rücken. Ihr erstes Kind war leider gestorben. Nach der Geburt hatte Saina keine Muttermilch und es gab kein Milchpulver oder Fläschchen, zur damaligen Zeit wusste man nichts von solchen Dingen in unseren Dörfern. Saina hatte Ziegenmilch in den Mund des Säuglings getropft, doch diese hatte nicht ausgereicht, um ihn zu retten. Zu dieser Zeit gab es nur wenige Kinder, die unter solch schlechten und grausamen Bedingungen überlebten. Saina kam mir mit Tränen in den Augen entgegen und wir drückten uns in einer herzlichen Umarmung eng aneinander. Sie war nicht wiederzuerkennen, mit ihrem traurigen Blick, dürr und leichenblass. Sie hatte schwarze Schatten unter den Augen, die tief in den Augenhöhlen lagen. Ihre Lippen waren kreidebleich. Es schien, als hätte Saina keinen Tropfen Blut im Körper. Die fünf Kinder aus der ersten Ehe ihres Mannes standen um sie herum und sie kümmerte sich liebevoll um sie, als wären es ihre eigenen. Sie war noch so jung, und doch war sie bereits völlig erschöpft. Ihr junges Leben war zerbrochen und geopfert wie ein Tieropfer, das in den Flammen eines Altars mitten in den Bergen verbrannt wurde, dessen Rauch sich in Luft auflöst. Alles geschah eben, wie es die Tradition wollte, die keine Rücksicht nahm, weder auf das Leben meiner Schwester noch auf das der anderen Mädchen, die denselben Weg gehen mussten. Meine Schwester war für nichts und wieder nichts geopfert worden. Sie konnte noch nicht einmal ihr Leben in Würde führen. Sie war der Zwangsehe zum Opfer gefallen, für das Versprechen einer Kuh von ihrem alten Ehemann, das er unserer Mutter gegeben hatte. Letztlich hatte unsere Mutter ihre Tochter und die Kuh verloren. Ihr Gesichtsausdruck war völlig leblos, nur die schlechte Behandlung und die Tyrannei ihres Mannes waren darin zu lesen. Ich beobachte, wie er sie voller Verachtung ansah und ihr befahl, uns zu bedienen, während er wie ein Pascha am Boden auf den wunderschönen bunten Teppichen saß, die sie gewebt hatte. Sie bereitete den Tee für die Gäste vor und musste ihm eine Schüssel mit Wasser bringen, damit er sich die Hände waschen konnte. Er war im Gegensatz zu ihr kräftig und stark, mit roten Backen und bösem Blick. Ich beobachtete all dies mit Entsetzen, während die anderen dasaßen, sich ausruhten und auf den Tee warteten. Saina, die nur Haut und Knochen war und ihr Baby auf ihrem gebeugten Rücken trug, bediente ihren Ehemann mit demselben angsterfüllten Gesichtsausdruck, mit dem auch ich meine ehemaligen Herren in der Vergangenheit bedient hatte. Er befahl ihr, sich zu beeilen, während sie wie eine Sklavin gehorchte, bucklig wie eine alte Frau, und das mit gerade einmal 20 Jahren, wobei sie aussah wie 40. Sie lief durch das riesige Haus, auf und ab, um die Leute zu bedienen, mit leerem Blick, als sei sie gar nicht in der Wirklichkeit – eine Wirklichkeit, die sie nicht erkannt hatte. Als junges Mädchen hatte sie unter der Misshandlung durch unseren Stiefvater und unsere Mutter zu leiden und heute unter der Tyrannei ihres Ehemanns. Es zerriss mir das Herz, meine Schwester so gebrochen zu sehen. Ich half ihr, das Mittagessen zuzubereiten, ein Tajin mit Hühnchen und Kartoffeln, während Melhid Fladenbrote aus dem Ofen nahm. Wir saßen auf den Teppichen am Boden, um einen niedrigen, runden Tisch herum und aßen alle gemeinsam von dem Tajin. Saina nahm ein Stückchen Fleisch in die Finger und wollte es gerade zum Mund führen, als ihr Mann es ihr aus der Hand riss. Ironischerweise wandte er sich an mich und reichte es mir als Zeichen seiner Wertschätzung für mich als Gast. Ich sah die Enttäuschung meiner Schwester, die ihren wenige Monate alten Sohn im Schoß hielt. Das Kind war so dünn und saugte an der Brust von Saina, die trocken und ohne Milch schlaff herunterhing. Ich warf einen Blick auf die anderen, die ruhig aßen und von diesem Vorfall offensichtlich nichts bemerkt hatten. Ich legte das Stück Fleisch wieder vor meine Schwester. Sie lächelte und nahm es zurück, um es in den Mund zu nehmen, als ihr Ehemann es ihr ein zweites Mal aus der Hand riss. Ich hörte auf zu essen und zog mich zurück. Ich glaubte, mich übergeben zu müssen und wollte schreien, bei diesem Anblick meiner Schwester. Sie sah so hungrig, enttäuscht und verzweifelt aus. Oh lieber Gott! Sie hatte denselben Blick und den unterernährten Körperbau wie die Menschen, die in den Konzentrationslagern gefangen waren. Bilder, die ich aus dem Fernsehen in der Schweiz kannte. Ich stand vom Tisch auf und ging nach draußen, um zu weinen. In diesem Augenblick verspürte ich eine solche Wut auf meine Mutter, die an Sainas Leid schuld war, da sie sie gezwungen hatte, einen alten Mann mit fünf Kindern aus seiner ersten Ehe zu heiraten. Ich wünschte mir so sehr, meiner Schwester zur Freiheit verhelfen zu können, doch das stand nicht in meiner Macht. Als Frau hatte ich nicht das Recht, mich in das Leben meiner Schwester einzumischen, die Eigentum eines Mannes war, der nicht nur unmenschlich und ungebildet war, sondern auch das Verhalten einer Bestie an den Tag legte. Ich erfuhr, dass meine Schwester, neben den Schlägen, die er ihr verpasste, bis sie blutete, auch von ihm vergewaltigt wurde.
Leider hatte ich selbst mit den Problemen mit meiner Schwiegermutter zu kämpfen, und das selbst hier, im Hause von Saina. Ich hatte Saina einige Geschenke mitgebracht. Eine Flasche Shampoo und ein paar meiner Kleidungsstücke, die ich ihr schenken wollte. Doch als ich sie ihr geben wollte, stellte ich fest, dass die Shampoo-Flasche in den Klamotten, die ich für sie in einer Tasche dabei hatte, vollständig ausgeleert war. Ich fragte Melhid, wer das gewesen sein könnte. Sie sagte mir, dass sie meine Schwiegermutter vorher gesehen hatte, wie sie sich an meiner Tasche zu schaffen gemacht hatte. Es konnte nur sie gewesen sein, sie allein war so wahnsinnig. Nach dem Mittagessen wollte meine Schwiegermutter zu einem Magier gehen, der in Sainas Dorf wohnte. Erst jetzt verstand ich den wahren Grund dafür, warum sie mit uns kommen wollte. Sie war ständig auf der Suche nach dem besten Magier, um schwarze Magie zu betreiben gegenüber allen, die sie als Feinde ansah und gegen die es zu kämpfen galt. Man sagte, dass dieser Magier einer der mächtigsten war und dass die Leute aus weit entfernten Gegenden zu ihm kamen. Sie wollte mich um jeden Preis mitnehmen, aber warnte mich zuvor: »Untersteh dich, Bilal etwas davon zu sagen!« Ich ließ Youns bei meiner Mutter. Meine Schwiegermutter sagte zu Bilal, dass sie wegen ihres Knies zu einem Heiler gehen wolle, der nur einen Steinwurf von Saina entfernt lebe, und er glaubte ihr. Wir wurden von einer Frau empfangen, die uns aufforderte, uns in einem Zimmer auf die Matten zu setzen. Der Magier trat ein und begrüßte uns freundlich. Er war ein sympathischer Mann, etwa fünfzig Jahre alt, und trug eine himmelblaue Djellaba und einen weißen Turban auf dem Kopf. Er setzte sich vor uns, kreuzte die Beine und fragte meine Schwiegermutter, was sie denn wissen wolle. Sie sagte: »Ich möchte wissen, was ich tun muss, um meinen Sohn an mich, seinen Vater und seine Geschwister zu binden. Wissen Sie, mein Sohn wohnt im Ausland und ich habe Angst, dass er nie wieder zu uns zurückkehrt oder nicht mehr regelmäßig Geld schickt.« Der Magier versicherte ihr, dass er sein Bestes tun würde. »Ach, und außerdem möchte ich die Zukunft dieses Mädchens kennen«, fügte sie hinzu und deutete dabei auf mich. Er sah mich die ganze Zeit an, während ich mich äußerst unbehaglich fühlte, dazu gezwungen, mich in Gegenwart dieses Magiers aufzuhalten, was ich freiwillig niemals gemacht hätte. Ich konnte es kaum erwarten, diesen Ort wieder zu verlassen. Dann fragte er: »Entschuldigen Sie bitte, wer ist dieses Mädchen?« und zeigte dabei ebenfalls auf mich. Sie sah mich erschrocken an und antwortet: »Das ist die Frau meines Sohnes, von dem ich eben gesprochen habe. Warum?« »Ich sehe, dass dieses Mädchen in einem weit entfernten Land, über dem Ozean, ihr Glück gefunden hat. Ich sehe, dass sie eine glückliche und segensreiche Zukunft vor sich hat.« Dann wandte er sich an mich und sagte: »Du bist ein Glückskind, meine Liebe, Gott hat dich gesegnet.« Er schüttelte den Kopf und blickte auf das Buch, aus dem er die Aufzeichnungen entnahm, um die Magie für meine Schwiegermutter zu erstellen. Sie hingegen erstarrte, als wäre sie soeben von einer giftigen Schlange gebissen worden. Sie konnte diese positive Vorhersage, die er mir spontan gemacht hatte, nicht ertragen. Sie befahl mir, hinauszugehen und sie allein zu lassen. Ich war glücklich, entlassen worden zu sein.