Kitabı oku: «Baiern und Romanen», sayfa 2

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1.4. Die Stellung des Bairischen innerhalb der germanischen Sprachen

Obwohl es sinnvoll gewesen wäre, im Rahmen der zum Forschungsstand der 1980er Jahre führenden Diskussion ergänzend die germanistische Sprachwissenschaft und die von Ernst Schwarz zuvor angesprochene Namenkunde einzubeziehen, war das nicht geschehen. Grund dafür war wahrscheinlich, dass die Diskussion über die Gliederung der germanischen Sprachen und die Stellung der deutschen Großraumdialekte bereits in den 1940er und 1950er Jahren stattgefunden und sich die Ergebnisse seither etabliert hatten. Wenn diese teilweise divergenten Diskussionen sich in erster Linie auch auf die stammesgeschichtlichen und sprachlichen Verhältnisse der germanischen Frühzeit bezogen und nicht unmittelbar das Bairische betrafen, so wurde es dennoch als ein wesentlicher Dialekt des Althochdeutschen mitberücksichtigt.

Die Untersuchungen eröffnete 1942 Friedrich Maurer in Freiburg im Breisgau mit seinem Buch „Nordgermanen und Alemannen“ mit dem spezifizierenden Untertitel „Studien zur germanischen und frühdeutschen Sprachgeschichte, Stammes- und Volkskunde“, das seine endgültige Fassung 1952 in der weitergeführten 3. Auflage erhielt. Auf Maurer folgte 1948 in Leipzig Theodor Frings mit seiner „Grundlegung einer Geschichte der deutschen Sprache“, die 1957 in erweiterter 3. Auflage erschien. Stimmten Maurer und Frings in der Beurteilung des Deutschen bezüglich seiner stammesgeschichtlichen und stammessprachlichen Grundlagen im Wesentlichen überein, so beurteilte der schon genannte Erlanger Germanist Ernst Schwarz in seinem Buch „Goten, Nordgermanen, Angelsachsen“ von 1951 als „Studien zur Ausgliederung der germanischen Sprachen“ die frühzeitliche Gliederung der Germanen und ihre sprachlichen Beziehungen als auch die Stellungen der Sprachen und ihrer Dialekte teilweise anders. Schließlich zog der Kieler Germanist Hans Kuhn 1955/56 in seiner Abhandlung „Zur Gliederung der germanischen Sprachen“ gewissermaßen ein Resümee. Er sah die frühzeitlichen germanischen Verhältnisse ähnlich wie Schwarz und wandte sich vehement gegen die Ansichten von Frings. Da es zu weit führen würde, die jeweiligen Standpunkte und Ergebnisse im Einzelnen auszuführen und sich in der Folgezeit in der deutschen Germanistik die Beurteilungen von Maurer durchgesetzt haben und bis heute gelten, beschränken wir uns auf sie.


Gliederung der germanischen Stämme und Sprachen (nach F. Maurer)

Maurer geht, wie die Tabelle zeigt, zunächst historisch vor, indem er für das 1. Jh. n.Chr. die von Tacitus überlieferten Kultverbände der Ingwäonen, Istwäonen und Irminonen als kontinentale westgermanische Stammesverbände der Nordseegermanen, Weser-Rhein-Germanen und Elbgermanen versteht, denen er die Illewionen als Nordgermanen in Skandinavien anschließt. Von den kontinentalen westgermanischen Gruppen dehnten sich während der Römerzeit die Weser-Rhein-Germanen bis nach Nordfrankreich und an den Atlantik nach Westen und die Elbgermanen bis an den süddeutschen römischen Limes nach Süden aus, während um die Mitte des 5. Jhs. die zunächst auf der jütischen Halbinsel siedelnden Angeln, ein Teil der Sachsen und die Jüten nach England abwanderten und dort das Angelsächsische (oder Altenglische) entstand. Von den skandinavischen Nordgermanen war ein Teil bereits um die Mitte des 1. Jahrtausends v.Chr. über die Ostsee in das gegenüber liegende Gebiet an der unteren Weichsel abgewandert, der die sogenannten älteren Oder-Weichsel-Germanen bildete, aus denen die Bastarnen und die Skiren hervorgingen, die dann um die Mitte des 3. Jhs. v.Chr. nach Südosten ans Schwarze Meer zogen. Ihnen folgten als weitere nordgermanische Abwanderer die von der Ostsee bis Schlesien siedelnden Rugier, Burgunden und Wandalen, ehe sich um Chr. Geb. an der unteren Weichsel die Goten niederließen, die insgesamt als jüngere Oder-Weichsel-Germanen zusammengefasst werden. Sie alle bildeten den eigenen Sprachzweig des Ostgermanischen. Während der Völkerwanderung drangen diese Stämme vom 3. bis 6. Jh. in die antike Welt ein und errichteten vorübergehende Reiche, die ebenso untergingen wie ihre Sprachen verschwanden. Lediglich das Gotische ist in der Bibelübersetzung des Bischofs Wulfila vom Ende des 4. Jhs. in einer Abschrift des 6. Jhs. aus dem Ostgotenreich in Italien als einziges ostgermanisches und zugleich überhaupt ältestes germanisches Textzeugnis in einem eigenen Alphabet überliefert.

Aus den westgermanischen Stammesverbänden, die sich nach Westen und Süden ausgebreitet hatten, gingen schließlich jene Stämme hervor, die die Träger der seit dem 8. Jh. überlieferten Sprachen und ihrer Dialekte wurden. Zu den Nordseegermanen gehören die Angelsachsen, Friesen und Sachsen mit Angelsächsisch (oder Altenglisch), Friesisch und Altsächsisch (oder Altniederdeutsch). Aus den Weser-Rhein-Germanen entstanden die verschiedenen Gruppen der Franken und die Hessen. Von ihren Dialekten ging das Westfränkische im Französischen auf und sind die einzelnen fränkischen Dialekte unterschiedlich überliefert, während vom Hessischen Textzeugnisse fehlen. Im Einzelnen steht das Niederfränkische in Kontakt mit dem Altsächsischen, teilte sich das Mittelfränkische später in das nördliche Ripuarische und das südliche Moselfränkische, dem nach Süden das Rheinfränkische und nach Osten das Ostfränkische folgt. Das jüngere Hessische wurde lange als nördliches Rheinfränkisch verstanden, ehe erkannt wurde, dass der Zentralraum mit dem Moselfränkischen korrespondiert.1 Am weitesten nach Süden drangen die Elbgermanen vor, die schließlich zu Alemannen im Südwesten und zu Baiern im Südosten wurden. Zu ihnen gehören auch die bis ins 6. Jh. selbständigen Thüringer, deren Herrschaftsgebiet 531 von den Franken erobert und aufgelöst wurde, sowie die über Südmähren und Pannonien 568 nach Italien gezogenen Langobarden, die dort bis 774 residierten. Letztere hinterließen keine Textzeugnisse, und ihre Sprache ging in den verschiedenen romanischen Idiomen auf. Die sprachlichen Beziehungen und Entwicklungen erlauben es, die auf die Weser-Rhein-Germanen und die Elbgermanen zurückgehenden Dialekte vom 8. bis zur Mitte des 11. Jhs. als Althochdeutsch zusammenzufassen. Über das Mittelhochdeutsche des 12. und 13. Jhs. bildeten sich durch Weiterentwicklungen die neuhochdeutschen Dialekte des Westmitteldeutschen mit Rheinfränkisch, Hessisch, Moselfränkisch und Ripuarisch und des Oberdeutschen mit Alemannisch, Bairisch und Ostfränkisch. Altsächsisch und das eine Zwischenstellung einnehmende Niederfränkische können zwar als Altniederdeutsch bezeichnet werden, doch ist man davon insofern abgekommen, als aus dem Niederfränkischen in Belgien und den Niederlanden das Niederländische als eigene Sprache hervorgegangen ist. Dazu gehörte auch das textlose, nur aus Orts- und Personennamen bekannte Westfränkische in der belgischen Wallonie und in Nordfrankreich, das in den altfranzösischen Idiomen jener Gebiete aufging.

Das Bairische ist also im Kreis der westgermanischen Sprachen und Dialekte elbgermanischer Herkunft und daher eng verwandt mit dem Alemannischen, wobei sich beide Dialekte seit althochdeutscher Zeit immer stärker auseinander entwickelt haben.2 Wenn das Bairische mit dem Alemannischen einige quasi „nordgermanische“ Erscheinungen teilt, so gehen diese auf frühe elbgermanisch-ostgermanische Kontakte im Odergebiet vor der Süd- bzw. Südostwanderung der einzelnen Stämme zurück. Sie werden, da nur die ostgermanische Sprache der Goten überliefert ist, vereinfachend, doch missverständlich als „elbgermanisch-gotische Kontakte“ bezeichnet. Tatsächlich bairisch-gotische Sprachkontakte ergaben sich, als die Ostgoten nach 490 unter Theoderich von Italien aus die Herrschaft über die Raetia secunda und Noricum übernahmen, wovon einige gotische Lehnwörter im Bairischen zeugen, wie die Wochentagsnamen Ergetag für Dienstag, Pfinztag für Donnerstag und das ahd. pherintag für Freitag.3 Im Gegensatz zu der in den 1980er Jahren fälschlich behaupteten, doch widerlegten angeblichen romanischen Prägung des Bairischen, worauf noch zurückzukommen sein wird, ist dieses von Anfang an eine völlig germanisch geprägte Sprache ohne jegliche konstitutive romanische Elemente. Wenn im Südbairischen des Alpenraumes von Tirol und Kärnten besonders im Wortschatz romanische Elemente auftreten, so sind sie das Ergebnis von Sprachkontakten einerseits als Substrate des ausgestorbenen Romanischen und andererseits als Lehnwörter aus den südlich angrenzenden alpenromanischen (ladinischen) Dialekten und dem Italienischen.4

Im Hinblick auf die bairische Ethnogenese ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht jedenfalls festzuhalten, dass das Bairische elbgermanisch geprägt ist. Daraus ist zu folgern, dass der prägende Bevölkerungsanteil aus Elbgermanen bestand und daher gegenüber den anderen beteiligten Germanengruppen und den Restromanen den überwiegenden Teil ausgemacht haben muss. Wahrscheinlich war er wesentlich höher als jene gerade 60 %, die sich aus den obgenannten vermuteten Anteilen von ca. 25 % Alemannen, 25 % Langobarden und 10 % Thüringern ergeben, sonst hätte sich das Elbgermanische nicht zum Bairischen entwickelt und durchgesetzt.

1.5. Herkunft und Identitätsbildung der Baiern in neuer Sicht
1.5.1. Die Situation

Da in der Forschung wissenschaftliche Erkenntnisse und Standpunkte stets hinterfragt werden und vor allem eine nachrückende jüngere Generation gegenüber ihren Vorgängern nach trefflicheren Einsichten strebt, ja seit den gesellschaftlichen Umbrüchen von 1968 auch in der Wissenschaft Traditionen bewusst abgebrochen und neue Gegenpositionen aufgebaut werden, ist das dargestellte Bild von Herkunft, Name und Ethnogenese der Baiern nach der Jahrtausendwende sukzessive, besonders aber von Archäologen, doch teilweise auch von Historikern und Sprachwissenschaftlern abgebaut worden. Den neuen, noch heterogenen Forschungsstand von über 20 Jahren nach der Baiernausstellung von 1988 versuchen der Freiburger Archäologe Hubert Fehr und die Münchener Historikerin Irmtraut Heitmeier auf der Basis einer 2010 in Benediktbeuern veranstalteten Tagung in dem 2012 erschienenen umfänglichen Sammelband „Die Anfänge Bayerns“ mit dem spezifizierenden Untertitel „Von Raetien und Noricum zur frühmittelalterlichen Baiovaria“ darzustellen. Das nach wie vor große Interesse an diesen Fragen bewirkte 2014 dessen 2. Auflage. Die meisten neuen Thesen, die keinen Stein auf dem anderen lassen, wurden aber schon vorher vorgetragen.

1.5.2. Die Ansichten der Archäologen

Die Neuansätze eröffnete 2002 der Münchener Archäologe Arno Rettner mit seiner noch zurückhaltenden, doch deutlich fragenden Studie „402, 431, 476 – und dann?“ mit dem Untertitel „Archäologische Hinweise zum Fortleben romanischer Bevölkerung im frühmittelalterlichen Südbayern“. Neue Gräberfunde des 5. Jhs. einer sicher povinzialrömischen Bevölkerung ‒ kurz Romanen genannt ‒ führten dazu, bisher angenommene Anhaltspunkte für einen Rückzug von Romanen zeitlich immer mehr hinaufzuschieben. Damit bezog man sich freilich zunächst auf die Reduktion des römischen Militärs und der Verwaltung, indem man mit Truppenabzug 401/02 unter Stilicho und nach den Juthungenkämpfen des Aetius 429/31 rechnete, während man mit dem Ende des weströmischen Reiches 476 und damit dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft überhaupt einen großen Weggang der Romanen annahm. Rettner aber zeigt, dass in den neu entdeckten Gräberfeldern von St. Ulrich und Afra in Augsburg, am Lorenzberg in Epfach am Lech – beide im alemannisch-schwäbischen Gebiet – sowie im bairischen Altenerding die romanische Bestattungsweise mit geringen Beigaben dominiert und germanisches Totenbrauchtum mit Waffenbeigaben bei Männern und etwa mit Amulettgehängen und als „Vierfibeltracht“ bei Frauen stark zurücktreten oder überhaupt fehlen. So stellt sich die Frage, ob es angemessen ist, von „Restromanen“ angesichts der Ethnogenese der Baiern zu reden.

Bereits zwei Jahre später 2004 trug Arno Rettner seine neuen Ansichten über die Ethnogenese der Baiern unter dem provokanten Titel „Bauaria romana“ als „Neues zu den Anfängen Bayerns aus archäologischer und namenkundlicher Sicht“ vor und stellte damit die geltenden Ansichten auf beiden Gebieten in Frage. Archäologisch konstatiert Rettner in den Reihengräbern starke Unterschiede in Grabbeigaben im bayerischen Donauraum nördlich und südlich des römischen Limes in der Merowingerzeit besonders nach dem Tod Severins 482 und dem Rückzug der Romanen nach Italien 488 in Noricum. So fehlt etwa in Männergräbern südlich der Donau die nördliche Mitbestattung von Reitzubehör und Pferden und in Frauengräbern vielfach die nördliche Beigabe von Webschwertern, und in beiden Fällen sind Speisebeigaben im Süden geringer als im Norden. Daraus wird die unterschiedliche Nachwirkung romanischer bzw. germanischer Bestattungssitten und damit das Bestehen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, vor allem ein hoher fortbestehender Anteil an Romanen im ehemals römischen Gebiet der Raetia secunda, gefolgert. Deshalb sucht Rettner nach weiteren Argumenten für romanische Kontinuitäten der Baiern in ihrem Siedlungsraum südlich der Donau. Dazu zieht er, obwohl kein Sprachwissenschaftler, die eingedeutschten Ortsnamen romanischer Herkunft als tradierte echte antik-romanische Bildungen und als romanisch-deutsche Mischnamen, das sind neue deutsche Bildungen mit romanischen Personennamen, heran. Bei Letzteren wird angenommen, dass die anfängliche Bewohnerschaft romanisch war und auch romanisch sprach und sich schließlich das deutsche Idiom der hinzugetretenen und zunehmenden deutschen Bewohnerschaft durchsetzte. Da Rettner dabei auf verschiedene ältere Arbeiten zurückgreift, nennt er auch solche Ortsnamen, für die eine früher versuchte romanische Etymologie sich nicht mehr halten lässt. Ebenso bedient sich Rettner der noch zu besprechenden, in den 1980er Jahren vom Klagenfurter Allgemeinen Sprachwissenschaftler und Romanisten Willi Mayerthaler vorgetragenen These, wonach das Bairische eine Kreolsprache mit romanischer Grundlage und germanisierter alemannischer Überformung sei, ohne aber die von der Germanistik bereits damals vorgetragene Kritik und Widerlegungen auch nur mit einem Wort zu erwähnen. So werden für Rettner die Baiern des 6. Jhs. zu „einer romanisch-germanischen Mischbevölkerung zwischen Alpen und Donau, die sich eben durch dieses Spezifikum … von den benachbarten Alamannen, Langobarden oder Franken abhob“.1

Mit der Zurückweisung der anhand der Keramik des Typus Přešt’ovice ‒ Friedenhain aufgezeigten archäologischen Zusammenhänge von Südböhmen und Bayern bezweifelt Rettner schließlich auch die germanische Etymologie des Baiernnamens und sucht nach einer romanischen. Er glaubt, sie in lautähnlichem lat. baiulare ‚Lasten tragen, schleppen‘ und lat. baiulus ‚Lastenträger‘ gefunden zu haben, und versteht die Baiern als Lastenträger von Waren aus Italien über die Alpen durch Bayern nach Germanien, wobei das anfängliche inlautende -l- dann verloren gegangen sei. Den Anlass zu dieser Etymologie bietet Rettner die Vita Severini, 29, 18ff., wo es heißt2:

… conductis plurimis comitibus, qui collo suo vestes captivis et pauperibus profuturas, quas Noricorum religiosa collatio profligaverat, baiularent.

Er hatte viele Kameraden geworben, die auf ihrem Nacken Kleidungsstücke schleppten, welche für Gefangene und Arme bestimmt und durch fromme Sammlung der Noriker aufgebracht worden waren.

Eine wohl als Nachdruck verleihende hinzugefügte jüngere bildliche Wiedergabe dieser Legende mit warenschleppenden Baiuli ‚Lastenträgern‘ findet sich auf dem Predellenbild des Polyptichons aus der Kirche SS. Severino e Sossio in Neapel von 1470 des Meisters von San Severino, das jetzt im Schloss Berchtesgaden aufbewahrt wird.

Zu seiner romanischen Etymologie befragte Rettner eine Anzahl germanistischer Sprachwissenschaftler, die jedoch eine solche lautgesetzlich nicht mögliche Bildung mit Recht ablehnte.3 So müsste im 5./6. Jh. eine romanische Entlehnung im Nominativ Plural germ. *Baiolowarjā und lat. *Baiolovarii bzw. mit Assimilierung *Baioloarjā bzw. *Baioloarii lauten, denn ein inlautendes -l- schwindet einfach nicht. Dagegen hält der Altphilologe und verdiente bayerische Namenforscher Wolf-Armin Frhr. von Reitzenstein in seiner Behandlung von diesbezüglichen Volksetymologien „Neue Etymologien des Baiern-Namens“ von 2005/06 eine romanische Herkunft des Baiernnamens für wahrscheinlich und bietet, angeregt durch Rettners Etymologie, eine daran anknüpfende eigene Version.4 Dabei geht er von der lateinischen Lesart Baibari bei Jordanes aus, die er unter den überlieferten Varianten für die ursprüngliche gotische Form des Namens hält, und sieht im Erstglied dieses Kompositums lat. baium ‚Last‘5 und im Zweitglied germ. bar von bëran ‚tragen‘ wie z.B. in ahd. eimbar ‚Eimer‘ als Lehnwort aus lat. amphora, das seinerseits aus gr. ἀμφορέος entlehnt ist und lat. ferō / gr. φέρω ‚tragen‘ enthält. Die ‚Lastträger‘ bedeutende Volksbezeichnung, die nichts mit den Boiern und Boi(o)haemum zu tun habe, sei als rom./germ. Mischbildung im Kauderwelsch des römischen Heeres mit Angehörigen aus vielen Sprachen entstanden und könnte anfänglich eine Spottbezeichnung gewesen sein. Bei romanischer Weiterentwicklung zu Baivari sei das Zweitglied dann wegen lautlicher Ähnlichkeit mit germ. *warja ‚Bewohner‘ zusammengefallen und so der überlieferte Baiernname entstanden. Auch diese Herleitung, die den Anschauungen der Archäologen folgt und den Zusammenhang des Baiernnamens mit den Boii und Boi(o)haemum beseitigen möchte, ist wie die anderen von Reitzenstein behandelten neuen Etymologien des Baiernnamens eine volksetymologische Konstruktion, die Bestandteile aus verschiedenen Sprachen miteinander verbindet und von deren Teilen wieder einen durch ein anderes Wort ersetzt, angebliche Vorgänge, die nicht nur im Ablauf unrealistisch erscheinen, sondern wofür es auch in der Lehnwortforschung keine Entsprechungen gibt. Außerdem widerspricht diese Konstruktion lautgesetzlichen Entwicklungen. Ein gotisches *Baiwarjos und ein spätwestgerm. *Baiwarjā des 5./6. Jhs. würde in der 2. Hälfte des 8. Jhs. zu bair.-ahd. *Bēore mit Monophthongierung von ai vor w zu ē führen. Reitzenstein hält an seiner nicht möglichen Etymologie weiterhin fest und wiederholt sie 2014 und 2017.6

Doch zurück zu Rettner, der in seinem Beitrag zum Sammelband von 2012 dann zwar einräumt, dass ab dem späten 5. Jh. mit verstärkter germanischer Zuwanderung in die Gebiete südlich der Donau zu rechnen ist,7 aber weiterhin an der Romanenthese festhält. Im Anhang korrigiert bzw. ergänzt Rettner auf Grund von Hinweisen und mehrfacher Kritik seine bisherigen Listen von Ortsnamen romanischer Herkunft und von romanisch-deutschen Mischnamen.

Auf dem von Rettner vorgezeichneten Weg schließen sich weitere Studien von Archäologen an. So beschäftigt sich 2012 der Münchener Archäologe Jürgen Haberstroh mit der Frage „Der Fall Friedenhain ‒ Přešt’ovice – ein Beitrag zur Ethnogenese der Baiovaren?“ Gerade diese an beiden Orten gefundene und übereinstimmende Feinkeramik schien ja die These einer Einwanderung zumindest eines Teiles der Baiern zu bestätigen. Sie wird aber nicht nur dadurch in Frage gestellt, dass diese Feinkeramik nur an wenigen südböhmischen Fundplätzen vorkommt, was die Einwanderung größerer Volksgruppen fraglich macht, sondern sie tritt in Variation sowohl im Barbaricum des 3.–6. Jhs. als auch überhaupt in ganz Süddeutschland auf und ist nicht an germanischen, sondern an römischen Mustern orientiert. Es lässt sich daher keinerlei Herkunftsthese an diese Feinkeramik knüpfen. Allerdings räumt Haberstroh ein, dass die Variationen sowohl im barbarischen als auch im römischen Gebiet auf Werkstattunterschiede zurückgehen. Dabei gelte es, einerseits die Spezifik der Keramik des Typus Přešt’ovice ‒ Friedenhain herauszuarbeiten und andererseits die Werkstattunterschiede im römischen wie im germanischen Gebiet festzustellen und gegeneinander abzugrenzen. Aber diesen langwierigen Untersuchungen scheinen sich die Archäologen gar nicht unterziehen zu müssen, denn die Einwanderungsthese der Baiern wird noch mit weiteren Argumenten abgelehnt.

Radikaler und polemischer verfährt der in Freiburg im Breisgau lehrende Archäologe Hubert Fehr. Er trug seine Kritik in dem ausführlichen Beitrag „Am Anfang war das Volk? Die Entstehung der bajuwarischen Identität als archäologisches und interdisziplinäres Problem“ auf der 2006 in Wien veranstalteten Internationalen Konferenz „Archäologie der Identität“ vor, deren Ergebnisse 2010 veröffentlicht wurden. Dabei löst der Terminus Identität bisheriges Ethnogenese und älteres Stammesbildung ab. Fehr sieht als Ausgangspunkt und Basis der bisherigen archäologischen Suche nach der Herkunft der Baiern die kaum jemals hinterfragte Annahme der Sprachwissenschaft, dass der Baiernname „Männer aus Böhmen“ bedeute und die Baiern daher aus Böhmen eingewandert seien. Das aber stellt Fehr von seinem positivistischen Standpunkt aus entschieden in Abrede, weil es dazu weder historische Nachrichten über eine germanische Einwanderung aus Böhmen in den Donauraum der Raetia secunda und von Noricum gebe, noch überhaupt über germanische Einwanderungen in ehemals römisches Gebiet. Mangels derartiger schriftlicher Quellen besitzen daher einzig und allein die archäologischen Funde als materielle Zeugnisse Quellenwert, so dass nur aus ihnen verbindliche Erkenntnisse gewonnen werden können. Aber der bislang angestellte Nachweis bairischer Einwanderung mit Hilfe der Keramik vom Typus Přešt’ovice ‒ Friedenhain versagt insofern, als es einerseits bloß geringe innerböhmische Fundplätze gibt und andererseits diesseits und jenseits des römischen Limes unterschiedliche Begräbnissitten gepflegt wurden. Während nämlich nördlich germanische Brandbestattung üblich war, herrschte auf römischem Boden seit der Mitte des 5. Jhs. Körperbestattung in Reihengräbern. Sie aber waren keine mitgebrachte Sitte, sondern eine Neuerung. Ebensowenig sind die Beigaben von Waffen und Fibeln ein bairisches Charakteristikum, sondern sie waren in weit größerem Umfang verbreitet und begegnen auch in alemannischen Reihengräbern in Württemberg und am Rhein sowie im westfränkischen Nordgallien. Deshalb dürfen sie nicht als Indiz für nördliche germanische Zuwanderung nach Bayern bewertet werden, sondern sind vielmehr als Angleichung an fränkisch-merowingische Bestattungssitten zu verstehen.8 Überhaupt möchte Fehr die Entstehung einer bairischen Identität im Anschluss an die obgenannte positivistische Ansicht des Historikers Jörg Jarnut erst im Zusammenhang mit der Bildung eines bairischen Herzogtums und der Einsetzung der Agilolfinger als Herzöge nach 536/37 sehen, nachdem 535 die Gotenregentin Amalasvintha ermordet worden war. Das aber korrespondiert mit der Erstnennung der Baiern in den historischen Quellen um 550/60. Somit betrachtet Fehr in seinem Beitrag „Friedhöfe der frühen Merowingerzeit in Baiern – Belege für die Einwanderung der Baiovaren und anderer Gemeinschaften?“ von 2012 die Einwanderungsthese polemisch als „Meistererzählung“, um nicht zu sagen als ein hübsch erfundenes Märchen.9

Zusammenfassend steht für die Archäologen trotz Unterschieden im Einzelnen viererlei fest:

 Eine schon lange postulierte Einwanderung der Baiern aus Böhmen in den bairischen Raum der Raetia secunda und von Noricum beruht auf der sprachwissenschaftlichen Interpretation des Baiernnamens als „Männer aus Böhmen“; doch gibt es weder für eine solche Einwanderung noch überhaupt für Einwanderungen von Germanen in ehemals römische Gebiete schriftliche Zeugnisse.

 Auch archäologisch lässt sich keine Einwanderung von Germanen aus Böhmen wie überhaupt aus Gebieten nördlich der Donau nachweisen, denn der dafür besonders herangezogene Beweis einer Feinkeramik des Typus Přešt’ovice ‒ Friedenhain stellt kein bairisches Charakteristikum dar und kommt seit dem 5. Jh. auch in weiteren merowingischen Gebieten vor, wenn es auch Werkstattunterschiede gibt. Ferner zeigen die als weiterer Beweis herangezogenen Beigabensitten in ihrer Verbreitung diesseits und jenseits des römischen Limes deutliche Unterschiede.10

 Der Neustamm der Baiern hat sich erst nach dem Tod der Gotenregentin Amalasvintha 535 und dem zerfallenden Gotenreich mit der Einsetzung des den fränkischen Merowingern nahestehenden Herzogs Garibald gebildet, wobei zeitliche Korrespondenz mit dem Auftreten des Baiernnamens seit 551 besteht.

 Die Entstehung des Neustammes der Baiern vollzog sich auf ehemals provinzialrömischem Gebiet südlich des Donaulimes mit der dort ansässigen romanischen Bevölkerung, was sich aus den dort auftretenden Ortsnamen romanischer Herkunft und aus den Mischnamen mit einem romanischen Personennamen ergibt.

Es liegt auf der Hand, dass diese teilweise mit Absolutheitsanspruch vorgetragenen Konzepte der Archäologie fachbegrenzt und daher einseitig sind, obwohl die anstehenden Fragen nur interdisziplinär gelöst werden können. So wird aus der Sicht der Sprachwissenschaft nicht gefragt, wie ohne angebliche germanische Zuwanderung und ohne Beteiligung einer ein germanisches Idiom sprechenden Bevölkerung sich dann ein Sprachwechsel vom Romanischen zum Germanischen vollzogen hat, wie die antik-romanischen Gewässer- und Ortsnamen in das sich entwickelnde Althochdeutsche integriert worden sind und wie sich romanisch-deutsche Mischnamen gebildet haben.

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