Kitabı oku: «Baiern und Romanen», sayfa 3
1.5.3. Die schon früher vorgetragene, doch widerlegte „Romanentheorie“ über die Herkunft der Baiern
Die besonders vom Archäologen Arno Rettner favorisierte Ansicht einer bairischen Ethnogenese bzw. Identitätsbildung auf provinzialrömischem Boden der Raetia secunda unter maßgeblicher Beteiligung der ansässigen romanischen Bevölkerung kann man als „Romanentheorie“ bezeichnen. Sie ist keineswegs neu, und ihr Vortrag vor mehr als 35 Jahren wurde von der germanistischen Sprachwissenschaft längst überzeugend widerlegt und zurückgewiesen. Dennoch muss sie vor allem im Hinblick auf eine zur Unterstützung herangezogene neue, gerade aus der Germanistik kommende, doch andere Intentionen verfolgende Studie von Wolfgang Haubrichs zu den vom 8. bis 10. Jh. aus dem bairischen Sprachraum überlieferten romanischen und biblischen Personennamen und mit solchen gebildeten deutschen Ortsnamen als romanisch-deutsche Mischnamen eingegangen werden.
Schon 1971 trug der Münchener Historiker Karl Bosl in seiner „Geschichte Bayerns“ die bis zur 7. und letzten Auflage 1990 unverändert beibehaltene „Romanentheorie“ zur Herkunft der Baiern vor.1 Danach gehen die Baiern auf die bodenständigen Keltoromanen zurück, die seit der Mitte des 6. Jhs. nach der Konstituierung des Neustammes der Baiern von Franken und Alemannen germanisiert wurden.2 Diese These unterstützten in den 1980er Jahren der Salzburger Slawist Otto Kronsteiner und der Klagenfurter Allgemeine Sprachwissenschaftler und Romanist Willi Mayerthaler in einer Reihe von Studien. Nachdem Kronsteiner 1981 an die Universität Salzburg berufen worden war, veröffentlichte er zunächst in Zeitungsartikeln die These, der Name der Baiern gehe als romanische Bildung auf den antik-romanischen Namen Ivaro der Salzach zurück, und die Stadt Salzburg sei der Mittelpunkt des Entstehungsraumes der Baiern gewesen, so dass der Stammesname der Baiern als Gaubezeichnung romanisch *Pago Ivaro gelautet habe, der über *Pagivaro bald zu *Paiovaro kontrahiert worden sei. Erst 1984, nachdem bereits auf Tagungen die Diskussion darüber aufgenommen worden war, äußerte sich Kronsteiner mit „Der altladinische PAG(O)IVARO als Kernzelle der bairischen Ethnogenese“ in einem wissenschaftlichen Organ dazu. Seiner Auffassung schloss sich 1983/84 Mayerthaler mit seinem ausholenden Beitrag „Woher stammt der Name der ‚Baiern‘?“ an.3 Außerdem erklärte Mayerthaler das Bairische zu einer romanisch-germanischen Kreolsprache, einer Mischsprache auf romanischer Grundlage mit germanisch-alemannischer Überformung, deren romanische Elemente bis in die gegenwärtigen Dialekte weiterbestünden und deutlich greifbar wären. Beide Protagonisten verteidigten ihre Theorien mit Vehemenz, Polemiken und Angriffen auf die Methodik der germanistischen Sprachwissenschaft, doch wurden ihre Auffassungen mehrfach widerlegt, was hier alles nicht näher ausgeführt werden muss. Von Entgegnungen seien u.a. besonders angeführt Ingo Reiffenstein 1986 „Baiern und der Pagus Iobaocensium“ und 1987 „Stammesbildung und Sprachgeschichte“ sowie 1987 Hellmut Rosenfeld „ Die Völkernamen Baiern und Böhmen, die althochdeutsche Lautverschiebung und W. Mayerthalers These ‚Baiern = Salzburger Rätoromanen‘“. Bereits 1981 hatten Ludwig Eichinger und Robert Hinderling mit „Die Herkunft der Baiern im Lichte der Ortsnamen“ Karl Bosls „Romanentheorie“ eine Absage erteilt. Trotzdem lieferten Eva und Willi Mayerthaler verspätet 1990 in gleichem Sinn die Studie „Aspects of Bavarian Syntax or ‚Every Language Has at Least Two Parents‘“ nach. Lange unbeachtet findet sie jüngst im Zusammenhang mit der erneut von Arno Rettner vorgetragenen „Romanentheorie“ Beachtung durch den Leiter des Bayerischen Wörterbuches in München, Anthony Rowley, in seiner widerlegenden Auseinandersetzung „Bavaria germanica oder Romania submersa“ von 2017.4 Darin zeigt Rowley, dass Mayerthalers These, die Syntax des Bairischen sei völlig romanisch geprägt, sich nicht aufrecht erhalten lässt, denn die weit über ein Dutzend angesprochenen syntaktischen Phänomene weisen im Deutschen eine weit über das Bairische hinausgehende Verbreitung auf und sind unabhängig voneinander sowohl im Romanischen wie im Germanischen polygenetisch entstanden, was das Bairische fälschlich als ein germanisches Idiom auf quasi romanischer Basis erscheinen lasse.
Es ist daher von der „Romanentheorie“, wonach die Baiern germanisierte Romanen und das Bairische auf romanischer Sprachbasis entstanden sei und von Anfang an entsprechende romanische Strukturen und Substrate aufweise, zur Gänze abzulassen.5
1.5.4. Romanische und biblische Personennamen im bairischen Raum
Wenn seitens der Archäologie die „Romanentheorie“ erneut aufgegriffen wird, so spielt dabei besonders für Hubert Fehr die Abhandlung des Saarbrücker germanistischen Sprachwissenschaftlers Wolfgang Haubrichs „Baiern, Romanen und andere“ als „Sprachen, Namen, Gruppen südlich der Donau und in den östlichen Alpen während des frühen Mittelalters“ von 2006 eine maßgebliche Rolle, noch dazu wo im Titel Baiern und Romanen gemeinsam exponiert aufscheinen. Aber nichts liegt Haubrichs ferner, als eine romanische Herkunft der Baiern anzunehmen. Vielmehr arbeitet er sehr deutlich und unmissverständlich heraus, dass Bairisch, Alemannisch, Langobardisch und, soweit man dies aus den wenigen überlieferten Personennamen erschließen kann, auch das Thüringische elbgermanischer Herkunft mit vielen sprachlichen Gemeinsamkeiten sind. Innerhalb dieses elbgermanischen Sprachverbandes, der nach den Anfangsbuchstaben als BLA(T)-Gruppe zusammengefasst werden kann, aber weist gerade das althochdeutsche Bairische in gewissen Wortschatzbereichen wie etwa dem Rechtswortschatz Eigenständigkeit auf und unterscheidet sich so vom engverwandten althochdeutschen Alemannischen.
Dennoch ist es Haubrichs ein besonderes Anliegen, anhand der klösterlichen Quellen des 8.–10. Jhs. die überlieferten romanischen und biblischen Personennamen und die mit ihnen gebildeten Ortsnamen zusammenzustellen und auf das Miteinander von Romanen und Baiern in der frühmittelalterlichen Zeit nachdrücklich hinzuweisen. Dabei kann Haubrichs auf seine Erkenntnisse in den westmitteldeutschen Kontakträumen von Romanen und Franken insbesondere in Lothringen und im Moselland zurückgreifen. Am Namenmaterial des bairischen Raumes zeigt sich, dass die romanischen Personennamen die romanischen Lautentwicklungen des 6./7. Jhs. aufweisen wie im Konsonantismus die intervokalische Inlautlenierung von lat. t – p – k zu stimmhaftem d – v – g, z.B. Senator > Senadur, Lupo > Luvo, Jacobo > Jago(b), und die Palatalisierung von -ti- / -di- vor Vokal zu <z, ci> / [-tßi-/-dsi-], z.B. Antiocho > Anciogo, Constantio > Custanzo, Laurentia > Laurenza, Claudia > Clauza, sowie im Vokalismus die Monophthongierung von au > o, z.B. Aurelian(o) > Orilan, Paulo > Polo.
Umgekehrt weisen romanische Personennamen bairisch-althochdeutsche Lautentwicklungen des 8. Jhs. auf. So vollziehen sie etwa im Konsonantismus die jüngeren Akte der Zweiten Lautverschiebung von rom. d – b – g zu bair.-ahd. t – p – k mit, z.B. Duro > Turo, Indo > Into, Beronician(o) > Peronzan, Habentio > Hapizo, Gaio > Keio, und im Vokalismus den i-Umlaut von a > e vor i oder Palatalkonsonanten der Folgesilbe, z.B. David > Tevid, Daniel > Tenil, Aletio > Elizo, Tapetio >Tepizo, und die Assimilierung von ai > ei, z.B. Maiol(o) > Meiol, Maioran(o) > Meioran, Gaio > Keio.1 Gerade hier aber fragt sich, ob angesichts solcher bairisch-althochdeutscher Lautentwicklungen Träger solcher romanischer Personennamen noch als echte Romanen und damit auch als Sprecher des Romanischen betrachtet werden können, oder ob sie sprachlich mit ihren bereits bairisch lautenden Namen romanischer Herkunft nicht schon zum Bairisch-Althochdeutschen übergegangen sind. Eine verbindliche Entscheidung lässt sich diesbezüglich nicht treffen, und Haubrichs ist vorsichtig genug, dies auch klar zu verstehen zu geben.
Ähnlich liegen die Probleme bei den mit einem romanischen PN und einem deutschen Grundwort oder einer deutschen Ableitung gebildeten Ortsnamen, den sogenannten „Mischnamen“, wie z.B. Marzling bei Freising mit Marcello (804-07 Marzilinga) und mit Vidal < Vitalis gebildetem Figlsdorf bei Nagelstadt (850 Fitalesdorf). Stillschweigend wird hier angenommen, dass die Träger romanischer Personennamen automatisch auch Sprecher des Romanischen waren und solche Ortsnamen bei Hervorhebung des romanischen Elements trotz deutscher Bildung als „romanische Ortsnamen“ betrachtet werden. Trotz erst jüngerer urkundlicher Erstüberlieferungen kann zwar bei einigen Mischnamen anhand lautlicher Merkmale eine frühe Bildungszeit festgestellt werden, aber es bleibt dabei offen, ob der Personenname damals noch romanisch war oder, wie die Personennamenüberlieferungen zeigen, bereits ins Bairisch-Althochdeutsche integriert war. Diese Problematik erhöht sich, wenn statt „Mischname“ in neuerer Terminologie von „Hybridname“ bzw. „Hybridbildung“ gesprochen wird. Hier wird nämlich vorausgesetzt, dass zunächst eine genuine romanische Namenbildung vorliegt, die dann später deutsch überformt wurde, so dass die überlieferten deutschen Ortsnamen nicht primäre Bildungen, sondern erst sekundäre, eben hybride Neubildungen sind. Es mag solche Fälle gegeben haben. So lässt z.B. der Name Abersee für den Wolfgangsee in Oberösterreich mit dem rom. Personennamen Abriano in seiner ältesten lateinischen Überlieferung von 788 Abriani lacum vermuten, dass dieser lateinischen Form eine romanische Form zugrunde liegt, aber bereits 829 heißt der See in integrierter Weise bair.-ahd. Aparinesseo. Trotz der lateinischen Kontexte weisen jedoch die Überlieferungen der Mischnamen seit dem 8. Jh. eindeutig bairisch-althochdeutsche Bildungen auf, z.B. Aising (Stadtteil von Rosenheim) 778/83 Agusing mit dem PN Agusius und Königsdorf bei Bad Tölz 776-88 Chumitzdorf mit dem PN Comitius.
Auf ein bei Mischnamen bis jetzt nicht beachtetes Problem macht Albrecht Greule aufmerksam. Bei den einfach als „romanisch“ bezeichneten Personennamen handelt es sich nämlich zum größeren Teil um biblische Namen und um Heiligennamen (Hagionyme), wobei die Romanen (im Gegensatz zu den Baiern) von Anfang an getaufte Christen waren. In solchen Fällen könnten zumindest einzelne Personennamen nicht unmittelbar auf „Romanische Ortsgründer“ als deren Träger zurückgehen, sondern auch auf Kapellen oder kleine Kirchen, die solchen Heiligen geweiht waren. Eine solche Möglichkeit könnte z.B. die Orte Jailing, Jaibling, Jasberg, † Jausberg mit Jacobus als Apostelname oder die zahlreichen Orte mit Irs-/Irsch- betreffen, denen Ursus zugrunde liegt, wobei der hl. Ursus ein Angehöriger der Thebaischen Legion war und um 303 in Solothurn in der Schweiz das Martyrium erlitt. Auch ein Namenwechsel von einem germanischen zu einem biblischen oder Heiligennamen wäre möglich, denn im christlichen Irland und England erhielten des öfteren Geistliche neue solche Namen, ein Brauch, den irische und angelsächsische Missionare des 7. und 8. Jhs. mitgebracht haben könnten. Nach solchen umbenannten Geistlichen und Mönchen könnten diesen oder ihrem Kloster gehörende Orte mit Mischnamen benannt worden sein. Immerhin tragen von den 50 im bairischen Raum hier behandelten Mischnamen nicht weniger als 31 biblische Namen oder Heiligennamen, was nicht weniger als 62 % ausmacht.
1.5.5. Neueste Theorien zur Herkunft der Baiern und der Bedeutung ihres Namens
Vor allem die Neuansätze der Archäologen zur Klärung von Herkunft und Name der Baiern veranlassten auch die germanische Altertumskunde und die auffallend zurückhaltenden Historiker sich mit den neu aufgeworfenen Meinungen jeweils aus ihrer Sicht zu befassen. Es sind dies der Zürcher Altgermanist und germanische Altertumsforscher Ludwig Rübekeil und die Münchener Historikerin Irmtraut Heitmeier.
1.5.5.1. Die Baiern aus Sicht der gegenwärtigen germanischen Altertumskunde
Nicht im Hinblick auf die Herkunft der Baiern, sondern die sprachliche Bildung des auch diesen Namen betreffenden germanischen Namentypus und seine Bedeutung untersuchte Ludwig Rübekeil 2002 in seinem Buch „Diachrone Studien zur Kontaktzone zwischen Kelten und Germanen“. Es ist der schon oben erläuterte Namentypus germ. *-warjōz / lat. -varii ‚Wehrmänner, wehrhafte Mannschaft, Schützer, Verteidiger‘. Überliefert wird eine Reihe solcher Namen für germanische Gruppen vom 1. bis zum Beginn des 8. Jhs. von römischen Schriftstellern und in frühmittelalterlichen Quellen, wobei Velleius Paterculus und Tacitus am Beginn stehen. Die meisten dieser als Komposita gebildeten Namen weisen als Bestimmungswörter einen Landschafts-, Fluss- oder Ortsnamen auf wie Am(p)sivarii (Tacitus, Annalen 13, 55 u.ö.) den Flussnamen Ems, lat. Amisia (Tacitus, Annalen 1, 6 u.ö.), die zwischen Rhein und Ems siedeln, wo zur Zeit Kaiser Justinians im 6. Jh. Stephanos Byzantios noch eine gleichnamige Stadt Ἂμισ(σ)α kennt; oder Angrivarii (Tacitus, Germania 33; Annalen 2, 8) mit germ. *angraz in altsächs. und ahd. angar ‚Grasland, Wiese, Anger‘, wonach die Landschaft Engern beiderseits der Weser in Westfalen benannt ist. Wie diese beiden Namen so betreffen auch alle weiteren Namen Germanengruppen in Grenzgebieten gegen die Römer von den Angrivaren am Rhein im Westen bis zu den Baioaren an der Donau im Osten, wobei sie im Westen gehäuft auftreten und frühe Verteidiger der germanischen Gebiete gegen die expansiven Römer waren, die schon um die Zeitenwende versuchten, die Gebiete östlich des Rheins zu erobern und die Weser zur Nordostgrenze ihres Imperiums zu machen.
Für die Baioarii ergibt sich in diesen Zusammenhängen überzeugend ebenfalls ein Landschaftsname als Bestimmungswort.1 Er entspricht, wie gleichfalls schon oben ausgeführt, dem von Tacitus überlieferten Landschaftsnamen lat. Boi(o)haemum / germ. *Bai(o)haima, der im Stammesnamen durchaus zu Baia verkürzt sein kann, denn nur in diesem Sinn reiht sich dieser in die germanische Gruppe der -varii-Namen ein. Bezüglich der Bedeutung liegt auf der Hand, dass sich das Bestimmungswort nicht auf Böhmen in seinem heutigen Umfang beziehen kann, denn die germanischen Namenträger können dort angesichts der Entfernung von der Donau als römischer Grenze keine Verteidiger ihres Landes gegen die Römer gewesen sein. Als Lösung bietet sich für Rübekeil an, dass der Landschaftsname vom böhmischen Kerngebiet bis gegen die Donau insbesondere nach Westen bis gegen die Raetia secunda ausgedehnt war, so dass die Bewohner der Gebiete nördlich der Donau „Wehrmänner“ gegen die Römer sein konnten. Man kann dann weiters annehmen, dass nach dem Zusammenbruch der Römerherrschaft der Name mit dem verstärkten Eindringen der Germanen aus dem Vorland über die Donau in die ehemaligen römischen Provinzgebiete sich schließlich dort etablierte und zum Namen des Neustammes der Baiern wurde.
1.5.5.2. War Bayern ein ursprüngliches „Boierland?“
Unter dem Einfluss der mit Nachdruck vorgetragenen Thesen der Archäologen, die Baiern seien aus ansässigen Romanen der Raetia secunda hervorgegangen und auch ihr Name habe, wie Arno Rettner linguistisch allerdings unhaltbar meint, eine lateinische Grundlage, versucht nun Ludwig Rübekeil in seinem Beitrag „Der Name Boiovarii und seine typologische Nachbarschaft“ zum Sammelband von 2012 sich soweit wie möglich den Ansichten der Archäologen anzuschließen. Was er als germanistischer Sprachwissenschaftler freilich nicht aufgeben kann und unverändert beibehält, ist die lautgesetzlich unumstößliche germanische Etymologie des Baiernnamens. So setzt Rübekeil nun beim Bestimmungswort des Kompositums an und räumt ein, dass damit auch wie im Ausnahmefall der Chattuarii ein Einwohnername gemeint sein könnte. In diesem Sinn rechnet er nun gemeinsam mit den Archäologen damit, dass bei der Identitätsbildung der Baiern im ehemals provinzialrömischen Raum der Raetia secunda südlich der Donau als Bestimmungswort von Baioarii unmittelbar der Name der Boier herangezogen wurde. Als Grundlage dafür gelten ihm die Namen der Römerkastelle Boiodurum und Boitro in Passau sowie ein in Manching bei Ingolstadt überliefertes boios, das er als Personenname auffasst.
Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass der heutige nieder- und oberbayerische Raum der Raetia secunda jemals mit dem Namen der Boier verbunden war, wofür es auch keine unmittelbaren Zeugnisse gibt. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die angezogenen Römerorte an der Peripherie sowohl des Römerreiches von Süden aus als auch vom Boierland Böhmen von Norden her lagen. Die Halbinsel von Passau, gebildet von Inn und Donau mit der von Norden in die Donau mündenden Ilz, war seit der Mitte des 5. Jhs. v.Chr. von Kelten besiedelt und ein Kreuzungspunkt der Handelswege in alle vier Himmelsrichtungen, die sich in römischer Zeit fortsetzten. Auf ihr lag ein keltisches Oppidum, dessen Name Ptolomaios um die Mitte des 2. Jhs. v.Chr. als Βοιόδουρον bezeugt und dessen Name dann die Römer nach dem Itinerarium Antonini als Boiodurum auf das von ihnen am Ende des 1. Jhs. n.Chr. auf dem rechten Innufer errichtete Kastell und einen sich anschließenden Vicus übertrugen und das bis ins 3. Jh. bestand, ehe es zerstört wurde.1 Während der Ort für die Kelten wohl ein Handelszentrum war und Brückenfunktion für den Warentransport hauptsächlich vom Süden in das Landesinnere in Böhmen im Norden hatte, diente das Kastell den Römern zur Bewachung und Sicherung der Limesstraße an der Donau gegen die Germanen. Die Notitia dignitatum überliefert dann für die 2. Hälfte des 3. Jhs. neben Batavis/Passau ein neuerrichtetes kleines Kastell Boiodoro stromaufwärts ebenfalls am rechten Innufer. Die Vita Severini von 511 nennt es dann Boi(o)-tro, und in seinen Mauern hatte Severin um 470 ein kleines Kloster errichtet. Sein Name lebt im Ortsnamen Beiderwies und im dort vorbei fließenden Beiderwiesbach weiter. Was das auf einem Scherben einer bauchigen Flasche aus dem keltischen Oppidum von Manching bei Ingolststadt des 1. Jhs. v.Chr. eingravierte boios betrifft, so ist es mehrdeutig und nicht, wie Rübekeil annimmt, als Personenname gesichert.2
Obwohl nicht bekannt ist, welche keltischen Stämme zur Zeit der römischen Eroberungen im Alpenvorland um die Zeitenwende westlich des Inns siedelten, während sich östlich des Inns das keltische Königreich Noricum befand, spricht nichts dafür, dass es die keltischen Boier gewesen wären. Hätte das heutige Nieder- und Oberbayern damals einen mit dem Namen der Boier verbundenen Gebietsnamen getragen oder wären dort die Boier beheimatet gewesen, so hätten ihn die Römer gewiss wie jenen des benachbarten Noricum übernommen, was jedoch nicht geschah. Auf die offenbar namenlose Gegend dehnten sie daher vom Bodensee her den Namen der Räter nach Nordosten bis zur Donau aus. Das keltische Boioduron/Passau war zweifellos ein unterhaltener südlicher Außenposten der Boier als Handelsort. Wenn seinen Namen die Römer fortsetzten, kann dies ebensowenig wie die Gravur von Manching als Beweis für ein einstiges „Boierland“ Bayern dienen.3 Während Rübekeils Erkenntnis, der germanische Baiernname gehört zu einer germanischen Namengruppe im germanisch/römischen Grenzland und bezeichnet germanische Wehrmänner, die das germanische Land vor Übergriffen der Römer schützen und verteidigen und die daher im germanischen Gebiet nördlich des Römerreiches und des Donaulimes beheimatet waren, weiterführt, geht Rübekeils Versuch, sich der Meinung der Archäologen anzuschließen, in die Irre.
1.5.5.3. Die Baiern in neuer historischer Sicht
Auffallend reserviert verhalten sich die Mittelalterhistoriker gegenüber den neuen Ansichten zur Identitätsbildung der Baiern. So nennt der Erlanger Frühmittelalterforscher Guido M. Berndt in seiner Besprechung des Sammelbandes „Die Anfänge Bayerns“ von Fehr/Heitmeier bloß die Themen der einzelnen Beiträge, wenn er hinsichtlich der Romanentheorie der Archäologen zur Herkunft der Baiern auch gewisse Auffassungsunterschiede zwischen ihren Vertretern Arno Rettner, Hubert Fehr und Jürgen Haberstroh erkennen möchte.1 Ausführlich befasst sich zwar der Wiener Mittelalterhistoriker Herwig Wolfram in seinem Rezensionsaufsatz „Die Anfänge Bayerns im Zwielicht“ mit einzelnen Beiträgen, geht aber mit keinem Wort weder auf die Romanentheorie der Archäologen noch auf die noch vorzustellende Norikertheorie der Historikerin Irmtraut Heitmeier ein. Dass für Wolfram aber der Name der Baiern mit den Boiern und Böhmen zu tun hat, wird deutlich an der mit brieflicher Unterstützung von Wolfgang Haubrichs (Saarbrücken) und Hermann Reichert (Wien) ausführlich dargelegten Analyse der Slawenbezeichnung Beovinidi in der „Historia Langobardorum Codicis Gothani“. Diese entstand 807/10 in Oberitalien im Zusammenhang mit dem Frankenkönig Pippin von Italien, nachdem dieser 806/07 die Mauren von Korsika vertrieben und zuvor 798 an einem verwüstenden Feldzug gegen die böhmischen Slawen teilgenommen hatte. In den gegen 860 abgeschlossenen sogenannten „Annales Xantenses“, die Gerward, der ehemalige Pfalzbibliothekar Ludwigs des Frommen in den Jahren 814-30, anlegte, werden sie Beuwinitha geschrieben. Dieses ist niederfränkisch und entspricht der Herkunft Gerwards vom Niederrhein oder aus Friesland, wo germ. ai zu ē monophthongiert und der stimmhafte Spirant germ. đ als th beibehalten wird. Das aber bestätigt das Erstglied des Baiernnamens germ. *Baiowarjōz, der in Verbindung mit den Beovinidi auf Böhmen bezogen werden kann und somit als Klammerform *Baio[haima]warjōz zu verstehen ist, so dass der Name der Baiern „ursprünglich tatsächlich ‚Leute aus Böhmen’ bedeutet“.2 Wenn die Schreibung Beovinidi auch im Codex Gothanus auftritt, so ist zu bedenken, dass er dem fränkischen Umkreis König Pippins angehört und in diesem Namen wohl auch dort fränkisches ē für germ. ai galt.3 Damit hält Wolfram an der von der Sprachwissenschaft vorgetragenen Erklärung des Baiernnamens fest und erteilt somit indirekt sowohl der Romanentheorie als auch der Norikertheorie eine Absage. Wenn ich recht sehe, haben die verschiedenen Beiträge von Arno Rettner und Hubert Fehr zur Herkunft der Baiern auch sonst bei Historikern kein Echo ausgelöst. Dafür beschreitet nun Irmtraut Heitmeier in ihrem umfänglichen Beitrag zum Sammelband „Die spätantiken Wurzeln der bairischen Noricum-Tradition“ als „Überlegungen zur Genese des Herzogtums“ völlig neue, kühne Wege.
Heitmeier betont, dass man hinsichtlich der Entstehung des Herzogtums und der Herkunft der Baiern immer nur aus gegenwärtiger Sicht Bayern und damit bezüglich der Frühzeit bloß die westliche Raetia secunda im Blick habe, jedoch das zugehörige, östlich gelegene Noricum ausblendet. Es gibt aber vom Frühmittelalter bis ins 12. Jh. eine Tradition, die Bayern mit Noricum in Zusammenhang bringt. Ihr geht Heitmeier nach, um daraus neue Einblicke sowohl in die Frage nach der Herkunft der Baiern als auch der Entstehung des Herzogtums zu gewinnen.
Schon um 790 erzählt Paulus Diaconus in seiner „Langobardengeschichte“ nach einer Quelle aus der Zeit um 600, dass der Langobardenkönig Authari nach heimlicher Brautschau „von den Grenzen der Noriker“ (de Noricorum finibus) nach Italien zurückgekehrt sei, und erklärt deren Gebiet folgendermaßen (III, 30):
Noricorum siquidem provincia, quam Baiovariorum populus inhabitat, habet ab oriente Pannoniam, ab occidente Suaviam, a meridie Italiam, ab aquilonis vero parte Danuvii fluenta
Die Provinz der Noriker freilich, die das Volk der Baiovaren bewohnt, grenzt im Osten an Pannonien, im Westen an Suavien, im Süden an Italien, im Norden aber an einen Teil des Donauflusses.
An jüngeren derartigen Gleichsetzungen von Baiern mit Noricum sei die gleichlautende Promulgation zweier Freisinger Traditionen von 825 und 846 genannt, die mit den Worten beginnt (Tr. Freis., Nr. 521, 678):
Notum cunctis fidelibus in Noricana provincia …
Bekannt gemacht sei allen Getreuen in der norischen Provinz …
Beide Traditionen betreffen Besitzübertragungen im Umkreis von Mainburg rund 25 km nördlich von Freising und somit mitten im Herzen Bayerns bzw. in der einstigen Raetia secunda.
Solche westliche Ausweitungen der Territorialbezeichnung Noricum überraschen, wenn man bedenkt, dass seit der mittleren römischen Kaiserzeit der Inn nicht nur die Provinzgrenze der Raetia secunda und von Noricum bildete, sondern zugleich auch Zollgrenze zwischen dem westlichen Gallischen und dem östlichen Illyrischen Zollbezirk war. Obwohl die Reichsteilung von 395 in eine Westhälfte mit Rom und eine Osthälfte mit Konstantinopel/Byzanz zeitweise aufgehoben wurde, wirkte die westliche Zuweisung der Raetia secunda zu Italien und die östliche von Noricum und Pannonien zu Konstantinopel/Byzanz dennoch nach. Sie kam 476 nach der Absetzung des letzten weströmischen Kaisers Romulus August(ul)us insofern zum Tragen, als der oströmische Kaiser Zenon I. (476–491) sich nicht nur als Kaiser des Gesamtreiches betrachtete, sondern besonderes Interesse haben musste, an der Westflanke seines unmittelbar östlichen Herrschaftsbereiches in Noricum nach dem Zusammenbruch der weströmischen Herrschaft durch ständige Germaneneinfälle und dann durch den Abzug der romanischen Bevölkerung nach Italien wieder Ordnung und militärische Absicherung herzustellen. Wenn man bedenkt, dass sich die an der Reichsgrenze auftretenden Germanengruppen mit dem Grundwort -warjōz / -varii ‚Wehrmänner, Schützer, Verteidiger‘, nämlich ihres eigenen Grenzgebietes, bezeichnen und sich im Baiernnamen Baiowarjōz / Baiovarii das Erstglied auf Böhmen bezieht, dann lässt sich folgender Schluss ziehen.
Unter Berücksichtigung des militärischen Aspektes dieser Bezeichnung kann man annehmen, dass solche germanischen Verbände zur Verteidigung eines Gebietes eingesetzt wurden. Dabei mussten die germanischen Soldaten weder in das römische Heer eingegliedert werden, noch als Föderaten Aufnahme finden, sondern diese Gruppen übten in einem vertraglich festgelegten Gebiet selbst Befehlsgewalt aus, so dass sie faktisch im Besitz des Territoriums waren. Im Fall von Ufernoricum wäre vorstellbar, dass ein Teilverband der aus Böhmen abziehenden Elbgermanen, die später im Osten unter dem Namen der Langobarden in Mähren und dem östlichen Niederösterreich und dann in Pannonien reüssierten, sich nach Südwesten orientierte, die Donau überschritt und vom oströmischen Kaiser auf dem Reichsboden von Ufernoricum unter Vertrag genommen wurde, um diesen byzantinischen Grenzraum abzusichern. Damit aber war Ufernoricum fest in germanischer Hand und haftete der Name Baiowarjōz / Baiovarii somit auf dem Gebiet östlich des Inns, das heute das voralpine Ober-und Niederösterreich ausmacht. Als nach dem Tod der Gotin Amalasvintha 535 die Langobarden in Pannonien mit Byzanz im Osten und den expansiven fränkischen Merowingern im Westen politisch zusammenwirkten, behielten die Baiern in Ufernoricum die Oberhand, und der von den Franken eingesetzte neue Herzog „Garibald muss es gewesen sein, dem es gelang, die Gebiete westlich und östlich des Inns im Sinne des späteren bairischen Herzogtums zu verbinden“.4 Damit aber kam es, was Heitmeier nicht mehr weiter verfolgt, sichtlich auch zur Ausweitung des germanischen Baiernnamens vom stärkeren östlichen Gebietsteil auf den schwächeren westlichen, so dass mit der Raetia secunda ein bairisches Gesamtgebiet als neues Herzogtum entstand. Dabei wurde in Fortsetzung der antiken Namentradition das westliche Gebiet teilweise auch mit dem östlichen lateinischen Namen Noricum bezeichnet.5
Dieser zweifellos spekulative kombinierende Gedankenbau wird wahrscheinlich bei positivistisch ausgerichteten, vorwiegend mit überlieferten Fakten arbeitenden Historikern wenig Anklang finden. Trotzdem lässt sich eine solch mögliche östliche Herkunft der Baiern aus Ufernoricum, die man als Norikertheorie bezeichnen kann, mit namenkundlichen Argumenten stützen, die Heitmeier jedoch nicht in Betracht zieht. Sie betrifft Niederösterreich und damit das östliche Gebiet von Ufernoricum östlich der Enns, während Oberösterreich westlich dieses Flusses und der Salzburger Flachgau allgemein als altbairisches Land gelten.
Im niederösterreichischen Alpenvorland zwischen dem Wienerwald im Osten als alter Grenze von Noricum und Pannonien und der Enns im Westen, die sich um 700 als Grenze der westlichen deutschen Baiern gegenüber den im Osten auf Grund der Herkunft der Ortsnamen dominierenden Slawen herausgebildet hat, gibt es sowohl Gewässernamen antik-romanischer Herkunft, deren Integrierung ins Bair.-Ahd. mit den frühen, bis längstens 650 wirksamen älteren Akten der Zweiten Lautverschiebung erfolgt ist, was bei den integrierten Gewässer- und Ortsnamen slawischer Herkunft gänzlich fehlt, als auch solche Gewässernamen, deren Lauterscheinungen ebenfalls ohne slawische Vermittlung unmittelbar ins Bair.-Ahd. übernommen und weiterentwickelt worden sind. Ohne dass dies hier näher ausgeführt werden kann, handelt es sich bei der ersten Gruppe um die folgenden antik-romanischen Gewässernamen6:
Erlauf, rechter Nebenfluss der Donau bei Pöchlarn
D: 'ɒlɒf
U: antik Arlape, classis Arlapensis, fälschlich Arelate; 832, 853 Erlafa/Erlaffa, 979 Erlaffa.
E: Die antike Benennung Arlapa ist ein Kompositum mit dem im deutschen Süden seltenen Grundwort idg. *apā ‚Wasser‘ und als Bestimmungswort einer Ableitung von idg. *er-/or- (uridg. *h3er-)7 ‚in Bewegung setzen‘ in gr. ὄρνυμι ‚antreiben, losstürzen‘ als l-Ableitung *or-lo/-lā (uridg. *h3r-lo, fem. *h3r-lā) ‚losstürzend‘, so dass der GewN „losstürzendes Wasser“ bedeutet. Wie es zu bair.-ahd. Ërlaffa mit bair.-ahd. ë kam, ist bisher nicht überzeugend geklärt worden, hängt jedenfalls nicht mit bair.-ahd. erila ‚Erle‘ mit Primärumlauts-e zusammen.8