Kitabı oku: «La San Felice Band 8», sayfa 4
Allein, in dem Zimmer Salvatos, auf den Knien vor dem Crucifix liegend, betete sie. Jeder Kanonenschuß erschütterte ihr Herz.
Die Herzogin von Fusco fand sich von Zeit zu Zeit bei ihrer Freundin ein und gab ihr Nachricht von den Fortschritten, welche die Franzosen machten, sprach aber auch gleichzeitig mit einem gewissen Grad von Nationalstolz von der wunderbaren Vertheidigung der Lazzaroni.
Luisa antwortete durch einen Seufzer. Es war ihr als ob jede Kugel das Herz Salvatos bedrohte. Sollte dieser furchtbare Kampf denn ewig dauern?
Während der Ereignisse des 21. und 22. warf Luisa sich angekleidet auf Salvato's Bett.
Mehrmals ward von den Lazzaroni Lärm gemacht. Der Ruf, in welchem der Patriotismus der Herzogin stand, war nicht ohne Gefahr.
Luisa beschäftigte sich nicht mit dem, was den Andern Grund zur Unruhe gab. Sie dachte nur an Salvato.
Am Morgen des dritten Tages hörte das Musketenfeuer auf und man meldete, daß die Franzosen auf allen Punkten siegreich, aber noch nicht Meister der Stadt wären.
Was war in diesem hartnäckigen, blutigen Kampf geschehen? Lebte Salvato noch oder war er todt?
Mit den drei letzten Kanonenschüssen, welche das Castell San Elmo auf die Plünderer des königlichen Palastes abgefeuert, hatte das Getöse des Kampfes völlig aufgehört.
Nun sollte sie entweder Michele oder Salvato, wenn ihnen kein Unglück begegnet war, wiedersehen – Michele ohne Zweifel zuerst, denn dieser konnte zu jeder Stunde des Tages kommen und Luisa aufsuchen, während Salvato, der nicht wußte, daß sie allein war, sicherlich nicht anders als in der Nacht und auf dem verabredeten Wege sich bei ihr einzufinden wagte.
Luisa stellte sich an das Fenster und heftete die Augen auf die Chiaja. Von dieser Seite her mußten ihr die Nachrichten zugehen.
Die Stunden verflossen. Sie erfuhr die vollständige Uebergabe der Stadt.
Sie hörte das Geschrei der Menge, welche Championnet zu dem Grabmal Virgil's begleitete. Sie erfuhr die für den folgenden Tag angekündigte Flüssigwerdung des wunderthätigen Blutes des heiligen Januarius.
Alle diese Dinge gingen an ihrem Verstande vorüber wie Phantome an dem Bette eines Schlafenden.
Alles dies war nicht das, was sie erwartete, wonach sie verlangte, wonach sie hoffte.
Lassen wir Luisa an ihrem Fenster, kehren wir in die Stadt zurück und wohnen wir den Schmerzen einer andern Seele bei, die nicht weniger unruhig war, als die ihrige.
Man weiß, von wen wir sprechen wollen.
Entweder ist uns das geistige und leibliche Porträt, welches wir von Salvato zu entwerfen gesucht, sehr schlecht gelungen, oder unsere Leser wissen, daß, wie sehnlich auch unser junger Soldat Luisa wieder zu sehen wünschte, doch die Pflicht des Soldaten unter allen Umständen über die Wünsche des Liebenden den Sieg davontrug.
Er hatte sich daher von der Armee getrennt, er hatte sich von Neapel entfernt und sich dieser Stadt wieder genähert, ohne eine Klage, ohne eine Bemerkung laut werden zu lassen, obschon er recht wohl wußte, daß bei dem ersten Worte, welches er zu Championnet von dem Magnete geäußert, der ihn nach Neapel zog, sein General, der für ihn die Zärtlichkeit der Bewunderung, vielleicht von allen Zärtlichkeiten die tiefste, hegte, ihm jede nur mögliche Erleichterung gewährt haben würde, damit er der Erste wäre, der nach Neapel gelangte.
In dem Augenblicke, wo er gerade noch zur rechten Zeit, um Michele das Leben zu retten, den Largo delle Pigne erreichte, und den jungen Lazzarone an seine Brust drückte, schlug sein Herz vor doppelter Freude, erstens weil er sich in größerem Maßstabe erkenntlich für den ihm geleisteten Dienst beweisen konnte, und zweitens weil er, sobald er mit Michele allein war, Kunde über Luisa erhalten konnte und Jemanden hatte, mit dem er von ihr sprechen konnte.
Aber auch diesmal sah er sich in seiner Erwartung getäuscht. Die lebhafte Phantasie des Obergenerals hatte in dem Wiederfinden Salvatos und des Lazzarone ein Ereigniß gesehen, von welchem er Nutzen ziehen konnte. Der Keim der Idee, die dahin gediehen, den heiligen Januarius sein Wunder verrichten zu lassen, hatte sich in seinem Geiste entwickelt und ihn zu dem Entschlusse bewogen, die Kathedrale unter die Bewachung Salvatos zu stellen und Michele zum Führer Salvato's nach der Kathedrale zu wählen.
Man hat gesehen, daß diese doppelte Wahl gut war, denn sie hatte den gewünschten Erfolg gehabt.
Nur war Salvato bis zum nächstfolgenden Tage zur Bewachung der Kathedrale bestimmt, für welche er zu bürgen hatte.
Kaum aber hatte er den erzbischöflichen Palast erreicht, und seine Grenadiere unter dem Portale der Kirche und auf dem kleinen Platze, welcher in die Strada dei Tribunali führt, Posto fassen lassen, so schlang er seine Arme um Michelles Hals, zog ihn in die Kathedrale hinein und sagte weiter nichts zu ihm, als die zwei Worte, in welchen gleichwohl eine ganze Welt von Fragen lag:
»Und sie?«
Michele erzählte mit der tiefen Intelligenz, welche er aus dem dreifachen Gefühle der Verehrung, der Zärtlichkeit und der Dankbarkeit, die er für Luisa hegte, schöpfte, ihm Alles, von den ohnmächtigen Bemühungen Luisas, mit ihrem Gemahle abzureisen, an bis zu dem letzten Worte, welches sie vor drei Tagen aus der Tiefe ihres Herzens gesprochen:
»Wenn Du Salvato triffst –«
Die letzten Worte Luisas und die ersten Worte Salvatos konnten folglich so übersetzt werden:
»Ich liebe ihn immer noch!«
»Ich bete sie mehr an als je!«
Obschon das Gefühl, welches Michele für Affunta hegte, nicht den Grad der Liebe erreichte, welche Salvato und Luisa für einander empfanden, so konnte der junge Lazzarone doch die Höhe ermessen, welche er selbst nicht erreichte, und in seiner überwallenden Dankbarkeit, in jener Freude, zu leben, welche die Jugend in Folge einer großen überstandenen Gefahr empfindet, machte er sich zum Dolmetscher der Gesinnungen Luisa's mit mehr Wahrheit und mit größerer Beredsamkeit, als sie gewagt haben würde es selbst zu thun, und im Namen Luisas, ohne von ihr beauftragt worden zu sein, sagte er ihm zwanzigmal, daß Luisa ihn liebe, während Salvato seinerseits nicht müde ward, es zu hören.
Während Michele so mit Erzählen und Salvato mit Zuhören die Zeit hinbrachten, stand Luisa am Fenster und schaute, ob sie auf der Straße von Chiaja nichts kommen sähe.
Siebentes Capitel.
Michele‘s Gelübde
Die Nacht senkte sich langsam vom Himmel herab.
So lange Luisa hoffen konnte, in der Dämmerung etwas zu unterscheiden, blieb sie am Fenster stehen. Von Zeit zu Zeit richtete sie ihren Blick gegen Himmel, wie um Gott zu fragen, ob der, den sie vergebens auf der Erde suchte, vielleicht oben bei ihm sei.
Gegen acht Uhr glaubte sie in der Dunkelheit einen Mann zu erkennen, welcher den Gang und die Gestalt Michele's hatte.
Der Mann blieb an der Thür des Gartens stehen, ehe er aber noch Zeit hatte, anzupochen, rief Luisa:
»Michele!«
Und Michele antwortete:
»Schwesterchen!«
Bei dem Ton dieser ihn rufenden Stimme eilte Michele herbei und da das Fenster höchstens acht bis zehn Fuß hoch war, so kletterte er, die Mauerritzen zwischen den Steinen benutzend, in die Höhe, klammerte sich an den Balcon und schwang sich in das Innere des Speisesaales.
Auf den ersten Ton von Michele's Stimme, bei dem ersten Blick, den Luisa auf ihn warf, sah sie, daß sie kein Unglück zu fürchten hatte, in so hohem Grade strahlte das Antlitz des jungen Lazzarone von Frieden und Glück.
Was ihr dabei ganz besonders auffiel, war das seltsame Kostüm, welches ihr Milchbruder trug.
Es bestand zunächst aus einer Art Uhlanentschako mit einem Federstutz, welcher ursprünglich einem Tambourmajor gehört zu haben schien, und in einer kurzen, himmelblauen, auf der Brust und auf den Aermeln mit Goldstickereien bedeckten Jacke.
An seinem Halse hing, nur die linke Schulter bedeckend, ein rother Dolman mit nicht weniger kostbaren Stickereien als die der Jacke.
Graue, mit goldenen Treffen besetzte Beinkleider vervollständigten dieses Kostüm, welches noch furchtbarer durch den großen Säbel gemacht ward, den Michele der Freigebigkeit Salvatos verdankte und der, wie die Gerechtigkeit gegen seinen Herrn zu sagen verlangt, während der so eben verflossenen drei Tage nicht müßig geblieben war.
Dies war die Uniform, welche der Obergeneral, die Treue kennend, welche der Lazzarone gegen Salvato bewiesen, sich beeilt hatte, ihm zu schicken.
Michele hatte sie sofort angelegt und, ohne Salvato zu sagen, zu welchem Zwecke, diesen um einen einstündigen Urlaub gebeten, der ihm auch sofort bewilligt ward.
In einem Sprunge war er von der Vorhalle der Kathedrale zu Affunta geeilt, wo sein Erscheinen zu einer solchen Stunde und in einem solchen Kostüm nicht blos das Erstaunen des jungen Mädchens, sondern auch das des alten Basso Tomeo und seiner drei Söhne erweckt hatte, von welchen zwei in einem Winkel beschäftigt waren, sich die empfangenen Wunden zu verbinden.
Michele ging stracks auf den Kleiderschrank zu, nahm aus demselben den schönsten Anzug seiner Geliebten, rollte ihn unter dem Arm zusammen, versprach den nächstfolgenden Tag früh wiederzukommen und entfernte sich unter Harlekinsprüngen und unzusammenhängenden, verworrenen Reden, welche ihm ganz gewiß den Beinamen des Pazzo oder Narren erworben haben würden, wenn er sich dieses Prädicats nicht schon seit langer Zeit erfreut hätte.
Von der Marinella bis zur Margelina ist es weit, denn man muß, um von der einen zur andern zu gelangen, Neapel in seiner ganzen Breite durchschreiten.
Michele kannte aber alle Gäßchen und Durchgänge, die ihm einige Schritte Weges ersparen konnten, so genau, daß er blos eine Viertelstunde brauchte, um bis zu Luisa zu gelangen, und wir haben gesehen, daß er, um diesen Weg so viel als möglich abzukürzen, anstatt durch die Thür in das Haus zu gehen, zum Fenster hineingeklettert war.
»Vor allen Dingen, sagte Michele, indem er von dem Fenstersims in das Zimmer sprang, »er lebt, er befindet sich wohl, er ist nicht verwundet und er liebt Dich über alle Begriffe.«
Luisa stieß einen Freudenruf aus. Dann faßte sie, die Zärtlichkeit, welche sie für ihren Milchbruder hegte, mit der Freude mischend, welche die von ihm gebrachte gute Nachricht ihr bereitete, ihn in ihre Arme und drückte ihn an ihr Herz, indem sie murmelte:
»Michele! lieber Michele! Wie freue ich mich, Dich wiederzusehen!«
»Und Du kannst Dich auch darüber freuen, denn es fehlte nicht viel, so hättest Du mich nicht wiedergesehen. Ohne ihn wäre ich erschossen worden.«
»Ohne wen?« fragte Luisa, obschon sie recht wohl wußte, von wem Michele sprach.
»Nun, ihn!« sagte Michele. »Wen denn sonst? Hätte wohl irgend ein Anderer als Signor Salvato mich vom Tode retten können? Wer zum Teufel hätte sich denn um die Löcher gekümmert, welche sieben oder acht Kugeln in die Haut eines armen Lazzarone machen können? Er aber eilte sogleich herbei und sagte: »Das ist Michele! Er hat mir das Leben gerettet; ich verlange, daß er begnadigt werde!« Dann schloß er mich in die Arme, küßte mich vor allen Leuten und der Obergeneral machte mich zum Oberst, wodurch ich freilich dem Galgen bedeutend näher gekommen bin, meine liebe Luisa.«
Dann, als er sah, daß sie ihn hörte, ohne seine Worte zu verstehen, fuhr er fort:
»Aber um alles dies handelt es sich jetzt nicht. In dem Augenblick, wo ich erschossen werden sollte, that ich ein Gelübde, welches auch Dich mit betraf, Schwesterchen.«
»Mich?«
»Ja, Dich. Ich gelobte nämlich, wenn ich noch davonkäme – und ich versichere Dir, die Aussichten dazu waren durchaus nicht sonderlich – ich gelobte also, wenn ich mit dem Leben davonkäme, so sollte dieser Tag nicht vorübergehen, ohne daß ich mit Dir, Schwesterchen, mein Gebet zum heiligen Januarius verrichtete. Nun ist aber keine Zeit zu verlieren, und da man sich darüber wundern könnte, wenn man eine vornehme Dame wie Dich am Arm Micheles, des Narren, wenn er auch jetzt Oberst ist, in den Straßen von Neapel herumlaufen sähe, so bringe ich Dir ein Kostüm, in welchem man Dich nicht erkennen wird.
Und er ließ das Packet, welches Affuntas Kleider enthielt, zu Luisas Füße niederfallen.
Luisa verstand immer weniger, ihr Instinkt aber sagte ihr, daß diesem Allem für ihr hochklopfendes Herz eine Ueberraschung zu Grunde liege, die ihr Geist nicht errathen könne.
Vielleicht wollte sie auch in Micheles geheimnißvollen Vorschlag nicht weiter eindringen, weil sie fürchtete, ihn dann zurückweisen zu müssen.
»Wohlan,« sagte Luisa, »da Du ein Gelübde gethan hast, mein armer Michele, und Du diesem Gelübde das Leben zu verdanken glaubt, so muß es auch gehalten werden. Wolltest Du demselben untreu werden, so würde Dir dies Unglück bringen. Uebrigens schwöre ich Dir, daß ich nie in besserer Stimmung gewesen bin, zu beten, als gerade in diesem Augenblicke. Aber –« setzte sie schüchtern hinzu.
»Nun, aber?«
»Du erinnerst Dich doch, daß er mir gesagt hatte, das Fenster im Gäßchen eben so offen zu halten wie die Thüren, welche von diesem Fenster in sein Zimmer führen?«
»Und folglich,« sagte Michele, »steht das Fenster und die nach seinem Zimmer führende Thür auch wirklich offen.«
»Ja. Denke Dir, was er gedacht haben würde, wenn er sie verschlossen gefunden hätte.«
»Ja, das würde ihn freilich tief geschmerzt haben. Unglücklicherweise aber ist Signor Salvato, seitdem er wieder hergestellt ist, nicht mehr sein eigener Herr. Diese Nacht hat er die Wache bei dem Obergeneral und da er diesen Posten erst morgen Früh um elf Uhr verlassen darf, so können wir Fenster und Thüren schließen und dem heiligen Januarius das Gelübde lösen, welches ich ihm gethan.«
»Ja, gehen wir, seufzte Luisa, indem sie Affuntas Kleider in ihr Zimmer trug, während Michele die Thüren und Fenster zu schließen ging.
Als er in das Zimmer trat, welches auf das Gäßchen ging, glaubte er einen Schatten zu sehen, der sich in dem dunkelsten Winkel des Zimmers zu verstecken suchte.
Da dies schlimme Absichten verrathen konnte, so ging Michele mit ausgebreiteten Armen darauf zu.
Der Schatten aber, welcher sah, daß er nicht entrinnen konnte, kam auf ihn zu und sagte:
»Ich bin es, Michele. Ich bin auf Signoras Befehl hier.«
Michele erkannte sofort Giovannina's Stimme und da die Sache durchaus nichts Unwahrscheinliches hatte, so kümmerte er sich weiter nicht darum, sondern begann blos die Fenster zu schließen.
»Aber,« fragte Giovannina, »wenn nun Signor Salvato kommt?«
»Er wird nicht kommen,« antwortete Michele.
»Ist ihm vielleicht ein Unglück zugestoßen?« fragte Giovannina in einem Tone, welcher mehr als gewöhnliches Interesse verrieth, und dessen Unklugheit sie auch selbst einsah, denn sie setzte beinahe unmittelbar darauf hinzu:
»In diesem Falle müßte man diese Nachricht Signora mit aller möglichen Schonung beibringen.«
»Signora,« entgegnete Michele, »weiß in dieser Beziehung bereits Alles, was sie zu wissen braucht, und obschon Signor Salvato kein Unglück zugestoßen ist, so kann er doch von da, wo er jetzt ist, nicht eher fort als morgen Früh.«
In diesem Augenblick hörte man Luisas Stimme, welche ihre Dienerin rief.
Giovannina begab sich nachdenklich und die Stirn runzelnd langsam nach dem Zimmer, von wo aus ihre Herrin sie rief, während Michele, an ihre Launen, die er vielleicht bemerkte, aber sich weiter nicht zu erklären suchte, gewöhnt, die Fenster und Thüren schloß, welche Luisa sich zwanzigmal vorgenommen nicht zu öffnen und die sie seit drei Tagen dennoch stets offen hielt.
Als Michele in den Speisesaal zurückkam, war Luisa mit ihrer Toilette fertig.
Er stieß einen Ruf des Erstaunens aus. Noch nie war sie ihm so schön erschienen wie in diesem Kostüm, welches sie trug, als ob es von jeher das ihrige gewesen wäre.
Giovannina ihrerseits betrachtete ihre Herrin mit einem seltsamen Ausdruck von Eifersucht. Sie verzieh ihr, daß sie in ihren Damenkleidern schön war, als Tochter des Volkes aber konnte sie ihr nicht verzeihen, daß sie auch in den Kleidern einer Tochter des Volkes reizend war.
Was Michele betraf, so bewunderte er Luisa auf richtig und naiv, und da er nicht errathen konnte, daß jeder seiner Lobprüche für das Herz der Dienerin ein Dolchstich war, so hörte er nicht auf in allen Tönen des Entzückens auszurufen:
»So schau' doch, Giovannina, wie schön sie ist!«
Und in der That umstrahlte eine Glorie nicht blos der Schönheit, sondern auch des Glückes Luisa's Stirn.
Nach so vielen Tagen der Angst und des Schmerzes gewann das so lange von ihr bekämpfte Gefühl die Oberhand. Zum ersten Male liebte sie Salvato ohne Hintergedanken, ohne Reue, beinahe ohne Selbstvorwurf.
Hatte sie nicht Alles, was sie gekonnt, gethan, um dieser Liebe zu entrinnen? War es nicht das Verhängniß selbst, welches sie an Neapel gefesselt und abgehalten hatte, ihrem Gemahl zu folgen?
Nun aber glaubt ein wahrhaft religiöses Herz, wie das Luisas war, nicht an das Verhängniß. Wenn es aber nicht das Verhängniß war, was sie zurückgehalten, so war es die Vorsehung, und wenn es die Vorsehung war, wie konnte sie dann das Glück fürchten, welches ihr auf diese Weise beschieden war?
Deshalb sagte sie auch zu ihrem Milchbruder in freudigem Tone:
»Ich warte, wie Du siehst, Michele. Ich bin bereit.«
Und mit diesen Worten ging sie voran auf den Perron hinunter.
Nun aber konnte Giovannina nicht umhin, Michele beim Arme zu ergreifen und festzuhalten.
»Wo geht Signora denn hin?« fragte sie.
»Sie geht, um dem heiligen Januarius dafür zu danken, daß er heute das Leben ihres Dieners gerettet hat,« antwortete der Lazzarone, indem er sich beeilte Luisa einzuholen, um ihr einen Arm zu bieten.
Von der Mergellina aus, wo kein Kampf stattgefunden, bot Neapel einen noch sehr ruhigen Anblick dar.
Die Chiaja war in ihrer ganzen Länge erleuchtet und französische Patrouillen durchfurchten die Menge, welche, hocherfreut, den Gefahren entronnen zu sein, welche drei Tage lang einen Theil der Bevölkerung erreicht und den übrigen bedroht, ihre Freude beim Anblick der republikanischen Uniform dadurch zu erkennen gab, daß sie die Tücher und Hüte schwenkte und rief:
»Er lebe die französische Republik! Es lebe die parthenopeische Republik!«
Und in der That, obschon die Republik in Neapel noch nicht proclamiert war, sondern es erst am folgenden Morgen werden sollte, so wußte doch bereits Jeder, daß dies die einzuführende Regierungsform sein würde.
Bei der Annäherung an die Toledostraße verdüsterte sich das Schauspiel ein wenig.
Hier begann die Reihe der niedergebrannten oder der Plünderung preisgegebenen Häuser.
Die ersten waren weiter nichts mehr als ein qualmender Trümmerhaufen, die andern ohne Thüren, ohne Fenster, ohne Läden mit ihren auf dem Pflaster aufgethürmten zerschlagenen Möbeln gaben einen Begriff von dem, was dieses Lazzaroniregiment gewesen, und besonders von dem, was es geworden wäre, wenn es noch einige Tage länger gedauert hätte.
An verschiedenen Punkten, wo man die Todten und die Verwundeten niedergelegt und wo auf den das Straßenpflaster bildenden Steinplatten große Blutflecken zu sehen waren, hielten mit Sand beladene Wagen, und mit Schaufeln versehene Männer warfen den Sand von den Wagen herab, während andere mit Rechen denselben gleichmäßig glatt strichen, wie in Spanien die Diener des Circus thun, wenn die Leichen der Stiere, der Pferde und zuweilen auch der Menschen aus der Arena hinweggeschafft werden.
Auf dem Platze des Mercatello ward das Schauspiel ein noch traurigeres. Vor dem cirkelrunden Platze am Jesuitencollegium hatte man eine Ambulanz errichtet, und während man Spottlieder auf die Königin sang, Feuerwerke abbrannte und Flintenschüsse in die Luft abfeuerte, riß man unter Wuthgeschrei eine unter dem Porticus stehende Statue Ferdinands des Ersten nieder und räumte die letzten Leichen hinweg.
Luisa wendete seufzend die Augen ab und ging vorüber.
Unter dem weißen Thore stand noch eine halb demolierte Barricade und gegenüber, an der Ecke der Strada San Pietro in Mazello, brannte ein Palast nieder und schleuderte, zusammenbrechend, Feuergarben gleich den Raketenbüscheln eines Kunstfeuerwerkes gegen Himmel.
Luisa schmiegte sich zitternd an Michele an. Und dennoch war ihre Angst mit einem Gefühl von freudigem Behagen gemischt, dessen Ursache sie sich selbst nicht zu erklären wußte.
So wie sie sich der alten Kirche näherte, ward ihr Schritt immer leichter und die Engel, welche den heiligen Januarius in den Himmel emporgetragen, schienen ihr ihre Schwingen geliehen zu haben, um sie die Stufen emporzutragen, welche von der Straße aus in das Innere des Tempels führen.
Michele geleitete Luisa in einen der dunkelsten Winkel des Gebäudes, stellte einen Stuhl vor sie hin und stellte einen zweiten neben den ersten; dann sagte er zu ihr:
»Bete; ich komme sogleich wieder.«
Mit diesen Worten eilte er aus der Kirche hinaus.
Er hatte Salvato Palmieri träumend an einer der Säulen gelehnt zu erkennen geglaubt. Er ging auf ihn zu. Es war wirklich Salvato.
»Kommen Sie mit mir, Herr Commandant,« sagte er zu ihm. »Ich habe Ihnen etwas zu zeigen, was, wie ich gewiß weiß, Ihnen Vergnügen machen wird.«
»Du weißt,« antwortete ihm Salvato, »daß ich meinen Posten nicht verlassen kann.«
»Das ist auch nicht nöthig.«
»Wie so?« fragte Salvato.
Michele gab keine Antwort, sondern schritt voran, während Salvato ihm neugierig folgte.
Sie gingen in die Kathedrale hinein und bei dem Scheine der Lampe, die auf dem Chor brannte und die wenigen Andächtigen sichtbar machte, welche gekommen waren, um hier ihre nächtlichen Gebete zu verrichten, zeigte Michele auf eine junge Frau, welche mit der tiefen Sammlung liebender Seelen betete.
Salvato stutzte.
»Sehen Sie?« fragte Michele, mit dem Finger zeigend.
»Was denn?«, fragte Salvato.
»Diese Frau, die so andächtig betet.«
»Nun, und?«
»Nun, Herr Commandant, während ich an Ihrer Statt, und zwar gewissenhaft wachen werde, knien Sie dort neben jene junge Frau nieder. Ich weiß selbst nicht, was mich auf den Gedanken bringt, aber ich glaube, sie wird Ihnen gute Nachrichten von meinem Schwesterchen Luisa mittheilen.«
Salvato betrachtete Michele mit Erstaunen.
»Gehen Sie! Gehen Sie doch!«, sagte Michele, ihn vorwärts schiebend.
Salvato that, was Michele ihm sagte; ehe er aber niederknien konnte, drehte sich Luisa bei dem Geräusche seines Trittes, den sie erkannt, herum, und ein schwacher, halb durch die Majestät des geheiligten Ortes zurückgehaltener Schrei entrang sich der Brust der beiden Liebenden.
Bei diesem unaussprechliches Glück verrathenden Schrei, welcher Michele verkündete, daß Alles seinen Absichten gemäß gelungen war, war die Freude des Lazzarone so groß, daß er trotz der neuen Würde, womit er bekleidet war, trotz der Majestät des Ortes, welche Salvato und Luisa bewogen, ihren doppelten Liebesruf in einem Gebete erlöschen zu lassen, sobald er aus der Kirche hinaus war, eine Reihe von Harlekinssprüngen ausführte, die zu denen, welche er gemacht, als er Affunta verließ, ein würdiges Seitenstück bildeten.
Wenn man dieses Verfahren Micheles, welches den Zweck hatte, die beiden Liebenden einander zu nähern, unbekümmert darum, ob er, indem er sie glücklich machte, nicht zugleich das Glück eines Dritten erschütterte, vom Standpunkte unserer Moralität aus betrachtet, so wird man darin allerdings etwas Unüberlegtes und sogar Tadelnswerthes finden.
Die Moralität des neapolitanischen Volkes ist aber nicht so empfindlich wie die unsere, und wer Michele gesagt hätte, daß er eine zweifelhafte Handlung begangen, würde ihn in großes Erstaunen gesetzt haben, denn er war vielmehr überzeugt, daß er die schönste That seines Lebens vollführt.
Vielleicht hätte er geantwortet, daß er, indem er den beiden Liebenden eine erste Zusammenkunft in einer Kirche verschafft, eben dadurch, indem er sie genöthigt, sich innerhalb der Grenzen des strengsten Anstandes zu halten, das beseitigt habe, was das Alleinsein, die Isolierung, die Dunkelheit an jedem andern Orte Verlockendes und Gewagtes gehabt haben könnten.
Wir sind es aber der strengen Wahrheit schuldig, zu erklären, daß der wackere Junge daran nicht einmal gedacht hatte.