Kitabı oku: «Jugendgerichtsgesetz», sayfa 45

Yazı tipi:

2. Umfang der schädlichen Neigungen

8

Vorrangiger Maßstab für die Beurteilung des für die Jugendstrafe erforderlichen Umfangs der schädlichen Neigungen ist nach der Fassung des Gesetzes die Führung des Jugendlichen während der Bewährungszeit (s. Rn. 7). Dabei ist der Richter nicht an die Berichte des Bewährungshelfers oder der Jugendgerichtshilfe gebunden, sondern hat im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) alle in Betracht kommenden Erkenntnisquellen auszuschöpfen. Das während der Bewährungszeit gezeigte Verhalten muss im Wege einer Gesamtwürdigung den sicheren Schluss (vgl. § 27 Rn. 9) darauf zulassen, dass schädliche Neigungen in einem Umfang vorlagen, der Jugendstrafe erforderlich macht. Verstöße gegen Weisungen oder Auflagen (§ 29 S. 2) genügen für sich genommen nicht zur Verhängung einer Jugendstrafe (s. Rn. 9; allg.M.). Eine während der Bewährungszeit begangene Straftat hindert nicht grundsätzlich die Tilgung des Schuldspruchs (BGHSt 9, 161, 162; s. Rn. 9; a.A. aus erzieherischen Gründen M/R/T/W-Meier Rn. 7). Wurde ein Strafverfahren wegen einer während der Bewährungszeit begangenen Tat gem. § 153a StPO eingestellt, so darf das Gericht die Verhängung der Jugendstrafe nach Abs. 1 nicht allein darauf stützen, dass der Angeklagte dieser Einstellung zugestimmt und seine Schuld damit eingeräumt habe, während ansonsten eine weitere Sachverhaltsprüfung unterblieben ist (BVerfG StV 1996, 163 f.).

9

Die vorgeschriebene Gesamtwürdigung der während der Bewährungszeit neu hervorgetretenen Umstände müssen den Schluss darauf zulassen, dass die in dem Schuldspruch missbilligte Tat auf schädliche Neigungen in dem für die Jugendstrafe erforderlichen Umfang zurückzuführen ist. Dieser hat keinen eigenen Unrechtsgehalt, sondern ist im Nachverfahren nur dann Grundlage der Jugendstrafe, wenn er in innerem Zusammenhang mit der gem. § 27 abgeurteilten Tat steht. Betraf der Schuldspruch nach § 27 z.B. einen Diebstahl des Jugendlichen und war die während der Bewährungszeit begangene strafbare Handlung etwa ein Verkehrsvergehen, oder liegen sonst die aufeinanderfolgenden Straftaten auf wesentlich verschiedenen Gebieten, so ist gleichwohl denkbar, dass der Jugendrichter den Schuldspruch trotz der neuen Straftat tilgt (BGHSt 9, 162).

10

Dieser für die Verhängung von Jugendstrafe erforderliche Umfang der schädlichen Neigungen zum Zeitpunkt der nach § 27 abgeurteilten Tat muss sich während der Bewährungszeit herausgestellt haben. Er muss mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit feststehen (s. § 27 Rn. 9). Verbleiben daran nach Ablauf der Bewährungszeit begründete Zweifel, die auch nicht im Wege einer weiteren Aussetzung der Entscheidung über die Verhängung der Strafe (§ 62 Abs. 3) beseitigt werden können, so sind diese zu Gunsten des Verurteilten aufzulösen (SchlHOLG NJW 1958, 34).

11

Aus den vorgenannten Ausführungen (Rn. 8–10) folgt, dass es für das Vorliegen der schädlichen Neigungen auf den Zeitpunkt der Entscheidung nach § 27 ankommt (so im Erg. wohl auch Jaglarz NStZ 2015, 191 ff.), denn allein der Behebung dieser Unsicherheit hinsichtlich des Vorliegens schädlicher Neigungen (s. § 27 Rn. 6, 9) dient das gesamte Nachverfahren bis zur Entscheidung nach § 30.

3. Strafzumessung

12

Steht fest, dass die abgeurteilte Straftat auf schädliche Neigungen in dem Umfang zurückzuführen ist, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist, so muss der Richter auf Jugendstrafe erkennen. Ein Ermessen verbleibt ihm insoweit nicht. Die Strafzumessung folgt den allgemeinen Kriterien (§ 5 Abs. 2, §§ 17, 18). Es ist auf die Strafe zu erkennen, die im Zeitpunkt des Schuldspruchs nach § 27 bei sicherer Beurteilung der schädlichen Neigungen ausgesprochen worden wäre. Damit scheidet eine strafschärfende Berücksichtigung von Fehlverhalten während der Bewährungszeit, gleichviel ob es sich um Verstöße gegen Auflagen und Weisungen (§ 29), sonstige schlechte Führung oder um neue Straftaten handelt, aus (BT-Drucks. 1/3264 v. 31.3.1952, S. 43). Die Gegenmeinung (Ostendorf § 30 Rn. 5) lässt sich nicht mit dem Gesetz vereinbaren. Grundlage für die Verhängung der Jugendstrafe bleibt damit die im Schuldspruch nach § 27 rechtskräftig festgestellte Straftat. Das Fehlverhalten des Jugendlichen während der Bewährungszeit darf nur (und muss) insoweit Berücksichtigung finden, als es einen Schluss auf den für die Jugendstrafe erforderlichen Umfang der schädlichen Neigungen zulässt (BT-Drucks. 1/3264, S. 43; h.M.). Die Anrechnung von Untersuchungshaft erfolgt nach Maßgabe des § 52a. Während der Bewährungszeit gem. § 29 S. 2, § 23 Abs. 1 S. 4, § 11 Abs. 3 verhängter Ungehorsamsarrest wird nicht angerechnet, da er keine Reaktion auf die Straftat, sondern nur eine Beugemaßnahme zur Befolgung der gem. § 29 S. 2 angeordneten Maßnahmen ist (s. § 11 Rn. 11 f.; Brunner/Dölling § 30 Rn. 4). War mit der Entscheidung nach § 27 Jugendarrest verbunden worden, so ist er gemäß Abs. 1 S. 2 voll auf die verhängte Jugendstrafe anzurechnen, soweit er verbüßt wurde. Das Gesetz hat sich damit für eine Art Vollstreckungslösung entschieden mit der Folge, dass eine Berücksichtigung des Umstandes, dass der Betroffene einen Jugendarrest verbüßt hat, bei der Strafzumessung als solcher nicht in Betracht kommt. In eine Entscheidung nach § 30 kann eine anderweitige Verurteilung nicht nach § 31 Abs. 2 einbezogen werden, da im Nachverfahren ausschließlich darüber zu befinden ist, ob in der abgeurteilten Straftat schädliche Neigungen in einem die Jugendstrafe erfordernden Umfang hervorgetreten sind. Zur Frage der Strafzumessung, wenn sich im Zuge des Nachverfahrens herausstellt, dass der nach § 27 rechtskräftig Verurteilte zur Tatzeit in Wahrheit Erwachsener war, s. Rn. 4.

4. Strafaussetzung zur Bewährung

13

Die gem. § 30 verhängte Jugendstrafe kann nach dem 1. JGGÄndG nunmehr auch zur Bewährung ausgesetzt werden. Damit hat der Gesetzgeber einer immer wieder erhobenen Forderung von Wissenschaft und Praxis entsprochen, die das Aussetzungsverbot des § 30 Abs. 1 S. 2 a.F. als kriminalpolitisch bedenklich und als mit der im Jugendstrafrecht gebotenen Flexibilität des Maßnahmekatalogs unvereinbar bezeichnet hat (BT-Drucks. 11/5829, S. 21/22; zu dem durch die Neufassung des Gesetzes nunmehr überholten Meinungsstreit vgl. etwa BGHSt 31, 255 ff.). Mit der Möglichkeit, nunmehr auch die gem. § 30 verhängte Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen, dürfte auch ein wesentliches Hindernis für die Anwendung des § 27 in der Praxis beseitigt sein.

IV. Tilgung des Schuldspruchs (Absatz 2)

14

Liegen die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 nach Ablauf der Bewährungszeit nicht vor, wird der Schuldspruch getilgt (Absatz 2). Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 liegen dann nicht vor, wenn mit der gebotenen Sicherheit (s. § 27 Rn. 9) feststeht, dass in der abgeurteilten Straftat schädliche Neigungen nicht in dem Umfang hervorgetreten sind, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist oder begründete Zweifel hieran bestehen (s. Rn. 10). In diesen Fällen muss der Schuldspruch getilgt werden. Die Anordnung von Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln ist unzulässig, auch wenn eine erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen nach wie vor erforderlich wäre (s. Rn. 2). Liegen Verfahrenshindernisse vor, so wird nicht der Schuldspruch getilgt, sondern das gesamte Verfahren eingestellt (s. Rn. 6). Ergibt eine während der Bewährungszeit durchgeführte Hauptverhandlung nicht, dass eine Jugendstrafe erforderlich ist (§ 30 Abs. 1), so wird die Entscheidung über die Verhängung der Strafe durch Beschluss weiter ausgesetzt (§ 62 Abs. 3).

15

Die Tilgung des Schuldspruchs darf auch dann erst nach Ablauf der Bewährungszeit erfolgen, wenn sich in einer Hauptverhandlung bereits während der Bewährungszeit herausstellen sollte, dass schädliche Neigungen in dem erforderlichen Umfang nicht vorliegen (Dallinger/Lackner § 30 Rn. 17; Brunner/Dölling § 30 Rn. 5; Eisenberg § 30 Rn. 22, 23; a.A. SchlHOLG NJW 1958, 34; Nothacker S. 200; Ostendorf § 30 Rn. 6). Dies ergibt sich zwingend aus § 62 Abs. 3 sowie daraus, dass der Gesetzgeber mit der Mindestdauer der Bewährungszeit (§ 28) in Verbindung mit § 62 Abs. 3 sicherstellen wollte, dass eine ausreichende Zeit zur Erforschung der Persönlichkeit des Jugendlichen wie auch zur erzieherischen Einwirkung zur Verfügung steht. Zulässig und geboten ist es indessen, die Bewährungszeit zu verkürzen (§ 28 Abs. 2 S. 2), wenn sich auf Grund makelloser Führung des Jugendlichen herausstellt, dass schädliche Neigungen voraussichtlich verneint werden können und eine Tilgung des Schuldspruchs in Betracht kommt. Eine Tilgung des Schuldspruchs vor Ablauf eines Jahres Bewährungszeit kommt dagegen aus Rechtsgründen (§ 28 Abs. 1) nicht in Betracht.

V. Verfahren und Rechtsbehelfe

16

Für das Verfahren und die Rechtsbehelfe gelten die §§ 62, 63, 55. Zuständig ist ausschließlich der Richter, der die Entscheidung nach § 27 getroffen hat (§ 62 Abs. 4, 58 Abs. 3 S. 1). Die Zuständigkeit darf nicht gem. § 58 Abs. 3 S. 2 übertragen werden (BGH NStZ 1999, 361 m.w.N.; StV 1998, 348; Neubacher/Bachmann NStZ 2013, 386 ff.; s. auch § 28 Rn. 5). Dies ergibt sich aus der Verweisung in § 62 Abs. 4, in der § 58 Abs. 3 S. 2 ausgenommen ist. Die solchermaßen begründete jugendrichterliche Zuständigkeit wirkt über § 47a JGG im Nachverfahren auch dann fort, wenn sich vor oder im Zuge des Nachverfahrens herausstellt, das der als Jugendlicher Angeklagte im Zeitpunkt der Tatbegehung bereits Erwachsener war (OLG Hamm NStZ 2011, 527; s. auch Rn. 4) Die abschließende Entscheidung nach §§ 30, 62 ist aus rechtsstaatlichen Gründen und wegen des erzieherischen Gebots der Klarheit umgehend nach Ablauf der Bewährungszeit zu treffen. Verbleibende Zweifel dürfen nicht dazu führen, die Entscheidung hinauszuschieben. Der Urteilstenor lautet (vgl. auch § 54 Rn. 17): „Der Angeklagte wird wegen (...) (Bezeichnung der nach § 27 abgeurteilten Strafbestände) (...) zu einer Jugendstrafe von (...) verurteilt.“

17

Der Hinweis auf den rechtskräftigen Schuldspruch und die Darstellung des Urteils nach § 27 erfolgt erst in den Urteilsgründen. Wird der Schuldspruch getilgt, so lautet der Tenor: „Der Schuldspruch aus dem Urteil des (...) Gerichts (...) vom (...) wird getilgt.“

VI. Sonstiges

18

Hinsichtlich der Eintragung in das Zentralregister siehe § 13 Abs. 2, 3 BZRG und oben § 27 Rn. 22, sowie zu den Grundzügen des Strafregisterrechts außerdem eingehend § 97 Rn. 8 ff. Hinsichtlich der Kosten gelten die Ausführungen zu § 27 Rn. 22 entsprechend. Ein Sicherungshaftbefehl nach § 453c StPO während des Laufs der Bewährungszeit kommt nicht in Betracht. Ein nach der Entscheidung nach § 27 zu erlassender Haftbefehl richtet sich nach den allgemeinen Voraussetzungen der §§ 112 ff. StPO (s. § 62 Rn. 17). Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Entschädigung nach § 8 Abs. 1 StrEG s. Eisenberg GA 2004, 387.

Siebenter Abschnitt Mehrere Straftaten

Inhaltsverzeichnis

§ 31 Mehrere Straftaten eines Jugendlichen

§ 32 Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen

§ 31 Mehrere Straftaten eines Jugendlichen

(1) 1Auch wenn ein Jugendlicher mehrere Straftaten begangen hat, setzt das Gericht nur einheitlich Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe fest. 2Soweit es dieses Gesetz zulässt (§ 8), können ungleichartige Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel nebeneinander angeordnet oder Maßnahmen mit der Strafe verbunden werden. 3Die gesetzlichen Höchstgrenzen des Jugendarrestes und der Jugendstrafe dürfen nicht überschritten werden.

(2) 1Ist gegen den Jugendlichen wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig die Schuld festgestellt oder eine Erziehungsmaßregel, ein Zuchtmittel oder eine Jugendstrafe festgesetzt worden, aber noch nicht vollständig ausgeführt, verbüßt oder sonst erledigt, so wird unter Einbeziehung des Urteils in gleicher Weise nur einheitlich auf Maßnahmen oder Jugendstrafe erkannt. 2Die Anrechnung bereits verbüßten Jugendarrestes steht im Ermessen des Gerichts, wenn es auf Jugendstrafe erkennt. 3§ 26 Absatz 3 Satz 3 und § 30 Absatz 1 Satz 2 bleiben unberührt.

(3) 1Ist es aus erzieherischen Gründen zweckmäßig, so kann das Gericht davon absehen, schon abgeurteilte Straftaten in die neue Entscheidung einzubeziehen. 2Dabei kann es Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittel für erledigt erklären, wenn es auf Jugendstrafe erkennt.

Kommentierung

I.Allgemeines1 – 10

1.Anwendungsbereich1

2.Normzweck2 – 6

3.Systematik7

4.Auslieferungsrecht8, 9

5.Reform10

II.Mehrere Straftaten in einem Verfahren (Absatz 1)11 – 15

1.Entscheidung durch Urteil12, 13

2.Rechtsfolgen14, 15

III.Einbeziehung früherer Entscheidungen (Absatz 2)16 – 55

1.Anforderungen an die einzubeziehende Entscheidung17 – 24

a)Rechtskräftiges Urteil17 – 19

b)Jugendarrest wegen Nichtbefolgung (Beschlussarrest)20, 21

c)Ketteneinbeziehungen22, 23

d)Ordnungswidrigkeiten24

2.Keine Erledigung25 – 27

a)Erledigung bei einzelnen Rechtsfolgen26

b)Maßgeblicher Zeitpunkt27

3.Wirkungen der Einbeziehung28 – 38

a)Bindungswirkung28, 29

b)Unvollständige Rechtsfolgenerwägungen30

c)Folgewirkungen31 – 38

4.Festsetzung der einheitlichen Rechtsfolge39 – 48

a)Unabhängige Rechtsfolgenbemessung39

b)Mildere Sanktionierung40

c)Straftaten in verschiedenen Altersstufen41

d)Berücksichtigung (teilweise) verbüßter Sanktionen42 – 46

e)Härteausgleich47

f)Anrechnung von U-Haft48

5.Abfassung des Urteils49 – 52

6.Verfahren53 – 55

a)Zuständigkeiten53

b)Notwendige Verteidigung54

c)Sonstiges55

IV.Absehen von der Einbeziehung (Absatz 3)56 – 66

1.Zweckmäßigkeit aus erzieherischen Gründen56, 57

2.Fallkonstellationen58 – 64

a)Kein „Freibrief“ für weitere Straftaten59

b)Ermöglichung der Strafaussetzung zur Bewährung60

c)Fehlende erziehungspsychologische Vergleichbarkeit der Taten61

d)Keine wesentliche Bedeutung der neuen Taten62

e)Funktionslosigkeit früherer Maßnahmen63

f)Umgehung der Koppelungsverbote des § 864

3.Gesetzliche Höchstdauer von Jugendstrafe und Jugendarrest65, 66

V.Rechtsbehelfe67 – 74

1.Keine Überprüfung der einbezogenen Tatsachenfeststellungen67

2.Unterlassene Einbeziehung68 – 72

a)Verweis auf das Nachtragsverfahren69

b)Umfang der Anfechtung70

c)Erstmalige Einbeziehung durch Berufungsgericht71

d)Reformatio in peius72

3.Teilanfechtung bei einheitlicher Ahndung73

4.Fehlerhafte Einbeziehung74

Literatur:

v. Beckerath Jugendstrafrechtliche Reaktionen bei Mehrfachtäterschaft, 1997; Böhm Anmerkung zu BGH, StV 1986, 70; Frisch Zur Einheitsstrafe des § 31 JGG, NJW 1959, 1669; Potrykus Zur Einbeziehung im Jugendstrafrecht (§ 31 JGG), NJW 1959, 1064 ff.; Ranft Zur Frage der Strafenkumulation im Jugendstrafrecht, Jura 1990, 463 ff.; Schweckendieck Zur Anwendbarkeit von § 31 II JGG in der Berufungsinstanz, NStZ 2005, 141 f.; Seiser Die Untergrenze der Einheitsjugendstrafe nach Einbeziehung eines früheren Urteils, NStZ 1997, 374 ff.; Wohlfahrt Die einheitliche Rechtsfolgenentscheidung im Jugendstrafrecht, insbesondere im Falle von mehreren Taten in verschiedenen Altersstufen, StraFo 2019, 265 ff.

I. Allgemeines

1. Anwendungsbereich

1

§ 31 gilt für Jugendliche, und zwar auch dann, wenn vor einem für allgemeine Strafsachen zuständigen Gericht verhandelt wird (§ 104 Abs. 1 Nr. 1). Die Vorschrift gilt auch für Heranwachsende, wiederum sowohl vor den Jugendgerichten als auch den Erwachsenengerichten, allerdings nur, wenn Jugendstrafrecht Anwendung findet (§§ 105 Abs. 1, 112 S. 1, 104 Abs. 1 Nr. 1).

Die Bestimmung aus dem Einigungsvertrag (Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet C [Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht], Abschnitt III 3c), wonach § 31 mit der Maßgabe galt, dass an die Stelle des Wortes „Zuchtmittel“ jeweils die Worte „Verwarnung, Erteilung von Auflagen und Jugendarrest“ treten, ist nicht mehr anzuwenden (Art. 109 Nr. 1b Gesetz über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vom 8.12.2010 [BGBl. I 1864, S. 1880]; vgl. Brunner/Dölling § 1 Rn. 15).

2. Normzweck

2

Das allgemeine Strafrecht geht beim Zusammentreffen von mehreren Gesetzesverletzungen vom „Differenzierungsprinzip“ aus. Beruhend auf der Unterscheidung zwischen Handlungseinheit und Handlungsmehrheit stellt das Strafgesetzbuch in Form der Tateinheit (§ 52 StGB, Idealkonkurrenz) und der Tatmehrheit (§ 53 StGB, Realkonkurrenz) zwei unterschiedliche Methoden für die Rechtsfolgenbestimmung bei mehreren Gesetzesverletzungen zur Verfügung. Im Falle der Tateinheit wird nur auf eine Strafe erkannt, die sich nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht (§ 52 Abs. 1, 2 StGB). Bei einer Mehrzahl von selbstständigen Straftaten, also bei Tatmehrheit, hält der Gesetzgeber demgegenüber eine höhere Schuld für gegeben. Diesem Umstand soll durch ein anderes Verfahren bei der Bildung der Strafe Rechnung getragen werden, nämlich dadurch, dass unter den Voraussetzungen der §§ 53–55 StGB auf eine Gesamtstrafe zu erkennen ist. Dabei wird zunächst für jede Tat eine Einzelstrafe innerhalb des für sie anwendbaren Strafrahmens zugemessen (Fischer § 54 Rn. 4). Die verwirkte höchste Einzelstrafe, die sog. Einsatzstrafe, ist sodann in einem gesonderten Akt der Strafzumessung gem. § 54 Abs. 1 S. 2 StGB – unter Beachtung der doppelten Obergrenze des § 54 Abs. 2 StGB – zu erhöhen.

3

Diese Regelung des StGB wäre im Jugendstrafrecht verfehlt. Das Jugendstrafrecht ist eher Täterstrafrecht als Tatstrafrecht: Gegenstand der jugendstrafrechtlichen Reaktion sind weniger die einzelnen Taten und der insoweit zuzumessende Tatschuldausgleich, als vielmehr die Persönlichkeit und die Erziehungsbedürfnisse des Angeklagten (Schaffstein/Beulke/Swoboda Rn. 281; Streng Jugendstrafrecht, Rn. 266; Albrecht S. 151 f.). Dementsprechend gelten auch die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts nicht (§ 18 Abs. 1 S. 3). Eine isolierte und retrospektive Taxierung der einzelnen Straftaten wäre in einem am Erziehungsgedanken ausgerichteten Jugendstrafrecht auch weder möglich noch sinnvoll. Das JGG geht stattdessen vom derzeitigen Entwicklungsstand des Jugendlichen oder Heranwachsenden aus und knüpft hieran – zukunftsorientiert – eine einheitliche Rechtsfolge nach Maßgabe des erzieherisch erforderlichen Einwirkungsbedarfs (Böhm/Feuerhelm S. 156 f.). Dies schließt nicht aus, dass bei der Auswahl und der Bemessung der einheitlichen Rechtsfolge im Rahmen des erzieherisch Zweckmäßigen berücksichtigt wird, dass ggf. auf mehrfaches Unrecht reagiert werden muss (Schaffstein/Beulke/Swoboda Rn. 281; Streng Jugendstrafrecht, Rn. 268; Laubenthal/Baier/Nestler Rn. 496).

4

Zentrale Vorschrift für dieses jugendstrafrechtliche Einheitsprinzip (Prinzip der einheitlichen Maßnahme) ist § 31. Diese Norm regelt die Rechtsfolgenfestsetzung beim Zusammentreffen mehrerer (realkonkurrierender) Straftaten vollständig abweichend vom StGB. Ohne Rücksicht auf die Zahl der Gesetzesverletzungen und die Art ihres Zusammentreffens soll hinsichtlich der Rechtsfolge einheitlich entschieden werden, allein orientiert an der Person des Täters und dem Umfang der erzieherisch gebotenen Beeinflussung. Indem die Regelung auf ein unabgestimmtes, spezialpräventiv in der Regel wenig förderliches Nebeneinander verschiedener Sanktionen verzichtet, schafft sie die Voraussetzung für eine erzieherisch günstige Einwirkung auf den Jugendlichen (BT-Drucks. 7/550, S. 332 f.; Schaffstein/Beulke/Swoboda Rn. 281; Streng Jugendstrafrecht, Rn. 266). Daher gilt sie bei einem Heranwachsenden, auf den Jugendstrafrecht (§ 105 Abs. 1) anzuwenden ist, auch dann, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist (§ 105 Abs. 2; vgl. unten Rn. 41 und § 32 Rn. 2, 10 ff.).

5

§ 31 tritt damit bei Realkonkurrenz hinsichtlich der Rechtsfolgen als lex specialis an die Stelle der allgemein-strafrechtlichen Vorschriften der §§ 53–55 StGB. In Fällen der Idealkonkurrenz (vgl. § 52 StGB) gilt zwar ebenfalls das Prinzip der einheitlichen Maßnahme. Allerdings bedarf es insoweit der Regelung des § 31 nicht, da es ein Gesetz, welches die schwerste Strafe androht (vgl. § 52 Abs. 2 S. 1 StGB), im Jugendstrafrecht wegen § 18 Abs. 1 S. 3 nicht gibt (Schaffstein/Beulke/Swoboda Rn. 280). Vielmehr ordnet in diesen Fällen bereits § 5 eine einheitliche jugendstrafrechtliche Sanktion an, indem er auf die „Straftat“ und nicht auf die Anzahl der Gesetzesverletzungen abstellt (Eisenberg § 31 Rn. 3; Ostendorf § 31 Rn. 4).

6

Der Urteilstenor muss gleichwohl ausweisen, ob die Taten tateinheitlich oder tatmehrheitlich begangen wurden; nur insofern sind die §§ 52, 53 StGB sowie die Unterscheidung zwischen Tateinheit und Tatmehrheit auch im Jugendstrafrecht von Bedeutung (vgl. § 54 Rn. 11).