Kitabı oku: «Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis», sayfa 4
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Ray Neverio keuchte. Eine zierliche Asiatin saß rittlings auf ihm. Sie war nackt. Das blauschwarze Haar hing über ihre mittelgroßen, festen Brüste.
Die junge Frau ließ das Becken kreisen.
Neverio atmete schneller.
"Hey, mach dein Haar nach hinten! Ich will deine Brüste sehen!", keuchte er. Dann fiel ihm wieder ein, dass die junge Asiatin kein Englisch verstand. Nicht ein einziges Wort. Darauf achtete Neverio immer. Er ließ sich regelmäßig Girls über einen Zuhälter in Chinatown vermitteln. Yu Lee-Kwan war sein Name. Yu achtete darauf, Neverios Sonderwünsche genau zu erfüllen. Der wichtigste war: Die Girls, mit denen er im Bett herumtobte, durften so wenig wie möglich von dem verstehen, was geredet wurde. Für Neverio war wichtig, dass sie keinerlei Geheimnisse verraten konnten. So kamen eigentlich nur Frauen in Frage, die gerade ins Land gekommen waren. Auf welchen illegalen Wegen auch immer.
Die junge Asiatin sagte etwas in einer Sprache, von der Neverio nicht ein einziges Wort verstand.
"Halt schon den Mund, Baby - und mach weiter!", keuchte er. Die Kleine war wirklich gut.
Schon länger hatte keines der Girls, die Mister Yu ihm geschickt hatte, ihn so begeistert.
"Ja, los! Gib mir den Rest!", keuchte er.
Sie beugte sich zu ihm hinunter. Neverio bemerkte ein kaltes, katzenhaftes Glitzern in ihren Augen.
Ihre Haare kitzelten auf seiner Brust.
Mit den Augenwinkeln sah Ray Neverio den breiten goldenen Ring an ihrer rechten Hand. Es hatte Neverio von Anfang an irritiert, dass sie den Ring am Mittelfinger trug. Plötzlich wusste er den Grund.
Um mehr Kraft zu haben, durchzuckte es Neverio.
Eine Art Nadel klappte aus dem Ring heraus.
Eisiger Schrecken durchfuhr Neverio.
Millimeter bevor das Girl ihm die feine Nadel in den Hals zu stechen vermochte, bekam er ihr Handgelenk zu fassen, bog es zur Seite. Das Girl schrie auf. Neverio stieß sie grob von sich. Der Stoß, den er ihr versetzte, war so kräftig, dass sie vom Bett herunterrutschte.
Mit katzenhafter Geschmeidigkeit rollte sich das nackte Girl auf dem Boden herum und stand nur eine Sekunde später schon wieder auf den Beinen.
Ihr Gesicht war zu einer Grimasse verzogen.
Sie hatte Kampfhaltung eingenommen.
Neverios Puls raste.
Verdammt, das war knapp, durchzuckte es ihn heiß. Es gab in New York kaum jemanden, der so gesichert wurde wie Ray Neverio, von dem jeder annahm, dass er nach Jack Scarlattis Tod der Stellvertreter des ins Ausland geflohenen Familienoberhaupts war.
Mehrere Dutzend Leibwächter schirmten ihn ab. Seine Etage in den Majestic Apartments wurde Zentimeter für Zentimeter elektronisch überwacht. Wer ihn umbringen wollte, musste sich schon etwas sehr Raffiniertes ausdenken.
Und genau das haben diese Bastarde aus Brooklyn getan, ging es Neverio voller Wut durch den Kopf. Die Girls, die Mister Yu ihm schickte, waren eine seiner wenigen Schwachstellen.
Die junge Asiatin stürzte sich wie eine Katze auf ihn.
Neverio reagierte, rollte sich blitzschnell zur Seite.
Körperlich war er der Kleinen haushoch überlegen. Aber er musste damit rechnen, dass die Nadel am Ring vergiftet war und ein winziger Kratzer oder Einstich schon ausreichte, um ihn zur Strecke zu bringen. Ein raffinierter Plan, dachte Neverio. Den Einstich hätte zunächst kaum jemand bemerkt. Vielleicht wäre sie nicht einmal dem Coroner bei der Obduktion aufgefallen. Die Chancen der Attentäterin, vollkommen unbehelligt das Majestic verlassen können zu können, waren gar nicht so schlecht.
Neverio stand etwas unschlüssig da.
Sein Sprechgerät auf dem Nachttisch konnte er nicht erreichen.
Der Weg war ihm durch diese wütende Wildkatze abgeschnitten.
Die junge Frau wusste ganz genau, dass sie ihr Gegenüber jetzt um jeden Preis töten musste, wollte sie lebend aus dieser Sache herauskommen.
Lautlos glitten ihre Füße über den Teppichboden.
"Hilfe! Robbie! Damon! Scheiße, wo seid ihr!"
Neverio wusste, dass seine Schreie zwecklos waren.
Er selbst hatte dafür gesorgt, dass sein Schlafzimmer mehr oder weniger schalldicht isoliert war. Er liebte es nämlich, wenn Frauen besonders laut beim Sex waren.
Das Girl lauerte auf ihn.
Neverio griff nach einer gusseisernen, abstrakten Plastik, die im Regal stand.
Etwa dreißig Zentimeter hoch war die Plastik, die aussah, als hätte jemand mit erkaltendem Kunststoff experimentiert.
Neverio schleuderte ihr das Kunstwerk entgegen.
Das Girl duckte sich. Die Plastik prallte mit voller Wucht gegen die Wand, hinterließ dort einen deutlich sichtbaren Abdruck.
Das Girl umrundete das Bett.
"Das nützt dir alles nichts!", zischte sie.
Offenbar sprach sie sehr gut Englisch. Neverio konnte jedenfalls keinerlei Akzent ausmachen.
"Hör zu. Wir können über alles reden!", zeterte der Mafioso. "Ich zahle dir das Doppelte von dem, was diese Scheißkerle dir geboten haben!"
"Halt den Mund, du Weichei!"
Wie die Pranke einer Raubkatze ließ sie die rechte Hand vorschnellen. Neverio wich ihr aus. Haarscharf glitt die Hand der Asiatin an ihm vorbei.
Neverio versetzte ihr einen Tritt.
Er traf sie in der Körpermitte. Sie taumelte zurück.
Diesen Moment nutzte Neverio.
Er hechtete über das Bett, rollte sich ab und griff zu dem Knopf, der das Sprechgerät auf dem Nachttisch aktivierte.
"Robbie! Schnell! Die Kleine will mich kalt machen!"
Sekunden später flog die Tür zur Seite.
Ein breitschultriger Kerl mit Stiernacken und Kurzhaarschnitt stand breitbeinig da. Er hielt eine Automatik im Beidhandanschlag, ließ den Lauf der Waffe seitwärts wirbeln und feuerte.
Vier Schüsse trafen das nackte Girl innerhalb von zwei Sekunden. Der Körper der jungen Frau zuckte wie eine Marionette. Blutüberströmt sank sie zu Boden und blieb reglos liegen.
Neverio atmete tief durch.
"Alles in Ordnung, Boss?", fragte der Bodyguard.
Neverio nickte knapp. Er begann sich hastig anzuziehen.
"Mister Yu kriegt was von mir zu hören, da kann er sich drauf verlassen", knurrte der neue Statthalter des "Großen Alten". Neverio deutete auf die Leiche der jungen Frau. "Wenn du den Dreck hier beseitigt hast, bringst du sie alle um!", kreischte er unbeherrscht. "Mister Yu genauso wie diese Hunde aus Brooklyn. Ich will sie alle tot sehen! Hörst du, Robbie! Ihr Blut soll die Straßen New Yorks überschwemmen!"
Robbies Gesicht blieb unbewegt.
Er steckte die Waffe weg.
"Eine Nachricht ist für Sie eingetroffen, Mister Neverio. Aus Marokko."
"Vom Großen Alten?"
"Ja. Kam über das Internet."
Neverios Blick veränderte sich von einem Augenblick zum anderen. Er wirkte wieder stocknüchtern und absolut kontrolliert.
"Mal sehen, was der Alte wieder zu maulen hat", murmelte er düster.
8
Wir blieben noch einige Stunden in der Bronx. Die Kollegen der City Police suchten in Zusammenarbeit mit einem guten Dutzend G-men die Gegend nach dem Flüchtigen ab. Vergeblich. Er musste zu Fuß geflohen sein. Möglicherweise hatte er die Abwasserkanäle für seine Flucht benutzt. Jedenfalls blieb er unauffindbar. Die anderen Männer, die mit ihm zusammen versucht hatten, uns zu töten, wurden verhaftet und zur Federal Plaza gebracht. Dort warteten ausgedehnte Verhöre auf sie. Die nächsten Tage würden sie in den Gewahrsamszellen verbringen, die das Field Office New York für solche Fälle bereithielt. Zu irgendwelchen Aussagen waren sie nicht bereit. Ich hoffte nur, dass unsere Vernehmungsspezialisten sie davon überzeugen konnten, dass es sinnlos war, die gesamte Schuld auf sich zu nehmen. Diese Männer waren Teil einer kriminellen Organisation. Jemand hatte sie beauftragt, und unsere Aufgabe war es, hinter die Kulissen zu schauen.
Der verletzte Allan Tucoma war in das St. David Hospital in der 111. Straße gebracht worden, damit die Schussverletzung behandelt werden konnte. Rund um die Uhr würde er dort von NYPD-Kollegen bewacht werden. Wir hofften, dass auch er unseren Kollegen so schnell wie möglich für Vernehmungen zur Verfügung stand.
Inzwischen trafen auch Spurensicherer der Scientific Research Division ein. Möglicherweise fanden sie irgendwelche Hinweise, die uns weiter brachten.
Eine Spur hatten wir immerhin.
Sowohl Allan Tucoma als auch die Männer, die versucht hatten, ihn zu befreien, trugen die protzigen Goldkreuze um den Hals, die uns Larry Morton als Erkennungszeichen der Gang "Los Santos" genannt hatte. Goldkreuze, die statt eines Gekreuzigten Jesus ein gehörntes Gerippe zeigten.
"Die Kerle werden schweigen wie ein Grab, da kannst du Gift drauf nehmen", meinte unser Kollege Jay Kronburg.
"Genauso wie die Leute hier in der Gegend", ergänzte ich.
Jay nickte düster.
"Jeder von diesen selbsternannten Heiligen, den wir in die Finger kriegen, weiß doch ganz genau, dass seine Gangbrüder ihn kalt machen, wenn er sie verpfeift!"
Milo meldete sich zu Wort. "Meinst du, es hat Sinn, dass wir uns diesen Morton noch einmal vornehmen?"
"Der wird keinen Ton mehr sagen", war ich überzeugt.
Ein Sergeant der Scientific Research Division nahm sich gerade den Geländewagen vor, mit dem die "Santos" herangerauscht waren. Über den Radkästen befanden sich spezielle Kammern, gefüllt mit Munition und Handgranaten.
"Diese Heiligen sind ausgerüstet, als ob sie jemandem einen Krieg erklären wollten!", staunte Milo.
"Scheint als hätten sie sich mit dem Scarlatti-Clan auch einen mehr als gleichwertigen Gegner ausgesucht", meinte Jay. "Ich frage mich nur, ob die Killer aus Little Italy nicht eine Nummer zu groß für sie sind!"
"Ich würde mir gerne das Parkhaus ansehen, in dem die Roller-Skates-Rennen stattfinden sollen", sagte ich. Jay sah mich fragend an. "Morton berichtete davon", erklärte ich ihm. "Es soll sich ganz in der Nähe befinden."
"Wir sind mit einem Ford hier", mischte sich jetzt Leslie Morell ein. "Da passen wir alle vier hinein!"
Wenig später stiegen wir in den viertürigen Ford aus dem Fuhrpark der FBI-Fahrbereitschaft. Unser Kollege Leslie Morell saß am Steuer. Das Parkhaus hatten wir schnell gefunden. Graffitis prangten an den Betonwänden. Die Schranken waren demoliert. Ebenso die Automaten, die früher die Parktickets abgelesen hatten.
"Sag mal, was hoffst du hier eigentlich zu finden, Jesse?", fragte Milo.
"Keine Ahnung. Vielleicht hängen hier ein paar von den Kids herum, die alle nur davon träumen, endlich Mitglieder von der Santos-Gang zu werden."
"Und dafür vielleicht auch bereit wären einen Mafia-Boss umzubringen?"
"Zumindest würden sie dafür ein paar im Stau festsitzende Porschefahrer um ihre Brieftasche erleichtern!"
Jay Kronburg mischte sich in das Gespräch ein. "Diese Gegend ist doch wie ein Dorf, Jesse! Was glaubst du, wie schnell sich herumgesprochen hat, was in dem ehemaligen Supermarkt passierte! Und wer einen Funken Verstand hat, sieht zu, dass er von der Straße verschwindet!"
Leslie lenkte den Ford ins das Parkhaus hinein. Er fuhr mit aufheulendem Motor die Rampe empor.
"Bei einem dieser Roller-Skates Rennen wäre ich gern dabei", meinte ich. "Ich glaube nämlich, dass wir da genau die Typen treffen würden, die uns etwas über die Santos und ihre Hintermänner erzählen könnten."
"Fragt sich nur, ob von den Kids überhaupt jemand mit uns reden würde, Jesse!"
Der Ford erreichte das oberste Deck. Leslie trat auf die Bremse. Der Wagen stoppte. Wir stiegen aus. Man hatte von hier oben einen guten Blick über die gesamte Umgebung. Abgesehen von ein paar Gebäuden, die etwas höher waren und den Blick Richtung Norden versperrten.
Wir sahen uns um.
Manchmal sind es auch Kleinigkeiten, die festgefahrene Ermittlungen weiter bringen.
Auf dem Betonboden waren mit grellen Farben Bahnen markiert. Dazwischen immer wieder Graffiti. Sie bedeckten nicht nur den Boden, sondern auch die Betonpfeiler.
"Die Kids haben sich künstlerisch richtig viel Mühe gegeben", meinte Jay Kronburg, der sich gerade in Höhe der Startmarkierung befand. "Hier geht die Jagd also los. Und dann rasen sie wahrscheinlich bis unten in den dritten oder vierten Stock unter der Erde."
"Diese Verrückten", war Leslie Morells Kommentar. "Die müssen doch ein Wahnsinnstempo draufkriegen!"
"Wenn diese Roller-Skates-Gang hier öfter Rennen fährt, kann das kaum ohne Blessuren abgehen", meinte Milo. "Vielleicht sollen wir die umliegenden Kliniken mal nach Personen durchforsten, die wegen typischer Verletzungen behandelt wurden." Er zuckte die Schultern, machte ein ziemlich ratloses Gesicht dabei. "Das wäre zumindest ein Ansatzpunkt."
Mich interessierte ein Graffiti-Motiv, das mit einigem künstlerischen Geschick auf einen Betonpfeiler gesprüht worden war. Es zeigte Roller-Skates-Fahrer in hellen Western-Mänteln in voller Fahrt. Die Mäntel wehten hinter ihnen her.
"Hey, seht euch das mal an!", rief ich. "Kommt euch das nicht bekannt vor?"
Leslie Morell näherte sich, blieb schließlich im Abstand von zwei Metern hinter mir stehen.
"Wir sind hier also auf der richtigen Spur", stellte Leslie fest. "Ich fürchte trotzdem, dass wir hier kaum weiterkommen werden, Jesse!"
"Wieso?"
"Na überleg doch mal! Wollen wir uns hier vielleicht auf die Lauer legen und abwarten, bis diese Kerle mal wieder eines ihrer Rennen veranstalten? Die sind nicht dumm. Darum werden sie einfach nicht mehr herkommen, solange wir in der Nähe sind."
"Leslie hat Recht", war auch Jay Kronburgs Ansicht. "Und mit der Hilfe der Anwohner können wir hier wohl kaum rechnen."
Wir sahen uns noch etwas um.
Milo fand schließlich eine Patronenhülse auf dem Boden. Er hob sie auf, tütete sie für die Untersuchung im Labor ein. "Offenbar sind hier Schießübungen durchgeführt worden", sagte er.
"Oder da wollte nur jemand angeben", kommentierte ich den Fund. Jay telefonierte mit den Kollegen der Scientific Research Division, die mit dem Supermarkt sicher noch eine ganze Weile beschäftigt waren. Aber anschließend sollten sich die Spurensicherer auch einmal hier umsehen.
Wir stiegen in den Wagen, fuhren die Rampe hinunter. Sie war für eine Limousine relativ eng gewunden. Ein Roller-Skates-Rennen musste unter diesen Bedingungen geradezu halsbrecherisch sein.
"Lass uns auch die unteren Decks mal in Augenschein nehmen, Leslie!", wandte ich mich an meinen Kollegen am Steuer.
"Wenn du glaubt, dass das was bringt."
Drei Stockwerke tief grub sich das Parkhaus in die Tiefe.
In die ersten beiden unterirdischen Decks drang noch relativ viel Licht von oben. Im untersten Parkdeck herrschte weitgehend Dunkelheit. Offenbar stellte diese Tatsache für die Teilnehmer der Rennen einen besonderen Kick da.
Leslie schaltete die Beleuchtung des Ford ein.
Auf jedem Deck hielten wir und sahen uns kurz um.
Als wir das unterste erreichten, schlug uns ein moderiger Geruch entgegen. Möglicherweise war Wasser eingedrungen. Aber es gab niemanden, der sich darum kümmerte. Leslie stellte den Motor ab. Wir hatten Taschenlampen dabei, leuchteten damit etwas herum.
Nachdem Leslie den Motor abgestellt hatte, war es einige Augenblicke fast vollkommen still.
Eine dunkle Lache bedeckte Teile des Bodens. Wir fanden einen verstopften Abfluss. Der Betonboden war nicht ganz eben. Trübes, stinkendes Wasser sammelte sich in einer großen, knöcheltiefen Pfütze.
Jay Kronburg bemerkte sie nicht schnell genug, trat aus Versehen hinein.
"Verdammter Mist!", fluchte der Ex-Cop.
Aber da war noch ein anderes Geräusch, das sich in Jays Worte hineinmischte. Ich stutzte, ließ den Lichtkegel meiner Lampe kreisen und bemerkte eine frische dunkle Spur auf dem Asphalt. Sie führte aus der Pfütze heraus in die Schattenzone hinein.
Als ob jemand mit Roller-Skates durch die Feuchtigkeit gefahren ist!, durchfuhr es mich.
Ich griff nach meiner SIG.
"Hier ist das FBI! Kommen Sie mit erhobenen Händen raus! Es geschieht Ihnen nichts!", rief ich.
Die Kollegen sahen mich zunächst etwas verwirrt an. Mit der Linken ließ ich den Lichtkegel wandern, die Rechte umklammerte die SIG.
"Wir wissen, dass Sie hier sind!", rief ich.
Auch die Kollegen hatten inzwischen ihre Dienstwaffen in den Händen.
Wir lauschten.
Einige Sekunden lang geschah nichts.
Durch die Wasserspur hatte ich eine ungefähre Ahnung, wohin der Roller-Skates-Fahrer verschwunden war.
Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen.
Dann bewegte sich plötzlich jemand hinter einem der dicken Betonpfeiler.
Eine schattenhafte Gestalt raste durch die Dunkelheit. Roller-Skates kratzten über den Betonboden. Lichtkegel wirbelten und wurden schließlich von der Metallic-Schicht eines Schutzhelms reflektiert.
"Stehen bleiben!", rief Jay Kronburg und feuerte einen Warnschuss aus seinem 4.57er Magnum-Revolver ab. Das Schussgeräusch dieses Großkalibers war hier unten geradezu ohrenbetäubend. Es hallte mehrfach wider, hörte sich an wie eine ganze Salve. Mir war von Anfang an klar, dass der Roller-Skates-Fahrer sich davon kaum beeindrucken lassen würde. Ich setzte zu einem Spurt an, um ihm den Weg abzuschneiden. Selbst wenn er eine Schusswaffe bei sich hatte, so war er in voller Fahrt kaum in der Lage, gezielt zu schießen.
Ich erwischte ihn noch, rammte ihn. Er fiel ächzend zu Boden. Ich verlor ebenfalls das Gleichgewicht, rollte mich auf dem harten Beton ab und riss die SIG empor. Der Roller-Skates-Fahrer trug Arm- und Knieschützer. Außerdem einen Helm. Ihm konnte nicht viel passiert sein. Er starrte mich entgeistert an.
"Keine falsche Bewegung!", rief Milo, der ebenfalls herbeirannte.
Der Roller-Skates-Fahrer wirkte wie erstarrt.
Das Gesicht erschien mir recht jung.
Ich erhob mich. Meine Taschenlampe war mir bei dem Zusammenprall aus der Hand gefallen. Ich hob sie auf und ging auf den Kerl zu.
"Hey, was wollt ihr Scheiß-Typen von mir?"
Jay Kronburg hielt ihm seine ID-Card entgegen. Im Licht der Taschenlampen konnte der Roller-Skates-Fahrer sie auch ziemlich deutlich sehen. "Wir sind wirklich vom FBI. Und alles, was Sie von jetzt an sagen..."
"Fickt euch, ihr Arschlöcher!", unterbrach er uns mit heiserer Stimme.
Leslie durchsuchte ihn nach Waffen. Er fand ein Springmesser und einen 22er Revolver. Fünf Patronen steckten in der sechsschüssigen Trommel. Aber das Kaliber passte nicht zu der Patronenhülse, die wir gefunden hatten.
"Scheiße, das ist Privateigentum!", zeterte er.
"Das ist 'ne illegale Waffe!", widersprach ich. "Oder willst du mir erzählen, dass du sie angemeldet hast?"
Er spuckte aus, verdrehte die Augen.
Ich steckte meine SIG weg.
Den 22er würden wir im Labor untersuchen lassen. Aber bei dem Anschlag auf der Brooklyn Bridge war eine Waffe dieses Kalibers nicht benutzt worden.
Ich musterte den Gefangenen.
Wir hatten es mit einem halben Kind zu tun.
Ich schätzte sein Alter auf fünfzehn oder sechzehn Jahre.
Jay hatte die Handschellen parat. Ich schüttelte den Kopf.
"Ganz ruhig. Wir haben nur ein paar Fragen an dich", sagte ich.
"Ich habe nichts verbrochen! Ihr habt kein Recht mich festzunehmen!"
"Wie heißt du? Besser du sagst es uns, wir kriegen es sowieso heraus", sagte ich. "Und es hat wenig Sinn uns anzulügen, weil wir deine Angaben überprüfen werden."
Er atmete tief durch.
"Ich heiße Rico Jarmaine", erklärte er.
"Wie alt bist du?"
"18."
"Wir werden deine Fingerabdrücke nehmen und durch den Computer jagen. Dann finden wir außer einer Liste deiner Vorstrafen auch alle anderen Daten..."
"Okay, siebzehneinhalb!", gab er zu.
"Hier sollen Roller-Skates-Rennen stattfinden."
"Hier findet 'ne Menge statt!" Er grinste, schien sich langsam von dem Sturz zu erholen. "Ist 'ne prima Bahn. Solltet ihr auch mal probieren. Einmal von ganz oben bis hier unten in den Keller. Dazu muss man allerdings ein bisschen was drauf haben."
"Warum fahrt ihr nicht mit Inlinern?", fragte ich. Ich wollte ihn einfach zum Reden bringen. "Roller-Skates sind doch von gestern!"
"Letztes Jahr hat es mal einer mit Inlinern versucht. Er lag drei Monate im Koma, bevor man die Maschinen endlich abstellte und sterben ließ! Für so einen Extrem-Kurs taugen Inliner einfach nicht, da muss was Robusteres her!"
Ich sah mir seinen Hals genau an. Der Kragen seines ausgeleierten Sweatshirts war ziemlich weit. Ich zog ihn noch etwas weiter herunter. Das gefiel ihm nicht.
"Was soll das? Bist du schwul oder was?"
"Komisch, ich hätte gedacht, dass du auch dieses Kreuz mit dem gehörnten Gerippe trägst! Wie die Heiligen. Los Santos. Der Name sagt dir doch wohl was, oder?"
"Jedem hier in der Gegend sagt der Name was."
"Na, dann lass mal hören!"
Er lachte heiser. "Ihr G-men glaubt wirklich, dass ich zu Los Santos gehöre?"
"Warum nicht?"
"Die sind echt cool. Aber leider nehmen die nicht jeden auf."
"Was muss man denn machen, um da reinzukommen?"
"Etwas Besonderes eben."
"So etwas wie das, was auf der Brooklyn Bridge passiert ist?" hakte ich nach.
Sein Gesicht veränderte sich, wurde zu einer Maske. Er wusste genau, wovon ich sprach.
"Hey Mann, ich habe mit den Brüdern nichts zu tun!"
"Und wer sich hinter dem Namen Kid Dalbán verbirgt weißt du wahrscheinlich auch nicht."
"Mierde! Nein! Und so lange du mir nicht das Gegenteil beweisen kannst, könnt ihr mich auch nicht einsperren!"
"Irrtum", unterbrach Jay Kronburg die Unterhaltung. "Wir können dich wegen der 22er erst einmal mitnehmen! Und da ich jede Wette eingehe, dass du schon einiges auf dem Kerbholz hast, kann so ein Verfahren ziemlich unangenehm für dich werden."
"Scheiße, ihr macht dich nur so einen Aufstand, weil es auf der Brooklyn Bridge einen Scarlatti erwischt hat! Dabei hatte der es doch verdient. In den Nachrichten hieß es, dass er Giftfässer irgendwo abladen ließ, wo der Inhalt dann ins Grundwasser sickern konnte. Mich buchtet ihr ein, aber so ein Schwein habt ihr G-men jahrelang frei herumlaufen lassen! Ist das euer Scheiß-Gesetz?"
Ich musste zugeben, dass der Junge nicht ganz Unrecht hatte. Aber der Unterschied zwischen Jack Scarlatti und Rico Jarmaine war einfach, dass man Scarlatti nie etwas hatte nachweisen können. Jarmaines illegaler Besitz des .22er-Revolvers war jedoch eine Tatsache.
"Jetzt hör mir mal zu, ich glaube nicht, dass dir wirklich klar ist, was hier demnächst abgeht", sagte ich eindringlich. "Und diejenigen, die ihren Auftritt auf der Brooklyn Bridge hatten und jetzt noch am Leben sind, haben das wohl auch noch nicht ganz begriffen! Der Scarlatti-Clan wird alles daran setzen, den Anschlag zu rächen. Bei allem Respekt, aber ein paar Roller-Skates fahrende Kids, die mit Waffen herumfuchteln, sind Scarlattis Leuten nicht gewachsen. Sie werden einer nach dem anderen zur Strecke gebracht werden..."