Kitabı oku: «Die Rosa-Hellblau-Falle», sayfa 2
DIE FAQS ZUR ROSA-HELLBLAU-FALLE®
Die Rosa-Hellblau-Falle® polarisiert, denn sie vermittelt keine Technik in zehn Schritten, sie gibt keine Handlungsanweisung, die für jede Situation passen würde, sondern reicht viel weiter: sie stellt den eigenen, bisherigen Blick auf die Welt infrage und rührt an verinnerlichten Regeln zu dem was »richtig« und »normal« sei. Deshalb werden Gespräche über das Thema schnell emotional, wenn sie nicht sogar direkt abgeblockt werden. Wem es aber gelingt, sich darauf einzulassen und mit anderen darüber in den Austausch zu kommen, gewinnt oft spannende Einsichten, erfährt rührende Erinnerungen und kommt sich näher. Wir laden deshalb dazu ein, die eigenen Vorstellungen darüber, »was sich gehört« und was »schon immer so war« für eine Weile zur Seite zu schieben und zurückzuschauen, wie sich das angefühlt hat damals als Kind, als Erwachsene die Regeln darüber aufgestellt haben, was ein Mädchen sollte und was einen typischen Jungen ausmacht. Wie geht es einem Kind, das bei Erwachsenen aufschnappt: »Sie mag ja mehr so typisches Jungsspielzeug.«, »In dem Punkt ist er ein richtiges Mädchen.«, »Also ich finde diesen Mädchenkram furchtbar!«, »Er hätte sich ja lieber einen Sohn gewünscht«… ? Herzliche Einladung also, zum Austausch über Normen und Kategorien.
Für den Einstieg haben wir im Folgenden sieben der häufigsten Fragen beantwortet, die uns immer wieder gestellt werden von skeptischen Besucher*innen unserer Vorträge. Auf unserem Blog rosa-hellblau-falle.de/faqs beantworten wir noch mehr davon und erweitern die Liste nach und nach.
Rosa und Hellblau, das sind doch nur Farben, was wollt Ihr bloß?
Rote Herzen, gelbe Smileys, grüne Umweltsiegel, blaue Logos von Banken, alles bloß Farben? Gendermarketing hat mit dazu beigetragen, dass Rosa heute als niedlich und sexy gilt. Die Rosa-Violett-Rot-Palette wird vereinnahmt von der Werbeindustrie und zunehmend mit Schönheit, Anmut und Zartheit in Verbindung gebracht. Ganze Produkt- und Interessensbereiche sind nach Geschlecht getrennt und farblich gelabelt, es sind also mitnichten »nur« Farben. Deshalb lässt sich erst dann, wenn Spielzeug aus den Bereichen Schönheit, Pflege, Haushalt auch öfter mal in schwarz oder grün verpackt wird und erst dann, wenn auch Experimentierkästen und Konstruktionssets, deren Verpackung mit Jungs bebildert sind, in Pink beworben werden, vielleicht sagen »Es sind einfach nur Farben«.
Aber Mädchen mögen nun mal Rosa, wollt Ihr ihnen das verbieten?
Im Gegenteil, wir wollen Rosa, Lila, Pink allen ermöglichen, die diese Farben mögen, denn da spricht überhaupt nichts dagegen. Worin liegt der Nutzen für Kinder, dass die Farbe Mädchen vorbehalten ist (»Der Tim hat ein Shirt mit Määädchenfarben!«). Sie den einen verbieten und bei den anderen fördern, also eine bloße Umkehrung, die in manchen Familien passiert, ändert nichts an der Geschlechtertrennung und ist deshalb keine Lösung. Heute lernen Mädchen von Geburt an, dass sie mit Rosa als Lieblingsfarbe richtig liegen und mit grün als Ausnahme gelten – in 100 Jahren könnte das wieder ganz anders aussehen. Vergleicht man Klassenfotos von heute mit Gruppenbildern der 80er, 90er Jahre, sieht man, dass bunt nicht mehr für alle da ist, und die Frage nach der Lieblingsfarbe wird neuerdings mit Chromosomen und Hormonen in Verbindung gebracht. Hat sich die DNA von Mädchen also in ein paar Jahrzehnten verändert? Wohl kaum. Und wenn man bedenkt, dass Rot in allen seinen Abstufungen die Farbe der Herrschenden war, eine Farbe, die Könige trugen, (der Papst trägt bis heute Violett), wird deutlich, dass es hier um kulturelle Zuschreibungen geht und nicht um angeborene Lieblingsfarben. (Vgl. Kapitel Rosa… )
Dann sollen Jungs jetzt also alle mit Puppen spielen?
Nein, nicht alle. Nur die Jungs, die das wollen. Und damit sie das selbst herausfinden können, ist es Aufgabe der Erwachsenen, ihnen Spielzeug und Kleidung ohne Geschlechterlabel und ohne einschränkende Kommentare anzubieten. Wahlfreiheit ist das Stichwort. Leicht wird das nicht werden, denn durch Werbung, durch Bilder- und Schulbücher, Familienmitglieder und andere Erwachsene und natürlich von vielen Gleichaltrigen erfahren sie, dass Puppen »was für Mädchen« seien. Und genau das ist die Rosa-Hellblau-Falle, die immer bereit steht im Alltag von Kindern, und die es ihnen so schwer macht, individuelle Entscheidungen zu treffen. Denn wer will schon »anders« sein und von anderen als »untypisch« belächelt werden. Doch Kinder, die ein starkes Selbstbewusstsein haben und von ihren Eltern Rückendeckung bekommen, wenn sie in ihren Entscheidungen und ihrem Tun nicht dem Klischee entsprechen, haben es leichter, an ihren Vorlieben festzuhalten. Erwachsene können ihnen helfen, dass sie individuelle Wünsche nicht aufgeben müssen, bloß weil sie nicht der entsprechenden Geschlechternorm genügen.
Und wenn ein Junge Röcke anziehen möchte, muss man ihn dann nicht schützen vor den Hänseleien der Anderen?
Wir verstehen die Sorge dahinter und das Bedürfnis, geben aber zu bedenken, dass Eltern sich dadurch genau jene Regeln zu eigen machen und sie ihrem Kind weiterreichen, die ja erst zu der befürchteten Ausgrenzungssituation führen. Dem Kind Dinge zu verbieten (oder ihm nahezulegen, sich dagegen zu entscheiden), die dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden, steht im Widerspruch zur Überzeugung, selbst keine Rollenklischees weiterzureichen. Ist es nicht viel mehr Aufgabe der Eltern, dem Kind den Rücken zu stärken und es in seinen Wünschen zu unterstützen? Schließlich muss nicht das Kind, das sich untypisch kleidet, lernen, mit Hänseleien umzugehen, sondern die hänselnden Kinder (Eltern und Fachkräfte) müssen lernen und verinnerlichen, dass »anders« nicht gleich »falsch« ist. Sie sind es, die lernen müssen, dass ihr Hänseln, ihre Intoleranz, ihre engen Vorstellungen von einem »richtigen« Jungen Kritik erfährt und nicht akzeptiert wird! Und nicht das Kind mit dem altmodischen Pullover, jenes mit der dunkleren Haut oder der Junge mit rosa Hausschuhen, oder das Kind, das seinen Papa nicht kennt, das eine Gehhilfe hat oder das Mädchen, das (noch) kein Deutsch versteht.
Die Entscheidung gegen Rosa, gegen aufwändige Rüschenkleidung zum Beispiel ist ja durchaus legitim, wenn sie für beide Geschlechter gilt. Würde meine Tochter sich rosa Glitzerschühchen mit Absatz wünschen, würde ich sie nämlich auch nicht kaufen. Dass mein Sohn keine hat, liegt also nicht an der Tatsache, dass er ein Junge ist, sondern, dass ich etwas gegen ungemütliche Schuhe habe, mit denen mein Kind beim Fangen Spielen wahrscheinlich am Rand steht und zuschaut.
»Also bei uns werden alle Kinder gleich behandelt« oder »Lasst doch die Kinder Kinder sein«
Gut, das sind keine Fragen. Aber ein großzügiges Wegwischen all unserer Anliegen, wie wenn wir ein Problem in die Welt gesetzt hätten, das sonst niemand kennt. Tatsächlich geht die Mehrheit der Eltern davon aus, Kinder »neutral« zu erziehen. Und wenn sich die Tochter dann doch fürs Ballett entscheidet, obwohl sie einen Fußball geschenkt bekommen hat, und wenn der Sohn die Autokiste vorzieht, obwohl er sich eine Puppe aussuchen durfte, dann ziehen viele den Rückschluss, es müsse an der Biologie liegen, die Gene seien verantwortlich, die Hormone, die Steinzeit… der eigene Einfluss und die allgegenwärtigen Botschaften werden dabei komplett ausgeblendet. Tatsächlich ändern Erwachsene ihr Verhalten gegenüber einem Kind schon vor Geburt, sobald sie das Geschlecht des Ungeborenen erfahren. (vgl. Kapitel 1 »Von Beginn an zwei Welten. Warum wir schon vor der Geburt Unterschiede machen«) Und in einer Welt, die Kinder ab Tag Eins in die Kategorie Mädchen und Jungen einsortiert, noch bevor sie sie als Kinder sieht, verstärken sich Geschlechterunterschiede im Lauf der Entwicklung, egal wie klein sie zu Beginn sein mögen. Insofern ja, sehr einverstanden! »Lasst doch die Kinder Kinder sein!« Und beginnen wir damit, sie nicht mehr in zwei enge Schubladen zu stecken, sondern lassen sie selbst entscheiden und ihre Welt entdecken.
Interessant dazu: Studien, die belegen, wie unterschiedlich Kinder abhängig von ihrem Geschlecht behandelt werden: babyx.rosa-hellblau-falle.de
Aber habt ihr bedacht, dass Jungs schon allein wegen des Testosterons von Natur aus wilder sind?
Das ist ein weit verbreiteter Gedanke, bloß dass der Testosteronspiegel vor der Pubertät bei Kindern in etwa gleich hoch ist – er liegt nahe Null. Studien zeigen aber, dass von Jungen grundsätzlich ein wilderes Verhalten erwartet und akzeptiert wird, und Mädchen häufiger dazu angehalten werden, ruhig und brav zu sein. Auf diese Weise erfahren Kinder, wie Erwachsene sich einen »normalen« Jungen vorstellen und welche unterschiedlichen Normen die Gesellschaft für sie bereithält. Die Wechselwirkung von Verhalten und verändertem Hormonspiegel ist dagegen unterschätzt: Väter, die sich um ihre Kinder kümmern, haben einen niedrigeren Testosteronspiegel, der wieder steigt, wenn sie sich anderem zuwenden. Sport und Wettkampf sorgen dafür, dass der Testosteronspiegel steigt, bei Frauen wie bei Männern – was wieder belegt, dass unser Verhalten auch uns selbst verändert. Beim für uns entscheidenden Thema Bagger oder Puppe, Fußball oder Ballett und der geschlechtergerechten Pädagogik ist der Testosteronspiegel also irrelevant. (Mehr dazu im Unterkapitel »Die Testosteron-Keule«)
Ihr wollt also die Geschlechter abschaffen und alle gleich machen
Bedeutet es nicht viel mehr, alle gleich zu machen, wenn man die Unterschiede zweier Geschlechter über alles stellt, und davon ausgeht, dass DIE Jungen/Männer beziehungsweise DIE Mädchen/Frauen ähnliche Interessen hätten und die Unterschiede innerhalb ihrer Gruppe ignoriert? Die Vereinheitlichung auf beiden Seiten einer Mauer hat eine Gleichmacherei zur Folge, und darin liegt unser Kritikpunkt: Abenteuer, Technik und Bewegung Jungen zuzuschreiben und zu meinen, Mädchen interessieren sich per se für Haushaltsdinge, Make-up und Ponys. Wer findet »Jungs sind nun mal wild« und »Mädchen sind eben ruhiger«, wer also Kindern allein aufgrund ihres (zugeschriebenen) Geschlechts ganz bestimmte Eigenschaften und Interessen zuweist, kämmt alle Mädchen über einen pinken Kamm und steckt alle Jungen in dieselbe Ecke. Dadurch wird ein Kind, sobald es sich für etwas interessiert, das Erwachsene nicht für sein Geschlecht vorgesehen haben, als untypisch gelabelt. Vorlieben beim Spiel oder bestimmte Verhaltensweisen sind zunächst einmal keine Hinweise aufs Geschlecht, sondern Ausdruck der Persönlichkeit.
Mehr FAQs unter rosa-hellblau-falle.de/faqs
EINLEITUNG
Wer im Kaufhaus in die Spielzeugabteilung hinauffährt, taucht in einer zweigeteilten Welt wieder auf. Ein ganzes Stockwerk ist unterteilt in zwei Zonen: Auf der einen Seite markieren Blassrosa und Pink, »was Mädchen mögen«. Auf der anderen Seite sind die Verpackungen vorwiegend schwarz und dunkelblau und kennzeichnen das Spielzeugreich der Jungen. Links sind die Regale gefüllt mit pastellfarbenen Pferden, glitzernden Feen, kuscheligen Kuscheltieren, Mini-Küchen und allem, worauf die Puppen nicht verzichten können. Rechts blicken wilde Monster, Ritter und bewaffnete Science-Fiction-Kämpfer durch die Plastikfenster der Spielzeugschachteln, und es stapeln sich die Bausätze für Fahrzeuge und Maschinen. Auf einem ganzen Stockwerk spiegeln sich die traditionellen Rollenzuschreibungen wider, von denen wir glaubten, sie in den vergangenen Jahrzehnten überwunden zu haben.
Hier werden keine Klischees reproduziert oder gar verstärkt, sagen die Marketingstrateg*innen1 der Spielzeugindustrie, hier werden einfach die natürlichen Grundbedürfnisse von Jungen und Mädchen befriedigt. Und sie behaupten, ganz genau zu wissen, was »typisch männlich« und »typisch weiblich« ist. Zwar besteht darüber in der Wissenschaft keinesfalls Einigkeit, und weder Evolutionsbiolog*innen noch Genderwissenschaftler*innen würden allgemeingültige Aussagen dieser Art unterschreiben, aber solange dort noch geforscht wird und Uneinigkeit herrscht, lassen sich Behauptungen wie »Ritter suchen den Wettbewerb, Prinzessinnen wollen dazugehören«2 so erfolgreich verkaufen, dass Eltern und Kinder das zweifelhafte Glück haben, täglich mit einem Überangebot an Waren konfrontiert zu werden, die jeweils ein Geschlecht ausschließen. Rosa Überraschungseier sind »nur für Mädchen«, Capri-Sonne wirbt für einen ›Elfentrank‹, der »speziell auf die Wünsche von Mädchen zugeschnitten« sei. Dagegen werden Turnbeutel mit Dinosauriern ganz selbstverständlich mit Fotos von coolen Jungs beworben, es gibt ganze Buchreihen »Nur für Jungs« und »for girls only«, und auch Lego-City richtet sich an Jungen, denn bei denen »geht’s eher darum, den Schwächling zu besiegen oder auszuschließen«3, wie Dirk Engehausen von Lego sein Wissen um die Grundbedürfnisse der Jungen in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau zusammenfasst.
Warum die Marketing- und Konsumgüterindustrie so auf die Unterschiede zwischen den Geschlechtern pocht, ist leicht nachzuvollziehen. Es lassen sich eben mehr Waren verkaufen, wenn Spielsachen, Zimmereinrichtungen, Bücher und andere Medien, wenn Kleidung, Schulbedarf und auch Freizeitinteressen unserer Töchter nicht gut, zumindest nicht gut genug sind für unsere Söhne und umgekehrt. Im Idealfall bringt das den doppelten Umsatz. Da verwundert es kaum, dass auch die Lebensmittelindustrie ein Stück vom Kuchen abhaben will und inzwischen verstärkt auf Gendermarketing setzt. Dies kommt alles mit dem in der Werbung verbreiteten Augenzwinkern daher und suggeriert, dass wir doch alle Bescheid wissen, dass wir die eigentlichen Klischees längst überwunden haben und ganz befreit damit spielen können. Gerne glauben wir Erwachsenen, dass wir mit den Werbebotschaften gut umgehen können, dass wir den Überblick behalten, uns nicht manipulieren lassen, doch nicht »von denen«. Aber gilt das auch für unsere Kinder? Und bleiben wir selbst wirklich so unbeeinflusst von all den Rollenklischees, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden? Sorgt nicht allein die schiere Menge an Klischeefiguren in Werbung, Film und Literatur dafür, dass sich unser Blick auf die Welt verändert, dass uns inzwischen normal erscheint, was wir bei genauerem Hinweisen gar nicht haben wollen für uns und unsere Kinder?
Viele Eltern sind von den allgegenwärtigen Geschlechterklischees genervt und nicht länger bereit, die Trennung der Kinderwelt in Rosa und Hellblau hinzunehmen. Nur lassen sie sich nicht so einfach ausblenden. Wer die Spielzeugabteilung erfolgreich umschifft hat, wird zwischen Schuhregalen wieder darauf aufmerksam gemacht. Wer beim Schulranzenkauf die Schmetterlinge und Roboter hinter sich gelassen hat, sieht sich im Sportverein beim »Prinzessinnen-Cup« wieder damit konfrontiert. Wenn Kinder aber ständig von Klischees umgeben sind, können wir dann wirklich noch behaupten, sie hätten eine freie Wahl?
Das Verhältnis der Geschlechter bietet seit Jahrzehnten konfliktreichen Gesprächsstoff unter Wissenschaftler*innen, in Politik und Medien, im Freund*innenkreis, auf dem Elternabend.* Es gibt radikale Ansichten darüber, was sich verändern sollte, und ebenso traditionsbewusste Meinungen, was es unbedingt zu bewahren gilt. Doch egal welche der angebotenen Positionen Eltern selbst einnehmen, in einem Punkt sind wir uns scheinbar alle einig: Unsere Kinder sollen unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Chancen haben, sich zu entwickeln. Unser Grundgesetz garantiert in Artikel 2 allen das Recht auf eine freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Und in Artikel 3 steht: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.« Die Europäische Union hat ihre Strategie, die Chancengleichheit für Frauen und Männer in Institutionen, Organisationen und Politik zu verwirklichen, unter dem sperrigen Begriff ›Gender Mainstreaming‹ zusammengefasst und 1997 im Amsterdamer Vertrag verankert. ›Gender Mainstreaming‹ gilt seitdem für alle Mitgliedsstaaten als verbindliches Prinzip. Ziel ist es, »bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt«4, wie das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf seinen Internetseiten erklärt.
Es herrscht also ein allgemeiner Grundkonsens darüber, Kinder unabhängig von ihrem Geschlecht gleichberechtigt zu behandeln und zu erziehen, wir leben schließlich im 21. Jahrhundert, und das Thema Gleichstellung ist nicht neu. Es ist im Gegenteil so alltäglich geworden, dass sich eine gleichberechtigte Behandlung unserer Kinder auf den ersten Blick gar nicht als Problem darstellt. Schon unsere Eltern waren darauf bedacht, Jungen auch mal eine Puppe und Mädchen einen Technikbaukasten zu schenken. Und wir Eltern von heute sind ja die Kinder dieser 1970er- und 80er-Jahre, in denen die Gleichbehandlung der Geschlechter hoch im Kurs stand, ebenso der Glaube daran, die gesellschaftlichen (Macht-)Verhältnisse nachhaltig verändern zu können. Doch je tiefer dieser allgemeine Konsens Eingang gefunden hat in die deutsche und europäische Gesetzgebung, desto stärker wuchsen Unbehagen und Widerstand gerade auch bei Menschen, die eigentlich eine gleichberechtigte Erziehung befürworten. Und je vielfältiger sich die Rollenangebote und Familienmodelle entwickelten, je fließender die Grenzen, je größer also die tatsächliche Wahlfreiheit wurde für Frauen wie für Männer, desto stärker wurde zugleich das Bedürfnis nach klarer Abgrenzung, nach deutlichen Regeln und damit verbundener Sicherheit für das eigene Handeln. Deshalb wird das Konzept des ›Gender Mainstreaming‹ in der aktuellen Diskussion von vielen nicht länger als ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer geschlechtergerechten Welt betrachtet. Das Anliegen, Frauen und Männern, Jungen und Mädchen dieselben Chancen zu ermöglichen, wird gern als Gleichmacherei abqualifiziert; von Umerziehung ist die Rede, wenn die geschlechtliche Zuordnung von Eigenschaften und Interessengebieten infrage gestellt wird. So ist es schwierig geworden, das Wort ›Gender‹ überhaupt zu verwenden, ohne sich gleich dem Vorwurf auszusetzen, evolutionsbiologische Forschungsergebnisse zu ignorieren. Auf der anderen Seite wird allerdings kaum jemand bestreiten, dass unser Verhalten und unsere Interessen durch die Gesellschaft beeinflusst werden, in die wir hineinwachsen.
Es ist ein ewiges Hin und Her: Biologie oder Sozialwissenschaften, Hormone oder Umwelteinflüsse, Frauen gegen Männer, Gene oder erzieherische Verantwortung, Jungen gegen Mädchen. Es ist ein Gegeneinander, das nicht weiterführt, sondern uns im Gegenteil anfällig macht für die Einflüsterungen der Konsumgüterindustrie. Es macht uns manipulierbar bis in unser eigenes Selbstverständnis hinein, und es schränkt die Möglichkeiten unserer Kinder empfindlich ein, ihre Persönlichkeit frei zu entfalten. Deshalb schreiben wir dieses Buch, gemeinsam als Mutter und Vater von drei Schulkindern, zwei Töchtern und einem Sohn, weil wir der Überzeugung sind, dass wir den Weg zu einer geschlechtergerechten Gesellschaft nur gemeinsam gehen können, als Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft und sozialer Schicht, gemeinsam und für eine Gesellschaft, in die wir unsere Kinder gerne hineinwachsen sehen und in der wir selbst gerne alt werden möchten. Wir sind überzeugt, dass uns der aktuelle Fokus in Forschung und Marketing, nämlich die Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu betonen, immer weiter auseinanderführt.
Wir wollen stattdessen nach den Gemeinsamkeiten suchen, nach den Überschneidungen, nach dem, was uns verbindet. Wir wollen unseren Kindern nicht zwei Alternativen anbieten, sondern tausend. Wir wollen nicht länger in die Vergangenheit schauen und nach Verantwortlichkeiten suchen, wer wann was verschuldet oder zu welchem Zeitpunkt versäumt hat. Wir wollen uns nicht länger mit einer – oft hypothetischen – grauen Vorzeit beschäftigen, um unsere heutige zu verstehen. Wir wollen nach vorne schauen und uns Gedanken machen, was wir heute bewirken können, um dem Ideal einer geschlechtergerechten Erziehung ein Stück näher zu kommen. Die Frage ist also nicht, wie es dazu kam, dass wir so verschieden sind, die Frage lautet: Wollen wir an diesem Zustand etwas verändern? Wer in der jetzigen Situation, in der Gleichstellung der Geschlechter Verbesserungspotenzial sieht, hat allen Anlass, sich über gesellschaftliche Einflüsse Gedanken zu machen. Und da sich die Menschen in Deutschland darauf verständigt haben, Hundekacke in Plastiktüten aufzusammeln und zum nächsten Mülleimer zu tragen, sich eine ganze Infrastruktur um Hundekacktüten entwickeln konnte in den letzten Jahren, da sollte es doch möglich sein, unser Zusammenleben auch an entscheidenderer Stelle zu verändern!