Kitabı oku: «Die Rosa-Hellblau-Falle», sayfa 4
Empathie und der Gender Care Gap
Das erschwerte Vorankommen von Mädchen und Frauen im technisch-naturwissenschaftlichen Umfeld ist einer der Gründe, die zum ›Gender Pay Gap‹ führen, der Tatsache also, dass Männer im Schnitt 22 Prozent mehr verdienen als Frauen14. Während das Thema der unterschiedlichen Entlohnung von Männern und Frauen alljährlich am ›Equal Pay Day‹ von Politik und Medien aufgegriffen wird, ist der ›Gender Care Gap‹* noch kaum im öffentlichen Bewusstsein angekommen, obwohl er mindestens ebenso starke Verwerfungen in der Gesellschaft bewirkt und Hauptursache ist für den PayGap: Über 80 Prozent der Care-Arbeit, also der Sorgearbeit in unserer Gesellschaft, werden von Frauen geleistet15, nämlich Erziehung und Betreuung der Kinder, Pflege von Alten und Kranken, von Menschen mit Behinderung, alle Kümmerarbeit im weitesten Sinn.
Auch hier spielt die Stereotypbedrohung eine große Rolle und macht es den wenigen Männern in diesem Bereich unnötig schwer. Das nur selten hinterfragte Klischee dahinter lautet, Männer seien weniger empathisch als Frauen. Eine Alltagstheorie, die Harald Martenstein in seinem umstrittenen Zeit-Artikel »Schlecht, schlechter, Geschlecht« mit einer längst widerlegten Studie zu untermauern versuchte: »Wenn auf Fotos Gesichter zu sehen sind, traurige oder fröhliche, dann entschlüsseln Männer die Emotionen der abgebildeten Personen im Durchschnitt schlechter.«16 Er vergisst zu erwähnen, dass nach neueren Erkenntnissen in dieser wie in allen anderen Studien das Setting mit über die Aussage entscheidet: Genderbezogene Informationen können das Ergebnis eines solchen Tests beeinflussen. Je offensichtlicher es nämlich für die Proband*innen ist, dass ein Test mit Empathie zu tun hat, umso größer wird der Vorsprung der Frauen. Deshalb tragen auch Tests wenig zur Aufklärung bei, in denen Teilnehmende ihre Empathiefähigkeit selbst einschätzen sollen, etwa mit Feststellungen wie: »Ich kann gut erkennen, wann jemand ein Gespräch anfangen will.« Sie sind ebenso nichtssagend wie subjektive Einschätzungen über mathematische Kompetenzen: »Ich beherrsche die Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung.« Deshalb käme wohl auch niemand auf die Idee, sie auf diesem Wege abzufragen. Tatsächlich hat sich gezeigt, dass »Selbstbeobachtungsdaten zur sozialen Sensitivität«17 praktisch untauglich sind, wenn es darum geht, gute oder schlechte Menschenkenner zu identifizieren. Trotzdem baut der britische Psychologe Simon Baron-Cohen auf Fragebogen-Tests dieser Art seine Thesen vom höheren Empathiequotienten des weiblichen Gehirns auf, um dann selbst zu dem Schluss zu gelangen, dass nicht einmal 50 Prozent der Frauen ein »weibliches Gehirn« hätten18. Er belegt damit vor allem eines: dass nämlich Frauen und Männer sich vor allem darin unterscheiden, wie empathisch sie anderen und sich selbst gegenüber erscheinen wollen. Über ihre tatsächliche Empathiefähigkeit ist damit noch nichts gesagt.
Tatsächlich verschwindet die viel beschriebene männliche Gefühlslosigkeit, sobald Empathie als lohnendes Ziel erscheint. Wenn im Vorfeld eines Tests das besondere weibliche Einfühlungsvermögen betont wurde, schnitten die Männer tatsächlich schlechter ab. Schien das Geschlecht aber keine Rolle zu spielen und wurde stattdessen für jede richtige Antwort eine Bezahlung in Aussicht gestellt, wie in einem Experiment der University of Oregon19, dann war dieser Unterschied plötzlich nicht mehr festzustellen. Wenn es sich lohnt, empathisch zu sein, sind Männer also sehr wohl dazu in der Lage. Im Alltag dagegen scheint sich Empathie für Männer nicht auszuzahlen. Dafür gibt es kein ironiefreies Schulterklopfen, keine ideelle Anerkennung, stattdessen ernten Erzieher aufgrund ihrer Berufswahl und Lebenshaltung diskriminierende Kommentare, und selbst Autori*nnen von Büchern und Artikeln über den »neuen Mann« sprechen über Luschen und Waschlappen und fordern mehr Coolness, Geld und Statussymbole20. Auch für die Mehrheit der Männer kommt also im Alltag wie auch in Empathietests die Stereotypbedrohung zum Tragen, und trotzdem gibt es nach wie vor Forscher*innen, die im Gehirn oder im Hormonhaushalt der Menschen nach Ursachen für diesen angeblichen Empathieunterschied suchen. Und von »weiblicher Intuition« sprechen wir weiterhin, als sei sie angeboren. Die Neuropsychiaterin Louann Brizendine ist sogar überzeugt, dass Frauen sich quasi von Geburt an in andere hineinversetzen, mitfühlen, wenn nicht sogar Gedanken lesen können, wie sie in ihrem Buch »Das weibliche Gehirn« schreibt: »Zu vermuten, was ein anderer Mensch denkt oder fühlt, bedeutet im Wesentlichen, Gedanken zu lesen. Und letztlich ist das weibliche Gehirn talentiert darin, Gedanken, Überzeugungen und Absichten anderer aufgrund von kleinsten Hinweisen schnell einschätzen zu können.«21
Die weitere Argumentation wird damit zum Selbstläufer: Wenn Frauen empathiefähiger sind, ihnen der einfühlsame Umgang mit Kindern also quasi angeboren ist, dann versteht es sich von selbst, dass es ihnen leichter fallen muss, im Job kürzerzutreten und sich mehr als ihre Männer um die Kinder zu kümmern. Und im Spiel von Mädchen finden wir dann oft eine ziemlich exakte Rollenbeschreibung ihrer Mütter wieder, sie kochen und pflegen, sie trösten und backen, sie kommunizieren und machen sich hübsch. Jungen dagegen spielen nicht ›Vater sein‹, sie spielen auch nicht ›Vater bei der Arbeit‹, sie spielen Autorennen, oder Aliens oder Neandertal. Viele Frauen amüsierten sich darüber, seien nachsichtig und inkonsequent, beobachtet Melitta Walter, die viele Jahre den Alltag in Kitas begleitete und Erzieher*innen beriet. In ihrem Aufsatz »Geschlechtergerechte Erziehung ohne reale Frauen- und Männervorbilder?« schreibt sie weiter: »Erwachsene unterstützen dieses auftrumpfende Verhalten, denn was ein richtiger Mann werden soll, der muss die Rolle des ›starken‹ Geschlechts schließlich ausprobieren können.«22 Unreflektiert würden Jungen so in klassischen Rollenmustern unterstützt.
Mitgefühl, sich in andere hineinversetzen und sich selbst in Worten und Emotionen ausdrücken zu können, wird Jungen dagegen selten nahegelegt. Der Soziologe und Familientherapeut Paul Suer fordert deshalb, dass wir unser Bild davon, wie Jungen zu sein haben, korrigieren. Ein neues, sozusagen ›menschliches‹ Jungenbild könne so aussehen: »Jungen, die weinen, sind authentisch. Sie leben ihre Gefühle und sind mit sich im Einklang. Jungen, die ihre weichen Seiten zeigen und leben, sind liebenswert. Sie finden leichter Freund*innen und werden besser verstanden. Jungen, die ihren Körper achten, gehen sorgfältig mit ihm um und schützen ihn vor Überlastung.«23
Pflegeberufe haben kein positives Image
Doch woher sollte dieses neue Bild kommen, auf welcher Basis könnte es entstehen? Das Rollenbild, das die Erwachsenenwelt in Werbung, Medien und Freizeitangeboten bereithält, sieht diesen Aspekt jedenfalls nicht vor. Die Botschaften von James Bond, Darth Vader und Megatron sind in der Kinderwelt längst angekommen: James Bond kennen Zweitklässler wenn noch nicht vom eigenen, so doch vom Smartphone des Freundes, Star-Wars-Motive gibt es jedes Jahr auf den Schulranzen für die nächste Erstklässlergeneration, und die Kampfmaschinen des Actionfilms »Transformers« stehen schon bei Fünfjährigen hoch im Kurs. Den Mythos vom harten Mann haben wir also keineswegs hinter uns gelassen: kämpfen, zerstören, auslöschen, vernichten sind durchaus gängige Vokabeln auf einem Kindergeburtstag. Wer von der Spielplatzbank aus manches Kriegsspiel beobachtet, weiß, dass es vonseiten der Eltern kaum Einschränkungen gibt: »So sind sie eben, die Jungs« legitimiert die Sandbombe im Kragen oder die Schaufel auf dem Kopf des Gegners. Ist ein Mädchen Teil der Kriegswirren, sind die Reaktionen der Erwachsenen sehr viel klarer und strenger, als wenn ein Junge der Auslöser war. Die Annahme, dass wir es hier mit etwas Unabänderlichem zu tun haben, führt dazu, dass Jungen »nicht deutlich genug vermittelt [wird], welche gesellschaftlichen Spielregeln einer Demokratie zuträglich sind und mit welchen Verhaltensweisen Gewalt und Schrecken verbreitet werden«24, kritisiert Melitta Walter. Denn selbst da, wo Männer humanitäre Hilfe leisten, wo es um Mitgefühl geht, Hilfeleistung und Schutz, wo Kommunikationsfähigkeiten gefragt sind, werden diese Eigenschaften nicht als erstrebenswert herausgestellt. Die Bundeswehr zum Beispiel hat sich entschieden, diese Aspekte ihrer Aufgabe erst gar nicht in ihren letzten Imagefilm25 aufzunehmen, sie setzt lieber auf das Image des harten Mannes. Um die ›richtigen‹ Jungs unter den jungen Männern zu finden, ist der Film unterlegt mit harter Rockmusik und jaulenden Gitarren im Wechsel mit der deutschen Nationalhymne. Dazu Bilder aus der Heimat, die es in der Fremde zu verteidigen gilt, explodierende Granaten, Staub und Rauchfontänen, dazwischen Soldaten, die Spalier stehen, Bomben abwerfen, kraftvoll Hände schütteln und schwer bewaffnet durchs Gelände rennen. Düsenjäger und Panzer, Adrenalin und Testosteron, Kriegsschiffe und Raketen – der Clip macht klar: Soldat sein bedeutet kämpfen, und Kämpfen macht Spaß. Männer lieben eben, was hart macht, und Frauen ergänzen das prima, sind sie doch einfühlsam und kümmern sich um andere, sie helfen eben gerne.
Sei es der EU-Spot, der Mädchen in naturwissenschaftlich-technische Gefilde locken möchte, die Imagekampagne der Bundeswehr oder viele weitere Beispiele aus Werbung, Film und Marketing, hier wie dort werden Frauen und Männer auf Klischees reduziert. Die Begründung lautet in allen Fällen: Wir wollen die Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten ansprechen, sie dort abholen. Wofür und wohin? Etwa um dann gemeinsam in eine geschlechtergerechte Welt voranzuschreiten? Wohl eher, um uns ungeniert zur Kasse zu begleiten. Denn dafür ist das Insistieren auf den Unterschieden zwischen Männern und Frauen ein probates Mittel. Am Ende wundern wir uns dann, warum unsere erwachsen gewordenen Kinder weiterhin getrennte Wege gehen, sowohl in der Rollenaufteilung in den Familien, im Beruf als auch in der Persönlichkeitsentwicklung, zum Nachteil für alle.
Mädchen und Mathematik, Jungen und Einfühlungsvermögen, beide Beispiele zeigen nicht nur, dass wir die Wahlfreiheit unserer Kinder einschränken, dass wir die Möglichkeiten dieser Welt, aus denen sie frei auswählen könnten, vorsortieren in rosa und hellblau, dass wir Erwachsenen es sind, die vorgeben, welche Interessen wir den Mädchen zugestehen und welche unserer Ansicht nach männlich genug sind. Dabei ist die heutige Elterngeneration doch der Beweis, dass Rollenzuschreibungen flexibel sind, dass sie sich im Lauf der Zeit wandeln können. Immerhin war noch Mitte der 1970er-Jahre die Hälfte der Eltern der Ansicht, eine Frau sei nur dazu da, sich um ihren Mann, ihre Kinder und den Haushalt zu kümmern, wie es das österreichische Kanzleramt in seinem »Bericht über die Situation der Frau«26 1975 zusammenfasste.
Beide Beispiele zeigen, dass Geschlechterstereotype kein Luxusproblem überambitionierter Helikoptereltern sind, sondern dass Mädchen und Jungen ein Recht darauf haben, dass wir uns einmischen. Denn obwohl wir wissen, dass Menschen unterschiedlich sind und dass sich ihre Eigenschaften, ihre Wünsche und Abneigungen ziemlich gleichmäßig auf die Geschlechter verteilen, und obwohl uns Individualität doch so wichtig scheint, legen wir als Gesellschaft trotzdem Wert auf eine Zweigeschlechtlichkeit, die ein gleichberechtigtes Aufwachsen, eine freie Entfaltung der Persönlichkeit unnötig erschweren.
2VON BEGINN AN ZWEI WELTEN
Warum wir schon vor der Geburt Unterschiede machen
Annette habe ich kennengelernt, als wir beide noch studierten. Wir waren Mitte zwanzig, hatten erste Arbeitserfahrungen gesammelt und bereiteten uns auf unsere Prüfungen vor. Auf der Geburtstagsfeier einer Freundin, die nach der Geburt ihres Sohnes wieder zu ihren Eltern gezogen war, diskutierten wir über unsere Vorstellungen von Familie und Karriere. Wir waren uns einig, dass sich Beruf und Kinder nicht ausschließen, denn Hausarbeit und Kindererziehung wollten wir natürlich mit unseren zukünftigen Partnern teilen. Wir waren überzeugt, dass die Männer unserer Generation, mit denen wir uns eine Beziehung vorstellen konnten, diese Haltung längst teilten, sodass wir kein Hindernis sahen, das unseren Plänen im Weg stehen könnte. Zehn Jahre später zog Annette mit ihrem Partner nach New York um. Sie war fertig ausgebildete HNO-Ärztin und hatte in Deutschland eine eigene Praxis, aber sein Arbeitgeber hatte ihm dort eine auf drei Jahre befristete Stelle angeboten, die er nicht ablehnen konnte. Sagt sie. Außerdem, wer sage schon Nein zu einem dreijährigen Auslandsaufenthalt mit bezahltem Umzug, Sprachkurs und allem Drum und Dran? Es sei sowieso ein Fehler gewesen, sich mit einer eigenen Praxis schon so früh auf Beruf und Wohnort festzulegen. In New York kam dann ihr erstes Kind zur Welt. Annettes Mann ist immer noch beim selben Arbeitgeber, die nächste Stufe der Karriereleiter führte ihn nach Hamburg, die Familie zog mit. Heute lebt Annette in München, mit ihrem dritten Kind ist sie gerade in Elternzeit. Ab und zu helfe sie in der Praxis eines Bekannten aus, was leider nur schwer zu organisieren sei, da ihr Mann selten vor 21 Uhr nach Hause komme.
Annettes Geschichte habe ich in den letzten Jahren so und in Variationen immer wieder gehört. Nicht eine der Frauen wurde gezwungen, ihre eigene berufliche Entwicklung der ihres Mannes unterzuordnen, natürlich nicht. Immer haben die Paare einvernehmlich entschieden, dass es so am besten sei für alle Beteiligten, vor allem für die Kinder. Die Gründe dafür sind jeweils andere, aber jede dieser Geschichten endet mit einer längeren Stille, in der die Erzählerin neben mir auf einer Spielplatzbank sitzt, vor einem Schultor steht oder in einer Küche eine Tasse festhält und nachdenklich ins Leere blickt.
»Familienarbeit«
Mit guter Ausbildung und fester Arbeitsstelle, ohne Kinder, aber mit einem engen Freund*innenkreis und Wohnung in der (Groß-)Stadt hat Frau oder Mann relativ gute Chancen, vom Thema Gleichberechtigung lange Zeit unberührt zu bleiben. Da stellt sich leicht der Eindruck ein, dass so langsam wirklich genug gesagt und geschrieben worden ist dazu. Weil Frauen ja nun gleichgestellt seien, wird an manchen Stellen gar das Ende der Geschlechterdebatte ausgerufen, die viel beschworene Gläserne Decke sei in Wirklichkeit ein Scherbenhaufen1. Viele Frauen unter dreißig, die Abitur haben, gehen ganz selbstverständlich davon aus, »dass sie mit einer guten Ausbildung beruflich erfolgreich sein werden, Karriere machen und, wenn ein Kind kommt, sich Haushalt, Erziehung und Beruf mit ihrem Partner gerecht teilen«2. Zu diesem Schluss kommt eine im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführte Untersuchung über »20-jährige Frauen und Männer heute«: Für die Mehrheit der in den 1980ern Geborenen sind Fragen der Gleichstellung abstrakt, denn die wenigsten haben Situationen erlebt, in denen sie eine Gleichbehandlung durchsetzen mussten; unfaire Entscheidungen hatten andere Ursachen, am Geschlecht lag es sicher nicht. Doch sobald zwei zusammenziehen und entscheiden, Kinder zu bekommen, ziehen täglich die neuen-alten Fragen mit ein, die längst geklärt schienen, die Polarität ist ungebrochen.
Zwar stimmen Frauen und Männer laut der »Vorwerk-Familienstudie 2012« mehrheitlich der Idealforderung zu, dass beide sich die Familienarbeit gleichberechtigt teilen, doch die Theorie kommt im Alltag nicht wirklich an. Der Anteil der Väter, die sich voll oder zur Hälfte in Haushaltsarbeit und Kindererziehung einbringen, sei in den vergangenen Jahren nicht gestiegen, auch wenn der Studie zufolge in der Bevölkerung der Eindruck überwiegt, Väter würden sich heute stärker an der Erziehung und Betreuung ihrer Kinder beteiligen als noch vor fünf oder zehn Jahren: »76 Prozent der Mütter machen nach eigener Aussage ›alles‹ oder ›das meiste‹ selbst, und 68 Prozent der Väter bestätigen dies, indem sie ihren eigenen Beitrag zur Familienarbeit mit dem ›kleineren Teil‹ (61 Prozent) oder ›kaum etwas, gar nichts‹ (7 Prozent) umschreiben«3, so das Ergebnis. Und auch die Untersuchungen der Bamberger Soziologen Florian Schulz und Hans-Peter Blossfeld bestätigen, dass es im Laufe der meisten Paarbeziehungen oder Ehen zu einer Verschiebung der Arbeitsteilung in Richtung traditioneller Strukturen komme4.
Doch wenn beide gleichermaßen arbeiten und verdienen, so sollte man meinen, sorgen Paare für eine faire Verteilung der Aufgaben rund um Waschen, Kochen, Putzen, je nachdem, wie viel Zeit der*m Einzelnen bleibt. Und tatsächlich nimmt der Frauenanteil an der Hausarbeit mit steigendem Gehalt ab, allerdings nur, solange sie weniger verdient als er.5 Sobald sich das Verhältnis nämlich umkehrt und sie mehr verdient als er, gleichen Paare diese seltene Rollenverteilung durch besonders traditionelle Zuständigkeiten im Haushalt wieder aus: Je mehr sie verdient, desto größer wird dann auch ihr Anteil an der Hausarbeit, schreiben Michael Bittman und Kolleg*innen im »American Journal of Sociology«6. Diese eigenartige Entwicklung gehe so weit, dass Frauen sogar dann den Hauptanteil übernehmen, wenn er gar nicht arbeitet.
Die große Mehrheit der Männer ist der Meinung, einen guten Vater zeichne aus, »so viel Zeit wie möglich mit seinen Kindern zu verbringen«7, ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Zeitschrift Eltern. Und obwohl die Hälfte der befragten Männer angab, in ihrem Betrieb wäre Teilzeit problemlos möglich, nutzen doch nur fünf Prozent der Väter diese Möglichkeiten. Sind also die ungünstigen Verhältnisse schuld, dass Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinanderiegen? Hindern Unternehmen, Finanzen und drohender Karriereknick die Männer daran, gute Väter zu sein? Immerhin entscheidet sich ein Viertel der Väter dafür, Elternzeit zu nehmen, doch leider bleibt es oft beim Pflichtprogramm von zwei Monaten, die es braucht, damit das Paar die vollen 14 Monate Elterngeld ausschöpfen kann, wie die Zahlen des Statistischen Bundesamts von 2013 belegen8. Halbe-halbe gibt es selten, und Väter, die den größeren Teil übernehmen, bleiben als Minderheit unter sich. Deshalb sind Berichte und Bücher interessant, in denen Männer vom Experiment Vollzeit-Vatersein berichten. Doch der Tonfall der Texte macht den grundsätzlichen Unterschied schnell deutlich: Sie »finden sich im Gegensatz zu den meisten vermeintlich sorgenvoll verkrampften Müttern so erfrischend locker«, wundert sich der alleinerziehende Vater Jochen König. In seinem Buch »Fritzi und ich. Von der Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein« erzählt er: »Sie finden es pädagogisch furchtbar revolutionär, sich mit ihrem Kind eine Essensschlacht zu liefern oder es ohne Zähneputzen ins Bett zu bringen. Keinen Moment besteht ein Zweifel, dass es sich um einen vorübergehenden Rollentausch handelt, ein Experiment, das lediglich der Arbeitsmarkt- beziehungsweise der Kindergartenplatzsituation geschuldet ist, und dem die Autoren am Ende natürlich trotzdem (sobald der Spuk vorbei ist) etwas Positives abgewinnen können.«9
Dabei wollen wir unsere Kinder doch gleichberechtigt erziehen. Gleichberechtigt nicht nur in Bezug auf das Kind, das, egal welchen Geschlechts, dieselben Möglichkeiten und Förderungen erfahren soll, sondern ebenso in Bezug auf die Eltern, auf Mütter und Väter, die sich mit den gleichen Rechten und Pflichten in die Erziehung der Kinder einbringen. Doch schon Schwangere sehen sich mit einem starken Rollenvorbild konfrontiert, einer Übermutterrolle, der sie in irgendeiner Weise gerecht werden müssen und wollen. Während Schwangerschaft und Stillzeit wird ihnen ihr Frausein täglich auf einer sehr direkten, körperlichen Art bewusst (gemacht), was dazu führt, dass all die positiven wie negativen Stereotype ständig präsent sind. Das macht es nicht gerade einfach, eine individuelle Haltung zu Kind und Mutterschaft zu entwickeln. Und auch die Väter leiden unter der Stereotypbedrohung. Da es ein selbstverständliches, positives Vater-Vorbild noch gar nicht gibt, müssen Väter ständig unter Beweis stellen, dass auch sie eine gute Mutter sein können. Und der Vorwurf, dass sie das nicht so gut können, nicht gut genug jedenfalls, der kommt fein verpackt als Lob daher. Väter werden für die alltäglichste Kleinigkeit gelobt, die für Mütter – und für jeden beteiligten Vater auch! – einfach selbstverständlich sind: »Respekt, Sie sind das ganze Wochenende allein mit den Kindern? Sagen Sie aber ruhig Bescheid, wenn Sie Hilfe brauchen.«
Die Rosa-Hellblau-Falle steht also schon bereit, noch bevor ein Kind überhaupt geboren ist. In der Schwangerschaft folgt dann auf die erste harmlose Frage »Wann ist es denn so weit?« gleich die häufigste: »Was wird es denn?« Und noch bevor das Kind auf der Welt ist, erfahren werdende Eltern, dass Mädchen der Mutter die Schönheit rauben und viele Tritte oder ein spitzer Bauch auf einen Jungen hinweisen. Auch wer nichts gibt auf die alten Weisheiten, hat selbst dennoch Vorlieben: Laut einer Gießener Studie wünschen sich Männer beim ersten Kind eher einen Sohn, Frauen eher eine Tochter. Die Forscher begründen das damit, dass es wohl leichter fällt, sich mit dem eigenen Geschlecht zu identifizieren.10 Und hat man dabei nicht vielleicht schon eine Vorstellung im Kopf, was man mit Mädchen besser spielen, was man mit Jungen besser unternehmen könnte? Wohl deshalb wollen über 80 Prozent der Eltern vor der Geburt wissen, ob sie einen Jungen oder ein Mädchen erwarten, so das Ergebnis einer Umfrage der Zeitschrift Eltern11. Doch wenn sich die werdenden Eltern das Geschlecht des Fötus bei der Ultraschalluntersuchung sagen lassen, verändert sich mit dem Wissen bereits die Erwartungshaltung an das Ungeborene, erklärt Mechthild Neises, Leiterin der Abteilung Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe an der Medizinischen Hochschule Hannover: »Es ist nicht unüblich, bereits Babys im Bauch bestimmte Charaktereigenschaften zuzuschreiben. Das eine Kind wird als lebhaft, das andere als eigenwillig oder still wahrgenommen. Wenn ich jetzt das Geschlecht des Babys kenne, werden diese Charaktereigenschaften konkretisiert, und zwar meist nach den gängigen Rollenklischees. Auch die Stimmlage, mit der mit dem Baby im Bauch gesprochen wird, orientiert sich daran, ob es eine ›sie‹, ein ›er‹ oder eben noch ein ›es‹ ist.«12 Ähnlich argumentiert Wassilios Fthenakis, Professor für Entwicklungspsychologie und Anthropologie an der Freien Universität Bozen, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Die geschlechtstypische Behandlung beginne schon vor der Geburt: »Die Eltern erfahren das Geschlecht des Kindes und beginnen, die Bewegungen des Fötus geschlechtsangemessen zu interpretieren. Sie sagen etwa: ›Das ist aber ein lebendiger Junge‹, wenn der Fötus viel strampelt. Oder: ›Das ist ein braves Mädchen‹, wenn der Fötus ruhig ist. Sie entwerfen bereits ein sozial verankertes, geschlechtsstereotypes Modell. Wenn das Kind zur Welt kommt, setzt sich das auf der Handlungsebene fort.«13
»Wie süüüß!«, sagen oder fühlen Menschen, wenn ein Säugling oder Kleinkind unter den Decken eines Kinderwagens strampelt und lustige Laute ausprobiert. Und das ist auch gut so. Denn wer klein und niedlich ist, bekommt automatisch Schutz. Das Kindchenschema funktioniert zum Glück auch ohne Rosa. Deshalb gibt es nicht wirklich Anlass, es bei Mädchen durch Rüschenkleidchen und Blümchen zu verstärken. Warum soll die eine Hälfte noch süßer und niedlicher sein als die andere? Brauchen Mädchen etwa mehr Schutz und Zuwendung als niedliche, stupsnasige Jungs? Offenbar sind viele Eltern und Großeltern dieser Ansicht. Deshalb werden weibliche Säuglinge auch prompt fester angefasst und mit tieferer Stimme angesprochen, kaum dass sie hellblaue Kleidung tragen und für einen Jungen gehalten werden. Und andersherum gehen die Stimmen bei einem Jungen, der in Rosa gekleidet wird, nach oben. Weint ein Junge, nehmen Erwachsene an, dass er wütend ist, bei einem Mädchen vermuten sie dagegen eher Angst. Es sind die sogenannten ›Baby-X-Studien‹14, die belegen, wie anders Erwachsene auf ein Baby reagieren, abhängig davon, ob sie es für einen Jungen oder für ein Mädchen halten. Der Begriff geht zurück auf zwei Studien der Psychologin Phyllis A. Katz, die die unterschiedliche Spielzeugwahl (Puppe, Ball oder Ring) Erwachsener beobachtete, wenn ihnen ein Baby in gelbem Strampelanzug als Mary beziehungsweise als Johnny vorgestellt wurde. Ein und dasselbe Verhalten wird also unterschiedlich gewertet, weil wir das, was wir sehen, abgleichen mit dem, was wir als typisch Mädchen beziehungsweise typisch Junge tief im Unterbewusstsein gespeichert haben. In einem Experiment, das die motorischen Fähigkeiten von Krabbelkindern untersuchte, zeigte sich, dass Eltern dazu neigen, Jungen zu überschätzen, Mädchen dagegen zu unterschätzen, obwohl objektiv keine Unterschiede in den Fähigkeiten der Jungen und Mädchen vorhanden waren15.
Sitzt unser angebliches Wissen über Jungen und Mädchen nicht zu tief, können wir in solchen Situationen überhaupt aus unserer Haut? Wir haben nicht darauf geachtet, ob wir mit unseren Töchtern mehr gesprochen haben als mit unserem Sohn. Ob wir mit ihr einen körperlicheren Umgang gepflegt und ihm schon im Krabbelalter einen größeren Bewegungsradius zugestanden haben. Aber im Nachhinein irritiert uns schon, dass unsere älteste Tochter Mika nie gekrabbelt ist und sich dafür ausgiebig und feinstmotorisch auf ihrer Decke sitzend mit Kleinzeug beschäftigt hat. Sie hat unsere CD- und Bücherregale ausgeräumt, Schubladen und Fächer in der Küche neu sortiert, alles ohne Krabbeln. Kleiner Bewegungsradius, typisch Mädchen? Oder typisch für Eltern in der Genderfalle? Oder gar Familienerbe über die Geschlechtergrenzen hinweg, denn meiner Mutter fiel gleich wieder ein, dass ich ja auch nicht gekrabbelt sei. Als Mika laufen konnte, sind wir dann zwar über Stock und Stein durch die Bäche und Schluchten unserer Umgebung gewandert, ob das aber als Ausgleich ausreicht? Immerhin waren wir davon überzeugt, dass, was auch immer unsere Kinder von sich aus mitbringen mögen, sich Charakter, Interessen und Eigenschaften erst im täglichen Miteinander entwickeln, dass wir und unsere Kinder nicht determiniert sind, sondern uns immer weiter entwickeln können. Eltern verstärken nämlich vor allem dann das geschlechtstypische Verhalten ihrer Kinder, wenn sie davon ausgehen, es sei angeboren, erklärt Tim Rohrmann, Leiter des Instituts für Pädagogik und Psychologie und Experte auf dem Gebiet der geschlechterbewussten Pädagogik.16