Kitabı oku: «Inklusive Pädagogik und Didaktik (E-Book, Neuauflage)», sayfa 2
Praktisches Handeln als gemeinsame Aktivität
Förderung aller Kinder, eben auch von Kindern mit SEN, kann im Begriffsverständnis der Aktivitätstheorie (vgl. AT der dritten Generation: z. B. Engeström, 1987, 1999) als Tätigkeit aufgefasst werden. Das Motiv für die besondere Förderung eines Kindes ist ein pädagogisches, indem nämlich die Reduktion von Differenz in den an Schulen relevanten Diversitätsdimensionen angestrebt wird wie zum Beispiel die Möglichkeit, Texte zu lesen, zu verstehen und selbst auch produzieren zu können. Die umfassende Tätigkeit «Förderung» unterteilt sich in einzelne Handlungen (z. B. die Planung von unterschiedlichen Fördermaßnahmen während eines Schuljahrs), die durch gemeinsam verantwortete Ziele im Förderteam gesteuert werden. Diese Handlungen wiederum unterteilen sich in einzelne Operationen (zum Beispiel konkrete Leseförderungstrainings durchführen, Rechtschreibprogramme anleiten, die Arbeit der Kinder damit begleiten), die sich aus instrumentellen Bedingungen ergeben. Dabei stellt die Tätigkeit «Förderung» eine kollektive Tätigkeit dar (zum Beispiel durch mehrere Personen, die ihre je individuell ausgeführten Handlungen jeweils auf die Ziele ausrichten).
Eine inklusive Schule ist angewiesen auf spezifische, professionelle sonderpädagogische Förder- und Unterstützungsangebote. Die Abschaffung einer disziplinären Sonderpädagogik zugunsten einer Pädagogik der Vielfalt würde bedeuten, dass es den Lehrpersonen allein obliegt, über diese Wissensbestände und dieses praktische Können zu verfügen und Wissen und Können weiterzuentwickeln. Es dürfte sehr schwierig sein, angehende Lehrpersonen im Rahmen ihrer allgemeinen Ausbildung zusätzlich auch noch auf diese Aufgabe vorzubereiten, das heißt neben ihrer anspruchsvollen Unterrichtspraxis von ihnen auch noch die spezifische sonderpädagogische Unterstützung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen zu fordern. Wenn das aber nicht gelingt, ist das Ergebnis ein substanzieller Verlust von Wissen und Praxiskönnen und damit ein massiver Verlust an gezielter Förderung für die betroffenen Kinder. Inklusive Förderung und Unterstützung gelingt nur in Anbindung an eine entsprechende Praxis und im damit verbundenen Austausch von Praxiswissen mit weiteren Personen. Dazu braucht es spezialisierte Netzwerke, Ausbildungsgänge und Weiterbildungsangebote von und für Spezialistinnen und Spezialisten. Notwendig ist deshalb eine Klärung der Aufgaben, Kompetenzen und gegenseitigen Pflichten zwischen spezifisch ausgebildeten Fachpersonen mit spezifischem Wissen und entsprechender Praxis einerseits und Klassenlehrpersonen andererseits.
Pädagogisch-therapeutische Fachperson (PTF)
— Pädagogisch-therapeutische Fachpersonen (PTF) im Bereich Sonderpädagogik, Therapie usw. verfügen über das fachliche Wissen und Können in Bezug auf die diagnostische Erfassung von Lern- und Verhaltensvoraussetzungen und die Entwicklung individuell angepasster, pädagogisch-therapeutischer Förderziele, Fördermaßnahmen und Unterrichtsmaterialien. Sie arbeiten aktiv mit den Regelschullehrpersonen im gemeinsamen Unterricht zusammen. Sie unterstützen und fördern Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen in Bezug auf individuelle Lern- und Entwicklungsziele.
Lehrperson
— Eine Lehrperson (Klassenlehrperson oder Fachlehrperson) gestaltet einen differenzierten, inklusiven Unterricht, plant lehrplanbezogen die Lernziele aller Schülerinnen und Schüler und überprüft, ob sie sie erreichen können. Sie schafft ein positives und auf gegenseitiger Hilfe und Rücksichtnahme basierendes Klassenklima. Sie ist in der Lage, Lernschwierigkeiten und besondere Lern- und Verhaltensvoraussetzungen wahrzunehmen. Die Lehrperson arbeitet für eine solche Förderung mit der PTF zusammen. Sie gestaltet die Zusammenarbeit mit den Eltern und im Schulteam und übernimmt die Verantwortung für die schulische Gesamtsituation all ihrer Schülerinnen und Schüler.
Wie kommt in einer inklusiven Schule dieses spezifische Know-how für die Förderung in einem inklusiven Schulsystem den Kindern zugute, die es benötigen? Eine einzelne Lehrperson allein kann diesem Anspruch nicht genügen. Eine inklusive Schule erfordert die Zusammenarbeit eines multiprofessionellen Schulteams. Inter- und intradisziplinäre Zusammenarbeit von Lehrpersonen an der Regelschule und den pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen erweist sich dabei als Arbeitsform, welche die Kompetenzen der Lehrpersonen verbessert (vgl. Baumert & Kunter, 2006) und zur Professionalisierung in den Bereichen inklusive Unterrichtsgestaltung und individuelle Förderplanung beiträgt (vgl. Luder et al., 2011). Dabei ist es wesentlich, die gemeinsame Praxis an gemeinsam formulierten Förderzielen auszurichten: «Die Freiheitsgrade der disziplinären Praxis sollen […] nicht verringert werden, die interdisziplinäre Ausrichtung der pädagogisch-therapeutischen Handlungen hingegen soll verstärkt werden» (Kunz, Gschwend & Luder, 2011, S. 21).
Professionelle Zusammenarbeit
Die professionelle Zusammenarbeit zwischen Klassenlehrperson (KLP) und pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen (PTF) kann unterschiedlichste Formen annehmen (vgl. Kunz et al., 2012). Wenn ein Tandem oder Team, bestehend aus mindestens einer KLP und einer PTF, sich optimal ergänzt und aufeinander abgestimmt ist, dann kann von getrennten jeweiligen Zuständigkeiten und einer Überlappung von gemeinsam verantworteten Aufgaben gesprochen werden. Die Personen bleiben einerseits in ihren Funktionen mit klaren Aufgabenbereichen unabhängig und bringen andererseits ihre unterschiedlichen Kompetenzen im Unterricht ein. Beide Personen teilen sich die Verantwortung für das Gelingen schulischer Förderung.
Geht man von multiprofessionellen Lehrerteams aus, die in flexiblen Formen schulischer Arbeitsorganisation zusammenarbeiten, dann gibt es auch eine Reihe möglicher Kombinationen, nicht zwingend im Sinn von getrennten Zuständigkeiten. So kann das gesamte Team für eine bestimmte Fragestellung zuständig sein, die Aufgaben und Funktionen sind jeweils unterschiedlich und untereinander koordiniert. Aber auch hier bedingt dies eine klare Rollenaufteilung entlang der Kompetenzen einzelner Personen. Auf der Basis des Modells «getrennte Zuständigkeiten mit einer Schnittmenge» lassen sich diesbezüglich solche Absprachen spezifischer und gemeinsamer Aufgaben von Klassenlehrpersonen und pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen bestimmen. In Tabelle 1 werden exemplarisch für die Bereiche Unterricht, individuelle Förderung und Förderplanung, Evaluation und Beurteilung sowie Zusammenarbeit und Koordination solche Aufgaben beschrieben, die auf Praxiserfahrungen und entsprechenden Empfehlungen beruhen (vgl. u. a. Ramírez Moreno, 2010; Bildungsdirektion des Kantons Zürich, 2011). Sie werden nicht als abschließende Zusammenstellung, sondern als mögliche Beispiele und Diskussionsgrundlage verstanden.
TABELLE 1: Aufgabenklärung für die Zusammenarbeit von Lehrpersonen und pädagogisch-therapeutischen Fachpersonen (schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, Therapeutinnen und Therapeuten) (in Anlehnung an Kunz & Gschwend, 2011)
Bereich | Zuständigkeit primär bei der Lehrperson | Schnittmenge: gemeinsame Zuständigkeit | Zuständigkeit primär bei der pädagogisch-therapeutischen Fachperson |
Unterricht | Gestaltung eines integrationsfähigen Unterrichts (innere Differenzierung und Individualisierung) | Individuelle Unterstützung und Förderung im gemeinsamen Unterricht (z. B. Teamteaching)Gemeinsame Unterrichts-reflexion und Unterrichts-entwicklung | Entwicklung individuell angepasster Förder- und UnterrichtsmaterialienGezielte Förderung und Unterstützung in Bezug auf individuelle Lern- und Entwicklungsziele |
Individuelle Förderung und Förderplanung | Erkennen von Lernschwierigkeiten und Entwicklungs-auffälligkeiten | Zielsetzung und Vereinbarung von Maßnahmen | Diagnostische Erfassung von Lern- und Entwicklungs-voraussetzungenCase Management / Verfassen individueller Förderpläne |
Evaluation und Beurteilung | Beurteilung aller Schülerinnen und Schüler in Bezug auf die Lehrplanziele | Prognostische Beurteilung und Laufbahnberatung | Diagnostische Erfassung von Lern- und Verhaltens-voraussetzungen (im Sinne pädagogischer Diagnostik / Verlaufsdiagnostik)Führungsrolle beim Verfassen individueller Lernberichte |
Zusammenarbeit und Koordination | Hauptansprechperson für die Eltern und Gesamtverantwortung für alle Schülerinnen und Schüler der Klasse | Zusammenarbeit mit Eltern und im Schulteam | Einbringen von fachlichem sonderpädagogischem Wissen, BeratungsangeboteKoordination der Zusammenarbeit mit externen Stellen |
Inklusive Sonderpädagogik – mit einem Widerspruch umgehen
Sonderpädagogik
Sonderpädagogik (englisch: special needs education) geht von besonderen Lern- und Lehrsituationen aus. Dies heißt, dass es daneben auch übliche, nicht besondere Lern- und Lehrsituationen gibt. Dieses Verständnis wird von Vertreterinnen und Vertretern einer Inklusionspädagogik (z. B. Wolfgang Jantzen, Ines Boban, Andreas Hinz) infrage gestellt. Sie argumentieren, dass die Schaffung einer Kategorie «besonderer» pädagogischer Bedürfnisse eine künstliche Abgrenzung ist. Dieser Argumentation folgend ist jedes Kind besonders und hat auch besondere pädagogische Bedürfnisse im Vergleich zu anderen Kindern. Eine besondere Pädagogik für eine bestimmte Gruppe von Kindern ist demzufolge nicht nur unnötig, sondern vor allem mit negativen Konsequenzen wie Stigmatisierung, systematischer Unterforderung und Diskriminierung verbunden. Einfacher formuliert: Wenn die allgemeine Pädagogik gut genug für alle Schülerinnen und Schüler ist, braucht es keine Sonderpädagogik.
Von sonderpädagogischer Seite her kann dagegen argumentiert werden, dass es pädagogische Bedürfnisse einzelner Kinder gibt, die das in der Praxis bestehende Schulsystem überfordern. Eine adäquate Förderung dieser Kinder erfordert spezielles Know-how, besondere Rahmenbedingungen oder spezifische Ressourcen, die üblicherweise in der Schule nicht zur Verfügung stehen und die für den größten Teil der Schülerinnen und Schüler auch nicht notwendig und nicht angemessen sind.
Mit der Gegenüberstellung dieser beiden Argumentationen ergeben sich zwei wesentliche Fragen für die Praxis:
1. Wie können «besondere» pädagogische Bedürfnisse definiert werden, und wie unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler mit von solchen ohne besondere pädagogische Bedürfnisse?
— Eine mögliche Antwort auf diese erste Frage ergibt sich über einen bio-psycho-sozial definierten Behinderungsbegriff, wie zum Beispiel eine Begriffsdefinition auf der Basis der ICF. → Siehe auch Beitrag von Hollenweger.
2. Wie können Schülerinnen und Schüler mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen gefördert werden, ohne sie Nachteilen wie Stigmatisierung, Unterforderung oder Diskriminierung auszusetzen? In welchen Situationen brauchen einzelne Lernende bzw. einzelne Gruppen von Lernenden spezifische Anpassungen des Unterrichts? Wie können solche Situationen aussehen? Welche Handlungsmöglichkeiten haben Lehrpersonen, um in solchen Situationen ohne die genannten Nachteile intervenieren zu können?
— Eine mögliche Antwort auf die zweite Frage ist die inklusive Umsetzung sonderpädagogischer Förderung und das Lernen in Kooperation am gemeinsamen Gegenstand im inklusiven Unterricht der Regelschule. → Siehe auch Beitrag von Müller Bösch und Schaffner Menn.
Aufbau des Studienbuchs
ICF: Umweltfaktoren
Es geht in diesem Buch um besondere Situationen in der Schule, im Unterricht. Das Studienbuch unterstützt einen Unterricht für alle, ohne Ausschluss von Lernenden, und hat damit vor allem Maßnahmen in konkreten Unterrichtssituationen und damit auf der Mikroebene des Bildungssystems (vgl. Fend, 2006) im Fokus. Daneben werden Handlungsmöglichkeiten auf der Mesoebene (Schuleinheit und professionelle Zusammenarbeit im Team) sowie Aspekte auf der personalen Ebene (Einstellungen, Grundhaltungen) aller Beteiligten immer wieder aufgegriffen und ausgeführt.
Das Buch hat zum Ziel, sonderpädagogische Grundlagen in kompakter Form zu vermitteln und Handlungsmöglichkeiten im Unterricht aufzuzeigen. Es orientiert sich in allen seinen Bereichen nicht an den Defiziten des Kindes, sondern an Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen in konkreten Unterrichtssituationen.
Fokussiert werden Handlungsmöglichkeiten in verschiedenen Situationen im Unterricht, in denen unterschiedliche besondere Bedürfnisse bei einzelnen oder mehreren Lernenden auftreten: Den besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen müssen Lehrpersonen in der Praxis kompetent begegnen können. Lehrpersonen haben den Auftrag, im Unterricht der Vielfalt an Lernvoraussetzungen gerecht zu werden und alle Lernenden zielbezogen zu fördern. Das Studienbuch orientiert sich hier an einer Vielfalt von Situationen, die kategorisiert werden, und an den Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen im inklusiven Unterricht.
Nach dem einführenden ersten Teil, in dem grundlegende Modelle und Konzepte einer inklusiven Schule besprochen werden, widmet sich der zweite Teil der Praxis inklusiven Unterrichts: Wie kann Unterricht didaktisch so gestaltet werden, dass gemeinsamer Unterricht aller Schülerinnen und Schüler möglich wird?
ICF
Als Struktur für den dritten, differenziellen Teil nutzt das Buch die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) der WHO (z. B. in Deutsch erhältlich beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI, 2005). → Siehe auch Beitrag von Hollenweger. Entlang der Kapitel der Domäne «Aktivität und Partizipation» werden Handlungsmöglichkeiten im Unterricht aufgezeigt:
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich des Lernens und der Wissensanwendung
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Aufgaben und Anforderungen
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Spracherwerb und Begriffsbildung
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich der Kommunikation
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Mobilität
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich interpersonelle Interaktionen und Beziehungen
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Selbstversorgung
— Handlungsmöglichkeiten im Bereich Gemeinschaft, soziales und staatsbürgerliches Leben
Literatur
Baumert, J. & Kunter, M. (2006). Professionelle Kompetenz von Lehrpersonen. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469–520.
Bildungsdirektion des Kantons Zürich (2011). Förderplanung. Bildungsdirektion des Kantons Zürich.
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI (2005). Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/index.htm.
Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information DIMDI (2010). Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10). www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/downloadcenter/icd-10-who/version2011/systematik/.
Engeström, Y. (1987). Learning by expanding: An activity-theoretical approach to developmental research (with the Introduction to the German Edition). Orientakonsultit. http://lchc.ucsd.edu/MCA/Paper/Engestrom/expanding/toc.htm.
Engeström, Y. (1999). Activity theory and individual and social transformation. In Engestrom, Y., Miettinen, R. & Punamäki, R.-L. (Hrsg.), Perspectives on Activity Theory (S. 19–38). Cambridge University Press.
Fend, H. (2006). Neue Theorie der Schule. Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Lehrbuch. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Hengartner, E., Hirt, U., Wälti, B. & Primarschulteam Lupsigen (2006). Lernumgebungen für Rechenschwache bis Hochbegabte. Klett.
Hinz, A. (2009). Inklusive Pädagogik in der Schule – veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik!? Oder doch deren Ende? Zeitschrift für Heilpädagogik, 60(5), 171–179.
Kunz, A. & Gschwend, R. (2011). Kooperation im Rahmen der Förderplanung. In Luder, R., Gschwend, R., Kunz, A. & Diezi-Duplain, P. (Hrsg.), Sonderpädagogische Förderung gemeinsam planen. Grundlagen, Modelle und Instrumente für die Praxis (S. 105–128).Verlag Pestalozzianum.
Kunz, A., Gschwend, R. & Luder, R. (2011). Webbasierte interdisziplinäre Förderplanung bei auffälligem Verhalten. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, (8), 19–26.
Kunz, A., Luder, R., Gschwend, R. & Diezi-Duplain, P. (2012). Schulische Integration, Rollenverständnis, -konflikte. Rollenklärung für eine gemeinsame, interdisziplinäre Förderplanung. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 18(9), 5–12.
Leidner, M. (2012). Verschiedenheit, besondere Bedürfnisse und Inklusion. Grundlagen der Heilpädagogik. Schneider Verlag Hohengehren.
Leonardi, M., Bickenbach, J., Ustun, T. B., Kostanjsek, N. & Chatterji, S. (2006). The definition of disability: what is in a name? The Lancet, 368, 1219–1220.
Luder, R. (2016). Integration oder Inklusion? Inklusion konkret, 1(1), 9–14.
Luder, R., Gschwend, R., Kunz, A. & Diezi-Duplain, P. (Hrsg.) (2011). Sonderpädagogische Förderung gemeinsam planen. Grundlagen, Modelle und Instrumente für die Praxis. Verlag Pestalozzianum.
Plösser, M. (2013). Diversity. Vierteljahresschrift für Heilpädagogik und ihre Nachbargebiete, 82(1), 60–63.
Ramírez Moreno, M. (2010). Leporello Zusammenarbeit in der Sekundarstufe. Schulamt der Stadt Zürich.
UNESCO (2005). Guidelines for inclusion: Ensuring access to education for all. UNESCO.
Links
ICF (WHO): www.who.int/classifications/icf/en/ [04.06.2021].
ICF über DIMDI: www.dimdi.de/static/de/klassi/icf/ [04.06.2021].
Das Phänomen «schulische Behinderung»
Kai Felkendorff und Reto Luder
Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) bildet die gemeinsame konzeptuelle Grundlage dieses Studienbuchs. Im Folgenden soll eine Gruppe von Umweltfaktoren im Sinne der ICF beleuchtet werden, die maßgeblichen Einfluss auf das professionelle Handeln von Lehrpersonen, auf das Gelingen inklusiver Pädagogik und Didaktik und damit auf Behinderung und Funktionsfähigkeit in der Schule hat: Schulsysteme und deren Handlungsgrundsätze und Dienste. Schulsysteme bringen aufgrund ihrer spezifischen Ziele, Fähigkeitserwartungen und Funktionslogiken eigenständige Institutionalisierungen von Behinderung hervor.
Schulische Behinderung hat viele Namen
Vielen Kindern und Jugendlichen werden in Schulsystemen temporär oder dauerhaft «besondere pädagogische Bedürfnisse» oder «sonderpädagogischer Förderbedarf» attestiert; sie erhalten «sonderpädagogische Maßnahmen» wie «integrative Förderung», «heilpädagogische Unterstützung» oder «besondere Hilfsmittel» in unterschiedlichen «Fördersettings», möglicherweise sind sie in bestimmten Fächern auch «lernzielbefreit», besuchen temporär «Time-out-Klassen» oder mehr oder weniger dauerhaft «Integrationsklassen», «Förderklassen», «Förderschulen» oder «Schulen zur individuellen Lernförderung». Manche werden wegen attestierter «Schulunfähigkeit» temporär oder dauerhaft vom Besuch der Schule ausgeschlossen, während andere während oder nach der Unterrichtszeit schulinterne Therapieangebote für Logopädie oder Psychomotorik besuchen. Wieder andere nehmen zusätzlich zu oder gänzlich unabhängig von pädagogisch-therapeutischen Interventionen «Nachteilsausgleiche» für spezifische Funktionsbeeinträchtigungen in Anspruch, beispielsweise in Form einer Verlängerung der Bearbeitungszeit oder technischer Modifikationen bei Prüfungen.
Behinderung
Begrifflichkeiten und Handlungsgrundsätze politisch reguliert
In diesem Sinne wird Behinderung als Phänomen, als etwas also, was «sich zeigt», im Kontext Schule als «schulische Behinderung» sichtbar. Da die verwendeten Begriffe und Kategorien sowie die zugehörigen Dienste und Handlungsgrundsätze durch die jeweils zuständigen politischen Instanzen festgelegt werden, gelten Begriffe, Kategorien, Dienste und Handlungsgrundsätze innerhalb der politisch-regulatorischen Grenzen von Schulsystemen. Gleiches gilt für die verfügbaren Ressourcen, die genauen Prozeduren für deren Vergabe sowie für die Prozeduren zur Zuweisung von «Förderorten». Je nachdem, auf welcher politischen Ebene ein Sachverhalt reguliert wird, kann er in der nächsten Gemeinde, im benachbarten Kanton, Bundesland oder eben im Nachbarstaat anders ausgestaltet sein. Begriffe, Kategorien, Dienste und Handlungsgrundsätze werden durch Wissenschaft und Öffentlichkeit kritisch hinterfragt, sie verändern sich über die Zeit, vermittelt über politische Prozesse, und sind damit stets Ausdruck des aktuellen Standes der Institutionalisierung schulischer Behinderung.
Begriffe bezeichnen schulspezifische Formen der Bearbeitung von Behinderung
Viele der aktuell gebräuchlichen Begriffe werden alltagssprachlich nicht oder nicht direkt mit Behinderung in Zusammenhang gebracht. Die Ausführungen von Hollenweger zur ICF (nachfolgender Beitrag) verdeutlichen aber, dass diese Begriffe schulsystemspezifische Formen der Bearbeitung von Behinderung und der Einflussnahme auf Funktionsfähigkeit und Performanz in der Schule im Sinn der ICF bezeichnen.
Bewertung und Prestige von Maßnahmen und Förderorten
Ferner wird deutlich, weshalb unterschiedliche Maßnahmen, Status und Förderorte sowohl von Betroffenen und deren Eltern als auch von wissenschaftlichen und politischen Akteuren sehr unterschiedlich bewertet werden. Eine wöchentliche psychomotorische Therapielektion oder individuell vereinbarte Nachteilsausgleiche für die Beeinträchtigung spezifischer Seh- oder Aufmerksamkeitsfunktionen sind sozial anders konnotiert und haben andere Folgen für Betroffene als beispielsweise der langjährige Besuch einer Klasse oder Schule für Jugendliche oder Kinder mit «Problemverhalten» (ausführlich: Tomlinson, 2017).