Kitabı oku: «Inklusive Pädagogik und Didaktik (E-Book, Neuauflage)», sayfa 4
Philosophie und Modell der ICF
Die ICF baut auf einem bio-psychosozialen Verständnis von Behinderung auf
ICF und ICF-CY basieren auf einem bio-psycho-sozialen Verständnis von Behinderung. Damit wird deutlich gemacht, dass Behinderungen nicht einfach auf eine Störung oder ein körperliches Problem reduziert werden können. Behinderungen müssen unter der Perspektive des Körpers (z. B. Funktionen des Hörens), der Aktivitäten des Individuums (z. B. Fähigkeit, gesprochene Sprache zu verstehen) und der Beteiligung an sozialen Situationen (z. B. im Klassenzimmer dem Unterrichtsgeschehen folgen) betrachtet werden. «Behinderung» wird also nicht mit einer vorliegenden Schädigung der Körperfunktionen (Sehfunktionen) oder der Körperstrukturen (Retina) gleichgesetzt, auch die Fähigkeiten der Person (zuschauen, lesen) und ihre Beteiligung an verschiedenen Lebenssituationen (Schulweg bewältigen, sich am Unterricht beteiligen) werden berücksichtigt. Das ist besonders wichtig, wenn es darum geht, Schwierigkeiten bei der Beteiligung in der Schule zu verstehen; denn nicht alle Schwierigkeiten ergeben sich zwingend aus einer bestimmten Schädigung.

ABBILDUNG 1: Modell der ICF und der ICF-CY (nach WHO, 2011)
Das Modell der ICF (siehe Abbildung 1) berücksichtigt dieses bio-psychosoziale Verständnis, indem es Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation als drei getrennte, aber zueinander in Beziehung stehende Konstrukte definiert. → Siehe Beitrag von Felkendorff und Luder. Sie alle können von einem vorliegenden Gesundheitsproblem, aber auch von den Kontextfaktoren (Umweltfaktoren, personbezogene Faktoren) beeinflusst werden und umgekehrt. Mit Gesundheitsproblem sind Krankheiten oder Störungen gemeint, wie sie in der internationalen Klassifikation der Krankheiten erfasst werden. Down-Syndrom, Autismus oder Zerebralparese werden als solche Gesundheitsprobleme verstanden. Umweltfaktoren sind äußere Einflüsse, während personbezogene Faktoren als der betroffenen Person immanent oder zugehörig verstanden werden, wie etwa das Alter oder das Geschlecht (vgl. ICF, Kapitel 3 und 6). Der Begriff «Behinderung» selbst taucht im Modell nicht auf, weil Behinderung als das Ergebnis dieser komplexen Interaktion verstanden wird.
Kontinuum zwischen Funktionsfähigkeit und Behinderung
In der ICF wird Funktionsfähigkeit und Behinderung als Kontinuum verstanden, auf dem alle Menschen sich zu einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben befinden. Alle Menschen erleben Gesundheitsprobleme, und wer lange genug lebt, wird früher oder später mit Einschränkungen der Funktionsfähigkeit konfrontiert. Deshalb ist die Sprache der ICF universell, sie beschreibt Dimensionen der Funktionsfähigkeit, die für alle Menschen relevant sind. Wenn sich alle auf einem Kontinuum zwischen Funktionsfähigkeit und Behinderung verorten können, gibt es auch keine eindeutige Trennung zwischen behindert und nicht behindert. Ist ein Kind extrem introvertiert, oder ist es autistisch? Ist es expansiv und dominant, oder ist es aggressiv und verhaltensgestört? Ist es verträumt und mehr an Fußball statt an Mathematik interessiert, oder ist es lernbehindert? Ist es einfach schlecht in der Rechtschreibung, oder hat es eine Lese-/Rechtschreibstörung? Entscheidungen in die eine oder andere Richtung werden nach bestimmten Kriterien und mit bestimmten Absichten getroffen, diese können auch von Fachperson zu Fachperson unterschiedlich sein.
ICF als universelle Sprache zur Unterstützung der interdisziplinären Zusammenarbeit bei der Förderplanung
Die universelle Sprache der ICF erleichtert die interdisziplinäre Zusammenarbeit, weil sie nicht ausschließlich auf medizinische, psychologische oder soziale Probleme fokussiert, sondern diese in einer gemeinsamen Systematik erfasst. Augenärztin, Regellehrperson und schulische Heilpädagogin haben je eine spezifische Sicht auf die Situation des Kindes und konzentrieren sich auf diejenigen Aspekte der Behinderung, die primär mit ihrem Wissen und ihren Aufgaben in Zusammenhang stehen. Wenn sie sich auf die ICF und die ICF-CY als gemeinsame Sprache verständigen, können sie ihre Beobachtungen und Überlegungen gemeinsam verorten und integrieren. Nicht nur für eine umfassendere und differenziertere Beschreibung von Behinderungen ist das bio-psychosoziale Modell der ICF hilfreich, sondern auch für das Planen von Maßnahmen. Die Handlungsmöglichkeiten der verschiedenen Fachpersonen sowie der Eltern und des Kindes können so bei der Umsetzung von gemeinsam vereinbarten Zielen koordiniert werden.
Partizipation
Für das Handeln von Lehrpersonen besonders wichtig ist, dass die ICF nicht die Eigenschaften von Personen ins Zentrum stellt, sondern die Lebenssituationen, in denen Menschen sich befinden. Dadurch wird eine Perspektive gewählt, die Lehrpersonen Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Niemand kann die Eigenschaften einer anderen Person ändern, aber auf Situationen haben alle Beteiligten einen Einfluss. Durch die Veränderung unseres Handelns können wir Situationen verändern und die Umwelt so gestalten, dass Lernen unterstützt und gefördert wird. Das Konstrukt der Partizipation ist deshalb für Lehrpersonen zentral. Je besser Lehrpersonen verstehen, welche Faktoren die Partizipation in der jeweiligen Situation wie beeinflussen, desto eher werden sie den Unterricht optimal gestalten können. Statt sich auf nicht veränderbare Schädigungen, bestimmte Eigenschaften oder Dispositionen zu konzentrieren, wird der Blick auf das gelenkt, was verändert werden kann. Im Folgenden sollen die Grundlagen dargestellt werden, die Lehrpersonen helfen, ihre Handlungsmöglichkeiten in konkreten Situationen vor dem Hintergrund von vorhandenen Behinderungen auszuloten und optimal zu nutzen.
Funktionsfähigkeit und Behinderung
ICF: Umweltfaktoren beeinflussen die Partizipation und Aktivitätsmöglichkeiten von Menschen
Wie bereits erwähnt, erleben alle Menschen während ihres Lebens vorübergehende oder anhaltende Beeinträchtigungen ihrer Fähigkeit, an einem guten Leben teilzuhaben. Manchmal stehen Beziehungsprobleme im Vordergrund, manchmal fehlen die notwendigen Ressourcen, manchmal ist man krank, und manchmal ist man einfach müde und niedergeschlagen. Probleme gehören zum Leben, und wir alle müssen damit leben; Schülerinnen und Schülern geht es nicht anders. Oft stehen schwierige Lebenssituationen nicht im Zusammenhang mit Gesundheitsproblemen, sondern mit Krisen in der Familie, mit kritischen Lebensereignissen oder Problemen im schulischen Alltag. Verfügt ein Kind nicht über die erwarteten Kompetenzen, sollte zuerst gefragt werden, ob es genügend Gelegenheiten gehabt hatte, diese zu erwerben. Erst wenn mangelnde Gelegenheiten und andere Ursachen ausgeschlossen werden können, kann eine Behinderung in Betracht gezogen werden. Einige Kinder und Jugendliche sind aufgrund ihrer Lebenssituation oder kritischer Lebensereignisse, aufgrund ihrer Prädisposition oder eines Gesundheitsproblems besonders vulnerabel. Lange andauernde Einschränkungen der Funktionsfähigkeit können zu Behinderungen führen, dabei wirken alle Faktoren, die im ICF-Modell dargestellt sind, zusammen (siehe Abbildung 1). Um diese Dynamik zu verstehen, ist es wichtig, die verschiedenen Dimensionen von Funktionsfähigkeit und Behinderung zu kennen. Auf sie soll in diesem Abschnitt näher eingegangen werden.
Komponenten von Funktionsfähigkeit und Behinderung
Die Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung (Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation) stehen in einem komplexen Wechselspiel untereinander. Der Selbstorganisation und -regulation des Individuums kommt dabei eine hohe Bedeutung zu; die Beziehungen zwischen den Komponenten sind vielfältig. Mit der ICF werden komplexe Verursachungskonstellationen nicht einseitig auf Krankheiten reduziert, sondern in ihrer bio-psycho-sozialen Mehrdimensionalität erkundet. Die Komponente des Körpers besteht aus zwei Klassifikationen; eine erfasst die Funktionen der Körpersysteme und eine deren Strukturen: «Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersystemen (einschließlich psychologischer Funktionen)»; «Körperstrukturen sind anatomische Teile des Körpers wie Organe, Gliedmaßen und ihre Bestandteile» (WHO, 2011, S. 34). Mit dem Begriff «Schädigung» wird die Beeinträchtigung einer Körperfunktion oder -struktur bezeichnet. Die Komponente der Aktivitäten und Partizipation umfasst alle Lebensbereiche, welche die verschiedenen Aspekte der Funktionsfähigkeit aus individueller respektive gesellschaftlicher Perspektive beschreiben: «Eine Aktivität ist die Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung (Aktion) durch einen Menschen.» «Partizipation [Teilhabe] ist das Einbezogensein in eine Lebenssituation.» «Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die ein Mensch haben kann, die Aktivität durchzuführen.» «Eine Beeinträchtigung der Partizipation [Teilhabe] ist ein Problem, das ein Mensch im Hinblick auf sein Einbezogensein in Lebenssituationen erleben kann.» (ebd.)
1. Mentale Funktionen
2. Sinnesfunktionen und Schmerz
3. Stimm- und Sprechfunktionen
4. Funktionen des kardiovaskulären, hämatologischen Immun- und Atmungssystems
5. Funktionen des Verdauungs-, des Stoffwechsel- und des endokrinen Systems
6. Funktionen des Urogenital- und des reproduktiven Systems
7. Neuromuskuloskeletale und bewegungsbezogene Funktionen
8. Funktionen der Haut und der Hautanhangsgebilde
ABBILDUNG 2: Kapitelüberschriften zur Klassifikation der Körperfunktionen
ICF: Körperfunktionen
ICF: Körperstrukturen
ICF: Aktivitäten und Partizipation
Die ICF unterteilt innere Bedingungen und Einflussfaktoren entlang von Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und personbezogenen Faktoren; äußere Bedingungen dagegen entlang von Umweltfaktoren. Dabei nicht erfasst werden die subjektiven Empfindungen, Wünsche und Interpretationen der betroffenen Person, die das Erleben dieses Einbezogenseins beeinflussen. Partizipation ist abhängig von inneren und äußeren Bedingungen und ihrem Wechselspiel; auf diese Zusammenhänge wird unten näher eingegangen. Die Körperfunktionen werden wie in Abbildung 2 dargestellt unterteilt. Die Körperstrukturen orientieren sich an den gleichen Körpersystemen. Die ICF unterscheidet zwischen Aktivitäten und Partizipation, um den Unterschied zwischen den individuellen Leistungsfähigkeiten oder Kompetenzen und der in der aktuellen Umwelt gezeigten Leistung oder Performanz zu unterscheiden. Sie werden jedoch entlang der gleichen neun Lebensbereiche erfasst (siehe Abbildung 3). «Erziehung/Bildung» ist einer der drei «bedeutenden Lebensbereiche» (neben «Arbeit und Beschäftigung» sowie «Wirtschaftliches Leben»), die im achten Kapitel zusammengefasst dargestellt werden.
1. Lernen und Wissensanwendung
2. Allgemeine Aufgaben und Anforderungen
3. Kommunikation
4. Mobilität
5. Selbstversorgung
6. Häusliches Leben
7. Interpersonelle Interaktionen und Beziehungen
8. Bedeutende Lebensbereiche
9. Gemeinschaft, soziales und staatsbürgerliches Leben
ABBILDUNG 3: Kapitelüberschriften zur Klassifikation der Aktivitäten und Partizipation
Partizipationsbeeinträchtigungen sind im schulischen Kontext zentral, denn dort setzt der Auftrag der Schule an. Die Schule stellt nicht eingeschränkte Funktionsfähigkeiten wieder her, sondern sie erweitert die Partizipationsmöglichkeiten der Schülerinnen und Schüler und entwickelt sie weiter. Lehrerinnen und Lehrer sind Fachpersonen für das Lernen und Lehren, also für die Veränderung von Verhaltensweisen und die Erweiterung der Fähigkeiten zur kompetenten Bewältigung unterschiedlichster Situationen. Gesundheitsprobleme können die Partizipationsmöglichkeiten beeinträchtigen. Deshalb ist es wichtig, dass Lehrpersonen auch die mit Krankheiten verbundenen Einschränkungen der Körperfunktionen kennen. Hier braucht es jedoch weniger ein systematisches Wissen zu allen möglichen Problemen als vielmehr spezifische Kenntnisse bezüglich konkret betroffener Schülerinnen und Schüler. Wichtig ist es für Lehrpersonen, den Einfluss von Problemen auf der Ebene von Körperfunktionen in den verschiedenen Situationen, an denen das betroffene Kind sich beteiligt, nicht zu über- oder unterschätzen. Denn auch Kinder mit einer Sinnes- oder körperlichen Beeinträchtigung können hochbegabt sein, und wer schlecht und langsam spricht, muss deswegen nicht in seiner kognitiven Funktionsfähigkeit eingeschränkt sein. Andererseits können bereits leichte Hörschädigungen im Klassenverband dazu führen, dass betroffene Kinder ohne entsprechende Maßnahmen dem Unterricht nicht folgen können.
Wie das Wechselspiel zwischen Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation im Einzelfall genau zu verstehen ist, kann oft nicht eindeutig festgestellt werden. Auffälliges Verhalten kann durch biologische Faktoren ausgelöst werden, es kann aber auch das Ergebnis einer über längere Zeit erfahrenen Einschränkung der Partizipation sein. Verschiedene Fachleute, die Eltern und das Kind können das auch unterschiedlich einschätzen. Gerade deshalb ist es wichtig, dass alle Beteiligten sich hierzu austauschen und verschiedene Hypothesen in Betracht ziehen; dabei kann das ICF-Modell als gemeinsame Grundlage dienen. Es muss allerdings sichergestellt werden, dass das für die Interpretation und das Verstehen notwendige Wissen tatsächlich verfügbar ist. Was etwa eine Gehörlosigkeit für die Funktionsfähigkeit – und insbesondere für die Beteiligung am Unterricht – bedeutet, kann eine Regellehrperson in den meisten Fällen nicht abschließend einschätzen.
Kontext mitdenken: Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren
ICF: Personbezogene Faktoren
Neben den Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung umfasst die ICF auch zwei Komponenten zur Beschreibung des Kontexts, in dem Funktionsfähigkeit und Behinderung erfasst werden: die Komponente «Umweltfaktoren» und die Komponente «personbezogene Faktoren», anders gesagt die äußeren und inneren Einflüsse auf die Funktionsfähigkeit und Behinderung. Beide Komponenten interagieren mit Körperfunktionen und -strukturen, Aktivitäten und Partizipation. Wenn es um Behinderung geht, denken viele Menschen an Eigenschaften von Personen und weniger an die Umstände, in denen eine Behinderung wirksam wird. Es sind aber genau diese Umstände, die durch die Lehrperson verändert werden können. Ein gutes Verständnis dieser Dynamik ist deshalb von sehr großer Bedeutung. Im Folgenden soll näher auf die Kontextfaktoren eingegangen werden. Insbesondere soll aufgezeigt werden, wie sie in konkreten Situationen zusammenspielen, und es soll deutlich gemacht werden, wie diese Situationen besser verstanden werden können. Denn im Verstehen von Situationen liegt der Schlüssel für ihre Veränderung und für die optimierte Gestaltung zukünftiger Situationen.
ICF: Umweltfaktoren
Alles, was eine Person umgibt, was sie beeinflusst und von ihr beeinflusst wird, ist Teil ihrer Umwelt. In der ICF werden Umweltfaktoren wie folgt definiert: «Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten» (WHO, 2011, S. 44). Darunter werden alle Faktoren erfasst, die «außerhalb» des Individuums liegen und für Funktionsfähigkeit und Behinderung als wichtig erachtet werden. Dies ist einerseits die unmittelbare persönliche Umwelt, andererseits sind es aber auch die sozialen Strukturen, Dienste und Gesetze, die einen Einfluss auf Individuen haben. Diese Faktoren können alle Komponenten der Funktionsfähigkeit und Behinderung positiv oder negativ beeinflussen. Die Umweltfaktoren sind in fünf Kapitel gegliedert (siehe Abbildung 4). Sie können als Förderfaktoren oder als Barrieren wirken. Meistens kann ihre positive oder negative Wirkung nicht absolut, sondern nur situativ bestimmt werden. So kann eine überbehütende Mutter in den Lebensbereichen «Selbstversorgung» und «Häusliches Leben» ein Förderfaktor sein, weil sie das Kind sehr gut betreut, ihm beim Ankleiden und Essen hilft und so weiter. Auf der anderen Seite kann die intensive Unterstützung durch die Mutter zur Barriere werden, wenn es darum geht, dass das Kind lernt, mit «allgemeinen Aufgaben und Anforderungen» selbstständig umzugehen.
1. Produkte und Technologien
2. Natürliche und vom Menschen veränderte Umwelt
3. Unterstützung und Beziehungen
4. Einstellungen
5. Dienste, Systeme und Handlungsgrundsätze
ABBILDUNG 4: Kapitelüberschriften zur Klassifikation der Umweltfaktoren
Beispiele zu den Umweltfaktoren in der IFC
Adäquate Lehrmittel und Kommunikationstechnologien, aber auch Rollstühle oder eine Apotheke werden im ersten Kapitel der Umweltfaktoren in der ICF verhandelt; Klima, Licht, Laute und Geräusche, Luftqualität sowie Flora und Fauna gehören zum zweiten Kapitel. Sowohl beim dritten als auch beim vierten Kapitel geht es um andere Menschen. Das dritte Kapitel konzentriert sich darauf, wie Menschen andere unterstützen und in welchem Bezug sie dabei zueinander stehen. Hier steht das soziale Netz im Zentrum; fokussiert wird auf die Qualität und die Quantität von Beziehungen. Im vierten Kapitel geht es hingegen um Einstellungen und Haltungen einzelner Bezugspersonen (z. B. Regellehrperson), von Gruppen (z. B. Klassenkameraden) oder der Gesellschaft. Einstellungen können ihre Wirkung auch entfalten, ohne dass eine direkte Beziehung vorhanden ist. Sie zeigen sich auch indirekt in fehlendem Verständnis für die Situation anderer Menschen. Kinder mit Behinderungen nicht unterrichten zu wollen, hat also gemäß ICF zwei unterscheidbare Komponenten: erstens die fehlende Unterstützung oder die Ablehnung einer Beziehung und zweitens die Einstellungen, Werte oder Weltanschauungen. Das fünfte Kapitel nimmt die verschiedenen Systeme mit ihren Dienstleistungen und Handlungsgrundsätzen in den Fokus, etwa das Bildungs- oder Gesundheitssystem sowie das Transportwesen oder die Rechtspflege.
Umweltfaktoren müssen in Bezug auf bestimmte Situationen erfasst und verstanden werden, denn es wäre unmöglich, immer alle irgendwie vorhandenen Umweltfaktoren zu berücksichtigen. Wichtig sind diejenigen Faktoren, die in einer bestimmten Situation für die betreffende Person von Bedeutung für ihre Funktionsfähigkeit sind. Der Pollengehalt in der Luft ist nur für Kinder mit einer Allergie ein relevanter Umweltfaktor; die Treppen im Schulhaus sind nur für Kinder mit körperlichen Einschränkungen problematisch, und fehlende Therapieangebote sind nur eine Barriere, wenn sie benötigt würden. Andere Barrieren sind jedoch weniger leicht zu benennen, weil sie nicht direkt beobachtet werden können, sondern sich aus Einstellungen und Handlungen anderer Personen ergeben. Das schweizerische Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG, SR 151.3) schreibt vor, dass Menschen mit einer Behinderung nicht benachteiligt werden dürfen (Artikel 1) und dass Kinder mit Behinderungen eine Grundschulung erhalten sollen, die ihren besonderen Bedürfnissen angepasst ist (Artikel 20). Doch wie genau sollen Lehrpersonen ihren Unterricht gestalten, damit dies sichergestellt wird? Hier gibt es keine einfachen Anpassungen oder standardisierte Lösungen; im Zentrum steht die Frage, wie weit die Lehrperson ihre Handlungsmöglichkeiten wahrnimmt und sie auf die Situation der Schülerinnen und Schüler abstimmen kann.
Lehrpersonen selbst sind Umweltfaktor
Es ist eine ungewohnte Perspektive; aber auch die Lehrperson selbst ist ein Umweltfaktor, der als Förderfaktor oder als Barriere wirken kann. Geht eine Lehrerin davon aus, dass ein Kind mit Down-Syndrom nie lesen und schreiben lernen wird, wird sich dies in der Unterrichtsorganisation und in der geleisteten Unterstützung zeigen. Weil Kinder sich entwickeln und in der Schule neue Kompetenzen aufgebaut werden, hat die Lehrperson nicht nur einen Einfluss auf die gegenwärtige, sondern auch auf die zukünftige Funktionsfähigkeit. Und hier genau setzt die Professionalität der Lehrperson an. Ihre Aufgabe ist es, gegenwärtige (Unterrichts-)Situationen so zu gestalten, dass dadurch Partizipation ermöglicht wird. Was wir von anderen Menschen halten und was wir ihnen zugestehen, ist einerseits Privatsache, auch für Lehrerinnen und Lehrer. Andererseits sind für die Berufsausübung relevante unreflektierte Vorurteile nicht mit professionellem Handeln vereinbar. Entsprechend müssen Lehrpersonen die berufsrelevanten Kompetenzen entwickeln, damit sie ihre Handlungsmöglichkeiten wahrnehmen können. → Siehe auch Beitrag von Luder, Kunz und Müller Bösch. Auf Fragen wie «Wo überfordere ich ein Kind, wo unterschätze ich es?», «Wo schließe ich Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten aus, obwohl die Zukunft immer ungewiss ist?» müssen mit der Unterstützung von weiteren Fachpersonen Antworten gefunden werden. → Siehe auch Beitrag von Luder und Kunz.
Personbezogene Faktoren
«Personbezogene Faktoren sind der spezielle Hintergrund des Lebens und der Lebensführung eines Menschen und umfassen Gegebenheiten des Menschen, die nicht Teil ihres Gesundheitsproblems oder -zustands sind» (WHO, 2011, S. 45). Gemeint sind hier Faktoren wie Geschlecht, Alter, Lebensstil oder sozialer Hintergrund sowie «allgemeine Verhaltensmuster und Charakter» (ebd.). Die personbezogenen Faktoren sind zwar Teil des ICF-Modells, sie sind aber nicht in der ICF klassifiziert. Dies hat damit zu tun, dass je nach Gesundheitsproblem die Abgrenzung zwischen Behinderungen und personbezogenen Faktoren unterschiedlich eingeschätzt wird. Zum Beispiel werden Probleme mit sozialen Interaktionen als Teil der eingeschränkten Aktivitäten bei einem Asperger-Syndrom verstanden. Die damit verbundene soziale Zurückgezogenheit wird somit als Teil der Funktionseinschränkung verstanden. Wird als primäres Gesundheitsproblem jedoch die durch Retinitis Pigmentosa verursachte Schädigung der Sehfunktionen betrachtet, dann wird man dazu tendieren, die soziale Zurückgezogenheit als eine Charaktereigenschaft (Introversion) zu beurteilen. Was als Lebenshintergrund und was als Teil der Funktionsfähigkeit und Behinderung erachtet wird, ist deshalb nicht unabhängig von der Situation des betroffenen Menschen zu unterscheiden.
Ein weiterer Grund, weshalb die WHO bisher keine Klassifikation zu den personbezogenen Faktoren entwickelt hat, liegt in der unterschiedlichen Einschätzung dieser Faktoren in verschiedenen Kulturkreisen. Aufmüpfiges Verhalten von Mädchen wird in egalitären Kulturen toleriert, in patriarchalischen Kulturen jedoch pathologisiert und unterdrückt. Was in stark individualisierten Gesellschaften als Selbstbehauptung und Durchsetzungsfähigkeit gefördert wird, gilt in kollektiven Gesellschaften als egoistisch und antisozial. Was als personbezogene Faktoren identifiziert wird und wie diese eingeschätzt werden, hängt also stark von der sozialen Umwelt, den vorherrschenden Einstellungen und Erwartungen ab. Auch im Alltag lassen sich bei anderen Menschen festgestellte und als besonders wichtig identifizierte Eigenschaften letztlich nicht von der beurteilenden Person trennen. Ob eine Lehrperson sich durch das Clownverhalten eines Kindes gestört fühlt oder ob sie dieses lustig und kreativ findet, hat vor allem mit der Lehrperson selbst zu tun. Auch Erwartungen der Lehrpersonen werden von personbezogenen Faktoren der Schülerinnen und Schüler beeinflusst. Vor allem die Bedeutung des Geschlechts und der sozialen Herkunft wird in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnt. Weil es immer andere Menschen braucht, um personbezogene Faktoren festzustellen, lassen sich letztlich Umweltfaktoren und personbezogene Faktoren nicht wirklich voneinander trennen.
Lehrpersonen können Situationen verändern
Diesen Einfluss und die Zusammenhänge zu kennen und zu verstehen, ist wichtig; aber noch wichtiger ist es, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen und entsprechend zu handeln. Behinderungen existieren nicht unabhängig von Situationen, in denen sie sich zeigen. In Situationen kommen bestimmte Bedingungen und bestimmte Anforderungen zusammen, und diese können verändert werden. Und genau hier setzen die Handlungsmöglichkeiten von Lehrpersonen an: Es geht für sie primär darum, Situationen so zu verändern, dass die gestellten Anforderungen besser bewältigt werden können. Zum Beispiel erhält ein blindes Kind einen Text digital und kann ihn so mit seiner Software für Sprachausgaben hören statt lesen. Die Anforderung, den Inhalt eines bestimmten Texts zu verstehen, wurde nicht verändert, nur die Situation, in der diese Anforderung gestellt wird. Als zweite Möglichkeit können auch die Anforderungen verändert werden, etwa durch Unterstützung beim Bewältigen einer Aufgabe oder mittels einfacherer Aufgaben. Zu beurteilen, ob die Situation, die Anforderungen oder beides zu ändern sei, ist alles andere als einfach. Hier setzt die Beratung durch entsprechende Fachleute an. Notwendige Anpassungen möglichst entwicklungs- und lernfördernd einzusetzen, ist die Aufgabe der Lehrperson und weiterer zentraler Bezugspersonen. Wie die ICF helfen kann, Situationen besser zu verstehen als Grundlage für professionelles Handeln, soll im nächsten Abschnitt dargelegt werden.